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Full text of "Allgemeine mikrobiologie, die lehre vom stoff- und kraftwechsel der kleinwesen, für ärzte und naturforscher dargestellt"

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ALLGEMEmE  MIKROBIOLO( 


STOFF-    UND  lOlAFTWECHSBL  DER  KLEINWEE 


FÜE  ARZTE  BSD  NATÜBPOBSCHEK 
DARGESTELLT 


Dr.  med.  WALTHER  KRUSE 


LEIPZIG 

VERLAG  VON  F.  C.  \V.  VOGEL 

1910 


Nacbdnick  verboten 
Übersetzungen  vorbehalten 

Copyright  1010  by  F.  C.  W.  Vogel,  Leipzig. 


Druck  vun  A  u  g  u  s  t  P  i'  i  e  s  in  Leipzig. 


'  -^\  1\ 


•  • 


HERRN  CARL  FLÜGGE 

DEM  SCHÖPFER  DER  „MIKROORGANISMEr 

UND 

MEISTER  DER  6ESUNDUEITSLEHRE 


IS  ALTER  VEREHRUNG 


DER  VERFASSER 


1^364033 


Vorwort 


Dieses  Buch  macht  den  Anspruch,  ein  völlig  neues  und  selbstän- 
diges Werk  zu  sein,  und  ist  doch  äußerlich  betrachtet  in  Abhängigkeit 
von  einem  älteren,  den  Flügge  sehen  „Mikroorganismen"  entstanden. 

Bekanntlich  hat  Flügge  1886  in  seinen  „Mikroorganismen'', 
die  er  als  2.  Auflage  der  1883  im  Handbuche  der  Hygiene  von  Ziems- 
s  e  n  und  Pettenkofer  erschienenen  „Fermente  und  Mikropara- 
siten"  bezeichnet  hat,  zum  ersten  Male  den  Versuch  gemacht,  die  da- 
mals zwar  nicht  mehr  ganz  junge,  aber  doch  erst  seit  dem  Auftreten 
Pasteurs  und  R.  Kochs  mit  reichem  Inhalt  gefüllte  Lehre  Non 
den  Kleinwesen  zugleich  vom  naturwissenschaftlichen  und  medizinisth- 
hygienischen  Standpunkte  aus  umfassend  und  tiefgründig  zu  bearbeiten. 
In  wie  vollständigem  Maße  ihm  das  gelungen  ist,  weiß  derjenige  zu 
schätzen,  der  sich  damals  in  die  Wissenschaft  einzuarbeiten  und  darin 
mitzuarbeiten  hatte.  Das  zeigte  sich  auch,  als  wir,  d.  h.  Frosch, 
E.  Gotschlich,  Kolle,  R.  Pfeiffer  und  ich,  10  Jahre 
Später  von  Flügge  die  Neubearbeitung  der  3.  Auflage  übertragen 
erhielten.  Sie  war  zwar  äußerlich  stark  verändert  und  auf  das  Doppelte 
erweitert,  trug  aber  doch  allenthalben  noch  den  Stempel  des  Flügge- 
j^chen  Geistes.  Auch  dieses'  Werk  hat  eine  Reihe  von  Jahren  seinen 
Zweck,  eine  möglichst  vollständige  Zusammenfassung  des  mikro- 
biologischen Wissens  zu  liefern,  erfüllt. 

Als  1902  die  Aufgabe  an  Flügge  herantrat,  eine  4.  Auflage 
zu  veranstalten,  lehnte  er  wegen  Überlastung  mit  anderen  Arbeiten 
jede  weitere  Beteiligung  ab  und  übertrug  mir,  der  ich  schon  den  größeren 
Teil  der  3.  Auflage  bearbeitet  hatte,  die  Herausgabe.  Ich  übernahm 
sie  freudig,  obwohl  ich  mir  die  Schwierigkeiten,  die  dabei  zu  überwinden 
waren,  nicht  verhehlte.  Die  wohl  in  der  Geschichte  der  Wissenschaften 
beispielloeea  Fortschritte,  die  das  Ende  des  letzten  und  der  Anfang 
<1hs  neuen  Jahrhunderts  der  Mikrobiologie  gebracht  hat,  machten  für 
(lie  Xeubearbeitung  eine  Änderung  des  Planes  nötig.  Es  standen  zwei 
VVpge  offen.  Wenn  ich  das  Werk  mit  den  alten  Zielen  fortsetzen  wollte, 
hätte  ich  es  auf  mindestens  4  Bände  erweitern  und  die  Hilfe  zahreicher 


VI  Vorwort. 

Mitarbeiter  in  Anspruch  nehmen  müssen.  Ich  verzichtete  darauf,  und 
zwar  zunächst  schon  aus  dem  äußeren  Grimde,  weil  zu  jener  Zeit  zwei 
derartige  große  Sammelwerke,  das  eine  von  K  o  1 1  e  und  Wasser- 
mann, vorwiegend  für  Ärzte,  und  das  von  L  a  f  a  r ,  für  Gärungs- 
physiologen bestimmt,  im  Erscheinen  begriffen  waren.  Mit  ihnen  in 
Wettbewerb  zu  treten  war  kaum  zweckmäßig.  Andererseits  verkannte 
ich  nicht,  daß  solche  Sammelwerke  doch  verschiedene  Nachteile  haben : 
sie  lassen  notwendigerweise  die  Einheitlichkeit  der  Auffassimg  und 
Darstellung  vermissen,  geben  hier  leicht  zu  viel,  da  und  dort  zu  wenig. 
Ich  gestehe  also,  es  hatte  viel  Verlockendes  für  mich,  selbst  das  ganze 
Werk  zu  schreiben.  Natürlich  mußte  ich  mich  dann  wegen  der  über- 
wältigenden Menge  des  Stoffes  in  gewisser  Weise  bescheiden  und  konnte 
das  auch  ganz  gut.  Vor  allem  lag  kein  Bedürfnis  vor,  die  Einzeldar- 
stellimgen  der  Kleinwesen  und  ihrer  Leistungen,  deren  Vollständigkeit 
ja  den  Haupt  wert  der  Sammelwerke  ausmachen,  zu  wiederholen. 
Ebenso  war  es  erlaubt,  die  hygienischen  und  technischen,  diagnostischen 
und  therapeutischen  Gesichtspunkte,  die  heutzutage  in  allen  Lehr- 
büchern zur  Geltung  kommen,  mehr  in  den  Hintergrund  treten  zu 
lassen,  und  erwünscht,  in  erster  Linie  die  biologische  und 
pathologische  Seite  zu  berücksichtigen. 

Trotzdem  ist  mir  das  Werk  imter  den  Händen  mehr,  als  ich  dachte, 
angeschwollen.  Ich  übergebe  hier  zunächst  den  ersten  Teil,  die  all- 
gemeine Mikrobiologie,  der  Öffentlichkeit.  Sie  behandelt 
die  Lehre  vom  Stoff-  und  Kr  aftwechsel  der  Klein- 
wesen, ist  von  den  folgenden  Teilen  völlig  unabhängig  und  nicht 
bloß  für  Ärzte,  sondern  für  alle  solche  Naturforscher  geschrieben,  die 
sich  nicht  in  ihr  Sonderfach  einspinnen  wollen.  Sind  doch  die  Leistungen 
der  Kleinwesen  einerseits  so  mannigfaltig  und  eigenartig,  andererseits 
oft  so  durchsichtig,  daß  die  Wissenschaft  vom  Leben  in  allen  ihren 
Teilen  aus  ihrer  Kenntnis  reiche  Früchte  ziehen  kann,  aber  auch  die 
Chemie  alle  Ursache  hat,  sich  mit  ihnen  zu  beschäftigen. 

Die  Handschriften  für  die  folgenden  Teile,  die  Infektions- 
und  Immunitätslehre,  sind  in  der  Hauptsache  ebenfalls 
vollendet. 

Ich  sagte  oben,  mein  Buch  mache  den  Anspruch  auf  Selbständig- 
keit. Das  heißt  natürlich  nicht,  daß  ich  die  Arbeit  meiner  Vorgänger 
gering  einschätzte  —  im  Gegenteil  verdanke  ich  ihnen  sehr  viel  — , 
sondern  nur,  daß  ich  bestrebt  war,  mir  möglichst  überall  durch  Zurück- 
gehen auf  die  Quellen  und  möglichst  oft  durch  Nachprüfung  ein  eigenes 
Urteil  zu  bilden.  Die  Laboratoriumserfahrung  des  einzelnen,  mag  sie 
noch  so  vielseitig  sein  und  sich  auf  ein  halbes  Menschenleben  voll  Arbeit 
gründen,  ist  ja  freilich  bei  der  heutigen  Ausdehnung  unseres  Faches 


Vorwort.  VII 

und  der  Beschränktheit  der  in  unsem  Instituten  verfügbaren  Mittel  und 
Hilfskräfte  kaum  mehr  als  ein  Tropfen  in  dem  vollen  Becher  der 
Wissenschaft. 

Da  ich  ja  auch  noch  viele  andere  Dinge  zu  tun  hatte,  sind 
acht  Jahre  über  der  Arbeit  hingegangen.  Ich  darf  aber  wohl  sagen, 
daß  sie  mir  bis  zidetzt  Freude  gemacht  hat,  und  daß  ich  viel 
dabei  gelernt  habe.  Hoffentlich  geht  es  anderen  bei  der  Benutzimg 
dieses  Werkes  ebenso. 

Man  verübele  es  mir  nicht,  daß  ich  mir  einige  Mühe  gegeben  habe, 
wo  angängig  Fremdwörter  durch  deutsche  zu  ersetzen.  Ich  sehe  nicht 
ein,  warum  die  wissenschaftliche  Sprache,  insbesondere  der  Ärzte 
durchaus  ein  Kauderwelsch  sein  soll. 

Durch  möglichst  zahlreiche  Verweisimgen  im  Text,  denen  ein  aus- 
führliches Inhalts-  und  Stichwörterverzeichnis  zur  Seite  steht,  glaubte 
ich  die  Benutzung  des  Buches  zu  erleichtern. 

Königsberg,  im  Oktober  1910. 

Kruse. 


Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

Widmung III 

Vorwort V 

Tnlialtsv^erzeichnis IX 

Kap.  I.    Bau  der  Kleinwesen  und  mikrochentisches  Verhalten    ...         1 

§  1.  Bau  und  Chemismus.  §  2.  Plasmolyse.  §  3.  Unregel- 
mäßige Formen.  §  4.  Kapseln.  §  5.  Zerstörung  durch  mecha- 
nische Einflüsse. 

§6.  Zerstörung  durch  chemische  Einflüsse. 
§  7.  Pyocyanase.  §  8.  Lipoide.  §  9.  Selbst  Verdauung.  §  10. 
V^erdauung.  §  11.  Bakteriolyse  durch  Serum.  §  12.  Antifor- 
min.  §  13.  Alkalien.  §  14.  Salze  und  andere  Lösungsmittel.  §  15. 
Schlußfolgerungen  aus  der  Wirkung  der  Lösungsmittel.  §  16. 
Koagulierende   und    andere   desinfizierende  Einflüsse. 

§  17.  Farbstoffe.  Kernfärbungen  bei  Bakterien.  §  18. 
Gramfestigkeit.  §  19.  Säurefestigkeit.  §  20.  Schlüsse  aus  den 
Farbreaktionen  auf  die  Natiu*  der  Bakterienzelle.  §  21.  Kör- 
nerfärbungen.    §    22.    Vorratsstoffe.     Fett.     Volutin. 

Kap.  n.     Chemische   Zusammensetzung  der   Kleinwesen 51 

f  23.  Analysenergebnisse.  §  24.  Schlüsse  aus  den  Ana- 
Ijrsen.  §  25.  Proteinstoffe  und  deren  Abkömmlinge.  §  26. 
Fette,  Cholestearin,  Lezithin,  Wachs  usw.  §  27.  Kohlenhydrate 
und  Membranstoffe.     §  28.  Aschenbestandteile. 

Kap.  III.     Die   Nährstoffe   der    Kleinwesen 88 

§  29.  Einleitung.  Methoden.  §  30.  Bedarf  an  Aschenbe- 
standteilen, Schwefel  und  Phosphor.  §  31.  Bedarf  an  Sauer- 
stoff. Aerobiose  und  Anaerobiose.  §  32.  Der  Stickstoff  bedarf. 
§  33.   I>er  Kohlenstoffbedarf.     §  34.   Zusammenfassung. 

Kap.  IV.    Weitere  Bedingungen  der  Ernährung 124 

§  35.  Aufgaben  der  Ernährung.  Beziehung  der  Nähr- 
stoffe zu  bestimmten  Zell  eist  ungen.  §  36.  Wachstum,  Leben 
und  Tod.  §  37.  Erklärung  der  W^achstumserscheinungen. 
Hungertod.  §  38.  Dauerzustände.  Si)oren.  §  39.  Befruch- 
tung der  Protozoen. 

§  40.  Dichtigkeit  der  Nährböden.  §  41.  Reaktion  der 
Nährböden.  §  42.  Einfluß  der  Temperatur  auf  die  Ernährung. 
§  43.  Bewegung  und  Erschütterung.  §  44.  l>ruckorhöhung.  §  45. 
Elektrizität  und  Licht.  §  46.  Beeinflussung  der  Bewegungen 
durch  physikalische  Reize. 


X  Inhaltsverzeichnis. 

Seite 

§  47.  Schädigung  durch  eigene  Stoffwechsel  er  Zeugnisse. 
Selbstvergiftung.  §  48.  Schädigung  durch  fremde  Stoffwechsel- 
erzeugnisse.  §  49.  Fördenuig  durch  eigene  Stoffwechselerzeug- 
nisse. Autobiose.  §  60.  Förderung  durch  fremde  Stoff wechsel- 
erzeugnisse.  Symbiose  imd  Metabiose.  §  51.  Vergiftung  und 
Infektion  höherer  Organismen.  Schädliche  Parasiten.  §  52. 
Nützliche  und  harmlose  Parasiten.  §  53.  Reizstoffe  der  Wirte 
und  Parasiten.  Gegenwirkungen.  §  54.  ICleinwesen  als  Nah- 
rungsspender und  Erzeuger  anderer  nützlicher  Stoffe. 

§  55.  Chemische  Emährungsreize.  §  56.  Chemische  Bewe- 
gungsreize §  57.  Emährungsgifte  und  Gegenwirkungen  der 
Mikroorganismen.  §  58.  Auswahl  der  Nährstoffe  bei  gemischter 
Ernährung.  Spaltung  razemischer  Verbindungen,  Zusammen- 
wirken von  Nährstoffen. 

Kap.  V.    Die  Stoff  Wechsel  Vorgänge  im  allgemeinen 196 

§  59.  Einleitung.  §  60.  Hydrolytische  Spaltungen  und 
Verflüssigungen.  §  61.  Spaltungsgärungen.  §  62.  Oxydationen. 
§  63.  Reduktionen.  §  64.  Anhydridbildung.  §  65.  Verdich- 
tungen. §  66.  Synthesen.  §  67.  Zusammenfassung.  §  68.  Fort- 
setzung.   Gegenstoffe,  Hilfsstoffe  der  KJeinwesen. 

Kap.   VI.     Umwandlungen  der   Kohlenhydrate  im   Stoffwechsel    .    .     214 

§  69.  Hydrolytische  Spaltungen.  Verzucke- 
rung der  Stärke.  Diastase.  §  70.  Verzuckerung  des  Dextrins. 
Dextrinase.  §  71.  Inulinase.  §  72.  Glykogenase.  §  73.  Ver- 
flüssigung des  Pflanzenschleims.  §  74.  Pektinase.  §  75. 
Pektingärung.  §  76.  Zellulase  (Zytase).  §  77.  Hydrolyse 
der  Di-  und  Trisaccharide.  §  78.  Saccharetse  (Invertase).  §  79. 
Maltase.  §  80.  Trehalase.  §  81.  Melibiase.  §  82.  Laktase.  §  83. 
Raffinase.    §  83  a.  Zusammenfassung. 

§  84.  Spaltungsgärungen  der  Kohlenhy- 
drate. Alkoholgärung.  §  85.  Erreger  der  Alkohol- 
gärung. §  86.  Verhalten  der  zusammengesetzten  Kohlenhydrate 
zur  Alkoholgärimg.  Einteilung  der  Hefen.  §  87.  Beziehungen 
der  Vergärbarkeit  zum  Bau  der  Monosaccharide.  §  88.  Theorie 
der  alkoholischen  Zuckerspaltung.  §  89.  Zymase.  §  90.  Er- 
zeugnisse der  alkoholischen  Gärung.  §  91.  Einfluß  des  Hefe- 
wachstums und  des  Sauerstoff  Zutritts  auf  die  Gärung.  Selbst- 
vergärung. §  92.  Selbst  Verdauung  der  Hefe  und  ihre  Hem- 
mung. §  93.  Gärungsgeschwindigkeit,  Gärvermögen  und  Ver- 
gärungsgrad. §  94.  Gärungsgewerbe.  Bierbrauerei.  §  95.  Wein- 
bereitiuig.  §  96.  Branntweinbrennerei.  §  96a.  Aus  Misch- 
gärungen   hervorgehende    Gcnußmittel. 

§97.  Milchsäure-  und  gemischte  saure  Gä- 
rungen. Einteilung  ihrer  Erreger.  §  98.  Verschiedene  Arten 
der  sauren  Gärung.  §  99.  Milchsäuregärung.  §  100.  Einfluß 
des  Gärmaterials  auf  die  Milchsäuregärung.  §  101.  Stärke 
der  Milchsäuregärung.  Gärungsenzym.  §  102.  Die  Beschaffen- 
heit der  Milchsäure.  §  103.  Die  anaerobe  Easigsäuregärung 
oder  essigsaure  Gärung  der  Kohlehydrate.    §  104.   Alkoholische 


Inhaltsverzeichnis.  XI 

Seite 

Gärung  durch  Bakterien.  §  105.  Wasserstoffgärung.  §  106. 
Glyzerin-,  Mannit-  und  Schleimgärung.  §  107.  Bernsteinsaure- 
gärung.  §  108.  Ameisensäuregärung.  §  109.  Fropionsäiu'e- 
gärung.  §  1 10.  Andere  Nebenerzeugnisse  der  Milchsäuregärung. 
§  111.  Bedeutung  der  Milchsäurebakterien  für  die 
Gewerbe.  §  112.  Verwertung  der  Säure-  und  Gasbildung 
zur  Unterscheidung  der  Bakterien. 

§  113.  Buttersäure-  und  But  yla  Iko  h  o  1  g  ä - 
rung.  Erreger.  §  114.  Chemismus  der  Buttersäuregärung. 
§  115.  Chemismus  der  Butylalkoholgärung.  §  116.  Bedeutung 
der  Buttersäuregärung. 

}  117.  Vergärung  der  Zellulose  und  des 
Gummis.  Sumpfgasgänuig.  §  118.  Entstehung  des  Humus, 
der  Kohle,  des  Grubeng£Lses. 

§119.  Oxydation  der  Kohlenhydrat  e.  §120. 
Glykonsäinre-,  Glykuronsäure-,  Zuckersäuregärung.  §  121.  Zitro- 
nensauregärung.  §  122.  Oxalsäuregänmig.  §  123.  Vollständige 
Verbrennung  der  Kohlenhydrate. 

§  124.  Reduktion  der  Kohlenhydrate:  Mannit- 
gärung.  §125.  Schleimige  Mannitgärung.  §  126.  Mannitbil- 
dung  durch  Schimmelpilze. 

§  127.  Aufbau  von^  Disacch  ariden  und  Poly- 
sacchariden aus  Hexosen  und  Fentosen.  §  128.  Gummi 
und  Schleimgärungen.  §  129.  Zusammensetzung  und  Ent- 
stehung des  Bakterienschleims.  §  130.  Bildung  von  Stärke 
imd  Zellulose. 

Kap.  VII.    Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren   ...     418 

§  131.  Umwandlungen  der  höheren  Alko- 
hole. Gärungen.  §  132.  Oxydationen  der  höheren  Alkohole. 
Sorbosegärung. 

§  133.  Umwandlungen  der  niederen  Alko- 
hole. §134.  Verbrennung  der  Alkohole.  §135.  Aerobe  Essig- 
säuregärung.   §  136.    Gewerbliche  Darstellung  des  Essigs. 

§  137.  Umwandlungen  der  Fette  und  Fett- 
säuren. Hydrolysen.  §  138.  Lipasen.  §  139.  Spaltungs- 
gärungen der  Fettsäuren.  §  140.  Vergärung  der  Ameisen- 
säure. §  141.  Sumpfgasgärung  der  Essigsäiu'e.  §  142.  Ver- 
gärung der  Milchsäure.  §  143.  Vergärung  der  Glykolsäure, 
Oxalsäure,  Bernsteinsäure,  Br enz weinsäur e.  §  144.  Vergärung 
der  Glyzerinsäure.  §  145.  Sumpfgasgärung  der  Buttersäure. 
§  146.  Vergärung  der  Apfelsäiu*e.  §  147.  Vergärung  der  Wein- 
säure. §  148.  Vergärung  der  Zitronensäure,  Schleimsäure, 
Glykuronsäure.  §  149.  Oxydation  der  Fette  und  Fett- 
säuren. §  150.  Das  Ranzigwerden  der  Fette.  §151.  Reduk- 
tion von  Fetten  und  Fettsäuren.  §  152.  Synthesen  aus 
Fettsäuren. 

Kap.  VIII.    Wandlungen  der  Glykoside  und  aromatischen  Körper  .     454 

§  153.  Einleitiuig.  §  154.  Hefe-Emulsin.  §  155.  Scliim- 
melpilZ'Emulsin.     §  156.    Zersetzungen  von  Glykosiden  diu'ch 


XII  Inhaltsverzeichnis. 

Seit« 

Bakterien.  Farbgärungen.  §  157.  Tabaksfermentation,  Selbst- 
erhitzung des  Heus  und  anderer  Pflanzenstoffe.  §  158.  Ver- 
änderungen der  Gerb-  und  Humusstoffe.  §  158  a.  Verände- 
rungen von  aromatischen  Holzbestandteilen  durch  Pilze.  §  159. 
Oxydasen.  §160.  Katalase.  §161.  Reduktion  von  Farbstoffen. 
Reduktasen.  §  162.  Reduktionen  in  Milch  und  Abwasser. 
§  163.     Synthesen  von  Glykosiden  und  aromatischen  Stoffen. 

Kap.  IX.    Wandlungen  der  Eiweißkörper 482 

§164.  Einleitung.  §  165.  Proteolytische  (Ver- 
dauungs-)E  n  z  y  m  e.  §  166.  Selbstverdauung  der  Kleinwesen. 
Endotrypt€use. 

§  167.  Tiefe  Spaltung  der  Eiweißkörper. 
Fäulnis.  §  168.  Fäulnis  diu'ch  Anaerobier.  §  169.  Fäulnis 
durch  Proteusbazillen.  §  170.  Eiweißspaltungen  durch  Vibrio- 
nen und  andere  Aerobier.  Ptomaine.  §  171.  Fortsetzung. 
Ammoniakbildung  durch  Aerobier.  §  172.  Eiweißspaltung 
durch  Schimmelpilze  und  Strahlenpilze.  §  173.  Eiweißspaltung 
durch  Hefe.  Bildung  von  Alkoholen  und  Aldehyden,  Geruchs- 
und Geschmacksstoffen.  §  174.  Eiweißspaltung  durch  nicht 
peptonisierende  Bakterien.  §  175.  Zusammenfassendes  über  die 
Eiweißspaltungen. 

§  176.  Oxydation  von  Eiweißstoffen.  Ver- 
wesung. 

§  177.  Eiweißgerinnung.  Labenzym.  §  178.  Käse- 
reifung. 

§  1 79.  Gemischte  Fäulnis  und  Verweaung. 
Produkte  derselben.  §  180.  Erreger  der  Fäulnis  und  Ver- 
wesung, insbesondere  des  Fleisches.  §  181.  Fäulnis  und  Ver- 
wesung anderer  tierischer  Stoffe.  §  182.  Fäulnis  xind  Ver- 
wesung von  Pflanzenstofien.  §  183.  Fäulnis  und  Verwesung 
im  Boden  und  Wasser.  §  184.  Wirkung  des  Luft  Sauerstoffs  auf 
die  Fäulnis.  §  185.  Einfluß  der  Reaktion  auf  Fäulnis  und 
Verwesung.  §  186.  Einfluß  gewisser  Stoffe  auf  die  Fäulnis. 
§  187.  Einfluß  physikalischer  Bedingungen  auf  Fäulnis  xind 
Verwesung.    §  188.  Fäulnis  und  Krankheit. 

Kap.  X.    Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper r^SS 

§  189.  Einleitung.  Spaltung  des  Lezithins  und  Cholins. 
§  190.  Spaltung  der  Gallensäuren  und  des  Taurins.  §  191. 
Spaltung  der  Säiu*eamide,  besonders  der  Hippiu'säiu'e.  §  192. 
Fleiscliextraktivstoffe.  §  193.  Harnsäure,  Purinbasen.  §  194. 
Zersetzung  des  Kalkstickstoffs.   §  195.  Vergärung  des  Harnstoffs. 

§   196.    Nitrifikation.     Salpetergärung. 

§  197.  Denitrifikation,  Nitritbildung.  §  198. 
Stickstoffgärung.  §  199.  Reduktion  der  Salpetersäure  zu 
Ammoniak.  §  200.  Entwicklung  von  Stickstoffoxyden.  Be- 
deutung der   Stickstoffentbindung. 

§  201.  Bindung  freien  Stickstoffs.  KnÖll- 
chenbakterien.  §  202.  Wurzelpilze,  §  203.  Stickstoffbindende 
Kleinwesen.    §  204.  Bedeutung  der  Stickstoffbindung  im  Boden. 


Inhaltsverzeichnis.  XIII 

Seite 

Kap.  XI.  Wandlungen  des  Schwefels       634 

§  205.  Einleitung.  Abspaltung  des  Schwefelwasserstoffs 
aus  organischen  Verbindungen.  §  206.  Merkaptanbildung. 
§  207.  Oxydation  des  Schwefels  und  seiner  Verbindungen.  §  208. 
Farblose  Schwefelbakterien.  §  209.  Purpurbakterien.  §  210. 
Andere  Erreger  der  Schwefelsäuregärung.  §  211.  Reduktion 
des  Schwefels  und  seiner  Verbindungen.  §  212.  Sulfatreduktion. 
Schwefelwasserstoff  gärung. 

Kap.  XII.     Wandlungen  anderer  anorganischer  Stoffe 658 

§  213.  Einleitiuig.  Wandlungen  des  Phosphors.  §  214. 
Reduktion  der  selenigen  und  tellurigen  Säure.  §  215.  Reduk- 
tion des  Arsens  durch  Schi nunelpi Ixe.  §  216.  Eisenbakterien. 
§  217.  V'eränderiuigen  der  Chlor-,  Brom-  und  Jodverbindungen. 

Kap.  XIII.    Die  Wege  des  Sauerstoffs  und  die  Beziehungen  des  Stoff- 

und  Kraftwechsels 667 

§218.  Einleitung.  §  219.  Atmung  der  Aero- 
b  i  e  r.  Atmimgsquotient.  §  220.  Ergebnisse  von  Atmungs- 
verauchen.  §  221.  Verfahren  zur  Gasuntersuchung.  §  222. 
Sauerstoffübertragende  Enzyme.  Oxydasen.  §  222  a.  Sauer- 
stoffspeicherung.  §  223.  Intramolekulare  Atmung 
und  Gärung.  224.  Fortsetzung.  Befriedigimg  des  Energie- 
hungers durch  die  Gärung.  §  224  a.  Gärungsenzyme.  §  225. 
Atmung  durch  sauerstoffreiche  Verbindungen.  §  226.  Atmung 
im  Hungerzustande.  Selbstverbrennung.  §  227.  Berechnung 
der  Wärmeentwicklung  bei  der  Atmung  und  Gärung. 

§228.  Verflüssigimgs-  und  Verdauungsvorgänge.  Hydrolysen. 

§  228  a.  Reduktionen.  §  228  b.  Anhydridbildung  und 
Kondensationen.  Gerinnung.  §  229.  Stoffaufbau.  Bildung 
der  Kohlenhydrate.  §  230.  Bildung  der  Fette.  §  231.  Bildimg 
der  Eiweißkörper. 

§  232.  Stoff-  und  Kraft  Wechselrechnung. 
Ausnützung  und  Verbrauch  der  Nahrung  bei  Schimmelpilzen. 
§  233.  Stoff-  und  Kraftwechsel  bei  Hefepilzen.  §  234.  Stoff- 
und  Kraftwechsel  aerober  Bakterien.  §  235.  Stoff-  und  Kraft- 
wechsel bei  gärungerregenden  Bakterien.  §  236.  Zusammenfas- 
sendes über  die  Stoff-  und  Kraftwechselbilanz  der  Kleinwesen. 

§  237.  Kraftleistungen  der  Kleinwesen. 
Wärmeentwicklung.     §  238.     Lichtentwicklung. 

Kap.  XIV.     Fermente  (Umsatzstoffe) 749 

§  239.  Einleitung.  §  240.  Ausscheidung,  Darstellung 
und  chemische  Natur  der  Enzyme.  Zeitlicher  Verlauf  der  Fer- 
mentwirkung. Abhängigkeit  von  der  Dichte  der  zu  verändernden 
Stoffe.  §  242.  Abhängigkeit  der  Wirkiuig  von  der  Fermentmenge. 
Verbrauch  der  Fermente.    §  243.    Untersuchungsverfahren. 

§  244.  Einfluß  der  Temperatur  auf  Fermente  und  Fer- 
mentwirkung.  §  245.  Einfluß  des  Lichts  vmd  der  Elektrizität. 
§  246.  Einfluß  von  Säuren  und  Alkalien.  §  247.  Einfluß  von 
Salzen,  Metalloxyden  und  anderen  Bestandteilen  des  Nährbodens. 
Kofermente.     §  248.  Einfluß  von  Giften.     Zymoparalysatoren. 


XIV  Inhaltsverzeichnis. 

Seit« 

§  249.  Spezifische  Wirkung  und  Bindung  der  Fermente. 
Gegenkörper  und  Zwischenkörper  der  Enzyme.  §  250.  Bildung 
der  Fermente.  Zymogene.  §251.  Grenzen  der  Fermentierung. 
Umkehrbarkeit  ihrer  Wirkung.      Synthetische  Fermente. 

Kap.  XV.    Farbstoffe  der  Kleinwesen 778 

§  252.  Vorkommen  imid  Lagerung.  §  253.  Chemische  Zu- 
sammensetzung der  Farbstoffe.  §  254.  Bedingungen  der  Farb- 
stoffbildung.     §  255.  Bedeutung  der  Farbstoffe. 

Kap.  XVI.    Gifte  der  Kleinwesen 790 

§  256.  Einleitung.  Beschaffenheit  und  Wirkungsweise. 
§  257.     Bedeutung  der  Gifte  für  ihre  Erzeuger. 

§  258.  Stoffwechselgifte.  §  259.  Organische 
Basen.     Ptomaine.     §  260.   Giftige  Fette. 

§261.  Geschichte  und  Darstellung  des 
Diphtheriegiftes.  §  262.  Bau  des  Diphtheriegiftes. 
T  o  X  o  i  d  e.  §  263.  Diphtherie-T  o  x  o  n  e.  §  264.  Giftspektren. 
Proto-,  Deutero-,  Tritotoxine  und  -Toxoide.  §  265.  E  p  i  - 
toxonoide.  §  266.  Schlußbemerkungen  über  die  Ehr- 
lichsche  Giftanalyse.  §  267.  Vorübergehende  Veränderungen 
des  Diphtherie-  und  anderer  Impfgifte. 

§  268.  Die  Eigengifte  der  Kleinwesen  im 
allgemeinen.  §  269.  Einfluß  des  Wirkungsortes  und  der 
Tierart  auf  die  Giftigkeit.  §  270.  Wirkungsweise  der  Eigengifte. 
Inkubationszeit.  §  271.  Bildungsweise  der  Eigengifte.  §  272. 
Gewinnungsweise  der  Eigengifte.  Ekto-  imd  Endotoxine.  §  273. 
Reinigung  der  Eigengifte.  Chemische  Natur.  §  274.  Giftzerstö- 
rende luid  giftbindende  Einflüsse. 

§  275.  Bau  der  Impfgifte  (Immuntoxine). 
§  276.  Abweichende  Auffassungen  über  den  Bau  der  Impf- 
gifte.  §  277.  Fortsetzung.  §  278.  Bedingungen,  welche  die 
Giftbindung  beeinflussen.  §  279.  Verhältnis  der  zuleitenden 
und  impfenden  zu  der  bindenden  Giftgruppe.  Ehrlichs 
Seitenkettentheorie. 

§  280.  Endotoxine,  sekundäre  Gifte,  Bakterion- 
proteine.     Entzündungs-,  Fieber-,   Darmgifte. 

§281.  Die  Eigongifte  der  einzelnen  Bak- 
terien. Tetanusgift.  §  282.  Wurstgift.  §  283.  Rauschbrand- 
und  andere  Anaerobiergifte.  §  284.  Choleragift.  §  285.  Vibri- 
onengifte. §  286.  Typhusgift.  §  287.  Paratyphus-  imd  Fleisch- 
gifte. §  288.  Gifte  des  ColibaziUus.  §290.  Die  Gifte  der 
hämorrhagischen  Septizämien.  §  291.  Pestgifte.  §  292. 
Milzbrandgift.  §  293.  Rotlaufgift.  §  294.  Pneumoniegift.  §  295. 
Streptokokkengift.  §  296.  Meningokokkengift.  §  297.  Gono- 
kokkengift.  §  298.  Streptokokkengift.  §  299.  Pyocyaneusgifte. 
§  300.  Proteusgift.  §  301.  Gifte  von  Heubazillen,  Prodigiosus 
und  anderen  Saprophyten.  §  302.  Influenzagift.  §  303.  Keuch- 
hustengift. §  304.  Tuberkelgift.  §  305.  Rotzgift.  §  306.  Gifte 
der    Strahlenpilze.      §  307.  Gifte  von    Schimmelpilzen.      §    308. 


Inhaltsverzeichnis.  XV 

Seite 

•  

Gifte  von  Hefepilzen.     §  309.    Gifte  bei  Pflanzenkrankheiten. 
§310.  Gifte  der  Protozoen.       §  311.   Gifte  der  Chlamydozoen. 

§  312.  B  1  u  t  g  i  f  t  e  (Hämolysine)  der  Bakterien.  §  313. 
Hämolysine  als  spezifische  Gifte.  §  314.  Der  Vorgang  der  Hä- 
molyse.  §  315.  Hämolytische  Wirksamkeit  der  Kleinwesen  im 
Tierkörper.  §  316.  Hämagglutinine  der  Bakterien. 
§317.     Leukozidine.    §  318.  O  r  gang  i  f  t  e. 

Kap.  XVn.  Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe 1021 

§  319.  Geschichte  und  Vorkommen  der  Angriffsstoffe 
(Aggressine).  §  320.  Darstellung  und  Eigenschaften  der 
Aggressine.  §321.  Aggressivität  und  Giftigkeit.  §  322.  Wir- 
kung der  Angriffsstoffe  auf  Leukozyten,  Phagozyten  und 
Opsonine.  §  323.  Antibakterizide  Wirkung  der  Angriffsstoffe. 
§  324.  Antilytische  Wirkung  der  Angriffsstoffe.  §  325.  Antikom- 
plementare  Wirkungen  der  Angriffsstoffe.  §  326.  Schluß. 
§  327.  Angriffstoff e,  Bakterienrezeptoren  tmd  Impfstoff e.  §328. 
Theorie  der  Virulenz.  §329.  Fortsetzung.  Andere  Erklärungen  der 
Virulenz.    §  330.  Veränderlichkeit  der  Virulenz  und  Angriffsstoffe. 

§331.  Reiz-  und  Impfstoffe.  Entzündungs- 
ond  Fieberstoffe.      §  332.   Spezifische  Entzündungsstoffe. 

§  333.  Lysinogene  und  tropinogene  Impfstoffe.  §  334. 
Andere  Impfstoffe  (Antigene).  §  335.  Agglutinogene.  Inunu- 
nisierende  Fähigkeit.  §  336.  Zusammengesetzte  Natur  der 
Agglutinogene.  §  337.  Bindende  Fähigkeit  der  Agglutinogene. 
§  338.  Bindimgsgesetz.  §  339.  Natur  der  Bindtmg.  §  340. 
Veränderungen  des  Bindungsvermögens.  §  341.  Agglutinier- 
barkeit.  §  342.  Präzipitinogene.  §  343.  Reaginogene.  §  344. 
Anaphylaxogene. 

Kap.  XVIII.      Veränderlichkeit  und   Stammesgeschichte  der   Klein- 
wesen     1122 

§  345.  Allgemeines.  §  346.  Form  und  Größe.  §  347. 
Sporen.  §  348.  Beweglichkeit.  §  349.  Zuseunmensetzung  des 
Mikrobenleibes  und  mikrochemische  Reaktionen.  §  350.  Wider- 
standsfähigkeit. §  351.  Wachstum  in  künstlichen  Nährböden 
und  Kolonieformen.  Peptonisierungsvermögen  und  Schleim- 
bildung. §  352.  Temperatur  und  Sauerstoff  Spannung.  §  353. 
Zersetzungen  und  Zersetzungsstoffe.  §  354.  Färb-,  Riechstoffe 
und  Lichtbildung.    §  355.   Giftigkeit.   §  356.  Infektiosität. 

§  357.     Natürliche  Abarten  und  Arten.    §  358.    Entstehen 
und  Verschwinden  von  Krankheitserregern  in  der  Geschichte. 
§359.     Einteilung   und  Abstammung  der  Klein- 
wesen. 
Stichwörterverzeichnis 1170 


Kapitel  I. 

ßan  der  Kleinwesen  nnd  mikrochemisches  Verhalten. 

§  L    Bau  und  Chemismos.     Wenn  wir  uns  vergegenwärtigen» 
daß  die  chemischen  Leistungen  der  Eleinwesen  wie  der  höheren  SicUen  in 
letzter  Linie  auf  der  Anordnung  der  sie  zusammensetzenden  Moleküle 
beruhen,  so  könnten  wir  uns  von  vornherein  wohl  vorstellen,  daß  es 
einmal  gelänge,  aus  den  sichtbaren  Eigenschaften,  der  Form,  Größe 
und  dem  Aussehen  der  Mikroben  diese  Leistungen  zu  erschließen,  mit 
anderen  Worten,  die  Ergebnisse  der  sogenannten  morphologischen  Un« 
tersuchnng  für  die  Aufklarung  der  chemischen  Eigenschaften  zu  be- 
nutzen.  Lides  hat  die  Erfahrung  immer  wieder  gelehrt,  daß  trotz  aller 
Vervollkomnmungen  unseres  Sehvermögens  durch  das  moderne  Mi- 
kroskop  und  mikroskopische  Hilfsmittel  davon  bisher  gerade  in  der 
Welt  der  Mikroben  nicht  die  Rede  sein  kann.    Allerdings  wissen  wir, 
daß  Drusen-,  Muskel-  und  Nervenzellen  ein  besonderes  Aussehen  haben 
und  glauben  wohl  mit  Becht,  daß  die  Leistungen  derselben  mit  gewissen 
feinen  für  uns  sichtbaren  Merkmalen  etwas  zu  tun  haben,  aber  allzu 
weit  führt  uns  diese  Kenntnis  nicht,  und  bei  den  Kleinwesen  läßt  uns 
die  mikroskopische  Untersuchung  fast  vollständig  im  Stich.     Einer 
Hefezelle  können  wir  nicht  ansehen,  ob  sie  Alkohol  zu  erzeugen  vermag 
oder  nicht,  einem  Bakterium  nicht,  ob  es  Milchsäure  erzeugt,  Gelatine 
verflüssigt  oder   eine  Krankheit  erregt.     Ja,  im  allgemeinen  können 
wir  noch  nicht  einmal  nach  dem  Aussehen  entscheiden,  ob  eine  Zelle 
tot  oder  lebendig  ist.     Trotzdem  ist  die  Morphologie  (Formenlehre) 
der  Mikroben  natürUch  auch  für  die  chemische  Mikrobiologie  von 
großer  Bedeutung,  zunächst  schon  deswegen,  weil  sie  uns  die    Er- 
kennung der  Gärungs-  und  Krankheitserreger  erleichtert.    Wissen 
wir  doch,  daß  nicht  unterschiedslos  alle  Leistungen  mit  jeder  Form 
verbunden  sein  können,  sondern  daß  z.  B.  die  hauptsächlichen  Erreger 
der  alkoholischen  Gärung  unter  den  Sproßpilzen,  die  der  Milchsäure- 
gärung unter  den   Streptokokken  und  gramfesten  Bazillen,  die  der 
Buttersäuregärung  unter  den  Anaerobiem,  und  ebenso  die  Ursachen 
des  Tetanus,  der  Pest,  der  Cholera,  der  Tuberkulose  auch  unter  be- 
stimmten Bakterienformen  zu  suchen  sind.    Weiter  zeigt  uns  die  Mor- 

Kruse,  Mikrobiologie.  1 


2  Kap.   1,   §  1  u.  2. 

phologie,  ob  und  inwieweit  die  Form  und  die  Formentwicklung  der 
Kleinwesen  denen  höherer  Jollen  ähnelt  und  erweitert  dadurch  unsere 
Vorstellungen  über  den  Zusammenhang  zwischen  Form  und  Lebens- 
erscheinungen.  Das  wichtigste  Ergebnis  der  Forschung,  das  in  dieser 
Beziehung  gewonnen  ist,  nehmen  wir  hier  gleich  vorweg:  es  ist  die, 
trotz  aller  Versuche,  das  Gegenteil  zu  beweisen,  gesicherte  Tatsache, 
daß  ein  Kern  in  dem  Sinne,  wie  wir  ihn  bei  den 
höheren  Wesen  finden,  bei  der  wichtigsten 
Klasse  der  Mikroben,  den  Bakterien,  fehlt,  oder 
anders  ausgedrückt,  daß  die  Zelle  bei  diesen  Wesen  sich  noch  nicht 
deutlich  in  Kern  und  Plasma  geschieden  hat,  also  besser  vielleicht  als 
Zytode  bezeichnet  wird.  Die  Lehren  und  Vermutungen,  die  über  die  Be- 
deutung der  Kerne  für  das  Leben  ausgesprochen  worden  sind,  finden 
also  hier  keine  Anwendung.  Vielleicht  hängt  damit  auch  der  Mangel 
der  geschlechtlichen  Fortpflanzung^)  bei  den 
Bakterien  zusammen.  Durch  ihre  Kernlosigkeit  trennen  sich 
die  Bakterien  von  den  beiden  anderen  Hauptgruppen  *^)  der  Mikroben, 
den  Pilzen  und  Protozoen  und  stellen  sich  als  die  niedersten  Wesen 
dar,  die  in  gewisser  Weise  den  H  ä  c  k  e  1  sehen  Moneren  entsprechen. 
Allerdings  besitzen  die  Bakterien,  wenigstens  häufig,  eine  mehr  oder 
weniger  deutliche  Zellhaut,  stehen  also  in  dieser  Hinsicht,  wie  die  Pilze, 
über  den  meisten  Protozoen.  Die  letzteren  benutzen  freilich  diesen 
scheinbaren  Mangel  gewöhnlich  in  einer  Weise,  die  man  als  einen  Fort- 
schritt bezeichnen  kann:      sie  verleiben  sich  durch  Verschiebungen 


1)  Als  primitive  Art  der  Kopulation  faßt  Schaudinn  (Aroh. 
Protistenkiinde  1  und  2,  1902 — 03)  die  Vorgänge  bei  der  Sporenbildung  des 
Bac.  Bütschlii  (aus  dem  Darm  der  Küchenschabe)  und  des  Biic.  sporonenia 
(aus  Meerwasser)  auf.  Hier  tritt  zuerst  eine  Zellteilung  ein,  die  aber  wieder 
zurückgeht,  dabei  bilden  sich  1 — 2  Sporen.  Nach  Schaudinn  handelt 
es  sich  lun  eine  rückschrittliche  Entwicklung,  die  von  echter  Kopulation 
zum  Verlust  der  Befruchtung  führt.  Wenn  sich  die  Mitteilungen  Schau- 
d  i  n  n  8  bestätigten,  würden  wir  uns  auf  den  umgekehrten  Standpunkt 
stallen,  weil  wir  die  Bakterien  als  die  niedersten  Wesen  betrachten  (§  359). 
Der  Vorgang  wäre  übrigens  ein  ähnlicher,  wie  bei  dem  zu  den  Sproßpilzen 
gehörigen  Schizosaccharomyces  octosporus  (S  c  h  j  ö  n  n  i  n  g). 

2)  Eine  vierte  Gruppe,  die  der  „filtrierbaren  Virus"  oder  ,,Chlamy- 
dozoen"  (v.  Prowazek),  steht  wohl  den  Protozoen  am  nächsten  (§  359). 
Über  ihre  Morphologie  ist  nichts  bekannt,  da  die  eigentlichen  Keime  un- 
sichtbar, die  sichtbaren  ,,Zelleinschlüsso"  aber  wahrscheinlich  Reaktions- 
produkte  der  tierischen  Zellen  sind.  Trotzdem  scheint  die  Größe  der  Para- 
siten nicht  jenseits  der  mikroskopischen  Sichtbarkeit  zu  liegen,  denn  R  o  - 
s  e  n  t  h  a  1  (Zeitschr.  f.  Hyg.  60)  fand  in  sorgfältigen  vergleichenden  Ver- 
suchen die  Chamberlandfilter  F  für  Spirill.  par\^um  (1 — 3^^:0,1 — ,03  j«) 
durchlässig,  nicht  für  den  Erreger  der  Hühnerpest. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten,  3 

ihres  hüllenlosen  Protoplasmas  feste  Nahrung  ein,  zeigen  also  die  erste 
einfachste  Form  der  tierischen  Ernährung,  während  Pilze 
und  Bakterien  auf  die  Aufnahme  gelöster  Nahrung  angewiesen  sind. 
Auf  die  verwickelten  Einrichtungen,  die  bei  höheren  Protozoen  mit 
dieser  Art  der  Ernährung  verbunden  sind,  brauchen  wir  hier  um  so 
weniger  einzugehen,  als  gerade  die  ims  als  Krankheitserreger  wesentlich 
angehenden  Protozoen  fast  alle  einfacher  gebaut  sind,  ja  sich  vielfach 
nach  Art  der  Bakterien  und  Pilze  durch  Diffusion  von  ge- 
lösten Stoffen  nähren.  Im  übrigen  betrachten  wir  es  nicht  als 
unsere  Aufgabe,  die  morphologischen  Verhältnisse  der  Mikroben  aus- 
führlich zu  behandeln^),  sondern  begnügen  uns,  in  folgendem  die  Er- 
gebnisse der  mikrochemischen  und  mikrophysikalischen  Forschung 
wiederzugeben,  die  uns  freilich  noch  nicht  das  Verständnis  der  lebenden 
Substanz  und  der  Lebenserscheinungen  erschließen,  aber  doch  die 
ersten  Schritte  in  dieser  Richtung  darstellen  und  jedenfalls  die  Er- 
gebnisse der  groben  chemischen  Untersuchung  (Kap.  II)  ergänzen. 

§  2.  Plasmolyse.  Einen  wichtigen  Aufschluß  über  den  Bau  der 
Bakterienzellen  haben  ims  zunächst  gegeben  die  Beobachtimgen  über 
Plasmolyse,  d.  h.  die  Zusammenziehung  des  Protoplasmas  unter  dem 
Einfluß  wasserentziehender  Stoffe,  wie  stärkeren  Salzlösungen,  Zucker 
und  dergl.  Besonders  A.  Fischer^)  hat  diese  Erscheinung  syste- 
matisch studiert  und  gefunden,  daß  sich  eine  große  Anzahl  von  Bak- 
terien, wie  der  Vibrio  cholerae  und  andere  kleine  und  große  Spirillen, 
der  Bacillus  typhi,  coli,  pyocyaneus,  fluorescens,  prodigiosus,  der 
Micr.  candicans,  Cladothrix  und  Crenothrix  gegenüber  den  genannten 
Mitteln,  z.  B.  einer  mehrprozentigen  Kochsalzlösung^)  ähnlich  verhalten 


1)  Vgl.  über  die  Morphologie  der  Bakterien  außer  den  Lehrbüchern 
Kruse  in  Fluges  Mikroorganismen,  1.  Bd.,  1896,  M  i  g  u  1  a  ,  System 
der  Bakterien,  1.  Bd.,  1897,  Gotschlich  in  Kolle  -  Wassermann 
Handb.,  1,  1903,  und  Ergänzungsband  2,  1907;  über  Pilze  die  bekamiten 
älteren  Werke  und  Lindau  in  Engler- Prcwitl  Pflanzenfamilien  1897 — 1900; 
über  Hefe  die  Bücher  von  K  1  ö  c  k  e  r,  1900,  Lindner ,  1901  und  Kohl 
1908,  über  Chlamydozoen  die  seit  der  Entdeckung  des  Cytoryctes  variolae 
durch  («uarnieri  (1892)  veröffentlichten  Einzelarbeiten  über  Parewiten 
der  Variola,  Brußtseuche,  Maul-  und  Klauenseuche,  Kinderpest,  Hundswut, 
Hühnerpest,  des  Trtwihoms  (?)  usw. 

2)  Ber.  Sachs.  €re8.  d.  Wiss.,  Leipzig  (1891).  Jahrb.  wiss.  Bot.,  27 
(1894).    Vorlesungen  über  Bakterien,  2.  Aufl.  (1903),  S.  20. 

3)  Die  Plasmolysierbarkeit  schwankt,  sie  ist  z.  B.  bei  Cholerabazillen 
ftuf  salzarmen  Nährböden  geringer  als  auf  salzreichen.  Aus  der  Grenz- 
konzentration, bei  der  Plasmolyse  stattfindet,  berechnet  sich  der  osmotische 
t^lierdruck  (Turgor)  im  gewöhnlichen  Nährboden  auf  1,4 — 2,1  Atmosphären; 
der  gesamte  osmotische  Druck  (in  destilliertem  Wasser)  würde  danach 
^»8—3,5  betragen.     Bei  Züchtung  auf  stärker  salzhaltigem  Agar  kann  der 


4  Kap.    1,    §  2. 

wie  Pflanzenzellen,  d.  h.  Lücken  in  dem  mehr  oder  weniger  homogenen 
Inhalt  erscheinen  lassen,  die  ganz  den  Eindruck  machen,  als  ob  sich  die 
plasmatischen  Zellkörper  von  einer  unveränderten  äußeren  Schicht 
zurückziehen,  also  die  Zellen  auch  bei  den  Bakterien  mit  einer  Haut 
oder  Membran  bekleidet  seien.  Meines  Erachtens  kann  über  das  Vor- 
handensein einer  solchen  nach  dem  Bilde,  das  man  bei  der  künstlichen 
Plasmolyse  zu  sehen  bekommt,  kein  Zweifel  sein.  Insofern  ist  freilich 
der  Widerspruch,  den  Zettnow^)  gegen  die  Membrantheorie  äußert, 
berechtigt,  als  nicht  alle  Bakterienarten  und  auch  nicht  alle  Individuen 
in  Kulturen  sich  plasmolysieren  lassen.  Einige  ziehen  sich  vielmehr 
im  Ganzen  zusammen,  so  daß  man  daraus  eine  gewisse  Elastizität  der 
Zellhaut  erschließen  könnte^),  in  anderen  Fällen  sieht  man  überhaupt 
keine  deutliche  Veränderung,  so  daß  die  Annahme  einer  Membran  hier 
zunächst  in  der  Luft  schwebt.  A.  Fischer  selbst  unterscheidet  die 
plasmolysierbaren  (oben  genannten)  Arten  von  den  nicht  plasmolysier- 
baren,  zu  denen  er  den  Bac.  Anthracis,  subtilis,  megatherium,  mesen- 
tericus,  Staphylokokken,  Sarcinearten  und  Milchstreptokokken  (den 
„Bac.  lactis  acidi"),  ferner  mit  Wahrscheinlichkeit  Tuberkel-  und  Diph- 
theriebazillen rechnet,  und  nennt  die  ersteren  impermeabel'),  die  letzteren 
permeabel,  indem  er  annimmt,  daß  die  Zurückziehung  des  Plasmas 
von  der  Membran  dann  erfolge,  wenn  zwar  die  Moleküle  des  Wassers 
durch  die  Grenzschicht  des  Plasmas  nach  außen,  aber  die  Salzmole- 
küle der  Umgebung  nicht  durch  sie  von  außen  nach  innen  hindurch- 
wandern können,  der  osmotische  Druck  im  Innern  also  steigen  muß, 
während  das  Plasma  seinen  osmotischen  Druck  und  deshalb  seine 
gewöhnliche  Form  behalte,  wenn  seine  Grenzschicht  für  Wasser-  imd 
Salzmoleküle  in  gleicher  Weise  durchgängig  sei*). 

Übrigens  ist  die  Undurchgängigkeit  des  Plasmas  stets  nur  eine 


letztere  Wert  natürlich  viel  höher  steigen.  Schimmelpilze  haben  nach 
Eschenhagen  (Leipzig,  philos.  Dissert.  1889)  und  F  a  1  c  k  (Haus- 
schwammforschiingen,  H.  1,  1907)  und  Hefenpilze  nach  Swellengrc- 
b  P  1  (Zentr.  Bakt.,  2.  Abtlg.,  14,  1905)  gewöhnlich  einen  höheren  Druck 
(10  AtmoHphären  u.  mehr).  Auf  salzreichem  Nährboden  kann  er  bis  auf 
160  Atmosphären  steigen.  Der  osmotische  Druck  der  Pflanzen  beträgt 
meist  5 — 15  Atmosphären,  derjenige  der  tierischen  Zellen  liegt  in  der  Nähe 
der  unteren  Zahl,  da  aber  die  tierischen  Säfte  einen  ähnlichen  Druck  be- 
sitzen, so  fehlt  hier  der  Überdruck.  Gleich  Null  ist  der  osmotische  Druck 
oder  Tiu*gor  bei  den  im  Wasser  frei  lebenden  hüllenlosen  Amöben. 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.,  24  (1897). 

2)  Nfwjh    Z  e  1 1  n  o  w    gehören   auch   die   großen    Spirillen   hierher, 
nach    Hinze    (Ber.  bot.  Ges.  1901,  369)  die  Beggiatoen. 

3)  Besser  ,, semipermeabel". 

4)  Die  Zell  haut  selbst  wäre  nach  Fischer  in  jedem  Falle  permeabel. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  5 

vorübergehende,  denn  nach  einiger  Zeit,  bei  diesen  Bakterien  früher, 
bei  jenen  später,  gleicht  sich  die  Plasmolyse  regelmäßig  aus,  sie  kann 
auch  anscheinend  bei  einer  und  derselben  Bakterienart  je  nach  dem 
Zustand,  in  dem  sie  sich  befindet,  verschieden  sein  und  auch  durch 
künstliche  Behandlung  beeinflußt  werden.  Bemerkenswert  ist  weiter, 
daß  Harnstoff,  Glyzerin,  Antipyrin,  Chloralhydrat,  und  vielleicht  alle 
Stoffe,  die  in  Lipoiden  ISslich  sind,  keine  Plasmolyse  hervorrufen,  das 
Plasma  der  Bakterien  also  für  sie  ebenso  durchlässig  ist,  wie  das  der 
Pflanzenzellen,  roten  Blutkörper  usw.  (H.  Meyer,  Overton). 
Auch  Gifte  wie  Jod  in  Salzlösimg  und  konzentrierte  Metallsalzlösung 
u.  a.  töten  die  Zellen  erst,  nachdem  sie  Plasmolyse  hervorgerufen  haben, 
dringen  also  langsam  ein.  Bakterien,  die  auf  irgendeine  Weise  getötet 
oder  freiwillig  gestorben  sind,  werden  nicht  mehr  plasmolysiert,  sind 
also  durch  das  Abst-erben  durchgängig  geworden.  Wir  werden  dieser 
Veränderung  von  Reaktionen  beim  Absterben  noch  öfter  begegnen. 
Man  könnte  die  Erklärung  Fischers  für  das  Ausbleiben  der  Pias- 
moljBe,  wenn  auch  andere  später  zu  besprechende  Gründe  dagegen 
vorliegen,  zunächst  zulassen,  ohne  doch  die  Voraussetzimg  zu  bilUgen, 
daß  überall  eine  eigentliche  Zellhaut  oder  Membran  bestände.  Die  im 
wesentlichen  starren  Formen  der  nicht  plasmolysierbaren  Bakterien 
ließen  sich  auch  erklären  durch  die  Annahme,  daß  die  äußerste  Schicht 
des  Plasmas  bei  ihnen  nur  eine  dichtere  Beschaffenheit  besitze,  aber 
noch  nicht  in  Form  einer  echten  Membran  abgeschieden  sei.  Freilich 
haben  wir  gerade  auch  bei  manchen  nicht  plasmolysierbaren  Arten 
andere  Beweise  für  das  Vorhandensein  einer  Zellhaut,  so  machen  die 
Erscheinungen,  die  in  sporenbildenden  Bakterien,  manchmal  auch  an 
alten  Individuen  nicht  sporenbildend ar  Formen  als  sog.  „Schatten" 
auftreten,  ganz  den  Eindruck,  als  ob  sich  uns  hier  die  Membran  im 
leeren  Zustande  darstelle.  Bei  der  Zerquetschung  mancher  großer 
Bakterien  ist  ähnliches  beobachtet  worden  (§5.)  Daß  Sporen  eine 
oder  mehrere  deutliche  Membranen  besitzen,  wird  fast  allgemein  zu- 
gegeben. Damit  soll  aber  nicht  gesagt  sein,  daß  eine  Zellhaut  not- 
wendigerweise allen  Bakterien  und  in  allen  Entwicklungsstadien  zu- 
kommen müsse. 

Auf  die  Beziehungen  der  Färbbarkeit  (Gramfestigkeit)  zur  Plas- 
molysierbarkeit  und  die  Erklärung  der  beiden  Eigenschaften  kommen 
wir  später  zurück  (§  18). 

Man  hat  die  Bedeutung  der  Plasmolyse  und  überhaupt  der  osmo- 
tischen Druckschwankungen  für  das  Leben  der  Bakterien  manchmal 
sehr  hoch  eingeschätzt^),  sie  z.  B.  als  Ursache  der  spezifischen  bakteri- 

1)  Vgl.  Baumgarten   (Berl.  klin.  Wochenschr.,  99,  41  und  1900, 


6  Kap.  1,   §  2  u.  3. 

ziden  Wirkungen  des  Blutserums  angesehen,  A.  Fischer^)  wollte 
sogar  eine  eigentümliche  Art  der  Zerstörung  von  Bakterien,  die  „Plas- 
moptyse"  unter  derartigen  Bedingungen  im  Mikroskop  beobachtet 
haben.  Aber  die  von  A.  Fischer  selbst  gemachte  Beobachtung, 
daß  die  Plasmolyse  nur  ein  vorübergehender  Zu- 
stand ist,  daß  femer  die  Beweglichkeit  trotz  beste- 
hender Plasmolyse  erhalten  bleiben  kann,  vor 
allem  die  Prüfung  von  Bakterien,  die  derartigen  Druckschwankungen 
durch  Überführung  in  stärker  oder  schwächer  konzentrierte  Nähr- 
lösungen unterworfen  wurden,  mittels  Plattenzählungen*)  haben  uns 
schon  vom  Gegenteil  belehrt.  Schließlich  hat  L  e  u  c  h  s  ®)  festgestellt, 
daß  es  gar  keine  Plasmoptyse  gibt,  die  von  Fischer  beschriebenen 
Veränderungen  vielmehr  durch  Unreinigkeiten  des  Deckglases  vor- 
getäuscht werden.  Damit  wird  natürlich  nicht  widerlegt,  daß  einer- 
seits zu  verdünnte  Lösungen  und  namentlich  destilliertes  Wasser,  und 
andererseits  konzentrierte  Salz-  und  Zuckerlösungen  das  Leben  der 
Mikroben  ungünstig  beeinflussen,  aber  es  liegt  näher,  an  chemische 
Wirkungen  dieser  Mittel  *)  zu  denken  (§  14).  Sehr  zweifelhaft  ist  es, 
wie  weit  man  Bilder,  die  man  bei  vielen  Bakterien,  sei  es  im  frischen, 
sei  es  im  fixierten  Zustande,  in  jungen  oder  alten  Kulturen  beobachtet, 
auf  Plasmolyse  beziehen  soll.  Dahin  gehören  z.  B.  die  Zerfallserschein- 
ungen, die  viele  Forscher  unter  verschiedenen  Bedingungen  im  Leibe 
von  Milzbrandbazillen  gesehen  haben^),  die  Polkömer  in  Typhusbazillen 
auf  Kartoffeln,  die  scheibenartigen  Glieder  in  Diphtheriebazillen,  die 
„Vakuolen"  in  Hühnercholerabazillen  („Polfärbung").  Es  ist  wahr- 
scheinlich, daß  viele  davon  in  das  Gebiet  der  Chromatolyse  G  a  - 
meleias  (§6),  andere  in  das  normaler  Zellstrukturen  gehören,  oder 
auch  nur  Kunstprodukte  sind,  die  durch  die  eingreifende  Behandlung 
(Erhitzung)  in  den  zarten  Bakterienleibem  hervorgerufen  werden.  Man 
könnte  freilich  noch  daran  denken,  daß  die  Steigerimg  der  molekularen 
Konzentration,  d.  h.  des  osmotischen  Druckes,  die  nach    Zange- 


7 — 9;   Arb.  des  pathol.  Inst.  Tübingens  3,  131)  und  seine  Schüler  B  r  a  e  m 
(ebd.  1),    Jetter,  Walz,    D  i  e  t  r  i  c  h  ,  (ebd.  3),    F  i  n  c  k  h  (ebd.  4). 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.,  35  (1900). 

2)  Vgl.  z.  B.  V.  L  i  n  g  e  1  s  h  o  i  m  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  37  mit  Lit., 
1901. 

3)  Areh.  f.  Hyg.  64,  408.  vgl.  auch  die  Anm.  in  Fischers  Vorlesun- 
gen,   S.  31. 

4)  Vgl.  auch  die  oligodynamischen  Wirkungen  von  Beimischungen 
im  destillierten  Wasser  bei  F  i  c  k  e  r  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  29,  1898. 

5)  Vielleicht  gehören  auch  hierher  die  Bilder  von  ,, Plasmolyse**,  die 
Podwyssotzky  und  Taranouchine  in  Lezithinnälu'böden  ge- 
sehen haben  (s.  u.  §  8). 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  7 

meister^)in  älteren  Kulturen  und  patiiolo^schen  Sekreten  eintritt, 
mit  derartigen  Veränderungen  zuBammenhinge,  aber  schon  die  Dauer- 
haftigkeit derselben  spricht  gegen  ihre  Deutung  als  plasmolytischer 
Vorgange, 

§  3.  Unregelmäßige  Formen.  Nicht  nur  durch  ihre  Dauerhaf- 
tigkeit, sondern  auch  durch  ihre  ganz  andersartigen  Folgen  zu  trennen 
von  den  plasmolytischen  Einflüssen  sind  diejenigen,  die  zwar  auch 
von  konzentrierten  Salzlösungen,  außerdem  aber  von  verdünnten 
Salzen  oder  anderen  bekannten  und  unbekannten  Stoffen  ausgehen. 
Die  ersten  Beobachtungen  über  eigentümliche,  von  den  gewöhnlichen 
abweichende  Wuchsformen  von  Pestbazillen  in  salzreichen  Nährböden 
machten  H  a  n  k  i  n  und  L  e  u  m  a  n  n  2),  nachdem  Haffkine 
bereits  auf  das  gelegentliche  Vorkommen  von  solchen  in  gewöhnlichen 
Nährboden  aufmerksam  gemacht  hatte.  Auch  zahlreiche  andere  Bak- 
t<^rien  zeigen  nach  Skschivan^),  Matzuschita*)u.  a.  eine 
mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Neigung  zu  ähnlichen  Abweichungen 
vom  Typus  in  kochsalzhaltigen  Nährböden.  Systematische  Unter- 
suchungen über  die  Reize,  die  zu  ihrer  Entwickelung  führen,  verdanken 
wir  namentlich  Gamaleia^),  Maassen^),  Rajat  und  P  e  j  u'). 
Sie  sprechen  von  Heteromorphie  oder  teratologischen 
Wuchsformen,  die  letztgenannten  wenig  glücklich  von  Poly- 
morphosen,  meinen  damit  aber  dasselbe,  was  schon  seit  N  ä  g  e  1  i 
unter  dem  Namen  der  Involutionsformen  bekannt  ist,  und  was  wir 
als  unregelmäßige  Formen  bezeichnet  haben^),  d.  h.  kuglig,  keulen- 
spindelförmig oder  wurstartig  aufgetriebene,  mehr  oder  weniger,  zum 
Teil  riesig  vergrößerte  oder  fadenförmig  verlängerte,  echt  verzweigte 
oder  auch  schraubenartig  gedrehte  Gestalten,  die  in  alten  Kulturen 
fast  aller  Bakterien  hin  und  wieder  vorkommen.  Wenn  man  die  Ursache 
ihrer  Bildung  in  diesen  Fällen  mit  einem  gewissen  Recht  in  den  schäd- 
lichen Stoffwechselprodukten,  die  sich  in  alten  Kulturen  entwickeln, 
sehen  darf,  so  hat  schon  Hansen^)  darauf  hingewiesen,  daß  bei 
den  Essigbakterien  die  Involutionsformen  bei  bestimmten  Tempera- 


1)  Münch.  med.  Wochenschr.  1904,  4. 

2)  Zentralbl.  Bakt.  22,  438,  1897. 

3)  Ebenda  28,  289,  1900. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  36,  1900. 

5)  Elemente  der  allgem.  Bakteriologie,   1900. 

6)  Arb.  K.  Gesundheitsa.  21,  1904. 

7)  Soc.  biol.  21,  12,  1907. 

8)  Kruse,  Allgem.  Morph,  d.  Bakt.  in  Flügges  Mikroorg^  3.  Aufl. 
1.  61,  1896. 

9)  Ber.  botan.  Ges.  1893,  69. 


8  Kap.  I,   §  3  u.  4. 

turen  schon  auf  der  Höhe  des  Wachstums  auftreten,  und  eher  ein 
Zeichen  guten  Gedeihens  als  des  Absterbens  sind.  Damit  stimmt 
freilich  nicht  überein,  daß  Guignard  und  Charrin^),  Was- 
serzug*), Kubier*)  und  Verfasser*)  dergleichen  Formen 
bei  Pyocyaneus-  und  Prodigiosusbazillen  massenhaft  sich  entwickeln 
sahen,  wenn  sie  diese  in  Nährboden  mit  entwicklimgshemmenden  Zu- 
sätzen wachsen  ließen.  Diese  Erfahrung  sowie  der  oben  erwähnte 
Einfluß  starker  Salzlösungen  und  die  von  G  a  m  a  1  e  i  a  und  M  a  a  s  - 
s  e  n  festgestellte  fast  spezifische  Wirkung  der  Lithiumsalze  (0,5 — 2%) 
und  des  Koffeins  (0,4%)  spricht  vielmehr  dafür,  daß  die  unregelmäßigen 
Bildungen  durch  besondere  Wachstumsreize  veranlaßt 
werden.  Wenn  sie  in  gärenden  Flüssigkeiten  zahlreich  gesehen  werden, 
so  braucht  man  sie  deshalb  mit  H  ü  p  p  e  noch  nicht  als  „Gärungs- 
formen'' zu  bezeichnen.  Und  erst  recht  ist  es  unstatthaft,  diese  oder 
jene  Involutionsform,  wie  es  von  jeher  von  einzelnen  Forschern  und 
neuerdings  wieder  von  Almquist®)  versucht  worden  ist,  mit 
Fruchtbildungen  höherer  Pilze  auf  eine  Stufe  zu  stellen.  Die  Ähnlichkeit 
mit  „Conidien''  ist  eine  rein  äußerliche.  Das  gilt  auch  für  die  Kolben 
der  Strahlenpilze  und  anderer  Bakterien  ®).  Diese  werden  mit  größerem 
Recht  jetzt  ähnlich  wie  die  Kapseln  der  Bakterien  als  Schutzbildungen 
aufgefaßt^).  Daß  sie  selbst  meist  fortpflanzungsunfähig  sind,  ändert 
daran  nichts.  Die  „Drusen''  im  Ganzen  wirken  wohl  als  Abwehrorgane. 
Die  früher  nur  selten  bei  einigen  Bakterienarten  beobachteten, 
neuerdings  aber  bei  allen  Bakterie  ngruppen 
gefundenen  Verzweigungen  als  „Rückschläge"  zu  be- 
trachten, wird  nur  der  vermögen,  der  mit  A.  Meyer®)  die  Bakterien 
als  entartete  Pilze  ansieht.    Uns  erscheint  dies  ausgeschlossen  %    Wir 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.   105. 

2)  Ann.  Pewteur  1888.  Wiederholte  Erhitzung  auf  50"  hat  ähnliehe 
Folgen. 

3)  Vgl.  Zentralbl.  f.  Bakt.  5. 

4)  a.  a.  O. 

6)  Zentralbl.  f.  Bakt.  37. 

6)  Daß  außer  den  manchmal  allerdings  in  Kulturen  nur  in  bazillären 
Formen  auftretenden  (vgl.  z.  B.  Wolff  u.  Israel,  Zeitschr.  f.  Hyg.  29) 
Mitgliedern  der  Aktinomyceten  (Mykobakterien)  auch  echte  granuiegative 
Bazillen  ähnliehe  Drusen  im  Gewebe  erzeugen  können,  scheint  aus  den 
Angaben  von  L  i  g  n  i  e  r  e  s  und  Spitz  über  „Actinobacillose"  (Rivista 
Sociedad  medica  Argentina  1902)  hervorzugehen. 

7)  Vgl.  z.  B.  Mertens,  Zeitschr.  f.  Hyg.  42  mit  Lit.  und  L  o  e  1  e, 
ebd.   60,   1908. 

8)  ebenda  30. 

9)  Vgl.  den  letzten  Abschnitt  dieses  Bandes:  Über  die  Abstämmling 
der  Mikroben  (§  359). 


Bau  tind  mikrochemisches  Verhalten.  9 

folgern  umgekehrt  daraus,  daß  die  Zweigbildung  der  Pilze  eine  Eigen- 
schaft ist,  die  schon  bei  den  Bakterien  im  Keim  angedeutet  ist,  sich 
aber  erst  bei  den  Pilzen  und  Strahlenpilzen  zu  einer  festen  Eigenschaft 
entwickelt  hat.  Ebenso  wird  vielleicht  durch  das  Vorkommen  monaden- 
ähnlicber  Formen  bei  manchen  Bakterien^)  die  Abstammimg  der  Flagel- 
laten  von  ihnen  wahrscheinlicb.  Im  Falle  der  sogenannten  B  a  k  t  e  - 
roiden  der  WurzelknöUchen  erfüllen  die  verzweigten  Formen 
außerdem  eine  wichtige  biologische  Aufgabe,  indem  sie  entweder  selbst 
die  Stickstoffassimilation  bewirken  oder  wenigstens  als  Eiweißspeicher 
für  ihre  Wirte  dienen. 

§  4.  Kapseln.  Einer  besonderen  Art  von  Reizwirkung  verdanken 
anscheinend  auch  die  sogenannten  Kapseln  der  Bakterien  und 
pathogenen  Hefepilze  ihre  Entstehung.  Sie  sind  seit  Metschni- 
koffs  ersten  Beobachtungen  an  Milzbrandbazillen  bei  zahlreichen 
Arten,  die  sonst  kapselfrei  sind,  zunächst  im  infizierten  Tier  gefunden^) 
und  deswegen  als  Schutzorgane  gegenüber  den  keimwidrigen  Kräften 
(Serum,  Freßzellen  u.  a.  m.)  der  Tiere  betrachtet  worden.  Damit 
stimmt  überein,  daß  sie  auch  außerhalb  des  Tierkörpers  im  Serum 
sich  bilden.  Die  Beobachtung  von  D  a  n  y  s  z  3),  daß  abgeschwächte 
Milzbrandbazillen  nicht  nur  im  baktericiden  Serum,  sondern  auch  in 
einem  Nährboden,  in  dem  das  Alexin  durch  einen  ander v?n  wachtum- 
hemmenden  Stoff  (Arsenik)  ersetzt  worden  war,  sich  mit  Kapseln 
nmkleiden  und  dadurch  an  das  Wachstum  darin  gewöhnt  werden 
konnten,  sowie  die  von  H 1  a  v  a  ^),  der  fand,  daß  die  gemeinen  patho- 
genen Streptokokken  in  Kulturen  mit  ungewöhnlich  hohem  Zucker- 
gehalt (18%)  Kapseln  bilden,  die  den  bekannten  Bildungen  des  Leu- 
conostoc  mesenterioides  vergleichbar  sind,  passen  ebenfalls  zu  dieser 
Vorstellung,  xmd  man  könnte  diese  auch  auf  die  schon  in  den  üblichen 
Nährböden  gekapselten  sogenannten  Schleimbakterien  (vgl.  §  128), 
anwenden.  Indessen  liegen  die  Dinge  nach  den  Fesstellungen  von 
B a i  1  ^)  und  Eisenberg*)  doch  nicht  so  einfach.  Denn  das  Serum 
behält  seine  die  Kapselbildung  anregende  Fähigkeit  auch,   wenn  es 


1)  Russell,  Zeitschr.  f.  Hyg.   11,  201. 

2)  S.  bei  E  i  8  e  n  b  e  r  g  Zentralbl.  45,   148,   1907. 

3)  Annal.  Pasteur  1900. 

4)  Zentralbl.  Bakt.  32. 

5)  Zentralbl.  46,  488. 

6)  Ebenda  47,  415,  1908.  Hier  auch  Methodik  der  Kapseldarstellung 
(vgl.  Hamm,  Zentralbl.  43,  287,  der  empfiehlt,  die  Bakterien  in  Aszites- 
flüssigkeit  aufzuschwenunen,  30"  mit  Osmiumdämpfen  zu  fixieren,  zu 
trocknen  und  nach  G  i  e  m  s  a  zu  behandeln,  wodurch  sie  rot,  die  Bak- 
terien blau  gefärbt  werden). 


10  Kap.  I,  §  4  u.  6. 

durch  Erhitzung  oder  durch  Berührung  mit  Bakterienleibem  seiner 
keimwidrigen  Eigenschaften  beraubt  wird,  oder,  wie  manche  Tiersera, 
überhaupt  von  Anfang  an  die  Entwicklung  der  Milchbrandbazillen 
nicht  behindert.  Die  genannten  Forscher  kommen  deshalb  zu  dem 
Schluß,  daß  die  Kapsel  nicht  einfach  als  Abwehrorgan,  als  zweckmäßige 
Bildung,  aufgefaßt  werden  dürfe,  sondern  daß  gewisse  Nahrungsrei^e, 
z.  B.  Eiweißstoffe  im  Serum  sie  veranlassen.  Durch  zu  starke  Er- 
hitzung, Verdauung,  Zusatz  von  Eiweißstoffen  in  großer  Menge,  ferner 
durch  Berührung  mit  Zellen,  Wachstum  der  Bazillen  im  Serum  oder 
längeren  Aufenthalt  bzw.  Überwucherung  der  Bazillen  im  Tierkörper 
kann  sich  der  Reiz  erschöpfen.  Uns  scheint  die  Frage  noch  nicht  ge- 
nügend geklärt.  Denn  es  könnte  sich  hier  doch  um  Stoffe  handeln, 
die  wenigstens  Abkömmlinge  der  normalen  Schutzstoffe  des  Serums 
sind  und  ihre  Reizwirkung  noch  festhalten,  wenn  sie  ihre  schützende 
Wirkung  schon  verloren  haben,  etwa  in  ähnlicher  Weise  wie  Toxoide 
nicht  mehr  giftig  sind,  aber  ihre  antitoxinbindende  und  -bildende 
Fähigkeit  noch  besitzen.  Auch  der  Umstand,  daß  auf  anderen  an- 
scheinend guten  Nährböden  einzelne  Bakterienindividuen  oder  Stämme 
oder  Arten  mehr  oder  weniger  zur  Kapselbildung  neigen  (s.  o.),  ist 
meines  Erachtens  noch  kein  Grimd,  die  teleologische  Auffassung  ab- 
zulehnen. Ebensowenig  der  Nachweis,  daß  in  vielen  Fällen  die  Ent- 
wicklung einer  Kapsel  ihrem  Träger  gar  keinen  Schutz  gewährt.  Auch 
bei  anderen  Schutzeinrichtungen  bleibt  der  Erfolg  häufig  aus,  ohne 
daß  man^darum  an  ihrer  Zweckmäßigkeit  zu  zweifeln  brauchte.  Im 
übrigen  könnte  man  ganz  gut  die  Vorstellung  verteidigen,  daß  die 
Zusammensetzimg  der  Kapseln  bis  zu  einem  gewissen  Grade  eine 
spezifische  ist,  daß  also  die  Kapsel  nur  die  äußerlich  allein  sichtbare 
Grundlage  für  bestimmte,  je  nach  dem  Reiz  verschiedene  Schutzstoffe 
ist.  Bei  Gelegenheit  der  Antigene  kommen  wir  darauf  zurück  (§  322 
und  328). 

Ähnlich  zu  beurteilen  wie  die  Kapselbildung  ist  wohl  die  Ver- 
größerung, die  bei  manchen  nicht  zur  Kapselbildung  befähigten  Bak- 
terien, wie  Typhusbazillen,  Choleravibrionen  u.  dgl.  unter  ähnlichen 
Bedingungen  auftritt  (Bail  und  Rubritius,  Tsuda^), 
Eisenberg).  In  dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle  handelt  es  sich 
um  eine  Art  „Hypertrophie  des  Ektoplasmas"  (§  20).  Der  „Riesen- 
wuchs", der  unter  dem  Einfluß  von  antiseptischen  Mitteln  beobachtet 
wird,  (s.  o.  §  3)  ist  vielleicht  auch  eine  ähnliche  Erscheinung. 

§  5.  Zerstörung  durch  mechanische  Einflüsse.  Wir  kom- 
men jetzt  zu  denjenigen  Einflüssen,  die  das  Aussehen  der  Kleinwesen 


1)  Zentr.  Bakt.   46,  502. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  11 

unter  Schädigung  ihrer  Leistungsfähigkeit  verändern.  In  erster  Linie  sind 
die  mechanisclien  Einwirkungen^)  zu  nennen,  die  den  Zusammenhang 
des  Leibes  zerstören.  Durch  Zerreiben  in  mehr  oder  weniger  wasser- 
freiem oder  gefrorenem  Zustand  oder  Zerschüttelung  in  feuchtem  ge- 
lingt dies  am  besten,  man  bedient  sich  daher  dieser  Verfahren  mit 
Erfolg,  um  die  Leibesstoffe  der  Mikroben  für  die  chemische  Analyse 
(Kap.  II)  und  den  Nachweis  von  Enzymen  (XIV),  Giften  (XVI)  und 
Impfetoffen  (XVII)  zu  gewinnen.  Selbstverständlich  erklärt  sich  der 
Erfolg  dadurch,  daß  man  nach  der  Zertrümmerung  der  einzelnen  Be- 
standteile die  Zellen  mit  den  Lösungsmitteln  in  innigere  Berührung 
bringen  kann,  das  Wesentliche  ist  dabei  aber  oft  nicht  etwa  die  Zer- 
störung des  Protoplasmas  selbst,  sondern  die  Sprengimg  der  Zellhaut, 
mag  man  sich  diese  nun  als  eine  besondere,  z.  B.  durch  Plasmolyse 
ablösbare  Schicht  oder  als  einen  verdickten  Teil  des  Plasmas  selbst 
vorstellen.  Unmittelbar  beobachten  kann  man  die  Folgen  dieses  Ein- 
griffs bei  großen  Bakterienformen,  z.  B.  dem  Chromatium  Okenii  nach 
Bütschli^),  dem  Bac.  oxalaticus  nach  M i  g u  1  a  ^),  großen  Spi- 
rillen nach  Z  e  1 1  n  o  w  *),  dem  Bac.  sporonema  nach  S  c  h  a  u  d  i  n  n^). 
Diese  Forscher  beschreiben  den  Vorgang  allerdings  nicht  in  der  gleichen 
Weise.  Während  nach  der  einen  Darstellung  das  Protoplasma  der  ge- 
quetschten Zellen  aus  einer  deutlichen  Haut  heraustritt,  und  dann  mehr 
oder  weniger  schnell,  zum  Teil  unter  Zurückbleiben  von  kleinen  oder 
großen  Kömern,  aufquillt,  zerfällt  und  sich  löst,  hat  Z  e  1 1  n  o  w 
nichts  von  einer  Haut  gesehen  und  schreibt  auch  dem  Plasma  eine  er- 
hebliche Widerstandsfähigkeit  selbst  gegenüber  verdünnter  Kalilauge 
(§  13)  zu.  Man  ist  daher  wohl,  selbst  wenn  man  die  Beobachtung  Zett- 
n  o  w  s  über  das  Fehlen  einer  besonderen  Haut  nicht  für  ganz  zweifellos 
hält,  zu  dem  Schlüsse  berechtigt,  daß  die  Haut  allein  in  vielen  Fällen 
den  mehr  flüssigen  ZeUkörper  zusammenhält  und  auch  dessen  Wider- 
standsfähigkeit  gegenüber   chemischen   Mitteln   bedingt,    während   in 

1)  Von  den  sonst  bekannten  physikalischen  Einflüssen,  z.  B.  Licht, 
Wärme,  scheint  keiner  wesentliche  sichtbare  morphologische  Veränderungen 
von  Bakterien  zu  veranlassen,  auch  nicht  das  Trocknen  und  das  Erfrieren 
mit  nachfolgendem  Auftauen,  selbst  wenn  es  z.  B.  40  mal  bei  Cholera- 
bakterien wiederholt  wird  (B  r  e  h  m  e  r  ,  Arch.  f.  Hyg.  40).  Protozoen 
werden  aber  meist  dadurch  sichtbar  zerstört.  Auch  die  Bakterien  erleiden 
unsichtbare  Veränderungen,  denn  sie  verhalten  sich  nach  Erhitzung,  Ab- 
kühlung und  Trocknen,  wie  verschiedene  im  folgenden  aufzuführende  Bei- 
spiele zeigen,  anders  als  frische.  Zum  Teil  liegt  deus  am  Absterben,  zum  Teil 
an  unbekannten  Einwirkiuigen  (Koagulation  ?). 

2)  Bau  der  Bakterien  1890. 

3)  System  der  Bakterien,  1.,  85,  1897. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  24.  91,  1897. 

5)  Arch.  Prot.  2,  1903. 


12  Kap.  I,  §  6  u.  7. 

anderen  das  Plasma  selbst  aus  einer  zähen  und  widerstandsfähigen 
Masse  besteht.  Grenaue  Angaben  über  die  einzelnen  Bakterienarten 
fehlen.  Es  verhalten  sich  übrigens  nicht  etwa  alle  nicht  plasmolysier- 
baren  Bakterien  wie  die  Z  e  1 1  n  o  w  sehen  Spirillen,  wenigstens  be- 
richtet von  Lingelsheim  (§  298)  von  den  Staphylokokken,  daß 
sie  trocken  zerrieben  zu  90%  in  klare  Lösung  gehen.  Selbst  die  Tu- 
berkelbazillen geben,  allerdings  erst  nach  sehr  gründlicher  Zertrüm- 
merung etwa  die  Hälfte  ihrer  Substanz  an  Wasser  ab  (Kuppel, 
§304). 

§6.  Zerstörung  durch  chemische  Einflüsse.  Die  Wandlungen, 
die  die  Kleinwesen  durch  chemische  Mittel  erleiden,  sind  gründlicher 
studiert  worden,  im  Zusammenhange  namentUch  von  0  a  m  a  1  e  i  a '). 
Er  stellt  die  koagulierenden  Desinfizientien,  wie  Säuren,  Formaldehyd, 
Alkohol,  Sublimat,  hohe  Temperaturen  und  die  spezifischen  Bakterien- 
koaguline,  (auch  „Elysine'^  d.  h.  Präzipitine  und  Agglutinine)  den 
lösenden  gegenüber  imd  trennt  wieder  die  vollständige  Bakterioljse 
von  der  Chromato-  und  Stromatolyse.  Bei  der  Chromatolyse 
soll  der  eigentliche  Zellkörper  in  Lösung  gehen  und  schließlich  nur  die 
leere  Membran  als  farbloser  Schatten  zurückbleiben^).  Destilliertes 
Wasser,  Ptomaine,  wie  Methylamin,  Äthylamin,  Triäthylamin,  Äthylen- 
diamin,  nukleinsaures  Ammoniak,  Kasein,  ein  peptisches  Verdauungs- 
produkt des  Kaseins,  namentlich  aber  Glutaminsäure  und  Koffein 
wirken  chromatolytisch,  während  pflanzliche  Alkaloide,  sowie  das 
dem  Koffein  nahestehende  Theobromin,  Xanthin,  Harnsäure,  ferner 
Nucleohiston  und  Nuklein  unwirksam  sind.  Umgekehrt  sollen  nur 
die  Bakterienmembran  unter  Schleimbildung  lösen  —  Stroma- 
tolyse verursachen  —  Alkalien  und  starke  Salzlösungen.  Die  vöDige 
Auflösung  des  ganzen  Bakterienleibes,  die  eigentliche  Bakterio- 
1  y  s  e  ,  wie  man  sie  namentlich  unter  dem  Einflüsse  der  Immunkörper 
beobachtet,  soll  auch  durch  eine  andere  Gruppe  von  Stoffen  hervor- 
gerufen werden,  auf  deren  Darstellung  G  a  m  a  1  e  i  a  ,  wie  er  sagt, 
durch  die  Überlegung  gekommen  ist,  daß  man  den  Lösungsvorgang 
vielleicht  mit  Hilfe  von  Bakterien  selbst  durch  eine  Art  „Vaccination 
im  Reagenzglas'*  verstärken  könne.  In  der  Tat  soll  man  aus  einer 
Flüssigkeit,  in  der  Chromatolyse  erfolgt  ist,  durch  Fällimg  mit  Essig- 
säure und  Lösung  des  Niederschlags  in  Ammoniak  ein  „Bakteriolysin", 
das  Bakterien  völlig  zerstört,  z.  B.  eine  dicke  undurchsichtige  Bakterien- 


1)  Elem.  der  allg.  Bakteriol.  1900.  S.  153  ff.  und  Anhang  207  und  219. 
Referat  über  die  russischen  Originalarbeiten  im  Zentralbl.  Bakt.  26,  661. 

2)  Als  bestes  Mitt<»l   zur  Darstellung  von  lytischen  Erscheinungen 
empfiehlt    Oamaleia  Methylenblaufärbung. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  13 

aufschweminung  in  eine  durchscheinende,  kaum  noch  trübe  FUissigkeit 
verwandelt,  darstellen  können.     Gamaleia   betrachtet  dies  „Fer- 
ment*^ alB  eine  Verbindung  der  chromatol3rtischen  Substanz,  z.  B.  der 
Glutaminsäure,  mit  einer  Bakteriensubstanz,  dem  „Chromatinin^^  und 
glaubt,  daß  es  ein  spezifischer  Körper  sei.  Wenigstens  löste  das  anthra- 
kolytisclie  Ferment  viele  Bakterien  gar  nicht  und  Milzbrandbazillen 
am  stärksten.  —  Entsprechende  Bakteriolysine  erhielt  Gamaleia 
aus  Choleravibrionen  und  Diphtheriebazillen.     Solche  aus  Tuberkel- 
bazUlen,  Staphylokokken,  Streptokokken,  Typhus-  und  Pyocyaneus- 
baallen  zu  gewinnen,  glückte  ihm  erst  dadurch,  daß  er  die  Bakterien 
oder  den  tuberkulösen  Eiter  mit  Trypsin  oder  Pepsin  verdaute  und  die 
Lösung  dann  wieder  mit  Essigsäure  fällte  usw.   Wie  er  die  Verdauung 
bewerkstelligte  (mit  Chloroformzusatz?)  gibt  er  nicht  an.     In  den  so 
dargestellten  Lysinen  soll  die  Bakteriensubstanz  mit  dem  Verdauungs- 
ferment verbunden  und  dadurch  unmittelbar  den  bekannten  Hämo-  und 
Bakteriolysinen  des  Immunserums  vergleichbar  sein,  da  diese  ja  nach 
Ehrlich  ebenfalls  aus  dem  im  tierischen  Körper  vorhandenen  ferment- 
artigen Komplement   und  einer  durch  Immunisierung  entstehenden 
Zellensubstanz  (Immunkörper)  zusammengesetzt  seien.    Um  auch  den 
Lysinen,  die  durch  Behandlung  mit  Glutaminsäure  gewonnen  werden, 
einen  ähnlichen  Bau  zuschreiben  zu  können,  spricht    Gamaleia 
die  Vermutimg  aus,  bei  ihnen  würde  die  Fermentgruppe  durch  die 
Endotryptase  der  Bakterien  selbst  (§  9)  geliefert.    Auch  die  in  alten 
Kulturen    auftretenden    Zerfallsformen    bezieht     Gamaleia     an- 
scheinend auf  die  Wirkung  dieser  eigenen  Bakteriolysine. 

Die  koagulierenden  Einflüsse,  (Kochhitze,  Sublimat  und  Formalin) 
sollen  nach  Gamaleia  die  Chromatolyse  (durch  Koffein)  auf- 
halten, während  das  Chloroform,  das  wohl  in  anderer  Weise  den  Tod 
der  Bakterien  bewirkt,  dazu  nicht  imstande  ist. 

§  7.  Pyocyanase.  Die  von  Gamaleia  mitgeteilten  Beobach- 
tungen genügen  kaum,  seine  theoretischen  Vorstellungen  zu  begründen, 
es  fragt  sich  aber  vor  allem,  ob  sie  den  Tatsachen  entsprechen.  Eine 
gründliche  Nachprüfung  fehlt  bisher.  Indessen  begegnen  wir  auch 
sonst  ähnlichen  Vorstellungen.  Unabhängig  von  Gamaleia  ge- 
langten Emmerich  und  L  ö  w  ^)  namentlich  auf  Grund  des 
Studiums  der  Vorgänge  in  alten  Kulturen  zu  der  grundsätzlichen 
Identifizierung  der  Bakteriolyse  durch  Immunsera  mit  der  Selbst- 
verdauung der  Bakterien.  In  alten  Kulturen  seien  es  tryptische,  das 
Xuklein   auflösende   Fermente    (Nukleasen),    z.    B.   die   Pyocyanase, 


1)  Münchn.  med.  Wochenschr.   1898,  1433  und  Zeitschr.  f.  Hyg.  31, 
1899. 


14  Kap.   1,   S  7. 

Typhase  usw.,  die  die  Auflösung  bewerkstelligen,  im  immunisierten 
Körper  Kombinationen  derselben  mit  Körperstoffen  („Immunpro- 
tefdine").  Wir  kommen  noch  näher  auf  die  Selbstverdauung  zurück, 
wollen  aber  hier  das  Wesen  eines  von  Emmerich  und  Low  dar- 
gestellten Präparates,  der  Pyocyanase^),  erörtern,  weil  es  nicht  nur 
die  eigenen,  sondern  auch  fremde  Bakterien  sehr  energisch  löst 
oder  wenigstens  tötet  und  schon  durch  diese  letztere  Eigenschaft  gegen- 
über Typhus-,  Cholera-,  Diphtherie-,  Pestbazillen,  Staphylokokken, 
sowie  durch  seine  Hitzebeständigkeit  von  den  gewöhnUchen  Ver- 
dauungsfermenten abweicht.  Genauere  Angaben  machten  Emme- 
rich und  Low  zunächst  nur  über  die  bakteriziden  Eigenschaften. 
Wir  blieben  daher  im  Dunkeln  darüber,  ob  wirklich  die  Pyocyanase 
eine  Bakteriolyse  vergleichbar  der  Serumbakteriolyse  oder  Verdauung 
hervorruft.  Nur  für  Milzbrandbazillen  wiesen  Emmerich  und 
S  a  i  d  a^)  auflösende  Wirkungen  nach.  In  einer  späteren  Arbeit  mach- 
ten Emmerich  und  L  ö  w^)  dann  genauere  Angaben  auch  über 
die  Möglichkeit,  künstlich,  d.  h.  im  Reagenzglas  durch  Verbin- 
dung mit  Körpereiweiß  ihr  Pyocyanase-  und  Erysipela8e-(Rotlauf-) 
Immunproteidin  herzustellen.  Leider  bleibt  es,  da  kein  Versuchs- 
protokoll über  die  Wirkung  angeführt  wird,  ganz  zweifelhaft,  ob  das 
bloß  kräftig  immunisierende  Stoffe  sind  oder  solche,  die  dem  Immun- 
serum durch  ihre  unmittelbar  schützende  oder  heilende  Wirkmigen 
gleichgestellt  werden  können.  Aller  Wahrscheinlichkeit  nach  ist  das 
nicht  der  Fall,  denn  sonst  hätte  man  jedenfalls  von  dem  Ersatz  des 
Immunserums  gegen  Schweinerotlauf  durch  das  Immunproteidin 
mehr  gehört.  Der  Beweis  für  die  auch  sonst  ohne  Erfolg  versuchte 
künstliche  Herstellung  von  Immunkörpern  ist  also  auch  von  E  m  - 
m  e  r  i  c  h  und  Low  nicht  geführt  worden.  Damit  ist  wohl  das  Urteil 
gesprochen  über  ihre  und  G  a  m  a  1  e  i  a  s  Vorstellung,  ein  von  den 
Bakterien  selbst  gebildetes  bakteriolytisches  Ferment  finde  sich  als 
ein  Bestandteil  des  Immunserums  wieder.  Im  übrigen  wurden  die 
Angaben  von  Emmerich  und  Low  über  die  bakterizide  imd  teil- 
weise bakteriolytische  Wirkung  ihrer  Pyocyanase,  obwohl  man  die 
theoretische  Erklärung  meist  angriff,  mehrfach  bestätigt.*)  Ebenso 
aber  auch  die  Tatsache,  daß  es  sich  nicht  um  spezifische  Leistungen 


1)  Alte  Bouillonkulturen,  filtriert,  auf  den  10.  Teil  eingedampft  und 
dialysiert. 

2)  Zentralbl.  f.  Bakt.  27,  1900. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  36,   1901. 

4)  Dietrich  in  Baumg.  Arb.  Tübing.  path.  Inst.  3,  345,  1901. 
Auch  Habilit.- Schrift.  V  a  e  r  s  c  h.  Zentralbl.  Bakt.,  31,  304,  Tavernari 
ebd.  792,  K  1  i  m  o  f  f  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  37,  1901. 


Bau  und  mikrochemiBches  Verhalten.  15 

handelt.    K  I  i  m  o  f  f  suchte  dann  weiter  die  Frage  zu  entscheiden, 
ob  die  Pyocyanase  die  Bakterien  morphologisch  in  ähnlicher  Weise 
verändert,  wie   Seriunalexin.    An  Milzbrandbazillen  konnte  er  damit 
zwar   keine    Lösungserscheinungen    hervorrufen,    wie    Emmerich 
und  S  a  i  d  a  sie  beschreiben,  wohl  aber  eine  Granulierung,  die  viel- 
leicht der  von   Löwit  geschilderten  entspricht  (§  11).      Diphtherie- 
bazillen und  Staphylokokken  wiirden  gar  nicht  verändert.    Typhus- 
und  Cholerabazillen  erlitten,  allerdings  erst  nach  24  Stunden,  stärkere 
Veränderungen,  indem  sie  sich  in  Körner  verwandelten,  lückenhaft 
oder  gar  nicht  färbten  imd  mannigfache  unregelmäßige  Formen  zeigten. 
Ein  Vergleich  mit  der  eigentlichen  Bakteriolyse  durch  Serum  schien 
K  1  i  m  o  f  f   daher   nicht   statthaft.    In   einer   Erwiderung   bestritten 
Emmerich,  Low  und  K  o  r  s  c  h  u  n^)  aber  diese  Angaben  und 
gaben  Abbildungen  von  verschiedenen  Bakterienarten,  aus  denen  die 
außerordentlich  schnelle  und  weitgehende  Auflösung  zu  ersehen  ist. 
Bilder  von  Cholerabazillen  sind  leider  nicht  darunter.    Aber  es  wird 
angegeben,  daß  trübe  Aufschwemmungen  von  Cholerabazillen  in  Pyo- 
cyanase schon  nach  wenigen  Minuten  geklärt  werden.    P  o  d  w  y  s  - 
s  0 1  z  k  i  und  A  d  a  m  o  f  f  ^)  sahen  ferner  umgekehrt  die  Diphtherie- 
bazillen  am  schnellsten   und  vollständigsten   (nach   2    Stunden)   die 
Cholerabazillen  etwas  langsamer  (nach  3 — 4  Stunden),  den  Colibazillus 
am  unvollkommensten  zugrunde  bzw.  in  Lösung  gehen.    Man  muß 
also  wohl  zugeben,  daß  eine  Zellzerstönmg  der  Pyocyanasebehand- 
lung  folgen  kann,  immerhin  ist  bei  der  Unbeständigkeit  dieser  Er- 
scheinung die  Frage  berechtigt,  ob  die  allgemein  zugegebenen  bakteri- 
ziden Wirkimgen  der  Pyocyanase  mit  den  „verdauenden"  zusammen- 
fallen, und  ob  wir  es  bei  der  einen  wie  bei  der  anderen  Wirkung  über- 
haupt mit  Enzymen  oder  Fermenten  zu  tun  haben.    Die  Ferment- 
natur der  Pyocyanase  ist  von  Emmerich  und  Low  hauptsächlich 
deshalb  angenommen  worden,  weil  ihr  neben  den  bakteriziden  Wir- 
kungen deutliche  verdauende  Kräfte  gegenüber  Fibrin   und  Eiweiß 
zukommen;  und  an  der  Berechtigung  dieser  Auffassung  würde  die 
von  den  Gegnern  oft  hervorgehobene  Tatsache  auch  nichts  ändern, 
daß  die  Pyocyanase  hitzebeständig,  ja  kochfest  ist,  denn  es  gibt  koch- 
feste Enzyme  (§  244).    Die  Deutung  wird  aber  dadurch  zweifelhaft, 
daß  nach   Emmerich,   Low  und  Korschun  die  tryptische 
Wirksamkeit  der  Pyocyanase  schon  durch  viertelstündiges  Kochen 
zerstört,  die  bakterizide  und  bakteriolytische  aber  erst  nach  l^^^stün- 
digem  Aufenthalt  im  Dampf  beeinträchtigt  wird.    Danach  ist  also  die 


1)  Zentr.  Bakt.  31.  10,  1002. 

2)  Ebd.  50,  1909. 


16  Kap.  I,   !  8. 

Lösung  der  Bakterien  durch  die  Pyocyanase  nicht  mit  ihrer  Verdauung 
identisch.  Großen  Wert  legt  Emmerich  auf  die  übrigens  von 
K I  i  m  o  f  f  bestrittene  agglutinierende  und  ebenso  auf  die  antitoxische 
Wirkung  der  Pyocyanase  als  Beweis  ihrer  Fermentnatur.  Wir  sehen 
nicht  ein,  warum.  Beide  Arten  von  Leistungen  sind  ja  gewöhnlich 
keine  fermentativen. 

§  8.  Lipoide.  Es  bleibt  also  wesentlich  nur  die  gegenüber  manchen 
Bakterien  hervortretende  lösende  Wirkung  der  Pyocyanase  bestehen, 
aber  diese  braucht  auch  nicht  durch  ein  Ferment  bewirkt  zu  werden, 
denn  wir  kennen  sie  auch  an  anderen,  sicher  von  den  Fermenten  zu 
scheidenden  Stoffen.  Während  Alkalien  (s.  u.  §  13)  in  der  Pyocyanase 
nicht  in  Betracht  kommen,  haben  Raubitschek  und  R  u  B^) 
an  Lipoide  gedacht,  denen  nach  einer  ganzen  Reihe  von  Forschern 
keimtötende  und  -lösende  Eigenschaften  zukommen.  In  der  Tat  ließen 
sich  die  wirksamen  Bestandteile  der  Pyocyanase  durch  Alkohol,  Äther, 
Benzol,  Benzin,  Azeton,  Petroläther  und  Chloroform  faat  vollständig 
von  ihnen  trennen,  und  ähnliche  Stoffe  auch  unmittelbar  aus  den 
Leibern  der  Pyocyaneusbazillen  gewinnen.  Danach  hat  es  also  große 
WahrscheinUchkeit  für  sich,  daß  sich  die  bis  dahin  rätselhafte 
Leistung  der  Pyocyaneusbazillen  mindestens  zum  Teil  auf  diese  Weise 
erklärt.  Warum  sich  die  einzelnen  Bakterienzellen  bzw.  Stämme  in 
ihrer  Widerstandsfähigkeit  gegen  Abtötung  und  namentlich  gegen 
Auflösimg  so  verschieden  verhalten,  wäre  aber  noch  festzustellen 
(§  15).  Außerdem  fehlt  eine  genaue  Bestimmung  ihres  „Lipoides" 
noch  hier  wie  in  vielen  anderen  Fällen.  So  kann  man  zwar  die  zytoly- 
tischen^)  (hämolytischen)  und  bakteriziden^)  Wirkungen  hitzebestän- 
diger Organ-  und  Zellextrakte,  sowie  die  entsprechenden  Wirkungen 
von  Bakterien-,  Pilz-  und  Protozoenextrakten*)  mit  einem  gewissen  Recht 
auf  Lipoide  zurückführen  und  will  sogar  die  hitzeempfindlichen  hämo- 
und  bakteriolytischen  Stoffe  des  Serums  (Komplements)  in  irgend- 
eine Beziehung  zu  Lipoiden  bringen^),  kann  aber  vorläufig  nicht  die 
Natur  derselben  angeben.   In  anderen  Fällen  ist  das  aber  möglich  ge- 


1)  Wiener  klin.  Woohenschr.  1908,  8  und  23,  Zentralbl.  f.  Bakt.  48. 
114,  1908.  Vgl.  dagegen  Emmerich  imd  L  ö  w  in  Wiener  klin.  Woch. 
36.   1908. 

2)  Korschun  und  Morgenroth,  Berl.  klin.  Wochenschr. 
1902,  Landsteiner  imd  H.  Ehrlich,  Zentr.  Bakt.  45.  247,  1908. 
Literatur. 

3)  Landsteiner    und    Ehrlich,  ebd.  Lit. 

4)  Landstoiner  u.  Raubitschek,  ebd.  660,  Raubitschek 
ebd.  46,  508.    Fukuhara,  Arch.  Hyg.  71,  1909,  Lit.    Vgl.  Cerosin  §  26. 

5)  S.  bei  Landsteiner  und  Ehrlich,  ferner  P  o  r  g  e  s  ,  in 
Kraus  und  Levaditi,  Handb.  2.  1162,  1909. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  17 

wesen.  So  kennt  man  schon  lange  die  entwicklungshemmende  und 
keimtötende  Kraft  der  Galle  für  manche  Bakterien.  N  e  u  f  e  1  d^) 
fand  weiter,  daß  die  Galle  aller  möglichen  Tiere  frisch  oder  gekocht 
noch  in  Verdünnungen  von  1  :  10 — 20  Pneumokokken  binnen  3  bis 
20  Minuten  oder  auch  etwas  später  fast  vollständig  löste,  ohne  daß 
vorher  eine  Formveränderung  erfolgte.  Nur  ein  Pneumokokkenstamm 
widerstand,  ebenso  blieben  ungelöst  alle  daraufhin  geprüften  Bak- 
terien, wie  Milzbrand,  Cholera,  Typhus,  Bact.  coli,  Pyocyaneus,  Diph- 
therie, hämorrhagische  Septikämie,  Rotlauf,  Staphylokokken  und 
Streptokokken,  ja  wuchsen  sogar  meist  in  der  Galle.  N  e  u  f  e  1  d 
macht  ferner  darauf  aufmerksam,  daß  die  Galle  auch  die  Erreger  der 
Rinderpest  (R.  Koch)  und  der  Hundswut  (V  a  1 1  e  e)  abtöte,  und 
daß  der  wirksame  Bestandteil  wahrscheinlich  die  Gallensäure  bzw. 
die  Cholakäure  sei.  Die  meisten  Forscher  bestätigten  diese  Befunde 
X  e  u  f  e  1  d  s  ,  nur  daß  Mandelbau  m^)  und  R.  L  e  v  y^)  dieselbe 
Löslichkeit  durch  Galle  und  gallensaure  (taurocholsaure)  Salze  auch 
bei  dem  nahe  verwandten  Strept.  mucosus  fanden,  und  für  die  übrigen 
Streptokokken  die  Galle  sich  wenigstens  als  bakterizid  oder  entwick- 
lungshemmend erwies.*) 

Ebenso  verhalten  sich  nach  Neufeld,  v.  Prowazek^) 
und  Händel*),  Levaditi  und  R  o  se  n  b  au  m*^)  Spirochaeten 
und  Trypanosomen,  sowie  andere  Protozoen  gegen  gallensaure  Salze, 
Saponin,  Kobragift  und  Kobralezithide,  reine  Oleinsäure  imd  olein- 
saures  Natron  und  die  aus  Pankreas-  und  Lymphdrüsenextrakt  ge- 
wonnenen Fettsäuren  und  fettsauren  Salze,  die  daher  vielleicht  als 
die  wirksamen  Bestandteile  in  Organauszügen  zu  betrachten  sind. 
Da  dieselben  Stoffe  im  allgemeinen  die  Bakterien  und  im  besonderen 
die  Spirillen  nicht  lösen,  glauben  die  genannten  Forscher  in  ihnen 
Reagentien  gefunden  zu  haben,  die  es  gestatten,  Bakterien  von  Proto- 
zoen und  Sltrierbaren  Virus  zu  unterscheiden,  und  sind  geneigt,  die 
Spirochaeten  darum  den  Protozoen  anzureihen.  Unseres  Erachtens  ist 
dieser  Schluß  schon  wegen  des  abweichenden  Verhaltens  echter  Bak- 
terien von  der  Regel  nicht  erlaubt®).  Es  gehört  dazu  nicht  nur  der 


1)  Zeitfichr.  Hyg.  34,  1900. 

2)  Münch.  med.  Wochenschr.   1907,  29. 

3)  Virch.  Arch.  187,  1907. 

4)  Vergl.  Lit.  bei  Vetrano,  Zentr.  Bakt.  52,  1909. 

5)  Arb.  k.   GeBundheitsamt  25.  510,  1907. 

6)  Ebd.  28.  572,  1908. 

7)  Ann.  Pasteur  1908. 

8)  Vgl.  auch  im  letzten  Abschnitt  dieses  Buches  das  über  die  Stellung 
der  Spirochaeten  gesagte  ( §  359). 

Krase,  MikxoUologie.  2 


1  8  Kap.  I,   S  8  u.  9. 

Pneumokokkus.  So  hat  F  i  c  k  e  r^)  beobachtet,  daß  zwar  der  Diplo- 
coccus  crassus  (Jägers  Meningokokkus)  von  Galle  nicht  gelöst  wird, 
wohl  aber  der  echte  Meningokokkus.  Ich  selbst  habe  neuerdings  mit 
Schreiber  gefunden,  daß  auch  andere  Bakterien,  wie  z.  B.  Milz- 
brandbazillen  und  Choleravibrionen  von  Galle  mindestens  sehr  stark 
angegriffen  werden.  Vergleichende  Untersuchimgen  über  die  Wirkung 
der  Galle  und  anderer  Lipoide  sind  in  meinem  Laboratorium  im  Gange. 
In  der  Literatur  finden  sich  darüber  manche  Unstimmigkeiten.  So 
haben,  um  von  den  Angaben  über  Pyocyanase  ganz  abzusehen  (§  7), 
Landsteiner  und  Ehrlich  (s.  o.)  eine  starke  bakterizide  Wir- 
kung der  Ölsäure  und  ihrer  Salze  auf  Milzbrand-  und  Massauavibrionen 
festgestellt,  auf  eine  lösende  Wirkung  dabei  freilich  nicht  geachtet. 
In  den  Versuchen  von  Levaditi  und  Rosenbaum  erwiesen 
sich  umgekehrt  die  gleichen  Stoffe  für  Cholerabazillen  ganz  unwirk- 
sam. Lezithinaufschwemmungen  sollen  nach  Bassenge ^)  Typhus- 
bazillen zur  Auflösung  bringen,  und  zwar  in  frischem  Zustand  lang- 
sam, in  älterem  schnell ;  nach  D  e  y  c  k  e  und  M  u  c  h^)  lösen  sie  zwar 
Coli  und  Anthraxbazillen  nicht,  töten  sie  aber,*)  beeinflussen  Staphy- 
lokokken anscheinend  gar  nicht,  lösen  aber  wiederum  manche  Stämme 
von  Tuberkelbazillen.  S 1  e  e  s  w  y  k^)  endlich  führt  die  sehr  unbe- 
ständige Wirkung  des  Lezithins  auf  Beimengung  freier  Fettsäuren 
zurück.  Ebenso  bestreitet  L  ö  w  e  n  s  t  e  i  n*)  die  Angaben  von 
D  e  y  c  k  e  und  M  u  c  h  ,  daß  Cholin  und  Neurin  Tuberkelbazillen 
auflöse. 

Ferner  beobachtete  N  o  c')  eine  kräftigere  bakteriolytische  Wir- 
kung des  Kobragiftes  auf  asporogene  Milzbrandbazillen,  Cholera- 
vibrionen, Eiterstaphylokokken,  Diphtheriebazillen,  junge  Heubazillen, 
als  auf  Trypanosomen,  die  freilich  von  einer  1  prozentigen  Giftlösung 
auch  schon  nach  30  Minuten  gelöst  wurden.    Die  Hülle  der  Bakterien 


1)  Arch.  f.  Hyg.   68,   1908. 

2)  Deutsch. med.  Woch.  1908,29.  Vgl.  Fukuhara,  Arch.Hyg.  71,  398. 

3)  Medizin.  Klin.   1908,  40. 

4)  In  Lezithinnährböden  sollen  aber  nach  Podwyssotzky  und 
Taranouchine  (Annal.  Fast.  1898,  508)  Milzbrandbazillen  wcwjhsen, 
allerdings  „plasmolysiert",  so  daß  man  deutlich  die  (nicht  aus  Zellulose 
bestehende)  Membran  sehen  kann.  Auch  sonst  werden  lezithinhaltige  Stoffe, 
wie  z.  B.  Gehirn,  als  gute  Nährböden  betraclitet.  Über  Äther,  Alkohol, 
Chloroform  und  namentlich  Benzoylchlorid  als  Lösungsmittel  für  säiu*efeste 
Bazillen  vgl.  Bakterienfetto   §  22  und  26. 

5)  D.  med.  Woch.   1908,  52. 

6)  Zentr.  Bakt.   53,   1910. 

7)  Annal.  Past.  1904,  vgl.  auch  Cal  motte  in  Kolle-Wass  er- 
mann s   Handb.,  2.  Erg.-Bd.  263,   1908. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  19 

scheint  sich  dabei  zuerst  aufzulösen,  dann  der  Leib  und  schließlich 
die  Körnchen  im  Inhalt.  Bei  Bact.  coU  und  Typhusbazillen  ist  die 
Erscheinung  weniger  deutlich,  fehlt  fast  ganz  bei  Pyocyaneus  und 
Prodigiosus  und  vollständig  bei  Tuberkelbazillen.  Durch  Erhitzung 
auf  60^  wird  die  Löslichkeit  nach  Calmette  erhebUch  herabgesetzt. 
Mit  der  verdauenden  Eigenschaft  der  Gifte  hat  die  lösende  nichts  zu 
tun,  weil  die  erstere  bei  85®  sofort  verschwindet,  die  letztere  erst  nach 
halbstündiger  Behandlung.  Ebensowenig  fällt  die  lösende  Fälligkeit 
des  ScUangengiftes  etwa  mit  der  der  Serumalexine  zmammen,  die  eine 
hebt  vielmehr  die  andere  auf.  Nach  Levaditi  und  Rosen- 
b  a  u  m  wäre  freilich  auch  die  Wirkung  des  Giftes  auf  rote  Blutkörper, 
Protozoen  und  Spirochäten  verschieden  von  der  auf  andere  Bakterien, 
die  erstere  ginge  überhaupt  nicht  durch  Erhitzung  auf  85®  verloren. 
Leider  fehlt  eine  Prüfung  der  Meningo-  und  Pneumokokken  gegenüber 
diesem  Gift. 

Erwähnt  sei  schließlich  noch,  daß  das  Glyzerin,  das  freilich 
nicht  eigentlich  zu  den  Tipoiden  zu  rechnen  ist,  umgekehrt  Bakterien 
im  allgemeinen  stärker  angreift  als  Protozoen,  einschließlich  der 
rhlamydozoen  und  filtrierbaren  Virus.  Das  entspricht  der  Tatsache, 
daß  es  die  ersteren  nicht,  die  letzteren  wohl  plasmolysiert,  also  dort 
schneller,  hier  langsamer  eindringt. 

Aus  diesen  Angaben  ergibt  sich,  daß  vorläufig  Gesetzmäßigkeiten, 
die  eine  scharfe  Trennung  ermöglichen,  in  dem  Verhalten  der  Proto- 
zoen und  Bakterien  gegen  „Lipoide"  nicht  bestehen.  Es  ist  aber  viel- 
leicht dennoch  die  von  N  e  u  f  e  1  d  u.  a.  ausgesprochene  Vermutung 
berechtigt,  daß  diejenigen  Mikrobenarten  oder  -Stämme  —  denn  es 
scheinen  Unterschiede  bei  einer  und  derselben  Art  vorzukommen  — , 
die  der  völligen  Auflösung  durch  dieses  oder  jenes  Lipoid  unterliegen, 
ebenso  wie  die  Protozoen  oder  tierischen  Sfellen  dadurch  eher  eine 
besondere  chemisch-physikalische  Beeinflußbarkeit  ihrer  Haut  oder 
der  als  solche  dienenden  plasmatischen  Grenzschicht  als  ihres  Plasmas 
selbst  beweisen.  Grenau  diese  Beschaffenheit  zu  bestimmen,  dazu 
fehlen  uns  freilich  vorläufig  die  Mittel.  Die  in  dieser  Beziehung  nament- 
lich für  höhere  Zellen  entwickelten  Theorien  (H.  Meyer,  Overton, 
Nathanson)  sind  nicht  ausreichend.^) 

§  9.  Selbstverdaunng.  Unter  den  übrigen,  eine  völlige  Lösung 
der  Mikroben  bewirkenden  Mitteln  ist  vor  allem  die  eigentliche  Ver- 
dauung zu  nennen.  Wir  betrachten  an  erster  Stelle  die  sogenannte 
Selbßtverdauimg,  weil  ohne  ihre  Kenntnis  der  Einfluß  der  künstlichen 
Verdauung    durch    zugesetzte    Enzyme  nicht  genügend  sicher   fest- 


1 )  Vgl.  H  ö  b  e  r ,  Physikal.  Chemie  der  Zellen  und  Gewebe,  2.  Auf  1. ,  1 906. 

2» 


20  Kap.  I.  §  9. 

gestellt  werden  kann.  Bei  der  am  längsten  bekannten  Selbstverdauung 
(Autodigestion,  Autolyse)  der  Hefe  —  über  die  chemischen  Vorgange 
soll  später  (§  166)  berichtet  werden  —  bleibt  die  Sicllwand  erhalten, 
weil  sie  offenbar  dem  verdauenden  Enzym,  der  von  Hahn  und 
6  e  r  e  t  sogenannten  Endotryptase,  Widerstand  leistet.  Das  Plasma 
erfährt  aber  innerhalb  der  Sicllen  eine  tiefgehende  Auflösung,  die  sich 
auch  durch  den  Austritt  großer  Mengen  seiner  Substanz  aus  den  Zellen 
äußert.  Die  Bedingungen  für  die  Selbstverdauung  der  Hefe  verdienten 
noch  näher  studiert  zu  werden;  diese  scheint  überall  zu  fehlen,  wo  die 
Zellen  in  Vermehrung  oder  in  lebhafter  Gärtätigkeit  begriffen  sind, 
und  setzt  umgekehrt  ein,  wenn  diese  Voraussetzungen  fehlen  und 
gleichzeitig  eine  zu  niedrige  oder  zu  hohe  Temperatur  der  Wirksam- 
keit der  Endotryptase  nicht  im  Wege  steht,  namentlich  dann  also, 
wenn  die  Hefe  in  nährstofffreier  oder  -armer  Flüssigkeit  aufgeschwemmt 
ist.  Der  äußere  Anstoß  zur  Selbstverdauung  liegt  also  wohl  im  N  a  h  - 
rungsmangel  bzw.  in  dem  dadurch  bedingten  Z e  1 1 1 o d. 
Darum  beginnt  sie  auch  sofort  bzw.  wird  verstärkt,  wenn  man  die  Zellen 
durch  schwache  Antiseptika,  wie  Chloroform,  Thymol,  Toluol,  Salizyl- 
säure, 0,1  prozentiges  Formaldehyd,  1  prozentige  Blausäure  tötet, 
während  starke  Antiseptika,  die  auch  die  Endotryptase  schädigen 
(3%  Karbolsäure,  0,1%  Sublimat,  Temperaturen  über  60°),  die  Selbst- 
verdauung hemmen  oder  aufheben.  Bei  anderen  Pilzen  haben  wir 
ähnUche  Verhältnisse  zu  erwarten.  Bei  Bakterien  sind  Vorgänge,  die 
wir  jetzt  als  autol}rtische  bezeichnen  müssen,  ebenfalls  lange  bekannt, 
wenn  auch  nicht  als  solche  erkannt.  So  beobachteten  Kruse  und 
P  a  n  s  i  n  i^),  daß  die  Pneumokokken,  nachdem  ihr  Wachstum  in 
Bouillon  aufgehört  hat,  aus  den  Kulturen  unter  Zurücklassung  geringer 
Spuren  verschwinden.  Bei  anderen  Bakterien  pflegt  ähnliches  in 
älteren  Kulturen  vorzukommen,  nur  in  weniger  ausgedehntem  Maße 
oder  nach  längerer  Zeit.  Die  Meningo-  und  Gonokokken  kommen 
den  Pneumokokken  am  nächsten:  schon  nach  wenigen  Tagen  beginnt 
hier,  wie  Färbungen  zeigen,  die  Auflösung  der  Bakterien.  Die  gleichen 
Erscheinungen  in  alten  Pyocyaneus-,  Milzbrand-,  Typhuskulturen  usw. 
führten  dann  Emmerich  und  L  ö  w  zu  ihren  im  §  7  erwähnten 
Vorstellungen  über  Selbstverdauung  der  Bakterien  und  zur  Ent- 
deckung der  Pyocyanase.  Im  Anschluß  an  ihre  erste  Arbeit  imd  die 
Darstellung  Gamaleias  (§  6)  erschienen  genauere  Untersuchimgen 
über  die  Bedingung  der  Selbstverdauung  der  Milzbrandbazillen  von 
Seiten  Malfitanos^)  und  Danysz'^).    Der  erstere  zeigte,  daß  die 

1)  Zeitschr.  Hyg.   11,  314. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   131.  293,  1900. 

3)  Aiinal.  Past.   1900. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  21 

Selbstverdauung  dieser  Bazillen  in  destilliertem  Wasser  ausbleibt, 
wenn  die  Bazillen  vorher  auf  65®  erhitzt  werden,  dagegen  eintritt, 
wenn  sie  bei  55 — 60®  abgetötet  worden  sind,  oder  wenn  sie  bei  45® 
aufbewahrt  werden.  In  jeder  beliebigen  Flüssigkeit  erfolgt  femer  die 
Verdauung,  wenn  die  Lebensfähigkeit  der  Bazillen  nicht  durch  höhere 
Temperaturen,  sondern  durch  Zusatz  von  Chloroform^),  Xylol  oder 
Thymol  beeinträchtigt  oder  aufgehoben  wird.  Nach  Malfitanos 
sehr  berechtigter  Vorstellung  liegt  die  Ursache  darin,  daß  endotryp- 
tische  Fermente  (die  „Protease")  nur  wirksam  sind,  wenn  die  normale 
Lebenstätigkeit  der  Bakterien  ausgeschaltet,  nicht  vernichtet  wird. 
Femer  finden  wir  bei  M  a  1  f  i  t  a  n  o  die  wichtige  Bemerkung,  das 
Koffein,  die  Pyocyanase  usw.,  die  in  den  Versuchen  von  G  a  m  a  1  e  i  a  , 
Emmerich  und  Low  die  Lösung  der  Bakterien  verursacht  haben, 
wirken  in  ähnlicher  Weise,  d.  h.  nur  dadurch,  daß  sie  die  Lebensfähig- 
keit der  Bakterien  beeinträchtigen  und  so  deren  eigener  Verdauungs- 
tätigkeit Spielraum  gewähre.  D  a  n  y  s  z  hat  diese  Erfahrungen 
bestätigt  und  unter  demselben  Gresichtspunkt  die  Bakteriolyse  der 
Hilzbrandbazillen  im  Rattenserum  studiert.  Nach  ihm  erfolgt  die 
Lösung  dieser  Bakterien  ungefähr  in  gleicher  Weise,  ob  man  sich  eines 
aktiven  Serums  bedient,  oder  eines  seiner  Alexine  durch  Erhitzung 
oder  Absättigung  mit  Bakterien  beraubten,  aber  mit  Chloroform  ver- 
setzten^) Serums,  bzw.  einer  anderen  Flüssigkeit  bedient,  die  durch 
Zusatz  von  Antisepticis  als  Nährboden  unbrauchbar  geworden  ist. 
Die  Voraussetzung  sei  nur,  daß  das  Antisepticum  nicht  das  autoly- 
tische  Ferment  zerstöre.  So  fehle  denn  die  Bakteriolyse  ebensowohl 
im  aktiven  Seruln  als  in  den  übrigen  Medien,  wenn  die  Bazillen  durch 
starkes  Erhitzen  oder  Säuren  abgetötet  werden.  Nach  D  a  n  y  s  z 
wirkt  also  das  Alexin  nur  abtötend  wie  die  Antiseptika,  während  die 
Bakteriolyse  durch  das  eigene  Ferment  der  Bakterien  verursacht 
wird.  Die  Zusanmiensetzung  des  Mediums  ist  im  allgemeinen  von 
Einfluß  auf  die  Schnelligkeit  und  Ausdehnung  der  Selbstverdauung: 
am  größten  ist  sie  im  Serum,  geringer  in  Peptonbouillon  und  am  ge- 
ringsten in  destilliertem  Wasser  und  Kochsalzlösung;  in  saurer  Lösung 
fehlt  sie.  Unter  Umständen  tritt  in  denselben  Mitteln  Bakteriolyse 
und  Wachstum  neben  oder  nacheinander  auf,  indem  nämlich  die  durch 
Selbstverdauung   schon   zugrunde    gegangenen    Bakterien   den   übrig 


1)  Malfitano  machte  später  (Annal.  Past.  1902.  646),  die  noch 
unerklärte  Beobachtung,  daß  Chloroform  (nicht  andere  Antiseptica)  bei 
Abwesenheit  von  Sauerstoff  die  Autolyse  verhindert. 

2)  So  ist  vielleicht  auch  die  Wirkung  der  Preßsäfte  au.s  Organen, 
Eigelb  und  Eiweiß,  die  T  u  r  r  ö  (Zentr.  Bakt.  32.  105,  1902)  nach  Zusatz 
von  2%  Fluomatrium  beobachtete,  zu  deuten. 


22  Kap.  I,  §  9. 

gebliebenen  den  Nährboden  dadurch  verbessern,  daß  sie  entweder 
—  in  reinem  destillierten  Wasser  und  Kochsalzlösung  —  bei  der  Auf- 
lösung Nährstoffe  abgeben  oder  —  im  aktiven  nicht  zu  kräftigen 
Serum  —  die  Alexine  neutralisieren. 

Wir  kommen  auf  diese  Vorstellungen,  die  der  Selbstverdauung 
auch  eine  ausschlaggebende  Bedeutung  bei  der  Serumbakteriolyse 
zuschreiben,  später  noch  zurück  und  wollen  hier  nur  betonen,  daß 
sie  bei  der  Erklärung  der  Auflösungserscheinungen,  die  wir  unter  dem 
Einfluß  aller  möglichen  entwicklungshemmenden  oder  keimtötenden 
Stoffe,  namentlich  auch  der  Lipoide  beobachten,  wohl  Berücksichti- 
gung verdient.  Eine  Entscheidung  der  Frage,  ob  die  letzteren  allein 
oder  unter  Mitwirkung  selbstverdauender  Enzyme  die  früher  be- 
sprochenen Veränderungen  hervorrufen,  wird  wohl  nur  von  Fall  zu 
Fall  an  der  Hand  des  morphologischen  und  chemischen  Studiums  der 
Selbstverdauung  zu  geben  sein.  Von  den  chemischen  Nachweisen, 
die  bisher  für  die  Bakterien  seit  den  Arbeiten  von  Hahn  und  G  e  r  e  t 
geliefert  worden  sind,  handeln  wir  später  (§  166).  Die  morphologischen 
Verhältnisse  habe  ich  durch  vergleichende  Untersuchungen,  die  ich 
in  jüngster  Zeit,  mit  Schermann  und  Schreiber^)  zusammen 
an  einer  großen  Zahl  von  Bakterien  vorgenommen  habe,  aufzuklären 
gesucht.  Wir  fanden  dabei  ganz  erhebliche  Unterschiede^)  zwischen 
den  einzelnen  Bakterienarten.  Wurden  Aufschwemmungen  von 
frischen  Agarkulturen  (je  eine  Schrägkultur  auf  5 — 10  ccm  Kochsalz- 
lösung) mit  Chloroform  (oder  Toluol)  versetzt  im  Brutschrank  ge- 
halten, so  zeigten  einige  (grampositive)  Bakterien,  wie  Staphylokokken 
und  Megatherium,  nach  24 — 48  Stunden  keine  Veränderung  ihrer  Auf- 
schwemmungen für  das  bloße  Auge  und  auch  unter  dem  Mikroskop 
keine  Abweichungen  von  der  gewöhnlichen  Form  und  Färbbarkeit. 
Eine  schwache  Aufhellung  der  Trübung,  aber  keine  deutlich  nachweis- 
bare mikroskopische  Veränderung  trat  ein  bei  den  von  uns  geprüften 
Kulturen  der  Enteritis-  und  Proteusbazillen  und  manchmal  auch  bei 
Coli-  und  Dysenteriebazillen.  In  anderen  Fällen  waren  die  Aufschwem- 
mungen der  letzteren,  ebenso  wie  die  der  Pseudodysenterie-,  T)rphu8-, 
Paratyphus-,  Pneumoniebazillen  deutlich  aufgeklärt,  die  Bazillen  selbst 
schwächer  färbbar  und  wohl  zum  kleinen  Teil  ganz  aufgelöst.  Sehr  viel 
stärker  war  die  Lösung  beimFIuorescensliquefaciens  und  namentlich  beim 
Milzbrand,  Prodigiosus,  Pycoyaneus,  Cholerabazillus,  sowie  bei  Meningo- 
und  Pneumokokken.  Die  mikroskopischen  Veränderungen  gingen  dabei 
sehr  weit,  zum  Teil  bis  zum  völligen  Verschwinden  der  Bakterien. 


1)  Die  Arbeit  erscheint  im  Laufe  des  Jahres  1910. 

2)  Vgl.  Stab  1  der  Tafel  II  in  §  10. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  23 

Die  Auflösung  begann  schon  nach  wenigen  Stunden.  Auch 
wenn  das  Chlorofoim  weggelassen  wurde,  war 
die  Sei  b  s  t  V  er  d  auu  n  g  bei  vielen  der  Bakterien 
annähernd  ebenso  kräftig,  wahrscheinlich  deswegen,  weil 
die  Kochsalzlösung  allein  die  Keime  schon  erheblich  schädigte.  Wurden 
die  Bakterien  durch  Erhitzung  auf  60 — 100®  abgetötet  oder  dauernd 
bei  niedrigen  Temperaturen  gelassen,  so  blieb  die  Lösung  ganz  oder 
fast  ganz  aus.  Durch  die  hohe  Temperatur  werden  offenbar  das  oder 
die  Enzyme  der  Selbstverdauung  ebenfalls  zerstört  oder  geschädigt 
und  durch  niedere  Temperaturen  in  ihrer  Tätigkeit  gelähmt.  Wir  halten 
diese  für  die  wichtigste  Ursache  der  Lösung;  ob  nicht  manchmal  aber 
noch  andere  nicht  enzymatische  Stoffe  (Lipoide  §  8)  beteiligt  sind, 
wollen  wir  vorläufig  dahingestellt  sein  lassen.  Die  Möglichkeit,  daß 
auch  verdauungshemmende  Einflüsse  daneben  in  Betracht  kommen, 
ist  ebenfalls  gegeben.  Ob  man  aber  von  Antifermenten  (s.  u.  §  10) 
sprechen  darf,  ist  recht  zweifelhaft.  Sicher  setzen  lebenskräftige  Bak- 
terien unter  günstigen  Bedingungen  der  Selbstverdauung  erfolgreichen 
Widerstand  entgegen.  Schon  der  Nahrungsmangel  schwächt  sie  aber 
so,  daß  die  Lösung  eintreten  kann.  Sehr  schön  zeigt  das  ein  von  uns 
wiederholter  Versuch  F  i  c  k  e  r  s  ^).  Wenn  man  Cholerabazillen  aus 
einer  frischen  Agarkultur  vom  Nährboden  abnimmt  und  ohne  jeden 
Zusatz  in  eine  feuchte  Kammer  bringt,  sterben  die  Keime  namentlich 
bei  37*  schnell  ab.  F  i  c  k  e  r  führt  das  auf  eine  Art  Selbstverbrennung 
zurück.  Auch  wir  wollen  oxydative  Vorgänge  keineswegs  ausschließen. 
Die  nükroskopische  Prüfung  zeigt  uns  aber,  daß  dabei  die  Lösung 
in  derselben  Weise  eintritt,  wie  nach  Ausschaltimg  der  Lebenstätig- 
keit durch  Chloroform  und  nach  Behandlung  mit  Verdauungsenzymen 
(s.  u.).  Daraus  imd  aus  der  Wirkung  der  gleichzeitig  gebildeten  schäd- 
lichen Stoff  Wechselerzeugnisse  (§  47)  erklären  sich  auch  die  oben  er- 
wähnten Auflösungserscheinungen  in  alten  Kulturen.  Das  verschiedene 
Verhalten  der  einzelnen  Bakterienarten  und  -stamme  wird  wohl  auf 
cüe  ungleiche  Ausstattuug  mit  Selbstverdauungsenzymen  oder  deren 
ungleiche  Widerstandsfähigkeit  zurückzuführen  sein.  Über  den  Mecha- 
nismus, durch  den  die  Lebenstätigkeit  die  Selbstverdauung  verhindert, 
können  wir  wenig  aussagen.^) 

§  10,  Verdauung.  Nachdem  wir  so  die  Erscheinungen  der  Selbst- 
verdauung kennen  gelernt,  können  wir  zu  der  Erörterung  des  Ein- 
flusses  der  Verdauungsfermente  schreiten.  Daß  dieser  gegenüber 
lebenden  Kleinwesen  nur  gering  ist,  hat  man  schon  lange  aus  dem 


1)  Zeitochr.  f.  Hyg.  29.  27,  1898. 

2)  Vgl.   §  67  am  Schluß,   §  92  und   §  166. 


24  Kap.  1,  §  10. 

Vorkommen  von  Bakterien  und  Protozoen  im  Darminhalt  und  aus 
dem  Verhalten  von  Bakterien  gegenüber  Darmsekreten^)  im  Reagenz- 
glas erschlossen.  Schon  einige  ältere  Beobachtungen  von  G  a  m  a  - 
1  e  i  a  (§  6),  S  i  e  g  w  a  r  t*),  und  M  o  u  t  o  n^)  lehrten  aber,  daß  durch 
Chloroform,  Säure,  Hitze,  Trocknen,  destilliertes  Wasser  abgetötete 
Bakterien  durch  die  Verdauung  viel  stärker  angegriffen  wurden.  Neuer- 
dings wurde  die  Frage,  und  zwar  von  verschiedenen  Seiten  und  unab- 
hängig voneinander,  wieder  aufgenommen.  Eine  Mitteilung  von 
Jochmann*)  besagt ,  daß  lebende  Typhus-  und  Colibazillen  von 
einem  tryptischen  Leukozjrtenferment  nicht  geschädigt,  aber  ebenso 
schnell  wie  Fibrin  oder  Eiweiß  aufgelöst  werden,  wenn  sie  durch  Chloro- 
form oder  Temperaturen  von  65 — ^70*  abgetötet  sind.  Der  Versuch, 
ein  „Antiferment"  in  den  lebenden  Bakterien  dafür  verantwortlich 
zu  machen,  gelang  nicht,  wenn  es  auch  auffiel,  daß  zuweilen  ein  Zusatz 
von  Bakterienkulturen  zu  Eiter  dessen  Verdauungskraft  abschwächte. 
F  e  r  m  i^)  kam  zu  ähnlichen  Ergebnissen:  lebende  Bakterien  (und  Pilze) 
verschiedener  Art  wurden  durch  Trypsin  (und  Pepsinsalzsäure)  nicht 
beeinflußt,  zeigten  aber  bei  Zusatz  von  1%  Karbolsäure  mit  Ausnahme 
von  Staphylokokken  und  Tetragenus  mehr  oder  weniger  deutliche 
Zeichen  der  Lösung*).  Die  Fermente  ihrerseits  wurden  durch  Mikroben 
nicht  angegriffen,  mit  Ausnahme  des  Pepsins'),  auf  welches  die  Mikro- 
benprodukte (karboUsierte  Bouillonkulturen)  eine  antipeptische  Wir- 
kung auszuüben  schienen®).  D  e  W  a  e  1  e*)  verglich  die  Veränderungen, 
die  zahlreiche  durch  Chloroform- Azeton  abgetötete  Bakterienarten  er- 
litten, wenn  sie  unerhitzt  oder  auf  55 — 100®  erhitzt,  bei  37°  einer  0,2  pro- 
zentigen  Trypsinlösung  3 — 12  Stunden  ausgesetzt  wurden.  Nach  Aus- 
weis der  beigegebenen  Tabelle  wurden  die  meisten  von  ihnen  nach  Er- 
hitzung auf  75 — 100®  viel  vollständiger  gelöst,  als  diejenigen,  die  nied- 


1)  Vgl.  z.  b.  Fermi.  Zentr.  Physiol.,  1895,  21.  Vollst.  Literatur  in 
der  Infektionslehre. 

2)  Arbt.   d.   pathol.   Inst.   Tübingens   3.   277.   (Pepsin  und  Trypsin). 

3)  Ann.  Pasteur  1902.  489  (Amöbenferment). 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.   61,   1908. 

5)  Zentr.  Bakt.   52.  252,   1909. 

6)  3  Ösen  Agarkultur  wurden  dabei  auf  10  com  Pepsin  (1: 1000)  oder 
Trypsin  (1  :  150)  oder  Papain  (1  :  200)  verteilt  und  nach  5  Tagen  unter- 
sucht. 

7)  Vgl.  Papasotiriu,  Arch.  f.  Hyg.  57. 

8)  Nach  C  h  a  r  r  i  n  und  L  e  Play  (Compt.  rend.  ac.  sc.  141.  75, 
1903)  sollen  aber  Bakterien,  z.  B.  Heubazillen,  Papain  so  fest  binden,  daß 
es  aus  ihnen  auf  dem  Filter  nicht  ausgewaschen  werden  kann.  Wir  selber 
beobachteten  auch  eine  Bindung  von  Trypsin  durch  Bakterien  (s.  im  Text) 

9)  Zentr.  Bakt.  50.  40,  1909.  Meis\  wurden  1— 2  wöchentl.  Bouillon- 
kulturen benutzt. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  25 

rigeren  Temperaturen  ausgesetzt  oder  nicht  erhitzt  worden  waren. 
Am  wenigsten  (anerhitzt  oder  auf  55®  erhitzt  gar  nicht)  angegriffen 
wurden  Tetragenus,  Streptokokken,  Staphylokokken  (mit  Ausnahme 
von  hämolytischen)  und  Meningokokken  (?),  am  stärksten  (meist  auch 
etwas  unerhitzt  oder  auf  55®  erhitzt)  Typhus,  Paratyphus,  Coli,  Enteri- 
tis, Vibrio  Metschnikoff  und  Nasik,  Megatherium  (?).  Die  Hemmung 
der  Verdauung  soll  durch  eine  bei  75 — 100®  zerstörte  „Antiprotealase" 
bewirkt  werden.  Vibrio  Finkler,  Pyocyaneus,  Proteus,  Prodigiosus, 
Fluorescens  und  Anthrax  wurden  umgekehrt  stärker  gelöst  in  uner- 
hitztem Zustande  oder  auf  55®  erhitzt,  als  gekocht.  D  e  W  a  e  1  e  will 
diese  Unterschiede  daraus  erklären,  daß  mit  der  Antiprotealase  selbst- 
verdauende proteolytische  Wirkungen  in  den  Kulturen  selbst  in  Wett- 
bewerb traten. 

Seit  Ende  1908,  also  unabhängig  von  diesen  Forschern,  wurden 
in  meinem  Laboratorium  Untersuchungen  über  Verdauung  von  Bak- 
terien vorgenommen.  Zunächst  fand  Eantorowic z^),  daß  die 
gramnegativen  Bakterien  (der  Coli-  und  Vibrionengruppe)  erst  durch 
Erhitzung  auf  75 — 80®  und  mehr  ihrer  Widerstandsfähigkeit  gegenüber 
der  Verdauung  durch  Trypsin  verlustig  gingen,  was  durch  das  Vor- 
handensein eines  auch  in  Lösung  zu  erhaltenden  Antiferments  erklärt 
wurde.  Andere  Arten  der  Abtötung,  z.  B.  durch  Chloroform,  Karbol, 
Erhitzen  auf  60 — ^70®,  wären  nicht  imstande,  die  Verdauung  zu  ermög- 
lichen, die  Ausschaltung  der  Lebenstätigkeit  hätte  also  nichts  mit 
der  Verdaulichkeit  zu  tun.  Grampositive  Kokken  und  Bazillen,  Staphy- 
lokokken, Streptokokken,  Sarzine,  Diphtherie,  Milzbrand  würden 
andererseits  selbst  durch  Kochen  nicht  für  die  Verdauung  vorbereitet. 

Einige  Unstimmigkeiten  in  den  Ergebnissen  Kantorowiczs 
und  der  älteren  Forscher  bewogen  mich,  die  Frage  weiter  zu  verfolgen 
und  die  Verdauung  zusammen  mit  der  Selbstverdauung  (s.  o.  §  9)  ge- 
nauer zu  studieren.  Die  von  mir  selbst,  Schermann  und 
Schreiber  gemachten  Versuche  ergaben  noch  verwickeitere  Ver- 
hältnisse, als  sie  die  übrigen  Arbeiten  festgestellt.  Verhältnismäßig 
einfach  lagen  die  Dinge  allerdings  bei  der  Pepsinsalzsäureverdauung. 
Aus  der  folgenden  Übersicht,  die  sich  hauptsächlich  auf  Versuche 
Schermanns  stützt,  ist  zu  entnehmen,  daß  die  meisten  Bakterien 
im  unerhitzten  Zustand  —  in  Kochsalzlösung  aufgeschwemmt  —  sehr 
widerstandsfähig  gegen  künstlichen  Magensaft  sind:  sie  zeigen  nach 
48  8tündiger  Behandlung  mit  1  prozentiger  Lösung  keine  Veränderung. 
Ausnahmen  kommen  allerdings  vor,  so  wurden  Prodigiosus-  und  Pro- 
teusbazillen  schwach,   Cholera  stärker   angegriffen.    Nach  Erhitzung 


1)  M^inch.  med.  Woch.   1909,   18. 


26  Kap.  I,  §  10. 

auf  60**,  70®,  manchmal  erst  nach  solcher  auf  90 — 100**  zeigte  sich  aber 
bei  den  granmegativen  Bakterien  eine  mehr  oder  weniger  deutliche, 
ja  selbst  starke  Lösung.  Die  grampositiven  Bakterien  wurden  dagegen 
überhaupt  nicht  verändert. 

Tafel  I.    Verdauung  mit  Pepsinsalzsäure. 


Unerhitzt 

60« 

70» 

80« 

90» 

lOO» 

Dysenterie 

0 

0 

0 

0 

(tt) 

tt 

Typhus 

0 

0 

0 

t 

tt 

tt 

Paratyphus 

0 

0 

0 

0 

(t) 

(t) 

Coli 

0 

0 

(t) 

(t) 

t 

t 

Cholera 

tt 

tt 

• 

. 

m 

tt 

Proteus 

t 

t 

tt 

tt 

tt 

tt 

Enteritis 

0 

0 

(t) 

(tt) 

tt 

tt 

Pneumoniebaz. 

0 

0 

(t) 

t 

t 

t 

Prodigiosus 

t 

(ttt) 

(ttt) 

(ttt) 

(ttt) 

(ttt) 

PyoeyaneuR 

• 

(tt) 

(tt) 

(tt) 

(tt) 

(tt) 

Meningokokkus 

• 

(tt) 

(tt) 

(tt) 

(tt) 

(tt) 

Milzbrand 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Megatherium 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

Staphylokokken 

0 

0 

0 

0 

0 

0 

In   l%iger  Trypsinlösung  ergaben  sich  dagegen  die  in  Tafel  II 
zusammengestellten  Verhältnisse : 

Tafel  II.     Selbstverdauung  und  Trypsinverdauung. 


Selbstverdauung  Trypsin  mit 

Trypsin 

mit  Chlor ofortn 

mit  Chloroform, 

Chloroform, 

60» 

80» 

100» 

unerhitzt 

unerhitzt 

Dysenterie 

(t) 

tt 

0 

ttt 

Typhus 

(t) 

tt 

0 

tt 

Paratyphus 

(t) 

ttt 

0 

ttt 

Coli 

0 

(tt) 

0 

ttt 

Cholera 

ttt 

ttt 

(t) 

ttt 

Proteus 

(t) 

tt 

ttt 

ttt 

Fluorescens  non 

liq.   (tt) 

(ttt) 

t 

ttt 

Enteritis 

(t) 

tt 

tt 

ttt 

Pneumoniebaz. 

t 

tt 

tt 

tt 

Prodigiosus 

tt 

tt 

(ttt) 

ttt 

Pyocyaneus 

tt 

tt 

tt 

ttt 

Meningokokkus 

(tt) 

ttt 

ttt 

ttt 

Pneumokokkus 

tt 

t 

ttt 

ttt 

Milzbrand 

tt 

tt 

t 

(t) 

0 

Megatherium 

0 

0 

0 

0 

0 

Staphylokokken 

0 

0 

0 

0 

0 

Anm. :  0  bedeutet  keine  Lösung,  (f)  Spur,  t  schwache,  (ft)  deutliche, 
tl  starke,  (ttt)  f****^  vollständige,  ftt  vollständige  Verdauung. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  27 

Nicht  angegeben  ist  in  der  vorstehenden*  Tafel  das  Ergebnis  der 
Verdauung  lebender  Bazillen  mit Trypsin,  weil  es  stets  das  gleiche 
war:  es  fehlte  jede  Verdauung  der  lebenden  Keime 
in  Trypsinlösung,  öfter  trat  sogar  ein  deutliches  Wachstum 
ein,  offenbar  weil  die  Lösung  ein  Nährboden  war.    Sobald  die  Lebens- 
tatigkeit  der  Bakterien  aber  durch  Chloroform  (5%)  ausgeschaltet  war, 
wurde  das  Bild  ein  anderes:  meist  setzte  jetzt  die  Verdauung,  und  zwar 
meist  recht  kräftig,  ein;  noch  kräftiger  war  sie,  ja,  ging  gewöhnlich 
bis  zur  völligen  Lösung,  wenn  die  Bakterien  nicht  durch  Chloroform, 
sondern  durch  Erhitzung  auf  80 — 100    abgetötet  waren.    Nach  Er- 
hitzung auf  60^  waren  die  Veränderungen  dagegen  ungleichmäßig,  indem 
die  Losung  bald  eintrat,  bald  fehlte  oder  geringer  war.   Wie  soll  man 
sich  die  Ungleichheiten  erklären?    Vergleicht  man  zunächst  Stab  2 
mit  Stab  1  der  Tafel,  in  der  die  Ergebnisse  der  Selbstverdauung  mit 
Chloroform  mitgeteilt  sind,  so  sieht  man,  daß  durch  Beigabe  des  Tryp- 
sins  die  Lösung,  wo  sie  vorher  überhaupt  bestand,  nicht  deutlich  ver- 
stärkt wurde,  imd  wo  sie  nicht  bestand,  entweder,  wie  bei  Colibazillen, 
in  geringem  Grade  erfolgte,  oder  wie  bei  Megatherium  und  Staphylo- 
kokken ausblieb.    Die  ebenfalls  grampositiven  Milzbrandbazillen  wur- 
den mit  oder  ohne  Trypsin  gleich  gut  gelöst,  die  grampositiven  Pneumo- 
kokken sogar  anscheinend  bei  Gegenwart  von  Trypsin  weniger  ver- 
ändert.   Man  bekonunt  dadurch  den  Eindruck,  als  ob  die  gram- 
festen Bakterien,  auch  wenn    sie  abgetötet  sind, 
durch   Trypsin   nicht   angegriffen   werden,    wäh- 
rend das  bei  der  gramnegativen  regelmäßig,  und 
zwar  in   viel   erheblicherem    Grade   der   Fall   ist, 
als  bei   der   Pepsinsalzsäureverdauung.     Wenn   die 
Abtötung  durch  Kochen  erfolgt,  ist  das  Ergebnis  noch  klarer :  da  fehlt 
jede  Lösung  bei  den  gramfesten  Bakterien,  auch  der  Milzbrandbazillus 
wird  jetzt  nicht  mehr  angegriffen.    Den  Grund  dafür  kann  man  wohl 
darin  sehen,  daß  das  Selbstverdauungsenzym  durch  Kochen  vernichtet 
wird.    Auch  andere  gramfeste  Keime,   wie  Bac.  subtilis,  racemosus, 
Streptokokken   und   Diphtheriebazillen,  Strahlenpilze,  Hefen,  Oidien, 
säurefeste  Bakterien  werden  nach  neueren  Feststellungen  Schrei- 
bers in  gekochtem  Zustand  von  Trypsin  nicht  verändert,  während 
umgekehrt  alle  gramnegativen  Bakterien,  auch  zahlreiche  andere,  in 
der  Tafel  nicht  aufgeführte,  wenn  sie  gekocht  sind,  völlig  oder  fast 
ganz  aufgelöst  werden.   Nur  der  Pneumokokkus  macht  eine  Ausnahme 
von  der  Regel.  Ob  sich  das  dadurch  erklärt,  daß  sein  Selbstverdauungs- 
enzym ausnahmsweise  durch  Erhitzen  nicht  verändert  wird,  oder  ob 
bei  ihm  besondere  auflösende  Kräfte  (vgl.  Lipoide   §  8)  mitwirken, 
können  wir  vorläufig  nicht  sagen.   Die  Erhitzung  auf  80®  hat  fast  den- 


28  Kap.  I,  f  10  u.  11. 

selben  Einfluß,  wie  die.  auf  100^  nicht  dagegen  die  auf  60^  im  Gegen- 
teil veistärkt  die  letztere  in  vielen  Fällen  die  Widerstandsfähigkeit 
gegenüber  der  Verdauung  ebenso  wie  gegenüber  der  Selbstverdauung. 
Wir  möchten  annehmen,  daß  die  koagulierenden  Wirkungen  mäßiger 
Hitze  auf  das  Protoplasma  daran  schuld  sind,  Wirkungen,  die  durch 
starke  Erhitzung  wieder  ausgeglichen  werden.  Dagegen  spricht  nichte 
für  die  von  Kantorowicz  (s.  o.)  vertretene  Auffassung,  daß  Anti- 
fermente  hier  im  Spiel  seien,  denn  es  ist  doch  sehr  unwahrscheinlich, 
daß  Erhitzung  auf  60®  diese  weniger  schädigen  sollte  als  Chloroform- 
behandlung. Damit  soll  nicht  gesagt  sein,  daß  die  Kleinwesen,  wie 
die  höheren  Zellen,  antifermentativer  Wirkungen  völlig  beraubt  seien. 
Wir  haben  ebenso  wie  Kantorowicz  eine  gewisse  antitrjrptische 
bzw.  trypsinbindende  Wirkung  an  Bakterienextrakten  und  abgetöteten 
Bakterien  beobachtet,  aber  gefunden,  daß  diese  recht  gering  sind  und 
erst  bei  hundertfach  stärker  verdünnten  Trypsinlösungen  zur  Geltung 
kommen. 

Auf  die  Ursachen  der  Widerst^indsfähigkeit  gramfester  Keime 
gegen  die  Trypsinverdauung  kommen  wir  später  zurück,  wenn  wir 
von  der  chemischen  Natur  des  Bakterienleibes  sprechen  (§  18).  Wie 
die  Lebensfähigkeit  oder  Lebenstätigkeit  sämtliche  Keime  gegen  Tryp- 
sin  zu  schützen  vermag,  ist  ein  ungelöstes  Rätsel  (s.  o.  Pepsinver- 
dauung). 

§  11.  Bakteriolyse  darch  Serum.  Wir  können  jetzt  der  Frage 
näher  treten,  ob  die  Veränderungen,  die  durch  Verdauung  und  Selbst- 
verdauung hervorgerufen  werden,  etwas  mit  den  Erscheinungen  der 
eigentlich  so  genannten  Bakteriolyse  im  lebenden  Tier  bzw. 
in  Serum  und  Freßzellen  zu  tun  haben.  Sehen  wir  uns  zunächst  die 
Schilderungen  an,  die  darüber  in  der  Literatur  vorliegen. 

Schon  der  erste  Beobachter  der  .keimschädigenden  Eigenschaften 
der  Körpersäfte,  N  u  1 1  a  1 1  *),  stellte  an  den  in  erster  Linie  von  ihm 
studierten  Milzbrandbazillen  deutliche  degenerative  Veränderungen 
fest,  ja,  bemaß  sogar  danach  die  bakterizide  Wirkung  des  Blutes  oder 
Exsudates.  Im  frischen  Zustand  bestanden  die  Veränderimgen  in 
„kolbiger  oder  knotiger  Auftreibung  und  stellenweisem  Zerfall  der 
Stäbchen,''  nach  Färbung  mit  Metylenblau  außerdem  darin,  daß  die 
betreffenden  Stäbchen  sich  nicht  wie  gesunde  Bazillen  mit  Methylen- 
blau schön  blau,  sondern  in  einem  schmutzigen,  mehr  oder  weniger 
violetten  Tone  färbten,  der  um  so  blasser  wurde,  je  stärker  die  Degene- 
ration entwickelt  war.  In  ihrer  Art  unterschied  sich 
die  Entartung  der  Bazillen  innerhalb  wie  außer- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4.  358  ff,  mit  Tafel  IV. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  29 

halb  der  Leukozyten  nicht.  An  einer  anderen  Stelle 
schildert  N  u  1 1  a  1 1  diesen  Zerfall  der  freien  Bazillen  im  hängenden 
Tropfen  von  Froschlymphe  folgendermaßen:  „Die  Veränderungen 
bestanden  hauptsächlich  darin,  daß  das  Protoplasma  der  Bazillen  zu- 
nächst körnig  wurde,  und  die  Konturen  eine  sehr  unregelmäßige 
Begrenzimg  annahmen.  Nach  und  nach  verschwand  entweder  die 
körnige  Struktur  wieder,  die  Konturen  erschienen  scharf,  der  Bazillus 
selbst  aber  wurde  blasser  und  entschwand  dem  Blicke  fast  vollständig; 
oder  die  Körnung  des  Protoplasmas  nahm  noch  mehr  zu  und  der  Ba- 
zillus zerfiel  in  mehrere  Stückchen.  Auch  kolbige  und  knotige  Auf- 
treibung  beobachtete  man  an  den  absterbenden  Bazillen  ziemlich  oft. 
Ebenso  ist  Quellung  oft  um  das  Doppelte  der  normalen  Dicke  nichts 
Seltenes."  Der  ganze  Prozeß  nimmt  (bei  Zimmertemperatur)  viele 
Standen  in  Anspruch.  Ebensolche  Bilder  von  Milzbrandbazillen  wurden 
später  von  zahlreichen  Beobachtern  innerhalb  und  außerhalb  des 
tierischen  Körpers  gesehen,  oft  genug  aber  auch  darauf  aufmerksam 
gemacht,  daß  ähnlich  degenerierte  Formen  auch  in  manchen  Rein- 
kulturen auf  allen  Arten  von  Nährböden  oder  unter  Einwirkung  anderer 
Schädlichkeiten,  z.  B.  von  Verdauungsenzymen,  mehr  oder  weniger 
häufig  vorkommen.  L  ö  w  i  t  ^)  glaubt  allerdings  mit  Hilfe  der  Gram- 
färbung die  Verändenmgen,  die  unter  dem  Einfluß  von  Serum- Alexinen 
entstehen,  von  anderen  unterscheiden  zu  können.  Nach  ihm  erleiden 
virulente  Milzbrandbazillen  „bei  etwa  viertel-  bis  halbstündigem  Auf- 
enthalt in  aktivem  Kaninchenserum  eine  fein-  und  grobkörnige  Um- 
wandlung des  normalerweise  (bei  der  Gramfärbung)  homogenen  Bak- 
tenenleibes,  mithin  eine  Zerbröckehmg  und  Zerklüftung  mit  oder  ohne 
gleichzeitige  vakuolenähnliche  Umwandlung  desselben".  Unregel- 
mäßige Form,  Verquellung  der  Stäbchen,  schwere  Färbbarkeit  usw. 
stellen  keine  beständigen  Erscheinungen  dar  und  werden  auch  sonst 
gelegentlich,  besonders  im  Serum,  aber  häufiger  nur  bei  schwach 
virulentem  Milzbrand  beobachtet  (s.  u.).  Der  Vergleich  mittels  der 
Prüfung  auf  Platten  zeigt,  daß  im  allgemeinen  ein  Parallelismus 
zwischen  Plattentod  und  Granulabildung  besteht, 
wenn  auch  die  letztere  manchmal  etwas  später  zu  erfolgen  scheint. 
In  solchen  Fällen  sieht  man  aber  meist  ein  Vorbereitungsstadium  vor- 
hergehen, in  dem  die  Bazillen  wie  „angefressen"  aussehen  (Prägranu- 
lation). Ob  die  schmale  Hülle,  die  man  bei  Gramfärbung  und  noch 
besser  bei  Färbung  mit  rotstichigem  Methylenblau  nahezu  regelmäßig 
in  den  der  Serumwirkung  15 — 30  Minuten  ausgesetzten  Bazillen  be- 


1)  Sitzungsber.  d.  K.  Akad.  d.  Wies.  Wien.  Math.-natui*wtss.  Kl.  113, 
Abt,  m,  Oktober  1904,  S.  367  ff.    Mit  Photogrammen. 


30  Kap.  I.  §   11. 

merkt,  und  die  sich  später  zu  einer  deutlichen  Kapsel  entwickelt,  nicht 
auch  ebenso  früh  in  inaktivem  Serum  auftritt  (§  4)  hat  L  ö  w  i  t  nicht 
untersucht.  Die  Beseitigung  der  Alexine  durch  Erhitzen  des  Serums 
(auf  63'),  Ansäuerung  oder  2%  Magnesiumsulfat  hebt  auch  die  Gra- 
nulabildung auf,  und  L  ö  wi  t  fing  daher  das  aus  deir  Gefäßen  fließende 
Blut  in  letzterer  Lösung  auf,  um  die  extravasale  Granulabildung  zu  ver- 
hüten. Die  an  den  Bazillen  beobachteten  Veränderungen  waren  trotz- 
dem die  gleichen.  L  ö  w  i  t  schließt  daraus  auf  die  Wirksamkeit  der 
Alexine  im  lebenden  Blut,  die  vielfach  geleugnet  worden  ist.  Ratten- 
serum verhält  sich  entsprechend  seiner  starken  bakteriziden  Wirkung 
wie  Kaninchenserum,  die  wenig  oder  gar  nicht  wirksamen  Sera  vom 
Hunde,  Meerschweinchen,  Binde  und  Huhn  rufen  ebensowenig  Gra- 
nulierung hervor.  Wie  gesagt,  gilt  das  auch  für  alle  möglichen  anderen 
milzbrandschädigenden  Stoffe,  so  das  destillierte  Wasser  und  Salz- 
lösungen (s.  u.  §  14).  Wenn  überhaupt  darin  morphologische  Ver- 
änderungen auftreten,  was  nur  bei  wenig  virulentem  Milzbrand  in  großer 
Ausdehnung  zu  geschehen  pflegt,  so  sind  sie  anderer  Art.  In  frischen 
Kulturen  virulenter  Bazillen  fehlt  die  Granulierung  ebenfalls,  ältere 
wurden  leider  nicht  untersucht.  Es  ist  sehr  wahrscheinlich,  daß  hier 
neben  anderen  Entartungserscheinungen  auch  die  Granulabildimg 
nicht  fehlt.  Nur  die  Pyocyanase  schien  nach  Emmerich  und 
S  a  i  d  a  und  K  1  i  m  o  f  f  (s.  o.  §  7)  ähnlich  zu  wirken.  Wenn  man  von 
dieser  Ausnahme  absieht,  wäre  nach  L  ö  w  i  t  also  nur  die 
schnelle  Granulabildung,  mindestens  bei  viru- 
lenten Milzbrandbazillen,  als  charkteristischer 
Ausdruck  der  Alexinwi  rk.u  ng,  die  sonst  beschrie- 
benen Entartungen  aber  als  unwesentlich  oder 
als  Folgezustände  anzusehen.  Nachprüfungen  der 
L  ö  w  i  t  sehen  Ergebnisse  liegen  nicht  vor.  Nimmt  man  sie  als  richtig 
an,  so  würde  daraus  folgen,  daß  die  Serumwirkung  gegenüber  den  Milz- 
brandbazillen von  den  durch  die  Selbstverdauung  oder  Verdauung 
hervorgerufenen  verschieden  sei.  Wohl  aber  würden  die  späteren  Ver- 
änderungen der  Bazillen,  denen  man  ja  unzweifelhaft  oft  genug  in 
Milzbrandtieren  oder  im  Serum  begegnet,  vielleicht  doch  auf  ver- 
dauende Einflüsse  bezogen  werden  können. 

Von  den  Veränderungen  anderer  Bazillen  unter  dem  Einfluß  der 
Alexine  sind  am  besten  untersucht  die  der  Cholerabazillen. 
Bei  ihnen  beobachtete  zuerst  R.  Pfeiffer^)  einen  förmlichen  Auf- 
lösungsprozeß, die  von  ihm  sogenannte  Bakteriolyse.  Besonders  schnell 
verläuft  sie  in  der  Bauchhöhle  immunisierter  Meerschweinchen.    Nach 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.,   18,   1894. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  31 

10—20  Hinuten  können  sich  die  vorher  reichlich  vorhandenen  beweg- 
lichen Vibrionen  in  unbewegliche,  kokkenähnliche,  aber  mehr  oder 
weniger  schlecht  färbbare  Körner  (Granula)  verwandeln  und  nach 
weiteren  10  Minuten  völhg  zerfallen.  Im  Reagenzglas  kann  man,  wie 
zuerst  Metschnikoff  und  B  o  r  d  e  t  ^)  beobachteten,  in  Serum 
oder  Exsudaten  denselben  Vorgang  verfolgen,  er  führt  hier  freilich 
nicht  immer  zu  einer  völligen,  jedenfalls  nicht  zu  einer  schnellen  Auf- 
lösung. Die  Granula  können  vielmehr,  wie  wir  bestätigen  müssen,  und 
neuerdings  wieder  von  Neufeld  ^)  betont  wird,  tagelang  sich  im 
Serum  erhalten.  Von  N  e  u  f  e  1  d  weichen  wir  allerdings  darin  ab, 
daß  wir  einen  anderen  Teil  der  Granula  nicht  blos  im  Tierkörper,  wo 
ja  andere  Einflüsse  in  Frage  kommen  könnten  (z.  B.  die  Freßzellen), 
sondern  auch  im  Reagenzglas  gänzlich  und  schnell  zugrunde  gehen 
sahen.  Cantacuzene')  behauptet  andererseits  sogar,  die  bak- 
teriolytischen  Granida  wären  gar  nicht  abgestorben,  sondern  könnten 
wieder  zu  Kommabazillen  auswachsen  .  Nach  unseren  eigenen  Beob- 
achtungen möchten  wir  diese  Möglichkeit  nicht  ganz  ausschließen. 
In  einzelnen  Fällen  zeigt  die  Plattenzählung,  daß  trotz  sichtbarer  Gra- 
nulabildung die  Keime  nicht  erheblich  spärlicher  auswachsen  als  Kon- 
trollen ohne  Körnchen.  Man  sieht  auch  häufig  im  Anfang  der  Ver- 
änderung nicht  nur  die  teilweise  aufgequollenen  Bazillen,  sondern  auch 
völlig  runde  Granula  in  deutlicher  Bewegung.  Im  allgemeinen  ist  aber 
die  Umbildung  der  Bazillen  in  Kömchen  von  ihrer  Abtötung  gefolgt. 
Die  Granulabildung  findet  sich  zwar  am  schönsten  bei  den  Cholera- 
bazillen, und  ähnlichen  Vibrionen,  aber  auch  bei  Typhus-,  Paratyphus, 
Ruhr-,  Coli-,  Pestbazillen  und  Spirochaeten,  und  zwar  wird  sie  sowohl 
im  Serum  bzw.  in  der  Exsudatflüssigkeit,  als  in  den  Phagozyten  beob- 
achtet. Hier  und  da  ist  zwar  auch  von  Granulabildung  in  anderen 
Flüssigkeiten  gesprochen  worden,  wir  müssen  aber  gestehen,  etwas 
ähnliches  weder  bei  der  Verdauung  noch  Selbst- 
verdauung, noch  bei  irgendeinem  anderen  Auf- 
lösungsvorgang der  Bakterien  gesehen  zu  haben. 
Die  Granulabildung  der  gramnegativen  Bazillen 
und  Spirillen  wäre  demnach  ebenso  wie  die  im 
Aussehen  übrigens  sehr  verschiedene  Löwit sehe 
Granulierung  der  grampositiven  Milzbrand- 
bazillen  Erscheinungen   besonderer   Art*).    Neu- 


1)  Annal.  Pasteur  1895. 

2)  Zeitfichr.  f.  exp.  Path.  u.  Ther.  6,  1909. 

3)  Annal.  Past.   1898. 

4)  Auch  sonst  scheinen  gerade  die  grampositiven  Bakterien  (Strepto-, 
l*neuino-,  Staphylokokken)  weniger  leicht  der  Bakteriolyse  und  auch  der 


32  Kap.  I,  §  11  u.  12. 

f  e  1  d  möchte  sie  hervorgehen  lassen  aus  einer  Auflösung  der  Bakterien- 
membran,  weil  die  sonst  gegen  taurocholsaures  oder  ölsaures  Natron 
widerstandsfähigen  Bakterien  (§  8)  nach  der  Verwandlung  in  Granula 
von  diesen  Stoffen  gelöst  werden,  wie  membranlose  tierische  Zellen, 
Protozoen,  Pneumokokken  usw.,  und  will  anscheinend  diese  Ansicht 
noch  durch  den  Nachweis  stützen,  daß  die  Granula  der  Cholerabazillen, 
d.  h.  also  deren  nacktes  Protoplasma  noch  immunisierend  („antigen") 
wirkten,  während  die  durch  Kalilauge  ihres  Plasmas  beraubten  „Hülsen" 
(§  15)  derselben  Cholerabazillen  dazu  kaum  imstande  sind^).  Für  die 
N  e  u  f  e  1  d  sehe  Deutung  spricht  sicher  der  Umstand,  daß  die  Granula 
kugelig  sind,  also  in  der  Tat  dieselbe  Form  besitzen  wie  das  auf  mecha- 
nischem Wege  aus  der  Membran  herausgepreßte  Bakterienprotoplasma 
(§5).  Aber  mit  Neufelds  Annahme  läßt  sich  wieder  die  oft  erheb- 
liche Widerstandsfähigkeit  der  Granula  nicht  vereinigen,  ebensowenig 
die  von  mancher  Seite  (z.  B.  E  i  s  e  n  b  e  r  g  §  20  und  328)  mit  einem 
gewissen  Recht  vertretene  Vorstellung,  daß  gerade  die  äußere  Bak- 
terienschicht der  Sitz  der  Bakterienrezeptoren  bzw.  Antigene  sei. 
Ferner  müßte  man,  wenn  man  die  Deutung  N  e  u  f  e  1  d  s  annähme, 
nach  einer  anderen  Erklärung  für  die  Bakteriolyse  bei  Milzbrand  suchen. 
Sei  dem,  wie  ihm  wolle,  ebenso  wenig  wie  bei  den  Milzbrandbazillen 
sind  bei  den  Cholera-  und  ähnlichen  Bakterien  mit  der  spezifischen 
Granulabildung  die  Veränderungen  im  Serum  und  namentlich  im 
Tierkörper  abgeschlossen.  Die  Granula  verfallen  zum  Teil  selbst  der 
Auflösung,  zum  Teil  gehen  die  Bakterien  nicht  durch  das  Stadium  der 
Granulabildung  hindurch,  sondern  lösen  sich,  wie  fremde^)  und  eigene 
Beobachtungen  lehren,  in  anderer  Weise,  nämlich  unter  Verkleinerung 
oder  auch  Vergrößerung  ihres  Umfanges  (Quellung)  und  Abnahme 
ihrer  Färbbarkeit  auf,  d.  h.  unter  Erscheinungen,  die  wir  als  Merkmale 
der  nicht  spezifischen  Auflösung  bzw.  Verdauung  kennen  gelernt  haben. 

Bei  den  Bakterien  der  Coli-  und  Vibrionengruppe,  ferner  bei  zahl- 
reichen anderen  Infektionserregern,  die  bisher  nicht  genannt  sind,  z.  B. 
Pneumo-,  Strepto-  und  Staphylokokken,  den  Anaerobiern,  kommt 
diese  nicht  spezifische  Auflösung  vor  oder  ist  die  herrschende.  Eigen- 
tümlicherweise wird  die  Granulabildung  selbst  bei  Cholerabazillen 
vollständig  durch  diese  zweite  Art  der  Veränderung  ersetzt,  wenn  sie 
vorher  durch  Erhitzung  auf  90*  oder  Chloroform  abgetötet  worden  sind 


Bakterizidie  des  Serums  zu  verfallen.  Man  könnte  daher  wohl  daran  denken, 
daß  der  Widerstand  gegen  die  Serumbakteriolyse  ebenso  wie  die  gegen  Ver- 
dauung mit  der  Gramfestigkeit  etwas  zu  tun  hätte  (§§9  und  10). 

1)  Vgl.   §  333. 

2)  z.  B.  bei  R  a  d  z  i  e  w  s  k  y  ,  Zeit«chr.  f.  Hyg.  37,   1901. 


Bau  und  mikroohemisoheB  Verhalten.  33 

(Cantacuzdne^),  Radziewsky^),  Verfasser).  Man  könnte 
eineiseits  daraus  schließen,  daß  die  Granulabildung  eine  Reaktion  der 
lebenden  2ielle  wäre,  andererseits,  daß  die  Selbstverdauung  nicht  die 
Ursache  der  nicht  spezifischen  Veränderungen  wäre,  sondern  Einflüsse 
des  tierischen  Körpers.  K  a  n  t  o  r  o  w  i  c  z  (s.  o.  §  10)  ist  in  meinem 
Laboratoiium  dieser  Erscheinung  weiter  nachgegangen.  Nach  ihm 
verlieren  Colibazillen  nach  einem  Aufenthalt  von  2 — 3  Stunden  in 
frischem  Serum  von  Meerschweinchen  und  Menschen  ihre  Färbbarkeit 
in  Methylenblau,  wenn  sie  auf  75^,  nicht  wenn  sie  auf  60^  erhitzt  worden 
sind,  Staphylokokken  überhaupt  nicht.  Durch  Hitze  inaktiviertes 
Serum  bringt  diese  Verändemg  nicht  hervor,  tagelang  stehendes,  das 
keine  bakteriziden  Kräfte  mehr  besitzt,  wohl.  In  Leukozyten  verläuft 
der  Vorgang  ähnlich,  auch  in  Leukozytenextrakten,  jedoch  sind  letztere 
hitzebeständig.  Auch  kann  durch  Bakteriensubstanz  („Antiferment") 
die  Wirksamkeit  des  Serums  und  der  Leukozytenextrakts  aufgehoben 
werden.  Die  Ähnlichkeit  mit  den  früher  besprochenen  Verdauungs- 
erscheinungen liegt  auf  der  Hand,  wenn  es  auch  —  vielleicht  wegen  der 
zu  großen  Bakterieneinsaat  —  nicht  zu  einer  vollständigen  Auflösung 
der  Bakterien,  sondern  nur  zu  einem  Verschwinden  ihrer  Färbbarkeit 
(Karyolyse  Gamaleias  §6)  kam.  Kantorowicz  nimmt 
deshalb  an,  in  dem  Serum  und  den  Leukozyten  sei  ein  trypsinartiges 
Ferment  enthalten,  dessen  Beziehungen  zu  dem  Komplement  zweifel- 
haft seien.  Das  letzte  Wort  in  der  Frage  ist  noch  nicht  gesprochen,  die 
Natur  des  Komplements  sowie  der  wirksamen  Leukozytenbestandteile 
(Leukine  ?)  ist  auch  noch  völlig  unbekannt.  Namentlich  in  den  Extrakten 
der  Leukozyten  kommen  natürlich  wieder  die  Lipoide  (s.  o.  §  8)  in  Frage. 

§  12.  Antiförmin.  Unter  allen  Lösimgsmitteln  für  Mikroben  ist 
das  stärkste  das  sogenannte  Antiförmin,  d.  h.  eine  Mischung 
von  etwa  gleichen  Teilen  Natriumhypochlorit  (10  prozentige  Javelle- 
8che  Lauge)  imd  Kalilauge  (5 — 10%).  Es  löst  nach  Uhlenhuth 
und  Xylander*)  meist  schon  in  Verdünnungen  außer  Cellulose 
und  Wachs  fast  sämtliche  organische  Stoffe,  einschließlich  des  Chitins, 
Keratins  und  Fettes  und  sämtliche  Pilze,  Protozoen  und  Bakterien  mit 
Ausnahme  der  säurefesten,  d.  h.  wachshaltigen  (z.  B.  Tuberkel-  und 
Leprabazällen^)).  Am  schnellsten  —  schon  nach  Sekunden  in  2  bis 
5prozentigen    Lösungen    —    verschwinden    Choleravibrionen,    Spiro- 


1)  Annal.  Pasteur  1898,  297. 

2)  ZeitBchr.  f.  Hyg.  34.  447,   1900. 

3)  Arb.  K.  Geeundh.  32.   1909. 

4)  Im  Widerspruch  damit  steht  der  Verlust  der  Säurefestigkeit  bei 
den  Tuberkel-  und  Thimotheebazillen  nach  kurzer  Behandlung  mit  Javelle- 
scher  Lösung  (Grimme,  Zentr.  Bakt.  32.  171). 

Krase,  lUkrobiologi«.  8 


34  Kap.  I.   §§  12— U. 

chaeten,  Trypanosomen^),  nach  etwas  weniger  als  15  Minuten  Kokken, 
gramnegative  und  Diphtheriebazillen,  nach  30 — 45  Minuten  die  gram- 
positiven Bazillen  des  Milzbrands  und  Rotlaufs.  Am  widerstands- 
fähigsten sind  Sporen  von  Bakterien  und  Pilzen,  indem  sie  selbst  nach 
24  Stunden  noch  nicht  völlig  gelöst  zu  sein  brauchen.  Nicht  unwichtig 
ist  die  Tatsache,  daß  die  Lösungsfähigkeit  des  Antiformins  im  ganzen 
parallel  geht  mit  seinem  Desinfektionsvermögen,  was  bei  den  übrigen 
Desinfektionsmitteln  durchaus  nicht  der  Fall  ist.  So  blieben  die  Tuber- 
kelbazillen in  den  Antiforminlösungen  lange  lebend,  was  dafür  spricht, 
daß  das  Mittel  nicht  nur  die  wachsartigen  Bestandteile  ihres  Leibes 
nicht  zu  lösen,  sondern  überhaupt  nicht  in  das  Protoplasma  einzu- 
dringen vermag.  Daraus  zu  schließen,  daß  das  Wachs  nur  eine  undurch- 
dringliche Hülle  bilde,  dünkt  mich  aber  zu  weit  gegangen,  denn  wie  sollte 
dann  überhaupt  eine  Ernährung  der  Bazillen  erfolgen  können?  Die 
Hüllentheorie  wird  auch  dadurch  nicht  bewiesen,  daß  die  Tuberkel- 
bazillen vielleicht  Entwicklungsstadien  durchlaufen  können,  (Much 
vgl.  §  19  und  349),  in  denen  sie  nicht  säurefest  sind,  also  nach  der 
gewöhnlichen  Auffassung  kein  Wachs  enthalten.  Wahrscheinlicher  ist 
uns,  daß  die  ganze  Substanz  der  säurefesten  Bakterien  mit  Wachs 
durchtränkt  ist.  Die  Wirkung  des  Antiformins  erklärt  sich  daraus, 
daß  es  die  Leistungen  zweier  schon  an  sich  recht  wirksamen  Lösungs- 
mittel vereinigt  und  durch  diese  Vereinigung  erheblich  verstärkt.  Die 
J  a  V  e  1 1  e  sehe  Lösung,  die  in  der  Botanik  schon  lange  gebraucht 
wird,  um  protoplasmatische  (stickstoffhaltige)  Stoffe  aufzulösen,  löst 
für  sich  allein  nur  wenige  Bakterien  vollständig  und  sonst  nur  Teile 
des  Plasmas  (A.Meyer,  Grimme  (§22)).  Eine  genaue  ver- 
gleichende Prüfung  fehlt  noch. 

§  13.  Alkalien.  Die  verdünnte  Kalilauge  war  bereits  lange  aner- 
kannt als  ein  Mittel,  das  zwar  tierische  Substanzen  völlig  löse,  aber  die 
Bakterien  unberührt  lasse  und  daher  zu  ihrer  Erkennung  benutzt 
werden  könne.  Weigert  hat  schon  1876  angegeben,  daß  diese  Regel 
für  die  Spirochaeten  des  Rückfallfiebers  nicht  gilt.  Eine  zweite  Aus- 
nahme habe  ich 2)  gefunden  in  den  eigentümlichen  Bazillen,  die  im 
Froschblutkörper  schmarotzen.  Z  e  1 1  n  o  w^)  erwähnt  weiter,  daß 
Spirillum  undula  majus  zwar  in  stärkeren  (25%)  Kalilösungen  nur  fein- 
körnig wird,  sich  aber  in  5  prozentigen  schon  binnen  einer  Minute  völlig 
auflöst.  Freilich  widerstreben  auch  hier  die  jungen  bzw.  lebenskräftigen 


1)  Nach  H  ü  b  n  e  r  (Zentr.  Bakt.  47,  586)  wird  aber  das  filtrierbare 
Virus  der  Schweinepest  langsamer  (nach  2  Stunden)  zerstört  als  die  sog. 
Schweinopestbazillen  (30 — 40  Min.). 

2)  Kruse,  Virch.  Arch.   120,   1890. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  24.  90,   1897. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  35 

Indi\adueii,  und  zwar  auch  dann,  wenn  sie  zerquetscht  sind  (§  5),  so 
daß  man  nicht  daran  denken  kann,  daß  sie  durch  ihre  Membran  oder 
Hüllschicht  geschützt  werden.      Eine    teilweise    Lösung  vieler 
Bakterien  durch  dünne  Kalilauge  haben  auch  Nencki,  Buchner, 
Lustig  und    Galeotti   bei  ihren  Versuchen,  die  chemische  Zu- 
sammensetzung der  Bakterien  zu  bestimmen  bzw.  daraus  Gifte  oder 
Impfstoffe   darzustellen,    festgelegt   (§25).     Neufeld  ^)  hat  dann 
vor  kurzem  die  Lösungserscheinungen  einiger  Bakterien  auch  unter 
dem  Mikroskop  studiert.   Nach  ihm  würden  Cholera-  und  andere  Vibri- 
onenaufschwemmungen fast  völlig  geklärt,  es  blieben  nur  schattenhafte 
Formen,  „Hülsen",  zurück,  die  man  nicht  im  gefärbten  Trockenpräparat, 
sondern  nur  bei  Zusatz  von  Farbstoff  im  frischen  Zustand  darstellen 
könnte.   Weder  Natriumtaurocholat  und  -oleinat,  noch  bakteriolytische 
Sera  seien  imstande,  die  aus  der  Lauge  ausgeschleuderten  Hülsen  weiter 
zu  verändern,  auch  seien  sie  nicht  befähigt,  im  Tier  Antikörperbildung 
auszulösen.    Typhusbazillen  werden  nach   N  e  u  f  e  1  d   weniger  stark, 
Staphylokokken   noch  weniger,   Botlaufbazillen   gar  nicht  aufgelöst. 
Mit  der    N  e  u  f  e  1  d  sehen   Ansicht  stimmt  nicht  überein  die   Auf- 
fassung  Gamaleias  (§  6),  nach  der  die  Alkalien  wie  die  starken 
Salzlösungen    gerade    umgekehrt    nur    die    Bakterienmembran    unter 
Schleimbildung  lösen  sollen,  also  Stromatolyse  verursachen,  während 
Ammoniak,  Aminbasen  und  namentlich  Koffein  chromatolytisch  wirken. 
Ich  habe  mit    Schreiber    entsprechende  Versuche  an  einer 
großen  Reihe  von  Bakterien  begonnen  und  gefunden,  daß  auch  hier 
wie    bei    der    Tr  y  ps  i  n  v  er  dauung    vor     allem     ein 
Gegensatz  besteht  zwischen  grampositiven  und 
gramnegativen   Bakterien.    Die  ersteren   werden 
durch  Iprozentige  Kalilauge  kaum  angegriffen, 
die  letzteren   mehr  oder  weniger  stark.    Es  handelt 
sich  dabei  anscheinend  um  keine  isolierte  Auflösung  der  Membran  oder 
des  Plasmas,  sondern  um  eine  freilich  bei  den  einzelnen  Individuen 
und  Arten  ungleichmäßig  fortschreitende  Zerstörimg  der  ganzen  Zellen. 
In    lOprozentiger     Kalilösung     werden     dagegen 
sämtliche    Bakterien,     außer     den    säurefesten, 
bis  auf  Spuren  aufgelöst. 

§  14.  Salze  und  andere  Lösungsmittel.  Die  augenblickliche 
Wirkung  der  Salze  und  anderer  Kristalloide  auf  Bakterien  haben  wir  schon 
bei  Gelegenheit  der  Plasmolyse  (§  2)  erörtert  und  dort  erwähnt,  daß  sie 
auch  als  Liösungsmittel  wirken  können.  Hin  und  wieder  hat  man  davon 
Gebrauch  gemacht,  um  Stoffe  aus  den  Bakterien  zur  chemischen  Ana- 


1)  Zeitschr.  f.  exx)erini.  Fath.  6,  1909. 


36  Kap.  I,  S  14  u.   15. 

lyse  (Kap.  II)  oder  zur  Darstellung  von  Antigenen  (Kap.  XVII)  aus- 
zuziehen.  Systematisch  studiert  sind  die  mikroskopischen  Verände- 
rungen, die  dabei  entstehen,  außer  von  Gamaleia  (§6),  auch  von 
Condelli^).  Seine  Versuchsanordnung  war  die,  daß  er  frische 
Agarkulturen  in  den  Lösimgen  der  betreffenden  Stoffe  —  meist  Normal- 
lösungen von  Ammonium-,  seltener  Kaliumsalzen  —  au&chwemmte, 
mit  Chloroformzusatz  2 — 5  Tage  bei  37®  hielt  und  dann  mit  Methylen- 
blau färbte.  Es  ergab  sich,  daß  man  Bakteriolyse  und  Stromatolyse 
(im  Sinne  6  a  m  a  1  e  i  a  s)  an  Milzbrand-,  Diphtherie-,  Cholera-, 
TjrphuB-,  Dysenterie-  imd  Colibazillen  mit  vielen  anorganischen  und 
organischen  Salzen  erzielen  kann.  Gewisse  Gesetzmäßigkeiten  zeigen 
sich  insofern,  als  die  Haloidsalze  um  so  kräftiger  wirken,  je  geringer 
das  Atomgewicht  der  Halogene,  die  Oxysalze  der  Halogene,  der  Schwefel- 
und  Fhosphorgruppe  umgekehrt,  je  größer  das  Atomgewicht  der  Metal- 
loide ist.  Sonst  bestehen  viele  Unregelmäßigkeiten,  namentlich  bezüglich 
des  Verhaltens  der  einzelnen  Bakterien.  Auch  ließ  sich  keine  Beziehung 
zwischen  Bakterie-  und  Chromatolyse  feststellen.  Bakteriolytisch 
wirkten  am  kräftigsten  Fluor-  und  Chlorammonium,  Ammonium- 
selenit  imd  -tellurit,  chromatolytisch  Jodammonium,  die  Seleniate, 
Tellurate  und  Phosphate.  Was  uns  aber  in  erster  Linie  interessiert,  die 
Bakteriolyse  der  Milzbrandbazillen  durch  Chlor-  und  Fluorammonium 
war  unabhängig  davon,  ob  die  Bakterien  lebendig  oder  stundenlang  auf 
65 — 100*^  erhitzt  verwendet  wurden.  Die  Selbstverdauimgstheorie 
Malfitanos  und  Danyszs  (§9)  wäre  also  hierauf  nicht  anzu- 
wenden; geradezu  in  Widerspruch  zu  den  Angaben  der  letzteren  Ver- 
fasser stehen  aber  die  Ergebnisse  Condellis  in  reinem  Wasser, 
indem  auch  hier  sich  kein  Unterschied  zwischen  lebenden  und  gekochten 
Bazillen  zeigte.  Die  Auflösung  dieses  Widerspruches  liegt  vielleicht 
darin,  daß  mit  verschiedenen  Stämmen  der  Milzbrandbazillen 
gearbeitet  vnirde  (s.  o  §11  Löwits  Versuche  über  Bakteriolyse 
in  Serum). 

Ich  selbst  habe  nur  einige  Versuche  Condellis  zugleich  mit 
solchen  Gamaleias  über  die  Koffein-,  imd  Bassenges  über 
die  Lezithinwirkung  (§8)  an  Ruhrbazillen  wiederholt,  indem  ich  eine 
dünne  Aufschwemmung  von  diesen  gekocht  und  ungekocht  in  destil- 
liertes Wasser,  0,9  prozentige  und  0,6  prozentige  Kochsalzlösung, 
6  prozentige  Salmiak-,  2  prozentige  Koffein-,  %  oder  0,1  prozentige 
Lezithinlösung  brachte  und  6  Tage  lang  bei  37®  hielt.  Wesentliche  Unter- 
schiede konnte  ich  dabei  nicht  feststellen;  in  allen  Böhrchen  zeigten 
sich  neben  gut  auch  schlechter  gefärbte  Individuen;  danach  wäre  also 


1)  Annali  d'ig.  sperim.,  Roma  1904. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  37 

überall  nach  der  Gamaleia sehen  Bezeichnung  eine  gewisse  Chro« 
matolyse  eingetreten. 

Verdünnte  Säuren  haben  nach  alteren  und  neueren  Erfahrungen 
(^gl-  §  10  Pepsinverdauung)  kaum  eine  lösende  Kraft  auf  Bakterien. 

Daß  destilliertes  Wasser  als  solches  auf  Bakterien  wirkt,  ist  längst 
bekannt^),  ebenso  daß  die  Wirkung  einerseits  sehr  verstärkt  wird  durch 
die  Gegenwart  kleinster  Mengen  —  den  „oligodTnamischen^^  Einfluß 
—  von  giftigen  Stoffen  (Alkalien,  Metallen)  im  Wasser  und  andererseits 
geschwächt  wird  durch  spurweise  Beigabe  von  i  Salzen  und  Nähr- 
stoffen'). Sehr  wahrscheinlich  wirkt  das  destillierte  Wasser  dabei  als 
Lösungsmittel  für  Bestandteile  des  Bakterienkörpers;  in  der  Tat  be- 
kommt man  ja  auch  in  wässerigen  Aufschwemmungen,  namentlich  wenn 
sie  längere  Zeit  bei  hoher  Temperatur  gehalten  werden,  selbst  ohne 
Schütteki  einen  Auszug  von  Bakterienstoffen,  deren  giftige,  aggressive 
und  antigene  Natur  leicht  festzustellen  ist  (Kap.  XVT  u.  XVII). 
FreiUch  ist  schwer  zu  entscheiden,  wie  weit  die  Selbstverdauung,  die 
durch  den  Nahrungsmangel  im  Wasser  in  Gang  gebracht  wird  (s.  o.  §9), 
die  Lösung  beschleunigt  bzw.  erst  ermöglicht.  Morphologische  Ver- 
änderungen der  Bakterien  (Gamaleias  Chromatolyse)  sind  dabei 
vielfach  beobachtet  worden. 

§  15.  Schlußfolgerungen  aus  der  Wirkung  der  Lösungs- 
mittel. Aus  den  Untersuchimgen  über  die  mikrochemische  Einwirkung 
von  Lösungsmitteln  auf  Bakterien  allgemeine  Schlüsse  über  die  Be- 
schaffenheit ihres  Körpers  zu  ziehen,  geht  kaum  an,  da  ihre  einzelnen 
Arten  und  manchmal  sogar  ihre  Stamme  und  Individuen  zu  viele  Unter- 
schiede untereinander  zeigen.  Es  lassen  sich  verschiedene  Stufen  der 
Widerstandsfähigkeit  unterscheiden,  die  eine  unleugbare  Beziehung 
zur  Färbbarkeit  zu  haben  scheinen.  Obenan  stehen  die  säurefesten 
Bazillen  und  Sporen,  dann  folgen  die  gramfesten  und  schließlich  die 
granmegativen  Formen.  Indessen  fallen  einige  Arten  aus  dieser  Grup- 
pierung heraus,  so  stehen  die  gramfesten  Pneumokokken,  die  gram- 
negativen  Meningokokken  und  Spirochäten  durch  ihre  Widerstands- 
losigkeit  gegen  Lipoide  den  Protozoen,  die  Pneumokokken  durch  ihre 
Loslichkeit  in  Yerdauungsflüssigkeiten  den  gramnegativen  Bakterien 
näher.  Die  Widerstandsfähigkeit  der  letzteren  selbst  wieder  zeigt 
zahlreiche  Abstufungen.    Die  von  Gamaleia  versuchte  Einteilung 


1)  Protozoen,  z.  B.  Trypanosomen  und  Wutvirus  sohädigt  es  aber 
im  allgemeinen  schneller,  so  daß  N  o  v  y  \uid  Knapp  ( Joum.  of  infect. 
diseases  1906,  303)  aus  der  Widerstandsfähigkeit  der  Spirochaeten  bei  der 
Dialyse  in  KoUodiumsäckchen  gegen  Wasser  auf  ihre  bakterielle  Natur 
schließen  (vgl.   §  359). 

2)  Vgl.  namentlich  Ficker,  Zeitschr.  f.  Hyg.  29.  4Ö,  1898. 


38  Kap.  I,    f  16  u.  17. 

der  Lösungsmittel  in  stromato-,  chromato-  und  bakteriolytische  läßt 
sich  unseres  Erachtens  schon  wegen  des  sehr  ungleichen  Verhaltens 
der  Bakterienarten  nicht  durchführen. 

§  16.  Koagulierende  und  andere  desinfizierende  Einflüsse. 
Sehen  wir  zu,  ob  es  gelingt,  mit  Hilfe  anderer  Reagentien  über  den  Bau 
der  Mikroben  bzw.  der  uns  wegen  ihrer  Abweichungen  von  anderen  Klein- 
wesen in  erster  Linie  interessierenden  Bakterien  ins  Klare  zu  kommen. 
Morphologische  Veränderungen  werden  nach  Einwirkung  der  von 
Gamaleia  (§  6)  sogenannten  koagulierenden,  d.  h.  der  meisten 
desinfizierenden  Mittel  kaum  beobachtet.  Ob  sie  wirklich  alle  in  den 
Verdünnungen,  in  denen  sie  töten,  koagulierend  wirken,  ist  übrigens 
zweifelhaft.  Oft  genug,  so  z.  B.  bei  den  schweren  Metallsalzen,  wird 
jedenfalls  die  physikalische  —  niederschlagende  Wirkung  —  begleitet 
von  einer  chemischen  Bindung,  die  vielleicht  das  Wesentliche  an  dem 
zerstörenden  Vorgang  darstellt.  Noch  weniger  wissen  wir  über  die 
Wirkungsweise  anderer  für  Mikroben  giftiger  Stoffe,  wie  z.  B.  des 
Chloroforms,  des  Toluols  usw.,  die,  wie  wir  schon  sahen,  zum  Teil 
dadurch  für  die  Biochemie  wichtig  geworden  sind,  daß  sie  die  Lebens- 
tätigkeit der  Mikroben  nicht  vollständig  und  plötzlich  aufheben,  son- 
dern gewisse  Fermentvorgänge  (z.  B.  die  Selbstverdauung  §  9)  mehr 
oder  weniger  unberührt  lassen  und  dadurch  mittelbar  auch  morpho- 
logische Veränderungen  tiefgehendster  Art  veranlassen.  Schließlich 
gehören  hierher  auch  die  Farbstoffe,  deren  zum  Teil  spezifische  anti- 
septische Leistungen  gegenüber  einzelnen  Bakterienarten  und  Proto- 
zoen schon  früher  und  neuerdings  wieder  differentialdiagnostische  und 
therapeutische  Verwendung  gefunden  haben.  Auf  sie  werden  wir  im 
folgenden  wegen  ihrer  Bedeutung  für  die  mikroskopische  Zellenlehre 
näher  eingehen,  während  wir  die  Erörterung  der  Giftwirkungen,  weil 
sie  nicht  in  dies  Gebiet  schlägt,  an  anderer  Stelle  fortsetzen  werden 
(§  55). 

§  17.  Farbstoffe.  Kernfärbungen  bei  Bakterien.  Wegen 
ihrer  für  das  Auge  auffallenden  Wirkimgen  besonders  viel  studiert  sind 
die  Farbstoffe.  Allerdings  wollen  wir  gleich  vorwegnehmen,  daß 
die  Hoffnungen,  die  man  wegen  der  glänzenden  Ergebnisse,  die  sie 
in  der  höheren  Gewebs-  imd  Zellenlehre  geliefert  haben,  auf  sie  gesetzt 
hat,  bei  den  Bakterien  sich  nicht  oder  wenigstens  nicht  in  der  gleichen 
Richtung  erfüllt  haben.  Denn  es  ist  bisher  nicht  mit  Sicherheit  oder 
auch  nur  Wahrscheinlichkeit  gelungen,  bei  ihnen  den  typischen  Bau 
der  höheren  Zellen,  vor  allem  das  Vorhandensein  echter  Kerne  nach- 
zuweisen. Die  sehr  große  Literatur  über  diese  Frage  hier  ausführlich 
zu  besprechen,  ist  nicht  unsere  Aufgabe,  zumal  da  das  bis  in  die  letzte 
Zeit  hinein  oft  genug  geschehen  ist.    Schon  der  Umstand,  daß  sich 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  39 

die  abweichendsten   Ansichten   über   die   Natur   der   Bakterienkerne 
noch  schroff   gegenüberstehen,   spricht  dafür,   daß   eine   Lösung  des 
Problems  nicht  gefunden  worden  ist,  oder  vielleicht,  besser  gesagt, 
auf  dem  begangenen  Wege  überhaupt  nicht  gefunden  werden  kann. 
Als  Kerne  hat  man  angesehen  erstens  die  Hauptmasse  der  Bakterien 
selbst,  indem  man  entweder  mit  B  ü  t  s  c  h  1  i^),   Löwit,   Boni, 
Z  e  1 1  n  o  w  den  nach  den  gewöhnlichen  Methoden  allein  fäxbbaren 
Teil  als  einen  dem  Zentralkörper  der  Cyanophyceen  vergleichbaren 
Kern  und    die   meist  schwerer,   z.  B.   durch   Geißelfärbung   darstell- 
baren Hülle  als  Plasma  betrachtete,  oder  unter  Ablehnung  der  letzten 
Deutung  die  ganzen  Bakterien  mit  Hüppe,  Klebs,  Wahr- 
lich u.  a.  als  Zellkerne  oder  mit  R  u  z  i  c  k  a  und  A  m  b  r  o  z  wenig- 
stens als  Analoga  des  Zellkerns  ansprach.^)    Eine  zweite  Reihe  von 
Forschem  hält  an  der  Zellennatur  der  Bakterienmasse  fest  und  glaubt 
darin  diese  oder  jene  meist  erheblich  an  Masse  zurücktretenden,  kömigen 
oder  stäbchenförmigen,  in  der  Ein-  und  Mehrzahl  vorhandenen  Be- 
standteile als  Kerne   deuten  zu   dürfen   (Schottelius,   Sjöb- 
ring,  A.  Meyer*)  und  Grimme,  Feinberg,  Nakanishi, 
Vejdowsky,    Rayman    und    Kruis,    Mencl,    Preisz, 
Amato  u.  a.).    Auf  Grund  der  Tatsachen,  daß  die  färbbare  Sub- 
stanz der  Bakterien  oft  in  verteiltem  Zustand  auftritt  und  sich  ge- 
legentUch  im  Lauf  der  Sporenbildung  zu  einem  massigen  Körper  ver- 
dichtet, hat  man  femer  mehr  oder  weniger  ausdrücklich  von  einem 
im  Plasma  verteilten  „Chromidialnetze"  gesprochen  (R.  H  e  r  t  w  i  g  , 
Schaudinn*)   u.    a.^)   oder   läßt,    wie    S  we  lle  n  gr  e  b  e  1®),   in 
den  Bakterien  nicht  einen  eigentlichen  Kern  im  Zellplasma  gelten, 
sondern  nur  „Chromatin",  das  bald  „diffus  verteilt",  bald  in  „Quer- 
binden, Zickzacklinien  oder  Netzen  angeordnet",  bald  „zentralisiert" 
auftrete,  in  einem  „Amphiplasma".    Wenn  man  sich  durch  ungleiche 
Ausdrücke  nicht  beirren  läßt,  findet  man  keinen  großen  Unterschied 
zwischen  den  von  Schaudinn,  Swellengrebel    und  selbst 
R  u  z  i  c  k  a  und  A  m  b  r  o  z  vertretenen  Anschauungen  und  der  von 
Weigert,  Mitrophanow,  zuletzt  von  G  o  t  s  c  h  1  i  c  h')  ge- 
äußerten,   wohl    von    den    meisten    Bakteriologen    und    Botanikern 
(Fischer,   M  i  g  u  1  a)  geteilten  Ansicht,  in  den   Bakterien 


1)  Bau  der  Bakterien,   1890. 

2)  Vgl.  Lit.  namentlich  bei  Ambro  z,  Zentr.  Bakt.  51.  213,  1909. 

3)  Flora  84,  Erg.  H.  1897;  86,   1899. 

4)  Aroh.  Protist.  1,  1902;  vgl.  ebenda  2,  1903. 

6)  Vgl.  bei  Ruzicka,  Zentr.  Bakt.  23.  289,   1909. 

6)  Arch.  f.  Hyg.  70.  400,   1909. 

7)  KoUe-Wasserraann  Handb.,  2.  Erg.  Bd.,  S.  5,  1907. 


40  Kap.  I,    §  17  u.  18. 

seien  die  beiden  Hauptbestandteile  der  höheren 
Zelle,  Kern  und  Zellplasma,  noch  nicht  scharf 
geschieden,  sondern  mehr  oder  weniger  innig 
gemischt,  d aneben  aber  noch  eine  bald  stärker,  bald  schwacher 
ausgebildete  Hülle  (Membran,  Ektoplasma)  vorhanden.  Wir  hätten 
Neigung,  uns  dieser  Meinung  anzuschließen,  betonen  aber  ausdrück- 
lich, daß  die  Vorstellung,  die  Bakterien  seien  Analoga  der  Kerne,  in 
der  allgemein  anerkannten  Verwandtschaft  für  Kemfarben  und  der 
schon  von  Wahrlich,  Buzicka,  Swellengrebel  für 
einzelne  Fälle  und  von  F  e  r  m  i  und  uns  allgemein  nachgewiesenen 
Widerstandsfähigkeit  gegen  Pepsin  Verdauung  (§  10)  auf  den  ersten 
Blick  eine  Stütze  findet.  Wir  würden  danach  der  obigen  Definition 
hinzuzufügen  haben,  daß  die  kernähnlichen  Bestandteile  in  den  Bak- 
terienzellen stark  überwiegen.  Indessen  dürfen  wir  die  Kemähnlich- 
keit  der  Bakterienmasse  nicht  überschätzen.  Zunächst  steht  folgendes 
fest:  Ebensowenig  wie  dem  gewöhnlichen  Zellplasma  entspricht  der 
Bakterienleib  in  der  Hauptsache  durchaus  dem  gewöhnlichen 
Zellkern.  Mindestens  ein  großer  Teil  von  Bakterien,  die  soge- 
nannten gramfesten,  unterscheiden  sich  von  den  Kernen  durch  ihr 
Verhalten  zu  Farben  imd  Lösungsmitteln  sehr  erheblich;  sie  sind  nicht 
nur  besonders  intensiv  färbbar  und  gramfest,  sondern  widerstehen 
auch  vollständig  der  Einwirkung  von  Pepsinsalzsäure,  Trypsin  und 
verdünnter  Kalilauge.  Die  gleichen  Eigenschaften  finden  sich  bei 
anderen  Zellarten  nur  ausnahmsweise  wieder,  unseres  Wissens  näm- 
lich, wenn  man  von  den  verhornten  Zellen  absieht,  nur  bei  den  Pilzen. 
Femer  zweigt  sich  von  den  grampositiven  Bakterien  eine  weitere 
Gruppe  ab,  die  der  säurefesten  Bazillen,  die,  außer  durch  ihre  Färb- 
barkeit,  durch  ihren  Widerstand  auch  gegen  starke  KaUlauge  und 
Antiformin  gekennzeichnet  sind.  Etwas,  was  ihnen  an  die  Seite  zu 
setzen  wäre,  scheint  sich  sonst  im  ganzen  Reiche  der  Lebewesen  nicht 
zu  finden.  Offenbar  müssen  wir  uns  über  das  Wesen  der  Gramfestig- 
keit und  der  Säurefestigkeit  einigen,  bevor  wir  etwas  Bestimmtes  über 
die  Natur  der  Bakterienzelle  aussagen  dürfen. 

§  18.  Gramfestigkeit.  Die  wenigen  Forscher,  die  sich  bisher  mit 
den  Ursachen  der  Gramfestigkeit  abgegeben  haben,  namentlich  Unna, 
A.  Fischer^),  Grimme*),  Brudny^),  Eisenberg*),  sind 
verschiedener  Ansicht.  Unna  glaubt,  das  Fortbestehen  der  Färbimg 
bei  den  gramfesten  Bakterien  erkläre  sich  am  besten  aus  einer  festen 

1)  Färbung,  Fixierung  und  Bau  des  Protoplfitömas,  1899. 

2)  Zentr.  Bakt.  1.  Abt.  32.  163,  1902. 

3)  Ebenda  2.  Abt.  21.  66,  1908. 

4)  Ebenda  1.  Abt.  49,  473  ff,  1909.    Vgl.  auch  ebenda  53,  1909. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  41 

chemischen  Verbin  du  n  g  „Gewebe  -\-  Pararosanilinsalz  + 
Jod  im  Inneren  der  Bakterien",  während  die  gramnegativen  Gewebe 
die  Jod-Pararo6anilinverbindung  nur  locker  bänden  und  darum  bei 
der  Alkoholbehandlung  nicht  festhielten.  Dieser  Auffassung  schloß 
sich  Grimme  an  und  lehnte  die  von  Fischer  versuchte  physika- 
lische Erklärung  ab,  weil  weder  die  Entfernung  der  Hülle  durch  kurzes 
Aufkochen  in  5  prozentiger  Salzsäure  noch  eine  Lockerung  des  Plas- 
mas durch  Behandlung  mit  Pepsinsalzsäure,  Trj^in,  5  prozentige 
Kalilauge  und  Natriumkarbonat  die  Gramfestigkeit  beeinträchtigen. 
Fischer  folgert  dagegen  aus  der  Beobachtung,  daß  eine  durch  For- 
maldehyd, Platinchlorid  oder  Ealiumbichromat  gefällte  Albumose 
um  so  gram-  und  säurefester  ist,  je  größer  die  Granula  sind,  daß  die 
beiden  Eigenschaften  auf  einem  größeren  Substanzreichtum  und  der 
damit  verbundenen  größeren  Absorptionsfähigkeit  der  gram-  und 
säurefesten  Bakterien  beruhe.  Ein  zweiter  Schüler  A.  Meyers, 
B  r  u  d  n  y  ,  nimmt  diesen  an  sich  wohl  berechtigten  Gedankengang 
wieder  auf,  setzt  ihn  allerdings  in  einer  wenig  überzeugenden  Weise 
fort,  indem  er  zunächst  voraussetzt,  daß  die  Intensität  der  Farbstoff- 
absorption mit  der  Größe  der  intermizellaren  Räume  zimehmen  müsse. 
Da  mit  dieser  Größe  auch  die  Durchlässigkeit  des  Plasmas  für  große 
Moleküle  steige,  könnte  das  Jod  tief  in  das  Innere  der  gramfesten 
Bakterien,  in  das  der  gramnegativen  nur  oberflächlich  eindringen. 
Deshalb  würden  die  ersten  mit  der  Pararosanilinjodverbindung  stärker 
gesattigt  sein  und  der  Entfärbung  durch  Alkohol  Widerstand  entgegen- 
setzen, oder,  wie  nach  d^n  Untersuchungen  Neides^)  besser  gesagt 
wild,  langsamer  durch  Alkohol  entfärbt  werden.  Andererseits  könnte 
aber  nach  Fischer  die  Undurchlässigkeit  für  gelöste,  chemisch 
indifferente  Stoffe  auch  an  der  Plasmolysierbarkeit  (§  2)  erkannt 
werden,  die  plasmolysierbaren  Bakterien  müßten  also  gramnegativ, 
die  nicht  plasmolysierbaren  grampositiv  sein.  Das  ist  nun,  wie  B  r  u  d  n  y 
nachweist,  tmd  wie  leicht  zu  bestätigen  ist,  allerdings  der  Fall.  Sind 
aber  darum  die  Schlußfolgerungen  dieses  Forschers  über  das  Wesen 
der  Gramfestigkeit  auch  richtig?  Meines  Erachtens  ist  kaum  ein 
einziger  seiner  Sätze  haltbar  oder  gar  bewiesen.  Die  größere  Dichte 
der  Bakteriensubstanz  imd  deren  größere  Absorptionsfähigkeit  kann 
nicht  auf  der  Größe  ihrer  intermizellaren  Bäume,  sondern  muß 
gerade  umgekehrt  auf  ihrer  Kleinheit  beruhen,  denn  je  kleiner 
die  Poren  einer  absorbierenden  Substanz,  z.  B.  des  Sandes  sind,  desto 
gröfier  ist  bekanntlich  die  Gesamtoberfläche  ihrer  Teilchen,  desto 
größer   auch   ihr    Absorptionsvermögen.     Auch    die    größere    Dichte 

1)  Zentr.  Bakt.  35,  1904. 


42  Kap.  I,   I  18. 

können  wir  uns  doch  nur  so  zustandegekommen  denken,  daß  die 
zwischen  größeren  Teilchen  vorhandenen  Poren  möglichst  durch  kleine 
ausgefüllt  sind.  Dadurch  werden  aber  die  Poren  wieder  verkleinert 
und  die  Oberfläche  vergrößert.  Weiter  ist  durch  nichts  bewiesen, 
daß  das  Jod  sich  ebenso  verhält  wie  die  „indifferenten"  Stoffe,  die 
Plasmolyse  bewirken;  höchstens  von  dem  Jodkalium,  das  in  der  Lugol- 
schen  Lösung  neben  dem  Jod  vorhanden  ist,  könnte  man  das  sagen. 
Nun  weiß  man  zwar  seit  Gram,  daß  alkoholische  Jodlösung  die  Re- 
aktion nicht  hervorbringt,  ebensowenig  Jodkalium,  sondern  nur  die 
Lugolsche  Lösung.  Um  die  Durchlässigkeitstheorie  aufrecht  erhalten 
zu  können,  müßte  man  also  annehmen,  daß  mit  der  Lugolschen  Lösung 
das  Jod  leichter  einzudringen  vermöge  als  mit  der  alkoholischen, 
also  eher  in  Form  kleiner  Moleküle  darin  enthalten  sei.  Davon 
wissen  wir  nichts.  Endlich  ist  die  Fischer  sehe  Deutung  der  Plasmo- 
lyse auch  nicht  bewiesen.  Die  mangelhafte  Plasmolysierbarkeit  der 
gramfesten  Bakterien  brauchte  nicht  auf  leichterer  Durch- 
gängigkeit für  gewisse  Stoffe,  sond^^rn  könnte  gerade  auf  der 
von  Fischer  selbst  für  die  Erklärung  der  Gram-  imd  Säurefestig- 
keit herangezogenen  größeren  Dichtigkeit  des  Zellkörpers, 
d.  h.  seiner  schwereren  Durchgängigkeit  für  alle 
Stoffe,  einschließlich  Wasser  beruhen,  soweit  sie  nicht  auf  einen 
festeren  Zusammenhang  zwischen  Membran  und  Zellkörper,  der  beide 
unter  dem  Einfluß  wasserentziehender  Mittel  gemeinsam  schrumpfen 
läßt,  zu  beziehen  ist.  Eisenberg  erklärt  sich  ebenfalls  für  die 
Durchlässigkeitstheorie,  will  aber  die  Unterschiede  mehr  in  die  Mem- 
bran und  die  plasmatische  Rindenschicht,  die  zusammen  als  „Ekto- 
plasma"  bezeichnet  werden,  als  in  den  eigentlichen  Zellkörper,  das 
Endoplasma,  verlegen  und  beruft  sich  dafür  auf  Bilder,  die  er  bei 
gewissen  Veränderungen  des  Gram  sehen  (oder  Claudius  sehen) 
Verfahrens  erhielt,  und  in  denen  das  Ektoplasma  die  Farbe  stärker 
bzw.  länger  festhielt  als  das  Endoplasma. 

Die  meisten  übrigen  Forscher  benennen  umgekehrt  die  nach 
innen  gelegene,  viel  dünnere,  namentlich  bei  vitaler  Färbung  leichter 
als  solche  darstellbare  „Rindenschicht"  Eisenbergs  Membran 
und  die  äußere,  viel  dickere,  schwer  färbbare  „Membran"  Schleim- 
hülle. Die  sogenannte  „Kapsel"  ist  nach  der  gewöhnlichen  Ansicht 
nur  die  unter  bestimmten  Bedingungen  besonders  stark  entwickelte 
(s.  o.  §  4)  Schleimhülle,  die  freilich  manchmal  Schichtung  erkennen 
läßt.  Eisenberg  wird  wesentlich  durch  den  Umstand  zu  seiner 
Ausdrucksweise  verführt,  daß  nach  Einwirkung  schrumpfender  Mittel 
seine  Rindenschicht  sich  (bei  grampositiven  Bakterien)  mit  dem  eigent- 
lichen   Bakterienkörper   zusammen    von   der    Schleimschicht   zurück- 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  43 

zieht.    Wir  haben  daraus  früher  (§  2)  den  Schluß  gezogen,  daß  die 
,,Membran^*  der  Autoren  bei  gramfesten  Bakterien  entweder  elastisch 
sei  oder  überhaupt  nur  eine  festere  Rinde  darstelle,  die  sich  nicht  von 
dem  Zelleib  trennen  lasse,  können  also  in  dieser  Beziehung  gegen 
Eisenbergs  Bezeichnung  nichts  einwenden.    Statt  seiner  „Mem- 
bran'^ möchten  wir  aber  lieber  den  alten  Namen  Schleimhülle  bei- 
behalten (§  20).    Wir  geben  zu,  daß  die  gewöhnlich  schwer  oder  gar 
nicht  färbbaren  Außenschichten  der  Bakterien  bei  der  Gram  sehen 
Methode  sich  mitfärben,  weshalb  die  danach  behandelten  Bakterien 
ganz  allgemein  größer  erscheinen  als  die  anders  gefärbten.     Ebenso 
ist  das  ja  bei  allen  Bakterien  nach  der  Geißelfärbung  der  Fall.    Das 
beweist  aber  nur,  daß  man  bei  sehr  starker  Färbung,  Anwendung 
von  Beizen  u.  dgl.  die  äußere  Bakterienhülle  mitfärben  kann.    Aber 
nur  ausnahmsweise  erhält  man  doch  die  von  Eisenberg  in  den 
Vordergrund   gerückten   Bilder,   gewöhnlich   eine   mindestens   ebenso 
starke  und  haltbare  Färbung  im  Inneren  des  Zellkörpers.   Dafür,  daß 
die  physikalische  oder  chemische  Beschaffenheit  der  Außenschichten 
an  dem  Zustandekommen  der  Gram  sehen  Reaktion  wesentlich  be- 
teiligt sei,   hat   man  deshalb   nicht  den   geringsten   Anhaltspunkt.^) 
Und  erst  recht  sehen  wir  nicht  ein,  wie  gerade  die  Durchlässigkeit  der 
äußeren  Schichten  an  dem  Erfolge  der  Gramfärbung  schuld  sein  soll. 
Mit  einem  Schlage  wird  dagegen  das  Wesen  der  letzteren  aufgeklärt 
durch  den  oben  von  uns  gelieferten  Nachweis^),  daß  die  gram- 
festen   Bakterien    gegen    Iprozentige    Kalilauge 
sowohl    wie    gegen    Try  psi  n  v  er  d  auun  g    im    allge- 
meinen viel  widerstandsfähiger  sind  als  die  üb- 
rigen.   Das  kann  natürlich  nicht  erklärt  werden 
durch   ihre    zu    große,    sondern    höchstens    durch 
ihre  zu  geringe  Durchlässigkeit,  die  man  am  ein- 


1)  Umgekehrt  ist  zuzugeben,  daß  bei  schwachen  Färbungen  die  Be- 
schaffenheit der  Außenschicht  von  Bedeutung  ist.  Starke  Sehleimhüllen 
verhindern  in  diesem  Falle  leicht  den  Eintritt  der  Farbe  ins  Innere.  Ebenso 
sind  wohl  zu  beurteilen  die  sog.  vitalen,  d.  h.  im  frischen  Zustand  vorge- 
nommenen Färbungen,  die  nicht  nur  eine  erheblich  schwächere  Annahme  der 
Farbe  im  ganzen  ergeben,  sondern  auch  oft  eine  ungleichmäßige,  in  der 
Peripherie  stärkere  Färbung  (A.  Meyer,  Grimme  a.a.O.).  Über 
\itale  Färbungen  vgl.  femer  Büchner,  Zentr.  Bakt.  7.  733.  P  1  a  t  o  , 
Arch.  mikr.  Anatom.  56  und  Zeitschr.  f.  Hyg.  38  (Neutralrot);  P6ju 
und  K  a  j  a  t ,  Soc.  biol.  25.  V.  1907  (Unterscheidung  der  einzelnen  Farben 
in  Nährböden).    S.  u.  (§  22)  auch  die  Färbxmg  von  Fett  und  Volutin. 

2)  Vgl.  Kruse,  Beziehungen  zwischen  Plasmolyse,  Verdaulichkeit, 
Ukliolikeit  und  Färbbarkeit  von  Bakterien.  Vorlauf.  Mitt.  Münch.  med. 
Wochenschr..  1910,  Nr.   13. 


44  Kap.  I,   §§  18--20. 

fachstenmitA.  Fischer  auf  eine  größere  physika- 
lischeDicliti  gkei  tdesZellkör  persdergr  amf  esten 
Bakterien   zurückfüliren   dürfte.     Aber   auch   die 
Auffassung  Unnas  hätte  hier  vorläufig  Gleich- 
berechtigung   in    dem     Sinne,     daß    die    größere 
Widerstandsfähigkeit    gegenüber    der    Grambe- 
handlung sowie  den  Lösungsmitteln  auf  chemi- 
schen Unterschieden  beruhte.   Die  Entscheidung  darüber, 
welche  dieser  beiden  Erklärungen  die  richtige  ist,  ließe  sich  vielleicht 
treffen  durch  Untersuchungen  über  das  Verhalten  der  gründlich  zer- 
riebenen   Bakterienkörper     gegenüber    den    genannten    Reagentien. 
Übrigens  schließen  sich  die  physikalische  und  chemische  Auffassung 
nicht  gegenseitig  aus,   sondern   der  besondere  chemische  Charakter 
der  gramfesten  Bakterienmasse  könnte  ganz  gut  mit  einer  größeren 
Dichtigkeit,  einem  festeren  Zusammenhalten,  vereinigt  sein,   das  ja 
bei   manchen   Bakterien  nach   den   Zerquetschungsversuchen   zu   be- 
stehen scheint  (s.  o.  §  5).   Stellen  wir  uns,  wozu  wir  wegen  der  außer- 
ordentlich   großen    Widerstandsfähigkeit    der    gramfesten    Bakterien 
gegenüber  Trypsin  und  Kalilauge  große  Neigung  verspüren,  auf  den 
chemischen  Standpunkt,  so  werden  wir  fragen  können,  ob  nicht  diese 
Widerstandsfähigkeit  auf  einer  besonderen  Beschaffenheit  des  Bak- 
teriennukleins  und  damit  der  Eemstoffe  beruhen  könnte.    Dagegen 
spricht  aber  anscheinend  die  Tatsache,  daß  auch  die  Pilze,  und  ins- 
besondere die   Sproßpilze,   deren  Eernhaltigkeit  nach  fremden   und 
eigenen  Beobachtungen  feststeht,  in  ihrem  ganzen  Plasma,  also  auch 
außerhalb  der  Kerne,  die  Gramfärbung  annehmen.    Ein  gewisser  Zu- 
sammenhang zwischen  Gramfestigkeit  und  Kernsubstanz  ist  auf  der 
anderen  Seite  insofern  nicht  zu  leugnen,  als  ganz  allgemein  die  Ge- 
webskeme  nach   Gram  langsamer  entfärbt  werden  als  das  Plasma. 
Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  daß  die  oft  gemachte  Erfahrung 
(vgl.  Eisenberg  a.  a.   0.),  wonach  Bakterien  im  Zustande  des 
Alters,  der  Entartung,  des  Zerfalls  ihre  Gramfestigkeit  verlieren  kön- 
nen, und  die  ebenso  bekaimte  Tatsache,  daß  die  Gramfestigkeit  eine 
Eigenschaft  ist,  die  verschiedene  Grade  aufweist,  sowohl  der  physika- 
lischen als  der  chemischen  Erklärung  zugänglich  ist. 

§  19.  Säurefestigkeit.  Auch  die  sogenannte  Säurefestigkeit 
wird,  wie  wir  sahen,  durch  Fischer  aiuf  eine  größere  Substanzdichte 
zurückgeführt,  und  für  diese  Deutung  spricht  auf  den  ersten  BUck 
der  doppelte  Umstand,  daß  außer  den  Tuberkelbazillen  und  Ver- 
wandten alle  echten  Bakteriensporen,  deren  Aussehen  und  Wider- 
standsfähigkeit gegen  schädliche  Einflüsse  man  gern  durch  große 
Dichtigkeit   erklärt,    säurefest,    und   daß   die   säurefesten    Bakterien 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  45 

gleichzeitig  gramfest  sind,  ja,  nach  älteren  und  neueren^)  Beobach- 
tungen Entwickelungsstadien  zu  durchlaufen  scheinen,  in  denen  sie 
nicht  saure-,  wohl  aber  gramfest  sind.  Indessen  sind  auch  andere 
Deutungen  aufgestellt  worden.  So  sollte  nach  Ehrlich  die  Hülle 
der  Bazillen  für  Säure  undurchlässig  sein,  nach  H  e  1  b  i  n  g  und  R  u  p  - 
p  e  1  die  Säuref estigkeit  an  dem  Gehalt  der  Bakterien  an  Chitin  oder 
chitinähnliclien  Stoffen  (§  27),  nach  zahlreichen  Forschern  an  ihrem 
Fett-  und  Wachsgehalt  (§26)  liegen,  oder  auch  allen  möglichen  Bestand- 
teilen ihres  Körpers  anhaften  (Auclair  und  Paris).  Nach  Grimme^) 
soll  es  ein  Stoff  sein,  der  in  heiBem  Xylol,  80  prozentigem  Alkohol, 
J  a  V  e  1 1  e  scher  Lösung  ^),  0,5  prozentiger  Salzsäure,  weit  weniger 
gat  in  Äther,  nicht  in  Yerdauungsflüssigkeiten  löslich  ist  bzw.  durch 
sie  zerstört  wird,  also  sich  nur  in  einzelnen  Beziehungen  wie  ein  Fett 
verhält.  Das  Vorratsfett  der  Bazillen  wäre  nach  Grimme  über- 
haupt nicht  säurefest,  sondern  geradezu  die  Ursache  der  ungefärbten 
Lücken  in  den  Bazillen  (s.  u.  §  22).  Eine  eigentümliche  Beziehung 
der  Säurefestigkeit  zur  Fettaufspeicherung  der  Bakterien  sah  aber 
G  r  i  m  noL  e  insofern,  als  er  nicht  nur  die  Sporenanlagen,  sondern  auch 
die  jüngeren  Keimstäbchen  des  Bac.  tumescens,  mycoides  und  anderer 
Bakterien,  die  Fett,  nicht  Glykogen  aufzuspeichern  pflegen,  säure- 
fest fand.  Das  erinnert  an  die  freilich  ebenso  oft  bestrittene  Angabe 
älterer  und  neuerer  Forscher,  nach  der  Bakterien  durch  Fetternäh- 
ning  Säurefestigkeit  gewinnen  sollen  (§  349).  Die  Sachlage  ist  offen- 
bar noch  nicht  geklärt,  wahrscheinlich  gibt  es  aber  verschiedene  Ur- 
sachen der  Säurefestigkeit. 

Für  das  Zellproblem  ist  die  Säurefestigkeit  mancher  Bakterien 
wohl  nur  dadurch  wichtig,  daß  sie  für  die  Zelle  eine  Zusammensetzung 
bezeugt,  die  sonst  im  Bereich  der  Lebewesen  höchstens  einzelnen  Zell- 
teilen zukommt.  Eine  besondere  Beschaffenheit  der  Eemstoffe  in 
den  Bakterien,  wie  sie  sich  vielleicht  in  der  Gramfestigkeit  darstellt, 
beweist  sie  aber  wohl  nicht. 

§  20.  Schlüsse  aus  den  Farbreaktionen  auf  die  Natur 
der  Bakterienzelle.  Das  Ergebnis  der  §§  17—19  ist,  daß  die  Zu- 
sammensetzung der  Bakterienleiber  trotz  mancher  Ähnlichkeit  mit  der 
Kemmasse  in  vielen  Beziehungen  so  eigentümlich  ist,  daß  wir  schon  des- 


1)  Vgl.  Much,  Beitr.  Klin.  Tukerkulose,  8, 1907,  Berl.  klin.  W.  1908,14. 
W  i  r  t  h  B  ,  Manch,  med.  Wochenschr.,  1908,  32.  Vielleicht  besteht  eine 
Beziehung  der  gramfesten  Kömchen  zu  den  Spenglerschen  Bazillensplittem 
(Zeitechr.  f.  Hyg.  49).  Die  ganze  Frage  ist  aber  noch  nicht  spruchreif. 
Vgl  Berger,  Zentr.  Bakt.  53.  174,  1910,  mit  Lit. 

2)  Zentr.  Bakt.  32.  165,  1902,  mit  Lit. 

3)  S.  auch  oben  §  12. 


46  Kap.  I,   §  20  u.  21. 

wegen  die  Analogie  der  Bakterien  mit  Kernen  nicht  als  zutreffend  an- 
erkennen können.  Dazu  kommt  noch  die  äußere  Ausstattung  dieser 
Leiber  mit  Geißeln  und  Hüllen  und  die  innere  mit  Fermenten,  Giften  usw., 
d.  h.  mit  Organellen  und  Stoffen,  die  wir  sonst  als  Erzeugnisse  des 
Protoplasmas  anzusehen  gewohnt  sind.  Eine  durchschlagende  Be- 
deutung haben  freilich  diese  Erwägungen  auch  nicht,  denn  bei  manchen 
Protozoen  hängen  die  Geißeln  doch  mit  dem  Kern  und  nicht  mit  dem 
Plasma  zusammen,  und  den  Ursprimg  der  Fermente  usw.  kennen  wir 
überhaupt  nicht,  sondern  höchstens  ihre  schließliche  Lagerung  im 
Plasma.  Wenn  wir  die  Dinge  im  ganzen  betrachten,  ziehen  wir  des- 
halb vor,  statt  den  Bakterienkörper  als  ein  reichlich  mit  Kemstoffen 
durchsetztes,  zum  Teil  mit  einer  deutlichen  Membran,  mindestens 
aber  mit  einer  Schleimhülle  umkleidetes  Plasma  zu  bezeichnen,  itm 
als  Bildung  besonderer,  sonst  nicht  vorkom- 
mender Art  anzuerkennen,  die  man  dann  besser  nicht 
Zelle,  sondern  etwa  mit  dem  H  ä  c  k  e  1  sehen  Wort  Zjrtode  nennt. 
Membran  und  Schleimhülle  könnte  man  allenfalls  als  Ektoplasma 
zusammenfassen,  müßte  sich  aber  dabei  bewußt  bleiben,  daß  es  sich 
um  Bildungen  handelt,  die  verschieden  sind  von  anderen  so  genannten 
Bildimgen,  z.  B.  dem  Ektoplasma  der  Amöben.  Auch  in  dieser  Be- 
ziehung bestehen  freilich  Meinungsverschiedenheiten.  So  wollen 
manche  Forscher,  wie  M  i  g  u  1  a  und  Schaudinn  auf  Grund  von 
Bildern,  die  bei  Geißelfärbungen  plasmolysierter  Bakterien  erhalten 
worden  sind,  die  Geißeln  vom  Ektoplasma  ausgehen  lassen.  Wir  miß- 
trauen mit  A.  Meyer  diesen  Bildern,  da  sie,  soweit  sie  überhaupt 
deutlich  sind,  ganz  gut  Kunstprodukte  sein  können.^)  Wenn  wir  im 
Gegensatz  dazu  Membranen  und  namentlich  Schleimhüllen  mehr  ak 
Absonderungen,  denn  als  lebende  Bestandteile  dieser  selbst  auffassen, 
so  wird  damit  nicht  bestritten,  daß  sie  einen  hohen  biologischen  Wert 
besitzen  können,  indem  sie  als  Schutzorgane  dienen,  Antigene  auf- 
gespeichert enthalten  u.  dgl.  (§  4).  Über  die  gröbere  chemische  Natur 
der  Membran  können  wir  bisher  wenig  Sicheres  aussagen,  da  die  mikro- 
und  makrochemische  Reaktion  auf  Zellulose  oder  Chritin  nur  aus- 
nahmsweise ein  Ergebnis  geliefert  hat  (§  27).  Etwas  besser  sind  wir 
über  die  chemische  Zusammensetzung  der  Schleimhüllen,  die  übrigens 
zu  wechseln  scheint,  unterrichtet  (§  27  u.  129),  allerdings  nur  über 
die  gröbere,  während  die  feineren,  aber  biologisch  gerade  wohl  wich- 
tigeren Bestandteile  der  Hülle  der  Analyse  entgehen  und  die  Färbungen 
(Gram,  Löffler§  18,  Giemsa  §4)  uns  ebenfalls  wenig  sagen. 


1)  S.  auch  die  Beobachtungen  von  E  1 1  i  s  ,   Philos.  Dissert.  Msu'burg 
1903,  S.  31. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten,  47 

Man  hat  auch  versucht,  durch  Untersuchungen  im  frischen  und 
namentlich  im  gefärbten  Zustand  über  den  physikaUschen  Bau  des 
Bakterienkörpers  Klarheit  zu  gewinnen,  wir  erinnern  an  die  Be- 
mühungen Bütschlis,  eine  wabige  Beschaffenheit,  imd  an  die 
Fischers  und  M  i  g  u  1  a  s  ^),  einen  zentralen  Saftraum  (Vakuole^)) 
in  den  Bakterien  nachzuweisen.  Sie  haben  keinen  Anklang  gefunden 
und  verdienen  es  auch  nicht,  da  selbst  bei  den  größten  Formen  die 
betreffenden  Bildungen  nicht  regelmäßig  genug  sind  und  bei  den 
kleinen  alle  Versuche  im  Stich  lassen. 

§  21.  Körnerfärbnngen.  Über  die  Angaben  derjenigen  Forscher, 
die  sich  mit  Erfolg  bemüht  zu  haben  glauben,  einen  oder  mehrere 
echte  Kerne  im  Inneren  des  eigentlichen  Bakterienkörpers  aufzu- 
decken, sind  wir  oben  (§  17)  kurz  hinweggegangen,  weil  uns  der  Beweis 
für  die  Kernnatur  der  betreffenden  Gebilde  nicht  erbracht  zu  sein 
scheint.  Wenn  wir  davon  absehen,  daß  sie  manchmal  offenbar  optische 
Täuschungen  der  Kunstprodukte  sind,  daß  die  in  anderen  Fällen  ge- 
fundenen Kerne  überhaupt  nicht  Bakterien,  sondern  anderen  Mikroben 
zuzugehören  scheinen,  so  bat  man  sicher  zum  Teil  auch  Vorratsstoffe, 
wie  Volutin  und  Fett  (§  22)  oder  Körnchen,  die  an  der  Scheidewand- 
l)ildung')  beteiligt  sind,  für  echte  Kerne  angesehen  oder  auf  metachro- 
matische Färbungen  und  überhaupt  auf  Färbungsreaktionen  zuviel 
Gewicht  gelegt.  Unseres  Erachtens  kann  man  z.  B.,  wenn  man  die 
unregelmäßigen  und  gerade  in  den  jüngsten  und  daher  lebenskräftigsten 
Individuen  oft  negativen  Ergebnisse  der  Romanowski-  (Giemsa-) 
Färbung*)  bei  Bakterien  betrachtet,  kaum  im  Zweifel  sein,  daß  hier- 
durch Kerne  nicht  nachgewiesen  werden  können.  Selbst  das  ist  zweifel- 
haft, ob  es  hierdurch,  wie  durch  andere  Färbungen  möglich  ist,  in 
den  Bakterien  das  Vorhandensein  echten  Chromatins  im  Sinne  der 


1)  Vgl.   System  der  Bakterien,   1.  Bd.,   1897. 

2)  Anders  sind  zu  beurteilen  die  sog.  Zentralkörper,  die  Bütschli 
Nu  manchen  großen,  algenähnlichen  Bakterien  gefunden  \ind  mit  den  Zentral- 
kör])em  der  Spaltalgen  in  Parallele  gestellt  hat.  Bis  in  die  letzte  Zeit  ist 
ü>K*r  die  Kemnatur  dieser  Gebilde  kein  Einverständnis  erzielt  worden.  In- 
dessen darf  zugegeben  werden,  daß  hier  eine  Annäherung  an  den  Kern  vor- 
Heut.  aus  deren  Vervollkommnung  sich  von  den  Spaltalgen  aus  der  wahre 
AlKenkem  entwickelt  haben  mag.  Nicht  wahrscheinlich  aber  ist  es,  daß 
>i(h  der  Kern  der  Protozoen  (Flagellaten),  die  wir  ebenfalls  von  den  Bakterien 
herleiten  (vgl.  §  369)  auf  ähnliche  Weise  bzw.  durch  die  Algonbakterien 
'Phykobakterien)  hindurch  entwickelt  hat. 

3)  S.  Lit.  bei  A  m  b  r  o  z  a.  a.  O. 

4)  Zettnow,  Zeitßchr.  f.  Hyg.  30,  1899,  und  Zentr.  Bakt.  29,  1900. 
VrI.  dazu  F  i  c  k  e  r  ,  Arch.  f.  Hyg.  46.  187,  1903. 


4B  Kap.  I,   {  22. 

höheren  Zellenlehre  aufzudecken.  Man  traut  diesem,  wie  wohl  den 
meisten  mikrochemischen  Identifizierungsverfahren^)  doch  zuviel  zu. 
§  22.  Vorratsstoffe.  Fett.  Volutin.  Das  eine  Gute  haben, 
abgesehen  von  gewissen  praktischen  Anwendungen^),  die  Eörnchen- 
färbungen  gehabt,  daß  sie  den  Anlaß  gegeben  haben  zu  einer  genauen 
mikrochemischen  Untersuchung  der  Bakteriengranula.  Nachdem  das 
Vorkonmien  von  Schwefel  (§  208),  Stärke,  Glykogen  u.  dgl.  (§  27) 
in  den  Bakterien  schon  lange  bekannt  geworden  war,  haben  sich  nament- 
lich A.  M  e  y  e  r^)  und  seine  Schüler,  Gottheil,  Ellis  und 
G  r  i  m  m  e*)  um  den  Nachweis  anderer  in  Körnchenform  abgeschie- 
dener  „Reserve-"  oder  Vorratsstoffe  verdient  gemacht.  Erstens  handelt 
es  sich  um  Fett.  Bei  allen  möglichen  sporen-  und  nichtsporen- 
bildenden  Bakterien,  z.  B.  Erdbazillen,  Pseudomonaden,  Spirillen, 
säurefesten,  namentUch  aber  auch  Milzbrandbazillen  wird  es  in  mehr 
oder  weniger  großen  Mengen,  manchmal  so  reichlich  gebildet,  daß 
die  Zellen  prall  mit  Tröpfchen  gefüllt  zu  sein  scheinen:  Freilich  sind 
sie  nicht  von  allen  Forschern  als  Fett  anerkannt,  sondern  nach  dem 
Vorgang  von  B  u  n  g  e^)  als  „sporogene"  oder  „sporoide"  Körner  be- 
zeichnet worden,  von  Dittrich  und  Liebermeister®)  als 
sauerstoffübertragende  Kömchen,  zuletzt  von  B  u  z  i  c  k  a  als  „Plastin- 
gebilde" bezeichnet  worden.  Mit  der  Sporenbildung  haben  sie  sicher 
nichts  zu  tun,  ja,  sie  finden  sich  mit  Vorliebe  gerade  dann,  wenn  es 
nicht  zu  Sporenbildung  kommt.  Die  Reaktionen  stimmen  auch  durch- 
aus mit  denen  von  Fett  überein,  wie  außer  den  genaimten  Forschern 
S  e  1 1  e  r')  in  meinem  Laboratorium,  Eisenberg®)  imd  auch  später 
Dietrich^)  feststellten;  sie  sind  nämlich  kugelrund  und  fettglänzend, 


1)  Hierher  gehören  auch  die  Versuche  Ruzickas,  Arch.  f.  Hyg. 
51  und  64,  Chromatin,  Plast  in  usw.  in  den  Bakterien  nach  der  Methode  von 
Schwarz  u.  a.  darzustellen.  Über  deren  Unsicherheit  vgl.  Zimmer- 
mann, Morph,  und  Physiol.  des  pflanzlichen  Zellkerns,  1896,  und  weiU^r 
unten  (§  22)  bei  den  Fettreaktionen. 

2)  Z.  B.  haben  sich  die  von  Babes,  A.  Neisser,  Ernst  zu- 
erst beschriebenen  Körner  für  die  Trennung  der  Diphterie-  von  den  Pseudo- 
diphteriebazillen  im  großen  imd  ganzen  gut  bewährt  (M.  Neisser). 
Über  die  Reaktionen  dieser  Diphteriegranula  s.  u.  Volutin.  Vgl.  F  i  c  k  e  r 
Arch.  f.  Hyg.  46.  Dort  auch  über  die  vermeintlichen  Beziehungen  der 
Kömchen    ziu*    Virulenz    (vgl.     §  329). 

3)  a.a.O.  (§17)  imd  Praktikiun  der  botanischen  Bakterienkunde,  1903. 

4)  Zentr.  Bakt.  32  und  36,  352,  1904. 

5)  Fortschr.  d.  Mediz.,   1895. 

6)  Zentr.  Bakt.   32. 

7)  Ebenda,  37,   1904. 

8)  Ebenda  48,  1908  und  51,   1909. 

9)  Zentr.  Path.,  19,  1908. 


Bau  und  mikrochemisches  Verhalten.  49 

färben  sich  namentlich  in  unfixiertem  Zustand  nicht  mit  den  ge- 
brauchlichen basischen  und  sauren  Anilinfarben,  wohl  in  alkoholischem 
Dimethylamidoazobenzol  (gelb),  Sudan  III  (rot),  Indophenolblau, 
Dimethylparaphenylendiamin  +  alkalischem  a-Naphthol  (blau),  und 
auch  mit  manchen  gewöhnlichen  Farbstoffen,  z.  B.  Fuchsin,  wenn 
gleichzeitig  Beizung  in  derselben  Naphthol-  oder  in  alkalischer  Phenol- 
oder Lugollösung  erfolgt^),  Jod  allein  färbt  sie  nur  schwach  gelb, 
J  a  y  e  1 1  e  sehe  Lauge  löst  sie  nicht,  dagegen  konzentrierte  Chloral- 
hydratlösung  und  heiße  alkoholische  Kalilauge.  Die  Säurefestigkeit, 
die  von  Bunge  betont  wurde,  besteht  nicht  überall,  wie  ja  über- 
haupt die  F€urbreaktionen  je  nach  der  Zusammensetzung  des  Fettes 
verschieden  auszufallen,  z.  B.  bei  dem  Fettwachs  der  säurefesten  Bak- 
terien zu  fehlen  scheinen.  So  kommt  es  nach  Grimme,  daß  die 
Fetttropfen  in  Tuberkel-  und  Thimotheebazillen  sich  einerseits  mit 
Hilfe  der  Fettfarben  allein  darstellen  lassen,  andererseits  bei  der  ge- 
wöhnUchen  Tuberkelbazillenfärbung  als  helle  glänzende  Lücken 
(„Sporen"  älterer  und  neuerer  Forscher^))  zwischen  den  säurefesten 
Bestandteilen  hervortreten.  Die  Auffassung  der  Fetttropfen  als  Vor- 
ratsstoffe ist  wohl  ebenfalls  nicht  immer  berechtigt,  z.  B.  macht  die 
Anhäufung  des  Fetts  in  den  Milzbrandbazillen  auf  Glyzerinnährböden 
(Seiter,  Ruzicka)  eher  den  Eindruck  einer  Entartungserschei- 
nung. Das  erinnert  daran,  daß  auch  die  übertriebene  Stärkebildung 
in  den  Butt«rsaurebakterien  von  Graßberger  und  Schatten- 
froh  als  Erkrankung  (eine  Art  „Zuckerkrankheit")  betrachtet  wird 
(§  130). 

Chemisch  nicht  so  sicher  bekannt  wie  die  Fettkörner,  aber  mikro- 
chemisch anscheinend  genügend  gekennzeichnet  sind  die  von  A.  M  e  y  e  r^) 
Volutin  (Volutanskugeln)  genannten,  auch  in  Form  lichtbrechender 
Kugeln  auftretenden  Inhaltskörper  des  Spirill.  volutans  und  vieler 
anderer  Bakterien.  Die  bekannten  Körner  in  Diphtheriebazillen  sollen 
auch  hierher  gehören.  Im  Gegensatz  zum  Fett  färben  sich  die  Volutans- 
kugeln mit  den  gewöhnlichen  Anilinfarben  (Methylenblau,  Karbol- 
fuchsin), und  zwar  besonders  tief  und  kräftig,  so  daß  sie  die  Farben 
aus  dem  übrigen  Bakterienleibe  an  sich  reißen,  wenn  1  prozentige 
'Schwefelsäure  zugesetzt  wird.  Mit  Jod  färben  sie  sich  gelb,  sie  sind 
weder  gram-  noch  säurefest.  In  Wasser  von  28®  lösen  sie  sich  unter 
Quellung  in  2  Tagen,  bei  80 — 100°  in  einigen  Minuten,  nicht  anders 


1 )  Näheres  über  diese  und  andere   Färbungen    bei    Eisenberg. 

2)  Vgl.  die  Doppelfärbung  von  Fontes,  Zentr.  Bakfc.  49.  317,  1909 
rait  Z  i  e  h  1  und  Gram  und  die  von  B  e  t  e  g  k  (ebenda  461 )  mit  Silber- 
uitrat  und  Karbolfuehsin. 

3)  a.  a.  O.  und  Bot.  Zeitung  1904.    Vgl.  Grimme  a.  a.  O. 
KrnBe,  Mikrobiologie.  4 


50  Kap.  I,  §  22  und  Kap.  II,  §  23. 

in  Trypsin  und  Pepsinlösungen.  5  prozentige  Schwefelsäure  löst  in 
10  Minuten,  gesättigtes  Natriumkarbonat  in  einigen  Minuten,  während 
konzentrierte  Chloral-  und  J  a  v  e  1 1  e  sehe  Lösung  in  5  Minuten, 
10  prozentiges  Kochsalz  in  15  Minuten,  Alkohol,  Äther  und  Chloro- 
form  auch  bei  längerer  Behandlung  keine  Wirkung  entfalten.  Nach 
A.  Meyer  handelt  es  sich  um  Eiweißkörper  mit  reichlichem  Nuklein- 
säuregehalt,  die  anstelle  des  Fettes  oder  neben  ihm  als  Vorratsstofle 
dienen  sollen.  Das  Volutin  ist  auch  bei  Filzen,  Spaltalgen  und 
Protozoen  weit  verbreitet ;  nach  Guillermond  und  M  a  w  a  8  ^) 
bestehen  die  Körner  der  Mastzellen  ebenfalls  daraus. 

Alle  hier  berichteten  Tatsachen  der  mikrochemischen  und  -physika- 
lischen Untersuchung  sind  gewiß  wichtig  genug,  aber  sie  sind,  wie  wir 
schon  in  den  einleitenden  Worten  dieses  Kapitels  bemerkten,  nicht 
dazu  angetan,  uns  einen  genügenden  Einblick  in  den  feineren  Bau 
des  Leibes  der  Kleinwesen  zu  gewähren  und  vermögen  uns  nament- 
lich nicht  die  stofflichen  Grundlagen  für  die  mannigfachen  Leistungen 
derselben  zu  erschließen.  W^ir  müssen  uns  deswegen  in  dieser  Be- 
ziehimg vorläufig  genügen  lassen  an  Vermutungen,  z.  B.  an  dem  recht 
anschaulichen  Bilde,  das  uns  Hoffmeister ^)  in  einem  Vortrage 
„Über  die  chemische  Organisation  der  Zellen"  entwirft.  Wir  kommen 
weiter  unten,  wenn  wir  von  dem  Stoffwechsel  der  Kleinwesen  sprechen, 
darauf  zurück  (vgl.  §  67). 


1)  See.  biol.  22.  II.   1908. 

2)  Braunschweig' 1901.     ' 


Kapitel  II. 

Chemische  Znsammensetzung  der  Kleinwesen. 

§  23.  Aualysenergebnisse.  Es  ist  klar,  daß  die  Eigetischaften 
der  Mikroorganismen  von  ihrer  stofflichen  Zusammensetzung  abhängig 
sind.  Nun  fragt  es  sich,  ob  wir  mit  unseren  jetzigen  Mitteln  imstande 
sind,  die  chemischen  Bestandteile  der  Zellen  scharf  genug  zu  charakteri- 
sieren. Bestehen  nachweisbare  Unterschiede  in  der  chemischen  Zu- 
sammensetzung zwischen  den  Mikroorganismen  und  den  höheren 
Lebewesen,  zwischen  den  einzelnen  Mikroorganismenarten  und  bei 
jeder  Spezies  wieder  unter  verschiedenen  Entwicklungsbedingungen? 
Wir  wollen  hier  gleich  bemerken,  daß  ebensowenig  wie  die  mikro- 
chemischen Verfahren,  die  wir  im  vorigen  Kapitel  besprochen  haben, 
die  grobe  chemische  Analyse  diese  Aufgabe  zu  lösen  imstande  ist,  und 
der  ganzen  Art  des  Verfahrens  nach  wohl  auch  kaum  jemals  dazu 
imstande  sein  wird.  Zahlreiche  Unterschiede  werden  freilich  bei  der 
chemischen  Analyse  gefunden,  aber  sie  genügen  kaum,  um  einige 
große  Unterabteilungen  der  Mikroorganismen  — etwa  die  Pilze,  Bakterien 
und  säurefesten  Bakterien  (Mykobakterien)  voneinander  zu  trennen. 

Über  die  Hauptergebnisse  der  bisherigen  Untersuchungen  be- 
lehren die  Tafeln  I,  II  und  III.  Die  letzte  Tafel  gibt  besonders  gut 
vergleichbare  Resultate,  weil  die  Züchtungen  und  Analysen  von  N  i  - 
c  0 1 1  e  und  Alilaire  nach  einheitlichem  Verfahren  ausgeführt  wurden. 

Die  Trockensubstanz  wird  in  der  Weise  erhalten,  daß 
die  von  den  Nährböden  vorsichtig  abgenommenen  oder  von  flüssigen 
Kulturen  durch  Ausschleudern  und  Filtrieren  getrennten  Mikroorganis- 
men gewogen  werden,  imd  mit  diesem  „feuchten  Gewicht"  das  Ge- 
wicht verglichen  wird,  das  nach  dem  Trocknen  bei  100 — 110®  erhalten 
wird.  Es  ist  klar,  daß  eine  Fehlerquelle  darin  liegt,  daß  das  in  den 
kapillaren  Zwischenräumen  zwischen  den  Zellen  festgehaltene  Wasser 
mitgewogen  wird.  Im  allgemeinen  erscheint  dadurch  der  Trockengehalt 
zu  niedrig;  nur  bei  den  schon  in  frischem  Zustande  durch  Luft  vonein- 
ander getrennten  Schimmelpilzsporen  werden  richtigere  Zahlen  erhalten 
werden.  Am  größten  wird  der  Fehler  sein  bei  den  Bakteriensporen,  die  meist 
in  einer  sehr  wasserreichen,  aus  den  Resten  der  nicht  zur  Sporenbildung 
verwandten  Leibesstoffe  bestehenden  Substanz  eingebettet  sind  (s.  u.). 


52  Kap.  II,   §  23. 

Noch  größer  können  die  Fehler  werden,  die  sich  bei  BestimmuDg 
des  Fettgehaltes  (Ätherextraktea)  ergeben,  weil  es  ohne  Zer- 
störung der  Zellmembran  und  des  Zusammenhanges  des  eigentlichen 
Zellkörpers  nur  unvollständig  gelingt,  das  Fett  aus  dem  letzteren 
auszuziehen.  Man  hat  versucht,  mit  allerhand  chemischen  und  physika- 
lischen Mitteln  zum  Ziel  zu  gelangen.  So  bekamen  z.  B.  N  ä  g  e  I  i 
und  Low  bei  anhaltender  Behandlung  scharf  getrockneter  Hefe  mit 
kochendem  Äther  nur  1,85%  flüssiges  Fett,  nach  vorheriger  Behand- 
lung mit  konzentrierter  Salzsäure  4,6%  Fettsäure,  d.  h.  etwa  5,3% 
Fett.  Ähnlich  wirkt  nach  R  u  p  p  e  1  die  Erhitzung  unter  Druck  auf 
die  Gewinnung  des  Fettes  aus  Tuberkelbazillen.  In  den  meisten  Fällen, 
wo  man  sich  ohne  solche  Mittel  beholfen  hat,  werden  deshalb  die  Fett- 
zahlen unserer  Tabelle  zu  niedrig  sein. 

Für  die  anderen  Bestimmungen  ist  die  Undurchlässigkeit  der 
Zellen  ebenfalls  sehr  hinderlich,  sie  zwingt  zu  eingreifender  Behand- 
lung mit  Lösungsmitteln,  die  geeignet  sind,  die  Natur  der  Körper- 
substanzen zu  verändern.  Zudem  scheint  die  energische  Einwirkung 
von  Alkohol-Äther  die  Bakterienkörper  noch  unempfindlicher  gegen 
die  übrigen  Extraktionsmittel  zu  machen  (A  r  o  n  s  o  n).  Fast  alle 
diese  Analysen  stammen  aus  älterer  Zeit. 

Anm.  zur  Tafel  I:  a)  S  i  e  b  e  r,  Joiirn.  prakt.  Chem.  N.  F,  23,  1881. 
b)  Marschall,  Arch.  Hyg.  28.  bb)Nikolsky,  Zentr.  Hakt,  2.  Abt.  12.  674, 
1904.  Nach  Stutzer  bestimmt,  c)  Gramer,  Arch.  Hyg.  13  und  28. 
d)  N  ä  g  e  1  i  (und  L  o  e  w),  Journ.  prakt.  Chem.  N.  F.  17.  e)  B  r  u  h  a  t, 
zit.  nach  H  e  d  r  i  c  h  ,  Deutsche  Ärzte-Zeitg.  1904,  3.  f)  K  a  p  p  e  s  ,  Ana- 
lyse der  Massenkult,  einiger  Spaltpilze  und  der  Soorhefe,  Dissert.  Leipzig 
1890.  g)  Nencki  und  Sehaffer,  Journ.  prakt.  Chemie  N.  F.  20. 
h)  L  ö  w  in  Nä  g  e  1  i  s  Theorie  der  Gärung,  S.  111.  i)Brieger,  Zeitschr. 
physiol.  Chemie  9.  k)  K  a  p  p  e  s  a.  a.  O.  (unter  f)).  1)  N  i  s  h  i  m  u  r  a  , 
Arch.  Hyg.  18.  m)  C  r  a  m  e  r  ,  Arch.  Hyg.  16,  18  und  22.  n)  Lyons, 
Arch.  Hyg.  28.  nn)  R  u  b  n  e  r  ,  Arch.  Hyg.  57.  178,  1906.  o)  D  z  i  e  r  z  - 
g  o  w  8  k  i  und  Rekowski,  Arch.  sc.  biol.  Petersburg  1892.  p)  H  a  ra  - 
merschlag,  Sitzber.  Akad.  Wiss.  Wien  13.  12.,  1888,  Zentr.  klin.  Med. 
1891,1.  q)Kresling,  Zentr.  Bakt.  30.  24.  r)  D  y  r  m  o  n  t ,  Arch.  exp. 
Pathol.  21.  s)  Salzmann,  Chem. -physiol.  Untersuch,  etc.,  Phil.  Dissert. 
Königsberg  1901.  t)  Stoklasa,  Zentr.  Bakt.,  22.  Abt.,  21.  631,  1908 
1)  aus  der  Differenz  berechnet.  2)  davon  5,0  „Cellulose"  und  2,8  „Stärke'*. 
3)  Darunter  stickstoffhaltige  Körper.  4)  davon  11,1  Zellulose  und  1 7,0  Stärke. 
5)  Extrakt  Stoffe,  darunter  Leuzin  und  andere  Aminosäuren,  Dextrin,  Gly- 
zerin etc.  6)  Von  mir  nach  dem  N-Gehalt  berechnet  (  x  6,25).  7)  Bei  der 
Berechnung  der  N-Substanz  als  Eiweiß  der  Trockensubstanzbestandteile 
meist  etwas  weniger,  manchmal  auch  etwas  mehr  als  100%.  8)  Als  Zellulose 
bezeichnet.  9)  Chloroform-Alkoholextrakt.  Die  von  Kresling  ange- 
gebenen Zahlen  sind  von  mir  auf  das  Trockengewicht  umgerechnet  worden. 
10)  stammen  aus  einer  anderen  Analyse  als  die  Zahl  für  das  Eiweiß. 


Chemische  Zusammensetzung. 


53 


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54 

Kap.  ! 

II,   §  23. 

Tafel  IL    Elementaranalyse  der 

Mikro  Organismen. 

Art  der 
Mikroorganismen. 

Die  Trockensubstanz  enthält  in   % 

Kohlen> 
Stoff 

Wasser- 
stoff 

Stick- 
stoff 

Bemerkungen  üb. 
die  Berechnung 

Schimmelpilze               a) 

3,8 

aschefrei 

b) 

46,4 

7,0 

5,3—5,6 

fett-  u.  aschefrei 

c) 

7,5—8,3 

aschefrei 

»                         cc) 

44     56,5 

7,0     9,1 

2,3—6,6 

fast   aschefrei 

d) 

— 

8     11 

dd) 

3,7—16,2 

Schimmelpilzsporen      e) 

48,9 

6,5 

4,6 

aschefrei 

Hefe                                 f) 

47,9     60,0 

6,5—6,7 

9,8—11,8 

aschefrei 

g) 

46,5—62,5 

6,2-7,2 

9,4     9,7 

aschefrei 

h) 

48,6—49,3 

7,1-8,2 

7,8—10,5 

aschefrei 

i) 

50,6 

7,3 

15,0 

aschefrei 

11) 

6,7     9.6 

mit  6,5—10,8 
Asche 

Soorhefe                          k) 

12,2 

Fäulnisbakterien            1) 

53,1     53,8 

7,8 

13,8     14,3 

fett-  u.  aschefrei 

Essigmutter                  m) 

1,8 

mit  3,4%  Asche 

Micrococcua                   m) 

— 

10,65 

mit  6,9%  Asche 

Essigbakterien               x) 

4,8 

— 

Bac.  pneumoniae          n) 

6,7 

mit  30,2%  Asche 

Mi  Ichsäurebakterien     x ) 

4,2     15,0 

_^ 

Bac.  prodigiosus            o) 

11,4 

mit  13,5%  Asche 

Bac.  xerosis                    o) 

12,1 

mit  9%  Asche 

Wasserbazillen              p) 

51,0 

0,8 

11,1 

fett-  u.  aschefrei 

Verschied.  Bakterien   q) 

48,9     51,8 

6,5     7,5 

9,4     15,0 

cischefrei 

I^oteusbazillen            qq) 

9,8 

mit  8.1%  Asche 

Heubazillen                     r) 

5,3     11,2 

Diphtheriebazillon         s) 

48,9 

1          ' 

8,6 

11,2 

mit  4,6%  Asche 

Tuberkel  bazillen             t) 

1 

6,6 

mit  6%  Asche 

u) 

8,6 

mit  2,6%  Asche 

uu) 

50.18 

7,33 

9,87 

fettfrei  mit  6,95 
%  Asche.  Phos- 
phorgehalt   1.67 
%,     davon     die 
Hälfte  organiscl) 
gebunden. 

Milzbrandbazillen         v) 

6,3 

Milzbrandsporen           v) 

10 

mit  2%  Asche 

Streptothrix  odorif  era  w) 

7,4 

mit  9,2%  Asche 

Amylobact.  butylicum  z) 

4,0 

— 

Azotobactor  chroococ- 

CUHl                                     y) 

9,8     13,1 

aschehaltig 

Anm. :  a)  Stutzer,  Zeitschr.  physiol. 
Taf .  I a).    c)  M  a  r  s  c  h  a  1 1  ,  Agl.  Taf.  I b).    cc) 


Chem.  6.    b)  S  i  e  b  e  r  ,  vgl. 
Maz6,  Annal.  Pasteur  1902, 


Chemisohe  Zusammensetzung. 


55 


374.  d)  C  z  a  p  e  k  ,  Hofmeisters  Beitr.  2.  dd)  Nikolsky,  Zentr.  Bakt., 
2.  Abt.,  12.  674,  1904.  e)  C  r  a  m  e  r  ,  vgl.  Taf.  Ic).  f)Schloßberger, 
Ann.  Phys.  und  Chem.  80  (D  u  c  1  a  u  x).  g)  v.  W  a  g  n  e  r  ,  zit.  nach  D  u  - 
claux,  Mikrobiol.  h)  Hessenland,  Zeitschr.  f.  Rübenziickerind.  92. 
(D  u  cl  a  u  x).  i)  D  u  m  a  8 ,  Trait^  de  chimie  (D  u  c  1  a  u  x).  ii)  R  u  b  n  e  r  , 
Arch.  Hyg.  48.  310,  1004.  k)  K  a  p  p  e  s,  vgl.  Taf.  If).  1)  N  e  n  c  k  i  und 
Schaffer,  vgl.  Taf.  Ig),  m)  L  ö  w  ,  vgl.  Taf.  I  h).  Riemer,  Arch. 
Hyg,  71. 171, 1909  bestimmte  in  frischen  Kvilturen  des  Staphylococ.  pyogenes 
8.3%  Stickstoff,  n)  B  r  i  e  g  e  r,  vgl.  Taf.  Ii).  o)  K  a  p  p  e  s  ,  vgl.  Taf.  If). 
p)Ni8himura,  vgl.  Taf.  II).  q)Cramer,  vgl.  Taf.  I  m).  qq)  s.  unter  ii). 
r)Vincenzi,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  11.  s)Dzierzgowski  und 
Hekowski,  vgl.  Taf.  lo).  t)  Hammerschlag,  vgl.  Taf.  I  p). 
u)  Kresling,  vgl.  Taf.  I  q).  uu)  Kutscher,  Sitzber.  Gesellsch. 
Eieford.  Naturw.  Marburg  1910.  v)  Dyrmont,  vgl.  Taf.  I  r).  w)  S  a  1  z  - 
mann,  vgl.  Taf.  I  s).  x)  K  a  y  s  e  r ,  Annal.  Pasteur  94,  763  ff.  y)  S  t  o  k  - 
1  a  s  a ,  Zentr.  Bakt.,  2.  Abt.,  21,  506  und  629,  vgl.  Taf.  I  f ).  G  e  r  1  a  c  h 
und  Vogel  finden  10—12%  ebenda  8.,  1902.  z)  vgl.  Beijerinck 
Verh.  Kon.  Akad.,  Wetenschap.  Amsterdam,  2.  Sect.  Deel  I,  S.  39,   1893. 


Tafel  III.     Analysen  von  Nicolle  und  Alilaire.^) 


1 

Wasser- 

In %  der  Trockensubstanz 

• 

gehalt 
in% 

Stick- 
stoff. 

Azeton- 
extrakt 

Chloroform- 
extrakt ■) 

Phosphor 

%  im  Fett») 

Rotz 

76,6 

10,5 

11,7 

8,6 

2,5 

Hühnercholera 

79,3 

10,8 

7,6 

6,3 

2,4 

Cholera 

73,4 

9,8 

8,7 

6,8 

2,4 

Dysenterie 

78,2 

8,9 

12,8 

10,6 

1,6 

Proteus  vulgaris 

80,0 

10,7 

10,9 

7,1 

1.6 

Typhus 

78,9 

8,3 

15,4 

10,6 

1,2 

Bspor.  Milzbrand 

81,7 

9,2 

6,3 

1,5 

0,9 

Ptettdotuberkulose 

78,8 

10,4 

15,6 

10,3 

0,8 

Bac.  pneumoniae 

85,5 

10,4 

15,4 

10,3 

0,8 

Bac.  coli 

73,3 

8,3 

15,2 

11,8 

0,8 

Bac.  prodigiosus 

78,0 

10,5 

9,0 

6,6 

0,5 

Pftittakosebac. 

78,0 

9,5 

11,1 

7,0 

0,5 

Diphterie 

84,5 

7.0 

5,2 

o,2 

Pyocyaneus 

75,0 

9,8 

15,8 

10,7 

0,2 

Lymphangitis' 

bazillus. 

77,9 

9,2 

6,8 

2,5 

0,2 

Hefe  Frohberg 

69,2 

10.0 

4,2 

2,9 

0,0 

Chlorella  vulgaris. 

63,6 

3,9 

21,1 

12,8 

0.0 

1)  Annal.  Pasteur  1909,  7.  (etwas  verkürzt  wiedergegeben).  Sämtliche 
Bakterien  wurden  24  Stunden  bei  37®  auf  Fleisch-Kartoffelsaftagar,  die 
Hefe  einen  Tag  bei  30®  auf  Malzsyrup,  die  Algen  15  Tage  bei  20®  auf  Kar- 
toffelagar  in  großen  verzinnten  Kupferblechdosen  gezüchtet. 

2)  Aus  dem  Azetonextrakt  dargestellt. 

3)  d.  h.  wohl  aus  dem  Chloroformexjbrakt. 


56  Kap.  n,  §  23  u.  24. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  wir  jetzt,  wo  wir  durch  E.  und  H.  B  u  c  h  - 
n  e  r  und  Hahn^),  R.  Koch,  Macfadyen  und  R  o  w  1  a  n  d-) 
mechanische  Mittel  kennen  gelernt  haben,  um  die  Mikroorganismen- 
zellen zu  eröffnen,  auch  einwandfreiere  chemische  Analysen  erhalten 
werden.  Dies  gilt  insbesondere  für  die  Bestimmimg  der  Kohlehydrate 
imd  stickstoffhaltigen  Substanzen,  die  vorläufig  noch  ziemlich  zweifel- 
hafte Ergebnisse  gehabt  hat  (s.  u.).  Die  Resultate  der  Elementar- 
analysen (Taf.  II)  werden  allerdings  durch  die  erwähnten  Schwierig- 
keiten nicht  beeinträchtigt,  recht  unsicher  sind  aber  die  Eiweißzahlen 
der  Taf.  I,  die  mit  wenigen  Ausnahmen  auf  Grund  des  Stickstoff- 
gehalts —  durch  Multiplikation  mit  6,25  —  berechnet  worden  sind. 
Wir  müssen  erwarten,  daß  andere  N-haltige  Körper  dabei  vernach- 
lässigt werden.  Die  „Kohlehydrate"  der  Taf.  I  sind  vielfach  nur  aus 
dem  Rest  berechnet  worden,  der  nach  Abzug  des  Äther-  und  Alkohol- 
extraktes, der  Asche  und  des  „Eiweißes"  verbleibt.  In  dem  Alkohol- 
extrakt wird  natürlich  der  größte  Teil  des  Zuckers  der  Zellen  enthalten 
sein.  In  dem  „Rest"  der  Tab.  I  werden  wir,  wo  die  Kohlehydrate  nicht 
besonders  bestimmt  worden  sind,  diese  neben  den  verschiedensten 
Substanzen  zu  suchen  haben. 

Selbst  die  Aschenbestimmungen  sind  nicht  ganz  richtig,  da  viel- 
fach in  den  Extrakten  noch  mancherlei  Bestandteile  enthalten  sind, 
imd  schon  reichliches  Auswaschen  der  Mikroorganismen  ihnen  einen 
sehr  bedeutenden  Teil  der  Mineralsalze  entziehen  kann  (R  a  u  1  i  n). 

Mit  diesen  Einschränkungen  nur  können  wir  das  Bild,  das  uns 
die  Tafel  I  bietet,  als  zutreffend  erachten.  Einige  Schlüsse  kann  man 
aber  wohl  aus  ihr  und  aus  Tafel  II  und  III  ableiten. 

§  24.  Schlüsse  aus  den  Analysen.  1.  Der  Wassergehalt  der 
Mikroorganismen  zeigt  im  großen  und  ganzen  keine  bedeutenden  Ver- 
schiedenheiten. Er  ist  hoch,  wenn  man  ihn  mit  demjenigen  tierischer 
Organismen  vergleicht,  weicht  dagegen  kaum  von  demjenigen  der 
höheren  Pilze  und  Pflanzen  ab.  Stark  abweichende  Zahlen  finden  ^dr 
nur  bei  den  Schimmelpilzsporen,  die  nach  Gramer  sehr  wenig,  und  bei 
der  Essigmutter,  die  nach  N  ä  g  e  1  i  und  Low  sehr  viel  Wasser  ent- 
halten. Beides  ist  charakteristisch.  Die  hohe  Zahl  für  die  Trocken- 
substanz der  Sporen  beweist  uns,  daß  die  Dauerformen  der  Schinmiel- 
pilze  ein  Protoplasma  besitzen,  das  durch  seinen  geringen  Wasser- 
gehalt sich  von  allen  vegetativen  Zellen  unterscheidet.  Bezeichnend 
ist  auch,  daß  die  geringe  Quantität  Wasser,  die  den  Schimmelpilzen 
anhaftet,  nach  Gramer  nicht  in  der  Weise  an  die  Zellen  gebunden 


1)  S.  bei  der  Zymasedarstellung   §  89. 

2)  S.  bei  der  Giftdarstellung  §  272  ff. 


Chemische  Zusammensetzung.  57 

ist,  wie  bei  den  übrigen  Mikroorganismen,  sondern  als  hygroskopisches 
Wasser  zu  betrachten  ist.  Im  Gegensatz  zu  den  letzteren  nahmen  die 
scharf  getrockneten  Sporen  in  feuchter  Umgebung  schnell  das  ver- 
lorene Wasser  wieder  auf.  Durch  diesen  geringen  Wassergehalt  er- 
scheint das  Plasma  der  Sporen  stärker  lichtbrechend  als  die  vegeta- 
tiven Zellen,  dadurch  wird  es  auch  widerstandsfähiger  gegenüber 
schädigenden  Einflüssen,  wie  z.  B.  der  Erhitzung.  So  kommt  es  femer, 
daß  die  Sporen  vor  der  Eeimimg  viel  Wasser  aufnehmen,  daß  sie 
quellen  müssen. 

Sehr  wahrscheinlich  haben  auch  die  Dauerzustände  anderer  Mikro- 
organismen dieselbe  Eigenschaft,  so  besonders  die  Sporen  der  Bak- 
terien. Allerdings  tritt  das  in  der  Analyse  Dyrmonts  (Taf .  I)  wie 
in  den  Versuchen,  die  Almquist  zur  Bestimmung  des  spezi- 
fischen Gewichts  vornahm^),  kaum  hervor.  Wir  wissen  aber 
aus  dem  mikroskopischen  Bilde,  das  versporte  Milzbrandkulturen 
bieten,  daß  hier  die  Sporen  in  einer  gallertartigen  Masse,  die  von  zer- 
fallenden Stäbchen  herrührt,  eingebettet  liegen.  Offenbar  bedingt 
diese  den  hohen  Wassergehalt,  während  die  Sporen  selbst  ein  noch 
stärker  konzentriertes  Protoplasma  haben,  wie  die  Schimmelsporen ^). 
Ähnhch  erklärt  sich  der  verhältnismäßig  hohe  Wassergehalt  der  Essig- 
mutter, der  nach  Tabelle  I  mehr  als  98%  beträgt.  Die  Bakterien  selbst 
werden  wohl  nicht  anders  zusammengesetzt  sein  wie  die  übrigen  Mikro- 
organismen, sie  sondern  aber  mächtige  Mengen  schleimiger  Zwischen- 
substanz ab  (s.  Bact.  xylinum,  §  27),  deren  Wassergehalt  maßgebend 
ist  für  die  Analyse.  Zur  Ergänzimg  der  Tabelle  bemerke  ich,  daß  ich 
wiederholt  bei  Ruhrbazillen  (von  Agarplatten  abgekratzt)  ein  Trocken- 
gewicht von  25%  gefunden  habe.  Das  entspricht  vielen  der  von  N  i  - 
c  0 1 1  e  imd  A 1  i  1  a  i  r  e  bestimmten  Zahlen,  während  die  übrigen 
Bakterienanalysen  selten  so  hohen  Trockengehalt  ergeben  haben. 
Letztere  Forscher  bringen  wohl  mit  Unrecht,  wie  schon  aus  ihren 
eigenen  Analysen  hervorgeht  (vgl.  Bac.  pneumoniae!)  einen  besonders 
hohen  Wassergehalt  der  Bakterien  zu  der  Gramfestigkeit  in  Beziehung. 
Nach  unserer  Auffassung  (§  18)  liegt  die  Sache  gerade  umgekehrt,  ist 
aber  durch  unsere  Massenanalysen  der  Bakterien  nicht  festzustellen. 

1)  ZeitBchr.  f.  Hyg.  28,  1898.  Andere  Bestimmungen  des  spezifischen 
Ciewichts  verschiedener  Bakterien  s.  bei  Stigell  (Zentr.  Bakt.  45,  1908). 
Auf  Agaroberflächen  fanden  sich  Schwankungen  von  1,12  (SubtiHs)  bis  1,32 
(Staphylokokken),  bei  Tuberkelbazillen  solche  von  0,887 — 1,287.  Bouillon- 
häutchen  ergaben  0,92^0,98. 

2)  R  e  i  n  k  e  ,  Untersuchungen  aus  dem  botanischen  Laboratoriiun 
zu  Göttingen,  H.  3,  Berlin  1883,  schließt  aus  seiner  Analyse  des  Äthalkun 
i^ticum  auch  bei  der  Sporenbildung  in  den  Schleimpilzen  auf  eine  An- 
hydridbildung im  Protoplasma. 


58  Kap.  II,  §  24. 

2.  Auffällig  hoch  ist  der  Fettgehalt  (Ätherextrakt)  der 
Tuberkelbazillen  nach  Eresling  und  anderen  Autoreo 
(§  26),  er  übersteigt  mit  32%  weit  den  aller  übrigen  MikroorganiBmen 
der  Taf .  I.  Nur  ganz  alte  degenerierte  Hefezellen  sollen  nach  D  u  - 
c  1  a  u  x^)  einen  ähnlichen  Fettgehalt  aufweisen.  ^)  Wahrscheinlich  haben 
wir  übrigens  keine  spezifische  Eigenschaft  der  Tuberkelbazillen  vor  uns, 
sondern  auch  andere  „säurefeste''  Bakterien  teilen  sie  (s.u. N  as  t i n ,  § 26). 

3.  Weit  verbreitet  ist  die  Ansicht,  daß  die  N-haltigen 
Stoffe  bei  Bakterien  und  Hefepilzen  der  Regel 
nach  die  N-freien  überwiegen,  während  das  Gegen- 
teil bei  den  Schimmelpilzender  Fall  se i.')  Zum  min- 
desten läßt  diese  Regel  zahlreiche  Ausnahmen  zu.  So  ist  z.  B.  der  Eiweiß- 
gehalt der  sogenannten  Essigmutter,  einer  Art  von  Bakterien,  die 
ungewöhnlich  dicke  Zellhüllen  ausscheidet  (B.  xylinum),  ein  ganz 
niedriger  (Taf.  I)  imd  auch  bei  anderen  Bakterien  mit  und  ohne  Schleim- 
hüllen (z.  B.  Milchsäure,  Heubakterien,  Amylobact.  butylicum)  findet 
man  ebenso  kleine  Stickstoffzahlen  wie  bei  Schimmelpilzen.  Auf  der 
anderen  Seite  geben  die  Analysen,  die  von  Schimmelpilzen  vorliegen, 
durchaus  kein  einheitliches  Bild.  Die  letzten  Untersuchungen  von 
C  z  a  p  e  k  am  Aspergillus  niger  haben  sogar  bei  diesem  Pilz  den  hohen 
Stickstoffgehalt  von  8  bis  11%  festgestellt  (Taf.  II).  In  vielen  Fallen 
lehrt  allerdings  schon  der  mikroskopische  Augenschein,  daß  bei  den 
Schimmelpilzen  die  membranbildenden  stützenden  Bestandteile  einen 
größeren  Teil  der  Substanz  ausmachen  als  bei  Hefen  und  Bakterien, 
werden  doch  gewöhnlich  nur  die  Spitzen  des  Myzels  vollständig  vom 
Protoplasma  erfüllt,  während  der  ganze  Rest  im  wesentlichen  aus  den 
Membranen  besteht,  die  große  Safträume  einschließen.  So  kann  es 
denn  nicht  Wunder  nehmen,  daß  einige  Pilze  —  freilich  bei  sehr  mangel- 
hafter Stickstoff  zufuhr  —  sogar  bis  auf  einen  Stickstoff  gehalt  von  1% 
heruntergehen  (Ger lach  und  Vogel*)).  Es  ist  übrigens  selbst- 
verständlich, daß,  von  allen  übrigen  Dingen  abgesehen,  das  Alter  der 
Kultur  und  die  Art  der  Ernährung  das  Verhältnis  der  stickstofffreien 
und  stickstoffhaltigen  Stoffe  bei  allen  Mikroorganismen  beeinflussen 
werden  (s.  u.). 


1)  Trait6  de  microbiologie  1.   166. 

2)  Das  Sklerotium  der  Claviceps  purpurea  (Mutterkorn)  enthält  eben- 
falls bis  35%  Fett  (F  1  ü  c  k  i  g  e  r). 

3)  Die  höheren  Pilze  stimmen  mit  den  Schinmielpilzen  überein.  Vgl. 
die  beiden  Taf.  in  Zopfs  „Pilze**,  Breslau  1890,  S.  119  und  121.  Der 
Gehalt  an  Eiweiß  schwankt  von  11 — 51%,  die  Asche  von  2 — 15%,  das  Fett 
von  1—10%,  die  Kohlehydrate  von  37—82%. 

4)  Zentr.  Bakt..  2.  Abt.   10,  643. 


Chemische  Zusammensetzung.  59 

4.  Eine  ivichtige  Folgerang,  die  sich  sofort  aus  den  Tafeln  ergibt, 
ist  die,  daß  die  Zusammensetzung  der  Organismen 
in  weiten  Grenzen  schwankt.  Es  ist  besonders  das  Ver- 
dienst von  Gramer  und  seinem  Schüler  Lyons,  das  für  die 
Bakterien  nachgewiesen  und  begründet  zu  haben :  die  Bakterien 
vermögen  sich  in  hohem  Maße  dem  Nährboden  an- 
zupassen. So  fand  z.  B.  Gramer  bei  Züchtung  der  Gholera- 
baziUen  in  1  prozentiger  Sodabouillon  8 — 10%  Asche,  in  4  prozentiger 
Phosphatbouillon  2Q — 25%  und  in  3  prozentiger  Eochsalzsodabouillon 
22—28%^),  femer  auf  der  peptonfreien  Uschinsky-Lösung  einen  Eiweiß- 
gehalt von  34  bis  60%,  auf  Sodapeptonbouillon  einen  solchen  von  62 
bis  65%.  Eine  verhältnismäßig  geringe  Steigerung  des  N-Grehalts  be- 
merkte Gramer,  wenn  er  statt  einer  1  prozentigen  eine  5  prozentige 
Peptonbouillon  benutzte.  Lyons  sah  bei  mehreren  schleimbildenden 
Bazillen  mit  einer  Steigerung  des  Zuckergehalts  in  der  Nährlösung 
von  1  bis  10%  die  N-freie  Substanz  zu-,  die  N-haltige  abnehmen. 
Daran  sind  das  Fett  (Ätherextrakt)  bis  zu  einem  mäßigen  Grade,  die 
alkohollöslichen  Eztraktstoffe  und  der  „Rest",  d.  h.  wohl  Kohle- 
hydrate in  erster  Linie  beteiligt.  Andere  Schwankungen  in 
der  Zusammensetzung  zeigen  sich,  wenn  man  die 
Wachstumsbedingungen  (Temperatur)  verändert 
oder  Kulturen  verschiedener  En  t  wi  ckl  un  gs - 
Stadien  vergleicht.  So  fand  z.  B.  Gramer  den  Trocken- 
gehalt  von  Bakterien,  die  bei  Bruttemperatur  gewachsen  waren,  höher 
als  bei  solchen,  die  er  bei  Zimmertemperatur  gezüchtet  hatte,  ebenso 
bei  jungen  Kulturen  höher  als  bei  alten. 

Auch  bei  anderen  Mikroorganismen,  z.  B.  den  Hefepilzen  ist  man 
auf  solche  Veränderlichkeit  gestoßen.  So  erhielt  D  u  c  1  a  u  x  (a.  a.  0.) 
aus  15  Jahre  alter  Hefe  20—30%  imd  selbst  über  50%  Fett  und  dabei 
gleichzeitig  nur  2,7%  Stickstoff,  während  frische  Hefe  nur  wenige 
Prozente  Fett  und  8,9%  Stickstoff  enthielt.  W  i  j  s  m  a  n^)  fand  sogar 
binnen  wenigen  Stimden  beträchtliche  Veränderxmgen  im  N- Gehalt 
der  Hefe.  So  soll  dieselbe  während  der  Gärung  von  einem  Anfangs- 
wert von  7,1%  schon  nach  einer  Stunde  auf  9,9  gestiegen  sein,  sich 
dann  einige  Stunden  auf  der  Höhe  gehalten  und  nach  10  Stunden  nur 
noch  6,4%  betragen  haben.  ÄhnUche  Unterschiede  fand  K  a  y  s  e  r 
(Taf.  II)  bei  Milchsäurebakterien  in  verschiedenen  Stadien  der  Gärung. 


1)  Schon  Raulin  sah  den  Aschegehalt  des  Aspergillus  niger  von 
2  auf  6  und  6,4%  steigen,  wenn  er  die  Konzentration  der  Mineralbestandteile 
in  der  Nährlösung  von  0,2  auf  1,7  und  2,7%  erhöhte. 

2)  Ref.    Kochs    Jahresber.   1891,  120. 


60 


Kap.  II,  S  24  u.  26. 


So  enthielt  eine  der  von  ihm  untersuchten  Arten  am  3.  Tage  9,1% 
am  12.  Tage  10,8,  am  45.  Tage  11,8%  Stickstoff.  Gleichzeitig  schritt 
die  Zuckerzersetzung  fort,  während  die  Vermehrung  der  Bakterien 
bald  zum  Stillstand  zu  kommen  schien.  K  a  y  s  e  r  stellte  in  einigen 
anderen  Yersachen  noch  merkwürdigere  Differenzen  zwischen  L 
Bakterien,  die  bei  Sauerstoffzutritt  und  -abschluß  gewachsen  waren, 
fest,  sie  enthielten: 


im    I.  Versuch 
II. 


)i 


>> 


bei  Sauerstoffzutritt    bei  Sauerstoffabschluß 
6,5%  4,2%  Stickstoff 

13,6%  9,50/^        „      . 


waren  also  stets  stickstoffreicher  bei  ungehinderter  Luftzufuhr.  Wie 
es  kommt,  daß  die  Zahlen  im  ersten  Versuch  halb  so  klein  waren,  ab 
im  zweiten,  ist  nicht  ersichtlich.  Es  handelte  sich  um  dieselben  Mikroben 
und  um  eine  ähnliche  Nährlösung. 

Bei  dem  Schimmelpilz  Mucor  Amylomyces  stellte  Nikolsky 
(Taf.  I  und  II)  sogar  Schwankungen^)  des  Stickstoffgehalts  von  3,7 
bis  16%  fest  bei  Ernährung  mit  einer  und  derselben  Nährlösung  (Maltose), 
und  zwar  war  der  Stickstoff  am  reichlichsten  vertreten,  wenn  die 
Kultur  jung  war  (4  Tage)  und  nahm  mit  steigendem  Alter  (bis  zu 
14  Tagen  geprüft)  immer  weiter  ab.  Das  Wachstum  schritt  dabei 
immer  fort,  obwohl  langsamer.  Die  absolute  Menge  des  Stickstoffs 
in  der  Ernte  stieg  zuerst,  sank  aber  in  den  letzten  Tagen.  Auch  bei 
Ernährung  mit  Glykose  und  Saccharose  zeigten  sich  ähnliche  Verhält- 
nisse, Wurde  aber  eine  wenig  geeignete  Nahrung  gewählt,  wie  Fruk- 
tose, Raffinose  und  Dextrin,  so  blieb  der  Stickstoffgehalt  andauernd 
auf  der  Höhe  von  9%  und  mehr.  Die  Zahlenreihen  der  Analysen 
Nikolskys  zeigten  allerdings  einige  unerklärliche  Unregelmäßig- 
keiten. So  schwankten  sie  z.  B.  in  dem  obigen  Beispiel  (abgekürzt) 
wie  folgt: 


1    Trocken- 

Stickstoff- 

Stickstoff- 

Versuchs tag 

Substanz 

gewicht 

gehalt 

Bemerkungen 

4.  Tag 

0.46  g 

0.075  g 

16,2% 

Zu  dem    Versuche 

6.      „ 

0,51  „ 

0,043  ,. 

7,1  ,, 

dienten     6     Kolben. 

8.      „ 

1,12  „ 

0,062  „ 

5,6  „ 

die      mit      gleichem 

10.      „ 

1.67  „ 

0,104  „ 

6,2., 

Nährmaterial         be- 

12.     „ 

1,72  „ 

0.090  „ 

5.2  „ 

schickt,  in  derselben 

14.      „ 

1.83  ,. 

0,068  „ 

3,7  „ 

Weise    geimpft    und 
gehalten  waren. 

1)  Die  höheren  Prozentzahlen  (bis  36!)  beruhen  offenbar  auf  fehler- 
haften Bestimmungen,  die  bei  allzugeringer  Ernte  verständlich  sin4- 


chemische  Zusamiuensetziing.  61 

Zum  Teil  spielen  hier  mit  die  Veränderungen,  die  im  Hunger- 
zußtande  imd  bei  der  sogenannten  Selbstverbrennung  (§  226),  Selbst- 
vergänmg  (§  91)  imd  Selbstverdauung  (§  166)  der  Mikroben  eintreten. 
DaB  dabei  einerseits  große  Eohlenstoffverluste,  z.  B.  durcb  Vergärung 
des  Glykogens  in  der  Hefe,  andererseits  große  Stickstoffverluste,  z.  B. 
bei  der  Autolyse  der  Proteusbazillen  eintreten,  ist  sicher.  Aber  auch 
umgekehrt  können  dabei  vielleicht  aus  Eiweißstoffen  Eolhehydrate 
hervorgehen.  Einige  Angaben  darüber,  die  von  M  a  z  e  stammen 
(vgl.  Taf.  II  cc),  sollen  schon  hier  Platz  finden.  Nach  ihm  kann  man 
aus  Kulturen  der  Eurotiopsis  Gayoni  auf  Zucker-  bzw.  Alkoholnähr- 
bcden  durch  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  bei  120"  umso- 
mehr  (16 — 42%)  zuckerartige  Stoffe  gewinnen,  je  älter  die  Kulturen 
sind.  In  einer  Versuchsreihe  sank  bei  Sauerstoffzutritt  das  Trocken- 
gewicht im  Zeitraum  von  6  bis  25  Tagen  von  330  auf  195  mg,  während 
der  genannte  Extrakt  von  87  bis  108  mg  stieg  und  der  Stickstoff- 
gehalt von  5  bis  6%  auf  2,9 — 3,5%  fiel.  Gleichzeitig  schwand  übrigens 
das  Fett  des  Myzels  fast  völlig  (von  20,6  bis  2,6%).  Auch  bei  der 
Anaerobiose  trat  der  Stickstoffverlust  ein,  nicht  der  Fettverlust.  Ver- 
fasser ist  geneigt,  den  Zuwachs  an  Kohlehydraten  aus  den  zu  Verlust 
gegangenen  Eiweißstoffen  herzuleiten. 

Unglaublich  klingt  die  Angabe  F  e  r  m  i  s^),  es  solle  Schimmel 
und  Hefen  geben,  die  auf  salz-  und  N-freien  Nährböden  wachsen  und 
selbst  N-frei  bleiben  (vgl.  oben  G  e  r  1  a  c  h  und  Vogel). 

Von  den  Unterschieden,  die  durch  die  Sporenbildung  bedingt 
werden,  wurde  schon  gesprochen. 

Wenn  wir  uns  jetzt  zu  den  einzelnen  Bestandteilen  wenden,  die 
den  Körper  der  Mikroorganismen  zusammensetzen,  so  müssen  wir 
leider  von  vornherein  auf  die  Unvollkommenheit  unserer  Kenntnisse, 
die  sich  zimi  Teil  durch  die  oben  angedeuteten  Schwierigkeiten  der 
rntersuchung  erklärt,  hinweisen.  Ein  Hauptmangel  vieler  der  vor- 
liegenden Analysen  besteht  auch  darin,  daß  sie  nicht  untereinander 
vergleichbar  sind,  weil  sie  an  verschiedenen  und  oft  nicht  einmal  ge- 
nügend bekannten  Mikroorganismen  und  mit  verschiedenen  Methoden 
gewonnen  sind. 

§  25.  Proteinstoffe  nnd  deren  Abkömmlinge.  Die  ersten 
Autoren,  die  sich  mit  chemischen  Untersuchungen  von  Bakterien  be- 
faßten, Nencki  und  Schaffer  (Taf.  I  auf  S.  52)  schlugen  aus  Kul- 
turen von  Fäulnisbakterien  in  2%  Gelatinelösung  oder  in  3,3  prozentiger 
Losung  von  schleimsauren  Ammoniak  die  Bakterien  durch  Kochen 
mit  2,5  prozentiger  Salzsäure  nieder,  wuschen  den  Niederschlag  mit 
Wasser  aus,  trockneten  und  extrahierten  ihn  mit  Alkohol  und  Äther, 
digerierten  ihn  auf  dem  Wasserbade  mehrere  Stunden  lang  mit  0,5  proz. 


62  Kap.  II,  §  25. 

KalilÖBung,  wobei  nur  ein  geringer  Rest  (die  Membran  ?  §  13  u.  §  27) 
übrig  blieb,  und  fällten  schließlich  nach  Neutralisierung  des  Alkalis 
durch  Salzsäure  bis  zu  schwach  saurer  Reaktion  mit  Hilfe  von  konzen- 
trierter Kochsalzlösung  oder  Eintragen  von  Steinsalz  bis  zur  Sättigung 
einen  eigentümlichen  Körper,  den  sie  Mykoprotein  nannten. 
Dieser  Stoff  ist  frisch  darsgestellt  in  Wasser,  Säuren  und  Alkalien 
leicht  löslich,  wird  aber  nach  dem  Trocknen  bei  HO'*  von  Wasser 
nicht  mehr  völlig  gelöst.  Die  wässerige  Lösung  reagiert  schwach  sauer. 
In  Lösungen  neutraler  Salze  ist  das  Mykoprotein  unlöslich  und  wird 
aus  saurer,  nicht  aus  alkalischer  Lösung  durch  gesättigte  Salzlösung 
gefällt.  Seine  Lösungen  geben  mit  Ferrocyankalium,  Gerbsäure,  Pikrin- 
säure und  Quecksilberchlorid  starke  Niederschläge.  Salpetersäure 
gibt  nur  eine  schwache  Trübung  und  keine  X  an  th  o  pro  te  in- 
reaktion.  Die  Miller  sehe  Reaktion  und  die  B  i  u  r  e  t  -  Probe 
fallen  positiv  aus.  Durch  Alkohol  wird  die  wässerige 
Lösung  nicht  gefällt.  Die  Elementaranalyse  ergab  in  4  Be- 
stimmungen: 

Mykoprotein  aus  Bakterien  (aschefrei):    52,1 — 52,6%  C. 

7,3-  lfi%  H. 
14,5—14,9%  N. 

Das  entspricht  etwa  der  Formel  C25  H42  N^  O3.  Weder 
Schwefel  noch  Phosphor  war  in  der  Substanz 
nachweisbar.  Da  Nencki  und  Schaffer  aus  dem  Ge- 
wicht der  entfetteten  Bakterien  40 — 50%  reines  Mykoprotein  darstellen 
konnten,  und  sie  die  elementare  Zusammensetzung  der  ganzen  Bak- 
terien (s.  Taf.  II)  sehr  ähnlich  fanden,  schlössen  sie,  daß  das  Myko- 
protein bei  weitem  den  größesten  Teil  des  Bakterienkörpers  (90%) 
ausmache.  Auch  aus  Hefe,  nicht  aus  Schimmelpilzen  (S  i  e  b  e  r)  wurde 
von  den  Autoren  durch  Ausziehen  mit  verdünnter  Salzsäure,  Fällung 
mit  Steinsalz  und  Behandlung  mit  Alkohol  und  Äther  ein  ganz  ähn- 
licher Stoff  gewonnen,  der  in  2  Bestimmungen  enthielt: 

Mykoprotein  aus  Bierhefe  (aschefrei)    52,1 — 52,5%  C. 

7,60/^  H. 
14,6—14,9%  N. 

Schloßberger*)  hatte  schon  durch  Ausziehen  der  entfetteten 
Hefezellen  mit  verdünnter  Kalilauge  und  Neutralisation  des  Filtrate« 
einen  Eiweißkörper  erhalten,  der  auch  schwefelfrei  war  und  aus  55,5%  C, 
7,5%  H,  14,9%  N  bestand.  Nach  Nencki  und  Schaffer  wäre 
hierin   noch  eine  alkohollösliche  eiweißartige  Substanz   enthalten  ge- 


1)  Ann.  Chem.  Pheurm.  51.  205. 


Chemische  Zusammensetzung.  63 

wesen,  denn  wenn  sie  den  Niederschlag  aus  ihrem  Salzsäuren  Hefe- 
auszttg  nur  mit  Äther  behandelten,  bekamen  sie  ein  Präparat,  das  fast 
genau  die  gleiche  Zusammensetzung  wie  das  von  Schloßberger 
gefundene  hatte. 

Wenn  es  hiemach  schien,  als  ob  in  dem  Mykoprotein  eine  gut 
charakterisierte,  den  Mikroorganismen  eigentümliche  Eiweißsubstanz 
gewonnen  wäre,  so  haben  die  späteren  Untersuchungen  das  leider  nicht 
bestätigt,  da  das  Mykoprotein  niemals  wiederge- 
funden worden  ist.  Ob  die  besondere  Beschaffenheit  desselben 
sich  aus  der  die  Zellsubstanz  stark  angreifenden  Darstellungsmethode 
erklärt^  wie  man  anzunehmen  wohl  ein  Recht  hätte,  oder  aus  der  Eigen- 
tümlichkeit der  untersuchten  Bakterien,  mag  dahingestellt  bleiben. 
Die  letztere  spielt  sicher  eine  wichtige  Rolle.  Jedenfalls  ist  es  vielfach 
sonst  gelungen,  aus  Mikroorganismen  Eiweißstoffe  zu  erhalten,  die  sich 
den  bekannten  namentlich  auch  in  ihrem  Schwefelgehalte^)  anreihen. 
Wir  zählen  hier  die  von  den  verschiedenen  Forschern  erhaltenen  Er- 
gebnisse auf. 

Schon  das  von  N  e  n  c  k  i  selbst  und  seinem  Schüler  D  y  r  - 
m  o  n  t  ^)  aus  Milzbrandbazillen  und  Sporen  gewonnene  Anthrax- 
protein  unterscheidet  sich  durch  seine  Zusammensetzung  (52,6%  C, 
6,8%  H  und  16,2%  N)  und  seine  Reaktionen  weniger  von  den  gewöhn- 
lichen Eiweißstoffen,  wenn  es  auch  noch  als  schwefelfrei  beschrieben 
wird.  N  e  n  c  k  i  selbst  vergleicht  das  Anthraxprotein  einerseits  den 
Schleimstoffen,  andererseits  den  Pflanzenkaseinen.  Ebenso  wenig 
gelang  es  Brieger'),  aus  den  Leibern  des  Bac.  pneumoniae  Myko- 
protein darzustellen.  Die  organische  Grundsubstanz  der  Bakterien 
ergab  Eiweißreaktionen,  enthielt  aber  nur  9,75%  Stickstoff,  muß  also 
mit  anderen  Stoffen  stark  gemischt  gewesen  sein.  Wie  N  e  n  c  k  i 
stellte  Buchner*)  seine  hitzebeständigen  Bakterienpro- 
teine, insbesondere  das  Pneumobazillen-  und  Pyocyaneusprotein 
durch  Digerieren  der  Bakterien  mit  verdürmter  Kalilauge  dar.  Sie  unter- 
schieden sich  aber  von  dem  Mykoprotein  durch  den  positiven  Ausfall 
der  Xanthoproteinreaktion,  die  Fällbarkeit  durch  Alkohol  imd  ver- 
dünnte Säuren,  die  Nichtfällbarkeit  durch  Quecksilberchlorid.  Übrigens 
betrug  die  Ausbeute  nur  etwa  ^/^  der  Trockensubstanz.  Andere  Bak- 
terien, z.  B.  Bac.  prodigiosus,  ergaben  sogar  nur  Spuren  von  Protein. 

1)  Rubner  (Arch.  Hyg.  57,  180)  fand  d€W  Verhältnis  zwischen  dem 
Stickstoff-  und  Schwefelgehalt  bei  Proteusbazillen  in  Fleischextrakt  ziemlich 
beständig  (1  :  0,05—0,08),  in  Agarkulturen  1  :  0,14. 

2)  Arch.  exp.  Path.  Pharm.  21. 

3)  Zeitechr.  physiol.  Chemie  0. 

4)  BerL  klin.  W.  1890,  30  und  47. 


64  Kap.  II,  §  26. 

Eine  Elementaranalyse  wurde  von  B  u  eh n  e  r  nicht  gemacht.  Später 
stellte  Büchner^)  nach  dem  Vorgang  von  Römer  ähnliche 
Proteine  her  durch  einfaches  längeres  Auskochen  der  Bakterienleiber 
mit  Wasser,  das  besonders  wirksam  war,  wenn  die  Bakterien  vorher 
scharf  getrocknet  waren.  Die  Menge  der  Substanz  wurde  dadurch  so 
gesteigert,  daß  sie  bis  zu  ^/g  der  Trockensubstanz  betrug.  Von  den 
alkalischen  Auszügen  unterschieden  sich  die  so  hergestellten  Extrakte 
dadurch,  daß  sie  durch  schwaches  Ansäuern  nicht  mehr  gefällt  wurden. 
Genaue  Untersuchungen  dieser  sicher  stark  veränderten  Substanzen 
fehlen  (vgl.  §  280). 

Wohl  charakterisierten  Eiweißstoffen,  und  zwar  einem  Glo- 
bulin und  einem  Alkalialbuminat  entsprachen  die  Sub- 
stanzen, die  H  e  1 1  m  i  c  h  2)  durch  sehr  vorsichtige  Behandlung  (Aus- 
ziehen mit  5 — 6  prozentigen  Ammonsulfat  und  0,5%  Sodalösung  in 
der  Kälte)  aus  Heubazillen  darstellte.  Die  gewonnenen  Mengen  scheinen 
aber  nur  klein  gewesen  zu  sein,  auch  ist  das  Verfahren  sonst  ohne  Er- 
folg   (B  u  c  h  n  e  r). 

Sehr  ausführlich  sind  schon  die  älteren  Studien  von  N  ä  g  e  1  i 
und  L  ö  w  ^)  über  die  Hefe.  Sie  erhielten  aus  Hefezellen,  die  sie  während 
eines  Jahres  in  1  prozentiger  Phosphorsäure  mazeriert  und  dann  elfmal 
binnen  20  Tagen  mit  Wasser  gekocht  hatten,  36%  „gewöhnliches 
A 1  b  u  m  i  n^\  das  dem  Eieralbumin  am  nächsten  verwandt  war,  9% 
leicht  zersetzbares  „Protein**,  das  teilweise  alkohollöslich  war  und 
auch  in  seinen  übrigen  Eigenschaften  dem  Glutenkasein  Ritthausens 
entsprach,  ferner  2%  Pepton  und  etwas  Leucin,  nebst  Spuren 
von  Guanin,  Xanthin,  Sarkin  und  anderen  Extraktstoffen,  die  wohl 
anderer  Herkunft  waren   wie  Glyzerin,  Bernsteinsäure,  Cholestearin. 

Daß  echtes  Eiweiß  ein  Hauptbestandteil  der  Hefezellen  ist,  haben 
auch  spätere  Untersuchungen  bestätigt.  Sehr  einfach  gelingt  die  Dar- 
stellung durch  folgendes  Verfahren*),  das  auch  technische  Verwertung 
gefunden  hat^);     Frische,  gut  abgepreßte  Hefe  wird  mit  Äther  innig 


1)  Münch.  med.  W.   1891,  49. 

2)  Arch.  exper.  Path.  und  Pharm.  26,  346. 

3)  Journ.  prakt.  Chem.  N.  F.  17. 

4)  Es  ist  wahrscheinlich,  daß  man  auch  bei  gramnegativen  Bakterien 
auf  ähnliche  einfache  Weise  Eiweißstoffe  der  Leibessubstanz  gewinnen  kann. 
Bei  der  ,,Aggressin-Dar8t<?llung"  (§  320)  von  Ruhr-  und  anderen  Bakterien 
erhält  man  durch  24  stündiges  Ausziehen  mit  Weisser  oder  Kochsalzlösung 
bei  20— 37<^,  schneller  bei  60"  mit  oder  ohne  Schütteln  bis  zu  25—30%  der 
Trockensubstanz.  Genauere  Untersuchungen  dieser  eiweißreichen  Lösun- 
gen fehlen. 

5)  Über  andere  technische  Verfahren  zur  Gewinnung  eiweißreicher 
Hefeextrakte  s.  in  Lafars  Handb.  techn.  Mykol.  5.  123,  1905. 


Chemische  Zusammensetzung.  65 

durchmischt  und  bei  möghchst  niederer  Temperatur  über  Nacht  stehen 
gelassen.  Am  folgenden  Morgen  hat  sich  die  Hefemasse  durch  Selbst- 
verdauung in  eine^  dünnen  Brei  verwandelt,  aus  dem  sich  nach  An- 
rühren mit  viel  Wasser  ein  schleimiger  Bodensatz  und  darüber  eine 
klare  Flüssigkeit  absondert.  Die  letztere  enthält  das  Eiweiß,  das  nach 
Ansäuern  mit  Essigsäure  durch  Kochen  abgeschieden  wird.  Schrö- 
der^) fand  als  Zusammensetzung  dieses  Hefeeiweißes : 

52,4%  C,  6,9%  H,  15,8%  N,  0,72%  S,  0,06%  P  nebst  0,14%  Asche. 
Er  gewann  daraus  durch  Spaltimg  mit  Säuren  neben  viel  Aminosäuren 
(70,5%  des  Stickstoffs,  danmter  namentlich  Leucin,  wenig  Tyrosin 
und  Phenylalanin,  kein  Glycocoll),  in  bedeutender  Menge  Basen  bzw. 
Diaminosäuren,  und  zwar  11,9%  des  Stickstoffs  als  Arginin  und  Histidin, 
11,0%  als  Lysin.  Cystin  wurde  in  Spuren,  eine  Eohlehydratgruppe 
nicht  erhalten« 

Während  N  ä  g  e  1  i  und  Low  das  Vorhandensein  eines  beson- 
deren phosphorhaltigen  Proteinstoffes  (Nuklein)  in  der  Hefe  nicht 
amiehmen  wollten,  wiesen  Hoppe-Seyler*),  Kossei  ^)  und 
Stutzer  seine  Existenz  nach.  E  o  s  s  e  1  erkannte  sogar  in  der  Hefe 
ein  besonderes  geeignetes  Material  zur  Darstellung  der  Nukleine  und 
zum  Nachweis  ihrer  Zusammensetzung.  A 1 1  m  a  n  n  stellte  aus  ihnen 
zuerst  die  Nukleinsäure  dar,  E o s s e  1  fand,  daß  sie  beim 
Sieden  mit  verdünnter  Säure  neben  den  spurenweise  schon  von  N  ä  - 
g  e  1  i  und  Low  beobachteten  Nukleinbasen  (Xanthin- 
körpem)  reduzierenden  Zucker  (Glykose  und  Pentosen^)  abspalten. 

Nach  Stutzer*)  verteilt  sich  der  Stickstoff  in  Schimmel-  und 
Hefepilzen  folgendermaßen:     Es  enthalten  Stickstoff: 


im  ganzen 

in  verdaulichem  Eiweiß, 

in  unverdaulichem  „Nuklein**, 

in  „Amiden**  und  Peptonen. 

Wollte  man  in  der  gleichen  Weise  nach  der  Verdaulichkeit  im 
Magensaft  den  Nukleingehalt  der  Bakterien  bestimmen,  so  würde 
man  wahrscheinlich  (s.  Eap.  I  §  10)  den  größten  Teil  ihres 
Körpers  als  Nuklein  bezeichnen  müssen  (s.  u.). 


Schimmel 

Hefe 

3.78% 

8,65% 

1,49  „ 

5,51  „ 

1,54,, 

2,26  „ 

0,75  „ 

0,88,, 

1)  Hofmeisters  Beitr.  ehem.  Phys.  2,  389. 

2)  Medizin,  chenpt.  Untersuchungen. 

3)  Dubois-Reymonds  Arch.  f.  Phys.   1891—93. 

4)  Vgl.  Levene,  Zeitschr.  physiol.  Chem.,  37.  402,  1903. 

5)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  6. 

Krate,  lOkrobiologle.  5 


66  Kap.  II,  §  25. 

Die  Nukleinbasen  stellten  v.  Lehmann*)  und  Nishimura^) 
quantitativ  aus  der  Hefe  dar.    Es  bestimmten 

Xanthin    Guanin   Adenin  H}rpoxanthin 
V.Lehmann  0,-0,05    0, --0,124   0,22— 0,29  %  d.  Trockensubstanz, 
N  i  s  h  i  m  u  r  a     0,0265       0,006  0,07    0,07  %  d.  Trockensubstanz. 

Später  isolierten  A  s  c  o  1  i  ^)  und  L  e  v  e  n  e*)  aus  Hefenuklein  auch 
die  Muttersubstanz  des  Thymins  (Uracil)  und  das  Cjrtosin. 

Das  am  wenigsten  eingreifende  Verfahren  zur  vollständigen  Ge- 
winnung der  Eiweißstoffe  aus  Hefezellen  besteht  in  der  Preßsaftdar- 
stellung nach  E.  und  H.  Buchner  und  M.  Hahn  (vergl.  Zymase 
§  89).  Der  ursprünglich  schwach  saure  Saft  hat  nach  E.  Büchner^) 
ein  spezifisches  Geweht  von  1,027 — 1,057,  einen  Trockengehalt  von 
8,5—14,3%  mit  5—6%  gerinnbarem  Eiweiß,  0,8—1,4%  Gesamtstick- 
stoff, 0,228%  organischem  Phosphor,  0,065%  organischem  Schwefel, 
1,3—1,8%  Asche.  Schon  bei  35 — 40®  gerinnt  ein  Teil  des  Eiweißes, 
bei  höherer  Temperatur  erstarrt  die  ganze  Masse.  Wroblewski*) 
fand  im  Preßsaft  außer  stickstoffreien  Körpern  (Kohlehydraten)  Le- 
zithin, Albumin,  Globulin,  Nukleinalbumin  und  mucinartige  Körper, 
Proteosen,  Peptone,  Tyrosin,  Leucin,  Glutaminsäure,  Xanthinkörper 
und  andere  Basen'). 

Die  Bedeutung  der  phosphorhaltigen  Eiweißstoffe  ist  auch  für  die 
Bakterien  festgestellt  worden.  So  fand  N  i  s  h  i  m  u  r  a  (s.  o.)  in  einem 
Wasserbazillus  von  Xanthinbasen  0,07%  Xanthin,  0,14%  Guanin, 
0,08%  Adenin,  kein  Hypoxanthin  in  der  Trockensubstanz. 

Schon  vor  Nishimura  hatte  übrigens  van  de  V  e  1  d  e  ^)  bei 
der  Analyse  des  Bac.  subtilis  Nuklein  nachgewiesen.  Lustig  und 
Galeotti*)  stellten  dann  zuerst  aus  Pestbazillen  durch  Ausziehen 
mit  verdünnter  Kalilauge  in  der  Kälte  und  Niederschlagen  mit  Essig- 
säure oder  Ammonsulf at  ein  Nukleoproteid  dar,  aus  dem  sie 
Guanin  gewinnen  konnten;  Galeotti^®)  bestimmte  in  einem  auf 


1)  Zeitschr.  physiol.  Ch.  9. 

2)  Arch.  Hyg.   18.   325. 

3)  Zeitschr.  physiol.  Ch.  31. 

4)  Ebd.  39. 

5)  Zymasegärung  1903. 

6)  Zentr.  Physiol.  1898.  697;  Journ.,  prakt.  Chem.  64.  1,  1901. 

7)  Hier  sei  auf  die  ähnliche  Zusammensetzung  des  von  Reinke 
und  Rodewald  (Unt.  bot.  Inst.  Göttingen  1881)  untersuchten  Proto- 
plasmets  des  Äthalium  septicum,  eines  Schleimpilzes,  hingewiesen.  Analysen 
von  Protozoen  liegen  nicht  vor. 

8)  Zeitschr.  phys.  Chem.  8. 

9)  Deutsch,  med.  W.  97.  226. 
10)  Zeitschr.  phys.  Chem.  25. 


Chemische  Zusammensetzung.  67 

ähnliche  Weise  erhaltenen  „Nukleoproteid"  des  Bac.  ranicida  den  Gehalt 
an  Stickstoff  auf  12,  an  Phosphor  auf  1 — 1,8%.  Auf  Grund  ihrer  Studien 
über  die  Sarcina  lutea  und  den  Bac.  coli  betrachten  Y  a  u  g  h  a  n  , 
W  h  e  e  1  e  r  und  L  e  a  c  h  ^)  die  Bakteriensubstanz  als  im  wesent- 
lichen aus  „Glykonukleoproteiden"  bestehend.  Freilich  scheint  der 
Gegenstand  ihrer  Untersuchungen  nicht  gerade  glücklich  gewählt  zu 
sein,  wenigstens  mußte  W  h  e  e  1  e  r  ,  um  überhaupt  einen  Eiweißstoff 
aus  den  Leibern  der  Sarcina  lutea  zu  gewinnen,  sie  bei  120^  mit  10  proz. 
EaUlauge  kochen  und  erhielt  dabei  nach  Fällung  mit  Salzsäure  und  Al- 
kohol nur  etwa  4%  der  ursprünglichen  Trockensubstanz,  einen  Körper, 
der  zwar  0,86%  Phosphor  enthielt  und  die  Furfurolreaktion,  aber 
nicht  einmal  die  gewöhnlichen  Eiweißreaktionen  gab.  Xanthinbasen 
wurde  nicht  hieraus  erhalten,  aber  aus  einem  schwefelsauren  Auszug 
der  Bakterien,  übrigens  auch  nur  in  ganz  geringer  Menge.  Nach  C  a  r  a  - 
p  e  1 1  e  ^)  wäre  auch  in  den  Prodigiosusbazillen  ein  Glykonukleoproteid 
enthalten. 

Befriedigendere  Besultate  bekam  Aronson^)  mit  Diphtherie- 
bazillen. Zunächst  erhielt  er  durch  Ausziehen  mit  verdünntem  Alkali 
in  der  Kälte,  bei  100^  und  130®  und  Fällen  mit  Essigsäure  und  saurem 
Alkohol  ziemlich  viel  Eiweiß  (ca.  15%)  neben  Nukleoproteiden,  die 
Xanthinbasen  und  Pentosen  abspalteten,  und  aus  dem  essigsauren 
Filtrat  durch  Alkohol  noch  kleinere  Mengen  Nukleinsäuren,  die  durch 
ihre  Zersetzungsprodukte  Xanthinbasen,  Pentosen  und  Phosphor- 
säure charakterisiert  waren. 

Aus  Typhusbazillen  will  Paladino-Blandini*)  ein  Nuklein 
und  ein  Nukleoalbumin  isoliert  haben  (vgl.  Gamaleia   §  284). 

Durch  Ausziehen  mit  Kupferazetatlösung  und  weitere  Behandlung 
dieser  Lösung  stellte  Iwanoff  ^)  aus  den  Milzbrand-,  Pyocyaneus- 
und  Megatheriumbazillen  ebenso  wie  aus  Schimmelpilzen  Nukleopro- 
teide  dar. 

Stoklasa^)  bestimmte  (wie  oben  Stutzer  bei  Pilzen)  bei 
dem  Stickstoff  assimilierenden  Azotobacter  chroococcum  nach  Ent- 
fernung der  äther-  und  alkohollösUchen  Substanzen  den  Gehalt  an 
im  Hagensaft  verdaulichen  Eiweißstoffen  und  unverdaulichen  „Nuk- 
leinen".     An  ersteren  fanden  sich  etwa  20%  (14,7%  N  und  0,6%  P), 


1)  Transactions  of  the  Association  of  american  physicians  1902,  243  ff. 

2)  Zentr.  Bakt.  44.  440,  1907. 

3)  Arch.  Kinderh.  30. 

4)  Kif.  medica  1901,  ref.  Baumg.  Jahresber.   1901,  228. 

5)  Hofmeisters  Beitr.  1.  624,  1902. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.  629,  1908. 

5* 


68  Kap.  11,    §  25. 

am  letzteren  80%  (mit  15,8%  N  und  3,9%  P).   Die  Nukleine  enthielten 
die  Basen  Guanin,  Adenin  und  Hjrpoxanthin. 

Zahlreich  sind  die  Arbeiten  über  die  Stickstoff  Substanz  des  T  u  < 
berkelbazillus.  Schon  Hammerschlag  (vgl.  Taf .  I  S. 52) 
gelang  es,  mit  Alkalien  einen  Eiweißkörper  aus  den  Bazillen  auszuziehen, 
der  durch  Ammoniumsulfat  fällbar  war.  v.  Hof  mann  ^)  erhielt 
durch  verschiedene  Methoden  (Ausziehen  mit  Wasser  in  der  Kälte, 
mit  1  Voriger  Salzsäure  und  2 Voriger  Kalilauge)  6  verschiedene  Eiweiß- 
körper, die  zusammen  25%  der  trockenen  Tuberkelbazillensubstanz 
ausmachten.  K  1  e  b  s  *)  entfettete  die  Bazillen,  verdaute  sie  mit 
Pepsin  und  Salzsäure  und  zog  dann  aus  dem  Rest  mit  Alkalien  einen 
Körper  aus,  der  sich  als  ein  Nuklein  mit  8 — 9%  Phosphor  erwies. 
H.  Buchner  und  M.  H  a  h  n  ^)  wandten  die  Preßsaftmethode  auch 
auf  Tuberkel-,  Typhus-,  Cholera-,  Milzbrandbazillen  und  Staphylokokken 
an,  scheinen  aber  die  so  gewonnenen  Piasmine  nicht  näher  untersucht 
zu  haben.  Den  größten  Teil  der  Eiweißkörper,  die  durch  Essigsäure  in 
der  Kälte  gefällt  werden  und  sich  im  Überschuß  nicht  wieder  lösen, 
betrachten  sie  als  Nukleoalbumin.  R  u  p  p  e  1  *)  führte  diese  Unter- 
suchungen weiter,  indem  er  nach  dem  Vorgange  von  R.  K  o  c  h  *)  die 
Tuberkelbazillen  in  trockenem  Zustande  zerrieb,  bis  keine  unver- 
sehrten Bazillen  mehr  vorhanden  waren.  Die  Substanz  der  verkleinerten 
Bazillen  löste  sich  jetzt  etwa  zur  Hälfte  in  Wasser,  der  ungelöste  Teil 
kann  durch  Zentrifugierung  getrennt  werden.  Die  Lösung  reagiert 
schwach  alkalisch  oder  neutral,  enthält  keine  koagulierbaren  Eiweiß- 
körper imd  liefert  von  allen  Farbreaktionen  der  Eiweißkörper  nur  die 
B  i  u  r  e  t  -  Reaktion.  Sie  besitzt  die  Eigenschaft,  genuine  Eiweiß- 
körper aus  ihren  Lösungen  niederzuschlagen.  Essigsäure  erzeugt  in  der 
Flüssigkeit  eine  starke  Fällung,  die  sich  in  einem  Überschuß  der  Säure 
nicht  löst,  in  verdünnten  Alkalien  löslich  ist  und  die  etwa  4%  Phosphor 
enthält  und  die  Biuretprobe  gibt.  Durch  Ausschütteln  mit  1  prozentiger 
Schwefelsäure  wird  sie  gespalten  in  einen  wasserlöslichen  Rückstand, 
der  9,4%  Phosphor  enthält,  genuine  Eiweißkörper  zu  fällen  imstande 
ist  imd  sich  auch  sonst  als  eine  Art  Nukleinsäure  erweist,  R  u  p  p  e  1  s 
Tuberkulinsäure®),  tmd  ein  phosphorfreies  Produkt,  das  aus 

1)  Wien.  klin.  Woch.   1894,  38. 

2)  Zentr.  Bakt.  20.  488. 

3)  Münch.  med.  Woch.  1897.   1344. 

4)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  26,   1899. 

5)  Deutsch,  med.  Woch.   1897.   14. 

6)  Ruppel  und  Kitashima  spalteten  neuerdings  (bei  Behring 
Diphterie  in  Colers  Bibliothek  1901,  92)  die  Tuberkulinsäure  weiter  in 
Tuberkulothyminsäure  und  das  kristallinische  Tuberkulosin,  das  dem 
Thymin  ähnelt  und  wie  alle  anderen  Präparate  giftig  ist  ( §  304), 


Chemisohe  2usamxneilBetzung.  69 

der  schwefelsanren  Losung  durch  absoluten  Alkohol  niedergeschlagen 
wird,  in  warmem  Wasser  löslich  ist,  durch  Barytwasser  von  der  Schwefel- 
saure geschieden  und  durch  Alkohol  als  freie  Base,  die  den  Protaminen 
gleicht  (Kuppeis  Tuberkulosami n),  erhalten  werden  kann. 
Neben  dieser  Nukleinsaure-Protaminverbindung,  die  durch  Essigsäure 
aus  dem  Tuberkelbazillenauszug  niedergeschlagen  wird,  ist  in  diesem 
Nukleinsäure,  die  durch  salzsäurehaltigen  Alkohol  gefällt  wird,  noch 
in  freiem  Zustande  vorhanden.  Aus  den  ausgelaugten  Bazillenkörpern 
kann  man  durch  sehr  verdünnte  Alkalien  Stoffe  ausziehen,  die  sich  wie 
Xukleine  verhalten.  Der  Rest  besteht  aus  Fett  (s.  u.  §  26).  Aus 
den  ganzen  Bazillen  ließen  sich  diese  Substanzen  nicht  gewinnen,  sie 
gaben  vielmehr  zunächst  an  Sodalösung  und  Wasser  in  der  Kälte  und 
Wärme  pseudomucinähnliche^)  Stoffe  (ca.  15%)  und  nach 
dieser  Behandlung  und  gründlichen  Entfettung  an  5  prozentiges  61y- 
zerinwasser  erst  bei  150*  Albumosen  in  größerer  Menge  (18 — ^20%)  ab. 
Aus  den  Lösungen  fällt  beim  Abkühlen  eine  geringe  Menge  gänzlich  un- 
löslicher Substanz  aus,  die  merkwürdigerweise  sehr  giftig  ist.  Wieder- 
holte Behandlung  mit  Glyzerinwasser  entzieht  den  Bazillen  noch  6  bis 
8%  Albumose.  Die  übrigbleibenden  Bazillenleiber  (45%)  enthalten  noch 
ziemlich  viel  Fett  und  außerdem  Stoffe,  die  sich  erst  in  konzentrierter 
Salzsäure  lösen  und  die  dem  Keratin  oder  Chitin  nahe  zu  stehen  scheinen 
(§27). 

Die  quantitativen  Verhältnisse^)  ergeben  sich  aus  folgenden  Zahlen : 
In  100  g  scharf  getrockneter  Tuberkelbazillen  sind  nach  R  u  p  p  e  1 
enthalten  8  5  ^  Tuberkulinsäure, 

24,5  „  Nukleoprotamin, 

23,0  „  Nukleoproteid  (Nuklein), 

26,5  „  Fett  und  Wachs, 

9.2  „  Asche, 

8.3  „  Albuminoide,  Keratin  usw. 

Albumosen  und  Spuren  von  Peptonen  wurden  schon  von  K  ü  h  n  e  ^) 
neben  Albimünaten  im  Koch  sehen  Tuberkulin  gefunden,  sie  ent- 
stammten hier  freilich  zum  größeren  Teil  oder  auch  ganz  dem  Nähr- 
boden, und  jener  kleinere  Teil  wieder  brauchte  auch  in  den  Bazillen- 
leibem  nicht  vorgebildet,  sondern  konnte  aus  komplizierten  Eiweiß- 
körpem  durch  die  eingreifende  Behandlung  abgespalten  sein.  Zu  etwas 
abweichenden    Ergebnissen    führten    die    Untersuchungen     von     de 

1)  Vgl.  die  älteren  Angaben  von  Th.  Weyl  über  ein  „Toxomucin"  des 
baziUofl  (Deutsche  med.  Woch.  1891,  256).    Über  echte  Mucine  s.  u. 

2)  Vgl.  andere  Analysen  der  Tuberkelbazillen  bei  den  Fetten  §  26. 

3)  Zeitflchr.  f.  Biol.  30,  1894. 


70  Kap.  n.  §  26. 

G  i  a  X  a  ^).     Er  erhielt  aus  den  gut  entfetteten    ganzen    Bazillen 
mit  Kalilauge  von  0,5 — 5%  und  mit  Glyzerinwasser  bei  37®  und  100® 
allmählicli  eine  beträchtliche  Menge  (22 — ^24%  der  TrockenBubstanz) 
von  Eiweißkörpem,  die  er  wegen  ihrer  Reaktionen  als  Nukleoproteide 
betrachtet.   Dieser  Extraktionsmethode  widerstand  der  Rest  (35 — 42% 
der  Trockensubstanz),  den  er  wegen  seines  hohen  Phosphorgehalts  und 
der  Xanthinprobe  Nuklein  nannte.  Ähnliche  Ergebnisse  bekam  übrigens 
Barone^),   der  nach  der  Methode    de    Giaxas  arbeitete,  bei 
avirulenten    Diphtheriebazillen    und  einer    Aktinomy- 
zesart.    Bendix')  erhielt  ebenso  aus  Tuberkelbazillen  schon  durch 
kurzes  Ausziehen  mit  verdünnter  Natronlauge  bei  60 — ^70®  und  Fällung 
mit  Essigsäure  ein  „Nukleoproteid'\  das  unlöslich  in  Wasser,  Säuren 
und  Alkohol,  leicht  löslich  in  Alkalien,  resistent  gegen  die  Pepsinver- 
dauung,  stark  phosphorhaltig  war  und  außerordentUch  starke  Pentoaen- 
reaktion  gab.   Die  letztere  gelang  B  e  n  d  i  x  übrigens  auch  nach  Aus- 
kochen mit  5  prozentiger  Salzsäure,  Neutralisierung  und  nochmaliger 
Ansäuerung  in  dem  Filtrat  bei  „F  ä  k  a  1  b  a  k  t  e  r  i  e  n^^  und  D  i  p  h  - 
theriebazillen,  nicht  bei  Typhusbazillen.   Levene*) 
arbeitete  wieder  mit  zerriebenen   Tuberkelbazillen   und  gewann  aus 
ihnen  außer  freier  Nukleinsäure  durch  Ausziehen  mit  8prozentigem 
Ammoniumchlorid  drei  phosphorhaltige  Körper,  die  sämtlich  durch 
verdünnte  Salzsäure  und  Ammoniumsidfat  gefällt,  die  ferner  durch 
Hitze,   und   zwar  verschiedene  Temperaturen,    von  50 — 64",   72 — ^75* 
und  94 — ^95**  koaguUert  wurden  und  sich  außerdem  durch  ihr  Verhalten 
gegen   Kochsalz-    und  Magnesiumsulfatlösung    voneinander    trennen 
ließen.   Der  Autor  betrachtet  sie  daraufhin  als  Nukleoproteide. 
Schließlich  sprechen  A  u  c  1  a  i  r  und  P  a  r  i  s  ^)  von  einem  B  a  z  i  1 1  o- 
k  a  s  e  i  n    der  Tuberkelbazillen,  das  sie  nach  gründlicher  Entfettung 
(§  26)   durch  Erhitzung  mit  konzentrierter  Essigsäure  bei  80®  und 
Niederschlagen  mittels  Alkali  gewannen. 

Das  Vorkommen  einer  Kohlehydratgruppe  (Glukosamin?)  in  ver- 
schiedenen phosphorhaltigen  Eiweißkörpern  der  Bakterien  wurde  schon 
oben  erwähnt.  (Vaughan,  Wheeler  und  Leach,  Cara- 
pelle).  Von  Mucinbildung  durch  Bakterien  hat  man  eben- 
falls öfter  gesprochen,  H  e  i  m  ^)  benennt  z.  B.  die  Kapselsubstanz  der 
Milzbrandbazillen  so,  es  fehlt  aber  der  Nachweis  der  Identität,  und  man 


1)  Annal.  d'igien,  sperim.   1900,   191. 

2)  Baumgartens  Jahresber.   1901,  803. 

3)  Deutsche  med.  Woch.   1901,  2. 

4)  Joum.  medic.  research.  1901,  135,  zit.  bei  Leach  a.  a.  O. 

5)  Compt.  rend.  £ic.  sc.  146.  301,  1908  imd  Arch.  m^.  expör.   1908. 

6)  Münch.  med.  Woch.   1904,  10. 


Chemische  Zusammensetzung.  71 

wird  woU  aucli  hier  an  andere  Eiweißkörper,  z.  B.  Pseudomucine  denken 
können^).  Ein  Versuch  zur  Darstellung  der  Substanz  der  Milzbrand- 
kapsel hat  P  r  e  i  s  z  gemacht^).  Die  sulzige  Bakterienmasse  aus 
2—3  wöchentlichen  Kulturen  in  Pferdeserum  wurde  durch  Kalilauge 
oder  Sodalösung  gelöst,  durch  Papier,  dann  durch  Ton  filtriert  und 
mit  Essig^ure  gefällt,  gewaschen  und  im  Vakuum  getrocknet.  Bio- 
logisch ist  dieser  Stoff  nach  P  r  e  i  s  z  dadurch  wichtig,  daß  er  die 
Wirkung  milzbrandtötender  Sera  aufhebt  (vgl.  Aggressine  §  319). 

In  manchen  Fällen  ist  der  Bakterienschleim  sicher  von  Kohle- 
hydraten gebildet.  Bei  den  letzteren  (§  27)  und  der  Schleimgärung 
(§  128)  wird  weiter  davon  die  Rede  sein.  Ein  echtes  Mucin  soll  dagegen 
nach  C h a r r i n  und  Desprez'^)  in  den  Kulturen  auf  Fleisch- 
bouillon (nicht  in  mineraUschen  oder  Peptonlösungen)  des  Bac.  pyo- 
cyaneus  und  vielleicht  mancher  anderen  Bakterien  (Staphylokokk,, 
B.  coh,  Cholera)  sich  bilden,  während  der  Bac.  fluorescens,  der  dem 
Pyocyaneus  nahe  verwandt  ist,  nach  Lepierre*)  auch  bei  Er- 
nährung mit  milch-,  malon-,  äpfel-  und  weinsauren  Salzen,  am  besten 
sogar  mit  Peptonen  Mucin  erzeugen  soll  ^).  Man  darf  wohl  annehmen, 
daß  dieser  in  den  Kulturen  gefundene  Schleimstoff  aus  den  Bakterien- 
zellen selbst  stammt. 

Über  das  Vorkommen  von  Abbauprodukten  oder  Vorstufen  der 
Eiweißkörper,  insbesondere  Albumosen,  Peptonen  und  Aminosäuren 
in  den  Leibern  der  Mikroorganismen  findet  sich,  außer  dem  wenigen, 
was  oben  schon  bei  den  Hefepilzen  und  Tuberkelbazillen  erwähnt  wurde, 
kaum  etwas  in  der  Literatur  angegeben.  Trotzdem  und  obwohl  sie  gerade 
in  den  genannten  Fällen  wohl  im  wesentlichen  als  Kunstprodukte  zu 
betrachten  sind,  wird  man  nicht  fehl  gehen,  wenn  man  die  beständige 
Anwesenheit  von  derartigen  Stoffen  auch  in  den  Zellen  selbst  für  alle 
Mikroorganismen  annimmt.  Man  hat  ihnen  bisher  nur  zu  wenig  Auf- 
merksamkeit geschenkt,  und  sie  sind  auch  wohl  in  kleinsten  Mengen  als 
solche  in  den  Zellen  vorgebildet.  Wir  werden  im  weiteren  Verlauf  der  Er- 
örterungbei  Besprechung  des  Stoffwechsels,  der  Gifte  usw.  darauf  zurück- 
kommen. Bewiesen  ist  das  Vorhandensein  nicht  unbedeutender  Mengen 
N-haltiger  Abkömmlinge  der  Eiweißkörper  bekanntlich  für  die  höheren 
(eBbaren)  Pilze.  Bei  Schimmelpilzen  (Mucor,  Aspergillus,  Penicillium)  fand 


1)  Vgl.    Hamm,    Zentr.  Bakt.  43.  287,  1907. 

2)  Ebenda  44.  209,  1907. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  126,  596. 

4)  ibid  761. 

ß)  Vgl.  auch   R  e  1 1  g  e  r  ,    Joum.  of.  med  research.  1903.    Schleim- 
produktion  durch  Bac.  subviscosus  Mig. 


72  Kap.  n,  i  25  u.  26. 

Marschall^)  außer  den  Eiweißkörpern  noch  beträchtliche  Mengen 
wasserlöslicher  Extraktivstoffe  mit  einem  N-Glehalt  von  ca.  6 — S% 
Es  ist  zweifelhaft,  um  was  es  sich  dabei  gehandelt  hat,  wahrscheinUch 
waren  es  zum  größten  Teil  nur  Kunstprodukte,  die  bei  der  Löslich- 
machung  der  Eiweißkörper  aus  deren  Zerfall  gewonnen  wurden.  Bei 
der  Analyse  von  Mikroorganismen  ist  femer  nicht  zu  vergessen,  daß 
dieselben  bei  der  Selbstverdauung  (§  166)  aus  Eiweißstoffen  einfache 
N  -  haltige  liefern  können. 

Noch  fast  gar  nicht  studiert  ist  bisher  die  feinere  Zusammen- 
setzung der  bakteriellen*)  Eiweißkörper  nach  den  von  E.  Fischer 
angegebenen  Methoden.  Nur  London  und  R  i  v  k  i  n  d^)  geben  an, 
daß  sich  die  Eiweißstoffe  der  Tuberkelbazillen,  wie  es  ja  schon  aus 
den  Analysen  B  u  p  p  e  1  s  wahrscheinlich  war,  den  sonst  bekannten, 
mit  mittlerem  Diaminosäurengehalt  nähern.  Es  wäre  wichtig,  diese 
Erfahrungen  zu  erweitern  und  namentlich  festzustellen,  wie  sich  die 
Zusammensetzung  des  Bakterien-  und  Pilzeiweißes  mit  der  Ernährungs- 
weise ändert,  ob  z.  B.  die  einseitige  Ernährung  mit  diesen  oder  jenen 
Aminosäuren  auf  sie  einen  Einfluß  hat. 

Aber  auch  davon  abgesehen  weisen  die  bisherigen  Untersuchimgen 
noch  zahlreiche  Widersprüche  und  Lücken  auf.  Es  fehlt  vor  allem  an 
einer  systematischen  Vergleichung  möglichst  verschiedener  Mikroben- 
arten unter  Benutzung  der  einzelnen  bisher  empfohlenen  Methoden. 
Noch  nicht  aufgeklärt  sind  ferner  die  Beziehungen,  in  denen  das  Ver- 
halten der  Bakterien  gegen  die  Gramfärbung  und  die  damit  nach 
unserer  Darstellung  (s.  o.  §  18)  parallel  gehende  Widerstandsfähigkeit 
gegen  Verdauungsfermente,  Alkalien,  Serumbakteriolyse  usw.  einer- 
seits und  die  Zusammensetzung  des  Protoplasmas  andererseits  stehen. 
Etwas  mehr  wissen  wir  über  die  Beziehungen  zwischen  Säurefestig- 
keit der  Mykobakterien  und  ihrem  Fettgehalt  (§  26).  Daß  die  Natur 
der  mikrochemisch  nachweisbaren  Inhaltsbestandteile,  z.  B.  des 
Meyer  sehen  Volutins  uns  noch  ziemlich  unbekannt  ist,  wurde  schon 
erwähnt  (§  22). 

Die  chitinartigen  N-haltigen  Stoffe  und  N-haltigen  Fette  (Lezithin) 
werden  weiter  unten  bei  den  Kohlehydraten  imd  Fetten  (§  26,  27) 
besprochen  werden,  die  stickstoffhaltigen  oder  mindestens  von  stick- 
stoffhaltigen, meist  sogar  eiweißähnlichen  Beimengungen  nicht  zu 
trennenden  Enzyme,  Gifte,  Angriffs-  und  Impfstoffe,  ferner  die  Pig- 
mente, in  besonderen  Kapiteln. 


1)  Arch.  Hyg.  28. 

2)  Über  Hefe  s.  o.  Nägeli  und  Low,  Schröder,  Wroblewski. 

3)  Zeitschr.  physiol.  Chemie  56,  550. 


Chemische  Zusammensetzung.  73 

§  26.  Fette,  Cholestearin,  Lezithin,  Wachs  usw.  Daß  den 
Mikroorganismen  regelmäßig  ein  gewisser  Fettgehalt  zukommt,  haben 
wir  schon  aus  Taf.  I  u.  III  (S.  53  u.  55)  ersehen.  Manchmal  läßt  sich  das 
Fett  sogar  schon  mikroskopisch  in  Tröpfenform  durch  mikrochemische 
Reaktionen  erkennen  (§  22).  Über  die  chemische  Beschaffenheit  des 
Fettes  geben  verschiedene  Arbeiten  Aufschluß.  N  ä  g  e  1  i  und  Low 
(Taf.  I)  fanden  in  der  Hefe  ein  bei  gewöhnhcher  Temperatur  flüssiges, 
vollständiges  verseifbares  Fett,  das  sie  deshalb  als  zum  größten  Teil 
aus  Ölsäure  bestehend  betrachteten.  Lezithin,  das  Hoppe-Sey- 
ler^)  festgesteUt  hatte,  konnten  sie  nicht  nachweisen,  wohl  aber  ge- 
ringe Mengen  Cholesterin.  Hinsberg  und  B  o o s ^)  fanden  vor 
kurzem  im  Ätherauszug  der  Bierhefe  neben  zwei  Cholesterinen  und 
einem  ätherischen  öl  eine  gesättigte  Fettsäure  von  der  Formel  CuHg^Og, 
eine  imgesattigte  Säure  C^^HgjOg  und  eine  Säure  von  der  Zusammen- 
setzung der  Ölsäure.  Das  C  e  r  o  1  i  n  ,  das  neuerdings  an  Stelle  der 
Hefe  selbst  als  Heilmittel  gegen  Furunkulose  gebraucht  wird,  ist  nichts 
anderes  als  das  Fett  der  Hefe  ^).  S  i  e  b  e  r  (Taf.  I)  fand  in  dem  äthe- 
rischen Auszug  von  Schimmelpilzen  nicht  nur  „Fett",  sondern 
auch  Farbstoff  imd  in  geringer  Menge  eine  kristallinische  Substanz, 
die  er  nicht  näher  bestimmen  konnte,  die  aber  hauptsächlich  von 
Alkohol  aufgenonmien  wird  und  auch  in  Wasser  gut  löslich  ist.  Auch 
machte  er  das  Vorhandensein  von  Lezithin  wahrscheinlich  durch  Dar- 
stellung von  Phosphorsäure  und  eines  Platindoppelsalzes  aus  dem 
Atherextrakt.  Marschall  (Taf.  I)  beschreibt  den  Ätherextrakt 
aus  Schimmelpilzen  als  zähflüssig,  den  Alkoholextrakt  als  harz- 
artig. Es  mag  hier  daran  erinnert  werden,  daß  höhere  Pilze  oft 
sehr  große  Mengen  von  Harzen  teils  ausscheiden,  teils  in  den  Zell- 
häuten oder  im  Zellinhalt  ablagern  (Zop f).  Auch  Fettfarb- 
Stoffe  (Lipochrome)  werden  von  ihnen  häufig  gebildet,  fehlen  aber 
auch  den  Bakterien  nicht  (Kap.  XV). 

Aus  Fäulnis  bakterien  stellten  schon  N  e  n  c  k  i  und  Schaf- 
fer (Taf.  I)  ein  Fett  dar,  das  bei  gewöhnhcher  Temperatur  fest  war 
und  72,5%  C  und  11,7%  H  enthielt.  Sie  schUeßen  aus  dem  etwas 
niedrigen  Kohlenstoffgehalt,  daß  außer  Fett  noch  andere  kohlenstoff- 
ärmere Substanzen  in  geringer  Menge  beigemischt  waren.  C  r  a  m  e  r^) 
fand  in  dem  Ätherextrakt  seiner  Eapselbazillen  ein  Fett,  das  fast 
weiß  war  und  nicht  viel  über  40*  C  schmolz,  also  auch  wohl  vorwiegend 


1)  ZeitBchr.  physiol.  Chem.  2  und  3. 

2)  Ebenda  38,  1903. 

3)  Hinsberg  und  R  o  o  s  ,  Münch.  med.  W.  1903,  28~-29. 

4)  Arch.  Hyg.   16. 


74  Kap.  II,  {  26. 

Olein,  und  zwar  umsomehr,  je  reicher  der  Gehalt  des  Nährbodens  an 
Traubenzucker  war.  Der  viel  beträchtlichere  Alkoholeztrakt  stellte 
eine  gelbbraune  Masse  dar,  die  sich  im  Wasser  fast  gar  nicht,  in  ver- 
dünnter Natronlauge  und  wenig  Alkohol  leicht  löste.  Auch  das  Fett, 
das  Dzierzgowski  und  Rekowski  (Taf .  I)  aus  Diphtherie- 
bazillen  auszogen,  hatte  eine  ähnüche  Zusammensetzung,  es  schmolz 
schon  bei  37,5®.  Cholesterin  fehlte.  Auch  A  r  o  n  s  o  n^)  beschreibt 
das  Fett  der  Diphtheriebazillen  ähnlich.  Die  Ölsäure  selbst  neben 
Palmitin-  und  Stearinsäure  gewann  Nishimura  (Taf.  I)  aus  dem 
Ätherextrakt  seiner  Wasserbazillen,  außerdem  noch  beträchtlicbe 
Mengen  von  Lezithin  (0,68%  der  Trockensubstanz),  dagegen  Chole- 
sterin nur  einmal  in  Spuren.  Stoklasa  (Taf.  I)  schließt  aus  den 
Phosphorgehalt  im  Äther- Alkoholextrakt  des  Azotobacter  chroococeum, 
daß  der  größere  Teil  desselben  aus  Lezithin  bestehe.  Daß  auch 
zahlreiche  andere  Bakterien  Lezithin  enthalten,  ist  aus  der  nach  dem 
Phosphorgehalt  geordneten  Taf.  III  (S.  55),  die  einer  Arbeit  von 
N  i  c  o  1 1  e  und  Alilaire  entnommen  ist,  zu  ersehen. 

Besonders  zahlreich  sind  die  Untersuchungen  über  das  Fett  der 
Tuberkelbazillen,  das  in  ihnen,  wie  wir  schon  gesehen,  sehr  reichlich 
enthalten  ist.  Der  erste  Autor,  dem  diese  Tatsache  auffiel,  Ham- 
merschlag (Taf.  I),  wies  auch  darauf  hin,  daß  die  Fettsäuren 
des  Tuberkelbazillenfettes  erst  bei  höherer  Temperatur  (63*)  schmolzen, 
also  wesentlich  aus  Palmitin-  und  Stearinsäure  beständen.  Auf  das  Vor- 
handensein von  Lezithin  schloß  er  aus  dem  Phosphorsäuregehalt  des 
mit  Bariumhydroxyd  veraschten  Fettes.  Cholesterin  schien  zu  fehlen. 
Klebs^)  hatte  etwas  andere  Resultate;  er  erhielt  durch  Ausziehen 
mit  Äther  20,5%  der  Trockensubstanz  als  ein  festes,  rotgefärbtes  Fett, 
das  bei  42  •  schmolz  und  außerdem  durch  Benzol  1,14%  als  eine  in 
Äther  unlösliche  weiße  Masse,  die  jenseits  50*  schmolz.  Gleichzeitig 
wies  K 1  e  b  s  darauf  hin,  daß  die  Säurefestigkeit  der  ge- 
färbten Tuberkelbazillen  auf  ihrem  Gehalt  an  Fett  beruhe.  Das  Fett 
gibt  die  Reaktion  gerade  so  wie  die  ganzen  Bazillen,  und  die  ent- 
fetteten Bazillen  geben  die  Reaktion  nicht  mehr.  Später  ist  diese  Be- 
obachtung wiederholt  bestätigt  worden,  namentlich  von  Koch, 
A  r  o  n  8  o  n  und  de  G  i  a x  a  ^),  ohne  daß  dadurch  aber  über  die  Natur 
der  säurefesten  Substanz  völlige  Klarheit  geschaffen  worden  wäre. 

R.  K  o  c  h  ^)  fand  in  den  Tuberkelbazillen  das  Fett  in  Form  un- 
gesättigter Säuren,  und  zwar  ließ  sich  ein  Teil  schon  in  der  Kälte  durch 


1)  Arch.  Kinderheilk.  30. 

2)  Vgl.  Lit.  in  §  25,  S.  68  ff. 

3)  Deutsche  med.  Woch.   1897,   14. 


Chemische  Zusammensetzung.  75 

verdünnten  Alkohol,  der  andere  erst  in  der  Siedehitze  durch  absoluten 
Alkohol  oder  Äther  ausziehen.  Beide  nehmen  die  spezifische  Bazillen- 
färbung an.  Bei  Behandlung  mit  heißer  Natronlauge  sieht  man,  wie 
das  Fett  tropfenförmig  aus  den  Bazillen  austritt,  die  dann  schließUch 
nicht  mehr  die  spezifische  Färbung  geben. 

A  r  o  n  s  o  n^)  erhielt  aus  den  Tuberkelbazillen  durch  Äther- 
Alkohol  20 — 26%  des  Trockengewichts  als  eine  gelbbraune,  zähe  Masse, 
im  ganzen  aus  mehreren  hundert  Litern  Kultur  70  g  Substanz.  Sie 
bestand  zu  17%  aus  freier  Fettsäure,  die  zum  größten  Teil  in  Alkohol 
löslich  war,  und  sonst  aus  Wachs,  d.  h.  aus  Estern  von  Fettsäure  und 
höheren,  im  Wasser  unlösHchen  Alkoholen,  welche  letztere  durch 
Kochen  mit  alkoholischer  Kalilauge  abgeschieden  wurden,  in  Äther, 
Petroläther  und  Aceton  löslich  waren  und  beim  Kochen  mit  Essig- 
saureanhydrid  unter  Bildung  eines  Essigsäureesters  sich  lösten.  Die 
Reaktion  auf  Cholesterin  versagte.  A  r  o  n  s  o  n  ist  der  Meinung,  daß 
die  Hauptmenge  des  Tuberkelwachses  nicht  in  den  Leibern  der  Bazillen 
selbst,  sondern  als  ein  Sekretionsprodukt  zwischen  ihnen 
liege.  Dieses  extrabazillare  Wachs  werde  zimächst  bei  der  Ätherbehand- 
lung entfernt,  nur  teilweise  das  intrazelluläre.  Daher  bleibe  vorläufig 
die  Säurefestigkeit  bei  der  Mehrzahl  der  Bazillen  bestehen.^)  Ähnlich 
waren  die  Befunde  von  de  G i  a x  a. 

R  u  p  p  e  1  (§  25)  unterscheidet  in  den  Tuberkelbazillen  drei  Arten 
von  Fett:  Das  erste,  etwa  8%,  löst  sich  in  kaltem  Alkohol,  ist  salben- 
artig, rot,  enthält  viel  freieFettsäure  und  schmilzt  bei  55 — 60®, 
das  zweite  wird  durch  heißen  Alkohol  den  Bazillen  entzogen,  es  ist 
farblos,  wachsartig,  schmilzt  bei  65®  und  läßt  sich  nur  sehr 
schlecht  verseifen.*)    Der  dritte  Anteil,  der  durch  Äther  ausgezogen 

1)  Berl.  klin.  Woch.   1898,  484. 

2)  Setzt  man  in  geringer  Menge  Salzsäure  zu  dem  Äther-Alkohol- 
gemisch, so  geht  die  Säurefestigkeit  schnell  verloren.  A  r  o  n  s  o  n  erklärt 
das  dadurch,  daß  die  Saure  die  Hülle  der  Bazillen  durchgängiger  mache. 
Grimme  (Zentr.  Bakt.  32)  findet  aber,  daß  Tuberkel-  und  Thimothee- 
bazillen  nach  dreitägigem  Aufenthalt  in  0,5%iger  Salzsäure  oder  nach 
einer  10  Min.  währenden  Einwirkung  von  Javelle-Lösung  vollständig  oder 
größtenteils  ihre  Säurefestigkeit  einbüßen.  Der  färbbare  Stoff  könne  also 
kein  Fett  sein,  wenn  er  sich  auch  durch  Fettextraktionsniittel  (namentlich 
Xylol)  entfernen  lasse.  Zu  den  Eiweißkörpern,  wie  Hammerschlag 
meint,  scheine  die  Substanz  ebensowenig  zu  gehören,  da  Verdauung  mit 
Trypsin  sie  nicht  zerstöre.  Vgl.  aber  über  Säurefestigkeit  B  u  1 1  o  c  h  und 
Macleod,  Auclair  und  Paris  weiter  unten  im  Text  und  H  e  1  - 
b  i  n  g  ( {  27)  beim  CHiitin. 

3)  Levene  (Joum.  med.  research  1904,  251)  findet  den  Schmelz- 
punkt des  durch  heißen  Alkohol  aus  den  gepulverten  Bazillen  ausgezogenen 
und  dann  mit  kochendem  Benzol  aufgenommenen  Fettes  bei  55 — 60®. 
Auch  ihm  gelingt  die  Verseifung  nicht. 


76  Kap.  n,  §  26. 

wird,  sclimilzt  bei  65 — ^70®,  ist  "wachsartig  und  gibt  aach  beim 
Erwärmen  einen  dem  Bienenwachs  ähnlichen  Geruch.  Im 
ganzen  betrug  die  Fettmenge  8 — ^26%  der  Trockensubstanz.  Einen 
guten  Teil  des  Fettes  kann  man  den  Bazillen  erst  entziehen,  nachdem 
sie  bei  150^  gekocht  worden  sind. 

Die  ausführlichste  Arbeit  über  das  Fett  der  Tuberkelbazillen  ver- 
danken wir  K  r  e  s  1  i  n  g^).  Aus  seinen  Versuchen  wäre  nach  ihm 
„zu  ersehen,  daß  das  Fett  der  Tuberkelbazillen  eine  ganz- ei  gen- 
artige Substanz  darstellt,  welche  keinerlei  Ähnlichkeit  mit 
irgendeinem  anderen  Fett  oder  Wachs  aufweist.  Es  handelt  sich  hier 
eher  um  ein  Gemisch,  zusammengesetzt  aus  freien 
Fettsäuren,  Neutralfetten,  Fettsäureestern  und 
höheren  Alkoholen  (Lezithin,  Cholesterin)  und 
außerdem  einer  großen  Menge  von  Extraktiv- 
stoffen, welche  in  Wasser  unlöslich,  aber  in  Äther,  Alkohol,  Chloro- 
form oder  Benzol  löslich  sind,  und  welche  beim  Erwärmen  zum  Teil 
zerfallen,  um  in  Wasser  lösliche  Produkte  zu  bilden.  Die  Menge  solcher 
Produkte  bildet,  zusanmien  mit  den  wasserlöslichen  Fettsäuren,  dem 
Glyzerin  ( ?),  dem  Cholin  und  dem  ähnlichen,  25,764%  des  gesamten 
Fettes."  Die  freien  Fettsäuren  betragen  14,38%,  die  Neutralfette  und 
Fettsäureester  77,25%,  die  aus  den  letzteren  abgeschiedenen  Alkohole 
(mit  dem  Schmelzpunkt  43,5—44»)  39,10%,  das  Lezithin  0,16%  der 
durch  Chloroform  aus  den  Bazillen  gewonnenen  Substanz.  Die  Menge 
des  Cholesterins  und  die  der  Fettsäuren  überhaupt  (mit  dem  Schmelz- 
punkt 53,5)  wurde  nicht  bestimmt.  Im  Mittel  von  4  Bestimmungen 
betrug  die  Gesamtmenge  der  Fettsubstanz  38,95%  des  Trocken- 
gewichts der  Bakterien. 

Ähnlich  hohe  Fettzahlen  wie  Kresling  erhielten  auch  noch 
de  G  i  a  X  a  (a.  a.  0.),  B  a  u  d  r  a  n  (s.  u.),  de  Schweinitz  und 
D  o  r  8  e  t  ^),  imd  zwar  die  letzteren  am  meisten  —  37,4%  —  bei  einem 
stark  abgeschwächten,  d.  h.  lange  künstlich  kultivierten  Stamme  von 
menschlicher.  Tuberkulose,  am  wenigsten  —  20,6%  —  bei  Bazillen 
vom  Schweine,  mittlere  Mengen  von  26,3  bis  30,8%  bei  Bazillen  vom 
Rinde,  Menschen,  Huhn  und  Pferd.  Dieselben  Autoren  hatten  schon 
früher^)  aus  den  Schmelzpunktbestimmungen  geschlossen,  daß  der 
Tuberkelbazillus  außer  etwas  flüchtiger  Fettsäure  Palmitin-,  Arachin- 
und  Laurinsäure,  der  Rotzbazillus  Olein-  und  Palmitinsäure 
enthalte;   ferner  hatten  sie   aus   Kulturen   der   Tuberkelbazillen  auf 


1)  Zentr.  Bakt.  30.  24. 

2)  Zentr.  Bakt.  32.  3. 

3)  Zentr.  Bakt.  19.  707  und  22.  209. 


Chemische  Zusammenfassung.  77 

Asparagin-Nährlösungen  eine  kristallinische  Säure  von  der  Formel 
C-H^qO^  dargiestellt,  die  also  der  Teraconsäure  entspricht  (vgl.  Gifte, 
§260). 

Nach  einer  Untersuchung  von  B u  1 1  o c h  und  Macleod^) 
sind  den  Fettsauren  (Olein-,  M3rristin-,  Laurinsauren)  und  ihren  Fetten 
Lipochrome  (Fettfarbstoffe)  und  Fettsaureester  eines  höheren  Alkohols 
beigemengt,  dessen  Zusammensetzung  noch  nicht  feststeht,  der  aber 
dadurch  interessant  ist,  daß  er  die  Säurefestigkeit  der  Tuberkelbazillen 
bedingt  (s.  o.).  Der  Alkohol  wird  aus  trockenen  Tuberkelbazillen,  die 
vorher  mit  Methylalkohol  und  alkoholischer  Kalilauge  ausgekocht  sind, 
durch  Ausziehen  mit  Petroläther  erhalten.  Die  nähere  Darstellungs- 
weise  muß  im  Original  nachgelesen  werden. 

Die  Analysen  Baudrans^)  führten  zu  folgendem  Ergebnis: 
Die  Trockensubstanz  der  Tuberkelbazillen  soll  enthalten: 

Fettstoffe 36-44% 

und  zwar    Cholesterin 5 — 7% 

Stearin 15—18% 

Olein .       10—12% 

Lezithin       6—7% 

femer         Cellulose 3,6—5,5% 

Nuklein 3-4% 

Eiweißstoffe 50—56% 

Eisen 0,006—0,008% 

Mangan Spuren 

Auclair  und  Paris')  weichen  von  den  meisten  vorstehenden 
Forschem  dadurch  ab,  daß  sie  die  Säurefestigkeit  der  Bazillen  auch 
nach  vollständiger  Entfernimg  der  Fett-  und  Eiweißstoffe  durch  Be- 
handlung mit  Alkohol,  Äther  und  Chloroform,  sowie  Auskochen  mit 
Kali  in  dem  zellulosehaltigen  Kest^)  fortbestehen  sehen.  Danach 
wären  alle  diese  Stoffe  an  der  Säurefestigkeit  beteiligt. 

Einen  physiologisch  sehr  wichtigen  Bestandteil,  das  sogenannte 
Tuberkulo-Nastin,  trennte  D e y c k e  ^)  von  den  übrigen 
Fettstoffen  der  Tuberkelbazillen,  die  er  als  ein  Gemisch  von  Neutral- 
fetten und  hochmolekularen  Alkoholen  auffaßt.  Es  soll  identisch 
mit  dem  früher  von  ihm  und  Keschad-Bey*)  aus  einem  säure- 

1)  Joum.  of  hyg.   1904,  1. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  142.  667,  1906. 

3)  Ebenda  144.  278,  1907. 

4)  Vgl.   S  27. 

5)  Lepra.  Bibliotheca  international is  7,  188,  1907-. 

6)  Deutsch,  med.  Woch.  1907,  3. 


78  Kap.  II,  S  27. 

festen  Strahlenpilz  (Aktinom.  oder  Streptothrix  leproides)  dargestellten 
N  a  s  t  i  n ,  mit  dem  bei  der  Behandlung  der  Lepra  große  Erfolge  er- 
zielt worden  sind,  und  ein  Neutralfett  vom  Schmebspunkt  48 — 51^ 
sein.  Am  wirksamsten  ist  das  Nastin  in  einer  Lösung  von  Benzoyl- 
Chlorid,  das  sich  übrigens  auch  nach  der  Angabe  D  e  y  c  k  e  s  ganz 
besonders  als  Lösungsmittel  für  alle  Fettstoffe  der  säurefesten  Bazillen 
empfiehlt. 

§  27.  Kohlehydrate  und  Membranstoff e.^)  Von  Kohlehydra- 
ten, insbesondere  Hexosen  und  Pentosen,  als  Bestandteilen  der  Mikro- 
organismenleiber war  schon  im  §  25  die  Rede,  doch  handelte  es  sich  da 
nur  um  solche,  die  aus  Glyko-  und  Nukleoproteiden,  Muzin  und  Nuklein- 
säuren entbunden  werden  können,  hier  haben  wir  uns  mit  den  freien 
Kohlehydraten  des  Zellkörpers  zu  beschäftigen.  In  erster  Linie  inter- 
essiert uns  die  Frage,  ob  den  Mikroorganismen,  wie  den  eigentlichen 
Pflanzen  echte  Cellulose  als  Membranbestandteil  zukommt  oder 
nicht.  Die  Antwort  lautet  verschieden  je  nach  dem  untersuchten 
Material  und  dem  untersuchenden  Autor.  De  B  a r  y  ^)  hatte  schon 
für  die  echten  Pilze  angegeben,  daß  sie  sich  ungleich  gegenüber  den 
mikrochemischen  Cellulosereaktionen  verhielten.  Die  Zellenmembran 
vieler  Algenpilze  färbt  sich  mit  Chlorzinkjodlösung  violett,  mit 
Jod  und  verdünnter  Schwefelsäure  blau  imd  löst  sich  sowohl  in  Kupfer- 
oxydammoniak als  in  konzentrierter  Schwefelsäure,  wäre  danach  als 
echte  Cellulose  anzusprechen.  Bei  den  Mycomyceten,  zu  denen 
die  meisten  Schimmel-  und  die  Hefepilze  gehören,  erhält  man  meist 
die  Reaktionen  nicht  oder  nur  zeitweise,  z.  B.  bei  jungen  Membranen. 
De  B  a r y  schreibt  ihnen  deshalb  eine  besondere  Modifikation  des 
Zellstoffs,  die  P  i  1  z  c  e  1 1  u  1  o  s  e  zu,  die  sich  durch  den  Mangel  der 
Farbreaktionen  und  der  Löslichkeit  in  Kupferoxydammoniak  aus- 
zeichnen soll.  S  i  e  b  e  r  (Taf.  I,  S.  52)  scheint  diese  Substanz  in  Händen 
gehabt  zu  haben,  ebenso  Marschall  (ebenda),  beiden  Autoren  fiel 
aber  auf,  daß  der  größte  Teil  der  stickstofffreien  Schimmelpilzsubstanz 
beim  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  gelöst  wurde,  also  keine 
echte  Cellulose  sein  konnte  (s.  u.  bei  Hemicellulose).  Marschall 
unterließ  es  übrigens,  die  Löslichkeit  des  Rückstands  in  Kupferoxyd- 
ammoniak zu  prüfen,  und  bezeichnete  wohl  nur  deshalb  die  erhaltene 
Substanz  als  echte  Cellulose.  Für  die  Hefe  besitzen  wir  Unter- 
suchungen von  Schloßberger,  Liebig,  Nägeli  und  Low, 
Salkowski*)  u.  a.    Nach  den  meisten  Forschern  läßt  sich  die 


1)  Über  die  Membran  der  Bakterien  vgl.  Kap.  I,  §  2,  6  und  20. 

2)  Morph,  u.  Phys.  der  Pilze  etc.  in  Hofmeisters  Handb.  Leipzig,  1864. 

3)  Arch.  exp.  Path.   13.  537. 


Chemische  Zusammensetzung.  79 

Hefencellulose   nicht  vollständig   vom   Stickstoff   befreien   und   geht 
durch  Kochen  mit  verdünnter  Schwefelsäure  zum  größten  Teil  in  Zucker 
über,  während  der  Best  in  Eupferoxydammoniak  unlöslich  ist.   Auch 
Salkowski  findet  Unterschiede  von  der  gewöhnlichen  Cellulose: 
die  von  ihm  Membranin  benannte   Substanz  geht  durch  lang- 
dauerndes  Kochen  mit  Wasser  schon  teilweise  in  Lösung  und  läßt 
sich  aus  dieser  Lösung  durch  Alkohol  als  ein  dem  tierischen  Glykogen 
sehr  ähnlicher  Körper  gewinnen.   Später^)  unterscheidet  derselbe  Autor 
neben  Hefengummi  (s.  u.)  noch  lösliche  Erythrocellulose,  die  sich  mit 
Jod  braun  färbt  und  mit  verdünnten  Säuren  Dextrose  liefert,  und 
unlöshche  Achroocellulose,  die  sich  in  Jod  nicht  färbt  und  mit  Säuren 
Dextrose  und  Mannose  liefert.    Die  letzten  Untersucher,  M  e  i  g  e  n 
und   Spreng'),   kommen   zu   ähnlichen   Ergebnissen.     Nach   Ent- 
fernung des  Hefegummis  durch  Kochen  mit  3  prozentiger  Kalilauge 
und  Fällen  mit  Fehlingscher  Lösung  ließ  sich  durch  Kochen  mit  15  pro- 
zentiger Kalilauge  ein  „Dextran'\  das  sich  von  Hefegummi  durch 
das  spezifische  Drehungsvermögen  und  das  Fehlen  einer  Verbindung 
mit  dem  Kupfer  der  Fehlingschen  Lösung  unterscheidet,  und  ein  un- 
lösUcher  Rückstand,   „Mannosodextran^\    gewinnen.    Beide    sind    in 
der  Hefe  in  der  Form  von  Hemicellulose  enthalten  (s.  u.).  Echte  Cellu- 
lose fehlt  dagegen,  ebenso  Chitin.    Van  Wisselingh^)  versuchte 
vor  allem  auf  mikrochemischem  Wege  der  Aufgabe    beizukommen. 
Nach  ihm  lassen  sich  durch  Erwärmimg  in  Glyzerin  bis  auf  300^  in 
kurzer  Zeit  sehr  viel  beigemengte  Stoffe  aus  der  Zellwand  entfernen, 
während  die  Cellulose  zurückbleibt  und  durch  die  bekannten  Reak- 
tionen erkannt  werden  kann.   Auf  diese  Weise  fand  der  Autor  echte 
Cellulose    nur    bei   Myxomyceten,  Per  onosp  or  e  en 
und  Saprolegniaceen,   nicht  bei   100  anderen  Pilzen  aller 
Ordnungen,   z.   B.   Mucor,   Penicillium,   Aspergillus,   auch  weder  bei 
Saccharomyces,  noch  bei  Bac.  megatherium,  mesentericus,  fluorescens 
putidus,  violaceus  usw.   Es  ergab  sich  dabei,  daß  die  Wände  der  Bak- 
terien und  Hefe  die  Erwärmung  in  Glyzerin  nicht  aushalten,  die  der 
Bakterien  auch  nicht  die  Erwärmung  in  konzentrierter  Kalilauge  (§  13), 
die  nach  Hoppe-Seyler  und  Lange  bei   180®  die  Cellulose 
unberührt  läßt  (s.  u.  beim  Chitin).  Allerdings  entspricht  dies  Resultat, 
was  die  Bakterien  anlangt,  nicht  ganz  den  Feststellungen  der  übrigen 
Untersucher,  so  vermißten  zwar  Vandevelde  und  Vincenzi 
(Taf.  I,  S.  52)  bei  Heubazillen,  N  i  s  h  i  m  u  r  a  ^)  bei  Wasserbazillen 

1)  Ber.  ehem.  Ges.  27.  3326. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  66,  1908. 

3)  Jahrb.  wiss.  Bot.  31. 

4)  Areh.  Hyg.  18  und  21. 


80  Kap.  II,   §  27. 

und  Tuberkelbazillen  die  Cellulose,  aber  Hammerschlag  (Taf.  1) 
fand  sie  in  beträcbtliclier  Menge  in  Tuberkeibazillen,  Dreyfus^) 
wenigstens  Spuren  davon  in  Eiter-  und  Heubazillen.  D  z  i  e  r  z  • 
g  o  w  8  k  i  und  Rekowski  (Taf.  I)  bestimmten  sogar  28%  Cellu- 
lose in  den  Diphtheriebazillen.  Alle  Reaktionen  der  Cellulose  erhielten 
ferner  N  ä  g  e  1  i  und  Low*)  mit  dem  Schleim  der  Essigmutter  und 
B  r  o  w  n  ^)  mit  dem  wohl  identischen  des  Bact.  xylinum.  Danach 
darf  an  der  Fähigkeit  einzelner  Bakterien,  Cellu- 
lose zu  bilden,  nicht  gut  gezweifelt  werden.  Inter- 
essant ist  die  Beboachtung  Halliburtons*),  daß  auch  die  Kolo- 
nien des  Infusoriums  Ophrydium  versatile  eine  Hülle  besitzen, 
die  aus  Cellulose  besteht. 

In  einer  Anzahl  von  Fällen,  die  teilweise  schon  erwähnt  worden 
sind  (Nishimura,  Aronson),  löste  sich  allerdings  die  cellu- 
loseartige  Substanz  beim  Kochen  in  verdünnter  Säure  und  gab  dabei 
reduzierenden  Zucker,  entsprach  also  der  sogenannten  Hemicellu- 
lose  E.  Schulzes^).  Nishimura  stellte  das  z.  B.  für  seinen 
Wasserbazillus,  ferner  für  den  Bac.  prodigiosus,  den  Staphylococcus 
pyogenus  citreus  und  die  Tuberkelbazillen  fest.  Der  Autor  hält  es  aber 
für  möglich,  daß  der  Cellulosegehalt  tuberkulöser  Organe,  auf  den 
zuerst  E.  Freund®)  hingewiesen  hat,  auf  einer  Umwandlung  der 
in  den  Tuberkelbazillen  enthaltenen  Hemicellulose  in  echte  Cellulose 
beruhe.  Die  Ergebnisse  von  M  e  i  g  e  n  und  Spreng  über  die  Hemi- 
cellulose der  Hefe  wurden  schon  erwähnt.  Unseres  Erachtens  ist  aus 
den  widerstreitenden  Ergebnissen  der  verschiedenen  Forscher  viel- 
leicht zu  schließen,  daß  Übergänge  dieser  Substanzen  ineinander 
häufiger  vorkommen. 

Dasselbe  gilt  auch  von  den  Schleimstoffen  und  Gummi- 
arten, die  mehrfach  aus  den  Mikrobenkörpern  dargestellt  worden 
sind.  Der  Hefeschleim  wurde  zuerst  von  N  ä  g  e  1  i  und  Low 
genau  untersucht.  Er  läßt  sich  durch  wiederholtes  langdauemdes  Aus- 
kochen der  Hefepilze  mit  Wasser  erhalten,  durch  Fällen  mit  Bleiessig 
von  Peptonen  befreien  und  mit  heißem  Alkohol  fällen.  Er  reduziert 
F  e  h  1  i  n  g  sehe   Lösimg  nicht,   zum   Unterschied   von  Dextrin,   und 


1)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   18. 

2)  Journ.  pr.  Chem.   17. 

3)  Ref.  Ber.  chem.  Ges.  20.  580, 

4)  Quarterly  Journ.  microsc.  sc.  July  1885. 

5)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   14  luid  16. 

6)  Jahrb.  der  Gesellsch.  Wiener  Ärzte  28.  Über  die  Zunahme  der 
,,Rohf€töer**  im  Baumwollensaatmehl  durch  Wucherung  der  Heubazillen 
vgl.    König,    Spieckermann  und  O  1  i  g  §  130. 


Chemissche  Zusammensetzung.  Sl 

wird  durch  Säuren  nur  langsam  verzuckert.     Mit  Gerbsäure  gibt  er 
keinen  Niederschlag,  ebenso  wenig  mit  Borax  oder  Bleiessig  (zum  Unter- 
schied von  gelöster  Stärke,  Arabin  und  Dextrin).     Er  ist  schwach 
rechtsdrehend,  wird  mit  Jod  braun  gefärbt  und  durch  Salpetersäure 
nicht  zu  Schleimsäure,  sondern  zu  Zucker-  und  Oxalsäure  oxydiert* 
Die  Formel  CigHg^Oj^  entspricht  der  Analyse  am  besten.     W  e  g  n  e  r  ^) 
erhielt  freilich  durch  Kochen  mit  Kalkmilch  aus  Hefe  einen  Gunmii, 
der  stark  rechts  drehte  und  anscheinend  mit  Scheiblers  Dextran 
identisch  war;  nach    Hessenland  ^)  wäre  er  aber  vom  Dextran 
nicht  nur  durch  die  etwas  abweichende  Drehung,  sondern  auch  da- 
durch verschieden,  daß  er  bei  der  Hydrolyse  Mannose,  das  Dextran 
Dextrose  ergäbe.    Der  Hefegummi  hätte  ferner  die  Zusammensetzung 
CjgH^jOji,   ^^   Dextran  O^Hj^Og.     Nach  M  e  i  g  e  n  und  Spreng 
(s.  o.)  sind  die  Präparate  von   Hessenland   und   N ä g e  1  i   und 
Low   Gemische,  aus  denen  durch  Fällen  mit  F  e  h  1  i  n  g  scher  Lösung 
die    Gummikupferverbindung   und    durch    Zersetzung    in    Salzsäure, 
nochmaliges  Fällen  mit  Alkohol  der  Hefegummi  rein  zu  gewinnen  ist. 
Ebenso  läßt  er  sich  durch  das   Salkowski  sehe  Verfahren,  nämlich 
durch  kurzes  Auskochen  mit  3  prozentiger  KaUlauge  und  Fällung  mit 
F  e  h  1  i  n  g  scher  Lösung  erhalten.    Er  ist  in  der  Tat  nach  der  Formel 
Hessenlands    zusammengesetzt,  hat  das  spezifische  Drehungs- 
vermögen 89,6®  und  ist  ein  Dextromannan,  in  dem  doppelt  so  viel 
Mannan  wie  Dextran   enthalten  ist.     Dextran   hatte   schon   vorher 
Scheibler')  als  Hauptbestandteil  der  Gallerte  des  Leuconostoc. 
mesenterioides    nachgewiesen.      Wir    werden    auf   diese  und    andere 
Schleimstoffe,  die  mehr  als  Sekrete,  denn  als  Bestandteile  der  Zellen 
anzusehen  sind,  bei  den  Schleimgärungen  (§  128  u.  129)  zurückkommen. 
Stärke   ist  bisher  bei  den  echten  Pilzen  nicht  gefunden,  wohl 
aber  durch  die  Jodreaktion  bei  nicht  wenigen  Bakterien  nachgewiesen 
worden,   so  beim  Jodococcus  vaginatus  und  anderen  Mundbakterien 
(Miller^),     bei   vielen   EssigbsJ^terien  ^)    (Bact.    pasteurianum   und 
kützingianum  Hansen),  dem  Vibrio  Rugula,  beim  Clostridium  butyri- 
cum  Prazmowski,    Granulobacter   Beijerinck   und   Amylobacter   van 
Tieghem,  aber  auch  gelegentUch  bei  allen  anderen  Anaerobiern  ^),  bei 

1)  Kochs  Jahresber.  90.  33. 

2)  ibid.  92.  67.  Vgl.  auch  Salkowski,  Ber.  ehem.  Gesellsch.  27, 
497  und  925. 

3)  Zeitflchr.  verein.  Rübenzuckerindustrie  1874, 

4)  Mikroorganismen  der  Mundhöhle  1892. 

5)  Vgl.  Beijerinck.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4.  209,  1898,  Henne- 
b  e  r  g  tmd  H  o  y  e  r  ebenda  4.  14  und  867,  Hansen,  Kochs  Jahresber* 
1900,  299,  A.  Meyer,  Ber.  bot.  Gesellsch.  1901,  428, 

6)  Vgl.   S  130. 

Kruse,  Mikrobiologie.  Q 


82  Kap.  II,  f  27. 

denen  sein  Auftreten  augenscheinlich  mit  der  Bildung  von  Bläh-  oder 
Clostridienf ormen  zusammenhängt  (von  Hibler,  Graßberger 
und  Schattenfroh).  Aber  auch  nicht  sporenbildende  Aerobier, 
wie  z.  B.  bac.  coli  geben  manchmal  die  Reaktion^).  Beiierinck^) 
konnte  aus  seinem  Granulobacter  butyricum  durch  längeres  Kochen 
mit  Wasser  Stärke  ausziehen,  allerdings  nur  so  wenig,  daß  sich  das 
Wasser  gerade  mit  Jod  bläute.  Bei  sehr  langem  Kochen  mit  Säuren 
verschwindet  die  Granulöse,  und  man  findet  Dextrin  und  Zucker 
in  der  Lösimg.  Viel  leichter  geschieht  diese  Umwandlung  durch  diasta- 
tisches Ferment.  Es  kann  also,  auch  von  der  Jodreaktion  abgesehen, 
kaum  einem  Zweifel  unterliegen,  daß  wir  es  hier  mit  einem  reduzierenden 
Kohlehydrat,  wahrscheinlich  mit  Stärke,  zu  tun  haben.  Arthur 
M  e  y  e  r  ^)  hat  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß  manche  Bakterien 
sich  mit  sehr  wenig  Jod  blau,  mit  mehr  rotbraun  färben,  und  schließt 
daraus  auf  einen  geringen  Gehalt  an  Stärke  und  einen  hohen  Gehalt 
an  Glykogen  oder  Amylodextrin.  Rote  Färbungen  sind  auch  schon 
früher  und  später  neben  oder  statt  der  blauen  vielfach  beobachtet 
worden.  Auf  die  Bildung  dieser  Stärke  und  stärkeähnlichen  Stoffe 
kommen  wir  später  noch  zurück  (§  130).  Meist  handelt  sich  um  aus- 
schließUch  intrazellulare  Erzeugnisse,  indessen  bei  den  Essigbakterien 
bekommt  man  die  Jodreaktion,  und  zwar  sogar  vorwiegend,  ähnlich 
wie  die  Zellulosereaktion  bei  dem  verwandten  Bact.  xylinum  (s.  o.  S.  80) 
—  in  dem  die  Bakterien  zusammenhaltenden  und  die  Decke  auf  der 
Flüssigkeit  bildenden  Schleim. 

Glykogen  wurde  in  Pilzfäden  zuerst  gesehen  von  de  B a r y 
als  stark  lichtbrechende  Substanz,  die  durch  Jodjodkalium  schön  rot- 
braun gefärbt  wurde.  E  r  r  e  r  a  *)  stellte  diesen  Stoff  aber  erst  dem 
tierischen  Glykogen  gleich  und  gewann  ihn  in  größerer  Menge  aus 
einigen  höheren  Pilzen.  Laurent^)  bestimmte,  allerdings  nicht  auf 
ganz  einwandfreie  Weise,  den  Glykogengehalt  der  Hefe  und  fand  bis 
zu  20%  des  Trockengewichts.  Clautrian*)  erhielt  eine  Glykogen- 
lösung  aus  Hefe  dadurch,  daß  er  die  Zellen  mit  Quarz  zu  Pulver  zerrieb, 
mit  schwach  alkalischem  Wasser  auskochte  und  die  schleimige  Lösung 


1)  Vgl.   Graßberger,    Passini,    Arch.  Hyg.  48.  42. 

2)  Verh.  Koninkl.  Akad.  Wetensch.  Amsterdam  1893. 

3)  Flora  1899. 

4)  L'^piplasma  des  Ascomyc^tes  et  le  glycogene  des  v6götaux.  These. 
Bruxelles  1882  und  verschiedene  Arbeiten  in  den  Compt.  rend.  101,  Bot. 
Zeitg.   1886  usw. 

6)  Kochs  Jahresber.   1890,  57. 

6)  Ac€ul.  Roy.  Belg.  3.  III.  1895  mit  ausführl.  Ref.  in  Kochs  Jahres- 
ber.  1895,  34. 


Chemische  Zusammensetzung.  S3 

von  den  darin  enthaltenen  gummiartigen  Körpern  befreite,  indem  er 
mit  ChlorkaUum  und  Natriumphosphat  einen  Niederschlag  von  Kalzium- 
phosphat  erzeugte.  Das  ans  der  Lösung  dargestellte  gereinigte  Gly- 
kogen hat  wie  das  tierische  die  Zusammensetzung  C^HjoOg,  enthält 
aber  mehr  Asche,  gibt  in  wässeriger  Lösung  eine  viel  geringere  Opal- 
esoenz,  färbt  sich  mit  Jod  violettrot,  nicht  braurot,  entfärbt  sich  erst 
bei  72 — ^73*,  während  die  entsprechende  Temperatur  bei  dem  Leber- 
glykogen  des  Kaninchens  zwischen  58  und  60®  liegt,  und  zeigt  schließlich 
eine  etwas  geringere  Drehung  des  polarisierten  Lichtes.  Das  Vor- 
handensein des  Glykogens  ist  durch  die  Jodreaktion  in  zahlreichen 
Mikroorganismen  nachgewiesen  worden,  so  in  Schimmelpilzen  (be- 
sonders Mucor),  Hyphomyceten  (z.  B.  den  Hautschmarotzern,  wie 
Favus,  vom  Verfasser),  allen  Sproßpilzen  (Verfasser),  vielen  Bakterien 
(Arthur  Meyer,  Heinze^),  Verfasser),  in  großer  Menge  auch 
in  den  merkwürdigen  stickstoffixierenden  Azotobakterien.  Ob  es  sich, 
freilich  bei  der  mikrochemischen  Reaktion  stets  um  dieselbe  Substanz 
handelt,  muß  fraglich  bleiben.  Auch  Dextrine  geben  ja  eine  ähnliche 
Färbung  (s.  o.).  Die  Menge  des  Glykogens  in  den  Zellen  wechselt  sehr 
erheblich.  La  jimgen,  noch  sprossenden  Hefezellen  bekommt  man  auf 
die  gewöhnliche  Weise  keine  Glykogenreaktion,  aber  sofort,  wenn  man 
die  Zellen  vorher  durch  Erhitzen  abtötet  oder  eine  konzentrierte  Jod- 
lösong  anwendet^).  Der  Glykogengehalt  der  Hefe  ist  am  höchsten  am 
Schlüsse  der  Hauptgärung.  Dann  nimmt  er  wieder  ab,  aber  auch  in 
hungernder  Hefe  finden  sich  noch  einige  Zellen,  die  starke  Reaktion 
geben.    In  erster  Linie  scheinen  das  die  Dauerzellen  zu  sein. 

Zuckerarten  konmien  wahrscheinlich  im  Zellkörper  der 
Mikroorganismen  in  freiem  Zustande  vor.  Sind  sie  doch  auch  bei  den 
höheren  Pilzen,  teilweise  sogar  in  bedeutender  Menge,  nachgewiesen 
worden  (Zop f ).  Für  die  Mikroorganismen  liegen  nur  wenige  Bestim- 
mungen vor.  L  a  u  r  e  n  t  (a.  a.  0.)  will  in  der  Hefe  bis  zu  12%  Trauben- 
zucker gefunden  haben.  B  r  u  h  a  t  fand  in  einer  Bierhefenkonserve 
(Levuretin)  0,7%  Zucker  neben  11,1%  Glykogen.  Dasselbe  gilt  übrigens 
vom  M  a  n  n  i  t. 

G i  1  s o n  *)  und  Winterstein*)  wiesen  zuerst  in  höheren 
Pilzen  an  Stelle  der  Zellulose  das  stickstoffhaltige  Chitin  nach, 
^uHjoNjOjj'  ^^  ^^  dahin  nur  in  tierischen  Membranen  gefunden 
worden  war.    Es  färbt  sich  mit  Jod  braun,  manchmal  nach  Zufügung 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12  und  14,  1903—1904. 

2)  Meissner,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  6.  517, 1900.  vgl.  auch  H  e  i  n  z  e 
a,  a.  O. 

3)  La  GeUule  11,  1805. 

4)  Ber.  bot.  Gesellsch.  95,  65. 

6* 


84  Kap.  II,  §  27. 

von  Ohlorzinklösung  auch  violett,  ist  unlöslich  in  den  meisten  Lösungs- 
mitteln, liefert  mit  konzentrierter  KaUlauge  bei  180®  einen  Rückstand 
von  Mykosin  und  nach  Behandlung  mit  erwärmter  konzentrierter  Salz- 
säure Kristalle  von  salzsaurem  Glukosami  n. 

M  y  k  o  s  i  n  ,  von  Hoppe-Seyler  Chitosan  genannt,  gibt 
mit  Jod  und  Schwefelsäure  oder  mit  Chlorzinkjodlösung  eine  rötlich- 
violette Färbung,  aber  zum  Unterschied  von  Zellulose  nur,  wenn  man 
die  ßeagentien  mit  Wasser  verdünnt,  enthält  übrigens  noch  den  Stick- 
stoff des  Chitins  (C^«  HgeNgO^Q),  löst  sich  femer  schon  bei  gewöhnlicher 
Temperatur  in  sehr  verdünnter  Salzsäure  und  Essigsäure,  nicht  in 
diesen  Säuren,  wenn  sie  konzentriert  sind.  In  verdünnter  Schwefel- 
säure ist  es  bei  Erwärmung  löslich.  Das  salzsaure  Glukosamin  (oder 
Chitosamin  C^  Hj3  N  O5)  färbt  sich  nach  Zusatz  von  Alkalien  erst  grün, 
dann  braimrot,  endlich  tiefbraun  bis  schwarz,  es  reduziert  in  alkalischer 
Lösung  Kupferoxyd  und  Wismutoxyd  wie  Glykose.  Nach  der  gründ- 
lichen Arbeit  von  Wisselinghs  (a.  a.  0.),  deren  Angaben  Gar- 
bo w  s  k  i  ^)  bei  einer  teilweisen  Nachprüfung  bestätigte,  kommt 
Chitin  vor  bei  den  Mukorineen,  einigen  Chytridiaceen  (z.  B.  den 
Sporen  von  Plasmodiophora  Brassicae  und  bei  Synchy- 
trium  Taraxaci),  ferner  bei  Empusa  Muscae  (Entomophthoreen), 
vielen  Ascomyceten  (Erysiphe,  Aspergillus,  Penicillium, 
Pyrenomyceten  und  Discomyceten),  den  Ustilagineen,  Uredineen  und 
Basidiomyceten;  Chi tin  fehlt  dagegen  bei  Bakterien, 
S  ach  ar  o  my  ce  t  e  n  ,  P  er  o  nospo  r  e  en  und  Saprole- 
gniaceen.  Man  kann  also  im  allgemeinen  sagen,  daß  diejenigen 
Pilze,  die  Zellulose  bilden,  kein  Chitin  führen  imd  umgekehrt;  nur 
Bakterien  und  Sacheromyceten  sollen  nach  von  Wisselingh  weder 
den  einen  noch  den  anderen  Stoff  erzeugen,  man  fragt  sich  aber  da, 
welcher  Art  die  entschieden  sehr  resistente  Zellmembran  bei  diesen 
Organismen  sein  könnte.  Nach  den  oben  gemachten  Ausführungen  ist 
die  Regel  von  Wisselinghs  jedenfalls  nicht  ohne  Ausnahme,  es 
kommt  bei  Bakterien  echte  Zellulose  vor.  Für  das  Vorhandensein 
einer  chitinartigen  Hüllsubstanz  sprechen  ebenfalls  manche  der  vor- 
handenen Analysen.  So  fand  Emmerling^)  nicht  reine  Zellulose, 
sondern  Chitin  bei  Bact.  xylinum.  R  u  p  p  e  1  (S.  69)  läßt  bei  den  Tuber- 
kelbazillen unbestinmit,  ob  sie  Keratin,  Chitin  oder  Fibroin  enthalten, 
H  e  1  b  i  n  g  ^)  führt  aber  die  „Säurefestigkeit''  dieser  Bazillen  geradezu 
auf  ihren  Chitingehalt  zurück.   Körper,  die  dem  Chitin  zum  mindesten 


1)  Zentr.  Bakt.     2.  Abt.  20.   109,  1908.     Auch  die  Bakteriensporen 
geben  keine  Chitinreaktion. 

2)  Ber.  ehem.   Ges.   1899,  541. 

3)  Deutsch,  med.  Wochenschr.   1900,  23.    Veroinsbeilage  S.  132. 


Chemische  Zusammendeizung.  S5 

sehr  nahe  stehen,  erhielt  J  w  a  n  o  f  f  aus  denselben  Bakterien,  aus 
denen  er,  wie  wir  S.  67  gesehen  haben,  die  Nukleoproteide  der  Zell- 
körper darstellte,  indem  er  den  Eupferoxydhydrat  enthaltenden  Nie- 
derschlag mit  Wasser  auswusch,  dann  mit  verdünnter  Säure  behandelte 
und  die  unlöslichen  Membranteile  mit  Wasser,  Alkohol  undÄther  reinigte. 
^^ie  erwiesen  sich  in  Kupferozydammoniak  unlöslich,  lösten  sich  aber 
allmählich  in  konzentrierter  Schwefelsäure,  nicht  vollständig  in  kalter 
konzentrierter  Salzsäure.  Aus  dieser  Lösung  fiel  durch  Neutralisierung 
mit  Alkalien  oder  nach  reichlichem  Wasserzusatz  ein  weißflockiger 
Niederschlag  aus,  der  sich  mit  verdünnter  Schwefelsäure  und  Jod  rot- 
violett, mit  Chlorzinkjodlösung  braun  färbte  und  nach  Kochen  mit 
verdünnter  Mineralsäure  reduzierende  Körper  abspaltete.  Die  Analyse 
ergab  für  die  Membran  des  Pyocyaneus,  Megatherium  imd  B.  anthracis 
46%  C,  6,7—7,0%  H,  8,4—8,8%  N,  also  eine  ähnliche  Zusammen- 
setzung wie  die  des  Chitins. 

Neben  der  Zellulose  finden  sich  in  den  Membranen  der  höheren 
Pflanzen  auch  noch  Pektinstoffe  und  Kallose,  nach  M angin,  der 
sich  um  ihren  Nachweis  große  Verdienste  erworben  hat^),  fehlen  diese 
Stoffe  auch  den  Pilzen  nicht,  und  zwar  sollen  die  Peronosporeen  und 
Saprolegniaceen  Zellulose  imd  Kallose,  die  Mukorineen  Zellulose  und 
Pektinstoffe,  die  Ascomyceten  reine  Kallose  führen.  Von  Wisselingh 
schlägt  allerdings  den  Wert  der  von  M  a  n  g  i  n  hauptsächlich  be- 
nutzten Farbreaktionen  für  die  Erkennung  dieser  Stoffe,  z.  B.  mit 
Rutheniumrot,  Methylenblau  und  Brillantblau  nicht  hoch  an,  da  das 
von  M  a  n  g  i  n  noch  nicht  gekannte  Chitin  ähnliche  Reaktionen  gebe. 
Wenn  die  vorgetragenen  Untersuchungen  für  die  Membran  der 
Bakterien  nur  ausnahmsweise  einen  bestimmten  chemischen  Bestandteil 
nachweisen  konnten,  so  ist  auch  das  in  Kap.  I  beschriebene  mikrosko- 
pische Verhalten  der  Bakterien  gegen  Lösungsmittel,  namentlich  gegen 
Veidauungs-  und  Selbstverdauungsenzyme,  Alkalien  und  Lipoide,  so 
ungleichmäßig,  daß  wir  daraus  allgemeine  Schlüsse  über  die  Zusammen- 
setzung der  Bakterienmembran  nicht  ziehen  können. 

§  28.  Aschenbestandteile.  Genaue  Aschenanalysen  der 
Schinunelpilze  scheinen  nicht  vorzidiegen^),  um  so  mehr  solche  von 
Hefepilzen.  Einer  Zusammenstellung  von  Ad.  Mayer^)  entnehme 
ich  die  folgenden  Werte. 


1)  Compt.  rend.  Aead.  sc.  117,  816.  Journ.  de  botan.  1893.  Vergl. 
Strasburger,    Botan.  Practicum  1902. 

2)  Zopf  (Pilze,  S.  118)  gibt  als  Mittel  einer  Analyse  von  höheren 
Pilzen  40%  Phosphorsäure,  46%  Kali,  1,4%  Natron,  2%  Magnesia,  1,5% 
Kalk,  1%  Kieselsäure,  1%  Eisenoxyd,  8%  Schwefelsäure  und  l<;'o  Chlor. 

3)  Gärungschemie,  5.  Aufl.,  S.  118,  1902. 


86 


Ki^.  n,  S  28. 


Es  bilden   Phosphorsäuie 
EaU 
Natron 
Magnesia 
Kalk 

Kieselsäure 
Eisenoxyd 
Schwefelsäuie 
Chlor 


51 — 59%  der  Hefenasche 
28—40 
0,5—1,9 
4,0—8,1 
1,0—4,5 
0—1,6 
0,1—7,3 
0,6—6 
0,03—1 


»> 


yy 


yy 


>> 


>> 


»> 


>> 


Phosphorsäure  und  Kali  sind  also  in  bedeuten- 
dem Übergewicht,  Magnesia  überwiegt  denEalk; 
Natron,  Schwefelsäure^)  und  Chlor  können  sehr  spärlich  vorhanden  sein, 
erst  recht  natürlich  Eisenoxjd  und  Kieselsäure.  Die  Schwankungen 
sind  zum  Teil  sehr  bedeutend.  Zum  Vergleich  diene  eine  Analyse  der 
Asche  der  der  Hefe  sehr  nahestehenden  Soorhefe  nach  Kappes') 
(Taf.  I,  S.  52). 


Es  bilden 

Phosphorsäure 

57%  der  Soorhefenasche 

Kali 

9 

Natron 

19 

Magnesia 

7 

Kalk 

14 

Kieselsäure 

2 

Chlor 

0,3      „ 

Das  Bild  ist  im  allgemeinen  ein  ähnliches,  nur  tritt  Kali  vor  Natron, 
Magnesia  vor  Kalk  in  den  Hintergrund.  Sehr  wahrscheinlich  sind  Ver- 
schiedenheiten des  Nährbodens  wenigstens  zum  Teil  dafür  verant- 
wortlich zu  machen.  Die  Hefe  war  auf  vegetabilischem,  die  Soorhefe 
auf  animalischen  Nährboden  gezüchtet  worden. 

Für  Bakterien  liegen  Aschenanalji^en  vor  von  K  a  p  p  e  s  (a.  a.  0.) 
und  Gramer^),  de  Schweinitz  und  D  o  r  s  e  t  *)  für  Bac. 
prodigiosus,  xerosis,  Spirill.  cholerae  und  Bac.  tuberculosis.  Die  Zahlen 
lauten  abgekürzt  in  Prozenten  der  Asche  berechnet: 

Xerose-     t»    j-  •  Tuberkel-        Cholera- 

,      .,1         rrooigiosus     ,      .„  .  .„ 

bazillus  ^  bazillus         spinllum 

Phosphorsäure  34%  36%  55,2%         10—45% 


1 )  Bei  der  Schwefelsäure  liegt  das  wahrscheinlich  an  der  analytischen 
Methode. 

2)  S.  Anm.   zu  Taf.  I,  S.  52. 

3)  Arch.  Hyg.  28. 

4)  Zentr.  Bakt.  23,  993. 


Chemische  Zusammensetzung.  S7 

Xerose-    t>     i-  .  Tuberkel-    Cholera- 

,     .„        rrodigiosus       ,     .„  .  .„ 

oazillus  ^  bazillus     spirülum 

/o 


KaU 

11% 

11% 

6,4% 

4—6 

Natron 

24., 

28  „ 

13,6  „ 

27—34 

Magnesia 

6„ 

7„ 

11,6  „ 

0,1—0,6 

Kalk 

3„ 

i„ 

12,6  „ 

0,3     1,3 

Kieselsäure 

0,5  „ 

0,5  „ 

0,6  „ 

Schwefelsäure 

>> 

»> 

0 

1—8 

Chlor 

0.6  ,. 

5„ 

0 

5    44 

Der  Xerosebazillus  und  Prodigiosus  waren  von  Kappes  auf  Fleisch- 
extrakt-Pepton-Agar  mit  0,5%  EochBalzlösung  gezüchtet  worden,  ihre 
Trockensubstanz  wurde  zu  15%  des  Gewichts  des  feuchten  Bakterien- 
leibes bestimmt,  ihr  Aschegehalt  betrug  9,5  und  13,5%  der  Trocken- 
substanz. Wie  man  sieht,  stimmt  die  Zusammensetzung  ihrer  Asche 
in  bemerkenswerter  Weise  überein  bis  auf  den  Chlorgehalt,  der  aller- 
dings recht  verschieden  ist^).  Auch  die  Abweichungen  gegenüber  der 
Soorhefe,  die  von  demselben  Autor  auf  dem  gleichen  Nährboden  ge- 
züchtet wurde  (s.  o.),  sind  nicht  erheblich,  nur  hat  die  Phosphorsäure 
in  der  Bakterienasche  nicht  das  bedeutende  Übergewicht  wie  in  der 
Hefenascfae.  Beim  Tuberkelbazillus  ist  das  aber  doch  der  Fall  und  nach 
Stoklasa  (Taf .  I)  noch  mehr  beim  Azotobacter  chroococcum. 
Letzterer  wurde  allerdings  fast  ausschließlich  mit  Ealiumphosphat  als 
Mineralstoff  genährt. 

Sehr  stark  weicht  die  Asche  des  Cholerabazillus  von  der  der 
anderen  drei  Bakterien  ab,  zeigt  aber  auch  in  ihrer  eigenen  Zusammen- 
setzung große  Schwankimgen.  Beide  Tatsachen  lassen  sich  zum  Teil 
aus  der  Verschiedenheit  des  Nährbodens  erklären.  C  r  a  m  e  r  züchtete 
die  Cholerabazillen  nebeneinander  auf  gewöhnlicher  Sodaapepton- 
bouillon  (1%  Soda),  auf  derselben  Bouillon  mit  Zusatz  von  4%  phos- 
phorsaurem  Natron  und  auf  Bouillon  mit  3%  Chlomatrium.  Da  ist 
von  vornherein  zu  erwarten,  daß  einerseits  Magnesia  und  Kalk  in  den 
Choleraspirillen  fast  vollständig  fehlen  werden,  weil  die  stark  alkalische 
Bouillon  diese  Stoffe  nur  noch  in  geringer  Menge  enthält  imd  daß 
andererseits  die  Schwankungen  in  der  Zusammensetzung  wesentlich 
die  Phosphorsaure  und  den  Chlorgehalt  betreffen,  wie  ja  auch  die 
Analyse  erweist.  Ein  Vergleich  des  Aschegehaltes  im  Nährboden  und 
in  den  Bakterien  ergibt  folgendes: 


1)  In  der  Asche  der  Tuberkelbazillen  fanden    Proskauer    und 
Beck  (Zeitschr.  Hyg.  18,  139  Anm.)  nur  Spuren  von  Chloriden. 


88  Kap.  II,  $  28  und  Kap.  HE,  §  29. 

Soda-  Phosphat-  Kochsalz- 
Bouillon  bouillon  bouillon 
Aschegehalt  der  Bakterien  in  der 

Trockensubstanz                           9,3  %  22,3  %  25,9  % 

Aschegehalt  in  der  feuchten  Masse    1,34,,  2,75,,  3,73,, 
Aschegehalt  des  Nährbodens  in  der 

feuchten  Masse                             1,25,,  2,50,,  4,12,, 

Die  Übereinstimmung  in  dem  Qehalt  der  feuchten  Masse,  des  Nähr- 
bodens und  der  Bakterien  an  Asche  ist  also  eine  fast  vollkommene. 
Betrachten  wir  weiter  den  Gehalt  an  einzelnen  Bestandteilen,  so  finden 
wir  in  denselben  drei  Bouillonarten,  den 

Phosphorsäuregehalt  in  der  Bakterienasche  28,7%  38,4  %  10,9% 

Phosphorsäuregehalt  in  der  Nährbodenasche  7,9  „  39,8   „  2,1  „ 

Chlorgehalt  in  der   Bakterienasche  16,9,,  7,97,,  40,7,, 

Chlorgehalt  in  der  Nährbodenasche  23,0,,  11,4   „  49,2,, 

Hier  ist  von  Ubereinstimmimg  keine  Rede  mehr.  Die  Phosphor- 
säuremenge schwankt  im  Nährboden  um  das  5 — ^20  fache,  in  den 
Bakterien  knapp  bis  zum  3  fachen.  Etwas  größer  ist  der  ParalleUsmus 
im  Chlorgehalt.  Offenbar  verhalten  sich  also  die  Bakterien  den  einzelnen 
Mineralbestandteilen  des  Nährmaterials  gegenüber  sehr  verschieden. 
Wir  werden  im  §  58  darauf  zurückkommen. 

§28a.  Andere  Bestandteile.  Hierhergehören  diejenigen  Stoffe, 
die  entweder  nur  in  geringer  Menge  oder  nur  bei  einzebien  Spezies 
von  Mikroorganismen  in  größerer  Menge  vorkommen,  so  z.  B.  der 
Schwefel  im  Körper  der  sogenannten  Schwefelbakterien  (§  208  u.  209), 
das  Eisenoxyd  und  Manganoxyd  in  den  Scheiden  der  Eisenbakterien 
(§  216),  die  Farbstoffe  in  den  Pigmentbakterien  (Kap.  XV),  giftige 
Substanzen  von  verschiedener  Zusammensetzung  Angriffs-,  Reiz-  und 
Impfstoffe  in  den  Krankheitserregern  (Kap.  XVI  u.  XVII),  Stoff- 
wechselerzeugnisse (Kap.  VI  ff.)  und  Fermente  in  allen  Mikroorganis- 
men (Kap.  XIV)  usw.  Wir  behandeln  sie,  schon  um  uns  nicht  wieder- 
holen zu  müssen,  in  besonderen  Abschnitten,  die  sich  mit  den 
Bedingungen  ihres  Vorkommens  und  der  Art  ihrer  Entstehung 
beschäftigen. 


Kapitel   III. 

Die  Nährstoffe  der  Kleinwesen, 

§  29.  Einleitung.  Methoden.  Unsere  nächste  Aui^abe  besteht 
darin,  za  erforschen,  durch  welche  Nährstoffe  das  Leben  der  Mikro- 
organismen zu  erhalten  und  ein  Wachstum  zu  erzielen  ist.  Dieses 
Problem  ist  oft  weniger  schwierig  zu  lösen,  als  das  im  vorigen  Ab- 
schnitt behandelte,  weil  wir  es  in  der  Hand  haben,  die  Zusammen- 
setzung der  Nährböden  durch  Mischung  der  verschiedensten  reinen 
Stoffe  nach  streng  chemischen  Gesichtspunkten  zu  regeln.  Solche 
künstlichen  Nährlösungen  hat  wohl  zuerst  Pasteur^)  angewandt 
in  der  ausgesprochenen  Absicht,  nach  dem  Vorgänge  der  Pflanzen- 
physiologie und  Agrarkulturchemie  die  Bedingungen  für  das  Wachstum 
der  niederen  Oi^anismen  (Schinmielpilze,  Hefen  und  Bakterien)  fest- 
zustellen. P  a  s  t  e  u  r  benutzte  eine  Lösung  aus  destilliertem  Wasser, 
Hefeasche  und  weinsaurem  Ammoniak  mit  oder  ohne  Zucker.  Er  fand, 
daß  die  Mikroorganismen  nicht  zum  Wachsen  kamen,  wenn  er  einen 
der  genannten  Bestandteile  wegließ.  Nebenbei  machte  er  die  interessante 
Beobachtung,  daß  von  Bakterien  und  Schimmelpilzen  nur  der  eine  Be- 
standteil der  Traubensäure,  die  rechtsdrehende  Weinsäure,  als  Nähr- 
stoff ausgenutzt  wurde,  die  linksdrehende  aber  zurückblieb.  Weitere 
ausführliche  Versuche  wurden  später  von  zahlreichen  Forschern  ange- 
stellt. Die  Methodik  war  dabei  eine  verschiedene.  B  a  u  1  i  n  ^)  stellte 
sich  zunächst  eine  Lösung  zusammen,  die  für  das  Wachstum  eines 
Schimmelpilzes,  des  Aspergillus  niger,  besonders  gut  geeignet  war; 
sie  enthielt  •)  z.  B.  auf  1500  ccm  Wasser  70  g  Rohrzucker,  4  g  Weinsäure, 
4  g  Ammoniunmitrat,  0,6  g  Ammoniumphosphat,  0,6  g  Kaliumkarbonat, 
0,4  g  Magnesiumkarbonat,  0,25  g  Ammoniumsulfat  und  je  0,07  g  Zink- 

1 )  Compt.  rend.  ac.  sc.  48  und  Ann.  chim.  et  phys.  68  und  64. 

2)  Ann.  sc.  nattir.  botanique  1869. 

3)  In  den  einzelnen  Versuchen  wurden  kleine  Abänderungen  vor- 
l^ommen,  die  ohne  erheblichen  Einfluß  auf  die  Ernte  waren.  So  konnte 
Anmionnitrat  durch  Kalimnnitrat  oder  Ammontartrat  und  die  Anunon- 
Hslze  der  Phosphor-  und  Schwefelsäure  durch  die  Kaliumsalze  ersetzt 
werden. 


90  Kap.  III,  f  29. 

Sulfat,  Eisensulfat  und  Ealiumsilikat.  Die  Flüssigkeit  wurde  in  2 — 3  cm 
hoher  Schicht  in  größere  Schalen  gebracht,  mit  Pilzsporen  besät  und 
3  Tage  bei  35®  stehen  gelassen.  Das  reichlich  entwickelte  Mycel  wurde 
dann  abgenommen  und  von  der  Flüssigkeit  nach  weiteren  3  Tagen  ein 
neuer  Eulturrasen  gewonnen,  nach  dessen  Entfernung  sich  die  Nähr- 
kraft der  Flüssigkeit  so  gut  wie  erschöpft  zeigte.  Das  Trocken- 
gewicht der  beiden  Ernten  betrug  zusammen 
ca.  25g.  Mit  diesem  günstigsten  Resultat  wurden 
diejenigen  Erntegewichte  verglichen,  die  sich 
erzielen  ließen,  wenn  der  eine  oder  andere  Be- 
standteil der  Normallösung  fortgelassenwurde. 
R  a  u  1  i  n  fand  in  verschiedenen  Versuchen  die  Ernte  herabgedrückt  auf 

1/65  beim  Fehlen  des  Zuckers, 

1/24—1/153  „  „  des  Stickstoffs, 

1/24 — 1/182  „  „  der  Phosphorsäure, 

1/11,6 — 1/91  „  „  der  Magnesia, 

1/13—1/25  „  „  des  Kalis, 

1/2 — 1/15,4  „  „  der  Schwefelsäure, 

1/2—1/10  „  „  des  Zinkoxyds, 

1/1,4 — 1/2,7  „  „  des  Eisenoxyds, 

1/1,2 — 1/1,4  „  „  der  Kieselsäure. 

Die  verhältnismäßige  Wichtigkeit  der  einzelnen  Bestandteile 
erhellt  trotz  der  beträchtlichen  Schwankimgen  der  Ergebnisse  ohne 
weiteres  aus  diesen  Zahlen.  Es  ist  aber  leicht  einzusehen,  daß  das  Gewicht 
der  Ernte  allein  noch  nicht  genügt,  um  ihre  wirkliche  Bedeutung  zu 
beurteilen,  weil  ja  bei  gleichem  Gewicht  die  Beschaffenheit  der  ge- 
bildeten Zellen  eine  verschiedene,  diese  gesund  und  jene  krank  sein 
können.  Um  darüber  völlige  Klarheit  zu  gewinnen,  wäre  es  nötig  ge- 
wesen, die  einzelnen  Ernten  in  ihrem  mikroskopischen  imd  chemischen 
Aufbau  zu  vergleichen  und  nicht  nur  eine,  sondern  mehrere  Grenera- 
tionen  hintereinander  auf  den  modifizierten  Nährböden  zu  züchten. 
Ein  anderer  Einwand  gegenüber  den  R  a  u  I  i  n  sehen  Zahlen  läßt  sich 
ferner  nicht  abweisen :  man  hat  wohl,  trotz  der  von  R  a  u  1  i  n  auf- 
gewandten Sorgfalt  ein  Recht,  zu  bezweifeln,  daß  seine  Chemikalien 
völlig  rein  gewesen  sind,  daß  also  z.  B.  mit  der  Entziehung  des  Kalis, 
der  Schwefelsäure,  des  Eisenoxyds  wirklich  jede  Spur  dieser  Stoffe 
aus  dem  Nährboden  beseitigt  war.  Ebenso  ist  an  die  Abgabe  kleinster 
Stoffmengen  aus  dem  Glase,  an  die  Absorption  aus  der  Luft  zu  denken. 
Vielleicht  erklärt  sich  so  die  Veränderlichkeit  der  Resultate.  Trotz 
dieser  Ausstellungen  bleiben  die  Versuche  R  a  u  1  i  n  s  sehr  lehrreich 
und  die  Grundlage  unserer  Kenntnisse  namentlich  über  die  mineralischen 


Nährstoffe.  91 

Nährstoffe  der  Pilze.     Wir  werden  auf  sie  noch  mehrfach  zurückzu- 
kommen haben. 

"Ein  anderer  naheliegender  Weg  wurde  vielfach  eingeschlagen,  um 
die  Nährfähigkeit  der  einzelnen  N-haltigen  und  N-freien  Eohlenstoff- 
verbindungen  und  Metallsalze  festzustellen.  Man  ersetzt  z.  B.  in  einer 
künstlichen  Nährlösung,  die  sich  bewährt  hat,  die  stickstoffliefemde 
Substanz  durch  andere  Stickstoffverbindungen,  ein  Metall  durch  ein 
anderes  und  vergleicht  wieder  die  Ernten  miteinander.  Die  Aussaaten 
werden  am  besten  mit  bestinmiten  reinkultivierten  Mikroorganismen 
gemacht.  In  anderen  Fällen,  wo  es  sich  darum  handelt,  festzustellen, 
ob  eine  bestimimte  Lösung,  die  sich  für  die  geprüften  Mikroorganismen 
als  angeeignet  erwiesen  hat,  nicht  doch  imstande  ist,  anderen  Lebct^ 
Wesen  zur  Nahrung  zu  dienen,  überläßt  man  die  Einsaat  dem  Zufall  bzw. 
der  stets  keimhaltigen  Luft  oder  impft  mit  verschiedenen  keimhaltigen 
Gemengen,  wie  Faulflüssigkeiten,  Erde,  Wasser  usw.  Durch  solche 
Ansleseversuche  hat  man  schon  eine  große  Zahl  wichtiger 
Entdeckungen  gemacht,  so  die  Salpeterbildner,  die  stickstoffbindenden 
and  stickstoffentbindenden,  die  Harnstoff-,  Ameisensäure-,  Oxal- 
säaremikroben,  die  Wasserstoff-,  Schwefel-  und  Eisenbakterien  usw. 
kennen  gelernt.  Von  umfassenden  Arbeiten,  die  im  folgenden  noch 
öfter  zu  nennen  sein  werden,  erwähne  ich:  N  ä g e  1  i  s ^)  Forschungen 
über  die  Ernährung  der  niederen  Pilze  durch  Kohlenstoff-  und  Stick- 
stoffverbindungen, die  für  Pilze  und  Bakterien  gleich  wichtig  sind,  die 
interessanten  Ausleseversuche,  die  neuerdings  Bierema^)  mit  allen 
möglichen  Stickstoffverbindungen  (außer  Eiweiß)  gemacht  hat, 
Stutzers^),  Reinkes^),  Wehmers*),  Racibowskis^), 
Bokornys^),  Labordes®),  Klebs'^),  Czapek  b^%  E  m  - 
merlings^^)  Untersuchungen  über  die  Ernährung  der  Schimmel- 
pilze (meist  Aspergillus  niger)  mit  C-  und  N- Verbindungen,  Laurents^^), 


1)  Ehnährung    der    niederen    Pilze    in    den    „Untersuchungen    über 
niedere  Pilze".    1882. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23,  672,  1009. 

3)  Landwirtschaf tl.  Versuchstationen.     1878. 

4)  Untersuchg.  aus  d.  botan.  Laborat.  Göttingen.  3.  Heft.  1883. 

5)  Botan.  Zeitg.   1891,  331. 

6)  Flora  82,  1896. 

7)  Koch's  Jahresber.   1896,  47. 

8)  Ann.  Pasteur  1897. 

9)  Jahresber.  wiss.  Bot.  33,  1899. 

10)  Hofmeisters   Beitr.  z.  ehem.  Phys.  u.  Path.  2  und  3. 

11)  Ber.  ehem.  Ges.  1902.  2289  und  Zentr.  Bakt.   2.  Abt.  10,  274.  1903. 

12)  Annal.  Pasteur  1889  und  Kochs  Jahresber.  1890,  54. 


92  Kap.  in,  S  29  u.  30. 

Beijerincks^),  Bokornys*),  Pringsheims^)  ent- 
sprechende Arbeiten  über  die  Hefepike.  Bakteriengemisclie  studierte 
B  o  k  o  r  n  y  *),  den  Micrococus  ureae  v*  J  a  c  k  s  c  h  ^),  die  ver- 
schiedenen Milchsäurebakterien  H  ü  p  p  e  ^),  G.  F  r  ä  n  k  e  H), 
Eayser,  Capaldi  u.  Proskauer,  Eozai,  Henne- 
berg, L.  Müller^),  den  TuberkelbazUlus  Kühne*),  Pros- 
kauer und  Beck^^),  C.  FränkeH^),  die  Essigbakterien 
H o y  e r  ^^)  und  Henneberg  ^'),  die  Bac.  fluorescens,  coli  und 
typhi  Capaldi  und  Proskauer  ^*),  Laurent  ^^),  mehrere 
denitrifizierende  Bazillen  und  die  Streptothrix  ((Actinomyces)  odorifera 
Salzmann  ^^).  M  a  a  s  s  e  n  ^^)  verdanken  wir  einige  sehr  umfang- 
reiche Arbeiten  über  die  Assimilation  der  organischen  Säuren  durch 
Bakterien.  Andere  wichtige  Untersuchungen  über  die  Nitro-,  Schwefel- 
und  Eisenbakterien  und  über  die  Bedeutung,  der  Mineralstoffe,  des 
Sauerstoffs  usw.  kommen  hinzu. 

Wir  besprechen  nacheinander  die  Bedeutung  der  Aschenbestand- 
teile (einschließlich  des  Schwefels  und  Phosphors),  des  Sauerstoffs, 
Stickstoffs,  Kohlenstoffs.  Der  Wasserstoff  bedarf  keiner  besonderen 
Zufuhr,  da  er  schon  von  dem  für  das  Leben  unumgänglich  nötigen 
Wasser  und  außerdem  von  allen  organischen  Verbindungen  geliefert 
wird.  Ausnahmsweise  findet  er  auch  Verwendung  in  freiem  Zustande 
(§  33). 

§  30.  Bedarf  an  Aschenbestandteilen,  Schwefel  und  Phos- 
phor. Die  höheren  Pflanzen  bedürfen  zu  ihrer  Ernähnmg  bekanntlich 
außer  dem  Kohlenstoff,  Wasserstoff,  Sauerstoff  und  Stickstoff  noch  der 
Elemente  Schwefel,  Phosphor,  Kalium,  Kalzium,  Magnesium  und 
Eisen,  die  ihm  gewöhnlich  in  Form  anorganischer  Salze  geliefert  werden. 


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Zentr.  Bakt.   11,  68,   1891. 

Kochs  Jahresber.   1897,  86. 

Biochem.  Zeitschr.  3,   1907. 

Kochs  Jahresber.   1897.   39. 

Zeitschr.  phys.  Chemie  5. 

Mitteil.  Gesundheitsamt  2,  1884. 

Hyg.  Rundschau  1894.   769. 

Lit.  in  §  97  u.  99. 

Zeitschr.  Biol.  29  und  30. 

Zeitschr.  Hyg.   18. 

Hyg.  Rundschau  1900,  617. 

Zeitschr.  f.  Essigindustrie  1899. 

Ebenda  98  und  Centr.  Bakt.  2.  Abt.  4,   14. 

Zeitschr.  Hyg.  23,  1896. 

Ann.  Pasteur  1899. 

Chem.-physiol.  Untersuchungen  etc.  Phil.  Dissert.  Königsberg  1902. 

Arb.   Gesundheitsamt  12  iind  18. 


Nährstoffe.  93 

Niedere  Algen  sollen  allerdings  auch  das  Kalzium  (M  o  1  i  s  c  h)  und 
Kalium  (Ben ecke)  entbehren  können.  Schon  die  oben  (§  29)  er- 
wähnten Versuche  R  a  u  1  i  n  s  haben  erwiesen,  daß  Schimmelpilze 
auch  vorzüglich  auskommen  mit  anorganischen  Salzen,  die  nur  Schwefel- 
säure, Phosphorsaure,  Kaliimi  und  Magnesium  enthalten.  Freilich  wird 
das  Wachstum  verstärkt  durch  geringe  Zusätze,  einige  Zentigramme 
im  Liter  der  Nährfliissigkeit,  von  Kieselsäure,  Eisen  und  merkwürdiger- 
weise besonders  von  Zink.  Die  Möglichkeit,  daß  mit  der  Phosphor-  und 
Schwefelsäure  dem  Kalium  und  Magnesiimi  der  Aschenbedarf  der  meisten 
Mikroorganismen  gedeckt  werden  kann,  ist  auch  auf  Orund  der  späteren 
Untersuchungen  kaum  noch  zu  bezweifeln.  Die  Tuberkelbazillen 
nehmen  z.  B.  nach  Proskauer  und  Beck  (§  29)  mit  Mono- 
kaliumphosphat  und  Magnesiumsulfat  vorlieb,  die  Schimmelpilze  be- 
gnügen sich  nach  Naegeli  ebenfalls  mit  den  vier  Elementen,  nur 
die  Hefe  scheint  neben  dem  Magnesium  auch  noch  des  Kakiums 
zu  bedürfen^). 

Manche  Autoren  haben  auch  die  Unentbehrlichkeit  der  Schwefel- 
säure leugnen  zu  müssen  geglaubt,  so  hat  sie  C.  F  r  ä  n  k  e  1  ^)  aus  der  von 
Uschinsky  ursprünglich  angegebenen  Nährlösung  weglassen 
können,  ohne  das  Wachstum  vieler  Bakterien  dadurch  zu  beeeinträch- 
tigen.  Beijerinck')  kam  zu  ähnlichen  Ergebnissen.  Wahrscheinlich 
ist  der  Grund  aber  dafür  der,  daß  die  übrigen  Bestandteile  der  Nähr- 
lösung Schwefel  in  irgendeiner  Form  als  Verunreinigung  enthalten 
haben.  Diese  Tatsache  ist  schon  öfter  festgestellt  worden  ( A  d.  M  a  y  e  r  ^), 
N  ä  g  e  1  i  und  L  ö  w).  Ebensowenig  verdient  die  Angabe  H  o  1 1  e  r  - 
m  a  n  n  s  ^),  Pilze  seien  in  phosphorfreien  Nährböden  zu  züchten,  Ver- 
trauen. Die  Phosphorsäure  braucht  freilich  nicht  in  Form  von  Salzen, 
sondern  kann  auch  z.  B.  an  Nukleinsäure  gebunden  dargereicht  werden 
(Iwanow  *)).  N  ä  g  e  1  i  hat  ferner  angegeben,  daß  der  Schwefel 
auch  aus  schweflig-  und  unterschwefligsauren  Salzen,  Sulfosäuren  und 
Albuminaten  entnommen  werden  könne,  nicht  dagegen  aius  Sulfo- 
hamstoff  und  Rhodanverbindungen.  Schwefelwasserstoff,  Schwefel 
und  niedere  Oxydverbindungen  des  Schwefels  dienen  den  sogenannten 


1)  Bokorny,  Pflügere  Arch.  97,  1903.  Ad.  Mayer  u.  a.  hielten 
allerdings  Kalzium  für  entbehrlich. 

2)  Hygien.  Rundschau  1894,  769. 

3)  Centr.  Bakt.  2.  Abt.,  6,  2. 

4)  Gärungschemie  1874.  1.  Aufl.,  S.  129,  6.  Aufl.  149.  Die  Unent- 
behrlichkeit des  Schwefels  für  die  Hefeemährung  betont  auch  Stern 
(Proc.  ehem.  soc.  nov.  1898,  nach  D  u  c  1  a  u  x  Microbiol.  3,  167). 

6)  Ref.  Bot.  Zeit.  56,  269. 

6)  Zeitschr.  physiol.  Ch.  39,  1903. 


94  Kap.  III,  S  30. 

Schwefelbakterien  Winogradskys  und  Beijerincks  nicht 
nur  als  Schwefelquelle»  sondern  auch  als  Ejraftquelle  anstelle  anderer 
Nahrungsmittel  (§  208  u.  210).  Umgekehrt  braucht  das  Spirillum 
desulfuricans  Beijerincks  (§212)  die  übrige  Nahrung  nur  zu 
dem  Zwecke,  um  den  Sauerstoff  der  Sulfate  auszunutzen.  Trotz  der 
nachweislichen  Unentbehrlichkeit  des  Schwefels  im  allgemeinen  wird 
man  die  Möglichkeit,  daß  manche  niederen  Organismen  auch  ohne 
Schwefel  auskommen  können,  nicht  gänzlich  ablehnen,  zumal 
da  die  Analysen  von  einigen  bakteriellen  Eiweißkörpem  und  auch 
von  ganzen  Bakterien  das  Fehlen  des  Schwefels  ergeben  haben  (vgl. 
N  e  n  c  k  i  und  Schaffer  §25  und  die  Asche  des  Tuberkelbazilius 
nach  de  Schweinitz  und  Dorset  §  28). 

Was  das  Kalium  und  Magnesium  betrifft,  so  ist  von  N  ä  g  e  1  i 
die  Lehre  aufgestellt  worden,  daß  für  Kalium  nicht  etwa  Natrium 
und  Lithium,  sondern  Rubidium  und  Cäsium,  für  Magnesium  Kalzium, 
Barium  oder  Strontium  eintreten  können.  Mit  einigen  Einschränlnmgen 
hat  die  erste  Hälfte  dieses  Satzes  auch  durch  die  sorgfältigen  Unter- 
Buchungen  von  Benecke  ^)  Bestätigung  gefunden.  Rubidium  und 
Cäsium  können  bei  der  Ernährung  des  Aspergillus  niger  das  Kalium 
vertreten,  allerdings  ist  das  Wachstum  etwas  verzögert  und  führt  nicht 
zur  Sporenbildung.  Lithium  kann  sogar,  selbst  in  kleinen  Mengen, 
giftig  wirken,  ist  andererseits  gelegentlich  ein  Reizmittel  (s.  u.).  Un- 
ersetzlich scheint  dagegen  nach  Benecke,  Molisch')  und 
Günther*)  das  Magnesium  zu  sein,  insofern  als  höchstens  ein 
schwaches  Auskeimen  der  Pilzsporen  in  den  Mg-freien  Nährlösungen  ein- 
tritt, das  Wachstum  aber  nicht  soweit  vorschreitet,  daß  an  eine  Wägung 
gedacht  werden  kann.  Für  die  Wichtigkeit  des  Kaliums  wie  des  Ma- 
gnesiums ist  beweisend  die  Tatsache,  daß  B  e  n  e  c  k  e  innerhalb  ge- 
wisser Grenzen  eine  regelmäßige  Zunahme  des  Erntegewichts  mit  dem 
steigenden  Gehalt  der  Nährlösung  an  den  betreffenden  Salzen  erhielt. 
Auch  bei  Bac.  fluorescens  und  pyocyaneus  liegen  nach  Benecke  ^) 
die  Dinge  ähnlich.  Doch  gelten  diese  Regeln  zunächst  wieder  nur  für 
diejenigen  Mikroorganismen,  für  die  sie  festgestellt  sind^).  Es  liegen 
schon  Mitteilungen  vor,  die  dartun,  daß  das  Aschenbedürfnis  ein  recht 
verschiedenes  ist.    Sehr  sorgfältig  scheint  wenigstens  von    G  e  r  1  a  c  h 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  28,   1898. 

2)  Sitzungsber.  Wien.  Akad.   103,  1894. 

3)  Dissertation  Erlangen  1897. 

4)  Bot.  Zeit.  1907.    Hier  wurden  Bergkristallgefäße  benutzt. 

ö)  Vergl.  auch  „Neue  Forschungen  über  die  Bedeutung  der  Neutral- 
salze für  die  Funktionsfähigkeit  des  tierischen  Protoplasmas*'.  Sammel< 
referat  von  H  ö  b  e  r  ,    Biochem.  Gentralbl.  1903,  497. 


Nährstoffe.  95 

und  V  o  g  e  1  ^)  festgestellt  worden  zu  sein,  daß  das  Azotobacter  Chroo- 
cooconiy  das  den  freien  Stickstoff  der  Atmosphäre  assimiliert,  nur  mit 
Kalk  und  Phosphorsäure  versorgt  zu  werden  braucht,  die  Alkalien 
aber  völlig  entbehren  kann.  Femer  können  Bac.  Stützen  und  Hartlebi 
nach  Salzmann  (§  29)  ihren  Mineralbedarf  aus  Kalium  und  Phos- 
phorsäure  decken,  wenn  ihnen  daneben  noch  eine  Spur  von  Schwefel- 
saure geboten  wird.  Der  Nachprüfung  bedürftig  ist  die  Angabe  C. 
Fränkels,  daß  Natriumphosphat  als  einziger  mineralischer  Be- 
standteil in  einer  Asparaginlösimg  für  viele  Bakterien  genüge  (a.  a.  0.) 
und  femer  die  Bemerkung  von  Proskauer  und  Beck,  daß 
Tuberkelbazillen  auch  auf  kaliumfreien  Nährböden  zu  wachsen  imstande 
seien. 

Über  die  Bedeutung  des  Eisens  für  die  Ernährung  der  Mikro- 
organismen sind  die  Akten  noch  nicht  geschlossen.  M  o  1  i  s  c  h  ') 
hatte  im  Gegensatz  za  früheren  Forschern  die  Notwendigkeit  dieses 
Hetalles  bei  der  Ernährung  der  Pilze  betont  und  die  entgegenstehenden 
Befunde  durch  Verunreinigung  der  Nährstoffe  mit  Eisen  erklärt. 
Stoklasa')  fand  das  auch  für  den  Bac.  megatherium  bestätigt. 
Benecke  glaubt  sich  nicht  so  entschieden  aussprechen  zu  dürfen, 
wenn  er  auch,  wie  W  e  h  m  e  r  *),  eine  Begünstigung  des  Wachstums 
luid  der  Sporenbildung  durch  Eisen,  also  eine  Reizwirkung 
dieses  Metalls  zugibt.  Schon  B  a  u  1  i  n  hatte  das  ja  gefunden  (§  29). 
Winogradsky  (§209)  sah  auch  die  Entwickelung  der  Purpur- 
bakterien, Kossowicz^)  die  der  Hefe,  L  o  e  w  und  K  o  z  a  i  *) 
die  des  Bac.  prodigiosus  durch  Eisen  gefördert.  Längst  bekannt  ist 
die  Beziehung  des  Eisens  zu  der  Vegetation  der  sog.  Eisenbak- 
terien (Crenothrix  polyspora,  Lieptothrix  und  Cladothrix  ochracea 
usw.),  d.  lu  fddiger  Organismen,  die  in  ihrer  Scheide  Massen  von  Eisen- 
oxydhydrat aufhäufen.  Über  diesen  Prozeß  selbst,  der  zu  dem  Leben 
dieser  Bakterien  in  einem  engen  Verhältnis  stehen  soll,  werden  wir 
spater  handeln  (§216),  hier  interessiert  uns  nur  die  Tatsache,  daß  das 
im  Wasser  gelöste  Eisenoxydul  die  Quelle  dieser  Ablagerung  ist,  daß 
nach  M  o  1  i  s  c  h  das  Eisen  durch  Mangan  vertreten  werden  kann  und 
letzteres  nach  anderen  sogar  notwendig  ist  für  die  Entwickelung  einiger 
Pilze.  Bei  den  übrigen  Mikroorganismen  leugnet  M  o  1  i  s  c  h  die 
M^lichkeit,  Eisen  durch  Mangan,  Kobalt  u.  dgl.  zu  ersetzen. 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  10,  639. 

2)  Die  Pflanzen  in  ihren  Beziehungen  zum  Eisen.    Jena  1892. 

3)  Campt,  rend.  ac.  sc.  127,  282,  1898. 

4)  Kochs  Jahresber.  1895,  70. 

5)  Zeitschr.  landwirtsch.  Versuchswesen  Österreichs,  1903. 

6)  Ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  10,  264,  1903. 


96  Kap.  III.  §  30  u.  31. 

Ähnliche  Reizwirkungen  üben  auch  andere  Metalle  aus,  so  nach 
R  a  u  1  i  n  u.  a.  das  Zink,  das  allerdings  die  Konidienbildung  beein- 
trächtigt, nach  Richards^)  das  Lithium  ^)  auf  Pilze,  nach  S  t  o  k  - 
lasa   das  Mangan  auf  die  Azotobakterien  (§  203). 

Vollständig  von  den  bisherigen  Erfahrungen  über  die  Notwendig- 
keit der  Mineralsalze  zur  Ernährung  weichen  die  Befunde  von  F  e  r  m  i  ^) 
ab.  Er  erhielt  in  Eisen-,  Blei-,  Kupfer-  und  Nickelgefäßen  auf  2  prozen- 
tigen  Lösungen  von  milchsaurem  Ammon,  die  frei  von  anorganischen 
Stoffen  waren,  Ernten  des  Aspergillus  niger,  die  getrocknet  0,5, 0,4,  0,33 
und  0,08  g  wogen  und  deren  Asche  nur  aus  den  betreffenden  Metallen 
bestand.  In  Gold-,  Aluminium-,  Zinn-,  Nickel-  und  PorzellangefaOen 
erfolgte  auf  ähnlichen  Nährlösungen  ebenfalls  Entwickelung  des  Pilzes 
mit  fast  unsichtbarem  Rückstand  bei  der  Veraschung.  Silbergefäße 
erlaubten  zuerst  das  Wachstum  nicht,  nach  Zusatz  von  Rohrzucker 
und  Glyzerin  trat  aber  ein  solches  schließlich  ein. 

Auch  C  a  c  h  e  ^)  will  beim  Bact.  coU  ein  Wachstum  erzielt  haben 
auf  einem  Nährboden,  der  außer  sorgfältig  destilliertem  Wasser  nur 
Traubenzucker,  Asparagin  und  etwas  Ammoniak  enthielt.  Reichlicher 
wurde  dieses  Wachstum  allerdings  erst,  wenn  Kaliumphosphat  und 
Natriumsulfat  hinzukamen,  und  Gärung  trat  erst  ein  nach  Zusatz  eines 
Magnesium-  oder  Ealziumsalzes. 

Die  Wichtigkeit  des  Magnesiumsulfats  für  die  Farbstoffbildung 
(§  254)  und  die  der  Salzart  und  -menge  für  die  Lichtentwicklung  (§  238), 
die  Schädlichkeit  starker  Salzlösungen  (§  40)  besprechen  wir  später. 

§  31.    Bedarf  an  Sauerstoff.  Agrobiose  und  AnaSrobiose. 

Bei  den  Mikroorganismen  hat  man  zuerst  die  allen  früheren  Beob- 
achtungen widerstreitende  Erfahrung  gemacht,  daß  ein  Leben  ohne 
freien  Sauerstoff  möglich  ist,  ja,  daß  es  sogar  unter 
ihnen  solche  gibt,  die  bei  Zutritt  von  freiem 
Sauerstoff  überhaupt  nicht  bestehen  können, 
sondern  durch  ihn  getötet  werden.  Pasteur^) 
fand  diese  merkwürdige  Eigenschaft  zuerst  im  Jahre  1861  bei  den 
„Vibrionen"  der  Buttersäuregärung,  bald  darauf  auch  bei  Bakterien, 
die  weinsauren  Kalk  vergoren,  und  führte  dann  auch  die  stinkende 
Fäulnis  auf  derartige  Lebewesen  zurück.  Die  Methoden,  mit  denen 
P  a  s  t  e  u  r    arbeitete,  genügen  hohen  Anforderungen,  und  man   be- 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  30,  665,   1897. 

2)  Vgl.  über  Lithiumwirkung  auch  §  3. 

3)  Zentr.  Bakt.  29. 

4)  Zentr.  Bakt.  40,  256,  1905. 

5)  Compt.  rend.  ac  sc.  52,  340  u.   1260;  56,  1190. 


Nährstoffe.  97 

greift  heutzutage,  wenn  man  die  Arbeiten  des  genialen  Franzosen 
studiert,  nicht  recht,  wie  es  möglich  war,  daß  seine  Lehre  noch  lange 
Zeit  Zweifeln  begegnete.  Es  wäre  das  wohl  auch  nicht  geschehen,  wenn 
P  a  8 1  e  u  r  nicht  selbst  von  Anfang  an  die  „Anaerobiose''  mit  einem 
anderen  wichtigen  Lebensvorgang,  um  dessen  Kenntnis  er  sich  eben- 
falls die  größten  Verdienste  erworben  hat,  der  Gärung,  verknüpft  hätte. 
Xach  ihm  ist  Gärung  nichts  weiter  als  Leben  ohne 
Sauerstoff.  Wir  werden  später  bei  Betrachtung  der  energetischen 
Verhältnisse  (§  223  u.  233)  sehen,  daß  dieser  Satz  im  wesentlichen 
richtig  ist,  daß  aber  ein  scheinbarer  Widerspruch  daraus  entsteht,  daß 
in  manchen  Fällen  auch  mit  Sauerstoffzutritt  die  Gärung  möglich  ist, 
ja  bis  zu  einem  gewissen  Grade  dadurch  gefördert  wird.  Das  war  ex- 
perimentell, imd  zwar  gerade  bei  der  bekanntesten,  der  alkoholischen 
Gärung,  leicht  nachzuweisen  und  konnte  natürlich  der  Pasteur- 
schen  Theorie  Abbruch  tun.  So  hat  man  sich  denn  auch  Mühe  genug 
gegeben,  weiter  nachzuweisen,  daß  es  eine  eigentliche  Anaerobiose 
überhaupt  nicht  gebe,  sondern  daß  immer  noch  Spuren  freien 
Sauerstoffes  im  Nährboden  zurückbleiben,  die  erst  das  Leben 
ermöglichen.  Bei  Berücksichtigung  der  quantitativen  Verhältnisse  ist 
klar,  daß  man,  selbst  wenn  dieser  Nachweis  gelungen  wäre,  damit  nichts 
gewonnen  hätte,  da  ja  der  Sauerstoff  bei  den  gewöhnlichen  sauerstoff- 
liebenden Lebewesen  nicht  etwa  als  ein  Kontaktkörper  betrachtet 
werden  kann,  der  selbst  in  den  kleinsten  Mengen  fortdauernd  seine 
Wirksamkeit  behält,  sondern  als  ein  Stoff,  der  nur  in  demselben  Ver- 
hältnis das  Leben  ermöglicht,  als  er  dabei  verbraucht  wird,  und  dessen 
Menge  dabei  erfahrungsgemäß  nicht  unter  einer  gewissen,  recht  beträcht- 
lichen Größe  liegen  darf.  Der  Grund  dafür  besteht  darin,  daß  bei  den 
„strengen  Aerobiem"  die  durch  den  Sauerstoff  der  Luft  vermittelten 
Oxydationen  ausreichen  müssen,  den  gesamten,  für  das  Leben  nötigen 
Energiebedarf  zu  decken,  und  das  wird  durch  Spuren  Sauerstoff  niemals 
geleistet.  Das  grundsätzlich  abweichende  Wesen  der  Anaerobiose  be- 
ruht dagegen ,  wie  P  a  s  t  e  u  r  ganz  richtig  erkannte,  darin,  daß  die 
zum  Leben  nötige  Energie  aus  anderen  Quellen  geschöpft  werden  muß 
als  aus  den  Oxydationen,  und  diese  Quellen  erkannte  er  ebenso  richtig 
in  den  Gärungen.  In  der  Folge  hat  sich  gezeigt,  daß  der  hier  geschilderte 
Gegensatz  zwischen  strenger  („obligater")  Aerobiose  und  Anaerobiose  in 
Wirklichkeit  nicht  so  groß  ist,  als  es  zuerst  schien,  weil  er  durch  Über- 
gänge ausgeglichen  wird. 

Betrachten  wir  zimächst  die  Beziehungen  des  Wachstums  der 
Mikroben  zum  freien  Sauerstoff.  Da  hat  sich,  wie  das  ja  eigentlich  von 
vornherein  zu  erwarten  war,  da  es  in  der  Natur  keine  Sprünge  gibt, 
herausgestellt,  daß  das  Wachstum  der  einzelnen  Arten  nicht  so  sehr 

KroB«,  Mikrobiologie.  7 


98  Kap.  ni,  !  31. 

von  dem  unbedingten  Mangel  oder  Vorhandensein,  als  von  der  Menge 
des  Sauerstoffs,  seiner  Spannung  abhangig  ist.  Es  zeigt  sich 
erstens,  daß  die  strengen  Anaerobier  allerdings  imstande  sind,  bei  ganz- 
lichem Sauerstoffabschluß  gut  zu  wachsen,  aber  auch  bei  gewissen  nied- 
rigen Sauerstoffspannungen  noch  dazu  befähigt  sind.  Chudiakow^) 
verdanken  wir  darüber  genaue  Mitteilungen.  Das  Bactridium  butyricum 
war  am  empfindlichsten  gegen  den  Sauerstoff,  es  wurde  am  Wachstum 
verhindert  bei  Verdünnung  der  Atmosphäre  auf  15  mm  Druck,  gedieh 
aber  noch  bei  einem  Luftdruck  von  5  mm,  d.  h.  einem  Sauerstoffgehalt 
von  0,13%.  Das  Clostridium  butyricum  wuchs  noch  ffut  bei  10  mm, 
die  B;kterien  des  malignen  ödem^mid  Tetanus  bei  20  mm  und  die 
Rauschbrandbazillen  sogar  noch  bei  40  mm  Druck.  Ebenso  interessant 
sind  die  Feststellungen,  die  Chudiakow  an  strengen  Aerobiem 
machte.  Sie  vertrugen  zwar  den  völligen  Sauerabschluß  nicht,  wuchsen 
aber  doch,  wenn  auch  kümmerlich,  bei  recht  niedrigen  Spannungen. 
Der  Bac.  substilis  z.  B.  vermehrte  sich  noch  bei  10  mm  Druck,  nicht 
mehr  bei  5  mm.  Der  Aspergillus  niger,  Penicillium  glaucum  und  Mucor 
stolonifer  entwickelten  sich  sogar  noch  etwas  bei  5  mm  Druck.  Um- 
gekehrt wurden  selbst  die  luftliebenden  Mikrobien  durch  zu  stark 
erhöhte  Sauerstoffspannungen  am  Wachstum  gehindert,  so  z.  B.  der 
Bac.  subtilis  durch  einen  Druck  von  2 — 4  Atmosphären,  der  Aspe^llus 
niger  und  die  Bierhefe  durch  einen  solchen  von  2^ — 3  Atmosphären. 
Neuerdings  hat  P  o  r  o  d  k  o  *)  die  Untersuchungen  C  h  u  d  i  a  - 
k  o  WS  vervollständigt,  indem  er  für  eine  größere  Reihe  von  Bakterien 
den  größten  und  kleinsten  Sauerstoffdruck  feststellte,  bei  dem  noch  ein 
Wachstum  eintrat').    Die  Ergebnisse  waren  folgende: 

Art  der  Mikroorganismen     Sauerstoffmaximum  Sauerstoffminimum 

in  Atmosphären*)  in  Vol.-%. 

Schwefeibakt.  Nathanson  (§  210)     0,68—0,81  — 


1)  Russisch  1896.  Ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  4.  389.  und  Kochs 
Jahresber.  1897,  44. 

2)  Jahrb.  wiss.  Bot.  41,  1904. 

3)  Die  geringen  Sauerstoff  Spannungen  wurden  dadurch  erzielt,  daß 
die  Luft  in  einer  Glasglocke  mittels  Wtisserstrahlpumpe  auf  2  mm  Druck 
(0,06  Vol.%  Sauerstoff)  verdünnt,  dann  reiner  Wasserstoff  zugelassen  und 
nochmals  auf  2  mm  —  0,00016%  O  —  ausgepumpt  wurde.  Die  Angaben 
der  Tabelle  beziehen  sich  übrigens  auf  eine  Versuchsdauer  von  höchstens 
8  Tagen.  Bei  einer  solchen  von  29  Tagen  war  noch  nach  dreimaligem  Aus- 
pumpen (0,0000004%  O)  Wachstum  der  Schwefelbakterien,  des  Pyocyaneus 
und  Fluorescens  zu  bemerken. 

4)  Eine  Atmosphäre  reinen  Sauerstoffs  entspricht  einer  Sauerstoff - 
Spannung  von  760  mm,  d.  h.  einer  etwa  fünfmal  größeren  als  der  gewöhn- 
lichen. 


Nährstoffe. 

99 

Art  der  Mikroorganismen 

Sauerstoffmaximum 

Sauerstoffminimum 

in  Atmosphären 

in  Vol.-% 

Bac.  ß  (Sapropliyt) 

1,26    2,22 

0 

Rosahefe 

1,68—1,94 

0,00016—0,06 

Bac.  cyanogenus 

1,68—1,94 

0,00016--0,06 

Spirillom  volutans 

1,68    2,25 

Bac.  pyocyaneus 

1,81    2,18 

Bac.  mycoides 

1,94—2,18 

Bac.  fluoreac.  liquefac. 

1,94    2,51 

0,00016 

ÄspeigillnH  niger 

1,94    2,51 

0,06-^,66 

Sarcina  lutea 

2,51     3,18 

0,00015-^0,06 

Vibrio  albensis 

2,51-^,18 

0—0,00016 

Penidlliam  glaucum 

3,22—3,63 

0,06-^0,66 

Mucor  stolonifer 

3,22—3,63 

0,06— ,0,66 

Bac.  subtilis 

3,18    3,88 

0,-0,00016 

Bac.  Proteus  vulgaris 

3,63—4,35 

0 

Bac.  coli  conununis 

4,09—4,84 

0 

Bac.  prodigioBUS 

5,45-^,32 

0 

Bac.  c 

9,38—? 

0 

Hiemach  wären  die  Schimmelpilze  am  empfindlichsten  gegen  Sauer- 
stoffmangel, die  meisten  streng  aeroben  Bakterien  wüchsen  noch  bei 
Vorhandensein  einer  so  geringen  Sauerstoffepannung,  daß  die  strengen 
Anaeroben  dabei  gedeihen  könnten.  Manche  bekannte  „fakultative 
Anaerobier",  wie  der  Coli-,  Prodigiosus-  und  Proteusbazillus  entwickelten 
sich  in  den  weitesten  Grenzen,  nämlich  von  0  bis  4 — 6  Atmosphären 
Saaerstoffdruck,  d.  h.  bei  vollständigem  Mangel  des  Sauerstoffs  imd 
noch  bei  einem  Überdruck  von  20 — 30  gewöhnlichen  Atmosphären. 
Das  Vorhandensein  indifferenter  Gase  (Stickstoff,  Wasserstoff)  ändert 
an  dem  Ausfall  der  Versuche  nichts,  wie  schon  P.  B  e  r  t  für  höhere 
Organismen  gefunden  hatte  (vgl.  §  44).  Die  Teilverrichtungen  der  Mikro- 
organismen werden  durch  verminderte  Sauerstoffspannung  ungleich 
beeinflußt.  Zuerst  erlischt  die  Fähigkeit  der  Farbstoffbildung  bei  den 
Bakterien  und  der  Sporenbildung  bei  den  Schimmelpilzen. 

M.  W  u  n  d  t  ^)  hatte  bei  der  Untersuchung  von  22  saprophytischen 
Arten  ähnliche  Ergebnisse.  Zur  Ergänzung  dieser  Tatsachen  dienen 
einige,  zum  Teil  schon  früher  gemachte  Beobachtungen.  So  hatte  schon 
P  a  8 1  e  u  r  bemerkt,  daß  das  Wachstum  der  Hefe  um  so  geringer  wird, 
je  vollständiger  man  den  Sauerstoffzutritt  ausschließt  (§  233).  Später 
ist  das  allgemein  anerkannt,  über  die  Frage,  ob  nun  wirklich  die  Hefe 
2n  den  strengen  Aerobiem  gehöre,  d.  h.  ohne  freien  Sauerstoff  nicht  zu 


1)  Phil.  Dissert.  Marburg   1906,  vgl.  Bot.  Zeitg.  1906,  344. 

7* 


100  Kap.  III,    §  31. 

wachsen  vermöge,  ist  aber  noch  kein  völliges  Einverständnis  erzielt 
worden.  Wahrscheinlich  ist  es  aber  —  wenigstens  für  die  gewöhnliche 
Bierhefe.  Winogradsky  beschrieb  femer  schon  1887  ein  eigen- 
tümliches Verhalten  der  Schwefelbakterien  (§  208).  Obwohl  die  Beg- 
giatoen  des  Sauerstoffs  der  Luft  zu  ihrem  Leben  bedürfen,  entwickeln 
sie  sich  stets  erst  in  einiger  Entfernung  von  der  Oberfläche  der  Flüssig- 
keit. Winogradsky  erklärte  das  daraus,  daß  die  Mikroben  gleich- 
zeitig auf  den  Schwefelwasserstoff  angewiesen  wären,  der  bei  allzu  reich- 
lichem Sauerstoffzutritt  nicht  bestehen  könnte.  Daraus  mag  sich  ja  aller- 
dings die  Anpassung  an  die  geringere  Sauerstoffspannung  entvdckelt 
haben.  Beijerinck^)  machte  bei  dem  Amylobacter  butylicum 
folgende  Beobachtung.  Insofern  erwies  es  sich  als  Anaerobier,  als  es  in 
Würze  durch  Zutritt  freien  Sauerstoffs  am  Wachstum  gehindert  wurde 
und  bei  strenger  Anaerobiose  durch  beliebig  viele  Gärungsgenerationen 
hindurchgeführt  werden  konnte.  Andererseits  gedieh  es  aber  auch  in 
Leitungswasser  mit  1%  Pepton  und  0,5%  Stärkekleister  bei  niederer 
Temperatur,  ohne  daß  der  Sauerstoff  völlig  abgeschlossen  war,  ja,  es 
wuchs  anscheinend  sogar  besser  als  bei  Luftabschluß.  Auch  die  Würze 
soll  nach  dem  Auskochen  noch  Sauerstoff  gebunden  enthalten.  Ein 
gewisses  Maß  von  Sauerstoffspannung  wäre  also  nach  Beijerinck 
diesen  Bakterien  nicht  nur  zuträglich,  sondern  sogar  nötig.  Das  erstere 
können  wir  nicht  bestreiten,  das  letztere  ist  aber  nicht  bewiesen,  im 
Gegenteil  unwahrscheinlich.  Besser  bewiesen  ist  die  „Mikroaerophilie'\ 
d.  h.  die  Vorliebe  für  einen  niederen  Sauerstoffdruck  durch  B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k  2)  bei  einigen  anderen  Bakterien.  Zuerst  beobachtete  er  in  einer 
dünnen  wässerigen  Bohnenaufschwemmung  im  Reagenzglas  eine  An- 
sammlung bestimmter  Bakterien  in  einer  gewissen  Höhe  der  Flüssig- 
keitsschicht. Dies  „Bakterienniveau"  bildet  sich  aber  ebenso  in  Rein- 
kulturen und  bei  andern  Bakterien.  So  sollen  T3^hus-  und  Golibazillen 
sogar  ein  doppeltes  Niveau  erzeugen.  Auch  zwischen  Deckglas  und 
Objektträger  lassen  sich  „Atmungsfiguren"  erhalten  ^).  Hierher  gehört 
auch  das  Verhalten  des  von  Bang*)  und  Stribolt  studierten 
Bazillus  des  seuchenhaften  Abortus  des  Rindes.  In  hohen  Schichten 
von  Serumagar  entwickelt  sich  derselbe  unter  gewöhnlichen  Umständen 
nur  in  einer  Zone  von  1, — 1,5  cm  Breite  und  0,5  cm  unter  der  Ober- 
fläche, in  einer  sehr  sauerstoffreichen  Atmosphäre  aber  gerade  an  der 
Oberfläche.    Es  bestehen  für  ihn  also  zwei  Sauerstoffoptima.    Das  gilt 


1)  Vorhandel.  Kon.  Akad.  Wetensch.  Amsterdam  1893,  2.   Sect.  I. 

2)  Zentr.  Bakt.  14.  827,  1893. 

3)  Weiteres  über  Bakterienniveaus  und  Atmungsfiguren  §  56. 

4)  Zeitschr.  Tiermed.  1,  1897,  vgl.  Ostortag  in  KoUe-Was- 
8  e  r  ni  a  n  n ,   Handb.  3.  830. 


Nährstoffe.  101 

nach  R.  Müller^)  auch  für  den  Bazillus  der  Geflügeldiphtlierie  und 
nach  Wittneben*)  auch  für  manche  Eiterstreptokokken.  Nur 
liegen  hier  die  beiden  Optima  unter  dem  gewöhnlichen  Sauerstoffdruck, 
und  bei  dem  erstgenannten  Bazillus  findet  sich  noch  die  Eigentümlirh. 
keit,  daB  er  bei  Vorhandensein  von  Hämoglobin  (Blutagar)  auch  auf  der 
Nährbodenoberfläche  wächst  (s.  u.). 

Man  kann  sich  das  Sauerstoffbedürfnis  der  Kleinwesen  etwa  in 
folgender  Weise  zeichnerisch  veranschaulichen.  In  nachstehender  Figur 
ist  die  Sauerstoffspannung,  innerhalb  deren  ein  Wachstum  möglich  ist, 
durch  Linien  von  verschiedener  Begrenzung  angegeben. 

Sauerstoffdruck  in  Atmosphären^). 

0      0.2      0.4       0,6     0.8     1.0 


1 

2d 

2t 

2C 

2d 

3 

4d 

4d 


Nr.  1,  wo  die  Linie  auf  einen  Pimkt  zusammengeschrumpft  ist,  würde 
Anaerobier  im  strengsten  Sinne  des  Wortes  bezeichnen,  d.  h.  Keime, 
die  überhaupt  nur  bei  vollständigem  Sauerstoffabschluß  gedeihen 
könnten.  Ob  es  solche  gibt,  ist  aber  nach  den  oben  erwähnten  Angaben 
Chudiakows  fraglich.  Nr.  2  a  und  2  b  gibt  die  Verhältnisse  unge- 
fähr 80  ¥rieder*),  wie  sie  bei  den  bisher  bekannten  strengen  Anaerobiem 
wirklich  bestehen;  Nr.  2c  und  2d  die  Verhältnisse  der  sogenannten 
fakultativen  Anaerobier  (z.  B.  Coli-  und  Proteusbazillen).  Nr.  3  ent- 
spricht den  Bedingungen  bei  den  strengen  Aerobiern  (Schimmelpilzen, 
Hefen,  Subtilis).   Nr.  4  a  würde  etwa  für  Beggiatoen  ®)  bezeichnend  sein. 


1)  Zentr.  Bakt.  4L  521  \ind  621. 

2)  Ebenda  44.  99. 

3)  Die  senkrechte  Linie  bei  1,0  bezeichnet  die  Stelle  der  normalen 
Sauerstoff  Spannung  (etwa  21  Volumprozent).  Hier  sind  also  gewöhnliehe 
Atmosphären  gemeint. 

4)  Auf  eine  genaue  Wiedergabe  der  Maß  Verhältnisse  mußte  der  Deut- 
lichkeit wegen  verzichtet  werden. 

6)  Die  Purpurbakterien  verhalten  sich  nach  M  o  1  i  s  (J  h  (Pürpür- 
bakterien  1907,  50  ff)  verschieden.  Einige  entsprechen  dem  Typus  2  a  und  b, 
andere  (Spirillum  rubrum)  2  c,  wieder  andere  4  a.  Die  zur  Bildung  des  Farb- 
stoffs (vgl.  §  209  u.  254)  nötige  Sauerstoffspannung  ist  auch  ungleich. 


102  Kap.  III,  {  31. 

4b  für  die  Bazillen  der  Greflügeldiphtherie  und  manche  Streptokokken, 
4c  für  die  Abortusbazillen.  Auch  Nr.  5,  d.  h.  ein  auflschließliches  Wachs- 
tum bei  höherer  als  atmosphärischer  Sauerstoffspannung  wäre  denkbar, 
ist  aber  noch  nicht  nachgewiesen. 

Unsere  Zeichnung  würde  die  natürlichen  Beziehungen  noch  ge- 
nauer wiedergeben,  wenn  wir  der  Einfachheit  halber  nicht  darauf  ver- 
zichtet hätten,   statt  der  geraden   Linien  keil-   oder  spindelförmige 

Figuren  anzulegen,    -^^^   oder    -^^^^^^ ,  um  damit  anzudeuten, 


daß  das  Wachstum  in  der  betreffenden  Zone  nicht  gleichmaßig  ist, 
sondern  von  einer  oder  beiden  Seiten  bis  zu  einem  Höhepimkt 
zunimmt,  oder  wenn  wir  versucht  hätten,  auch  noch,  etwa  durch  über- 
einander gelegte  farbige  Striche,  die  Tatsache  auszudrücken,  daß  auch 
die  übrigen  Eigenschaften  der  Mikroben,  wie  z.  B.  die  Sporenbildung 
und  -Auskeimung,  Beweglichkeit  und  Bewegungsrichtimg,  die  Ferment-, 
Färb-  und  Leuchtstoffbildung  von  der  Sauerstoffspannung  abhängig 
sind.  Die  Untersuchungen  von  Hansen,  Wundt  (a.  a.  O.)  u.  a. 
haben  nämlich  ergeben,  daß  diese  Eigenschaften  meist  in  Spannungs- 
grenzen zutage  treten,  die  bei  den  einzelnen  Arten  recht  ungleich  sind. 
Begelmäßig  sind  diese  Grenzen  enger  gezogen 
als  diejenigen  für  das  Wachstum;  indessen  gilt  das 
anscheinend  nur  für  die  Bildung,  nicht  für  die  Tätigkeit  der 
Leuchtstoffe,  sowie  der  Fermente.  So  genügen  schon  die  kleinsten,  für 
das  Wachstum  ungenügenden  Spuren  von  Sauerstoff,  um  phosphores- 
zierende Bakterien  zum  Leuchten  zu  bringen  (§  238),  imd  mit  oder 
ohne  Sauerstoff  behalten  die  einmal  gebildeten  Enzyme  ihre  Wirksam- 
keit. Am  besten  scheint  die  obige  Regel  bewiesen  zu  sein  für  clie  Sporen- 
bildung bei  Bakterien,  Hefe  usw.  Doch  wird  von  M  i  g  u  1  a  ^)  und 
Matzushita^)  angegeben,  daß  obligate  Anaerobier  Sporen  auch  bei 
freiem  Luftzutritt  bilden  können.  Es  mag  dahingestellt  bleiben,  ob 
hier  die  plötzliche  Erhöhung  der  Sauerstoffspannung  nicht  blos  als 
Reiz  zu  beschleunigter  Entwickelung  auf  die  schon  in  Sporenbildung 
begriffenen  Keime  wirkt.  Auch  sonst  ist  die  Vorstellung,  daß  der  Sauer- 
stoff bei  Anaerobiern  einen  Reiz  darstelle,  ausgesprochen  worden,  so 
sollen  nach  B u r r i  und  Kürsteiner  ^)  Putrificusbazillen,  die 
vorher  anaerob  zu  wachsen  angefangen  haben,  durch  Sauerstoffzutritt 
zu  reichlichem  Wachstum  angeregt  werden  können.  Die  Beobachtung 
selbst  scheint  uns  bei  der  oft  unregelmäßigen  Ausbeute  in  den  Kulturen 


1)  Lafars   Handb.  1.  112,  1904. 

2)  Arch.  Hyg.  43,  1903. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  21.  289,  vgl.  Pringsheim   ebenda  673. 


Nährstoffe.  103 

noch  nicht  genügend  gesichert  zu  sein.  Die  Möglichkeit  einer  Reiz- 
wirknng  besteht  aber  vielleicht  hier  wie  für  andere  Gifte  ( §  55).  Daß 
der  Sauerstoff  in  höherer  Konzentration  iräklich  ein  Gift  für  Anae- 
roben ist,  kann  u.  a.  nach  Pasteurs  und  Ghudiakows  Er- 
fahrungen nicht  bezweifelt  werden.  Letzterer  Forscher  stellte  fest, 
daß  die  Giftigkeit  um  so  deutlicher  hervortritt,  je  höher  die  Spannung 
über  das  noch  mit  dem  Wachstum  verträgliche  Maaß  steigt.  Wie  sich 
diese  Giftwirkung  erklärt,  ist  nicht  bekannt,  —  man  könnte  daran 
denken,  daß  sich  ihnen  Oxydationsprodukte^)  in  gewisser  Konzentration 
schädlich  erwiesen.  Besondere  Schwierigkeiten  macht  natürUch  das 
Verhalten  der  Mikroorganismen  mit  „doppeltem  Niveau"  (s.  o.  S.  100). 
Übrigens  liegen  bei  cliesen  noch  keine  Beobachtungen  über  die  Giftig- 
keit des  Sauerstoffs  in  der  für  das  Wachstum  ungenügenden  Zone  vor. 
Ebenso  fehlen  genügende  Untersuchungen  über  die  Schädlichkeit  des 
Sauerstoffmangels  bei  den  Aerobiem.  Man  weiß  nur,  daß  diese  beim 
Aufhören  der  Sauerstoffzufuhr  nicht  weiter  wachsen,  ob  sie  aber  in  ähn- 
licher Weise  wie  höhere  Tiere  und  Pflanzen  an  dem  Sauerstoffmangel 
»»ersticken'^  ist  nicht  untersucht.  Wahrscheinlich  ist  eine  plötz- 
liche Wirkung  bei  den  aeroben  Mikroorganismen  aber  nicht,  sondern 
sie  sterben  allmählich  unter  den  Erscheinungen  der  Selbstverdauung 
(§  9  u.  §  166)  und  Selbstvergärung  (§91)  ab. 

Zweifel  bestehen  femer  über  die  Möglichkeit  einer  zeitlich 
beschränkten  Anaerobios e.  Pasteur^)  hatte  aus 
seinen  Beobachtungen  geschlossen,  daß  die  Hefe  imstande  sei,  einen 
Sauerstoffvorrat  aufzuspeichern,  der  ihr  gestatte,  eine  gewisse  Zeit 
auch  ohne  freien  Sauerstoff  zu  wachsen.  Beijerinck^),  der  diese 
Zeit  für  die  Hefe  auf  etwa  20 — 30  Generationen  festsetzte,  glaubte 
dann  auch  sein  Amylobact.  butylicum  und  überhaupt  alle  sogenannten 
obligaten  Anaerobier  bzw.  die  von  ihm  selbst  früher  „permanente 
fakultative^^  Anaerobier  genannten  Bakterien  als  „temporäre  fakul- 
tative Anaerobier''  auffassen  zu  dürfen.  Das  ist  aber  nach  den  zahl- 
reichen Erfahrungen,  die  über  dauernde  Fortzüchtung  der  letzteren 
unter  Sauerstoffabschluß  vorliegen,  ausgeschlossen.     Daß  es  dagegen 


1)  Sicher  ist,  daß  kleinste,  an  sich  mit  dem  Leben  verträgliche  Sauer- 
»toffmengen,  die  echten  Ana^roben  beständig  geboten  werden,  in  den 
Kulturen  verschwinden,  also  zu  irgend  welcher  Oxydation  benutzt  werden ; 
daher  kann  man  die  strengen  Anaeroben  nicht  definieren  als  Wesen,  die 
zur  Oxydation  ganz  unfähig  seien;  nur  beschränkt  und  nicht  unumgänglich 
nötig  ist  ihre  Oxydationsf^gkeit. 

2)  Etudes  sur  la  bi^,  1876. 

3)  a.  a.  O.  und  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  2.  41,  vgl.  Fermi  und 
Bassu,   Zentr.  Bakt.  1.  Abt.,  38.  138  ff.,  1905. 


104  Kap.  in,   §  31. 

eine  Sauerstoffspeiclierung  gibt,  zeigte  E  w  a  r  t  ^)  an 
einigen  Bakterien,  wie  Bact.  brunneum,  cinnabarinum,  Micr.  agilis, 
Staphjl.  citreus,  Bac.  jantbinus.  Die  Fähigkeit  scheint  an  Farbstoffe 
gebunden  zu  sein  (§  253).  Der  Beweis  wurde  dadurch  erbracht,  daß 
Mikroben,  die  auf  Sauerstoffzutritt  mit  Bewegungen  antworten,  bei 
Gegenwart  des  betreffenden  Bakteriums  beweglich  wurden.  Die  Be- 
deutung der  Einrichtung  scheint  danach  weniger  darin  zu  liegen,  daß 
der  gespeicherte  Sauerstoff  für  die  eigene  Atmung  der  Pigmentbakterien 
verwendet,  als  an  die  Umgebung  abgegeben  wird.  Die  ganze  Frage  der 
zeitweiligen  Anaerobiose  und  Sauerstoffspeicherung  bedarf  übrigens 
noch  einer  gründlichen  Bearbeitung. 

Mit  der  zeitlich  beschränkten  Aerobiose^)  imd  Anaerobiose  ist 
nicht  zu  verwechseln  die  durch  Anpassung  (oder  freiwillige  „Mutation") 
erworbene  oder  durch  Unterschiede  in  der  Zusammensetzung  des  Nähr- 
bodens bedingte  Änderung  des  Verhaltens  zum  Sauerstoff.  Daß  es 
Rassen  von  Rauschbrand-  ^)  und  Tetanusbazillen  *)  gibt,  die  mehr  oder 
weniger  gut  den  Sauerstoff  vertragen,  ist  bekannt  (§  352).  Durch 
allmähliche  Steigerung  der  Luftzufuhr  vermochte  Chudiakow  das 
Bactridium  butyricum,  Rosenthal  ^)  den  Bac.  botulinus,  die 
Achalmeschen  Bazillen  des  Gelenkrheumatismus,  den  Bazillus  des 
Gasbrandes  und  malignen  Odems  an  höhere  und  sogar  an  die  gewöhnliche 
atmosphärische  Sauerstoffspannung  zu  gewöhnen.  Umgekehrt  gelingt 
es  auch,  Bakterien  an  geringe  Sauerstoffspannng  anzupassen.  So  sah 
Ijafforgue*)  den  Bac.  mesentericus,  der  sonst  Häute  auf  der  Ober- 
fläche bildet,  in  Filtraten  schon  bewachsener  Bouillon  unter  Trübung 
der  ganzen  Flüssigkeit  wachsen  und  diese  Neigung  zur  Anaerobiose 
auch  beibehalten"^).  Um  keine  Umwandlung,  sondern  nur  um  die  Folge 
einer  ungleichen  Empfindlichkeit  gegenüber  dem  Sauerstoff  bei  ver- 
schiedenen Temperaturen  handelte  es  sich  in  dem  vom  Verfasser  beob- 
achteten Fall.  Ein  köpfchensporenbildender  Bazillus  kam  zwar  bei  24fi 
auf  der  Oberfläche  der  Nährböden  leidlich  fort,  nicht  aber  bei  37",  wo 
er  nur  in  der  Tiefe  des  Stichs  gedieh.  Umgekehrt  liegen  die  Dinge  nach 
Rabinowitsch®)  und  S  c  h  ü  t  z  e  *)  bei  thermophilen  Bakterien 


1)  Bei  Pfeffer,  Verhandl.  k.  sächs.  Ges.  Wiss.  T^ipzig  1896.  46.  379. 

2)  So  kann  man  die  oben  auf  Keizwirkungen  zurückgeführten  Er- 
scheinungen benennen. 

3)  Kitt,  Zentr.  Bakt.   17.   168.  1895. 

4)  B  r  a  a  t  z  ,    ebenda  737,    R  i  g  h  i ,    ebenda,  ref.  315. 

5)  Compt.  rend.  soc.  biol.  50.   1292.  1903;  60.  874,  1906. 

6)  Soc.  biol.   18.  V.   1907. 

7)  Vgl.  auch    Garbo  w  Ski:    Zentr.  Bakt.    2.  Abt.  19—20. 

8)  Zeitschr.  f.  Hyg.   20,   169. 

9)  Arch.  Hyg.   67,  55. 


Nährstoffe.  105 

imd  Strahlenpilzen,  die  bei  niedrigerer  Temperatur  besser  anaerob,  bei 
höherer  besser  aerob  wachsen  ( §  42). 

Die  Abhängigkeit  des  Sauerstoffbedürfnisses  von  der  Zusammen- 
setzimg der  Nährböden  ist  schon  den  früheren  Forschern  auf  dem 
Grebiete  der  Anaerobiose  angefallen.  So  beruhen  viele  zur  Züchtung 
der  Anaeroben  angegebenen  Verfahren^)  auf  bestimmten  Zusätzen 
zum  Nährboden.  Zucker  empfahlen  dafür  schon  Pasteur  imd 
dami  Liborius^),  dem  wir  clie  erste  systematische  Behandlung  des 
Reinkulturproblems  bei  Anaeroben  verdanken.  Eitasato  und 
W  e  7 1  ^)  hatten  ähnliche  Erfolge  mit  ameisensaurem  Natron,  indig- 
schwefelsaurem  Natron,  Brenzkatechin  oder  Eikonogen,  B  e  i  j  e  - 
r i n c k  *)  mit  Natriumhjdrosulfit,  Trenkmann^)  mit  Schwefel- 
wasserstoff und  Natriumsulfid,  Hammerl^)  mit  Ammonsulfhydrat. 
H  a  t  a '')  züchtete  Odembazillen  sogar  in  gewöhnlichen  Bouillon- 
Töhrchen  mit  0,3%Ferrosulfat,  allerdings  war  das  Wachstum  nur  gut, 
wemi  die  durch  den  Zusatz  entstehende  Trübimg  nicht  durch  Filtrieren 
beseitigt  worden  war.  Diesen  letzteren  Untersuchungen  schlössen  sich 
an  die  Beobachtungen  von  Th.  Smith  ®),Tarozzi^),Wrzo8ek  ^®), 
Pfuhl^),  Harras^*),  Liefmann^®),  Guillemot  und 
Szczawinska^^)  und  H a t a  selbst  über  die  Möglichkeit,  Anae- 
roben ohne  besondere  Vorsichtsmaßregeln  zur  Entfernung  des  Sauer- 
stoffe in  Nährböden  zu  züchten,  denen  man  gewisse  Fremdkörper  zu- 
gesetzt hatte.  UrsprüngHch  hatte  man  dazu  keimfrei  entnommene  Stück- 


1 )  Vgl.  außer  den  Lehrbüchern  und  Omelianski.  in  Laf ars 
Handb.  1.  576,  1907,  z.  B.  bei  F  e  r  m  i  und  B  a  s  s  u  (Zentr.  Bakt.  35  u. 
38  1905,  bis  1906),  Matzushita  (Arch.  Hyg.  43,  1902);  femer  die 
Abänderungen  des  B  o  t  k  i  n  sehen  Verfahrens  durch  Grassberger 
und  Schattenfroh  (Arch.  Hyg.  37  imd  42),  G  h  o  n  und  Sachs 
(Centr.  Bakt.  32);  die  Züchtung  in  luftleerem  Raum  bzw.  unter  verschie- 
denem Druck  bei  P  o  r  o  d  k  o  (im  Text  S.  98),  bei  A.  Meyer  (Zentr, 
Bakt.  2.  Abt.  15.  337,  1905  und  Bredemann  (ebenda  23.  409,  1909). 

2)  Zeitschr.  Hyg.   1,  1886. 

3)  Ebenda  8,  1890. 

4)  S.  o.    Verhandel.  Akad.  Wet.   1893. 

5)  Zentr.  Bakt.  23.  1038,  1898. 

6)  Ebenda,  30.  658,   1901. 

7)  Ebenda  46.  549,  1908. 

8)  Smith,  Walker  und  Brown,  Journ.  med.  research.  14, 
193,   1905. 

9)  Zentr.  Bakt.  38.  619,  1905. 

10)  Wien.  klin.  Woch.  1905,  1268.     Centr.  Bakt.  43.   17;  44.  607. 

11)  Ebenda  44.  378.  1907. 

12)  Münch.  med.  Woch.  1906,  46. 

13)  Ebenda  1907,  17. 

14)  Soc.  biol.  1.  II.  1908. 


106  Kap.  III.   f  31. 

chen  lebender  tierischer  oder  pflanzlicher  Organe  empfohlen  und  als 
dabei  wirksam  eine  hitzeempfindliche  organische  Substanz  angesehen. 
Diese  Substanz  sollte  auch  in  Lösung  gehen,  so  daß  die  Bouillon  auch 
nach  Herausnahme  des  Organstückchens  zur  Züchtung  brauchbar 
wäre.  Die  nähere  Prüfung  zeigte  aber,  daß  die  Hitzeempfindlichkeit 
nur  eine  relative  ist,  die  organischen  auch  durch  unorganische 
Stoffe  wie  Kohle,  Kreide,  Eisen,  Zink,  Zinn,  weniger  gut  durch  Alu- 
minium und  dessen  Verbindungen,  soweit  sie  einen  Niederschlag  geben, 
ersetzt  werden  können,  die  Hauptsache  also  das  Vorhandensein 
gröberer  oder  nur  als  Trübung  erscheinender 
Fremdkörper  ist,  die  wahrscheinlich  allerdings  nicht  allein  als 
solche,  d.  h.  indem  sie  den  Anaerobiern  mechanischen  Schutz  vor  dem 
unbeschränkten  Luftzutritt  gewähren,  sondern  auch  durch  ihre  R  e  - 
duktionskraft  wirken.  Die  Wirkung  wird  daher  auch  befördert 
durch  reichliche  Einsaat  von  Keimen  und  durch  Mitüber- 
tragung von  festen  (klumpigen)  Kulturstückchen,  z.  B.  von  Agar.  Die  oben 
erwähnten  gelösten  Stoffe  einschließlich  des  Zuckers  hatte  man  ja  auch 
im  Hinblick  auf  ihre  Reduktionskraft  ausgewählt.  Durch  diese  Fest- 
stellungen wurden  auch  ältere  Erfahrungen,  clie  man  über  den  günstige  n 
Einfluß  von  Mischkulturen  auf  das  Wachstum  der  Anae- 
robier gemacht,  verständlich.  Schon  P  a  s  t  e  u  r  hatte  beobachtet, 
daß  luftliebende  Bakterien,  wenn  sie  in  Gemeinschaft  mit  Anaeroben 
wachsen,  deren  Gedeihen  befördern,  sei  es,  indem  sie  durch  Decken- 
bildung den  Zutritt  der  Luft  in  die  Tiefe  der  Nährflüssigkeit  behindern, 
sei  es,  indem  sie  den  darin  schon  gelösten  Sauerstoff  in  Beschlag  nehmen. 
Er  führte  darauf  die  Möglichkeit  für  Anaeroben,  imter  natürlichen  Ver- 
hältnissen sich  zu  entwickeln,  zurück.  Später  wurde  die  Tatsache 
selbst  allgemein  bestätigt,  ja,  es  gelang  Kedrowsky^)  selbst  bei 
langsamer  Durchleitung  von  Luft  durch  die  Kulturflüssigkeit  oder 
auf  schrägem  Agar  Aeroben  und  Anaeroben  nebeneinander  zu  züchten. 
Nach  Scholtz^)  vermögen  sogar  Rauschbrandbazillen  mit  den 
langsam  wachsenden  Tuberkelbazillen  und  Strahlenpilzen  zusammen 
sich  an  der  Oberfläche  der  Bouillon  zu  entwickeln.  Kedrowsky 
wies  ferner  nach,  daß  vorsichtig  —  durch  Chloroform  —  abgetötete 
Aeroben-Leiber  eine  ähnliche  Wirkung  auf  die  Anaeroben  ausüben 
wie  lebende  und  schloß  daraus  auf  das  Vorhandensein  eines  die  Anae- 
roben begünstigtenden  Ferments.  Die  Versuche  von  S  c  h  o  1 1  z  und 
von  V.   Oettingen')  zeigten  aber,  daß,  wenn  ein  solches  etwa  ge- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  20,  1895. 

2)  Ebenda  27,  1898. 

3)  Ebenda  43,   1903. 


Nährstoffe.  107 

bildet  wild,  es  jedenfalls  nicht  löslich  und  filtrierbar  ist.  Betrachten 
wir  die  lebenden  oder  toten  Leiber  der  aeroben  Bakterien  als  redu- 
zierende Fremdkörper  (§  161),  so  haben  wir  wohl  eine  genügende  Er- 
klärung. 

In  dem  Falle  von  Bienstock^),  der  Anaeroben  in  einer  durch 
Kochen  abgetöteten  Kultur  des  Pyocyaneus  zum  Wachstum  kommen 
sah,  spielt  wahrscheinlich  außerdem  noch  das  Fibrin  eine  Rolle,  das  der 
Kultur  als  Nährstoff  zugesetzt  worden  war. 

Schwieriger  zu  deuten  sind  die  Beobachtungen  R.  Müllers  an 
dem  früher  (S.  101)  erwähnten  Bazillus  der  Geflügeldiphtherie.  Er 
fand  nämlich,  daß  dieser  auch  aerob  (auf  Platten)  wuchs,  wenn  ihm 
Blut,  Serum,  Milch  oder  rote  Blutkörper  als  Nahrung  geboten  wurden. 
Man  könnte  daran  denken,  daß  hier  die  Verbesserung  des  Nährbodens 
das  Hemmnis  überwinden  hülfe,  das  durch  den  Sauerstoffzutritt  ge- 
schaffen würde,  wenn  nicht  das  Verhalten  der  Reagenzglas- Schüttel- 
Kulturen  in  Serumagar,  bei  dem  ja  das  aerobe  Wachstum  ausbleiben 
soll,  dagegen  spräche.  Bemerkenswert  ist  auch  in  Hinblick  auf  die 
negativen  Erfolge  S  c  h  o  1 1  z  '  und  Oettingens  die  Angabe, 
daß  das  keimfreie  Filtrat  einer  Sarcine  das  (redeihen  des  Bazillus 
ebenso  befördere  wie  clie  lebende  Sarcine. 

Auf  die  bessere  Ernährung  ist  wohl  zurückzuführen,  daß  nach 
Omeliansky^)  das  Bac.   formicicum  ameisensaure   Salze  unter 
streng  anaeroben  Bedingungen  nur  dann  vergärt,  wenn  sie  ihm  in 
Bouillon,  nicht  wenn  sie  in  mineralischer  Lösung  zur  Verfügung  stehen, 
während  die  Gärung  auch  in  letzterer  Lösung  bei  Sauerstoffzutritt 
erfolgt.  Die  Begünstigung,  die  das  anaerobe  Wachstum  vieler  Bakterien 
durch  Zucker  erfährt,  beruht  wahrscheinlich  auch  nicht  blos  auf  dessen 
reduzierenden  Fähigkeit,  sondern  auf  seiner  Eigenschaft  als  guter  Nähr- 
stoff und   geeigneter    Gegenstand   für   das    Gärver- 
mögen   der    Bakterien.     Früher  hat  man  die  Begünstigung 
des  anaeroben  Wachstums  durch  vergärbare  Stoffe  so  aufgefaßt,  daß 
diese  den  Sauerstoff  liefern  sollten  für  die  Atmung,  die  sonst  mit  Hilfe 
des  atmosphärischen  Sauerstoffs  erfolgte.   Zugunsten  der  energetischen 
Auffassung  hat  man  diesen  Gedanken  jetzt  wohl  allgemein  fallen  lassen 
und  hält  ihn  nur  bei  denjenigen  „Gärungen''  noch  aufrecht,  die  Sal- 
petersäure (§  198)  und  Schwefelsäure  (§  212)  betreffen.    Diese  sauer- 
stoffreichen Körper  sind  allerdings  nachweislich  imstande,  den  zur  Oxy- 
dation der  Nährstoffe  (z.  B.  Zucker)  nötigen  Sauerstoff  abzugeben  und 
somit  den  Sauerstoff  der  Luft  vollständig  zu  ersetzen,  d.  h.  das  anaerobe 


1)  Annal.  Pasteur  1903,  12. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  11.  177,  1903. 


108  Kap.  m,  $  32. 

Dasein  zu  ermöglichen.  Merkwürdigerweise  haben  aber  einige  dieser 
Organismen  sich  so  vollständig  an  diese  mittelbare  Art  der 
Oxydation  angepaßt,  daß  sie  geradezu  unfähig  geworden  sind,  sich 
freien  Sauerstoffs  zu  bedienen,  also  in  diesem  Sinne  zu  strengen  Anae- 
roben geworden  sind.  Auf  die  näheren  Verhältnisse  der  Ausnutzung 
des  an  Salpeter-,  salpetrige  imd  Schwefelsäure  gebundenen  Sauerstoffes 
gehen  wir  später  ein.  Andere  Peroxyde,  wie  z.  B.  Wasserstoffsuperoxyd, 
werden  anscheinend  nicht  dem  Stoffwechsel  dienstbar  gemacht,  sondern 
nur  unter  Entbindung  von  Sauerstoff  zersetzt  {§  160). 

Über  die  durch  die  Anaerobiose  und  Gärung  bei  manchen  Mi- 
kroben gesetzten  Gestaltsveränderungen  s.  Buttersäuregärung  §  113  ff. 
und  §  130. 

§  32.  Der  Stickstof f bedarf  ^).  Daß  Mikroorganismen  ohne 
Stickstoff  gedeihen  können,  ist  bisher  nur  von  F  e  r  m  i  ^)  behauptet 
worden.  Es  soll  Schimmel-  und  Hefepilze  geben,  die  auf  N-freien  Nähr- 
böden leben  und  selbst  N-frei  bleiben !  Im  allgemeinen  nimmt  man  an, 
daß  organische  Substanzen  nicht  ohne  Eiweiß,  und  Eiweiß  nicht  ohne 
Stickstoff  denkbar  ist.  Der  Stickstoff  kann  freilich  gerade  bei  den  Mikro- 
organismen in  sehr  verschiedener  Form  und  Menge  geliefert  werden, 
a.  Höchst  verwickelt  gebaute  Stickstoffverbindungen,  also  Pro- 
teinstoffe, verlangen  bekanntlich  —  mit  vorläufig  noch  zweifelhaften 
Ausnahmen  —  die  Tiere  zur  Nahrung.  Es  gibt  auch  unter  den  kleinsten 
Lebewesen,  besonders  unter  den  parasitischen,  solche,  die  ebenfalls 
darauf  angewiesen  sind.  So  wachsen  Influenzabazillen  am  besten  auf 
Hämoglobin  und  sonst  allenfalls  noch  auf  Sperma,  Blutserum,  Bak- 
terienleibern, Gono-  imd  Meningokokken  auf  Menschenblutserum  und 
nur  kümmerlich  auf  anderen  Serumarten  oder  Albumosen,  ebenso 
Schanker-,  Keuchhustenbazillen  und  Trypanosomen  nur  auf  Blutnähr- 
böden, die  Spirillen  des  Rückfallfiebers  anscheinend  nur  in  lebendem 
Blut,  andere  strenge  („obligate")  Parasiten  nur  in  diesem  oder  jenem 
lebenden  Organ  bestimmter  Tiere.  Allerdings  dürfen  wir  uns  nicht 
allzu  bestimmt  darüber  äußern,  ob  ein  Mikroorganismus  zu  dieser 
Gruppe  gehört,  weil  wir  vor  Überraschungen  nicht  sicher  sind.  Noch 
ist  es  nicht  gar  so  lange  her,  daß  man  gelernt  hat,  die  Tuberkelbazillen, 
die  früher  als  Tjrpus  der  anspruchsvollen  Bakterien  erschienen,  auf 
Nährböden  zu  züchten,  die  eiweißfrei  sind,  ja,  den  Stickstoff  nur  in 
Form  von  Ammoniaksalzen  (Proskauer  und  B  e  c  k)  zu  enthalten 
brauchen.    Außerdem  sind  die  Ursachen  der  Vorliebe  der  Parasiten  auf 


1)  Litt.  s.  o.    §  29    und    bei  Beneoke    in   Lafars   Handb.    1, 
383,  1905. 

2)  Zentralbl.  Bakt.  2.  Abt.,  2.  650. 


Nährstoffe.  109 

bestimmte  Organe  und  Organstoffe  noch  keineswegs  durchsichtig. 
Sie  brauchten  gar  nicht  in  der  für  die  Assimilation  besonders  geeigneten 
Beschaffenheit  gewisser  spezifischer  Eiweißstoffe  zu  liegen,  sondern 
könnten  beruhen  in  dem  Fehlen  wachstumshemmender  oder  umgekehrt 
in  dem  Vorhandensein  wachstumsbefördemder  Stoffe,  also  von  Gift- 
oder Reizstoffen  unbekannten  Baus.  Auf  deren  Bedeutung  für  die  Er- 
nährung in  verwickelt  zusammengesetzten  Nährböden  und  besonders 
für  das  parasitische  Dasein  kommen  wir  später  zurück  (§  55). 

b.  Der  Ejreis  derjenigen  Mikroorganismen^),  die  zwar  auch  von 
weniger  verwickelten  Stickstoffverbindungen,  Aminosäuren,  Säure- 
amiden,  Ammoniaksalzen  der  organischen  Säuren,  Nitraten  usw.  leben, 
aber  ebenso  gut  oder  auch  besser  auf  Eiweißstoffen,  insbesondere  den 
leicht  diffusiblen  Albumosen  und  Peptonen  gedeihen,  ist  ein  sehr  weiter. 
Er  umfaßt  wohl  die  große  Mehrzahl  sämtlicher  Bakterien  imd  Pilze, 
einschließlich  der  Hefepilze. 

Manche  Mikroorganismen  assimilieren  umgekehrt  den  Stickstoff 
besser  aus  einfachen  Verbindungen,  als  aus  Peptonen  und  echten  Eiweiß- 
körpem  oder  lassen  diese  letzteren  überhaupt  unberührt.  So  kann 
nach  Beijerinck  der  Saccharomyces  Mycoderma  und  nach 
W  e  h  m  e  r  der  Aspergillus  niger  mit  Anmionsalzen  (und  mit  Harnstoff) 
besser  ernährt  werden  als  mit  Amiden  oder  Peptonen.  Bemerkenswert 
ist  aber,  daß  die  meisten  dieser  Gruppe  angehörigen  Mikroorganismen, 
wenn  sie  auch  eine  gewisse  Vorliebe  für  diese  oder  jene  Substanz  haben, 
doch  imstande  sind,  ihren  Stickstoffbedarf  aus  den  einfachsten  wie  den 
verwickeltsten  Verbindungen  zu  entnehmen.    Die  einfachsten  sind  die 


1)  Man  kann  die  Angehörigen  dieser  Gruppe  mit  A.  Fischer  (Vor- 
lesungen über  Bakterien)  den  luiter.a  genannten  imd  den  unter  c  zu  er- 
wähnenden „monotrophen"  als  „polytrophe**  gegenüberstellen.  Die  Para- 
siten bezeichnet  Fischer  als  „paratrophe",  die  Stickstoff  (oder  andere 
Elemente)  assimilierenden  als  »»prototrophe",  die  auf  Verbindungen  ange- 
wiesenen als  „metatrophe".  Die  letzteren  zerfielen  dann  wieder,  je  nach- 
dem sie  sich  von  anorgeinischen  oder  orgcuiischen  Verbindungen  nähren, 
in  „autotrophe"  und  „heterotrophe"  (Pfeffer).  Ebenso  könnte  man  mit 
Beijerinck  u.  a.  Ammon-,  Amid-,  Popton-,  Eiweißmikroben  unter- 
scheiden, und  je  nachdem  die  Ernährung  auf  eine  Art  von  Stoffen  beschränkt 
ist  oder  nicht,  von  obligaten  oder  fakultativen  Amnion-  usw.  Mikroben 
^j>rechen.  Außer  den  unter  a  und  c  genannten  ist  aber  eine,  solche  Be- 
Nchrankung  kaum  sicher  nachgewiesen,  sondern  es  handelt  sich  immer  um 
eine  mehr  oder  weniger  große  Vorliebe  für  die  eine  oder  andere  Art.  Viel- 
fach ist  die  Vorliebe  bei  den  einzelnen  Stänunen  einer  und  derselben  Art 
ungleich  entwickelt.  So  konnte  Kirstein  (Zeitschr.  f.  Hyg.  46.  254) 
T^phosbaziUen  nur  zum  Teil  in  Asparaginagar  züchten.  Die  Möglichkeit 
^n  Anpassung  an  ungünstige  Nährböden  ist  durch  zahlreiche  Erfahrungen 
bewiesen  (Kap.  XVIII). 


110  Kap.  m.   §  32. 

AmmoniakBalze  der  anorganischen  Säuren  und  die  Nitrate.  Beide 
Arten  von  Salzen  genügen  den  Schimmelpilzen  (N  ä  g  e  1  i)  und  Bak- 
terien (Maassen,  Bierema),  die  Ammoniaksalze  sagen  den 
Hefepilzen  ^)  viel  besser  zu  als  die  Nitrate,  wenn  auch  diese  nicht  ganz 
unbrauchbar  sind  (Laurent).  Die  Verwendung  der  letzteren  im 
Stoffwechsel  ist  allerdings  eine  wechselnde,  wir  werden  darüber  in  einem 
besonderen  Abschnitt  }iandeln  (§  197  ff). 

Nitrite  wirken  als  Oifte  in  saurer  Lösung,  werden  aber  in  alka- 
lischer Losung  meist  assimiliert  (Nägeli,  Maassen,  Laurent). 

Von  den  Ammoniaksalzen  konmien  in  erster  Linie  in  Betracht  die 
der  anorganischen  Säuren.  Ihre  Eignung  ist  je  nach  der  Art  des  Mikro- 
organismus verschieden.  So  kann  z.  B.  der  Tuberkelbazillus  nach 
Proskauer  und  Beck  das  salzsaure  oder  kohlensaure  Ammon 
außer  dem  Schwefel-  und  salpetersauren  verwenden,  der  Aspergillus 
niger  nach  Czapek  nur  die  beiden  letzteren.  Ähnlich  wider- 
sprechende Befunde  wurden  übrigens  für  eine 
große  Anzahl  anderer  Stickstoff-  und  kohlen- 
stoffhaltiger Verbindungen  gemacht;  offenbar 
ist  es  nicht  angängig,  die  Ergebnisse,  die  bei 
der  Ernährung  eines  Mikroorganismus  erhalten 
werden,  auf  andere  Arten  zu  übertragen.  Unter 
dieser  Einschränkung  müssen  daher  die  Resultate  der  sehr  ausgedehnten 
Untersuchungen  Czapeks*)  über  die  Stickstoffemährung  des 
Aspergillus  niger,  über  die  wir  unter  Übergebung  einiger  älterer  Arbeiten 
hier  in  Kürze  berichten,  betrachtet  werden.  Es  fand  sich,  daß  die 
Ammonsalze  der  Essigsäurereihe  gänzlich  ungeeignet,  die  der 
Milchsäure-  und  Oxalsäurereihe  dagegen  ebenso  wie  die  der  weiter 
hydroxylierten  Säuren  (Apfel-,  Wein-,  Zitronensäure)  vorzüglich 
geeignet  waren.  Von  den  Säureamiden  gestattete  Formamid 
kein  Wachstum  (wohl  bei  Bakterien,  B  i  e  r  e  m  a),  Acetamid  erwies 
sich  als  sehr  brauchbar,  Propionamid  schon  weniger  und  Butylamid 
gar  nicht.  Die  Amide  der  Milch-  und  Bemsteinsäure  sind  wieder  gute 
Nährstoffe,  ganz  besonders  das  Amid  der  Aminobernsteinsäure  (Aspa- 
ragin).  Schlechte  Stickstoff  quellen  sind  samt  und  sonders  die  Säure- 
n  i  t  r  i  1  e    von  der   Blausäure   an   (vgl.   Nägeli),   desgleichen  die 


1 )  Nach  Pringsheim  soll  die  Hefe  außer  Ammoniak  nur 
solche  N- Verbindungen  brauchen,  die,  wie  Fischers  Peptide,  die 
Gruppe— CO— NH—CH  =  enthalten. 

2)  Eine  willkommene  Ergänzung  dazu  bieten  namentlich  die  An- 
reicherungsversuche Bieremas,  die  sich  auf  Pilze  und  Bakterien 
erstrecken. 


"Nährstoffe.  1 1 1 

Cyanverbindungen^)  mit  Ausnahme  des  Bhodannatriums. 
Als  durchgängig  sehr  gute  Nährstoffe  kennt  man  seit  langem  die 
A  m  i  n  o  s  äu  r  e  n  ').  Auch  deren  Substitutionsprodukte  Methyl- 
gljkokoll  ((Sarkosin),  Trimethylglykokoll  (Betain),  Benzoylglykokoll 
(Hippursäure),  Oxyphenylalanin  (Tyrosin)')  und  selbst  die  Aminoäthyl- 
sulfosaiire  (Taurin)  werden  von  dem  Aspergillus  und  manchen  Bakterien 
(6  i  e  r  e  m  a)  mehr  oder  weniger  vollständig  ausgenutzt,  während  sie 
meist  nngeeeignet  sind  für  den  Tuberkelbazillus.  Gute  Stickstoff- 
nahrung bieten  sowohl  primäre  als  sekundäre  oder  tertiäre  Amine, 
doch  zeigen,  wie  auch  sonst  so  häufig,  isomere  Verbindungen  beträcht- 
liche Unterschiede.  Ganz  vorzüglich  wirken  namentlich  Glukosamin 
und  Cholin.  Das  Verhalten  der  Endprodukte  des  tierischen  Stoffwechsels, 
des  Harnstoffs  usw.  ist  besonders  interessant.  Für  Aspergillus 
niger  ist  der  Harnstoff  eine  leidliche  Stickstoff  quelle,  weniger  für  Bier- 
hefe (M  a  y  e  r')),  eine  gute  aber  wieder  für  Eahmhefe  und  viele  Bak- 
terien, keine  ausreichende  für  Tuberkelbazillen.  Die  Abkömmlinge  des 
Harnstoffs  verhalten  sich  verschieden,  der  Methylhamstoff  wird  vom 
Aspe^Uus  schlecht,  der  asymmetrische  Dimethylhamstoff  gut  as- 
miliert,  ebenso  Biuret,  ferner  auch  Harnsäure,  Alloxan,  Alloxantin, 
Parabansäure,  Allantoin,  Hydantoin,  Guanidin,  schlecht  dagegen 
Kreatin  und  Koffein.  Für  die  Tuberkelbazillen  eignet  sich  von  diesen 
Substanzen  nur  Biuret.  Harnsäure  und  Hippursäure  wird  auch  von 
Bakterien  ausgenutzt  (Salzmann,  Bierema,)  ebenso  Kreatin 
(Vandervelde  *)),  Kreatinin  (B  r  i  e  g  e  r  ^)),  anscheinend  sehr 
schlecht  Koffein  und  gar  nicht  Theobromin  (B  e  i  n  k  e). 

Von  den  aromatischen  Körpern  wurden  schon  einige 
Verbindungen  mit  Fettsäuren  als  gute  Stickstoffquellen  bezeichnet, 
dasselbe  läßt  sich  sagen  von  den  Ammoniaksalzen  der  Salicylsäure, 
Gallussäure,  Zimmtsäure,  Chinasäure,  auch  noch  von  der  m-  imd  p- 
Ozybenzoesäure  und  Phthalsäure.    Das  hydrozimmtsaure  Ammon  ist 


1)  Auch  die  Zersetzung  des  Kalkstickstof fs  erfolgt  zunächst  wesentlich 
ohne  Hilfe  von  Bakterien.  Erst  wenn  sich  durch  chemisch-physikalische 
Einflüsse  aus  den  Cyanverbindungen  Harnstoff  gebildet  hat,  greifen  Harn- 
Btoffbakterien  ein  (}  194). 

2)  Tjrrosin  soll  nach  Emmerling  nur  durch  Verunreinigungen 
nähren.  Bei  ihm  und  bei  Low  (Hofmeisters  Beitr.  4)  noch  andere  An- 
gaben über  Aminosäuren  und  Kritik  der  Czapek  sehen  Bemerkungen 
über  die  Bedeutung  der  Konstitution  für  die  Nährfähigkeit.  G  a  l  i  m  a  r  d, 
L  a  c  o  m  m  e  und  Morel  (Öompt.  rend.  ac.  sc.  143.  349,  1906)  finden 
für  Bakterien  (Pyocyaneus)  alle  Amino-  und  Diaminosävu'en  geeignet. 

3)  Gärungschemie  S.  134. 

4)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  8. 

5)  Ibidem  9. 


112  Kap.  III,   §  32. 

dagegen  fast,  das  benzoesaure  völlig  unbrauchbar.  Die  o-,  p-  und  m- 
Aminophenole  zeigen  ganz  verschiedene  Nährkraft,  Anilin  und  Dirne- 
thylanilin  sind  mäßig  geeignet,  Methylanilin  gar  nicht.  Die  Nitro- 
verbindungen, Pikrin-  und  Nitrobenzoesäure  sind  Gifte.  Die 
für  Tiere  so  giftigen  Alkaloide  z.  B.  Nikotin,  sind  dagegen  für 
Bakterien  und  Pilze  Nährstoffe. 

Nukleinsäure  eignet  sich  nach  Iwanow  für  Pilze  ebenso 
zur  Entnahme  des  Stickstoffe  wie  des  Phosphors  (§30).  Jedoch  muß 
auffallenderweise  Kohlenstoff  noch  in  anderer  Form  zugeführt  werden, 
während  das  bei  den  Bakterien  nicht  nötig  zu  sein  scheint.  Nur  be- 
stimmte Bakterien,  wie  der  Bac.  chitinovorus  —  und  wohl  auch  einige 
Hautschmarotzer  unter  den  Pilzen  —  vermögen  das  Chitin  und 
Keratin  auszunutzen  (Benecke^)). 

Von  anderen  schwer  zersetzlichen  Körpern  seien  noch  die  Humus- 
Stoffe  genannt,  die  in  der  Natur  ja  sehr  verbreitet  sind  und  regel- 
mäßig eine  geringe  Menge  Stickstoff  enthalten.  Wie  Reinitzer^) 
und  Nikitinsky^)  an  rein  dargestellten  Humusstoffen  festgelegt 
haben,  kann  dieser  von  Pilzen  und  Bakterien  assimiliert  werden,  doch 
ist  es  noch  nicht  ganz  sicher  ausgemacht,  ob  nur  der  Ammon-  oder  auch 
der  Amidstickstoff  der  Humussäure  au^enommen  wird. 

c.  Eine  besondere  Stellung  unter  den  Mikroorganismen  nehmen  die 
Salpeterbakterien  oder  Mikroorganismen  der  Nitrifi- 
kation ein,  die  ihren  Stickstoff  ausschließlich  der  salpetrigen  Säure 
oder  dem  Ammoniak  entnehmen  und,  wie  wir  gleich  sehen  werden 
(§  33),  als  Kohlenstoff  quelle  nur  die  Kohlensäure  selbst  brauchen 
können,  insofern  also  den  chlorophyllführenden  Pflanzen  verwandt 
sind.  Sie  sind  aber  in  ihrer  Ernährung  weit  mehr  beschränkt,  als  letztere, 
weil  es  gelingt,  die  Pflanzen  auch  mit  verwickelt  gebauten  Stickstoff- 
verbindungen zu  erhalten,  und  verdienen  also  ganz  besonders  den 
Namen  von  „monotrophen"  Organismen. 

d.  Fast  noch  erstaunlicher  war  die  Entdeckung,  daß  es  Mikro- 
organismen gibt,  die  freien  Stickstoff  assimilieren  können. 
An  die  Möglichkeit  einer  nutzbringenden  Verwertung  derselben  durch 
Pflanzen  hatte  man  zwar  schon  früher  gedacht,  aber  erst  ein  praktischer 
Landwirt,  Schultz-Lupitz,  hat  1881  den  Anstoß  zu  einer  er- 
neuten wissenschaftlichen  Bearbeitung  der  Frage  gegeben,  indem  er 
auf  die  Anreicherung  des  Stickstoffs  im  Boden  durch  die  Anpflanzung 
von  Leguminosen  hinwies.    Den  Grund  dafür  fand  Hellriegel  in 


1)  Botan.  Zeit.   1906. 

2)  Botanische  Zeitg.   1900. 

3)  Jahrb.  wiss.  Bot.  37,  1902. 


Nährstoffe.  113 

der  Assimilatioii  des  freien  Luftstickstoffes  durch  die  sogenannten 
Bakteroiden,  die  sich  in  den  Wurzelknöllchen  der  Pflanzen  finden. 
Der  weitere  Gang  der  Dinge  (§  201))  hat  diesem  Forscher  vollständig 
Recht  gegeben.  Es  gelingt  ohne  Mühe,  den  Bac.  radicicola  (B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k)  zu  isolieren,  durch  Impfung  sterilisierter  Erde  mit  seinen  Rein- 
kulturen die  Entwicklung  der  Wurzelknöllchen  mit  den  charakte- 
listischen  Bakteroiden  hervorzurufen  und  durch  sie  das  Wachstum  der 
Legnminosenpflanzung  auf  stickstof&eiem  Boden  zu  ermöglichen.  Nicht 
ganz  sicher  ist  es,  ob  es  auch  unter  den  Schwefel-  und  Wasserstoff- 
bakterien, die  wie  dieNitrobakteiien  die  Fähigkeit  besitzen,  Kohlensäure 
zu  assimilieren  (§  33),  solche  gibt,  die  ausschließlich  auf  anorganische 
Stickstoffverbindungen  angewiesen  sind.  Es  scheint  nur  festgestellt, 
daß  ihr  Stickstoffbedarf  aus  Ammoniak  und  Nitraten  gedeckt  werden 
kann. 

Außer  den  Bakterien  der  Wurzelknöllchen  imd  den  ihnen  vielleicht 
an  die  Seite  zu  stellenden  Wurzelpilzen  (Mykorrhizen  §  202) 
gibt  es  im  Erdboden  auch  noch  andere,  die  zur  Assimilation  des  freien 
Stickstoffs  fähig  sind.  Dahin  gehört  vor  allem  Clostridium 
Pastorianum  Winogradky  und  Azotobacter  Chro- 
ococcum  Beijerinck,  die  sogar  in  völlig  N-freien  Nährböden 
gezüchtet  werden  können  und  teilweise  recht  bedeutende  Stickstoff- 
mengen der  Luft  entnehmen.  Wahrscheinlich  ist  übrigens  die  Fähigkeit 
Stickstoff  zu  assimilieren,  noch  viel  weiter  verbreitet  unter  den  Klein- 
wesen (§  203)  und  kommt  auch  höheren  Wesen  zu.  Auf  die  näheren 
Bedingungen  der  Stickstoffassimilation  kommen  wir  später  zurück. 

e.  Nicht  nur  qualitativ,  sondern  auch  quantitativ  ist  der  Stick- 
stoffbedarf der  einzelnen  Mikroben  sehr  verschieden.  Manche  wachsen 
schon  in  ganz  verdünnter  Nährlösung  und  werden  durch  stärkere  Kon- 
zentration geradezu  geschädigt.  Wir  kommen  bei  der  Besprechung 
des  Einflusses  der  Dichtigkeit  der  Nährstoffe  darauf  zurück  (§  40), 
machen  aber  der  methodischen  Wichtigkeit  wegen  hier  schon  darauf 
aufmerksam. 

Überraschend  wenig  Stickstoff  scheinen  zu  ihrer  Ernährung  Bak- 
terien zu  bedürfen,  die  Beijerinck  und  van.  Delden^)  unter 
dem  Namen  des  Bac.  oligocarbophilus  beschreiben.  Sie  brauchen  außer 
Kalium-,  Magnesiumsalzen  imd  Phosphorsäure  nur  kleinste  Mengen 
von  Nitraten,  Nitriten  und  Ammoniaksalzen  und  gedeihen  sogar  im 
Notfall,  wenn  ihnen  nur  Spuren  von  Stickstoff  durch  die  organischen 
Verunreinigungen  der  Luft  zugeführt  werden  (S.  122), 
bilden  aber  doch  —  ungleich  den  Wasserbakterien,  die  zwar  auch  in 


1)  Zentrbl.  Bakt.  II.  Abt.,  10.  2,  1903. 
Krose,  Mikrobiologie.  8 


114  Kap.  III,   §  33. 

reinem  Wasser  wachsen,  aber  erst  durch  die  Flattenkulturen  nach- 
weisbar werden,  dem  bloßen  Auge  sichtbare  Häute  auf  der  Lösung. 

Auch  6  e  r  1  a  c  h  und  V  o  g  e  P)  sprechen  von  Schimmelpilzen, 
die  gewöhnlich  mit  dem  Azotobacter  chroococcum  (s.  o.)  zusammen, 
aber  auch  selbständig  leben  und  mit  den  geringsten  Spuren  von  Stick- 
stoff auskommen.  Sie  sollen  in  ihrer  Trockensubstanz  weniger  als  1%N 
enthalten.  Auch  nicht  viel  mehr  Stickstoff  braucht  das  Bacterium 
xylinum  (§  23).  Durch  solche  Vorkommnisse  mag  sich  allenfalls  die 
Behauptung  F  e  r  m  i  s  ,  mit  der  wir  §  32  eröffnet  haben,  recht- 
fertigen lassen. 

§  33.  Der  Kohlenstoff  bedarf  ^),  Der  Kohlenstoff  macht  den 
größten  Teil  der  organischen  Substanz  aus,  daher  können  wir  auch  er- 
warten, daß  der  Kohlenstoffbedarf  am  größten  ist.  Das  ist  in  der  Tat 
der  Fall.  Die  Art  und  Weise,  wie  er  befriedigt  wird,  ist  sehr  verschieden. 

a.  Ob  es  Mikroorganismen  gibt,  die  für'ihre  Kohlenstoffemährung 
ausschließlich  auf  die  verwickeltsten  Verbindungen,  die  Protein- 
k  ö  r  p  e  r  angewiesen  sind,  also  nicht  imstande  sind,  z.  B.  Kohlenhy- 
drate zu  verwenden,  ist  nicht  bekannt.  Wahrscheinlich  ist  es  nicht, 
wenn  wir  an  die  Verhältnisse  bei  den  anspruchsvollsten  Organismen, 
den  höheren  Tieren,  denken.  Es  scheint  aber,  wie  wir  schon  bei  Gelegen- 
heit der  Stickstoffnahiung  (§  32a)  gesehen  haben,  Mikroben  zu  geben, 
die  ohne  Eiweißstoffe  einschl.  der  Peptone  und  Albumosen)  keinesfalls 
auskommen,  und  die  im  Notfall  jede  andere  Kohlenstoffverbindung 
entbehren  können.  Wir  sagen  im  Notfall,  denn  viele  Erfahrungen 
weisen  darauf  hin,  daß  eine  Zugabe,  sei  es  nun  von  Kohlen- 
hydraten oder  Glyzerin  u.  a.  m.  zu  den  Eiweiß- 
stoffen das  Wachstum  verbessert.  In  den  natürlichen 
Nährböden  fehlen  solche  Stoffe  ja  ohnehin  so  gut  wie  niemals. 

b.  Gehen  wir  zu  dem  weit  größeren  Kreise  von  Mikroorganismen 
über,  die  auch  ohne  Eiweiß  leben  können,  so  hätten  wir  für  jede 
Spezies  eine  Stufenleiter  der  Stoffe  zu  bilden,  je  nach  ihrer  Eignung 
zur  Kohlenstoffernährung.  Auch  hier  stehen  zwar  für  viele  wieder  die 
Eiweißstoffe,  insbesondere  die  leicht  diffusiblen  Peptone  bzw. 
Albumosen,  obenan.  Sie  können  im  allgemeinen  sowohl  als  Stickstoff- 
wie  als  Kohlenstoff  quelle  dienen;  doch  soll  es  Bakterien  (z.  B.  Bac. 
Stutzeri  imd  Hartlebi  nach  Salzmann)  geben,  die  Pepton  („aus 
Eiweiß"  von  Merck)  zwar  als  Stickstoff-,  aber  nicht  zugleich  als 
Kohlenstoffnahrung  benutzen  können.  Möglich  ist  es  freilich,  daß  das 
nur  an  dem  Peptonpräparat  gelegen  hat,  denn  auffällig  bleibt  es  doch. 


1)  Ebenda  10.  20/22. 

2)  Lit.    §  29  und  bei    Be  necke    a.  a.  O.  (§  32). 


Nährstoffe.  115 

daB  schon  eine  so  schlechte  Eohlenstoffquelle,  wie  Harnstoff  es  ist, 
(8.  u.)  nach  S  a  1  z  m  a  n  n  als  Zugabe  zu  dem  Pepton  genügte,  um  das 
Wachstum  zii  gestatten. 

Den  Eiweißstoffen  stehen  am  nächsten  die    Zuckerarten. 
Sie  sind  sogar  für  nicht  wenige  Mikroorganismen  bei  Vorhandensein  einer 
anderen  guten  Stickstoff  quelle  dem  Pepton  gleichwertig  oder  überlegen. 
In  erster  Linie  sind  es  die   Hexosen,   und  unter  ihnen  wieder  der 
Traubenzucker,  die  den  meisten  Ansprüchen  genügen;  ihnen  schließen 
sich  unmittelbar  die  Disaccharide,  Maltose  und  Saccharose,  an.     Am 
wenigsten  geeignet  von  allen  Zuckern  erweist  sich  der  Milchzuck  er. 
Die  Pentosen  und  Tetrosen  stehen  den  Hexosen  im  allgemeinen  weit 
nach.    Worauf  die  eigentümlichen  Unterschiede  der  Nährfähigkeit  so 
nahe  verwandter  imd  häufig  isomerer  Stoffe  beruhen,  werden  wir  bei 
Gelegenheit  der  Zuckerzersetzungen  (Kap.  VI)  ausführlich  zu  erörtern 
haben.     Sehr  nahe  kommen  den  Zuckern  in  ihrer  Nährfähigkeit  die 
sechswertigen  Alkohole,  die  sich  nur  durch  ein  Mehr  von  2  Wasser- 
stoffatomen unterscheiden,  insbesondere   M  a  n  n  i  t ,   ferner  die  zuge- 
hörigen   Säuren    (Schleimsäure,    Zuckersäure),    auch   der   dreiwertige 
Alkohol,  das    Glyzerin.    Dieser  letztere  Stoff  übertrifft  sogar  alle 
übrigen  weit  bei  der  Ernährung  des  Tuberkelbazillus,  so  daß  wir  ihn 
auf  den   künstlichen  Nährböden   kaum   entbehren   können   (P  r  o  s  - 
k a u e r   und    Beck).     Gute  Euohlenstoff quellen  sind  auch  noch  die 
Aminosäuren,  nach  N  ä  g  e  1  i  für  Pilze  insbesondere  das  Leucin,  nach 
Czapek  das  Alanin,  nach  Uschinsky^),  C.  Fränkel^)u.  a. 
für  Bakterien  das  Amid  der  Asparaginsäure,  das  Asparagin.     E  m  - 
m  e  r  1  i  n  g  konnte  nachweisen,  daß  die  verschiedenenSchim- 
melpilze   eine   spezifische   Vorliebe   für   die   ein- 
zelnen Aminosäuren  haben,  die  jeder  Regel  spottet.   Manche 
waren  überhaupt  nicht  imstande,   gleichzeitig  als  Kohlenstoff-   und 
Stickstoffnahrung  zu  dienen.  Vielleicht  hätte  aber,  wie  wir  es  oben  beim 
Pepton  gesehen  haben,  schon  die  Zugabe  einer  schlechten  Kohlenstoff- 
quelle genügt,  um  ihre  Assimilation  zu  ermöglichen.    Andere  Beispiele 
für  eine  spezifische  Auswahl  von  Nährstoffen,  insbesondere  von  orga- 
nischen Säuren  und  Zuckerarten,  werden  wir  übrigens  später  kennen 
lernen  (§  58). 

Der  Regel  nach  brauchbar  sind  unter  den  organischen 
Säuren  die  Bernstein-,  Äpfel-,  Wein-,  Zitronensäure,  die  Oxybutter- 
saure  und  von  aromatischen  Säuren  die  China-,  Gallus-  und  Oxy- 
benzoesäure,    von  den  Aminen    namentlich  Propylamin,   weniger 


1)  Zentralbl.  Bakt.   14. 

2)  Hygien.  Rundschau  1894. 

8* 


116  Kap.  III,  §  33. 

Äthyl-,  am  wenigsten  Methylamin,  von  den  Säureamiden  das 
Lactamid  and  Acetamid.  Die  Essigsäure  und  d ie  Milch- 
säure sowie  der  Äthylalkohol  sind  schlechte  Nährstoffe  für 
die  meisten  Organismen,  für  die  Kahmhefe,  den  Milchschinmiel,  die 
Essigbakterien,  die  Eurotiopsis  Gayoni  (L  a  b  o  r  d  e)  ganz  vortreffliche. 

Ein  Vergleich  der  Nährkraft  verschiedener  Alkohole  und  Al- 
dehyde für  den  Aspergillus  niger  hat  Conpin^)  gezeigt,  daß 
nur  der  Äthylalkohol  ein  brauchbarer  Nährstoff  ist,  Methylalkohol 
und  Glykol  überhaupt  nicht  assimiliert  wird,  und  Amyl-  und  Allyl- 
alkohol  ebenso  wie  Methyl-,  Äthyl-  und  Benzaldehyd  giftig  wirken. 
Jedoch  finden  sich  nach  L  ö  w  ^)  auch  wieder  bestimmt«  Organismen 
(Bac.  methylicus),  die  nicht  nur  Methylalkohol,  sondern  auch 
Formaldehyd   imd   Ameisensäure   assimilieren. 

Höhere  Fettsäuren  und  ihre  Glyzeride,  die  Fette, 
werden  von  Bakterien  ziemlich  schlecht,  von  Schimmelpilzen  und  Hefen 
gut  assimiliert  (Rubner®),  Schreiber*),  Spieckermann 
und  B  r  e  m  e  r  ^)  u.  a.®) ;  R.  B.  S  c  h  m  i  d  t  ^)  konnte  zeigen,  daß  Asper- 
gillus niger  mit  Mandelöl  als  einziger  Kohlenstoff  quelle  ganz  vorzüglich 
gedieh,  und  W  e  h  m  e  r  hat  sogar  bei  der  Ernährung  dieses  Pilzes 
mit  Olivenöl  größere  Pilzemten  als  mit  jeder  anderen  Nahrung  erhalten. 

Die  den  Fetten  nahestehenden  Kohlenwasserstoffe  sind 
viel  weniger  zur  Lieferung  von  Kohlenstoff  geeignet,  doch  gelang  es 
R  a  h  n  ®),  einen  Schimmelpilz  zu  finden,  der  imstande  war,  sich  aus- 
schließlich von  Paraffin  und  Ammoniak  zu  ernähren.  Selbst  für 
die  gasförmigen  Kohlenwasserstoffe  scheint  ähnliches  zu  gelten,  mit 
Erfolg  untersucht  ist  freilich  bisher  nur  das  Sumpfgas.  Nach 
Söhngen®)  und  Kaserer^")  dient  es  als  alleinige  Kohlenstoff- 
quelle in  einer  mineralischen  Lösung  für  den  Bac.  methanicus.  Letzterer 
Forscher^^)  glaubt  auch,  daß  Kohlenoxyd  von  einem  anderen 
Bakterium,  das  er  mit  dem  Bac.  oligocarbophilus  Beijerincks 
(s.  u.  S.  122)  identifiziert,  ebenso  ausgenutzt,  imd  daß  das  Kohlen- 
oxyd durch  zwei  andere  Gase,  den  Wasserstoff  als  Kraftquelle  und 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  138.  389,  1904. 

2)  Zentrbl.  Bakt.  12,  1892. 

3)  Arch.  Hyg.  38. 

4)  Ebenda  41. 

5)  Landwirtsch.  Jahrb.   1902. 

6)  Weitere  Litt,  vergl.    §  137  u.  149. 

7)  Flora  91. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  16.   382,   1906. 

9)  Ebenda  15.  513,   1906. 

10)  Ebenda  15.  573. 

11)  Vgl.  auch  ebenda  16.  769. 


Nährstoffe.  117 

und  die  Kohlensäure  als  Kohlenstoff  quelle  ersetzt  werden  könne. 
Während  dieser  Mikrobe  als  autotroph  zu  bezeichnen  sei,  begnüge  sich 
eine  zweite  Art,  der  Bac.  pantotrophus  zwar  bei  Fehlen  anderer  Nahrung 
mit  Wasserstoff  und  Kohlensäure,  könne  sich  aber  auch  mit  Formal- 
dehyd  und  höheren  organischen  Verbindungen  ernähren.  Niklews- 
k  i  ^)  leugnet  die  Assimilation  des  Kohlenoxyds  und  die  Identität 
des  Bac.  oligocarbophilus  mit  dem  von  ihm  selbst  gefundenen,  weit 
verbleiteten  Wasserstoff  und  Kohlensaure  assimilierenden  Bakterium, 
hält  es  übrigens  auch  für  heterotroph,  ohne  es  aber  mit  dem  Bac. 
pantotrophus  zu  identifizieren.  Andererseits  haben  Nabokich  und 
Lebedeff^)  in  sorgfältigen  Versuchen  festgestellt,  daß  in  Eoiall- 
gasgemischen  Wasserstoff  und  Sauerstoff  gleichmäßig  (manch- 
mal bis  zur  Entstehung  eines  Vakuums)  verschwinden,  wie  es  der  Oxy- 
dation von  Wasser  entspricht,  bezeichnen  übrigens  wieder  die  Bakterien 
als  autotrophe.  Offenbar  sind  die  Verhandlungen  über  diese  merk- 
würdigen Wesen  noch  nicht  geschlossen.  So  hat  Nikitinsky^) 
die  Vermutung  Kaserers,  daß  es  auch  eine  Ausnutzung  des 
Wasserstoffis  durch  Bakterien  unter  anaeroben  Bedingungen  gebe, 
bestätigt  gefunden.  Vielleicht  wird  hier  der  zur  Oxydation  nötige 
Sauerstoff  durch  Sulfate  (§  212)  geliefert. 

Wenn  wir  viele  Stoffe  noch  nicht  genannt  haben,  so  folgt  daraus 
nicht,  daß  sie  keine  oder  schlechte  Kohlenstoffquellen  darstellen.  Die 
systematischen  Prüfungen  auf  Nährfähigkeit  haben  sich  ja  bisher  nur 
auf  verhältnismäßig  wenige  Arten  beschränkt,  und  doch  haben  sie 
schon  jetzt  gezeigt,  daß  Stoffe,  die  für  den  einen  Mi- 
kroben nicht  assimilierb  ar  sind,  es  für  denan- 
deren  ganz  gut  sein  können.  So  hielt  N ä g e  1  i  Harn- 
stoff, Ameisensäure  und  Oxalsäure,  Oxamid,  Äthylamin,  Trimethyl- 
amin  für  ungeeeignet  zur  Kohlenstoffemährung.  Von  den  Aminen 
wurde  oben  schon  gesprochen,  für  Ameisensäure  oder  vielmehr  deren 
Salze  ist  das  Gegenteil  bewiesen  durch  Diakonow^)  am  Peni- 
cillium  und  durch  Low  am  Bac.  methylicus  (s.  o.).  Auch  Oxalsäure 
kann  nach  Wehmer^)  Pilzen  und  Bakterien  als  ausschließliche 
Kohlenstoffnahnmg  dienen.  Harnstoff  soll  Pilzen  (D  i  a  k  o  n  o  w) 
und  einzelnen  Bakterien  (Bac.  Stutzeri  und  Hartlebi  Salzmann) 
den  nötigen  Kohlenstoff  bieten  können,  wenn  er  auch  gewöhnlich  nur 
als  Stickstoff  quelle  (§  32)  dient.   Jedenfalls  ernähren  die  dem  Harnstoff 


1)  Zentrlbl.  Bskt.  2.  Abt.,  20.  469,  1908. 

2)  Ebenda  17.  350. 

3)  Ebenda  19.  495. 

4)  Ber.  bot.   Gesellsch.   1887,  385. 
6)  Bot.  Zeitg.   1894,  324. 


118  Kap.  ni,  i  33. 

seinem  Bau  nach  verwandte  Parabansäure  und  Demethyloxamid  eben- 
falls Schimmelpilze  (Reinke).  Femer  haben  manche  Erfahrungen 
gelehrt,  daß  Stoffe,  die  als  alleinige  Eohlenstoff- 
quelle  für  die  Ernährung  nicht  verwendbar  sind, 
es  werden,  wenn  sie  mit  anderen  zusammen- 
wirken. Das  ist  ein  Vorteil  unserer  zusammengesetzten  Nährböden. 
So  sind  z.  B.  nach  Proskauer  imd  Beck  Traubenzucker,  Rohr- 
zucker, Malzzucker,  Raffinose  und  Milchzucker  allein  nicht  imstande, 
die  Tuberkelbazillen  zu  ernähren,  verbessern  aber  das  Wachstum  be- 
deutend, wenn  sie  mit  Glyzerin  zusammen  gegeben  werden.  Die 
Ameisensäure  und  andere  Säuren  werden  in  Peptonnährlösungen  von 
vielen  Bakterien  angegriffen,  die  sie  allein  nicht  verwerten  können 
(M  a  a  s  8  e  n).  So  vergärt  auch  das  Bact.  formicicum  0  m  e  1  i  a  n  s  - 
k  7  s  ameisensaures  Salz  nur  bei  Peptongegenwart  (§  140).  In  anderen 
Fällen  kann  von  Nährfähigkeit  keine  Rede  sein,  wenn  man  die  betreffen- 
den Stoffe  in  Konzentrationen  anwendet,  die  giftig  sind;  verdünnt 
man  sie  aber  genügend»  so  werden  sie  Nährstoffe, 
z.  B.  Karbolsäure  nach  N  ä  g  e  1  i.  Die  Reaktion  des  Nähr- 
bodens spielt  ebenfalls  häufig  eine  Rolle.  So 
sind  freie  Buttersäure  und  Baldriansäure  nach  Stutzer  giftig, 
werden  aber  in  Gestalt  von  Salzen  assimiliert.  Umgekehrt  hat  man 
Stoffe  als  assimilierbar  betrachtet,  die  selbst  unangreifbar,  die  aber 
gewöhnlich  mit  nährfähigen  Stoffen  venmreinigt  sind. 
Dazu  gehören  die  H  umus  s  t  of  f  e  nach  Reinitzer  und  Niki - 
t  i  n  8  k  y  (s.  o.  S.  112).  Doch  hat  der  letztere  Forscher  selbst  festgestellt, 
daß  die  Oxydation  dieser  Substanzen,  die  schon  ohne  Beteiligung  von 
Mikroorganismen  durch  den  Sauerstoff  der  Luft  erfolgt,  beschleunigt 
wird  durch  die  Anwesenheit  der  letzteren.  Eine,  wenn  auch  sehr  lang- 
same Assimilation  des  Kohlenstoffes  der  Humussäuren  könnte  wohl 
die  Ursache  sein.  Um  so  mehr  ist  das  wahrscheinlich,  als  die  Mikro- 
organismen ja  auch  imstande  sind,  den  Stickstoff  der  Humussub- 
stanzen zu  ihrer  Ernährung  zu  benutzen,  durch  dessen  Entziehung 
also  wohl  diese  Verbindungen  lockerer  und  angreifbarer  gemacht 
werden.  Klar  sind  die  Verhältnisse  freilich  noch  nicht.  Ob  die  An- 
greifbarkeit des  reinen  Kohlenstoffes  (in  Holzkohle,  Lam- 
penruß, Kohle  und  Torf),  die  P  o  1 1  e  r  ^)  beobachtet  hat,  zu  Recht 
besteht  oder  durch  Verunreinigungen  vorgetäuscht  wird,  muss  unent- 
schieden bleiben. 

Wenn  wir  die  Befriedigung  des  Stickstoff-  und  Kohlenstoffbedürf- 
nisses, die  sich  ja  nur  künstlich  trennen  lassen,  noch  einmal  im  Zu- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  21.  647,  1908. 


Nährstoffe.  119 

sammenliang  betrachten,  so  kann,  man  in  Anlehnung  an  N  ä  g  e  1  i 
und  Czapek  etwa  folgende  Stufenleiter  für  die  Nähr- 
fähigkeit der  organischen  Stoffe  aufstellen:  1.  Die 
günstigsten  Emährungsbedingungen  gewährt  die  Vereinigung  von  Ei- 
weiß (Pepton)  mit  Zucker,  2.  folgt  die  Mischung  von  Amino- 
säuren mit  Zucker,  3.  von  Ammonsalzen  der  übrigen 
organischefi  und  anorganischen  Säuren  oder  sal- 
petersauren Salzen  mit  Zucker.  4.  Eiweiß  oder 
Pepton  allein.  5.  Aminosäuren.  6.  Ammonsalze  der 
Oxysäuren  und  Säureamide.  7.  Ammonsalze  der 
Fettsäuren.  Es  braucht  kaum  hinzugefügt  zu  werden,  daß  diese 
Reihenfolge  nur  einen  ungefähren  Anhaltspunkt  für  die  Zusammen- 
setzung der  Nährung  gewähren  soll.  Entscheidend  ist  in  letzter  linie 
das  spezifische  Bedürfnis  der  Mikroorganismen.  Auf  die  Vorteile 
zusanrniengesetzter  Nährlösimgen  haben  wir  eben  schon  hingewiesen, 
sie  sind  erfahrungsgemäß  besonders  groß  in  den  deshalb  so  oft  benutzten 
sog.  natürlichen  Nährböden  aus  dem  Pflanzen-  und  Tier- 
reich, zum  Teil  vielleicht,  weil  hier  zu  der  geeigneten  Nahrungsmischung 
noch  Reizstoffe  hinzutreten  (§  55). 

Man  könnte  denken,  daß  die  Unlöslichkeit  mancher  Stoffe 
in  Wasser  ihre  Verwendbarkeit  zur  Ernährung  ausschlösse,  indessen 
ermahnen  uns  die  neueren  Erfahrungen  über  die  Assimilation  der  Koh- 
lenwasserstoffe (s.  o.)  auch  in  dieser  Hinsicht  zur  Vorsicht.  Andere  an 
sich  unlösliche  oder  schwer  diffundierbare  Verbindxmgen  werden  an- 
greifbar dadurch,  daß  sie  von  den  Mikroorganismen  erst  durch  gewisse 
Ausscheidungsprodukte  (Enzyme)  gelöst  werden,  so  wird  Zellulose  xmd 
Stärke  verflüssigt,  Dextrin  und  Glykogen  verzuckert,  Eiweiß  pepto- 
nisiert,  Fett  verseift  (Kap.  VI  ff).  Selbst  im  allgemeinen  so  wider- 
standsfähige Pflanzenschleime  wie  Agar-Agar  werden  von  einzelnen 
Arten  angegriffen  (§  73). 

Man  hat  sich  viele  Mühe  gegeben,  aus  der  chemischen  Konstitution 
und  neuerdings  aus  den  chemisch-physikalischen  Eigenschaften  die  Nähr- 
fähigkeit der  organischen  Verbindungen  zu  erklären.  So  stellten  schon 
Stutzer,  Nägeli  und  Reinke,  femer  Low  (Zentrbl.  Bakt.  9  und  12) 
sowie  zuletzt  noch  Czapek  Regeln  dafür  auf.  Nach  Stutzer  ernährt 
die  Carboxylgruppe  nicht,  sind  ceu-boxylierte  und  hydroxylierte  Kohlen- 
wasserstoffe sämtlich  brauchbar.  Nach  Nägeli  kann  der  Kohlenstoff 
nicht  assimiliert  werden,  wenn  er  nicht  unmittelbar  am  H  hängt,  sondern 
an  einem  anderen  Elemente,  wie  im  Cyan,  dem  Harnstoff,  in  der  Oxalsäure ; 
assimilierbare  Kohlenstoffverbindungen  müssen  die  Gruppe  CH^  oder  CH 
enthalten,  die  CH-Qruppe  ernährt  aber  nur  dann,  wenn  zwei  oder  mehrere 
C-Atome,  an  denen  H  hängt,  unmittelbar  mit  einander  verbunden  sind. 
Nach  Low  nimiBt  der  Nährwert  der  Fettsäuren  mit  steigendem  C- Gehalt 
ab,  mit  neu  eintretenden  Anudo-  oder  Hydroxylgruppen  zu;  mehn^'ertige 


120  Kap.  in,  $  33. 

Alkohole  haben  höheren  Nährwert  als  die  entsprechenden  einwertigen;  in 
Substitutionsprodukten  verringert  Anhäufung  von  Methylgruppen  an  Stelle 
von  H- Atomen  sehr  den  Nährwert.  Nach  Salzmann  sind  zwei-basische 
Fett-  und  deren  Oxysäuren  von  der  Oxalsäure  aufwärts  Nährstoffe  für 
Actinomyces  odorifera,  einbasische  nicht.  Das  gleiche  soll  für  die  Keimung 
der  Hausschwanunsporen  gelten  (R  a  m  a  n  n  bei  Möller,  Haus- 
schwammforschungen 1.  Heft  43,  1907).  Solche  Regeln  mögen  wohl  für 
viele  Fälle  zu  Recht  bestehen,  haben  sich  aber  bei  fortschreitenden  Er- 
fahrungen fast  immer  als  nicht  allgemein  gültig  erwiesen.  Das  zeigt  sieh 
auch  bei  dem  Versuch  Czapeks,  die  verschiedene  Brauchbarkeit  der 
Stidkstoffquellen  auf  ihre  mehr  oder  weniger  große  Verwandtschaft  mit 
Aminosäuren  zurückzuführen  (Vgl.  die  Kritik  von  Emmerling  a.a.O. 
und  L  ö  w  in  Hofmeisters  Beiträgen,  4).  Daß  auch  die  Zersetzlichkeit 
einer  Verbindung  einen  Einfluß  auf  ihre  Nährfähigkeit  besitzt,  kann 
nicht  bestritten  werden.  Nur  ist  danüt  im  einzelnen  Falle  gar  nichts  gesagt, 
denn  für  den  einen  Mikroorganismus  —  und  gerade  das  ist  der  Punkt,  an 
dem  bisher  alle  Erklärungsversuche  gescheitert  sind  —  kann  ein  und  der- 
selbe Stoff  leicht,  für  den  anderen  schwer  oder  gar  nicht  angreifbar  sein. 

c.  Da  wir  schon  bisher  Mikroorganismen  kennen  gelernt  haben, 
die  sich  mit  den  einfachsten  Kohlenstoffverbindungen  begnügen,  haben 
wir  eigentlich  keinen  großen  Sprung  zu  machen,  um  zu  denjenigen 
überzugehen,  die  unter  Ausschluß  aller  organischen  Verbindungen 
ihren  Kohlenstoff  bedarf  allein  aus  der  Kohlensäure  decken.  Es 
sind  zunächst  dieselben,  die  ihreii  Stickstoff  dem  Ammoniak  oder 
Nitrit  entnehmen,  die  Salpeterbakterien.  Daß  es  solche  Bakterien  gebe, 
haben  bei  Gelegenheit  ihrer  Studien  über  die  Ursache  der  Nitrifikation 
zuerst  Heraeus^)  und  H  ü  p  p  e  ^)  erkannt.  H  e  r  a  e  u  s  sah 
nach  Einsaat  von  50  g  Gartenerde  in  eine  Lösung  von  1  g  Ammon- 
karbonat  auf  500  g  Wasser  binnen  14  Tagen  eine  zarte  Bakterienhaut 
sich  auf  der  Oberfläche  entwickeln,  imd  gleichzeitig  eine  starke  Nitrat- 
und  Nitritreaktion  eintreten.  Die  Weiterimpfung  auf  eine  Salzlösung, 
die  neben  0,05  Vqq  Kaliumphosphat,  0,01  V^o  Magnesiumsulfat,  0,05% 
Chlorcalcium  noch  1  y o^  Ammonkarbonat  enthielt,  ergab  nach  10  Tagen 
eine  noch  kräftigere  Bakterienvegetation  in  Form  einer  dicken  Haut. 
Die  Flüssigkeit  zeigte  wieder  dieselben  Reaktionen.  Damit  schien  der 
Beweis  geliefert,  daß  chlorophyllfreie  Organismen  im- 
stande seien,  allein  auf  Kosten  von^Ammoniak 
und  Kohlensäure  und  unter  Bildung  von  Sal- 
petersäure sich  reichlich  zu  vervielfältigen.  Die 
Reinzuchtversuche  führten  aber  sowohl  H  e  r  a  e  u  s  wie  H  ü  p  p  e 
nicht  zu  einwandfreien  Resultaten.  Man  kann  auch  nicht  leugnen,  daß 
beide  Forscher  den  Beweis  für  ihren  Satz  nicht  ganz  streng  geliefert 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1,  226. 

2)  Tagebl.  Naturforscher  Versammlung  1887,  244. 


Nährstoffe.  121 

haben,  insofem  sie  die  Mögliclikeit,  daß  Spuren  organischer  Substanz 
in  ihren  Lösungen  vorhanden  waren  oder  als  Luftverunreinigungen 
ihnen  zugeführt  werden  konnten,  nicht  genügend  berücksichtigt  haben. 
Daß  hier  die  größte  Vorsicht  am  Platze  ist,  werden  wir  gleich  sehen. 
Die  Gültigkeit  dea  genannten  Satzes  ist  erst  durch  die  ausgezeichneten 
und  methodologisch  höchst  wichtigen  Untersuchungen  Winograds • 
k  y  8  (§  196)  über  allen  Zweifel  erhoben  worden.  Auf  Einzelheiten  gehen 
wir  erst  später  ein,  hier  interessiert  uns  nur  das  Resultat :  nach  W  i  n  o  - 
g  r  a  d  8  k  y  gibt  es  zwei  Gruppen  von  chlorophyllfreien  Mikroorganis- 
men, die  Kohlensäure  assimilieren  und  bei  der  Nitrifikation  eine  Rolle 
spielen,  nämlich  die  Nitritbakterien,  die  Anmioniak  in  sal- 
petrige Säure,  und  die  Nitratbakterien,  die  salpetrige  Säure 
in  Salpetersäure  überführen.  Was  die  Herkunft  der  Kohlensäure  angeht, 
so  ist  weder  die  CO«  der  Luft  noch  die  der  Monokarbonate  allein  assi- 
milationsfähig,  sondlm  sie  scheint  in  Fom  von  Bikarbonaten  geboten 
werden  zu  müssen.  Merkwürdig  ist  die  Wirkung  von  gleichzeitig  vor- 
handenen organischen  Stoffen  auf  dsA  Wachstum  der  nitrifizierenden 
Bakterien.  Nicht  nur  sind  sie  unfähig,  ihren  Kohlenstoff  oder  Stickstoff 
diesen  zu  entnehmen,  sondern  sie  sollen  —  auch  bei  Abwesenheit  anderer 
Mikroorganismen  —  geradezu  in  ihrer  Entwicklung  gehemmt  werden 
schon  durch  verhältnismäßig  geringe  organische  Beimengungen.  Die 
gewöhnlichen  Nahrungsmittel  wirken  also  auf  diese  sonderbaren  Lebe- 
wesen wie  Gifte.  Mag  das  letztere  auch  nicht  in  vollem  Maße  zutreffen, 
jedenfalls  haben  wir  in  den  Salpeterbakterien  neue  Zeugen  für  die 
eigenartige  Ausgestaltung  —  „Spezialisierung"  —  der  bio- 
chemischen   Vorgänge    bei    unserer    Mikroorganismen. 

Ahnliche  Eigenschaften  besitzen  nach  Nathanson  und 
Beijerinck  (§  210)  gewisse  Schwefelbakterien,  die 
Schwefel,  Schwefelwasserstoff  und  schwach  oxydierte  Schwefelver- 
bindungen zu  Schwefelsäure  oxydieren.  Dieser  Prozeß  dient  ihnen  als 
Kraftquelle,  um  den  Kohlenstoff  der  Kohlensäure  zu  assimilieren, 
ebenso  wie  die  Nitrifikation  den  Salpeterbakterien.  Auch  die  oben 
besprochenen  Wasserstoffbakterien  (S.  116)  gehören  hier- 
her, nur  ist  noch  zweifelhaft,  ob  sie  die  Kohlensäure  nur  bei  Fehlen  be- 
sonderer Nährstoffe  assimilieren  oder  auch  streng  „autotrophe"Wesen^) 
unter  sich  zählen.  Bemerkenswert  ist,  daß  das  Wachstum  der  Salpeter- 
und  übrigen  Kohlensäure  assimilierenden  Bakterien  zum  Unterschied 
von  den  grünen  Pflanzen  nicht  abhängig  ist  von  der  Belichtung,  daß 
außerdem  nicht  nachgewiesen  ist,  daß  sie  die  Kohlensäure  unter  Sauer- 


1)  Vgl.  Amn.  1  auf  S.  109.    Über  andere  autotrophe  Bakterien,  die 
«ich  von  Kohlenoxyd  und  Sumpfgas  nähren,  s.  o.  S.  116  u.  117. 


122  Kap.  in,  §  33  u.  34. 

stoffabsclieidung  spalten.  Im  Gegenteil  ist  das  niskch  den  vorliegenden 
Untersuchungen  unwahrscheinlich.  Dadurch  wird  ausgeschlossen,  daB 
die  Kohlensäureassimilation  bei  ihnen  durch  einen  Stoff  bedingt  wird, 
der  dem  Chlorophyll  entspricht.  Dagegen  gibt  es  grün  gefärbte  Bak- 
terien, die  nach  Engelmann  u.  a.  im  Lichte  Kohlensäure  spalten 
und  deren  Farbstoff  mit  dem  Chlorophyll  identisch  sein  soll  (§  252). 
Die  früher  von  Engelmann  aufgestellte  Ansicht,  daß  die  soge- 
nannten Purpurbakterien  im  Lichte  Kohlensäure  unter  Sauer- 
stoffentbindung assimilieren,  wurde  durch  Molischs  Arbeiten  als 
unrichtig  erwiesen  (§  209).  Die  Bedeutung  des  Farbstoffe  und  der 
Belichtung  für  diese  Wesen  ist  noch  nicht  völlig  klar  gestellt. 

d.  Was  oben  (S.  113)  von  dem  Stickstoffbedürfms  gesagt  wurde, 
gilt  auch  von  dem  Kohlenstoffbedürfnis.  Auch  quantitativ  ist  es  sehr 
ungleich  und  manchmal  außerordentlich  gering.  Die  sogenannten 
Wasserbakterien  (§40)  kommen  in  destilliertem  Wasser  und 
in  jedem  natürlichen  Wasser  fort,  obwohl  man  Mühe  hat,  darin  überhaupt 
noch  Spuren  organischer  Substanz  nachzuweisen.  Ihre  Vegetation  ist 
freilich  dem  Gewichte  nach  sehr  geringfügig.  Noch  anspruchsloser,  aber 
dabei  reicher  an  Ausbeute  ist  der  schon  wiederholt  erwähnte  B.  o  1  i  g  o  • 
carbophilus,  der  nach  B  e  i  j  e  r  i  n  c  k  und  van  D  e  1  d  e  n 
in  Erde  weit  verbreitet  ist  und  auf  einer  Minerallösung  mit  0,01%  Ka- 
liumbiphosphat und  0,01 — 0,1%  Kaliumacetat  und  Spuren  von  Magne- 
sia, Eisen  und  Mangansulfat  allmählich  eine  trockene  Haut  bildet.  Die 
Kultur  gelingt  auch  auf  gut  ausgelaugtem  Agar  oder  Kieselgallerte. 
Die  Ausbeute  an  Trockensubstanz  betrug  nach  einem  Jahre  bis  zu  500  mg 
auf  den  Liter.  Der  Stickstoff  kann  auch  aus  Nitriten  und  anorganischen 
Ammoniaksalzen  entnommen  werden  —  wobei  keine  Nitrifikation  erfolgt 
—  oder  aber  wie  der  Kohlenstoff  aus  organischen  Verun- 
reinigungen der  Luft.  Die  Existenz  nicht  ganz  imbedeuten- 
der Mengen  solcher  Stoffe  in  der  Luft  hat  schon  Karsten^)  1862 
entdeckt  und  Henriet^)  bestätigt^).  Man  müßte  sich  vorstellen, 
daß  sie  mit  der  durch  den  Watteverschluß  hindurch  diffundierenden 
Luft  an  die  Kulturflüssigkeit  herantraten.  Jedenfalls  soll  die  freie 
Kohlensäure  der  Luft  oder  die  gebundene  des  Nährbodens  nicht  von  dem 
ß.  oligocarbophilus  assimiliert  werden.  Durch  die  Entdeckung  der 
Kohlenwasserstoff,  Kohlenoxyd  und  Wasserstoff  verbrauchenden 
Bakterien  (S.  116)  hat  die  Frage  ein  anderes  Gesicht  bekommen.    Ein 


1)  Poggend.  Annal.   115.  343. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  135,  101  und  136,  1465. 

3)  Nach  der  Reaktion  dieses  Körpers  faßte  H  e  n  r  i  e  t  ihn  als 
Amid  der  Ameisensäure  auf.  Später  (C.  r.  138.  203)  fand  er  0,001—0,005^0 
Formaldehyd  in  der  Luft. 


Nährstoffe.  123 

von  den  Autoren  gleichzeitig  gefundener  Strahlenpilz  (Streptothrix) 
soll  ähnliche  Eigenschaften  haben.  Weitere  Mitteilungen  über  diese 
rätselhaften  Organismen  sind  abzuwarten. 

§  34.  Zasammenfassnng.  Aus  unserer  Darstellung  ergibt  sich 
eine  solche  Mannigfaltigkeit  des  Nahrungsbedürfnisses  der  Mikroorganis- 
men, daB  es  fast  unmöglich  ist,  allgemeine  Regeln  aufzustellen,  außer 
etwa  die,  daß  zur  Ernährung  in  allen  Fällen  notwendig  ist  Kohlen- 
stoff, Stickstoff,  Wasserstoff,  Sauerstoff, 
Phosphor  und  ein  Metall.  Wir  sehen  davon  ab,  daß  selbst 
die  Uneisetzlichkeit  des  Stickstoffe,  Phosphors  iind  des  Metalls  bestritten 
wird  (F  e  r  m  i).  Bezüglich  des  Schwefels  sind  alle  Zweifel  noch 
nicht  behoben,  wenn  auch  seine  Notwendigkeit  sehr  wahrscheinlich  ist. 
In  vielen  Fällen  ist  darüber  nicht  zu  streiten,  ebenso  wenig  wie  über  das 
Bedürfnis  an  den  zwei  Metallen  Kalium  und  Magnesium.  Es  gibt  aber 
auch  Mikroorganismen,  die  ebensoviel  Elemente  zu  ihrer  Ernährung 
brauchen  wie  die  höheren  Pflanzen  und  Tiere,  also  noch  einige  Metalle 
mehr. 

Gehen  wir  weiter  auf  die  Form  ein,  in  der  Kohlenstoff,  Stickstoff, 
Sauerstoff  geboten  werden  können  und  müssen,  so  ist  die  Mannigfaltig- 
keit noch  deutlicher:  hier  werden  nur  freier,  da  nur  gebundener,  dort 
(zu  Oxydationen)  überhaupt  kein  Sauerstoff,  hier  nur  anorganische, 
dort  nur  organische  Kohlen-  imd  Stickstoffverbindungen  gebraucht. 
Manche  Mikrooi^nismen  sind  auf  eine  ganz  einförmige  Ernährung,  auf 
bestimmte  Stoffe,  seien  es  nun  verwickelt,  seien  es  einfach  zusammen- 
gesetzte, angewiesen,  andere  sind  so  vielseitig,  daß  sie  imstande  sind, 
ihren  Bedarf  aus  den  allerverschiedensten  Stoffen  zu  decken.  So  lehrt 
uns  die  Forschung,  daß  diese  äußerlich  so  wenig  unter- 
schiedenen, so  einfach  geformten  Wesen,  was 
ihr  Nahrungsbedürfnis  angeht,  im  übrigen 
organischen  Reiche  ganz  unerhörte  Besonder- 
heiten zeigen. 

Je  weiter  wir  in  den  folgenden  Kapiteln  in  die  übrigen  Emährungs- 
bedingungen  und  in  die  Stoffwechselvorgänge  eindringen,  desto  mehr 
werden  uns  diese  „spezifischen**  Unterschiede  oder,  wie  man  vom 
stammesgeschichtlichen  Standpimkte  (Kap.  XVIII)  sich  auszudrücken 
pflegt,  diese  höchst  eigenartigen  Anpassungen  der  Mikro- 
oiganismen  zum  Bewußtsein  kommen. 


Kapitel  IV. 

Weitere  Bedingungen  der  Ernährung. 

§  35.  Aufgaben  der  Ernährang.  Beziehungen  der  Nähr- 
stoffe zu  bestimmten  Zelleistungen.  Man  kann  als  Aufgabe  der 
Ernährung  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  betrachten  die  Lieferung  aller 
derjenigen  Bedingungen,  die  das  Leben  imterhalten,  d.  h.  alle  seine  Er- 
scheinungen oder  Leistungen  ermöglichen.  Im  engeren  Sinne  bezeichuet 
der  Begriff  der  Ernährung  nur  die  Zufuhr  der  im  vorigen  Kapitel  be- 
handelten eigentlichen  Nährstoffe  von  außen  her.  Dann  muß  man 
daneben  noch  von  äußeren  und  inneren,  physikalischen  und  chemischen 
Bedingungen  oder  Beizen  für  das  Leben  sprechen.  Dazu  gehören  in 
unserem  Falle  einerseits  Wärme,  Licht,  Luftdruck,  Bewegung,  Konzen- 
tration und  Reaktion  der  Nahrung,  Reiz-  und  Giftstoffe  in  derselben, 
andererseits  die  Fähigkeit  der  Kleinwesen,  die  Nahrungsstoffe  zu  ihren 
verschiedenen  Leistungen  zu  benutzen,  aus  ihnen  Auswahl  zu  treffen, 
von  den  Reizen  und  den  Giften  beeinflußt  zu  werden  und  sich  ihrer  durch 
Gegenwirkimgen  zu  erwehren.  In  den  folgenden  Abschnitten  wird 
davon  die  Rede  sein.  Hier  wollen  wir  nur  die  Bedeutung  der  Nährstoffe 
für  die  einzelnen  Leistungen  der  Mikroben  in  Kürze  besprechen.  Als 
solche  Leistungen  können  vni  imterscheiden : 

L  die  Unterhaltung  der  Zellen  einschließlich  ihrer  Hüllen,  Be- 
wegungsorgane usw., 

2.  den  Aufbau  neuer  Zellen  (das  Wachstum), 

3.  die  Bildung  der  Dauerzustände  (Sporen),  Früchte,  unregel- 
mäßigen Formen  und  die  Auskeimung  der  ersteren, 

4.  die  Aufspeicherung  von  Vorratsstoffen,  (Fett,  Stärke,  Glykogen, 
Volutin,  Schwefel), 

5.  die  Bildung  und  Tätigkeit  von  zersetzenden  und  aufbauenden 
Enzymen  (Fermenten), 

6.  die  Bildung  von  Giften,  Angriffs-  Reiz-  und  Impfatoffen, 

7.  die  Bildung  von  Leucht-,  Färb-,  Riechstoffen  und  anderen 
biologisch  wichtigen  Stoffwechselerzeugnissen  (Säuren,  Alkalien  usw.), 

8.  die  Lieferung  der  lebendigen  Kräfte  und  der  auslösenden  Reize 
für  die  physikalischen  imd  chemischen  Leistungen  (äußere  und  innere 
Bewegung,  Wärme-  und  Lichtbildung,  Stoffzersetzung  und  -aufbau). 


Emähningsbedingungen.  1 25 

Man  sieht  sofort,  daß  diese  Einteilung  eine  etwas  künstliche  ist, 
indem  z.  B.  Stoffersatz  und  -Aufbau,  das  Wachstum  und  die  Tätigkeit 
aufbauender  Fermente,  die  Leistung  zersetzender  Enzjone,  die  Erzeugung 
von  Stoffwechselprodukten  und  die  Kraftlieferung,  der  Aufbau  der  Zellen, 
Enzyme,  Gifte,  Farbstoffe  usw.  eng  zueinander  gehören.  Immerhin 
empfiehlt  sich  die  begriffliche  Trennung,  um  zu  einem  besseren  Ver- 
ständnis der  verwickelten  Lebenserscheinungen  zu  kommen.  Sehen  wir 
uns  die  Stoffwechselleistungen  allein  an,  so  kann  man  einfach  unter- 
scheiden solche,  die  der  Erhaltung  und  dem  Aufbau,  und  andere,  die  dem 
Betriebe  dienen.  Dementsprechend  werden  die  Nährstoffe  in  B  a  u  - 
und  Betriebsstoffe  —  plastische  tmd  dynamogene 
—  zerfallen^).  Die  ersteren  ergänzen  die  Lücken,  die  der  Stoffwechsel 
im  Protoplasma  reißt,  darunter  die  ausgeschiedene  Enzyme,  Gifte, 
Angriffetoffe7  liefern  die  für  das  Wachstum,  die  Dauer-  und  Frucht- 
bildungen erforderlichen  Bausteine  und  die  Vorratsstoffe,  die  für  alle 
möglichen  Zwecke  in  den  Zellen  aufgespeichert  werden.  Die  Betriebs- 
stoffe dagegen  werden  ohne  längeren  Aufenthalt  in  den  Zellen  zersetzt 
and  liefern  die  Masse  der  der  Verdauung,  Gärung  und  Oxydation  ver- 
fallenden Stoffe,  deren  Beste  als  „Exkrete''  die  Zelle  verlassen  oder  in 
ihr  als  „Konkretionen'^  zurückbleiben.  Indem  sie  der  Zersetzung  unter- 
liegen, verschaffen  sie  der  Zelle  die  nötige  Betriebskraft,  die  sich  messen 
läßt  in  Wärme.  Man  darf  sich  freilich  nicht  verhehlen,  daß  manches  an 
dieser  Einteilung  nur  Vermutung  ist.  So  wissen  wir  größtenteils  gar 
nicht,  wie  die  Enzyme,  Gifte,  Angrifibstoffe  usw.  in  der  Zelle  entstehen, 
und  ob  sie  von  Anfang  an  eine  gesonderte  Existenz  darin  führen.  Kennen 
wir  doch  schon  gewöhnlich  gar  nicht  ihre  chemische  Zusammensetzung. 
Die  Schwierigkeit,  mit  der  sie  oft  aus  den  Zellen  zu  gewinnen  sind,  spricht 
allerdings  dafür,  daß  sie  selbst  Bestandteile  („Seitenketten")  des  Pro- 
toplasmas (§  68)  sind,  und  daß  daher  die  Stoffe,  aus  denen  sie  entstehen, 
erst  vorher  in  den  Bau  des  Protoplasmas  selbst  eingehen  müssen.  Viel- 
leicht ist  das  Verhalten  der  eigentlichen  Betriebsstoffe  auch  kein  anderes, 
vielleicht  müssen  sie,  ehe  sie  dem  Zerfall  entgegengehen,  vorübergehend 
in  eme,  wenn  auch  lockere  Beziehung  zum  Protoplasma  treten. 


1)  Pfeffer  (Pflanzenphysiologie  1,  270.  2.  Aufl.,  1897)  nennt  die 
Baustoffe  „formative",  die  Betriebsstoffe  „plastische".  Das  scheint  nicht 
«•mpfehlenawert,  weil  plastisch  nur  das  grichische  Wort  für  formativ  ist. 
Die  häufige  Benennung  der  dynamogenen  Nährstoffe  als  „respiratorische** 
oder  Brennstoffe  ist  nicht  zutreffend,  weil  es  sich  oft  (immer  beim  anaeroben 
Stoffwechsel )  nicht  um  Oxydation  (Verbrennung,  Atmung)  handelt.  Als  dritte 
(iruppe  von  Nährstoffen  mit  Pfeffer  dis  „aplastischen**  abzusondern, 
i-^t  wohl  entbehrlich.  Es  sollten  das  Körper  sein,  deren  Produkte  dem 
Stoffwechsel  entzogen  bleiben,  wie  Enzyme,  Gifte  u.  a.  Wir  rechnen  sie 
Ii*'ber  zu  den  Baustoffen  (s.  im  Text). 


126  Kap.  IV.  §  35. 

Ferner  ist  unbestreitbar,  daß  ein  und  derselbe 
Nährstoff,  z.  B.  Pepton  oder  Zucker  oder  Oxalsäure,  je  nacli 
dem  Bedarf  der  Zelle  und  der  sonstigen  Zusammen- 
setzung des  Nährbodens  zum  Bau  oder  Betrieb 
verwandt  werden  kann  oder  verwandt  wird.  Ob  es 
überhaupt  Stoffe  gibt,  die  nur  plastischen  oder  dynamischen 
Zwecken  dienen  können,  ist  zweifelhaft^).  Selbst  der  Sauerstoff 
ist  nicht  nur  ein  Betriebs-,  sondern  auch  ein  Baustoff.  Umge- 
kehrt sind  die  Nitrate  und  die  Sulfate  nicht  nur  als  Stickstoff- 
und  Schwefelquelle,  d.  h.  wesentlich  zimi  Aufbau  verwendbar, 
sondern  wie  die  Salpeter-  und  Schwefelsäure  vergärenden  Bakterien 
(§  198  u.  212)  beweisen,  auch  zur  Lieferung  von  Sauerstoff  für 
die  Verbrennung  der  kohlenstoffhaltigen  Nahrung,  d.  h.  für  den 
Betrieb  dienlich,  wobei  Stickstoff  und  Schwefel  ausgeschieden  werden. 
Bemerkenswerte  Ausnahmen  von  der  Regel  bilden  femer  die 
Nitrifikationsorganismen  (Salpeterbakterien),  die  ihren  Eraftbedarf 
sogar  ausschließlich  durch  Verbrennung  von  Ammoniak  und  salpetriger 
Säure  decken  und  den  zum  Aufbau  nötigen  Kohlenstoff  einer  anorga- 
nischen Quelle,  der  Kohlensäure  entnehmen  (§  196).  Ähnlich  machen 
es  die  Schwefelbakterien,  nur  dient  ihnen  zur  Kraftgewinnung  die  Ver- 
brennung  des  Schwefels,  des  Schwefelwasserstoffs  und  der  uuter- 
schwefligen  Säure  zu  Schwefelsäure  mit  Hilfe  des  Luftsauerstoffs 
(§  208—210). 

Trotz  alledem  hat  die  Unterscheidung  zwischen  Bau-  und  Betriebs- 
stoffen nicht  nur  theoretische,  sondern  auch  praktische  Bedeutung. 
Man  kann  im  allgemeinen  sagen,  daß  reichliche  Mengen  von  Stick- 
st  off  Verbindungen  und  gewisse  Salze  zum  Auf- 
bau neuer  Substanz  unersetzlich  sind,  während 
stickstoffreie  Kohlenstoffverbindungen  vor- 
wiegend und  unter  Umständen  sogar  allein  im- 
stande sind,  den  Betrieb  aufrecht  zu  erhalten. 
Je  mehr  das  Wachstum  vorherrschende  Verrichtung  der  Zelle  ist,  desto 
größer  ist  der  Bedarf  an  stickstoffhaltiger  Nahnuig;  je  mehr  Kraft- 
leistungen, z.  B.  Gärung,  in  den  Vordergrund  treten,  desto  wichtiger 
sind  die  stickstofffreien  Nahrungsmittel,  unter  ihnen  wieder  die  Kohlen- 
hydrate. Das  Maß  des  Kohlenstoffbedürfnisses  beim  Aufbau  schwankt 
natürlich  sehr  bedeutend,  je  nach  dem  Mengenverhältnis,  in  dem 
Kohlenstoff  und  Stickstoff  in  dem  Leibe  der  Mikroorganismen  stehen. 


1)  Nach  Hey  er  (§  136)  wäre  der  Alkohol  für  die  Essigbakterien 
nur  Betriebsstoff  („zymotische"  Nahrung),  nicht  BauBt>off  („gegetische'* 
Nahrung). 


Emährungsbedingungen .  127 

(§  23).  Die  sogenannte  Essigmutter  braucht  sehr  viel  Kohlenstoff  zur 
Bildung  ihrer  mächtigen  zelluloseähnlichen  Hülle.  Ein  eigentümliches 
Verhalten,  wie  kaum  ein  anderer  Mikrobe,  zeigt  der  Tuberkelbazillus: 
er  scheint  als  Kohlenstoff  quelle  das  Glyzerin  nicht  entbehren  zu  können, 
während  sonst  die  Kohlehydrate,  insbesondere  die  Zuckerarten,  vor- 
gezogen werden.  Wahrscheinlich  hängt  das  in  einem  gewissen  Grade 
mit  seinem  großen  Gehalt  an  Fettstoffen  zusammen  (§  26  u.  33). 

Einen  recht  verschiedenen  Ursprung  haben  wohl  die  „Vorrats- 
stoffe'' (§  22)  der  Sicllen  außer  dem  Schwefel,  indem  sie  ent- 
weder direkt  aus  ähnlichen  Substanzen  des  Nährbodens  oder  durch 
Verwandlung  aus  anderen  hervorgehen  (§  152  und  230,  §  231, 130  u.  229). 

Die  bewegungsvermittelnden  Organe  der  Mikroben  (Geißeln, 
Wimpern,  undulierende  Membranen,  Scheinfüße),  femer  die  Dauer- 
zustände und  Früchte  scheinen  keiner  anderen  Baustoffe  zu  ihrer  Er- 
zeugung zu  bedürfen,  wie  das  Wachstum  selbst.  Man  kann  aber  sagen, 
daß  sie  um  so  reichlicher  gebildet  werden,  je  günstiger  der  Nährböden 
ist.  Das  schließt  nicht  aus,  daß,  wie  wir  im  §  38  u.  39  sehen  werden, 
der  Anstoß  zur  Bildung  von  Dauerzuständen  (Sporen)  erst  durch  Nah- 
rongsmangel,  und  der  Anstoß  zur  geschlechtlichen  Vereinigung  manch- 
mal (bei  den  Plasmodien  der  Malaria)  erst  durch  Nahrungs-  (Wirts-) 
Wechsel  gegeben  wird. 

Die  unregelmäßigen,  häufig  riesenhaften  und  verzweigten  „In- 
voIutions-'*Formen,  einschließlich  der  Strahlenpilzkolben  und  Bak- 
teroiden,  wie  die  Kapseln  der  Bakterien,  verlangen  wohl  nur 
insofern  besondere  Stoffe  zu  ihrer  Bildung,  als  diese  als  Beize  wirken 
(§  3  u.  4). 

Von  den  physikalischen  Leistungen,  die  in  Abhängigkeit  stehen  von 
der  Ernährung,  ist  neben  der  Beweglichkeit  zu  nennen  die  Wärme-  imd 
Lichterzeugung  (§  237  u.  238).  Die  Beweglichkeit  setzt  den  Besitz  von 
Bewegungsorganen  voraus  (s.  o.),  die  Lichtproduktion  vielleicht  beson- 
dere Lichtorgane,  sie  erfordern  also  plastische  Prozesse,  alle  drei  Ver- 
richtungen mehr  oder  weniger  Betriebsmaterial.  Besondere  Betriebs- 
stoffe sind  aber  wohl  nicht  nötig,  wenn  man  vom  Sauerstoff  absieht, 
der  für  die  Lichtentwicklung  und  bei  den  Aeroben  für  die  Bewegung 
unumgänglich  zu  sein  scheint,  und  von  der  Zufuhr  von  Natrium- 
uud  Magnesiumsalzen,  durch  die  die  Lichtentwicklung  begünstigt  wird. 
Von  den  Nährstoffen  sind  wieder  zu  imterscheiden  die  Reizmittel,  die 
eine  Bedeutung  für  Intensität  und  Richtung  der  Bewegungen  haben 
(§  46  u.  56),  aber  vielleicht  auch  Wärme  und  Lichtentwicklung  be- 
herrschen. 

Die  notwendige  Bedingung  für  das  Zustandekommen  von  Verdau- 
ungs-,  Gärungs-  und  Oxydationsvorgängen  ist  selbstverständlich  das 


128  Kap.  IV,   S  3ö. 

Vorhahdenseiii  der  zu  verdauenden,  zu  vergärenden,  zu  oxydierenden 
Stoffe  in  den  Nährböden.   Der  zweite,  ebenso  wichtige  Einfluß,  die  aus- 
lösende Kraft  für  die  genannten  Yoi^änge,  also  die  Enzyme  oder  die  die- 
selben vertretenden  Stoffe  im  Protoplasma  (Kap.  XIV),  steht  allerdings 
in  vielen  Fällen  den  Zellen  zu  Gebote,  auch  in  Nährböden,  die  kein 
Material,  auf  das  sie  wirken  könnten,  enthalten.    So  kann  Lab,  tryp- 
tisches  Enzym,  Diastase  von  den  Mikroorganismen  gebildet  werden  in 
Nährböden,  die  kein  Kasein,  verdauliches  Eiweiß  oder  Stärke  enthalten. 
In  anderen  Fällen  fehlt  das  Ferment,  wenn  es  an  vergärbarem  Stoff 
mangelt.  Beispielen  dafür  werden  wir  bei  der  Besprechung  der  einzelnen 
enzymatischen  Vorgänge  begegnen.    Ausführliche  Untersuchungen  da- 
rüber verdanken  wir    Fermi,    Katz^),    Duclaux*)  und  na- 
mentlich W  e  n  t  ^).    Ein  dritter  Fall,  in  dem  zwar  der  Nährboden  die 
vergär-  oder  oxydierbare  Substanz  enthält,  der  an  sich  zur  Zersetzung 
befähigte  Mikrobe  aber  doch  nicht  die  Gärung  oder  Oxydation  leistet, 
wird  ebenfalls  öfter  beobachtet.   Zahlreiche  Beispiele  dafür  bringen  wir 
in  einem  der  folgenden  Abschnitte,  der  von  der  Auswahl  und  dem  Zu- 
sammenwirken der  Nährstoffe  handelt  (§  58).  Es  zeigt  sich  dabei,  daß 
die  Zersetzung  entweder  durch  die  gleichzeitige  Gegenwart  eines  anderen 
durch  denselben  Mikroben  angreifbaren  Stoffes  verhindert  wird,  d.  h. 
erst  nach  dessen  Verschwinden  in  Gang  kommt  oder  umgekehrt  erst 
nach  Zufügung  eines  neuen  Stoffes  beginnt.  In  welcher  Weise  diese  Be- 
günstigung und  Hemmung  der  Zersetzung  durch  Nahrungsstoffe  vor 
sich  geht,  bleibt  zweifelhaft.    Wahrscheinlich  ist  dex  Mechanismus  ein 
verschiedener.     Einzelne  der  letztgenannten  Beobachtungen  erklären 
sich  wohl  einfach  daraus,  daß  die  neu  zugeführten  Stoffe  den  zweiten, 
für  das  Zustandekommen  der  Zersetzung  unumgänglich  notwendigen 
Bestandteil,  z.  B.  bei  der  Salpetervergärung  den  zu  oxydierenden  Stoff 
darstellen.  Man  wird  aber  auch  die  Wirkimg  nicht  nährender  Reiz-  und 
Hemmungsstoffe  auf  die  fertig  gebildeten  Enzyme  zum  Vergleich  heran- 
ziehen können,  femer  den  Wettkampf  der  verschiedenen  gärungsfähigen 
Stoffe  miteinander  um  ein  und  dasselbe  Enzym  und  umgekehrt  die 
Nützlichkeit  eines  Zusammenwirkens  von  solchen  für  möglich  halten 
dürfen.    Die  Notwendigkeit  und  Nützlichkeit  bestimmter  Baustoffe  für 
die  Bildung  der  Enzyme  ist  dagegen  bisher  nicht  bewiesen.  Wahrschein- 
lich werden  sie  nicht  unmittelbar  aus  den  Nährstoffen  aufgebaut,  son- 
dern sind  Erzeugnisse  des  Protoplasmas  selbst  (s.  o.). 

Das  gleiche  gilt  wohl  auch  von  der  Mehrzahl  der  noch  weniger  be- 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  31,  1898,  vgl.  §  69. 

2)  Microbiol.  2.  84,  1899. 

3)  Jahrb.  wiss.  Bot.  36,  1901.    Enzyme  einer  Moniliasurt. 


Ernährungsbedingungen.  129  I 

kannten  Eigengifte,  Angriffe-  und  Impfstoffe  (Kap.  XVI  u.  XVII)  der 
Mikroorganismen.  Die  Erfahnmg  lehrt  freilich,  daß  sich  auf  gewissen 
Nährboden  diese  Stoffe  in  besonderer  Menge  erzeugen,  gebildet  werden 
sie  aber  selbst  in  den  einfachsten  Nährlösungen  mit  dem  Protoplasma 
selbst.  Daneben  gibt  es  allerdings  Gifte  (und  Angriffsstoffe),  die  echte 
Stoffwechselerzeugnisse  sind,  so  Alkohol,  Oxalsäure  und  Ptomaine, 
für  deren  Bildung  selbstverständlich  die  Gregenwart  der  betreffenden 
Kohlehydrate,  Eiweißstoffe  usw.  nötig  ist. 

Für  die  Farbstoffbildung  mancher  Bakterien  hat  man  Kegeln  auf- 
gestellt, die  namentlich  die  Ernährung  mit  Mineralsalzen  betreffen 
'  §  254).  So  sollen  Magnesiumsulfat  und  Ealiumphosphat  unersetzlich 
^in.  Wenn  man  erwägt,  daß  das  gerade  diejenigen  Salze  sind,  die 
überhaupt  als  Nährsalze  in  Frage  kommen,  so  gelangt  man  zu  dem 
Schluß,  daß,  je  besser  der  Nährboden,  um  so  reichlicher  auch  die  Farb- 
stoffe erzeugt  werden.  Analysen,  die  etwa  beweisen,  daß  die  genannten 
Mineralien  in  die  Zusammensetzung  der  Pigmente  eingehen,  liegen 
nicht  vor.  Dagegen  ist  für  das  dunkle  rotbraune  Pigment,  das  manche 
Abarten  des  Bac.  pyocyaneus  absondern,  nach  G  e  s  s  a  r  d  das  Ty- 
rosin  ein  notwendiger  Bildungsstoff,  wahrscheinlich  wie  „Melanin" 
überhaupt  ein  Oxydationsprodukt  desselben. 

Etwas  besser  au^eklärt  ist  die  Entstehung  der  Riechstoffe.  Daß 
die  Emährungsart  hier  einen  Einfluß  ausübt,  ist  wahrscheinlich.  Nach 
Salzmann  (§  29)  entwickelt  z.  B.  die  Streptothrix  odorifera  ihren 
charakteristischen  Geruch,  wenn  sie  mit  Äpfel-  oder  Weinsäure,  nicht 
wenn  sie  mit  Bernsteinsäure  genährt  wird.  In  anderen  Fällen  ent- 
stehen Riechstoffe  aus  bestinmiten  Aminosäuren  (vgl.  Fuselöl  §90  u.  173). 

Von  den  übrigen  Stoffwechselerzeugnissen  soll  hier  nur  folgendes 
gesagt  werden:  Alkali  (Ammoniak)  kann  erzeugt  werden  aus  allen 
N-haltigen  Stoffen  (Eap.  IX  u.  X),  freie  Säure  setzt  meist  das  Vor- 
handensein von  Kohlehydraten  voraus,  die  in  saure  Gärung  verfallen 
i§  97).  Fast  jede  einzelne  Säure  bildet  sich  jedoch  unter  Umständen 
aas  verschiedenen  anderen  Stoffen,  so  Essigsäure  auch  aus  Alkohol, 
Buttersäure  aus  Fetten,  beide  Säuren  ebenso  wie  Milchsäure  auch  aus 
Eiweiß  (§  168).  Das  diagnostisch  wichtige  Indol  entsteht  ausschließlich 
aus  einer  aromatischen  Aminosäure,  dem  Tryptophan  des  Eiweißes 
'§  169  u.  174).  Reduzierende  Stoffe  können  aus  jeder  Nahrung  hervor- 
gehen, Nitrite  sowohl  aus  Nitraten  ( §  197)  als  aus  Ammoniakverbindungen 
^§  196),  Schwefelwasserstoff  aus  allen  Schwefelverbindungen  (Kap.  XI). 

Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden  und  ist  durch  die  öfteren  Ver- 
weise schon  angedeutet,  daß  die  hier  gegebene  Übersicht  nur  die  in 
spateren  Kapiteln  dieses  Werkes  zerstreuten  ausführlichen  Angaben 
zusammenfassen  soll. 

Kruse,  Mikrobiologie.  9 


130  Kap.  IV,   §  36. 

§  36.  Wachstum,  Leben  und  Tod.  Während  wir  bei  höheren 
Tieren  zu  sehen  gewohnt  sind,  daß  sie  nach  einer  gewissen  Zeit  aufhören 
zu  wachsen  und  in  dem  einmal  erreichten  Zustand  oft  länger,  als  die  Ent- 
wicklung gedauert,  verharren,  ohne  daß  ihre  Jjebenserscheinungen  eine 
Einbuße  zeigen,  während  also  hier  der  großen  Mehrzahl  der  Zellen 
wenigstens  eine  recht  beträchtliche  Lebensdauer  innewohnt,  beob- 
achten wir  umgekehrt  bei  allen  anderen  Wesen,  daß  sie  beständig 
wachsen,  d.  h.  sich  vermehren  müssen,  wenn  sie  auf  der  Höhe  ihrer 
Leistungsfähigkeit  bleiben  wollen.  Dieses  Wachstum  ist  bei  den  Klein- 
wesen,  namentlich  bei  den  Bakterien,  ein  so  schnelles,  daß  z.  B.  von  den 
Cholera-  und  Typhusbazillen  durchschnittlich  kaum  20 — 30  Minuten 
dazu  gebraucht  werden,  um  sich  aufs  doppelte  zu  vermehren.  Mit  Hilfe 
der  Keimzählung  in  Platten  oder  unter  dem  Mikroskop  in  gefärbtem 
oder  frischem  Zustand  —  mit  oder  ohne  Beigabe  von  roten  Blutkörper- 
chen (W  r  i  g  h  t),  Tusche  (B  u  r  r  i)  und  dergl.  —  kann  man  nach 
Bu  ebner,  Longard  und  Riedlin^)  diese  „Generationsdauer'' 
leicht  berechnen.  Denn  wenn  die  Zahl  der  eingesäten  Bakterien  a,  die 
in  der  Ernte  nach  der  Zeit  T  und  nach  Zeugung  von  n  Generationen  b 

genannt  wird,  ist  b  =  a  .  2°,   also  n  =  — ^  -         -      —  und  die  durch- 

log2 

T 
schnittliche  Generationsdauer  = 

n 

Impft  man  immer  wieder  von  jungen  Kulturen  auf  frische  Nähr- 
böden derselben  Art  und  bei  gleicher  Temperatur,  so  bleibt  die  Gene- 
rationsdauer sich  im  wesentlichen  gleich,  und  man  könnte  auf  diese 
Weise  —  theoretisch  —  das  Wachstum  beliebig  lange  fortsetzen,  ja, 
wie  man  leicht  sieht,  ins  unendliche  steigern*).  Allerdings  ist  unter 
natürlichen  Bedingungen  dafür  gesorgt,  daß  die  „Bäume  nicht  in  den 
Himmel  wachsen,"  so  bemerkt  man  denn  auch  in  den  künstlichen 
Kulturen  bald,  z.  B.  bei  den  gewöhnlichen  Einsaaten  und  Züchtung  aaf 
schräger  Agaroberfläche  bei  37  •,  wie  die  Vermehrung  nach  24  Stunden 
verlangsamt  wird,  bzw.  aufhört  und  sogar  einem  mehr  oder  weniger 
schnellen  Absterben  Platz  macht.  Nach  Kruse  und  P  a  n  s  i  n  i  ^), 
Kruse*),  Gotschlich  und  W  e  i  g  a  n  g  ^),  sterben  besonders 
schnell  die  Pneumokokken  und  Choleravibrionen,  so  daß  Agarkulturen 

■'  -     '■  ■  ■  — -  9 

1)  Zentr.  Bakt.  2,  1887. 

2)  So  würde  ein  Cholerabazinus  bei  regelmäßiger  Verdoppelung  binnen 
20  Minuten  in  24  Stunden  zu  1600  TriUionen  mit  imgefähr  2000  Zentnern 
Trockensubstanz  angewachsen  sein  (A.  Fischer). 

3)  Zeitschr.  Hyg.  11.  139. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.   17.   39. 

4)  Ebenda  20. 


Emährungsbedingungen.  131 

der  ersteren  schon  nach  einer  Woche  überhaupt  keine  lebenden  Bak- 
teiien,  die  der  letzteren  nach  2  Tagen  kaum  10%,  nach  3  Tagen  kaum  1% 
der  auf  dem  Höhepunkt  der  Entwicklung  gezählten  Keime  zu  enthalten 
pflegen,  während  einige  Nachzügler  überleben  imd  noch  Wochen  und 
selbst  Monate  übrig  bleiben.  Typhus-,  Coli-,  Buhrbazillen  u.  a.  nehmen 
nach  unseren  Erfahrungen  langsamer  ab.  Auch  in  den  einzelnen  Kolo- 
nien zeigt  sich  die  Abnahme,  und  zwar  tritt  sie  nach  Gotschlich 
und  Weigang  im  Zentrum  derselben  auf,  während  in  der  Peripherie 
noch  ein  Wachstum  stattfindet.  In  der  eigentlichen  Wachstumsperiode 
ist  die  Wachstumsschnelligkeit  sehr  verschieden,  so  ist  die  Generations- 
dauer namentlich  auch  zu  Anfang  und  zu  Ende  derselben  erheblich 
größer  (M.  Müller^),  Rahn  ^)),  ja,  es  kann  sich  die  Zahl  der  in  den 
frischen  Nährboden  eingesäten  Bakterien  sogar  in  den  ersten  Stunden 
verringern,  statt  zu  wachsen  („Inkubationszeit").  Die  Temperatur 
beeinflußt  die  Entwicklung  außerordentlich  (Gotschlich  imd 
Weigang,  Müller,  Ficker*),  M.  Ward  *));  zu  niedere  und 
zu  hohe  verlängern  die  Generationsdauer  und  die  ersteren  auch  die 
Wachstumsperiode^).  Im  übrigen  bestehen  für  jedes  Bakterium  und  für 
jeden  Nährboden  besondere  Verhältnisse.  Als  kurzlebig  in  unseren 
künstlichen  Kulturen  sind  bekannt  außer  den  meisten  Pneumokokken- 
stämmen,  Gono-  und  Meningokokken,  Influenza-  und  Keuchhusten- 
bazillen; eigentümlicherweise  wachsen  sie  aber  zunächst  auch  ungefähr 
ebenso  schnell  wie  die  anderen  Bakterien.  Es  ist  also  für  die 
große  Mehrzahl  der  Bakterien  ein  sehr  schneller 
Anstieg  der  Keimzahlkurve  bezeichnend,  während 
der  Abfall  derselben  mehr  oder  weniger  langsam  ist.  Die  Sporen- 
bildner machen  insofern  eine  Ausnahme,  als  bei  ihnen  zwar  der 
Anstieg  ebenso  schnell  stattfindet,  der  Abfall  aber  durch  die  Wider- 
standsfähigkeit der  auf  der  Höhe  der  Entwicklung  gebildeten  Sporen 
besonders  stark  verlangsamt  wird.  Tuberkelbazillen  und 
Strahlen  pilze  wachsen  dagegen  verhältnis- 
mäßig langsam,  erreichen  erst  in  Tagen  und  Wochen  ihren 
Höhepunkt,  um  dann  wieder  langsam  abzusterben.  Die  schließliche 
Bakterienausbeute  ist  übrigens  recht  verschieden,  man  vergleiche  z.  B. 
die  zarten  Rasen  der  Pneumokokken  und  Influenzabazillen  mit  den 


1)  Ebenda  20  und  Arch.  Hyg.  47. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  16. 

3)  Wachstumsgeschwindigkeit  des  Bac.  coli  auf  Platten.  Med.  Dissert. 
Leipzig  1895. 

4)  Proceedings  Roy.  Soc.  58,  1895. 

5)  Bei  zu  hoher  Temperatur  scheint  das  Wcichstum  bald  überhaupt 
aufzuhören,  wird  also  die  Wachstumsperiode  abgekürzt. 

9* 


132  Kap.  IV,  §  36. 

üppigen  Wucherungen  der  Staphylokokken,  Tuberkelbazillen  u.  a.  ni. 
Der  Einfluß  der  Emährungsbedingungen  auf  den  Verlauf  des  Wachstums 
ist  sehr  erheblich,  wenn  auch  nicht  immer  auf  den  ersten  Blick  erklärlich. 
So  zeigen  z.  B.  die  Untersuchungen,  die  ich  mit  D  a  v  i  d  ^)  an  Ruhr- 
bazillen vorgenommen  habe,  daß  die  Zahl  der  in  einem  gewöhnlichen 
Bouillonröhrchen  entwickelten  Bakterien  nach  24  Standen  etwa  10  mal 
so  klein  ist  wie  die  auf  der  Oberfläche  einer  schräggeneigten  Agarkultur, 
trotzdem  die  Zusammensetzung  der  beiden  Nährböden,  wenn  man  von 
dem  selbst  nicht  angreifbaren  Agar  absieht,  die  gleiche  ist.  Die  Ursache 
dafür  liegt  wahrscheinUch  an  nichts  anderem  als  dem  ungleichen 
Sauerstoffzutritt.  Verteilt  man  die  gleiche  Menge  Bouillon 
auf  ein  Eölbchen  mit  flachem  Boden  oder  auf  eine  Petrischale,  so  erhält 
man  etwa  in  derselben  Zeit  die  gleiche  Zahl  von  Keimen  wie  auf  dem 
Agar.  Wahrscheinlich  erklärt  sich  aus  den  Sauerstoffverhältnissen  auch 
die  Tatsache,  daß  die  Abnahme  der  Keime  in  Bouillonröhrchen  nicht  so 
regelmäßig  und  schnell  erfolgt  wie  auf  der  Agaroberfläche :  der  Nähr- 
boden wird  durch  das  rasche  Wachstum  dort  nicht  erschöpft,  wie  es 
hier  geschieht,  sondern  der  mangelhafte  Sauerstoffzutritt  verlangsamt 
nur  das  Wachstum,  das  auch  in  den  folgenden  Tagen  in  gewissem  Um- 
fange bestehen  bleibt.  Da  freilich  gleichzeitig  im  Bouillonröhrchen  wie 
auf  dem  Agar  die  zuerst  gewachsenen  Keime  teilweise  absterben,  so 
kann  man  aus  der  Keimzahl  allein  das  Fortschreiten  des  Wachstums 
nicht  erschließen.  Immerhin  spricht  die  offenbare  Zunahme  der  Bak- 
terienmasse bzw.  des  Bodensatzes  der  Kultur^),  namentlich  in  den 
Fällen,  in  denen  man  die  Röhrchen  wiederholt  schüttelt,  d.  h.  mit 
Sauerstoff  neu  in  Berührung  bringt,  sowie  das  manchmal  noch  in 
späteren  Tagen  deutliche  Steigen  der  Keimzahl  dafür,  daß  das 
Wachstum  in  Bouillonröhrchen  wirklich  nicht  so  schnell  zum  Still- 
stand kommt  wie  auf  der  Agaroberfläche.  Bei  strengen  Aerobiern 
(Heubazillen,  Tuberkelbazillen),  die  nur  auf  der  Oberfläche  der  Bouillon 
wachsen,  ist  der  Einfluß  des  Schütteins  besonders  deutlich;  man 
bringt  dadurch  die  oberflächliche  Bakteriendecke  zum  Niedersinken, 
und  es  bildet  sich  darauf  eine  neue  Haut. 

Von  dem  gewöhnlichen  Bakterienwachstimi  unterscheidet  sich  das 
der  Pilze  (und  Protozoen'))  dadurch,  daß  es  nicht  so  schnell  vorwärts 

1)  Nicht  veröffentlicht. 

2)  R  u  b  n  e  r  ,  und  seine  Scliüler,  die  bei  ihren  Krntebeetimmungen 
mit  flüssigen  Kulturen  arbeiteten  (§  234),  haben  auch  durch  Wägungen 
die  Zunahme  der  Bakterien  noch  in  späteren  Perioden  festgestellt.  Vgl.  auch 
die  Keimzahlen,  die  Berghaus  ( Arch.  Hyg.  64)  und  Riemer 
(ebenda  71)  geben. 

3^  Vgl.  die  Züchtungsversuche  bei  Trypanosomen  von  N  o  v  y  und 
Mc  Neal,  z.  B.  im  Joum.  of  inf.  diseas.  1904. 


Ernähnmgsbedingungen .  133 

geht,  aber  auch  nicht  so  bald  aufhört.  Es  ähnelt  dadurch  dem  der 
Tuberkelbazillen  und  Strahlenpilze.  Übrigens  ist  bei  den  Pilzen  wie 
bei  den  Bakterien  auch  nachgewiesen,  daß  die  Schnelligkeit  des  Wachs- 
tums zu  Anfang  erheblich  größer  ist  als  später.  So  erhielt  R  a  u  1  i  n  in 
seinen  bekannten  Emährungsversuchen  mit  Aspergillus  niger  (§  29) 
am  1.  Tage  eine  Ernte  von  0,25  g,  am  2.  Tage  2,0,  am  3.  Tage  3,9, 
am  4.  Tage  3,3  g.  Die  Ergebnisse  M  a  z  e  s  und  Nikolskis  sind 
ähnliche  (§  232).  Sieht  man  sich  allerdings  die  Zahlen  genauer  an,  so 
erkennt  man,  daß  nach  einer  ersten  Periode  sehr  schnellen  Wachstums 
bald  eine  solche  folgt,  in  der  dasselbe  ziemlich  gleichmäßig  fortschreitet. 
F  a  1  c  k^)  hat  für  holzzerstörende  Pilze  durch  Messung  der  Myzelfäden 
gefunden,  daß  jede  Art  einen  bestimmten  Längenzuwachs  hat,  der  z.  B. 
für  den  Hausschwamm  bei  günstiger  Temperatur  und  dem  gleichen 
Nährboden  2,6  mm  in  je  4  Tagen  beträgt.  Da  gleichzeitig  der  Dicken- 
duFchmesser  der  Pilzfäden  für  jede  Art  beständig  bleibt,  so  ist  auch  der 
Volumenzuwachs  ein  gleichmäßiger.  Verschiedene  Ernährung  ändert 
denselben  auffallenderweise,  — wenigstens  in  gewissen  Grenzen  (1 — ^20% 
Malzextrakt)  —  nicht.  Wie  R  a  u  1  i  n  fand  F  a  1  c  k  einen  starken 
Einfluß  der  Temperatur  auf  das  Wachstum  und  entdeckte  dabei  das 
Gesetz,  daß  das  Längenwachstum  innerhalb  des  Zwischen- 
raums zwischen  der  niedrigsten  und  der  günstigsten  Temperatur 
proportional  dem  Temperaturzuwachs  zunimmt, 
d.  h.  daß  wir  für  das  Wachstum  der  Pilze  imter  dem  Einflüsse  ver- 
schiedener Temperaturen  ein  ähnliches  Gesetz  haben  wie  für  die  Aus- 
dehnung der  Gase  und  den  osmotischen  Druck  von  Flüssigkeiten. 

Da   er  die  niedrigste  Wachstumstemperatur    für    seine    Pilze    etwa 
J>ei  3*  fand,  so  war  a  =  a  (t  —  3)  z*).     Weiter  ergab  sieh,  daß  der  Tem- 

8 

|)eraturkoe{fizient  «  =  —  ^  -   -— ,  dividiert  durch  den  Durohmesser  der  Pilz- 

z(t— 3) 

fäden  v  —  den  sogenannten  Volumkoeffizienten  des  Längenwachstums —  bei 

10  Pilzarten  gleich  war:  —  =  k  =  0,0036.    Grestützt  auf  Voraussetziingen, 

auf  deren  Begründung  wir  hier  nicht  weiter  eingehen  können,  konunt  dann 
F  a  1  c  k  zu  dem  Schluß,  daß  der  Wachstumsdruck  dem  osmotischen  Druck 
(entspreche  und  bei  allen  Pilzen  unter  wechselnden  Temperaturen  den  gleichen 
Wert  —  etwa  10  Atmosphären  —  besitze.  In  der  Tat  fand  er  durch  luunittel- 
bare  Beobachtung  für  den  osmotischen  Druck  eine  solche  Größe  (s.  o.  Anm. 
auf  S.  4).  Ob  wir  es  hier  mit  mehr  als  zufälligen  Übereinstimmungen  zu  tun 
liÄl)en,  darüber  müßte  eine  Nachprüfung  entscheiden.     Jedenfalls  geht  es 


1)  Zeitsehr.  f.  Hyg.  55, 1906  und  Möllers  Hausschwammforschungen 
1.  H.  1907. 

2)  s  =  Längenzuwachs  in  i",  a  =  Temperatiu-koeffizient,  t  =  Temperatur 
in  ('•,  z=  Zeit  in  Minuten. 


134  Kap.  IV.  f  37. 

nicht  an,  allgemein  das  Wachstum  auf  den  osmotischen  Druck  zurück- 
zuführen*). 

Wie  bei  den  Bakterien  kommt  bei  den  Pilzen  das  Wachstum 
schließlich  zum  Stillstand,  und  zwar  meist  unter  Sporenbildung.  Auch 
hier  findet  man  die  Beobachtung  bestätigt,  daß  die  älteren  Teile  der 
Kolonien  absterben,  während  die  jüngeren  noch  weiterwachsen.  Nacli 
Pantanelli^)  soll  die  Lebensdauer  der  einzelnen  Zellen  des  Myzels 
von  Aspergillus  niger  nur  4 — 5  Tage  betragen.  Übrigens  ist  nach 
K  ö  h  1  e  r  ^)  in  diesen  Grenzen  jede  aus  dem  Zusammenhang  mit  dem 
Myzel  abgetrennte  Zelle  von  Aspergillus  oder  Penicillium  imstande, 
zu  einem  vollständigen  Myzel  auszuwachen,  und  das  gleiche  gilt  zwar 
nicht  für  alle,  aber  doch  für  viele  Stücke  des  einzelligen  Myzels  der 
Algenpilze. 

§  37.  Erklärung  der  Wachstumserscheinangen.  Hunger- 
tod. Es  fragt  sich,  wie  wir  uns  die  hier  angeführten  Tatsachen  des 
Wachsens,  des  Wachstumstillstandes  und  Absterbens  erklären  sollen. 
Selbstverständlich  handelt  es  sich  dabei,  wie  bei  allen  Lebenserscheinun- 
gen, um  verwickelte  Wechselbeziehungen  zwischen  äußeren  Einflüssen  und 
inneren  Verhältnissen,  und  ebenso  selbstverständlich  sind  es  chemische 
Vorgänge,  die  diesen  Verändenmgen,  namentlich  auch  den  mecha- 
nischen Arbeitsleistungen,  der  Wachstumsbewegung  und  Zellteilung  zu- 
grunde liegen.  Unsere  Einsicht  in  die  chemischen  Vorgänge,  die  zum 
Wachstum  führen,  ist  allerdings  weit  geringer  als  in  diejenigen,  die  etwa 
die  Gärungen  und  andere  dissimilierende  (zersetzende)  Vorgänge  be- 
dingen ( §  66) .  Für  die  letzteren  haben  wir  treibende  Kräfte  kennen  gelernt 
in  den  Gärungszymen,  die  wir  sogar  von  den  lebenden  ZeUen  trennen 
können;  synthetische  Enzyme,  d.  h.  solche,  die  den  Stoff aufbau,  die 
Assimilation,  vermitteln,  und  daher  das  Wachstum  erst  ermöglichen, 
sind  aber  bisher  nur  in  ganz  beschränktem  Maße  bekannt  geworden 
( §  228),  und  wenn  wir  sie  kannten,  wären  wir  damit  auch  noch  nicht 
am  Ziele  angelangt,  denn  erst  das  Ineinandergreif en  der  stoffzersetzenden 
und  aufbauenden  Vorgänge  und  die  damit  verbundenen  Gestalts- 
veränderungen machen  ja  das  Wachstum  aus.  Immerhin  dürfen  wir 
sagen,  daß  die  Assimilation  wie  die  Dissimilation  zur  Voraussetzung 
haben  die  Aufnahme  von  Nährstoffen.  Wo  die  letztere  nicht  stattfinden 
kann  wegen  Fehlens  von  Nährstoffen,  mit  anderen  Worten,  bei  Nah- 
rungsmangel, im  Hungerzustand,  fehlt  auch  das 
Wachstum,  zum  mindesten  das  gesunde  und  andauernde  Wachstum, 

1 )  Vgl.  über  den  Mechanismus  dos  Wachstums  Pfeffer,   Pflanzen- 
physiülogie  2.  Aufl.,  Bd.  TT,  §  7,  1901. 

2)  Jahrb.  wiss.  Bot.  40,  1904. 

3)  Flora  97,  1907. 


Emährungsbedingungen.  1 35 

das  wir  hier  allein  betrachten^).  Daß  wir  dann  eine  der  wichtigsten 
Vorbedingungen  für  den  Wachstumsstillstand  auch  in  den  Kulturen  der 
Kleinwesen  zu  erblicken  haben,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  die  Zufuhr 
neuer  Nährstoffe  bringt,  wie  zahlreiche  Erfahrungen  beweisen,  das 
Wachstum  oft  genug  wieder  in  Gang  (§  47).  Im  Hungerzustande  haben 
wir  aber  auch  schon  eine  Ursache  für  die  zweite  oben  festgestellte  Er- 
scheinung in  unseren  Kulturen,  das  Absterben,  gefunden.  In  der  Tat 
setzt  mit  dem  Nahrungsmangel  auch  die  Selbstverdauung  (und  Selbst- 
verbrennung) ein,  die  wir  in  ihren  morphologischen  Folgen  schon  früher 
studiert  haben  (§  9).  Damit  sind  aber  die  Einflüsse,  die  zur  Wachs- 
tumshemmung und  zum  Tode  der  Klein wesen  in  Kulturen  führen,  noch 
nicht  erschöpft.  Es  kommt  auch  die  Wirkung  schädigender  Stoff- 
wechselerzeugnisse der  Mikroben  selbst  in  Betracht  (§  47).  Von  dem 
je  nach  der  Art  verschiedenen  Vorkommen  derselben  und  der  Empfind- 
lichkeit der  einzelnen  Keime  gegen  Hunger  bzw.  „Selbstgifte"  wird  die 
oben  betonte  ungleiche  Schnelligkeit  des  Absterbens  in  den  Kulturen 
wesentlich  abhängen. 

Die  Eigenart  der  Mikroben  bestimmt  andererseits  auch  in  hohem 
Grade  die  Schnelligkeit  des  Wachstums.  So  vermögen  selbst  die  gün- 
stigsten Emährungsbedingungen  nicht  die  Vermehrung  der  Tuberkel- 
bazillen so  zu  steigern,  daß  sie  annähernd  so  schnell  wachsen  wie  andere 
Bakterien.  Immerhin  haben  die  Wachstumsbedingungen,  bestehend 
in  der  Dichtigkeit  (§  40)  und  Reaktion  des  Nährbodens  (§  41),  in  Tem- 
peratureinflüssen (s.  o.  und  §  42)  oder  in  Bewegungs-,  Belichtungs- 
und Druckverhältnissen  (§  43 — 45)  oder  in  chemischen  Nahrungs- 
reizen  und  Giften  (§  55  u.  57)  eine  große  Bedeutung  für  das  Wachstum. 

So  erklärt  sich  auch  die  auf  den  ersten  Blick  auffallende  Beobachtung, 
die  ich  zusammen  mit  David  gemacht  habe.  Es  zeigte  sich,  daß  bei  Ein- 
bringen sehr  großer  Mengen,  z.  B.  einer  ganzen  Agarkultur  von 
Huhrbazillen  in  einBouillonröhrchen  überhaupt  kein  Auswachsen  der  Keime, 
sondern  von  Anfang  an  eine  Verminderung  derselben  eintrat.  Schon  der  oben 
erwähnte  Umstand,  daß  wegen  des  mangelhaften  Sauerstoffzutritts  das 
Wachstum  in  einer  solchen  Bouillon  nur  verhältnismäßig  spärlich  ist,  hätte 
^  bewirken  müssen,  daß  die  Keimzahl  nur  um  ein  geringes,  z.  B.  von 
40  Milliarden  binnen  24  Stunden  auf  44  Milliarden  stieg,  wenn  man  hätte 
anaehmen  können,  daß  nur  ein  kleiner,  etwa  der  gewöhnlichen  Einsaat  in 
Bouillon  entsprechender  Teil  der  wirklich  eingesäten  Bazillen  die  vor- 
handenen Nährmittel  ausnutzte.  Da  nun  aber  in  Wirklichkeit  die  Nährstoffe 


1)  Ebenso  wie  die  Selbstgärimg  unterhalten  wird  aus  den  eigenen 
Stoff  Vorräten  (Glykogen),  so  kann  auch  ein  Wachstum  auf  Kosten  der  eigenen 
Substanz  z.  B.  der  gleichen  Zelle  oder  anderer  Individuen  derselben  Kultur 
stattfinden.  Beides  bleibt  aber  gewöhnlich  nur  kümniorlicli  und  auf  kiu*z 
Zoit  beschränkt.  Ausnahmen  kommen  vor,  z.  B.  bei  den  ,, sekundären 
Kolonien"  (§  49). 


Ja 


136  Kap.  IV,   §  37  u.  38. 

der  Bouillon  sich  von  Anfang  an  auf  eine  viel  größere  Anzahl  von  Bakterien 
verteilen,  fällt  auf  jedes  von  diesen  nicht  so  viel,  als  zur  Vennehrung  genügt, 
sie  geraten  deswegen  in  einen  (relativen)  Hungerzustand,  verzehren  einen 
Teil  ihres  eigenen  Leibes  und  gehen  infolgedessen  ohne  Wachstum  leoigsam 
zugnuide.  Auch  wenn  man  die  Einsaat  verringert,  bleibt  es  zunächst  dabei, 
und  erst,  wenn  sie  sich  dem  zehntenTeil  eines  Agarröhrchen,  d.  h.  der- 
^  jonigen  Menge,  die  überhaupt  in  der  Bouillon  unter  spärlichen  Belüftungs- 
verhältnissen heranwachsen  kann  (s.  o.  S.  132),  nähert,  beobachten  wir  eine 
gewisse  Vermehrung.  Daß  diese  Erklärung  die  richtige  ist,  folgt  aus  einer 
Abänderung  der  Versuchsbedingungen;  wenn  nämlich  die  ganze  Agarkultur 
statt  in  ein  gewöhnliches  Röhrchen  in  einen  fla<;hen  Kolben  mit  der  gleichen 
Bouillonmenge  gebracht  wird,  tritt  deutliche  Vermehrung  ein,  weil  in  diesem 
Falle,  wie  wir  oben  sahen,  die  Emährungsbedingungen  wegen  des  reichlichen 
Sauerstoffzutritts  viel  günstigere  sind.  Wir  sind  durch  diese  Ergebnisse  zu 
dem  Schluß  gekonmien,  daß  die  von  Eijkman  u.  a.  vorgebrachte  Er- 
klärung (§  47),  nach  der  „Selbstgifte**  verantwortlich  zu  machen  seien  für 
die  Keimeurmut  bzw.  das  Absterben  der  Bakterien  im  Dickdarm  usw.  nicht 
stimmt,  sondern  daß  im  wesentlichen  Nahrungsmangel  daran  schuld  ist. 

Aus  der  im  Laufe  dieser  Erörterung  (§  36)  gegebenen  Darstellung  er- 
hellt, daß  nicht  alle  Individuen  einer  Kultur  gleichmäßig  schnell  absterben. 
Auch  bei  Desinfektionsversuchen  zeigt  sich  etwas  Ähnliches,  und  das 
gleiche  lehren  die  Erfahrungen,  die  mit  dem  Überleben  einzelner  Keime 
(ihrer  ,, Latenz")  im  Tierkörper,  d.  h.  unter  dem  Einfluß  der  keimwidrigen 
Kräfte  desselben  gemacht  worden  sind^).  Wir  müssen  daher  annehmen, 
daß  die  Individuen  ungleiche  Widerstandsfähig- 
keit gegenüber  schädlichen  Einflüssen  entweder  von  Anfang  an  be- 
sitzen oder  —  etwa  durch  Anpassung  (Kap.  XVIII)  —  erwerben.  Nach 
F  i  c  k  e  r  s  2)  Feststellungen  scheint  das  letztere  der  Fall  zu  sein.  Er  fand 
nämlich,  daß  die  Haltbarkeit  von  Cholerabazillen  in  der  feuchten  Kam- 
mer (s.  o.  S.  23)  um  so  größer  ist,  je  älter  die  Kultur  ist,  aus  der  sie 
stammen,  obwohl  die  Zahl  der  lebenden  Bakterien  in  den  alten  Kulturen 
unvergleichlich  geringer  ist  als  in  den  jungen.  Diese  größere  Haltbar- 
keit gilt  aber  nur  unter  den  angegebenen  Umständen,  d.  h.  gegenüber 
der  Selbstverdauung,  nicht  gegenüber  dem  Austrocknen  oder  Erhitzen'). 
Auch  ist  nach  anderen  Forschem  die  größere  Widerstandsfähigkeit  der 
älteren  Bakterien  nicht  mit  einer  größeren,  sondern  geringeren  Wachs- 
tumsenergie verbunden,  denn  nach  M.  M  ü  1 1  e  r  (§  36)  brauchen  die 
älteren  Bakterien  längere  Zeit,  um  die  kurze  Generationsdauer  jüngerer 
Bakterien  zu  erreichen^).  Auch  viele  andere  Erfahrungen 
sprechen  übrigens  in   dem  Sinne,   daß  irgendeine 

1 )  Näheros  darüber  folgt  im  2.  Teil  dieses  Werkes  (Infektionslelire). 

2)  Zeitechr.  f.  Hyg.  29.  29,  1898. 

3)  F  i  c  k  e  r  ,   a.  a.  O.  S.  20  und  44. 

4)  R  a  h  n  (a.a.O.)  bestreitet  das  allerdings  für  das  von  ihm  geprüfte 
Bakterium. 


Emährungsbedingungen.  137 

Schädigung,  die  die  Bakterien  getroffen  hat, 
deren  Wach  stu  ms  kraft  ebenso  wie  ihre  Gärkraft, 
Virulenz  usw.  im  allgemeinen  herabsetzt  (Kap.  XVIII). 
Friedrich^)  spricht  z.  B.  von  einer  Wachstumsverzögerung  (In- 
kubation) und  einem  Virulenzverlust  trockener  Keime,  die  in  Bouillon 
hineingebracht  werden.  Eine  Steigerung  der  Wachstums- 
kraft läßt  sich  umgekehrt  durch  Anpassung  z.  B.  an  bestimmte  vorher 
ungünstige  Nährböden,  Äntiseptica  wie  Fluorsalze  usw.  erzielen  (§  55). 
§  38.  Dauerzustände.  Sporen.  Während  die  länger  überleben- 
den Keime  der  gewöhnlich  nicht  sporenbildenden  Mikroben  allenfalls  als 
,,Aasnahmezellen'^  zu  bezeichnen  sind,  sind  die  auf  ungeschlechtlichem 
Wege  entstehenden  „Sporen"  der  Bakterien,  Pilze  und  mancher  Pro- 
tozoen echte  Dauerformen,  d.  h.  Individuen,  die  mit  besonderen  Ein- 
richtungen (Hüllen,  Verdichtung  des  Plasmas)  versehen  sind,  um  schäd- 
lichen Einwirkungen  aller  Art  Widerstand  zu  leisten.  Die  Bedingungen 
für  die  Sporenbildung  und  Keimung  ebenso  wie  die  morphologischen 
Vorgänge  dabei  werden  sehr  verschieden  geschildert.  Wir  gehen  auf  die 
letzteren  hier  nicht  ein.  Was  die  ersteren  anlangt,  so  ist  der  Vergleich 
der  Sporen-  mit  der  Fruchtbildung  mindestens  bei  Bakterien  unseres  Er- 
achtens  wenig  passend  xmd  geeignet,  irrige  Vorstellungen  zu  erwecken. 
Die  Bakteriensporen  zeigen  immer  das  Ende  der  Entwicklung  an,  durch 
fortgesetzte,  frühzeitige  Übertragung  der  Bakterien  auf  neue  Nährböden 
kann  man  die  Sporulation  dauernd  unterdrücken,  während  die  Frucht- 
bildung ein  notwendiges  Glied  und  nicht  immer  das  Endglied  der  Ent- 
wicklung darstellt.  Schon  daraus  folgt,  daß  die  Bakteriensporen  in  ge- 
wissem Sinne  ein  Erzeugnis  ungünstiger  Verhältnisse 
sind.  H.  Büchner^)  nahm  schon  seit  1880  an,  daß  Nahrungs- 
mangel das  schädigende  Moment  sei,  das  hier  in  Betracht  konmie, 
andere  Forscher  betonten  dem  gegenüber  mehr  die  Wirkung  schädlicher 
Stoffwechselprodukte.  Auf  meine  Veranlassung  hat  S  e  1 1  e  r  ^)  die 
Frage  noch  einmal  bearbeitet  und  stellt  sich  auf  die  Seite  Buchners. 
Der  wichtigste  Beweis  dafür  ist  die  Tatsache,  daß  gut  ausgebil- 
dete Bazillen  am  schnellsten  in  Wasser  oder  Kochsalzlösung  zur 
Sporenbildung  schreiten.  Sobald  sie  in  irgendeiner  Weise,  z.  B.  durch 
zu  langes  Verweilen  in  alten  Kulturen,  also  wohl  durch  Stoffwechsel- 
produkte mid  länger  dauernden  Nahrungsmangel*)  geschädigt  sind, 


1)  Arch.  Chir.  59,  1899. 

2)  Zentr.  Bakt.  8. 

3)  Zentr.  Bakt.  37,  1904.    Lit. 

4)  Ähnliche  Bedmgungen  führen  auch  zu  dauerndem  Verhist  des 
Sporenbildungsvermögens  (§  347).  t^ber  die  sog.  sporogenen  Körner 
B  u  n  g  e  s  8.  §  22. 


A 


138  Kap.  IV,    S  38—40. 

bilden  sie  keine  oder  nicht  so  reichliche  Sporen.  Weitere  Voraussetzungen 
für  die  Sporulation  sind  Temperaturen,  deren  Grenzen  etwas 
über  der  niedrigen  und  unter  der  höchsten  Wachstumstemperatui 
liegen,  und  für  die  Aerobier  möglichst  reichlicher  Sauerstoff- 
zutritt. Ob  es  bestimmte  Nähr-  oder  Reizstoffe  für  die  Sporen- 
bildung gibt,  ist  sehr  fraglich,  sicher  aber  hemmen  diese  —  wieder  bei 
Aerobiem  —  Zusätze  von  Glyzerin  oder  Traubenzucker.  Bei  Anaero- 
biem  ist  das  nicht  der  Fall,  eher  das  Gegenteil^),  auch  ist  kein  Sauer- 
stoffabschluß nötig  (S.  102). 

Auch  bei  den  Saccharomyzeten  haben  wir  nach  E.  C h r. 
Hansen^)  ganz  ähnliche  Verhältnisse.  Das  besagt  schon  die  bekannte, 
von  ihm  vor  längerer  Zeit  zur  Gewinnung  von  Hefesporen  angegebene 
Methode  der  Züchtung  von  Hefe  auf  mit  Wasser  befeuchteten  Gips- 
blöcken. Auch  bei  Schimmelpilzen  hört  das  Wachstum  an 
jedem  Pimkte  einer  Kolonie  zugleich  mit  der  Sporenbildung  auf,  während 
es  an  der  Peripherie,  wo  noch  Nahnmg  vorhanden  ist,  ohne  daß  dort 
zimächst  Sporen  entständen,  fortdauert.  Wenn  man  sich  femer  auf 
den  Standpunkt  D  u  c  1  a  u  x  stellt,  daß  Oxalsäure  ein  „produit  de 
souffrance*'  sei  (§  122),  so  kann  man  die  Sporen  ebenfalls  als  solche 
auffassen,  denn  nach  Charpentier*)  bildet  der  Aspergillus  niger 
Sporen  und  Oxalsäure  gleichzeitig. 

Bei  der  Sporenkeimung  soll  zwischen  Bakteriensporen 
einerseits  und  Sproß-  und  Schimmelpilzen  andererseits  insofern  ein 
Unterschied  bestehen,  als  nach  zahlreichen  Angaben  die  ersteren  zum 
Auskeimen  einen  guten  Nährboden  gebrauchen,  die  letzteren  mit 
Wasser  vorlieb  nehmen  oder  es  sogar  vorziehen.  Neuerdings  berichtet 
aber  Fischoeder*),  daß  Milzbrandbazillen  ebenfalls  in  Leitungs- 
wasser (nicht  in  destilliertem),  wenn  auch  etwas  schlechter  als  in 
Bouillon,  auskeimen.  Man  könnte  unter  diesen  Umständen  zu  dem 
Schlüsse  kommen,  daß  die  Sporen  in  demselben  Mittel  zu  keimen 
vermöchten,  in  dem  sie  sich  bilden.  Das  ist  aber,  wie  die  Erfahrung  lehrt, 
im  allgemeinen  sicher  nicht  richtig^).  Die  Aufklärung  muß  erst  durch 
neue  Untersuchungen  kommen. 

1)  Nach  Achalme,  Annal.  Pasteur  1902,  645,  hemmt  allerdings  auch 
Säurebildung  (aus  Kohlehydraten)  die  Sporenbildung  der  Anaerobier.  Die 
Dinge  scheinen  hier  verwickelter  zu  liegen,  vgl.  die  §  113  angefülirte  Literatur, 
namentlich  von  H  i  b  1  e  ra  Untersuchg.  über  pathogene  Anaeroben.  1908. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5,  1899. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.   141.  367,   1905. 

4)  Zentr.  Bakt.  öl.  340,  1909.    Lit. 

5)  Eine  Ausnahme  machen  vielleicht  stark  entartete  Kulturen,  auf 
denen  aus  Sporen  gelegentlich  ,, sekundäre  Kolonien"  aufsprossen  können. 
(Vgl.    §  49.) 


Emährungsbedingungen.  1 39 

Da  das  Wachstum  imter  Bewegung  vor  sich  geht,  ist  es,  wie  alle 
Bewegcmgen,  richtenden  Einflüssen  unterworfen.  Wir  werden  diese  bei 
den  physikalischen  Wachstumsbedingungen  (§  46)  und  chemischen 
Reizen  (§  56)  besprechen.  Auf  das  Aussehen  der  Mikrobenkolo- 
nien, das  ein  gemeinschaftliches  Erzeugnis  des  Wachstums,  der  Ge- 
stalt und  Größe  der  Mikroben,  ihrer  Beweglichkeit,  ihres  Schleim-, 
Pigmentbildungs-  und  Yerflüssigungsvermögen  ist,  gehen  wir  hier,  weil 
eg  in  allen  Lehrbüchern  behandelt  wird,  nicht  ein^). 

§39.  Befrachtimg  der  Protozoen.  Die  Dauerzustände  (Zysten) 
der  Protozoen,  z.  B.  der  Amöben,  entstehen  vielfach  unter  ähnlichen 
Bedingungen  wie  die  der  Bakterien  und  Pilze.  In  manchen  Fällen, 
z.  B.  bei  Coccidien,  geht  ihrer  Bildung  eine  geschlechtliche  Vermischung 
voran,  in  anderen  erfolgt  die  Fruchtbildung  auf  geschlechtlichem  oder 
ungeschlechtlichem  Wege,  aber  ohne  daß  die  Früchte  dauerhafte  Zu- 
stande darstellten,  z.  B.  bei  den  Malariaparasiten.  Die  letztere  Art  der 
Fortpflanzung  (Schizogonie)  tritt  ein,  wenn  die  Parasiten  in  ihrem 
Wachstum  in  den  roten  Blutkörperchen  eine  gewisse  je  nach  der  Ab- 
art wechselnde  Größe  erreicht  haben.  Ob  man  von  eiuer  Erschöpfung 
des  augenblicklich  zur  Verfügung  stehenden  Nährbodens  sprechen  darf, 
ist  zweifelhaft,  jedenfaUs  wiederholt  sich  die  Bildung  der  Schizonten 
beliebig  oft,  wenn  auch  in  anderen  Zellen,  in  derselben  Weise.  Die  männ- 
lichen und  weiblichen  Greschlechtskeime  (Gameten)  werden  in  ähnlicher 
Weise  periodisch  gebildet,  werden  aber  erst  frei  und  vereinigen  sich  nur 
unter  ganz  bestimmten  Bedingungen,  d.  h.  wenn  das  parasitenhaltige 
Blut  die  Gefäße,  z.  B.  um  in  einen  anderen  Wirt  überzugehen,  verläßt, 
und  schreiten  auch  erst  in  dem  neuen  Wirt  zur  Sporogonie.  Bei  den 
Coccidien  findet  die  geschlechtliche  Vereinigung  in  demselben  Wirte 
statt,  bedarf  also  anscheinend  anderer  Reize  als  des  Wirtswechsels. 

§  40.  Dichtigkeit  der  Nährböden.  Daß  die  Dichtigkeit  (Kon- 
zentration) der  Nährlösungen  oder  anders  ausgedrückt  ihr  Wassergehalt 
für  das  Gedeihen  der  Mikroroganismen  sehr  Wesentlich  ist,  lehren  viele 
Erfahrungen.  Trockene  Nahrungsmittel  unterliegen  nicht  dem  Ver- 
derben, d.  h.  können  nicht  den  kleinsten  Lebewesen,  die  Fäulnis  und 
Gärung  verursachen,  zum  Angriffspunkt  dienen.  Darauf  beruhen  ja 
auch  verschiedene  Verfahren  der  Konservierung,  so  das  Trocknen, 
Pökeln  und  Einzuckern.  Steigt  der  Wassergehalt  nur  über  10 — 20%, 
und  ist  Gelegenheit  zur  Infektion  mit  Keimen  gegeben,  so  können  aller- 
dings schon  manche  Keime  zum  Wachstum  gelangen,  aber  keine  Bak- 

1)  Vgl.  darüber  Hutchinson,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  17.  1907, 
mit  Lit.,  Will  ebenda,  und  bei  den  Tropismen  (§46  u.  56).  Über  ,, Bak- 
terienblasen", „Infektionsfäden**  und  „Fruchtkörper'*  der  Myxobakterien 
s.  Schleimgärung  (§  128). 


140  Kap.  IV,    I  40. 

terien,  sondern  nur  Pilze,  und  zwar  in  erster  Linie  Schimmelpilze.  Immer- 
hin wird  deren  Wucherung  gewöhnlich  erst  üppiger  bei  einem  höheren 
Wassergehalt  und  erreicht  ihr  Optimum  bei  75 — 90%^)  Wasser.  Damit 
kommen  wir  auch  den  Grenzen  näher,  in  denen  noch  das  Bakterien- 
wachstum  gut  vonstatten  geht.  Möglich  ist  es  noch  zwischen  65 — ^75% 
(W  e  i  g  e  r  t)*)  und  ausnahmsweise  noch  bei  30 — 60%  (s.  u.).  Jedoch 
vertragen  bei  weitem  nicht  alle  Arten  eine  starke  Anhäufung  von  Nähr- 
stoffen. So  werden  z.  B.  die  Nikrobakterien.  die  freilich  nur  unorganische 
Salze  verwerten,  schon  durch  die  Gegenwart  kleiner  Mengen  organischer 
Stoffe  geschädigt  (§  196).  Diese  und  ähnliche  Angaben,  die  Schwefel- 
und  Purpurbakterien  betreffen,  sind  freilich  jetzt  zweifelhaft  geworden 
(§  208,  209).  Von  den  sogenannten  Wasserbakterien,  die  mit 
geringsten  Spuren  organischer  Substanz  vorlieb  nehmen,  sollte  man  am 
ehesten  annehmen,  daß  sie  eine  größere  Nährstoffdichte  nicht  vertrügen, 
Bei  manchen  von  ihnen,  so  bei  den  nur  in  Heyden-Agar  wach- 
senden Wasserbakterien  H  e  s  s  e  s  '^),  mag  das  der  Fall  sein,  gerade  für 
diejenigen  aber,  die  wir  durch  die  übliche  Plattenkultur  nachweisen 
können,  nur  ausnahmsweise.  So  sah  E.  K  o  h  n  ^)  den  Micr.  aquatilis 
zunächst  zwar  in  einer  5  prozentigen  Nährlösimg  nicht  wachsen;  später 
erfolgte  aber  doch  sichtbare  Entwicklung  in  8  prozentiger  Lösung,  und 
selbst  in  10  prozent.  hätte  man  vielleicht  mit  Hilfe  von  Plattenkulturen 
noch  eine  unsichtbare  nachweisen  können.  Jedenfalls  hat  K  o  h  n  selbst 
wie  andere  Forscher  (s.  u.)  Anpassung  von  Wasserbakterien  an  hohe 
Stoffdichten  beobachtet.  Die  Grenze  nach  imten  liegt  im  allgemeinen 
recht  tief,  am  tiefsten  für  die  schon  erwähnten  „Wasserbakterien'* 
B  o  1 1  o  n  s  ^),  den  Bac.  oligocarbophilus  Beijerincks  (§  33  am 
Schluß)  und  manche  Schimmelpilze.  Aber  auch  unsere  gewöhnlichen 
Nährlösungen  (Peptonbouillon),  die  etwa  2 — 3%  Trockensubstanz  ent- 
halten, sind  selbst  bei  20 — iO  facher  Verdünnung  noch  für  die  Kulturen 


1)  Vgl.  z.  B.  Raul  ins  Versuch,  der  in  §  232  wiedergegeben  ist. 
Die  beste  Ausnutzung  des  Nährbodens,  die  wohl  von  dem  größten  Ernte- 
ertrag zu  unterscheiden  ist,  liegt  allerdings,  wie  dort  nachgewiesen  ist,  bei 
weit  schwächerer  Konzentration  (1 — 2%).  Bei  Bakterien  fand  Rubner 
(§  234)  in  Fleischextraktlösung  bis  zu  6%  ein  Steigen  der  absoluten  und 
relativen  Ausbeute. 

2)  Zentr.  Bakt.  36.  1,  1904.  Lit.  —  König  und  Spieckermann 
finden  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  10.  635),  daß  Futtermittel  nicht  zersetzt  werden 
bei  einem  Wassergehalt  von  über  30%. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  29  und  42.  ' 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  16.  721  und  17.  447. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.  1,  1886.  Vgl.  Wolffhügel  und  Riedel. 
Arb.  K.  Gesundlieitsamt  1,  Rosenberg,  Arch.  f.  Hyg.  5,  T  i  e  m  a  n  n  - 
(}  ä  r  t  n  e  r  ,    Untersuchg.  des  Wassers,  ö27,  1895. 


Ernährungsbedingungen .  141 

pathogener  Bakterien  brauchbar,  ebenso  gestatten  auch  manche  nicht 
gerade  besonders  verunreinigte  Brunnenwässer  ein  Wachstum,  z.  B.  von 
Cholerabazillen^). 

Natürlich  wird  es  nicht  allein  auf  den  unbedingten  Gehalt  eines 
Nährbodens  an  festen  Stoffen  ankommen,  sondern  ganz  wesentlich 
auf  die  Art  dieser  Stoffe.  Besonders  zu  beurteilen  sind  von  vornherein 
die  nicht  in  Ijösung  befindlichen  Stoffe.  Eigelb  ist  z.  B.  ein  guter  Nähr- 
boden für  Bakterien  trotz  seines  Wassergehalts  von  50%,  offenbar, 
weil  der  größte  Teil  der  festen  Substanz,  das  Fett,  darin  nicht  gelöst, 
sondern  nur  aufgeschwemmt,  der  Wassergehalt  der  Nährflüssigkeit 
also  in  Wahrheit  viel  höher  ist.  Ebendahin  gehört  das  Wachstum  von 
Schimmelpilzen  in  ungereinigtem  Olivenöl,  das  nach  van  Tieghem^) 
möghch  ist,  wenn  man  die  Pilze  in  einem  wasseranziehenden  Körper 
(Fließpapier)  in  das  Ol  einführt.  Sämtliche  Nährstoffe  einschließlich  des 
Sauerstoffs  sind  in  ihm  in  genügender  Menge  und,  wenn  man  von  dem 
ungelösten  Fett  absieht,  nicht  zu  stark  konzentriert  vorhanden.  In 
welcher  Dichte  die  einzelnen  wasserlöslichen  Stoffe  eine  Aufhebung  des 
Wachstums  bewirken,  ist  noch  nicht  im  Zusammenhange  untersucht 
worden ;  nur  für  Schimmelpilze  teilt  Eschenhagen  ^)  einige  Zahlen 
mit.  Danach  hemmt  Zucker  das  Wachstum  bei  51 — 55%,  Glyzerin  bei 
37 — 43%,  Natriumnitrat  bei  16 — ^21%,  Chlomatrium  und  Chlorkalzium 
bei  16 — 18%.  Häufiger  hat  man  die  Wirkung  einiger  Bestandteile,  in 
erster  Linie  der  Salze  studiert.  So  wurde  festgestellt,  daß  viele  Bakterien 
(B.  coli,  enteritidis,  morbificans  bovis)  schon  bei  7 — 10%  Kochsalz  ihr 
Wachstum  einstellen  (Stadler  )*),  daß  es  aber  andere  gibt,  und  zwar 
namentlich  Kokken,  die  noch  bei  20%  (Petterson^))  und  sogar  bei 
20—25%  (Lewandowsky®))  noch  fortkommen.  H o y e  hat 
eme  Torula  pulvinata  gefunden^),  die  auf  gewaschenem  und  getrock- 
netem Dorsch  mit  30%  Kochsalz  noch  gedeiht.  Ein  Vergleich,  den 
Lewandowsky  zwischen  Kalium-  und  Natriumsalzen  (der 
Salz-  und  Salpetersäure)  anstellte,  zeigte  eine  energischere  Wirkung  der 
letzteren,  auch  in  äquimolekularen  Lösungen.  Selbst  in  einer  gesättigten 
d.  h.  ca.  30  prozentigen  Salpeterbouillon  vermehrten  sich  gewisse  Bak- 


1)  Kruse,    Zeitschr.  f.  Hyg.  17.  31  und  bei   Gärtner   a.  a.  O. 

2)  D  u  c  1  a  u  X   Microbiol.  4.  692. 

3)  Einfluß  von  Lösungen  verschiedener  Konzentration  usw.    Leipzig 
Dissert.  1889  (nach  Puriewitsch,    Jahrb.  wiss.  Bot.  36,  1900. 

4)  Arch.  Hyg.  36,  1899;  vgl.  die  ältere  Arbeit  von  F  o  r  s  t  e  r  und  de 
Frey  tag  (ebenda  11),  über  den  Einfluß  des  Pökeins. 

5)  Ebenda  37. 

6)  Ebenda  49. 

7)  ref.  Zentr.  Bakt.  31.  19. 


142  Kap.  IV,   §  40  u.  41. 

terien  noch  üppig.  Auch  nach  Z  o  p  f  ^)  und  A.  Fischer^)  sind  die 
Eonzentrationsgrenzen  beim  Bact.  vernicosum  und  dem  Bac.  subtilis 
für  die  einzehien  Salze  verschieden  und  haben  mit  ihrem  osmotischen 
Wert  unmittelbar  nichts  zu  tun.  Durchaus  den  sonst  ermittelten  Tat- 
sachen entspricht  die  Beobachtimg  Zopfs,  daß  die  Grenzen  für  be- 
stimmte Betätigungen  der  Bakterien,  wie  z.  B.  Säure-  und  Gasbildung, 
enger  gezogen  sind  als  für  das  Wachstum.  Für  die  Sporenbildung  der 
Anaerobier  gilt  z.  B.  nach  Matzuschita^)  dasselbe  Gesetz.  Daß 
Meeresbakterien  im  allgemeinen  einen  höheren  Salzgehalt  lieben  und  auf 
einem  gewöhnlichen  Nährboden  deshalb  zum  Teil  schlecht  oder  gamicht 
wachsen,  war  von  vornherein  anzunehmen  und  ist  auch  für  nichtleuch- 
tende  (Russell  *)),  für  denitrifizierende  (Gran  §  198),  Schwefel 
oxydierende  (Nathanson  §  210)  und  Schwefelsäure  reduzierende 
(van  Delden§212)  und  leuchtende  Formen  ( §  238)  festgestellt  worden. 
Bei  Pilzen  liegen  die  Dinge  nicht  viel  anders.  Vor  allem  ist  hier  das  Ver- 
halten zum  Zucker  studiert  worden.  Die  einzelnen  Arten  zeigen  dabei 
Besonderheiten.  Im  Gegensatz  zum  Aspergillus  niger,  der  die  besten 
Ernten  bei  ziemlich  niedriger  Konzentration  gibt  (R  a  u  1  i  n),  wächst 
z.  B.  Aspergillus  repens  besser  bei  80  als  bei  20%  (Kleb  s)^).  Dem 
Wachstumoptimum  entspricht  hier,  wie  in  anderen  Fällen,  das  Optimum 
für  die  Sporenbildung.  Letztere  hört  aber  wieder  sowohl  bei  Verringerung 
als  bei  Erhöhung  der  Dichtigkeit  früher  auf  als  die  vegetative  Entwick- 
lung. Ausnahmsweise  gedeihen  auch  Bakterien  bei  ebenso  hoher  Zucker- 
konzentration wie  Pilze,  so  z.  B.  das  Bact.  vernicosum  Zopfs  (s.  o.) 
noch  bei  70%  Rohrzucker,  50%  Milchzucker  oder  Dextrin  imd  40% 
Glyzerin. 

Weniger  ist  bekannt  über  den  Einfluß  der  Eiweißkonzentration 
auf  das  Wachstum  der  Mikroben.  Indessen  werden  auch  hier  große 
Dichtigkeiten  vertragen,  wie  aus  der  Brauchbarkeit  des  Eiweißes, 
Eigelbs,  Blutes  und  Blutserums  zur  Züchtung  folgt.  Ganz  verkehrt 
ist  es,  wenn  Weigert  auf  Grund  seiner  Versuche  mit  eingeengtem 
Fleischsaft  (s.  o.)  folgert,  daß  der  Wassergehalt  des  tierischen  Körpers 
(65 — 68%)  zu  gering  sei,  um  Bakterienwachstum  zu  gestatten  imd  hierin 
die  Grundlage  der  natürlichen  Immunität  sucht.  Nimmt  man  nämüch 
die  einzelnen  Organe  imd  Gewebe,  so  findet  man  meist  schon  einen  weit 
größeren  W^assergehalt  imd  die  Interzellularflüssigkeit  ist  meist  wasser- 
reicher, jedenfalls  eiweißärmer  als  Blutserum.    Nur  die  Preßsäfte  sind 


1)  Beitr.  Morph,  und  Physiol.  nied.  Org.,  1892. 

2)  Vorlesungen  über  Bakterien,  2.  Aufl.   1903. 

3)  Arch.  Hyg.  43,  1903. 

4)  Zeitßchr.  f.  Hyg.   11,  1890. 

5)  Bedingungen  der  Fortpflanzung  bei  einigen  Algen  und  Pilzen,  1896. 


Ernälmmgäbedingiingen .  143 

reicher  an  Eiweiß,  aber  bekanntermaßen  sogar  ein  besserer  Nährboden 
wie  Blutserom  (vgl.  Immnnitätslehre).  Wir  sind  daher  gezwungen,  nach 
anderen  Ursachen  der  Immunität  zu  suchen.  Nur  für  die  festesten  Ge- 
webe mag  die  Erklärung  Weigerts  zulässig  sein,  gilt  aber  schon 
nicht  für  deren  Safträume. 

In  welcher  Weise  hat  man  sich  nun  den  wachstumhemmenden 
Einfluß  zu  großer  und  zu  kleiner  Dichtigkeit  zu  denken  ?  Im  Grunde 
wissen  wir  darüber  ebenso  wenig  zu  sagen,  wie  über  die  ähnlichen 
Wirkungen  zu  großer  oder  zu  geringer  Sauerstof&pcuinung  (§  31).  Mit 
dem  Zurückgreifen  auf  osmotische  Störungen  (§  2)  ist  wenig  gewonnen, 
da  diese  vielfach  nicht  nachweisbar  sind,  und  wo  sie  es  sind,  ohne 
Schaden  für  die  Zelle  ausgeglichen  werden  können.  Es  bleibt  uns  vor- 
läufig nichts  anderes  übrig  als  die  Vorstellung,  daß  jeder  Organisnms, 
um  zu  wachsen  und  sonst  regelmäßig  zu  funktionieren,  auf  eine  innerhalb 
bestinmiter  Grenzen  schwankende  Dichtigkeit  der  Nährstoffe  angewiesen 
ist.  Das  ist  freilich  kaum  etwas  anderes  als  eine  Umschreibung  der 
nackten  Tatsachen  selbst. 

Mehrfach  wurde  schon  hingewiesen  auf  die  Abhängigkeit  anderer 
Eigenschaften  der  Mikroben,  z.  B.  der  Sporenbildung,  des  Gärver- 
mögens von  der  Dichtigkeit  der  Nährlösung.  Noch  nicht  erwähnt  wurde 
die  Beeinflussung  der  Virulenz,  Giftigkeit,  Leuchtkraft,  der  morpho- 
Ic^schen  Eigenschaften  (§  3).  Einzelheiten  darüber  finden  sich  in  den 
besonderen  Abschnitten.  Daß  auch  eine  Anpassung  an  ungewohnte 
Nährstoffdichten  möglich  ist,  ninmit  uns  nicht  Wunder.  Auch  in  dieser 
Beziehung  ist  Veränderlichkeit  geradezu  ein  Gesetz,  das  für  die  meisten 
Mikroben  gut  (Kap.  XVIII). 

§  41.  Reaktion  der  Nährböden.  Seit  lange  ist  bekannt,  daß  die 
Reaktion  der  Nährböden  deren  Nährfähigkeit  in  verschiedener  Weise 
beeinflußt.  Im  allgemeinen  kann  man  sagen,  daß  die  saure  Beak- 
tion  das  Wachstum  von  Pilzen  einschließlich 
Hefepilzen,  die  neutrale  und  alkalische  das  der 
Bakterien  begünstigt.  Baulin  (§  29)  stellte  z.  B.  schon 
fest,  daß  der  Aspergillus  niger  auf  seinen  Zuchten  sofort  von  Bakterien 
überwachsen  wurde,  wenn  er  die  Weinsäure  daraus  fortließ.  Bei  P/oo 
Weinsäurezusatz  blieben  die  Kulturen  schon  ziemlich  rein  von  Bak- 
terien und  wuchsen  gleichmäßig  üppig  bis  zu  ungefähr  6%  Säuregehalt. 
Erst  bei  20%  Säure  hörte  jedes  Wachstum  des  Pilzes  auf.  Hefe  verträgt 
schon  viel  weniger,  etwa  5 — ^7Voo  Milch-  oder  Weinsäure,  während 
Buttersäurebakterien  schon  unter  1 — ^2VooSä^^®  leiden  (§  116).  Aus- 
nahmen von  der  obigen  Regel  kommen  freilich  vor.  So  gedeihen  die  auf 
der  Haut  schmarotzenden  Fadenpilze  besser  auf  alkalischen  imd  vor 
allem  Essigbakterien  besser  auf  sauren  Nährböden.  Auch  der  Tuberkel- 


144  Kap.  IV,   §  41  u.  42. 

bazillus  wird  durch  eine  leicht  saure  Reaktion  eher  gefördert  als  ge- 
hemmt. Die  Widerstandsfähigkeit  gegen  Säure  und  Alkali  unterliegt 
eben  nach  je  der  Mikrobenart  großen  Schwankimgen.  Der  Typhus- 
bazillus und  viele  Kokken  sowie  Milchsäurebakterien  vertragen,  um  die 
Beispiele  fortzusetzen,  mäßige  Säuregrade  (IVoo  ^  ^^)'  ^^i^  ^i^  &uch 
langsamer  wachsen  als  bei  alkalischer  Reaktion,  das  Choleraspirillum 
ist  hingegen  sehr  empfindlich  gegen  jede  Spur  Säure  und  wächst  nocb 
üppiger  bei  einer  Alkalescenz,  die  den  meisten  anderen  Bakterien 
schädlich  ist  ^).  In  noch  viel  stärker  alkalischen  Nährböden  kommen 
die  Hamstoffbakterien  fort.  Sie  zersetzen  (§  195)  bis  zu  12%  Harnstoff 
und  erzeugen  dadurch  schließlich  18%  kohlensaures  Ammon.  Um- 
gekehrt beginnen  die  Essigbakterien  ihre  Entwicklung  bei  1 — ^2%E88ig- 
säuregehalt  der  zu  vergährenden  Flüssigkeit  und  steigern  den  Säure- 
gehalt bis  auf  5%.  Doch  sind  diese  Bakterien  nur  für  die  Essigsäure 
angepaßt,  Mineralsäuren  hemmen  ihre  Entwicklung  schon  in  verhältnis- 
mäßig geringer  Menge  (§  135).  Bei  anderen  Mikroorganismen,  z.  B.  den 
Milzbrandbazillen  entfalten  alle  Säuren  annährend  eine  gleiche  Wirkung, 
d.  h.  sie  wirken  gleich  in  äquivalenterMenge  (v.  Lingels- 
h  e  i  m  ^)).  Andererseits  wollen  K  r  ö  n  i  g  und  P  a  u  1  *)  die  Wirkung 
der  Säure  parallel  gehen  lassen  ihrem  elektrolytischen  Dis- 
soziationsgrad. Es  dürfte  wohl  schwer  fallen,  allgemeine  Re- 
geln aufzustellen.  Giftwirkimg  auf  manche  Organismen  entfalten  sal- 
petrige Säure,  Ameisensäure,  Buttersäure,  Baldriansäure  —  aber  nur 
in  freiem  Zustande,  nicht  in  Form  von  Salzen.  Die  Oxalsäure  dagegen, 
die  für  höhere  Pflanzenzellen  so  giftig  ist,  schädigt  SchimmelpUze  selbst 
in  1  prozentiger  Lösung  nicht.  Hier  liegt  wohl  die  Erklärung  nahe, 
daß  das  geringe  Kalkbedürfnis  der  Mikroorganismen  (§  28  u.  30)  daran 
schuld  ist  (L  ö  w). 

Wie  empfindlich  manche  Mikroorganismen  gegen  Veränderungen 
der  Reaktion  sein  können,  lehrt  folgendes  Beispiel*):  Pneumokokken 
wurden  in  gleicher  Menge  geimpft  in  Röhrchen  mit  Nähragar,  dann 
eine  steigende  Anzahl  Tropfen  einer  1/10  Normalnatronlauge  zugesetzt. 
Der  Agar  wurde  darauf  sofort  zu  Platten  ausgezogen  und  mehrere  Tage 
bebrütet.    Die  Zahl  der  Kolonien,  die   sich   entwickelten,  betrug 

0    270     10200     ^     oc     13500     1800 
bei  Zusatz  von  0      8         16       24    32       40         48    Tropfen  Alkali. 


1)  bei  einem  Überschuß  von  1/4%  Soda.    Kruse,   Zeitschr.  f.  Hyg. 
17.  35.     Über  Milchsäurebakterieu  vgl.    §   101. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  8.  202. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  25. 

4)  Kruse    und    Pansini,    Zeitschr.  f.  Hyg.   11. 


Emährungsbedingungen.  145 

Die  Bedeutung,  welche  die  Reaktion  des  Nährbodens  für  den 
Wettbewerb  nebeneinander  lebender  Mikroorganismen  haben  muß,  ist 
ohne  weiteres  verständlich.  So  werden  in  sauren  Lösungen,  die  Bak- 
terien allein  allenfalls  noch  ein  Wachstum  ermöglichen,  diese  von 
Schimmelpilzen  schnell  unterdrückt,  umgekehrt  die  letzteren  von  den 
ersteren  bei  alkalischer  Reaktion.  Bakterien,  die  selbst  Säure  erzeugen, 
Schimmelpilze,  die  Säure  verzehren,  können  sich  auf  diese  Weise  ihr 
eigenes  Grab  graben  (vgl.  Metabiose  §  50).  Aber  die  Schädigung  er- 
streckt sich  bei  den  Mikroben,  die  Säure  oder  Alkali  bilden,  auch  auf  die 
Entwicklung  in  Reinkulturen.  So  hören  die  Essig-  und  Milchsäure- 
bakterien^),  die  Harnstoffvergärer  imd  andere  Ammoniak  erzeugende^) 
^likroben  schließlich  selbst  zu  wachsen  auf,  wenn  der  Gehalt  an  Säure 
oder  Alkali  zu  hoch  wird  (vgl.  Selbstgifte  §  47).     • 

Aus  dieser  Empfindlichkeit  der  Mikroorganismen  gegen  die  von 
ihnen  selbst  gebildeten  Säuren  oder  Alkalien  erklärt  sich  die  Begünsti- 
gung, die  ihr  Wachstum  erfährt  durch  Zusatz  von  Säure  oder  Ammoniak 
neutralisierenden  Mitteln  zum  Nährboden  (kohlensaurer  Kalk  einerseits, 
phosphor-  oder  schwefelsaurer  Kalk  andererseits). 

§  42.  Einfluß  der  Temperatur  auf  die  Ernährung.  Maß- 
gebend für  die  Ernährung  ist  unter  den  physikalischen  Einflüssen  vor 
allem  die  Temperatur,  bei  der  sie  erfolgt.  Für  jeden  Mikroorganismus 
gibt  es  eine  günstigste  (optimale),  eine  oberste  (maximale)  und  niederste 
(minimale)  Temperatur.  Die  Grenzen  liegen  verschieden  weit  ausein- 
ander. Der  gewöhnliche  Schimmelpilz,  Fenicillium  glaucum,  wächst  am 
besten  bei  Zinmiertemperatur,  aber  auch  noch  bei  wenigen  Graden  (3*) 
über  0  kommt  er,  wie  die  meisten  saprophytischen  Pilze,  fort,  bei  Blut- 
temperatur nicht  mehr.  Etwas  höher  liegen  die  Grenzen  für  die  Bierhefe 
und  die  Essigbakterien.  Ein  anderer  Schimmel,  Aspergillus  fumigatus, 
gedeiht  zwischen  20  und  60  *,  am  besten  bei  37  —  40®.  Sehr  viele  Bak- 
terien, darunter  die  meisten  pathogenen,  wachsen  zwischen  3 — 45®; 
manche  pathogenen,  wie  die  Tuberkelbazillen,  Gono-  und  Meningokokken, 
sind  aber  beschränkt  auf  Temperaturen,  die  der  Bluttemperatur  nahe 
liegen.  Im  allgemeinen  besteht  die  Regel,  daß  die  für  Warmblüter 
pathogenen  Bakterien  und  Filze  auch  bei  der  Bluttemperatur 
am  besten  imd  schneUsten  wachsen,  nur  der  Pestbazillus  scheint  eine 
Ausnahme  zu  machen,  insofern  er  zwischen  25 — 30^  am  üppigsten  ge- 
deiht. Typhus,  Milzbrand,  Cholera,  Fleischvergiftungen  kommen  noch 
bei  3— 5*,  wenn  auch  höchst  kümmerlich,  fort.  Andere  (Pneumokokken, 

1)  Über  die  emzelnen  Arten  von  Säurebildnern  vgl.  §  35  am  Schluß 
und  §97,  über  die  auf  die  Säurebildung  begründeten  diagnostischen  Methoden 
§  112. 

2)  Vgl.  Kap.  IX  u.  X. 

Krase,  Mikrobiologie.  10 


146  Kap.  IV,  §  42. 

DiphtheriebazUlen)  können  wenigstens  noch  bei  20 — ^24®,  d.  h.  Tempe- 
raturen, wie  sie  im  Sommer  häufig  sind,  sich  vermehren.  Die  Protozoen 
der  Menschen-  und  Tiermalaria,  der  Hämoglobinurie  der  Kinder,  walu- 
scheinlich  auch  die  Trypanosomen  und  Spirochaeten  gedeihen  nicht  nur 
in  den  Warmblütern,  d.  h.  bei  hoher  Temperatur,  sondern  auch  in  Stech- 
mücken, Fliegen,  Zecken,  also  bei  weit  niedrigeren  Temperaturen,  doch 
scheinen  auch  sie  an  Minima  gebunden  zu  sein,  die  nur  in  der  wärmeren 
Jahreszeit  erreicht  werden.  Daraus  erklärt  sich  zum  großen  Teil  die  Vor- 
liebe dieser  Infektionen  für  das  wärmere  Klima. 

Mikroorganismen,  die  besonders  niedere  Temperaturengrade  ver- 
tragen, werden  auch  alspsychrophile,  glaziale  oder  „kälte- 
liebende" bezeichnet.  Solche  sind  zuerst  von  Förster^)  aus  allen 
möglichen  Substanzen  (Gartenerde,  Kanal wasser,  Meerwasser),  dann 
von  B.  Fischer*),  M.  Müller^),  Schmidt-Nielsen*)  isoliert 
worden.  Der  Name  ist  eigentlich  nicht  gerechtfertigt,  denn  sämtliche 
bisher  untersuchten  Arten  wachsen  bei  höheren  Temperaturen,  z.  B. 
10 — ^20**  besser  als  in  der  Nähe  von  0",  man  sollte  sie  daher  „kältever- 
tragende", psychrotolerante  nennen. 

Den  Gegensatz  zu  den  glazialen  Formen  bilden  die  t  h  e  r  m  o  - 
p  h  i  1  e  n  ,  „hitzeliebenden",  die  zwischen  30 — ^70^,  ja  bis  80®  ge- 
deihen. Solche  Mikroorganismen  wurden  zuerst  1881  von  M  i  q  u  e  1 
in  Flußwasser,  femer  von  van  T  i  e  g  h  e  m ,  Certes  und  G  a  r  r  i  g  a  n 
gelegentlich  gefunden,  ihr  regelmäßiges  Vorkommen  an  allen  mögUchen 
Stellen  der  Erdoberfläche  wurde  von  G 1  o  b  i  g  ^)  nachgewiesen.  In 
anderen  Stoffen  wie  Wasser,  Pflanzenstoffen,  Fäzes,  Milch,  Vaginal- 
schleim fanden  sie  dann  F.  Cohn®),  Macfadyen  und  B 1  a  x  a  1 1 "), 
Rabinowitsch^),  Karlinski  •),  Kedzior^®),  Laxa  ^*), 
Oprescui2),  S  chi  llinger^^)^  T  siklinsky^*),  Sames*^), 


1) 

Zentr.  Bakt.  2.  337  und  12.  431. 

2) 

Zentr.  Bakt.  4.  89. 

3) 

Arch.  f.  Hyg.  47. 

4) 

Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9. 

5) 

Zeitschr.  f.  Hyg.  3. 

6) 

Ber.  bot.  Ges.  1893.  66. 

7) 

Joum.  of  Path.  Bact.  1894. 

8) 

Zeitschr.  f.  Hyg.  20. 

9) 

Hyg.  Kundschau  1895.  695. 

10) 

Arch.  Hyg.  27,  1896. 

11) 

Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  4.  362,  1898. 

12) 

Arch.  Hyg.  33,  1898. 

13) 

Hyg.  Rundschau  1898.  568. 

14) 

Annal.  Pasteur,  1899. 

16) 

Zeitschr.  f.  Hyg.  33,  1900. 

£mälirungsbedingungen.  147 

Schütze*),   M  i  e  h  e  *).     Sehr   merkwürdig  sind  diese  Mikroorga- 
nismen von  zwei  Gesichtspunkten  aus;  erstens,  weil  sie  bei  Temperaturen 
zu  leben  vermögen,  die  für  fast  alle  anderen  Organismen  schädlich,  ja 
in  kürzester  2ieit  tödlich  sind,  zweitens,  weil  man  sich  zunächst  ver- 
gebens fragt,  wo  sie  denn  überhaupt  imter  natürlichen  Verhältnissen 
die  Bedingungen  zu  ihrem  Fortkommen  finden.     Nur  soweit  sie  in 
heißen  Quellen  gefunden  worden  sind,  beantwortet  sich  die  Frage  ohne 
weiteres,  aber  die  meisten  haben  mit  solchen  offenbar  nichts  zu  tun. 
Man  wird  in  erster  Linie  mit  G 1  o  b  i  g  daran  denken  müssen,  daß  die 
Bestrahlung  des  Erdbodens  durch   die  Sonne  ihnen  gelegentlich  die 
nötigen  Bedingungen  schafft.    Andere  Möglichkeiten  werden  ihnen  aber 
geboten  durch  die  hohen  Temperaturen,  die  in  Misthaufen,  Futterstapeln 
nsw.  durch   Selbsterhitzung,  d.  h.  mikrobiotische  und  makro- 
biotische    Fermentvorgänge    erzeugt    werden    (Cohn,     Schütze 
vgl.  §  157  u.  237).   Die  Zwischenzeit,  wenn  sie  die  nötige  Wärme  nicht 
zur  Verfügung  haben,  müssen  sie  in  Form  von  Dauerzuständen  über- 
leben.  In  der  Tat  sind  die  Thermophilen  sämtlich  Sporenbildner,  seien 
es  nun  Bazillen  oder  Strahlenpilze  (Eedzior,    Tsiklinsky, 
Sames,    Schütze    u.  a.)  oder  Schimmelpilze  (F.  C  o  h  n).     Für 
viele  von  ihnen  besteht  noch  eine  andere  Möglichkeit:  es  sind  diejenigen, 
die  auch  bei  niederen  Temperaturen  (20 — 40®)  noch  mehr  oder  weniger 
gut  wachsen  können,   die  sog.   thermotoleranten   (Schil- 
lin g  e  r).    Ein  eigentümliches  Verhältnis  haben  für  einige  von  diesen 
Rabinowitsch    und    Schütze    aufgedeckt:  während  sie  bei 
hohen  Temperaturen  regelmäßig  besonders  gut  bei  Luftzutritt,  vege- 
tieren, konmien  sie  bei  niedrigen  oft  besser  ohne  Sauerstoff  fort  (vgl. 
>^.  104).   Zu  den  mäßige  Hitze  ertragenden  Bakterien  gehören  übrigens 
auch  einige  gute  Bekannte,  so  das  gewöhnliche  Bact.  coli  des  Säugetier- 
und  Vogeldarmes,  das  bei  etwa  46®  noch  leidlich  gedeiht  und  sich  da- 
durch von  den  Colibazillen  anderen  „unschuldigen"  Ursprungs  (E  i  j  - 
kman*),  Christian  u.  a.)  und  den  pathogenen  Darmbakterien 
(Kruse*))  unterscheidet. 

Die  obige  Beobachtung  Rabinowitschs  gibt  uns  Anlaß, 
auf  andere  Verschiedenheiten  zurückzukommen,  die  sich  in  den  Eigen- 
schaften der  Mikroorganismen  zeigen,  je  nach  der  Temperatur,  bei  der 
sie  sich  entwickeln.    So  werden  von  vielen  Pigmentbakterien  z.  B.  dem 


1)  Arch.  f.  Hyg.  67,  1809. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  62. 

3)  Zentralbl.  Bakt.  37. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  69.  20,  1908.  Hier  wird  auch  die  Brauchbarkeit 
der  ,,E  i  j  k  in  a  n  sehen  Coliprobe"  für  die  Wfiwseruntersuchung  besprochen. 
V^gl.  dazu   Fromme,    Zeitschr.  Hyg.  65,  1910  (mit  Lit.). 

10* 


148  Kap.  IV,  §  42  u.  43. 

Prodigiosus  bei  Bruttemperatur  keine  Farbstoffe  gebildet.  Die  Milz- 
brandbazillen und  andere  pathogenen  Bakterien  verlieren  bei  42— 43^ 
allmählich  ihre  krankmachenden  Fähigkeiten^),  die  Hefe-,  Coli-  und 
Essigbakterien  gären  viel  schlechter  bei  den  Grenztemperaturen.  Die 
Sporenbildung  aller  Mikroorganismen  erfolgt  in  engeren  Temperatur- 
grenzen als  das  Wachstum^).  Auch  die  Assimilation  von  Nährstoffen 
ist  von  der  Temperatur  abhängig.  Penicillium  wächst  z.  B.  nach  Thiele') 
bei  Gegenwart  von  Glyzerin  und  ameisensaurem  Natron  noch  bei  35  bis 
36  •,  bei  der  von  4%  Traubenzurker  nur  noch  bei  31  •.  Auch  Zunahme 
der  Konzentration  der  Zuckerlösung  kann  die  obere  Temperaturgrenze 
hinaufschieben.  Das  Temperaturminimum  ließ  sich  durch  solche  Ver- 
änderungen der  Nahrung  nicht  verschieben.  Nach  W  e  h  m  e  r  *)  ist 
Aspergillus  niger  bei  8 — 10®  nicht  imstande,  Oxalsäure  zu  verbrennen, 
wohl  aber  bei  höherer  Temperatur.  Ganz  allgemein  wird  durch  diese 
Beobachtungen  das  uns  schon  bekannte  Gesetz  bestätigt,  daß  die 
Grenzen  für  das  Wachstum  der  Mikroben  nach  oben  wie  nach  unten 
weiter  vorgeschoben  sind  als  diejenigen  für  die  Betätigung  ihrer  übrigen 
Eigenschaften^),  z.  B.  Sporen-  und  Enzymbildung,  Pathogenität. 
Ebenso  entspricht  die  Tatsache,  daß  eine  Anpassung  an  höhere  und 
niedere  Temperaturen  möglich  ist,  den  sonstigen  Erfahrungen  über 
Veränderlichkeit  der  Kleinwesen  (Kap.  XVIII). 

Wenn  Mikroorganismen  jenseits  der  Temperaturgrenzen,  innerhalb 
deren  das  Wachstum  möglich  ist,  gehalten  werden,  beginnen  sich  zuerst 
Entartungs-,  dann  Absterbevorgänge  bemerklich  zu  machen.  Diese 
verlaufen  in  der  Nähe  der  oberen  Temperaturgrenze  viel  schneller  als 
in  der  der  unteren.  Damit  stimmt  zusammen  die  stärkere  Desinfektions- 
wirkung  höherer  Temperaturen  und  die  schwächere  oder  fehlende 
(konservierende  Wirkung)  niederer,  auf  die  wir  hier  nicht  näher  eingehen. 

§  43.  Bewegung  und  Erschütterung.  Von  anderen  physika- 
lischen Einflüssen  kommt  für  die  Ernährung  der  Mikroorganismen  zu- 
nächst die  Bewegung  oder  Erschütterung  des  Nährmittels  in  Betracht. 


1)  Merkwürdigerweise  verlieren  die  Kulturen  des  Trypeuiosoma 
Brucei  nach  N  o  v  y  und  Mc  N  e  a  1  ( Joum.  of  infect.  diseasis  1904,  S.  23) 
schon  bei  34*  ihre  Virulenz,  obwohl  sie  doch  im  Tierkörper  weit  höheren 
Temperaturen  ausgesetzt  sind,  ohne  darunter  zu  leiden. 

2)  Nach  Herzog  (Zeitschr.  phys.  Chem.  37,  1903)  soll  die  Ge- 
schwindigkeit der  Sporenbildung  bei  der  Hefe  in  ähnUcher  Weise  von  der 
Temperatur  abhängen,  wie  die  Enzymwirkungen  nach  Tanimann(§  244). 

3)  Kochs    Jahresber.  1896.  45. 

4)  Ber.  bot.  Ges.  1891.  163. 

ö)  Vgl.  §  31  und  38.  Die  Beweglichkeit  macht  eine  Ausnahme  (ß.  u. 
§  46),  audh  die  Enzyme  der  Mikroben  wirken  noch  jenseits  der  Wachstums- 
temperatur  (§  244). 


Emähmngsbedingungen.  149 

Hoppe-Seyler^)  hat  schon  festgestellt,  daß  fortgesetzte  ruhig  fließende 
Bewegung  die  Entwicklung  der  Spaltpilze  nicht  hemmt;  dagegen 
sollen  nach  Horvath')  langdauemde  intensive  Erschütterungen 
Entwicklungshemmung  und  sogar  Abtötung  veranlassen.  B.  Schmidt^) 
hat  das  für  Staphvlococcus  pyogenes  citr.  und  Spirillum  Finkler,  nicht 
für  den  Typhusbazillus,  den  Bac.  prodigiosus  u.  a.,  M  e  1 1  z  e  r  ^)  für 
Bac.  megatherium,  nicht  für  Bac.  fiuorescens  non  liquef.  bestätigen 
können^).  Sogar  starke  Schallwellen,  die  durch  den  Nährboden 
geleitet  werden,  können  nach  Reinke  ®),  leise  Zitterbewegungen 
wie  sie  in  Fabriken  durch  die  Maschinentätigkeit  hervorgerufen  werden, 
nach  H  e  1 1  z  e  r  Verlangsamung  des  Wachstums  und  selbst  feinkör- 
nigen Zerfall  der  Bakterienzellen  verursachen.  Wenn  hieraus  schon 
auf  große  Verschiedenheiten  in  der  Empfindlichkeit  der  einzelnen  Arten 
geschlossen  werden  kann,  so  sprechen  andere  Beobachtungen  M  e  1 1  - 
z  e  r  s ,  die  er  an  einem  Wasserbazillus  gemacht  hat,  dafür,  daß  ein 
geringes  Maß  von  Erschütterung  sogar  förderUch  sein  kann.  Unbe- 
dingte Ruhe  sowie  sehr  starke  Erschütterung  übte  auf  denselben  Wasser- 
bazillus einen  nachteiligen  Einfluß.  M  e  1 1  z  e  r  vergleicht  danach  die 
Wirkung  der  mechanischen  Bewegung  mit  der  der  Wärme:  in  beiden 
Fällen  würde  äußere  Energie  den  lebenden  Zellen  zugeführt,  bis  zu  einer 
gewissen  Grenze  mit  günstigem  Erfolge,  jenseits  der  Grenze  mit  un- 
günstigem. Je  nach  der  Eigenheit  der  Mikroorganismen  lägen  diese 
(vrenzen  höher  oder  tiefer.  Mit  dieser  Auffassung  stimmen  auch  andere 
Erfahrungen,  die  an  gärenden  Gemischen  gemacht  worden  sind. 
Schlösing^)   fand  durch  Versuche,   daß   Umrühren,   Umpacken, 


1)  Über  den  Einfluß  des  Sauerstoffs  auf  Gärungen,  1881. 

2)  Pflüger  8  Arch.  17,  1887. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  13,  1891. 

4)  Zeitschr.  f.  Biol.  30,  1894. 

5)  Die  Schüttelversuche  mit  Bakterien,  die  in  Weisser  aufgeschwemmt 
Hind,  gehören  eigentlich  nicht  liierher,  wo  wir  von  Wachstumsbedingungen 
-sprechen.  Sie  sind  übrigens  größtenteils  früher  negativ  ausgefallen. 
Die  neuesten  zur  Gewinnung  von  Giften,  Aggressinen  und  Antigenen  ( §  272, 
320,  333  ff.)  angesteUten  Schüttelversuche  mit  dichten  *  (meist  wässerigen) 
Aufschwemmungen  von  Reinkulturen  zeigen  aber,  daß  die  Bakterienzellen 
aucli  ohne  Beigabe  von  Sand  und  dgl.  durch  fortgesetztes  Schütteln  stark 
geschadigt  werden  können,  ja  schon  in  kurzer  Zeit  absterben.  Bei  genügen- 
der Dichte  würde  das  in  Nährflüssigkeiten  wohl  nicht  anders  sein;  da  die 
Dichte  und  damit  die  Berührungsmöglichkeiten  aber  hier  viel  geringer  sind, 
wird  es  verständlich,  daß  nur  empfindliche  Keime  Schfiwien  erleiden.  Selbst 
das  energische  Ausschleudern  in  der  Zentrifuge  soll  das  Leben  von  Cholera- 
^>aziUen  schädigen  (R.  Pfeiffer). 

6)  Pflügers  Arch.  23,  1880. 

7)  Corapt.  rend.  ac.  sc.  125.  40. 


1 50  Kap.  IV,   §  43  u.  44. 

Erschütterungen  von  gärenden  Tabakhanfen,  Mist  und  dgl.  die  darin 
herrschende  Gärung  beförderte,  und  daß  daran  nicht  etwa  die  Luft- 
emeuerung  schuld  wäre,  sondern  die  Bewegung  an  sich.  Bei  der  alko- 
holischen Gärung  durch  Hefe  liegen  die  Dinge  etwas  verwickelter.  Be- 
wegungen können  hier  sowohl  dadurch  wirken,  daß  sie  die  Berührung 
der  Hefe  mit  Sauerstoff  erleichtem,  als  rein  mechanisch.  Wenn  man 
Luft  oder  reinen  Sauerstoff  durch  die  Hefekulturen  leitet,  machen  sich 
beide  Einflüsse  geltend,  benutzt  man  dazu  ein  indifferentes  Gas,  nur  der 
letztere.  B  u  c  h  n  e  r  imd  R  a  p  p  ^)  haben  dabei  festgestellt,  daß  die 
reichliche  Sauerstoffzufuhr  das  Hefewachstum  begünstigt  imd  — 
wenigstens  in  gewissen  Grenzen  —  die  Gärung  nicht  beinträchtigt, 
sondern  befördert,  daß  aber  starke  Erschütterungen  der  Flüssigkeit, 
wie  sie  bei  zu  reichlicher  Durchleitung  von  Gas  oder  im  Schüttelapparat 
entstehen,  die  Hefe  schädigen  können,  und  zwar  um  so  mehr  schädigen, 
je  schlechter  die  Nährlösung  und  je  weniger  lebenskräftig  die  Hefe  ist. 
Die  Frage,  ob  nicht  leichtere  Erschütterungen  das  Hefewachstum  be- 
günstigen, haben  die  Autoren  nicht  berührt.  H  a  n  s  e  n  2)  glaubte  sie 
schon  früher  in  bejahendem  Sinne  beantworten  zu  können.  Der  neueste 
Forscher  auf  diesem  Gebiete,  A  p  p  e  1  ^),  will  die  Ergebnisse  oder 
wenigstens  die  Deutung  Meltz er s  nicht  gelten  lassen.  In  der  Tat 
scheint  es,  daß  die  nachteiligen  Folgen  der  Erschütterung,  soweit  sie 
überhaupt  hervortreten,  wohl  am  einfachsten  durch  die  Reibung  der 
Keime  aneinander,  der  Gefäßwände  usw.  zu  erklären  seien*).  Sehr 
der  Nachprüfung  bedürftig  erscheinen  die  Angaben  Holzingers^) 
über  den  schädlichen  Einfluß  osmotischer  Ströme  auf  Bakterien. 

§  44.  Druckerhöhung.  Steigerung  des  Druckes  schädigt  die 
Lebensfähigkeit  von  Schimmelpilzen,  Hefen  und  Bakterien,  wenn  über- 
haupt, nur  in  verhältnismäßig  unbedeutendem  Grade,  man  findet  daher 
letztere  Keime  auch  in  den  größten  Meerestiefen,  z.  B.  bei  1100  m 
(Russell«),  B.  Fi  sc  her  7)),  und  selbst  bei  200— 400  m  Tiefe, 
d.  h.  bei  20 — 40  Atmosphären  Druck,  noch  so  zahlreich,  daß  man  an 
ihr  Wachstum  an  diesen  Stellen  glauben  möchte.  Für  den  Schlamm 
des  Mittelländischen  Meeres  aus  Tiefen  bis  zu  1100m  hat  Russell 
es  sehr  wahrscheinlich  gemacht,  daß  die  gefundenen  Bakterien  auch 
dort  zu  wachsen  vermögen,  denn  sie  glichen  nicht  den  Formen  des 


1)  Zeitschr.  f.  Biol.  37,  1898.    Vgl.  §  91. 

2)  Compt.  rend.  du  laboratoire  Carlsberg  1879. 

3)  Scliriften  der  phys.  Ökonom,  (tos.  Königsberg  1899,  40. 

4)  Vgl.  Anm.  6,  S.  149. 

5)  Münch.  med.  Woch.  1909,  46. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.   11,  1891. 

7)  Deutsche  med.  Woch.   1899.   37. 


Emährungsbedingungen.  151 

darüber  stehenden  Wassers,  waren  auch  viel  reichlicher  und  bestanden 
nur  zum  Teil  aus  Sporen.  Sie  gehörten  anscheinend  sämtlich  zu  den 
gelegentlichen  oder  strengen  Anaerobiem.  Allzuviel  Sauerstoff  wird 
ihnen  übrigens  in  der  Meerestiefe  auch  nicht  zur  Verfügung  stehen, 
trotzdem  der  hohe  Druck  an  sich  eine  Übersättigung  mit  diesem  Gase 
gestatten  würde.  Dagegen  ist  den  Keimen  gerade  im  Mittelmeer  eine 
verhältnismäßig  hohe  Temperatur  (13^)  geboten.  Von  sonstigen  An- 
gaben über  das  Wachstum  bei  hohem  Druck  ist  zunächst  die  ältere 
von  Certes^)  zu  erwähnen,  nach  der  die  Fäulnis  in  Meerwasser  bei 
350 — 500  Atmosphären  langsam  verlaufe,  aber  doch  eintrete,  ß  e  g  - 
n  a  r  d  ')  bestätigt  das  insofern,  als  er  Harn  mit  faulem  Käse  versetzt, 
bei  600  Atmosphären  21  Tage  lang  zwar  klar  und  geruchlos,  aber  nicht 
bakterienfrei  bleiben  sah.  Hefe-  und  Milchsäuregärung  blieben  unter 
denselben  Bedingungen  aus.  Danach  würden  also  aerobe  und  anaerobe 
Wachstumsvorgänge  durch  sehr  hohen  Druck  mindestens  behindert 
werden.  Von  welcher  Grenze  an  das  geschieht,  ist  aber  noch  unbekannt. 
Während  der  Sauerstoff  in  allen  diesen  Versuchen  keine  Rolle  gespielt 
TM  haben  scheint,  wies  Chudiakow,  wie  wir  schon  sahen  (S.  98) 
nach,  daß,  sobald  dieser  freien  Zutritt  zu  den  Nährlösungen  hat,  schon 
verhältnismäßig  geringe  Überdrucke  (ca.  3 — 10  Sauerstoff- Atmosphären) 
das  Wachstum  aller  daraufhin  geprüften  Mikroben  unmögUch  machen. 
Hier  ist  es  also  nicht  der  Druck  an  sich,  sondern  die  Sauerstoff- 
spannung, die  schädlich  wirkt.  Auch  Druckverminde- 
rung wird  nur  auf  diesem  Wege,  selbstverständlich  aber  nur  den 
Äerobiern  gefährlich. 

Durch  die  schädliche  Wirkung  der  zur  Druckerhöhung  benutzten 
Kohlensäure  erklärt  sich  wahrscheinlich  die  starke  Beein- 
trächtigung der  Lebensfähigkeit  von  Bakterien,  die 
d'A  r  8  o  n  V  a  1  und  C  h  a  r  r  i  n  *)  bei  hohem  Druck  eintreten  sahen. 
Krause'),  Chlopin  und  Tammann^)  beobachteten  nur 
einen  ziemlich  geringen,  übrigens  je  nach  der  Mikrobenart  wech- 
selnden Einfluß  selbst  bei  Druck  von  3000  Atmosphären,  wenn  sie 
die  obige  Fehlerquelle,  z.  B.  durch  Pressung  mit  Rizinusöl  ausschalteten. 
Ijcider  ist  aus  ihren  Versuchen  aber  nicht  zu  ersehen,  wie  sich  das 
Wachstum  in  den  unter  Druck  stehenden  Flüssigkeiten  selbst  ver- 
hielt.   Da  nach  dem  Aufhören  des  Druckes  aber  meist  eine  Schwä- 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  99. 

2)  Rech.  exp6r.  sur  les  eonditions  physiquos  de  la  vie  dann  les  eaiix, 
IHOl  (bei  Chlopin    tind    Tammann    s.  u.). 

3)  Kochs  Jahresber.  1893,  115. 

4)  Zentr.  Bakt.  31. 

5)  Zeitftchr.  f.  Hyg.  45,  1903. 


152  Kap.  IV.   §  45. 

chung  der  Wachstumssclmelligkeit,  ebenso  wie  des  Gärvermögens,  der 
Virulenz  und  Beweglichkeit  festgestellt  wurde,  ist  anzunehmen,  daß 
sich  ähnliche  Erscheinungen  um  so  mehr  während  des  Versuches 
bemerkbar  gemacht  haben  werden. 

§  45.  Elektrizität  und  Licht.  Der  elektrische  Strom  scheint 
—  als  Wechsel-  oder  konstanter  Strom  —  nur  durch  seine  thermischen 
oder  elektrol}rti8chen  Wirkungen  das  Bakterienleben  zu  beeinflussen 
(Thiele  und  W  o  1  f  i),  Z  e  i  t  2)).  Nach  R  i  e  d  e  r  »)  schädigen  da- 
gegen Röntgenstrahlen  und  nach  Pfeiffer  und  Friedberge  r*), 
T  i  z  z  o  n  i  und  Bongiovanni  ^)  Radiumstrahlen  die  Mikroben 
ähnlich,  wenn  auch  schwächer  wie  Lichtstrahlen  (Dorn,  Baumann 
und  Valentiner*).  Wahrscheinlich  sind  die  Wirkungen  auf 
tierische  Gewebe  und  Protozoen  stärker.  So  wiid  auch  von  C  h  e  n  e  - 
V  e  a  u  imd  B  o  h  n  angegeben^),  daß  Infusorien  unter  dem  Einfluß 
sehr  starker  Elektromagnete  erheblich  in  ihren  Lebenserscheinungen 
beeinträchtigt  werden. 

Das  Licht  hat  für  die  Ernährung  der  Mikroorganismen  lange 
nicht  die  Bedeutung,  wie  für  die  der  chlorophyllhaltigen  Pflanzen.  Ein 
günstiger  Einfluß  der  Belichtung  ist,  wenn  man  von  den  Chlorophyll- 
und  Purpurbakterien  absieht  (§  253),  bisher  fast  nur  bei  Pilzen  be- 
obachtet worden.  So  will  Gaillard®)  gefunden  haben,  daß  Peni- 
cillium  glaucum  und  Oidiimi  albicans,  sowie  die  Rosahefe  sich  unter 
Belichtung  besser  entwickeln,  Elfving*)  sah  aber  umgekehrt  bei 
Penicillium  unter  zerstreuter  Belichtung,  wenn  er  die  Pilze  mit  Zucker 
und  Ammoniak  ernährte,  eine  Verlangsamung  des  Wachstums  eintreten. 
Die  violetten  Strahlen  waren  die  wirksamen.  In  Kulturen  mit  Pepton  oder 
Pepton  und  Zucker  war  dagegen  kein  Unterschied  zu  merken.  Die  Sporen- 
bildung wurde  in  keinem  Fall  beeinflußt.    Brefeld^®)  hat  wiederum 


1)  Zentr.  Bakt.  25  mit  Lit.,  vgl.  Lehmann  und  Zi  erler, 
Arch.  f.  Hyg.  46. 

2)  American  Joum.  of  medic.  association  1901  (Teslaströme). 

3)  Münch.  med.  Wochenschr.  1898,  4  imd  1902,  10.  Vgl.  aber  die  ent- 
gegenstehenden Angaben  Z  e  i  t  s  über  Bakterienbeeinflussung  und  die 
sehr  ungleichen  von  Schaudinn,  Löwenthal  und  Rutkowski 
(Therap.  d.  Gegenw.,  Sept.  1907)  u.  a.  über  ihre  Wirktuigen  auf  Protozoen. 

4)  Zentr.  Bakt.  34. 

5)  Ebenda  39. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  51,   1905. 

7)  Compt.  rend.  ac.  sc.  136,  1903. 

8)  bei    Raum,    Zeitschr.  f.  Hyg.  6.  331. 

9)  Studien  über  Einwirkung  des  Lichtes.  Helsingfors  1890  (nach 
D  u  c  1  a  u  x). 

10)  Untersuchungen  über  Schimmelpilze  Heft  8,  1889. 


Emähmngsbedingungen.  153 

angegeben,  die  Belichtung  habe  auf  die  vegetative  Entwicklung  höherer 
Pike  keinen  Einfluß,  begünstige  aber,  und  zwar  durch  die  violette  Seite 
des  Spektrums,  die  Fruchtbildung.  Hefe  verhält  sich  nach  K  n  y  ^) 
gleichgültig  gegenüber  mäßiger  BeUchtung.  Eine  sorgfältige  Unter- 
suchung  führte  Lendner  ^)  zu  dem  Satz,  daß  das  zerstreute  Licht 
für  die  Ausbildung  der  Sporangien-  undKonidienfrüchte  der  Schimmel- 
pilze nur  nötig  sei,  wenn  die  sonstigen  Emährungsbedingungen  un- 
günstige  seien.  Die  einzelnen  Arten  der  Schinmielpilze  verhalten  sich 
aber  nach  seinen  Angaben  so  verschieden,  daß  eine  Regel  überhaupt 
nicht  klar  hervortritt.  Die  neuesten  Versuche  M  a  x  i  m  o  w  s^)  be- 
treffen nur  die  Atmung,  d.  h.  die  Eohlensäureausscheidung  der  Schimmel- 
pilze (§  220),  nicht  die  Ernährung  imd  sollen  nur  angeführt  werden,  weil 
sie  während  einiger  Stunden  dem  obigen  Satze  Lendners  entspre- 
chende Resultate  ergaben:  Alte  und  schlecht  genährte  Kultiuren  er- 
zeugten in  der  ersten  Stunde  der  Belichtung  mehr  Kohlensäure  als 
unbelichtete;  junge,  gut  entwickelte  blieben  unbeeinflußt. 

Alle  Forscher  stinmien  dann  überein,  daß  allzu  starke 
Belichtung,  z.  B.  durch  die  direkten  Sonnenstrahlen  oder  eine 
Bogenlampe,  für  Pilze  und  Hefen  schädlich  sei  (vgl. 
L  0  h  m  a  n  n  *)).  Die  sehr  zahbeichen  Untersuchungen  über  die  Ein- 
wirkung des  Lichts  auf  Bakterien^)  haben  fast  ausnahmslos  zu 
dem  Resultat  geführt,  daß  unter  allen  Umständen  selbst  schwache 
Belichtung  dasWachstum  beeinträchtige.  Sehr  be- 
lehrend ist  in  dieser  Beziehung  die  Versuchsanordnung  Buchners: 
man  braucht  nur  eine  gleichmäßig  besäte  Agarplatte  auf  der  Unterseit-e 
mit  Papierbuchstaben  oder  Figuren  zu  bekleben  imd  dem  Lichte  von 
dieser  Seite  her  zeitweise  auszusetzen,  um  nach  einigen  Tagen  die  Schrift 
oder  die  Figuren 'durch  das  stärkere  Wachstum  der  darunterUegenden 
beschatteten  Kolonien  auf  der  Platte  hervortreten  zu  sehen.  Je  stärker 
das  Licht,  um  so  kräftiger  natürlich  die  Wirkung.  Sonnenlicht  gehört 
geradezu  zu  den  stärksten  Desinfizientien,  da  es  selbst  Sporen  schnell 
vernichtet.  An  der  Wirkung  sind  das  blaue,  violette  und  ultraviolette 
Licht  am  wesentlichsten  beteiligt,  aber  auch  das  ultrarote  wirksam.  Sauer- 
stoffzutritt befördert  sie  sehr,  ebenso  eine  eigentümliche,  noch  nicht 

1)  Ber.  bot.  Ges.  1894. 

2)  Ann.  sc.  natur.  1897. 

3)  Zentr.  Bakt.,  2.  Abt.,  9.  6—8. 

4)  Kochs   Jahresber.   1896.  90. 

5)  Altere  Literatur  bei  Raum,  Zeitsehr.  f.  Hyg.  6.  Vgl.  außerdem 
Dieudonn^,  Arb.  k.  Gesundheitsamt  9,  Kruse,  Zeitsehr.  Hyg.  19,  1895. 
Die  Ergebnisse  von  Beck  und  Schenk  (Kochs  Jahresber.  1893.  53) 
und  Schultz  (Zeitsehr.  f.  Hyg.  23)  sind  mit  Vorsicht  aufzunehmen. 
Spätere  Arbeiten  s.  bei  W  i  e  s  n  e  r  ,    Arch.  Hyg.  61. 


154  Kap.  IV,   §  46. 

völlig  erklärte  Stoffumwandlong,  die  in  den  Nährböden  selbst  unter 
der  Belichtung  entsteht. 

Die  nach  Raab,  U  1 1  m  a  n  n  u.  a.  bei  Protozoen  deutliche 
„photodynamische"  Wirkung  in  fluoreszierenden  Lösungen 
ist  bei  Bakterien  recht  gering  ^).  Dagegen  scheinen  die  Enz3niie  stärker 
geschädigt  zu  werden  (J  o  d  1  b  a  u  e  r  und  Tappeiner). 

§  46.  Beeinflussung  der  Bewegungen  durch  physika- 
lische Reize.  Da  die  Bewegungen  für  die  Ernährung  bedeutungsvoll 
sind,  wollen  wir  hier  auch  die  Beeinflussung  der  Bewegungen  von  Mi- 
kroben durch  physikalische  Reize  kurz  besprechen*).  Die  Wachstums- 
richtung kann  durch  die  Schwerkraft,  Druck,  Strömungen  und  Berüh- 
rungen, Wärme,  Licht  imd  Elektrizität  beeinflußt  werden.  Bei  den 
Fruchtträgem  der  Schimmelpilze  ist  der  Einfluß  der  Schwerkraft 
(Geotropismus)  leicht  nachzuweisen:  sie  wachsen  nicht  nur  auf- 
recht, sondern  richten  sich  nach  Entfernung  aus  ihrer  aufrechten 
Stellung  wieder  auf^).  Bei  manchen  strahlenförmigen  Ausläufern  von 
Bakterien,  so  z.  B.  beim  Bact.  Zopfi,  glaubte  man  ähnliches  beobachten 
zu  können  (B  o  y  c  e  und  Evans*),  Zikes  ^)),  doch  hat  außer 
Beijerinck  namentlich  dessen  Schüler  Jacobsen®)  gegen 
diese  Deutung  der  Erscheinungen  Einspruch  erhoben  und  sie  durch 
Wirkungen  elastischer  Körper  im  Nährboden  selbst  (E  1  a  s  t  i  k  o  - 
tropismus)  erklärt.  Sergent')  und  Eisenberg®)  haben 
sich  dem  angeschlossen.  Bei  Pilzen  hat  man  femer  Wachstumskrüm- 
mungen  infolge  Berührung  mit  festen  Körpern  (Haptotropismus*)) 
bei  Pilzen  und  Myxomyceten  auch  durch  Wasserströme  (Rheotropis- 
mus),  und  zwar  teils  von  der  gereizten  Seite  ab,  teils  nach  ihr  hin 
festgestellt.  Der  Empfindlichkeit  mancher  Fruchtträger  von  Pilzen  für 
Lichtstrahlen  (§  45)  entsprechend  zeigen  sie  nach  Hofmeister, 
Steyer  (a.  a.  0.)  u.  a.  einen  positiven  Phototropismus. 
Nach  0  1 1  m  a  n  n  ^°)  ist  dabei  nicht  die  Richtung  der  Lichtstrahlen 
entscheidend,  sondern  der  Unterschied  der  Helligkeit  auf  den  beiden 
Seiten  des  Fruchtträgers.    Hier  wie  bei  anderen  Reizen  gilt  das  W  e  - 


1)  Vgl.  Reitz,    Zentr.  Bakt.  45,  1908.    Lit. 

2)  Vgl.     Bohrens    in   Lafars    Handb.    techn.    Mykol.    1.  466, 
1905.    Über  Chemo-,  Osmo-,  Hydro-  und  Aerotropismus  s.  u.  §  56. 

3)  Steyer,  Reizkrüniinungen  usw.     Leipzig,  phil.  Dissert.  1901. 

4)  Proceed.  Roy.  Soc.  54,  1893. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  11,  1903. 

6)  Ebenda  17.  53,  1907. 

7)  Annal.  Pasteur  1907. 

8)  Zentr.  Bakt.  48,  1908. 

9)  Jönsson,  Bor.  bot.  Ges.  1883,  512.   Stahl,  Bot.  Zeitg.  1884. 
10)  Flora  75,  1892  und  83,  1897. 


Emährungsbedingungen.  155 

bersche  Gresetz,  nach  dem  die  Reizschwelle  wächst  mit  der  Stärke 
des  Reizes,  unter  dem  der  Organismus  bereits  steht.  Auch  ultrarote, 
d.  h.  Wärmestrahlen  sollen  Bewegungen  veranlassen,  doch  bestreitet 
das  S t e 7 e r ,  ebenso  wie  Jacobsen  die  von  Beijerinck 
gefundene  Wirkung  der  Wärme  auf  die  Wachstumsrichtung  des  B. 
Zopfi  anders  deutet  (s.  o.). 

Em  Einfluß  des  Lichtes  auf  die  Wachstumsbewegung  der  Bak- 
terien scheint  nicht  zu  bestehen,  dagegen  macht  sich  ein  solcher 
auf  die  freien  Bewegungen  derselben  in  gewisser  Beziehung 
bemerkbar.  So  wird  nach  Engelmann  ^)  die  Bewegung  der  P  u  r  - 
purbakterien  erst  durch  Belichtimg  geweckt,  durch  Verdunke- 
lung plötzlich  zum  Stillstand  gebracht.  Bei  Bact.  photometricum  und 
einigen  anderen  Purpurbakterien  ruft  umgekehrt  plötzliche  Vermin- 
derung der  Belichtung,  nicht  Verstärkung,  heftige  „Schreckbewegun- 
gen'^  hervor;  die  Bakterien  schlagen  dabei  eine  rückläufige  Bewegung 
von  der  unbelichteten  Stelle  aus  ein  und  häufen  sich  an  den  belichteten 
an  (Phobotaxis).  Ultrarote  Strahlen  wirken  am 
stärksten  phototaktisch.  Alle  Bakterien  werden  durch 
stärkere  Belichtung  geschädigt  und  büßen  dabei  allmählich  ihre  Be- 
wegungen ein.  Anscheinend  geschieht  das  schneller  als  sie  absterben 
(W  i  e  s  n  e  r  ^)).  Bewegungen  nach  dem  Lichte  hin  treten  nach  W  i  e  s  - 
n  e  r.  ein,  sollen  jedoch  passiver  Art  sein.  Die  positive  Thermo- 
t  a  X  i  s ,  die  S  c  h  e  n  k  ^)  bei  Bac.  prodigiosus  und  Staphyl.  pyo- 
genes  ( !)  beobachtete,  wenn  er  einen  erwärmten  Kupferdraht  in  einen 
hängenden  Tropfen  hineinbrachte,  muß  wohl  anders  gedeutet  werden. 
Im  übrigen  beeinflußt  die  Wärme  die  Beweglichkeit  ebenso  erheblich 
wie  das  Wachstum.  Zopf*)  fand  dabei,  daß  die  Bewegungen  eines 
Bac.  vemicofius  noch  bei  Temperaturen  (50®)  fortdauerten,  die  keine 
Vermehrung  mehr  erlaubten.  Nach  L  e  h  ma  n  n  und  F  r  i  e  d  ^) 
wird  die  „Kältestarre*'  besser  vertragen  als  die  „Wärmestarre".  Durch 
die  Schwerkraft  sollen  nach  Massart  ^)  einige  Spirillen  teils 
an  die  Oberfläche  gelockt,  teils  in  die  Tiefe  getrieben  werden  (vgl.  aber 
Aerotaxis  §  56).    Sehr  starker  Druck  lähmt  die  Beweglichkeit  von 


1)  Pflügere  Arch.  30,  1883,  und  46,  1888;  vgl.  auch  die  Bestätigung 
bei    Winogradsky    und    Moliisch    §  209. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  61.  68,   vgl.   §  45. 

3)  Zentr.  Bakt.  14,  1893. 

4)  Beitr.  Physiol.  u.  Morph,  nied.  Organism.  1892. 

5)  Arch.  f.  Hyg.  46,  1903.  Hier  und  bei  S  tri  gell  (Zentr.  Bakt. 
45. 298),  Angaben  über  Schnelligkeit  von  Bakterien,  die  aber  schlecht  über- 
Hnstimraen. 

6)  Bull.  Acc.  Roy.  de  Belg.,  1891. 


156  Kap.  IV,   !  47. 

Bakterien  (C  h  1  o  p  i  n  und  Tammann  §  44).  Durch  schwache 
Strömungen  sollen  Bakterien  nach  B  o  t  h  ^)  zur  Stromaufwärts- 
bewegung gereizt  werden  (B  h  e  o  t  a  x  i  s).  Die  Angaben  über  die 
Beeinflussung  der  Bewegungen  von  Pilzen  und  Bakterien  durch  .elek- 
trische Strahlen  (Hegler,  Steyer)  und  Ströme  {V e r - 
w  o  r  n  ^),  L  o  r  t  e  t  *))  lauten  nicht  übereinstimmend.  Tote  und 
lebende  Bakterien  werden  wie  anorganische  Pulver  nach  Bill*) 
vom  elektrischen  Strom  fortbewegt  und  zwar  in  der  oberen  Schicht  in 
wässerigen  Aufschwemmimgen  nach  dem  positiven  Pol,  in  der  unteren 
nach  dem  negativen;  in  Bouillon  soll  sich  die  Strömung  umkehren, 
in  1  prozentiger  Peptonlösimg  fehlen  oder  später  einsetzen. 

§  47.  Schädigung  durch  eigene  Stoffwech^elerzeugnisse. 
Selbstvergiftung.  Schon  lange  hat  man  beobachtet,  daß  das  Wachs- 
tum der  Kleinwesen  in  Reinkulturen  früher  oder  später  zum  Stillstand 
kommt,  daß  diesem  Stillstand  des  Wachstums  mehr  oder  weniger  schnell 
und  vollständig  das  Absterben  der  die  Kultur  zusammensetzenden 
Keime  folgt,  ja,  daß  schon  während  des  Wachstums  sehr  häufig  ein 
Teil  der  früher  gebildeten  Individuen  zugrunde  geht^)  {§  36  und  37).  Die 
Ursache  dafür  hat  man,  abgesehen  vom  Nahrungsmangel  in  den  Stoff- 
wechselerzeugnissen der  Mikroorganismen  gesucht.  So  sah  man,  daß 
die  alkoholische  Gärung  aufhörte,  wenn  12 — 14%  Alkohol  gebildet 
waren,  einerlei,  ob  noch  Zucker  in  der  Gärflüssigkeit  vorhanden  war 
oder  nicht.  Es  lag  nahe,  die  Konzentration  des  Alkohols  dafür  ver- 
antwortlich zu  machen.  Im  großen  und  ganzen  wurde  diese  Auffassung 
durch  die  Tatsache  bestätigt,  daß  Alkoholzusatz,  meist  allerdings  bei 
einem  etwas  höheren  Prozentsatz,  die  Entwicklung  der  Hefe  überhaupt 
aufhebt.  Die  einzelnen  Heferassen  sind  verschieden  empfänglich®), 
Mucor  racemosus  vergärt  den  Zucker  nur  bis  zu  3 — 4%,  Mucor  stolonifer 
nur  bis  1,3%.  Ähnlich  liegen  die  Dinge  bei  anderen  Gärungen,  und 
zwar  sind  es  hier  gewöhnlich  saure  Erzeugnisse,  die  hemmen,  z.  B. 
weiß  man,  daß  die  Milchsäure-  und  Essigbakterien  bei  einem  gewissen 
Gehalt  ihrer  Nährflüssigkeit  an  Milch-  oder  Essigsäure  aufhören  zu 
wachsen  {§  41);  bei  der  sogenannten  Buttersäuregärurig  sind  die  hem- 


1)  Deutsch,  med.  Woch.  1893,  15.  Die  Bewegungen,  die  Bakterien 
wie  unbelebte  feinste  Körperclien  im  Darm  entgegen  der  peristÄltischen 
Bewegung  nach  oben  einschlagen  (s.  Infektionslehre)  müssen  dagejjjen 
passiver  Art  sein. 

2)  Pflügers  Arch.  46,  1889. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  122.  892,  1896. 

4)  Zentr.  Bakt.   26,   1899. 

5)  Über  die  sichtbaren  Veränderungen  dabei  s.    §  3  u.   9. 

6)  Vgl.  Prior,    Zentr.  Bakt.,  2.  Abt..  1.  432. 


Emährungsbedingungen.  J  57 

menden  Stoffe  nicht  so  gut  bekannt,  erst  recht  nicht  bei  den  verwickelten 
Eiweißgärungen,  die  wir  als  Fäulnis  bezeichnen.  Unzweifelhaft  beteiligt 
sind  bei  der  letzteren  Stoffe,  die  die  Alkaleszenz  erhöhen  (§41),  zum 
Teil  Amine,  zum  größten  Teil  aber  wohl  Ammoniak  (Kap.  IX).  Auch 
dieHamstoffbakterien  stellen  ihre  Wucherung  ein,  wenn  sie  ein  gewisses, 
allerdings  je  nach  der  Art  sehr  ungleiches  Maß  von  Ammoniumkarbonat 
gebildet  haben  (§  195).  Bei  vielen  Mikroorganismen  sind  die  hemmenden 
Stoffwechselprodukte  verschieden,  je  nach  der  Zusammensetzung  des 
Nährbodens.  So  bilden  die  Typhus-,  Ruhr-,  Cholera-  und  gewöhnlichen 
Darmbakterien  in  Zuckerlösimgen  Säure,  in  zuckerfreien  Ammoniak. 
Die  Schimmelpilze  häufen  nach  N  i  k  i  t  i  n  s  k  y  i)  bei  Ernährung  mit 
anorganischen  Ammoniaksalzen  die  Säuren,  bei  Ernährung  mit  AlkaU- 
salzen  der  organischen  Säuren  die  Basen  an.  Daß  wirklich  sehr  gewöhn- 
lieh  von  der  Reaktion  die  Hemmung  des  Wachstums  ausseht, 
kann  nu«.  häufig  dadurch  beweisen,  daß  die  nachträgüche  AbstumpLg 
der  Säure  oder  des  Alkalis  die  Entwicklung  neu  belebt  oder  das  Vor- 
handensein säure-  und  alkalibindender  Stoffe  (kohlensaurer,  phosphor- 
saturer,  schwefelsaurer  Ealk)  von  vornherein  das  Wachstum  begünstigt. 
Doch  hat  auch  das  seine  Grenze:  trotzdem  hört  die  Entwicklimg  früher 
oder  später  auf.  Dann  müßte  man  entweder  an  Erschöpfung  des  Nähr- 
bodens, also  Entwicklungshemmung  durch  Nahrungsmangel  (§  37)  oder 
an  schädliche  Stoffwechselprodukte  anderer  Art  denken.  Sirotinin*) 
und  Bitter^)  fanden  in  Flügges  Laboratorium,  daß  in  den 
meisten  Fällen  die  Erschöpfung  der  Nahrung 
neben  der  Reaktion  eine  ausschlaggebende  Rolle 
spielt.  Zusatz  von  neuen  Nährstoffen  und  Neutralisierung  gab  daher 
den  alten  Kulturen  die  frühere  Nährfähigkeit  zurück.  Doch  haben  sich 
mehrfach  bei  den  Versuchen  dieser  und  anderer  Forscher  Anzeichen 
dafür  gefunden,  daß  besonders  von  einzelnen  Bakterienarten  außerdem 
noch  andere  wachstumshenmiende  Stoffe  gebildet  werden.  Von  vorn- 
herein scheint  Erschöpfung  des  Nährbodens  auszuschließen  bei  solchen 
Bakterien,  die  sehr  spärlich  wachsen  und  schnell  in  den  Kulturen  ab- 
sterben. Kruse  und  Pansini*)  schlössen  daher  aus  der  Tätsache, 
daß  Bouillonkulturen,  auf  denen  Pneumokokken  gewachsen  und  abge- 
storben waren,  nach  Herstellung  der  richtigen  Reaktion  imd  nach 
Impfong  mit  Pneumokokken  kein  neues  Wachstum  gestatteten,  auf 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  40,  1904. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4.  282;    vgl.    v.  Freudenreich,    Ann.    de 
micrographie  1889. 

3)  Über    bakterienfeindliche    Stoffe    in   Bakterienkulturen    usw.    — 
Habilitationsschrift  Breslau  1891. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  11.  320,  1891. 


158  Kap.  IV,   §  47. 

das  Vorhandensein  giftiger  Stoffe  in  diesen.    Welcher  Art  diese  waren, 
ließ  sich  nicht  sagen.  Im  vorliegenden  Fall  waren  sie  jedenfalls  k o  ch  - 
beständig.     Aus  dem  ebenfalls  festgestellten  Umstand,  daß  die 
Pneumokokken    auf   Agarröhrchen,    auf    deren   Oberfläche   sie  eben 
ausgewachsen  waren,  nach  Sterilisierung  bei  100^  regelmäßig  gut  ge- 
diehen,  hätte  man  femer  folgern  können,  daß  sich  diese  „Selbstgifte'' 
nur  in  älteren  Kulturen,  etwa  durch  Zerfall,  der  Kokken  gebildet  hätten. 
Ein  solcher  Zerfall  ist  gerade  in  älteren  Bouillonkulturen  sehr  deutlich 
(vgl.  Selbstverdauung  §  9).     Freilich  hätte  man  damit  wieder  keine 
Erklärung  für  die  Tatsache  gehabt,  daß  die  Pneumokokken  auch  auf  der 
Agarfläche  ebenso  schnell  wie  in  Bouillon  absterben,  also  doch  auch 
hier  einer  Vergiftung  zu  erUegen  scheinen.   Es  wäre  wichtig,  diese  Ver- 
hältnisse durch  neue  Versuche  zu  prüfen,  wir  selbst  haben  unsere  Er- 
gebnisse seinerzeit,  eingedenk  der  Schwierigkeiten,  die  das  Arbeiten  mit 
Pneumokokken  bietet,  nur  als  vorläufige  betrachtet.    Diese  Schwierig- 
keiten  bestehen    in   der   Empfindlichkeit   der  Pneumokokken   gegen 
Schwankungen  in  der  feineren  Zusammensetzung  der  Nährböden,  für 
die  wir  eine  genügende  Erklärung  noch  nicht  haben.    Warum  wachsen 
sie  z.  B.  in  der  einen  Fleischbouillon  trotz  sorgfältigster  Herstellung  der 
geeigneten  Reaktion  viel  schlechter  als  in  der  anderen  ?    Warum  bleibt 
oft  jedes  Wachstum  auf  den  gewöhnlichen  Nährböden  aus?    Ist  auch 
hier  das  Vorhandensein  von  „Giften"  d.  h.  irgendwelcher  schädlicher 
Stoffe  ^)  dafür  verantwortlich  zu  machen  oder  umgekehrt  das  zufällige 
Fehlen  unbekannter,  für  das  Wachstum  dieser  Bakterien  nötiger,  aber 
schon  in  kleiner  Menge  dazu  ausreichender  Nähr-  oder  Reizstoffe  (§55)? 
Würden  wir  das  letztere  annehmen,  so  könnten  wir  wieder  in  der  Er- 
schöpfung des  Nährbodens  an  diesen  lebenswichtigen  Stoffen  eine  Ur- 
sache der  Wachstumsbehinderung  in  alten  Kulturen  suchen.    Solange 
genaue  Versuche   über  die  Ernährungsphysiologie  der  Pneumokokken 
nicht  vorliegen,   können  wir  Bestimmtes  über  diese  Möglichkeit  nicht 
aussagen.   Vorläufig  möchten  wir  freilich  nach  den  Erfahrungen,  die  in 
dieser  Beziehimg  an  anderen  Bakterien,  z.  B.  den  mindestens  ebenso 
empfindUchen  Tuberkelbazillen  gemacht  worden  sind,  die  zweite  Hypo- 
these, die  mit  dem  Vorhandensein  von  Giften  in  nicht  angehenden  und 
absterbenden    Pneumokokkenkulturen   rechnet,    für    wahrscheinlicher 
halten.  Welcher  Natur  diese  seien,  bleibt  dabei,  hier  wie  in  anderen  Fällen, 
dunkel.    Gegen  die  schon  von  N  e  n  c  k  i  2)  geäußerte,  namentlich  aber 
von  Wernich^)  verfochtene  und  selbst  zur  Erklärung  der  erworbenen 


1)  Vgl.   über  das  Vorkommen  giftiger  Stoffe  in  pflanzlichen  Nähr- 
böden (Mehlauszügen)  Anm.  1  auf  Seite  166. 

2)  Joum.  prakt.  Chem.,  Mai  1879. 

3)  Virch.  Arch.  78. 


Emälirungsbedingungen.  159 

Immunität  (s.  u.)  herangezogene  Annahme,  daß  eine  Wachstumshem- 
mung duich  die  antiseptische  Wirkung  mancher  bei  der  Eiweißzersetzung 
(Fäuhus  §  168  ff.)  entstehenden  aromatischen  Stoffe  (Phenol,  Phenyl- 
essigsaure,  Hydrozimmtsäure,  Skatol,  Indol)  bewirkt  werden,  hat 
S  i  r  0 1  i  n  i  n  (a.  a.  0.)  mit  Becht  eingewendet,  daß  die  Konzentration 
dieser  Gifte  in  den  Faulflüssigkeiten  dazu  viel  zu  gering  sei.  Immerhin 
kommen  aromatische  Stoffe  wohl  als  Hemmungsstoffe  dort 
in  Betracht,  wo  sie  bei  der  Spaltung  der  Glykoside  (Helicin,  Arbutin) 
durch  Schimmelpilze  in  größerer  Menge  entstehen  (Nikitinsky,  §  155). 
Eine  neue  Auffassung  über  die  Natur  der  Selbstgifte  schien  zu- 
nächst angebahnt  zu  sein  durch  die  etwa  gleichzeitig  von  Gamaleia, 
Hahn  und  Geret,  Emmerich  und  Low  gemachte  Beob- 
achtung, daß  in  den  Leibern  auch  solcher  Mikroorganismen,  die  keine 
verdauenden  Enz3rme  ausscheiden,  derartige  Stoffe  (Endoenzyme, 
Nukleasen)  gebildet  werden  und  unter  Umständen  die  Leiber  selbst 
verdauen,  ihre  „Autolyse"  verursachen  können.  An  anderer  Stelle 
( §  6—9)  haben  wir  die  einzelnen,  in  dieser  Beziehung  bisher  festgestellten 
Tatsachen  erörtert  und  dabei  hervorgehoben,  daß,  abgesehen  von  dem 
sehr  berechtigten  Zweifel  an  der  enzymatischen  Natur  der  von  Em- 
merich und  Low  besonders  wirksam  gefundenen  „Pyocyanase" 
die  Hauptfrage  noch  unentschieden  ist,  wodurch  denn  die  Bedingungen 
für  die  Wirksamkeit  dieser  Fermente  gegenüber  den  sie  erzeugenden 
Mikroben  gegeben  wird.  Um  die  Selbstverdauimg  hervorzurufen,  be- 
dürfen sie  der  Mitwirkung  anderer  das  Leben  schädigender  Einflüsse, 
mögen  sie  nun  bestehen  in  künstlichen  physikalischen  oder  chemischen 
Eingriffen,  z.  B.  in  Erhitzung,  dem  Zusatz  von  Chloroform,  oder  sich 
unter  natürlichen  Bedingungen  in  den  Kulturen  selbst  entwickeln.  Man 
wird  also  entweder  wieder  zur  Annahme  von  Selbstgiften  greifen  oder 
den  Nahrungsmangel  für  das  Verschwinden  der  normalen  Henmiungen 
gegenüber  den  autolytischen  Fermenten  verantwortlich  machen  müssen. 
Neuere  Unteruchungen  der  Frage  schlössen  sich  an  die  Behauptung 
von  E  i  j  k  m  a  n^)  und  die  viel  weitergehenden  von  C  o  n  r  a  d  i  und 
Kurpjuweit^),  daß  in  Gelatine  und  Agarkulturen  von  Koli-  und 
anderen  Bakterien,  nach  den  letzteren  auch  in  Bouillonkulturen  hitze- 
empfindliche, wachstumshemmende  Stoffe  (Autotoxine)  nachweisbar 
seien,  und  daß  diese  z.  B.  das  massenhafte  Zugrundegehen  der  Bakterien 
im  Dickdarm  bzw.  Kot  verursachen.    Eolly^),  Passini*),  öbius^) 

1)  Zentr.  Bakt.  37,  1904;  41,  1906;  Deutsche   med.  Woch.  1907.  7. 

2)  Münch.  med.  Woch.  1905,  1861,  2164  und  2228. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.  1906,  43. 

4)  Wien.  klin.  Woch.  1906,  21. 

5)  Mediz.  Klin.  1906,  23. 


1 60  Kap.  IV,   §  47  u.  48. 

und  namentich  M anteuf  eP)  haben  daran  aber  eine  sehr  berechtigte 
Kritik  geübt  und  in  den  genannten  Fällen  das  beobachtete  Absterben 
bzw.  die  Entwicklungshemmung  der  Bakterien  im  wesentlichen  teils 
durch  Versuchsfehler,  teils  durch  Nahrungsmangel  erklärt.  In  nicht 
veröffentlichten  Untersuchungen,  die  ich  mit  David  an  Ruhr- 
bazillen anstellte  (vgl.  §  36  und  37),  kam  ich,  obwohl  ich  ursprünglich 
der  Annahme  von  Selbstgiften  nicht  abgeneigt  war,  zu  einem  ähnlichen 
Ergebnis.  Bemlinger  imd  Nouri^)  wollen  ebenso  wenig  von  spezi- 
fischen Hemmungsstoffen  bei  den  von  ihnen  untersuchten  Bakterien 
wissen  (§  48).  Das  schließt  aber  meines  Erachtens  nicht  aus,  daß  in 
anderen  Fällen  derartige  Stoffe  doch  gebildet  werden.  Zu  den  älteren 
Arbeiten  (s.  o.),  die  dafür  sprechen,  sind  neuerdings  noch  die  von 
Rahn*)  und  Faltin*)  hinzugekommen^).  Immerhin  haben  sie  wohl 
gegenüber  dem  Nahrungsmangel  und  den  bekannten  Stoffwechsel- 
erzeugnissen nur  eine  nebensächliche  Bedeutung.  Vielleicht  ent- 
stehen sie,  bzw.  werden  sie  frei  bei  der  Selbst- 
verdauung und  tragen  ihrerseits  wieder  dazu 
bei, daß  diese  weiter  um  sich  greift.  Den  Vorgang  des 
Absterbens  in  den  Kulturen  könnten  wir  uns  dann  etwa  in  der  Weise 
vorstellen,  daß  zunächst  einzelne  anspruchsvollere  imd  empfindlichere 
Individuen  ihr  Wachstum  wegen  Nahrungsmangels  und  Anhäufung 
von  Stoffwechselerzeugnissen  einstellen,  der  Selbstverdauung  verfallen, 
durch  die  dabei  entwickelten  Selbstgifte  wieder  andere  Individuen  in 
der  Entwicklung  hemmen  und  so  fort.  Ob  diese  Selbstgifte  auch  sonst 
mit  Lipoiden  etwas  zu  tun  haben,  wie  es  nach  den  bei  der  Pyocyanase 
gemachten  Erfahrungen  zu  sein  scheint  (§  7  und  8),  wird  man  abwarten 
müssen  ®). 

§  48.  Schädigung  durch  fremde  Stoffwechselerzeugnisse. 
Antibiose.  Die  eigenen  Stoffe  und  Gifte  sind  es  aber  nicht  allein, 
welche  die  Mikroorganismen  schädigen,  sondern  auch  die  fremden. 
Es  ist  eine  der  allgemeinsten  Erfahrungen,  daß  zwei  oder  mehrere 
Mikroben,  die  nebeneinander  einen  Nährboden 
bevölkern,  sich  nicht  unbeeinflußt  lassen,  son- 


1)  Deutsche  med.  Woch.  1906,  11  und  Zeitschr.  f.  Hyg.  57,  1907. 

2)  Soc.  biol.  24.  X,  1908. 

3)  Zentr.  Bakt.,  2.  Abt.,  16. 

4)  Zentr.  Bakt.  1.  Abt.,  46,  1908. 

5)  Vgl.  §  48. 

6)  Neuerdings  haben  Delbrück  und  seine  Mitarbeiter  (Zentr. 
Bakt.  2.  Abt.,  22,  116)  aus  Brennereihefe  durch  Ausziehen  mit  schwefel- 
säurehaltigeni  destilliertem  Wasser  ein  für  Bierhefe  giftiges  „Eiweiß"  dar- 
gestellt, das  ebenso  gewonnenen  Stoffen  in  manchen  Mehlauszügen  (s.  u. 
Anm.  1  auf  S.  166)  ähnelt. 


Emährungsbedingungen.  1 6 1 

derndaß  früher  oder  später  die  eine  die  andere 
überwuchert  und  schließlich  unterdrückt.  Ein 
einfache  Erklärung  für  diesen  „Antagonismus"  (de  B  a  r  y  ^),  „Anti- 
biose"  W  a  r  d  ^))  liegt  auf  der  Hand,  wenn  die  einzelnen  Arten  von 
Kleinwesen  zwar  ähnliche  Ansprüche  an  die  Nährstoffe  stellen,  aber 
sonst,  z.  B.  was  Reaktion,  Sauerstoffzutritt,  Temperatur  betrifft, 
ungleiche  Wachstumsbedingungen  haben  oder  überhaupt  in  ihrer  Wachs- 
tumsgeschwindigkeit voneinander  abweichen:  diejenige  Art,  welche 
die  günstigsten  Verhältnisse  vorfindet,  wird  dann  den  Sieg  davon- 
tragen, weil  sie  schneller  wächst  und  die  Nährstoffe  verbraucht,  ehe  ihr 
^Wettbewerber"  sich  zur  Entwicklung  anschickt.  So  kommt  es  z.  B. 
gewöhnlich  in  den  sauren  Nährböden,  wenn  Pilze  und  Bakterien  mit- 
einander streiten,  zum  Unterliegen  und  umgekehrt  in  alkalischen  Böden 
zum  Obsiegen  der  Bakterien  (§41).  So  werden  bei  reichlichem  Luft- 
zutritt in  einer  vergärbaren  Flüssigkeit  Schimmelpilze  und  aerobe 
Bakterien  die  Hefenpilze  überwuchern,  bei  einem  völligen  oder  teilweisen 
Mangel  an  Sauerstoff  die  Hefe  und  anaerobe  Bakterien  die  Oberhand 
gewinnen.  So  werden  ferner  in  den  üblichen  Nährböden  die  langsam 
wachsenden  Pest-,  Diphtherie-  und  Tuberkelbazillen  von  den  schneller 
wachsenden  Saprophyten,  Eitererregem  usw.  überflügelt  und  unter- 
drückt. Greringe  Verschiedenheiten  der  Wachstumskraft  können  allen- 
falls durch  verhältnismäßig  größere  Einsaat  der  langsamer  wachsenden 
-Vrt  ausgeglichen  werden.  Je  nach  der  Beschaffenheit  der  Nährböden 
sind  dabei  die  Ergebnisse  durchaus  verschieden.  So  ist  der  Diphtherie- 
bazillus eher  siegreich  in  Löfflerschem  Blutserum,  der  Pestbazillus  auf 
Gelatineplatten,  Gono-  und  Meningokokken  auf  Blutserum-,  Influenza- 
bazillen auf  Blutnährbeden.  In  diesen  Beispielen  handelt  es  sich  gewisser- 
maßen um  einen  ehrlichen  Kampf,  um  einen  Wettlauf,  bei  dem  der 
schnellste  gewinnt.  Ein  Kampf  mit  vergifteten  Waffen  beginnt  aber, 
wenn  die  Mikroorganismen  im  Stoff  Wechsel  Substanzen  erzeugen,  die  den 
(^legner  schädigen.  Es  sind  das  sicher  größtenteils  dieselben,  deren  nach- 
teilige Wirkung  auf  ihre  eigenen  Erzeuger  wir  §  47  besprochen  haben, 
also  Alkohol,  Säuren,  Alkalien  und  die  chemisch  noch  nicht  näher  be- 
stimmten Selbstgifte.  Bezeichnend  ist  aber,  daß  diese  Stoffeder 
Regel  nach  viel  wirksamer  die  Mitbewerber  be- 
einflussen, als  ihre  eigenen  Erzeuger.  Außer  der  Hefe 
gibt  es  wenige  Mikroorganismen,  die  den  Alkohol,  außer  den  Essigbak- 
terien wenige,  die  die  Essigsäure,  außer  den  Milch-  und  Buttersäure - 


1)  Die  Erscheinungen  der  Symbiose.  Straßburg  1879. 

2)  Annais  of  botany  13.  549,  1899.    Nach  B  e  n  e  c  k  e  (Lafars  Handb. 
d.  t€chn.  Mykol.  1.  501,  1906. 

K  r  0  •  e ,  Mikrobiologie.  1 1 


162  Kap.  IV,   §  48. 

bakterien  wenige,  die  diese  Säuren  in  solclier  Menge  vertragen.  Da- 
durch schaffen  sich  die  genannten  Keime  also  den  Wettbewerb  anderer, 
wie  auch  die  Beobachtung  bestätigt,  mit  Erfolg  vom  Halse.  Natürlich 
kommt  es  auch  hier  wieder  auf  das  Mengenverhältnis  der  miteinander 
streitenden  Kleinwesen  an:  allzu  erhebliche  Verunreinigungen  mit 
fremden  Bakterien  vermögen  die  genannten  Gärungserreger  also  nicht 
auszuschalten.  Auch  von  den  übrigen  Selbstgiften  geben  Sirotinin 
und  Bitter  (S.  167)  an,  daß  sie  manchmal  gerade  auf  andere  Keim- 
arten kräftiger  wirken.  So  hatte  das  Filtrat  der  Pyocyaneuskultur, 
nachdem  es  neutralisiert  und  durch  Zufügen  von  Nährstoffen  aufge- 
frischt war,  viel  stärkere  entwicklungshemmende  Eigenschaften  für 
Milzbrandbazillen,  Staphylokokken  usw.,  als  für  den  Pyocyaneus 
selbst^).  Vom  teleologischen  Standpunkte  aus  hat  man  also  ein  Recht, 
manche  St  off  we  chselerzeugnisse  der  Mikroorga- 
nismen als  Waffen  im  Kampfe  ums  Dasein  zu  be- 
trachten. Ob  freilich  Wortmann  ^)  im  Recht  ist,  wenn  er  die 
stammesgeschichtliche  Entwicklung  der  Gärung  auf  diesem  Wege  vor 
sich  gehen  läßt,  ist  eine  andere  Frage.  In  jedem  Falle  sind  die  anta- 
gonistischen Einwirkungen  der  Mikroorganismen  aufeinander  von 
großer  Bedeutung  für  ihr  Leben  im  toten  Nährboden  und  für  die  Para- 
siten unter  ihnen  wahrscheinlich  auch  im  lebenden  Körper  (s.  u.  §  51). 

Die  Absonderung  von  schädlichen  Stoff  Wechselprodukten  läßt  sich 
auf  verschiedene  Art  beweisen.  Entweder  sterilisiert  man  Reinkulturen 
der  zu  untersuchenden  Keime,  z.  B.  durch  Hitze,  CJhlorofomi,  und  dgl.  — 
die  letztere  Art  ist  die  schonendere  —  oder  entfernt  aus  ihnen  die  lebenden 
Bakterien  durch  Filtration  (Porzellan,  Kieselgur),  Abkratzen  der  Ober- 
fläche der  Kultur,  Absetzenlassen  oder  Ausschleudern  der  Flüssigkeit  — 
wegen  des  Zurückbleibens  von  Stoffen  in  den  Filtern  vorzuziehen  und  zur 
sicheren  Storilisierung  mit  Chloroformzusatz  zu  verbinden  —  und  prüft 
dann  ihre  Nährfähigkeit  für  gleiche  und  andere  Mikroorganismen,  indem 
man  sie,  nach  Herstellung  der  passenden  Reaktion  mit  oder  ohne  Zusatz 
von  frischen  Nährstoffen  beimpft.  Oder  man  impft  die  miteinander  zu  ver- 
gleichenden Bakterien,  wenn  sie  sich  durch  ihre  Gestalt  oder  Koloniefonn 
oder  auf  andere  Weise  (Agglutination  mit  spezifischem  Serum)  leicht  trennen 
lassen,  gleichzeitig  oder  nacheinander  auf  flüssige  Nährböden  und  stellt  — 
wenn  möglich  durch  Zähliuig  —  das  Fortkommen  der  einzelnen  Arten  fest. 
Auf  festen  Nährböden  kann  man  auch  die  Diffusionsfähigkeit  der  Bakterien- 
erzeugnisse benutzen,  lun  deren  Schädlichkeit  zu  beweisen,  indem  man  die 
Impfungen  neben-  oder  mit  Eijkman  (S.  159)  übereinander  vornimmt 


1)  F  a  1 1  i  n  (Zentr.  Bakt.  46.  1—3,  1908)  sah  freilich  in  seinen  Ver- 
suchen mit  Streptokokken,  Kolibazillen,  Pyocyaneus  u.  a.  bald  die  eigene, 
bald  die  fremde  Art  kräftiger  gehemmt. 

2)  Berichte,  K.  Lehranstalt  Geisenheim  f.  1900—1901,  S.  92  (bei 
Benocke  in  Lafars  Handb.  1.  331),  vgl.  über  „Kampf enzyme"  auch 
Delbrück   in  Woch.  Brauerei  1903,  269. 


Emährungsbedingungen.  163 

und  nun  das  Wachstum  verfolgt.  Dabei  muß  freilich  berücksichtigt  werden, 
daß  die  Keime  nicht  bloß  schädliche  Stoffe  an  ihre  Nachbarschaft  abgeben, 
sondern,  auch  Nährstoffe  aus  ihr  anziehen  können.  Umfangreiche  Versuche 
über  Wettbewerb  von  Keimen  hat  zuerst  G  a  r  r  ö  *)  in  dieser  Weise  angestellt 
und  gefunden,  daß  der  Bac.  fluorescens  putidus  die  Entwicklung  des  Typhus- 
bazillus, Staphylococcus  pyogenus,  Fneumoniebazillus,  der  Rosahefe  u.  a. 
hemmt,  während  er  wenig  oder  keinen  Einfluß  auf  das  Choleraspirillum, 
den  Vibrio  Finkler-Prior,  die  'Bac.  anthracis  und  mycoides  hat.  Umgekehrt 
ist  der  Typhusbazillus  auch  Antagonist  des  B.  fluorescens,  nach  P  a  v  o  n  e') 
auch  der  Milzbrandbazillen.  Oft  beobachtet  wurde  die  Überwucherung  der 
Milzbrandbazillen  durch  Staphylokokken.  Besonders  kräftig  fand  v.  F  r  e  u  - 
denreich')  die  henunende  Wirkung  der  Stoff  Wechselprodukte  von  Bac. 
PJ'ocyaneus,  Bac.  phosphorescens,  cyanogenus,  prodigiosus  und  Spiril. 
cholerae,  während  die  der  Typhus-,  Milzbrand-,  Hiihnercholerabazillen  und 
Denekes  Spirillen  geringe  Wirkung  zeigten.  Der  Bac.  pyogenes  foetidus 
(coli  ?)  erwies  sich  schädlich  nur  einzelnen  Bakterien  (Cholera,  Tetragenus). 
\>rhältnismäßig  wenig  empfindlich  waren  gegenüber  den  Stoffen  anderer 
Bakterien  der  Milzbrandbazillus,  Pyocyaneus,  Prodigiosus  und  andere  Sapro- 
phyten,  sehr  empfindlich  der  Rotz-,  Hühnercholera-,  Typhusbazillus  und 
Micr.  tetragenus.  Sirotinin  (S.  167)  studierte  den  Bac.  fluorescens 
liquefaciens,  Indiens,  der  Milchsämre,  der  Cholera,  des  Milzbrands  und  des 
Tj-phus,  Kitasato^)  die  Cholerabakterien,  Bitter  (S.  157)  den 
P>'ocyaneus  und  Schweinerotlauf bazillus,  Olitzky*)  den  Bac.  fluores- 
eens  liquefaciens,  Gabritschewsky  und  Maljutin*)  und 
Kempner')  wieder  den  Cholerabazillus  in  ihrem  Verhältnis  zu  anderen 
Mikroben.  Auf  Einzelheiten  gehen  wir  weiter  nicht  ein,  zumal  da  die  Angaben 
der  Forscher  sich  öfters  widersprechen.  Auch  in  den  umfangreichen  Ver- 
i^uchen,  in  Flaschen  oder  „künstlichen  Harnblasen"  (sich  periodisch  leeren- 
den Flaschen),  durch  die  F  a  1 1  i  n  (s.  o.)  den  oft  in  den  lebenden  Ham- 
wegen  stattfindenden  Bedcterienwechsel  zu  erklären  suchte,  ergaben  teil- 
weise entgegengesetzte  Befunde.  Im  allgemeinen  entschied  freilich  das 
Mengenverhältnis  darüber,  ob  die  Staphylokokken  durch  Kolibazillen  oder 
die  Kolibazillen  diurch  Staphylokokken  überwuchert  wurden.  In  den  künst- 
lichen Blasen  konnte  aber  eine  kleine  Anzahl  von  Kolibazillen  große  Staphylo- 
kokkenmengen  verdrängen.  Andere  Bakterien  waren  zu  solcher  Leistung 
nicht  imstande,  auch  wenn  sie  in  den  Fltischenversuchen  sich  wirksam  er- 
wiesen. Nach  dem  Verfasser  kommen  für  das  Ergebnis  neben  der  Menge 
und  der  ungleichen  Wachstumsgeschwindigkeit  noch  die  „hotero-antagonisti- 
öchen"  Wirkungen  von  Stoffwechselerzeugnissen  in  Betracht,  die  er  mit  den 
Misoantagonistischen"  Selbstgiften  (§47)  identifiziert. 

Als  sehr  wirksam  nicht  nur  gegen  die  eigenen,  sondern  auch  gegen 
fremde  Bazillen  haben  sich  in  den  Versuchen  vieler  Forscher  besonders  in 
konzentriertem. Zustande  als  sogenannte   Pyocyanase  (Emmerich 


1)  Korresp.  Schweizer  Ärzte  1887. 

2)  Baimag.  Jahresber.  1887,  406. 

3)  Ann.  Pasteur  1888  und  Ann.  de  micrographie  1889. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  6. 

5)  Baumgartens  Jahresber.  1892,  473. 

6)  Zentr.  Bakt.  13.  780. 

7)  Ebenda  17. 

11* 


164  Kap.  IV,   §  48  u.  49. 

und  Low,   §  7)  die  von  dem  Bac.  pyocyaneus  gebildeten  eigentüanlichen 
Stoffwechselprodnkte  erwiesen. 

Sehr  kräftig  wirkt  auch  der  von  L  o  d  e^)  beschriebene  Micrococcas 
antagonisticus,  der  das  Wachstum  aller  möglichen  Bakterien  hindert.  Das 
Filtrat  seiner  Kultur  ist  wirksam  auch  nach  Neutralisierimg;  Kochtempe- 
ratur zerstört  es  aber.  Die  neuerdings  vielfach  im  großen  hergestellten  keim- 
freien Hefepräparate  entfalten  nach  Ledermann  und  Klopstock*) 
ein  energisches  bakterizides  Vermögen  gegenüber  Staphylokokken,  Typhus- 
und  Kohbazillen,  während  lebende  Hefe  in  Mischkulturen  nach  N  o  b  ^- 
c  o  u  r  t  •)  Bakterien  allerart  ziemlich  schwach  beeinflußt.  Der  Konkur- 
renzkampf der  Hefearten  und  -rassen  sowie  der  Hefen  und  Bakterien  unter- 
einander ist  viel  studiert  worden,  weil  er  für  die  Praxis  der  Gärungsgewerbe 
große  Bedeutung  hat  (s.  Krankheiten  des  Bieres  und  Weines  §  94  und  95). 
Von  dem  Mengenverhältnis,  in  dem  die  konkurrierenden  Arten  bei  der  Ein- 
saat zueinander  stehen,  von  der  Temperatur,  aber  auch  von  der  Dauer  des 
Kultur  Versuchs  hängt  der  schließliche  Erfolg  ab  (vgl.    S  y  r  ^  e  *)). 

Über  gegenseitige  schädliche  Beeinflussung  von  Schimmelpilzen  be- 
richten Reinhardt*)  und  W  e  h  m  e  r  •).  Nach  letzterem  ist  schon 
eine  Spore  des  Penicillium  lutemn  imstande,  auf  Citromycesrasen  zur  Ent- 
wickliuig  zu  konunen  und  sich  unter  Abtötung  des  Citromyces  auszubreiten. 
Wir  haben  damit  Zustände,  die  an  Parasitismus  erinnern,  weil  hier  die  Er- 
nährung des  zweiten  Mikroben  auf  Kosten  der  Leibessubstanz  des  ersten 
zu  erfolgen  scheint.  Das  Auftreten  von  verunreinigenden  Kolonien  auf 
oberflächlichen  Bakterienkulturen  gehört  vielleicht  ebenfalls  hierher  (vgl. 
aber  §  60). 

Schon  früh  hat  man  Beobachtungen  gemacht,  die  dafür  sprechen, 
daß  der  Antagonismus  auch  bei  Parasiten  eine  Rolle  spielt,  indem  ein 
Infektionserreger  oder  ein  harmloser  Parasit  den  smderen  verdrängen 
kann.  Ja,  man  hat  daraus  in  den  Versuchen  mit  der  sogenannten 
„Bakteriotherapie"  die  praktischen  Schlußfolgerungen  gezogen.  Die  auch 
im  Reagenzglas  erprobten  eben  erwähnten  Pyocyanase-  und  Hefepräparate, 
ferner  die  durch  ihre  kräftige  Säurebildung  ausgezeichneten  Yoglnu-t- 
bazillen  (Bac.  bulgaricus,  §  97)  stehen  dabei  an  erster  Stelle.  Näheres 
darüber  in  der  Infektions-  und  Immunitätslehre. 

VTas  die  Natur  der  hemmenden  Stoffe  angeht,  so  kommen  außer 
den  bekannten  Stoffwechselerzeugnissen  im  engeren  Sinne  sicher  auch 
wohl  noch  andere  nicht  näher  bekannte  in  Betracht,  die  vielleicht  zu 
den  in  §  47  behandelten  Selbstgiften  in  nächster  Beziehimg  stehen. 
Insbesondere  sind  die  Erfahrungen  von  L  o  d  e  ,  Emmerich  und 
Low,  Faltin  dafür  beweisend.  Hierher  gehören  auch  die  Stoffe  der 
(S.  160,  Anm.  6)  erwähnten  Brennereihefe,  und  die  eben  besprochenen 
Hefepräparate.      Die  ersteren  werden  zu  den  Eiweißkörpern  gestellt, 


1)  Zentr.  Bakt.  33,   1903. 

2)  Ebenda  Ref.  32.  21. 

3)  Soc.  biol.   1900,  751. 

4)  Zentr.  Bakt.,  2,  Abt.,  5. 

5)  Jahrb.  wiss.  Bot.  23,  1891. 

6)  Beitr.  z.  Kenntn.  einh.  Pilze  1893,   1. 


Emahningsbedingungeil.  '  165 

die  letzteren  zu  den  Fetten  (vgl.  Cerolin,  S.  73).  Der  wirksame  Stoff 
in  der  Pyocyanase  scheint  ebenfalls  ein  Lipoid  zu  sein  (§8).  Bei  gewissen 
Versaclisanordnungen  wird  man  aber,  wie  gesagt,  daran  denken  müssen, 
daS  die  Beeinträchtigung  hauptsächlich  oder  wenigstens  zum  Teil  durch 
Erschöpfung  der  Nährstoffe  seitens  der  antagonistischen  Mikroben  her- 
vorgerufen wird.  Daraus  erklären  sich  denn  auch  die  Beobachtungen, 
die  Remlinger  und  Nouri  (S.  160)  machten,  wenn  sie  „vak- 
zinierten Agar",  d.  h.  eine  Agarfläche,  auf  der  schon  vorher  andere 
Bakterien  5  Tage  lang  gewachsen  waren,  nach  Entfernung  der  älteren 
Rasen  neu  beimpften.  Am  kräftigsten  hinderte  der  Pyocyaneus,  fast 
ebenso  der  Prodigiosus,  dann  Cholera-  und  Wasservibrionen  das  spätere 
Wachstum  aller  anderen  Bakterien.  Auf  letzteren  wuchsen  z.  B.  nur 
Pvocyaneus  und  Prodigiosus.  Am  wenigsten  oder  gar  nicht  beein- 
flußten Rotz-  imd  Diphtheriebazillen  die  spätere  Einsaat;  auf  dem 
Diphtherieagar  versagten  nur  Botzbazillen.  Immer  wuchsen 
diejenigen  Arten  am  besten  auf  schon  benutzten 
Nährböden,  die  am  besten  vakzinierten.  Von 
einer  spezifischen  Wirkung  wäre  danach  keine  Rede,  sondern  die  Fähig- 
keit, möglichst  reichliche  Nährstoffe  an  sich  zu  reißen,  entschiede  über 
das  Hemmungsvermögen. 

§  49.  Förderung  durch  eigene  Stoffwechselerzeugnisse. 
Autobiose«  Während  der  Regel  nach  die  eigenen  Stoffwechselprodukte 
der  Mikroben  auf  ihr  weiteres  Wachstum  schädlich  wirken,  gibt  es  auch 
Fälle,  wo  sie  einen  entgegengesetzten,  also  förderlichen  Einfluß  ent- 
falten, wo  man  also  von  „Autobiose"  sprechen  könnte.  Büchner^) 
erwähnt  z.  B.  von  Cholerabazillen,  daß  sie  in  sterilisierten  Kulturen, 
die  schon  zu  ihrem  Wachstum  gedient  haben,  C  a  r  n  o  t  *),  von  Tuber- 
kelbazillen, daß  sie  auf  Nährböden,  mit  Tuberkulinzusatz,  üppiger  ge- 
deihen. Nikitinsky')  geht  in  einer  seiner  Arbeiten  über  Asper- 
^lus  niger,  Penicillium  glaucum  usw.  sogar  noch  weiter  und  behauptet, 
daß  ganz  allgemein  diese  Pilze  besser  in  ihren  eigenen  Stoffwechsel- 
produkten wachsen,  vorausgesetzt,  daß  für  Ersatz  der  verbrauchten 
Nährstoffe  gesorgt  und  Anhäufung  von  Säuren,  Alkalien  und  giftigen, 
2.  B.  aromatischen  Spaltungsprodukten  vermieden  werde.  Das  wider- 
spricht denn  doch  den  meisten  übrigen  Erfahnmgen*)  zu  sehr,  um  ohne 


1)  Münch.  ärztl.  Intelligenzbl.  1885.  50  (nach  Gotschlich  in 
Kolle-Wassermanns  Handb.   1,   122). 

2)  Baumg.  Jahrb.  1898,  473. 

3)  Jahrb.  wiss.  Bot.  40,  1904. 

4)  T  h  i  b  a  u  t .  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  1902,  20,  findet  bei  der  Hefe 
aWerdingB  nicht  regelmäßig  ähnUche  Verhältnisse.  Über  Selbstverdauung 
iif  mmende  Körper  vgl.  Iwanoff,    §92. 


166  Kap.  IV,  §  49. 

gründliche  Nachprüfung  angenommen,  namentlich  auch  auf  die  Ver- 
hältnisse der  Bakterien  ausgedehnt  zu  werden.  Bei  den  letzteren  be- 
obachtet man  unseres  Erachtens  nur  dann  regelmäßig  eine,  außerdem 
zeitlich  beschränkte,  Begünstigung  durch  vorhergehendes  Wachstum 
oder  besser  gesagt  durch  Einbringen  von  Kulturerzeugnissen  in  denselben 
Nährboden,  wenn  dieser  vorher  gewisse  hemmende 
Wirkungen  entfaltet,  die  auf  dem  Vorhandensein  von 
Wachstumsgiften^),  einschl.  der  sog.  Desinfizientien  (Antiseptika)  in  den 
toten  Nährböden  oder  „Alexinen"  im  Blutserum  und  lebenden  Körper 
(vgl.  §  51)  beruhen.  Wie  der  Zusatz  von  Kulturpro- 
dukten, wirkt  die  Einsaat  großer  Mengen.  Daß 
dem  so  ist,  hat  man  schon  früher  bei  Desinfektionsversuchen  und 
Alexinprüfungen  oft  beobachtet,  und  die  Erklärung  dafür  liegt  allem 
Anschein  nach  darin,  daß  das  desinfizierende  Mittel  wie 
das  Alexin  von  den  Leibesbestandteilen  oder 
den  Absonderungen  der  Mikroben  absorbiert, 
bzw.  neutralisiert  wird.  Im  Falle  der  Alexine  haben  wir  uns 
daran  gewöhnt,  von  „Aggressinen"  oder  Angriffsstoffen  der 
Bakterien  zu  sprechen,  ohne  freilich  einen  bestimmten  chemischen 
Begriff  damit  verbinden  zu  können.  Die  Berechtigung  dazu  schöpfen 
wir  hauptsächlich  daraus,  daß  eine  und  dieselbe  Bakterienart  gegen- 
über den  Alexinen  ungleiche  Widerstandsfähigkeit  besitzen  kann,  daß 
dieselbe  mit  einem  größeren  oder  geringeren  Gehalt  von  Aggressinen 
verbunden  ist  und  daß  schließlich  eine  gewisse  Spezifität  der  Aggressine 
besteht  (Kap.  XVII). 

Die  Aggressine  mit  den  Kulturstoffen,  welche  die  übrigen  Wachs- 
tumsgifte neutralisieren,  einfach  zu  identifizieren,  geht  nicht  an,  da 
Aggressivität  und  Widerstandsfähigkeit  gegen  Desinfizientien  ge- 
wöhnlich nicht  miteinander  parallel  gehen.  Über  ihre  chemische  Natur 
wissen  wir  ebenfalls  noch  fast  gar  nichts;  sie  einfach  den  Eiweißkörpem 
zuzurechnen,  weil  auch  die  letzteren  imstande  sind,  den  Mikroben  in 
gewissen  Grenzen  Schutz  vor  den  Desinfektionsmitteln  zu  verleihen, 
ist  wohl  nicht  erlaubt.  Die  ganze  Frage  verdiente,  im  Zusanmienhang 
mit  derjenigen  nach  der  Widerstandsfähigkeit  der  Mi- 
kroben gegen  die  Desinfektionsmittel  genauer  be- 
handelt zu  werden.  Ob  übrigens  die  Neutralisierbarkeit  der  absichtlich 
dem  Nährboden  zugesetzten  und  in  ihrer  chemischen  Natur  bekannten 
Antiseptica   durch    Bakterienstoffe    und   die   vielfach   nachgewiesene 


1 )  Dahin  gehören  z.B.  eigentümhche  Hemmungen  in  unserer  gewöhn- 
Hchen  Nährbomllon,  die  namentlich  bei  Züchtung  empfindlicher  Bakterien 
(z.  B.  Pneumokokken,  Tuberkelbazillen  S.  158)  hervortreten,  und  die  an- 


EmähningBbedingungeii.  167 

Möglichkeit,  die  ihrer  Natur  nach  unbekannten  Wachstumsgifte  in 
vielen  Nährboden  durch  reichliche  Einsaat  zu  beseitigen,  auf  ähnlicher 
Grundlage  beruht,  wäre  ebenfalls  noch  festzustellen. 

Man  hat  freilich  versucht,  die  letztgenannten  alltäglichen  Beob- 
achtungen auf  andere  Weise  zu  erklären,  indem  man  entweder  annahm, 
mit  den  größeren  Bakterienmengen  übertrüge  man  nur  gewisse  für  das 
Wach8tam  nötige  Nähratoffe  oder  zum  Wachstom  anregende  Reiz- 
Stoffe  (§  55),  oder  unter  der  großen  Zahl  von  verimpften  Keimen  be- 
fänden sich  auch  einige  Exemplare,  die  befähigt  wären,  allein  für  sich 
die  Wachstumswiderstände  zu  überwinden.  Vorläufig  ist  es  mis  aber 
wahrscheinlicher,  daß  hier  in  erster  Linie  eine  antidesinfizierende, 
giftneutralisierende  Fähigkeit  der  Bakterienstoffe  und  Leiber  als  Ur- 
sache der  Wachstumsbegünstigung  in  Frage  kommt,  denn,  wenn  man 
dieselbe  Bakterienmenge  auf  größere  Mengen  des  Nährbodens  verteilt, 
bekommt  man  kein  Wachstum.  Selbst  in  künstUch  zusammengesetzten 
ganz  einfachen  Nährlösimgen  kann  sich  ein  hemmender  Einfluß  be- 
merkbar machen,  weil  das  Lösungsmittel  (destilliertes  Wasser),  die 
Nährsalze  oder  die  Kulturgefäße  imter  Umständen  Spuren  von  giftigen 
Beimengungen  enthalten  (F  i  c  k  e  r).  So  haben  wir  wohl  nicht  nötig, 
die  von  Wildier^)  gemachte  und  von  A  m  a  n  d  ^)  bestätigte  Beob- 
achtimg, nach  der  Hefe  in  Nährlösungen  mit  Ammoniaksalz  als  Stick- 
stoffquelle nur  gedeiht,  wenn  man  große  Mengen  einimpft,  durch  die 
Miteinimpfung  eines  besonderen,  „Bios"'  genannten  stickstoffhaltigen 
Nährmittels  in  der  Hefe  zu  erklären  ^). 

Zweifelhaft  ist  es  zunächst,  wie  wir  die  Entstehung  der  sogenannten 
,,sekundären  Kolonien'*  erklären  sollen,  die  Germano  imd  Maurea^), 


sclieinend  durch  langes  Stehen  oder  häufiges  Sterilisieren  verstärkt  werden. 
Neuerdings  hat  man  auch  inPflanzenstoffen,  z.B.  Getreidemehlen,  namentlich 
Weizenkleber,  eiweißartige  Gifte  nachgewiesen  (Lange,  ref .  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.,  21.  88,  H  a  y  d  u  c  k  ebenda).  Auch  die  sogenannte  Bodenmüdig- 
keit  führt  man  auf  Giftwirkungen  zurück  (H  i  1 1  n  e  r).  Die  Gifte  sollen 
sich  durch  Kalk-  oder  Magnesiumsalze  neutralisieren  lassen. 

1)  CeUule  18.  313,  1901;    Kochs    Jahresber.  1901,  133. 

2)  Cellule  20.  225,  1902. 

3)  Vgl.  die  Kritik  von  Windisch  und  Henry  in  Kochs  Jalires- 
bericht  1902,  247  ff.  Eine  ähnliche  begünstigende  Wirkung  wie  die  eigenen 
konnten  auch  fremde  Keime  ausüben.  Vgl.  Kossowicz  in  Kochs 
•Jahpösber.  1903,  214.  Die  Versuche  Rahns  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  16. 
241, 1906)  brachten  zwcur  keine  völlige  Aufklärung,  aber  auch  keinen  Gegen- 
beweis gegen  die  Annahme  giftiger  Bestandteile  in  mancher  Bouillon  und 
giftwidriger  Kräfte  in  den  Bakterien. 

4)  Zieglers  Beitr.  12.  520,  1892. 


168  Kap.  IV,   §  49  u.  60. 

Preiß,  Seiter  ^),  Eisenberg*),  Ernst »),  auf  alten 
Agarkulturen  von  Koli-,  Mikbrand-  und  allen  möglichen  anderen 
Bakterien  auftreten  sahen.  Im  Falle  von  M  a  s  s  i  n  i  ^)  erschienen  sie 
sogar  schon  am  3.  Tage  als  rote  Knötchen  in  den  weißen  Kolonien  des 
B.  coli  mutabile  auf  Endoplatten  (vgl.  §  353).  Unwillkürlich  denkt 
man  dabei  zunächst  an  Verunreinigungen,  die  ja  auch  gelegentlich  sich 
ähnlich  bemerkbar  machen.  Davon  war  aber  in  den  genannten  Fällen 
keine  Bede.  Die  Vermutimg  liegt  nahe,  daß  die  durch  Selbstverdauung 
zerfallenen  Bakterien  einzelnen  übrig  gebliebenen  von  neuem  zum 
Nährboden  dienen.  Nebensächlich  ist  es  hier  für  uns,  ob  die  sekundär 
wachsenden  Keime,  wie  im  Falle  von  M  a  s  s  i  n  i ,  veränderte  Eigen- 
schaften gegenüber  den  primären  besitzen,  oder  wie  in  den  übrigen 
Fällen  keine  Abweichung  zeigen,  die  Hauptsache  ist  vielmehr  die 
größere  Widerstandsfähigkeit  bzw.  Wachstumskraft  einzelner  Indi- 
viduen der  Kultur  und  die  Nährfähigkeit  der  Zerfallsstoffe.  Vielleicht 
erklären  sich  in  ähnlicher  Weise  die  früher  erwähnten  (S.  132)  periodi- 
schen Keimschwankungen,  die  Berghaus,  Biemer  und  auch 
wir  in  Bouillonkulturen  beobachteten. 

§  50.  Förderung  durch  fremde  Stoffwechselerzeugnisse. 
Symbiose  und  Metabiose.  Wie  die  Mikroben  auf  die  früher  beschrie- 
bene Weise  nicht  bloß  ihr  eigenes  Wachstum  hemmen  (§47),  sondern  auch 
da,s  der  fremden  (§  48),  so  gilt  das  gleiche  auch  für  die  wachstumsbe- 
fördemden  Einflüsse  (§49);  mit  anderen  Worten:  dem  Antagonismus, 
der  Antibiose,  entspricht  die  „Sjonbiose"  der  Mikroorganismen.  Man 
scheidet  mit  6  a  r  r  e  (S.  163)  zweckmäßig  die  „Metabiose",  das  Nach- 
einanderleben, bei  dem  ein  Organismus  dem  anderen  den  Nährboden 
vorbereitet,  bei  welcher  also  die  Wucherung  der  beiden  Mikroben  zeitlich 
aufeinander  folgt  oder  nur  teilweise  zusammenfällt,  von  der  eigentlichen 
Symbiose,  dem  wirklichen  Zusammenleben.  Die  Beziehimgen  können 
dabei  mehr  oder  weniger  innige  und  regelmäßige  (konjunkte  und  dis- 
junkte  Symbiose  Pfeffers)  und  gegenseitige  oder  einseitige  sein. 
Eine  Metabiose  findet  z.  B.  statt,  wenn  Aerobier  den  Sauerstoff  im 
Nährboden  so  weit  verbrauchen,  daß  Anaerobier  darin  wachsen  (§  31), 
wenn  Milchsäurebakterien  so  viel  Säure  erzeugen,  daß  Schimmelpilze  ge- 
deihen, wie  es  auf  jeder  Milch,  die  einige  Zeit  steht,  geschieht,  wenn  umge- 
kehrt Schinamel-  oder  Sproßpilze  die  Säure  der  Nahrung  so  weit  verzehren, 
daß  Bakterien  zum  Wachstum  gelangen.    Ein  schönes  Beispiel  wieder- 


1)  Zentr.  Bakt.  37,  1904. 

2)  Ebenda  40. 

3)  Virch.  Arch.   152.  432. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  61.  14. 


Emähnmgsbedmgungen.  169 

holte?  Metabiose  erwähnt  L  a  f  a  r.  Wenn  die  Weinliefe  aus  dem  Most 
genug  Alkohol  erzeugt  hat  und  jetzt  reichlich  Sauerstoff  zum  Wein 
zutritt,  entwickeln  sich  die  Essigbakterien  und  verbrennen  den  Alkohol 
zu  Essigsäure.  In  der  sauren  Flüssigkeit  siedeln  sich  Schimmelpilze  an 
und  verbrauchen  die  Säure.  Diese  wieder  werden  von  Fäulnisbakterien 
abgelöst,  die  den  Rest  der  organischen  Stoffe  zerstören.  In  dieselbe 
Gruppe  von  Erscheinungen  fallen  die  sogenannten  Sekundärinfektionen, 
die  man  bei  Tieren  entstehen  sieht,  welche  primäre  Infektionen  (wie 
Typhus,  Diphtherie,  Scharlach,  Masern,  Tuberkulose)  so  geschwächt 
haben,  daß  sie  auch  anderen  Mikroben,  die  sonst  mehr  oder  weniger 
unschädlich  für  sie  wären  (Pneumo-,  Staphylo-  und  Streptokokken, 
Diphtherie-,  Tuberkel-  und  Influenzabazillen,  Fäulnisbakterien)  nicht 
den  gewöhnlichen  Widerstand  mehr  leisten  können  (§  51).  Wie  ,, sekun- 
däre Kolonien"  derselben  Art  auf  alten  Kulturen  von  Bakterien  sich 
entwickeln  können  (S.  167),  so  können  auchKolonien  einer  fremden  Art, 
Bakterien  imd  Pilze,  als  „Verunreinigungen*^  auf  ihnen  aufschießen. 
Auch  hier  macht  es  den  Eindruck,  als  ob  sich  die  nachträglichen  An- 
siedler geradezu  von  der  Leibessubstanz  der  ersten  ernährten.  Wir 
haben  damit  einen  Übersans  zum  Parasitismus. 

Be^U  üuügen  u»l  ^^Uigen  Z^™Ub.„.  bieten  ..ß„ 
den  Pilzen,  die  mit  Algen  die  Flechten  zusammensetzen,  Alkohol- 
hefen und  Säurebakterien  im  Kefyr,  Mazun  und  Leben  (§  82),  im  Weiß- 
bier, Ingwerwein,  Sauerteige  usw.  {§  111),  die  Symbiose  von  anderen 
Mikroben  mit  dem  stickstoffassimiUerenden  Azotobacter  chroococcum  in 
stickstofifreien  Nährlösungen^),  von  Bakterien  und  Hefe  mit  freilebenden 
.•Vmöben  und  Flagellaten'),  die  Mischinfektion  mit  Spießbazillen  und 
Spirochäten  bei  der  Vincentschen  Angina,  von  Bakterien  imd  Protozoen 
bei  der  Flagellatendiphtherie  und  Amöbendysenteriö,  von  Chlamydozoen 
und  Streptokokken  beim  Scharlach,  von  mehreren  Bakterien  bei  der 
Diphtherie,  Bazillendysenterie  und  anaeroben  Infektionen,  (vgl.  Infek- 
tionslehre). Experimentell  glaubte  Metschnikoff®)  die  alte 
Lehre  N  ä  g  e  1  i  s  von  der  „diblastischen"  Entstehung  der  Cholera 
dadurch  zu  stützen,  daß  er  jüngere  Kaninchen  und  Meerschweinchen 
gerade  durch  gleichzeitige  Verfütterung  von  anderen  Keimen  (weißer 
Hefe,  Sarcine,  Kolibazillen)  am  leichtesten  infizieren  konnte.  Auf 
künstlichen  Nährböden  fand  er  in  der  Wachstumsbegünstigung  der 
Cholerabazillen  durch  solche  fremde  Keime  ein  Gegenstück  dafür. 


1)  Gerlach  und  Vogel,  Zentr.  Bakt.,  2.  Abt.,  10.  20/21,  vgl.  §  203. 

2)  Zaubitzer,  Arch.  f.  Hyg.  40;  M  o  u  t  o  n  ,  Annal.  Pasteiir 
1902,  7;  Tsujetani,  Zentr.  Bakt.  24.  666;  Chrzaszcz,  Zentr. 
Bakt.,  2.  Abt.,  8.  431,  1902.    Vgl.  auch   Potte,   Flora  91,  1902. 

3)  Annal.  Pasteur  1893.  647  ff.,  vgl.  Infektionslehre. 


170  K«^.  IV,  §5011.  öl. 

Auf  Eifalmmgen  bei  künstlicher  Züchtung  beruhen  die  Fest- 
stellungen T  u  r  r  ö  s  ^)  über  das  üppige  Wachstum  von  Streptokokken 
in  lebenden  Cholera-,  Milzbrand-  und  Fyocyaneuskulturen,  S  a  n  a  - 
r  e  1 1  i  s  ')  über  die  Symbiose  seines  Bac.  icteroides  mit  Schimmelpilzen, 
Graßbergers^),  Cantanis^)u.  a.^)  über  die  Begünstigung  der 
Influenzabazillen  durch  lebende  imd  tote  Staphylo-  und  Gonokokken, 
Diphtherie  und  Xerose-,  Koli-  und  Prodigiosusbazillen,  über  die  Wachs- 
tumsbeförderung der  Kolonbazillen,  Staphylo-  imd  Streptokokken 
durch  Filtrate  oder  Auszüge  aus  Tuberkelbazillen  (Eorczynsk i^)). 

Die  Erklärung  der  Symbiose  könnte  wieder  in  verschiedener  Rich- 
tung gesucht  werden,  nämlich  einerseits  in  der  ein-  oder  gegenseitigen 
Zuführung  von  Nähr-  oder  Reizstoffen,  anderererseits  in  der  Zerstörung 
oder  Neutralisierung  wachstumshemmender  Einflüsse.  Wahrscheinlich 
kommt  beides  vor  und  wahrscheinlich  haftet  in  beiden  Fällen  die  Wir- 
kung an  Stoffwechselerzeugnissen  oder  an  Leibesbestandteilen  der 
Mikroben.  Dahin  gehören  die  neutralisierenden  Leistungen  der  sauren 
oder  alkaUschen  Absonderungen,  die  nährenden  des  Alkohols  und  der 
Essigsäure,  die  reduzierenden  der  Bakterienleiber  (S.  106),  die  giftneutra- 
lisierenden und  aggressiven  (§  49)  der  Bakterienstoffe. 

Man  beobachtet  bei  den  zusammenlebenden  Mikroorganismen 
nicht  selten  neue  Leistungen,  die  sich  aus  den  Fähigkeiten  der  einzelnen 
Arten  nicht  einfach  ergeben.  So  verwandeln  nach  R  o  1 1  y  ^)  Fäulnis- 
bakterien in  Symbiose  die  Reaktion  von  saurem  Fleischsaft  oder  Pepton- 
lösungen  in  alkalische,  während  die  rein  isoUerten  Bakterien  dazu  nicht 
imstande  sein  sollen.  N  e  n  c  k  i  ^)  fand,  daß  der  Rauschbrandbazillus 
mit  dem  Micrococcus  acidi  paralactici  zusanunen  zuckerhaltige  Nähr- 
lösung bedeutend  schneller  vergärte  und  außer  den  Produkten,  die  aus 
den  Reinkulturen  bekannt  sind  (Wasserstoff,  Kohlensäure,  normale 
Buttersäure,  inaktive  imd  aktive  Milchsäure),  auch  noch  Butylalkohol 
erzeugte  (§  115).  Noch  überraschendere  Ergebnisse  zeitigt  nach  B  u  r  r  i 
und  Stutzer^)  die  Sjonbiose  des  Bact.  coli  und  Bac.  denitrificans  I 
in  Salpeterbouillon.  Während  keines  von  beiden  Bakterien  allein 
imstande  ist,  aus  Nitraten  freien  Stickstoff  zu  entbinden,  tritt  in  der 


1)  Zentr.  Bakt.  17,  1895. 

2)  Annal.  Pasteur  1897. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  25,  1897. 

4)  Ebenda  36,   1901. 

6)  Ghon  imd   Preyß,   Zentr.  Bakt.  32.  2,  1902;   M.  Neiße r, 
Deutsche  med.  Wöch.  1903,  25;    Luorssen,    Zentr.  Bakt.  35.  4,  1904. 

6)  Wien.  klin.  Woch.   1905,  2. 

7)  Areh.  f.  Hyg.  41. 

8)  Zentr.  Bakt.   11.  225. 

9)  Zentr.  Bakt.   16.  815. 


Ernährungsbedingungen.  1 7  L 

Mischkultur  Entwicklung  gasförmigen  Stickstoffs  auf  (§  198).  Für  die 
Erklärung  dieser  Tatsachen  haben  wir  vorläufig  noch  keine  genügenden 
Grundlagen.  Zunächst  wäre  festzustellen,  ob  nicht  die  neuen  Substanzen 
entstehen  durch  Einwirkung  des  einen  Bakteriums  auf  die  Stoffwechsel- 
produkte des  anderen.  Wenn  das  ausgeschlossen  wäre,  könnte  man 
vielleicht  an  einen  Reiz  denken,  der  von  den  Stoffwechselprodukten 
des  einen  auf  die  Tätigkeit  des  anderen  Organismus  ausgeübt  würde. 
Sehr  interessant  ist,  daß  die  Symbiose  mehrerer  Mikroben  gelegentlich 
auch  ein  entgegengesetztes  Resultat  ergibt,  eine  Abschwächung  statt 
einer  Verstärkimg.  So  sah  N  e  n  c  k  i ,  daß  zwei  Bakterien,  die  in  Rein- 
kulturen Eiweiß  kräftig  zersetzten,  sich  merklich  in  ihrer  Gärintensität 
beschränkten,  wenn  sie  in  Mischkidtur  wuchsen.  N  e  n  c  k  i  bezeichnet 
den  Voigang  als  „Enantibiose^'  (vgl.  §  48).  Bei  Hefen  sind  ähnliche  Beo- 
bachtungen gemacht  worden. 

§  51.  Vergiftung  und  Infektion  höherer  Organismen. 
Schädliche  Parasiten.  Besondere  Formen  der  Anti-  und  Sjnnbiose 
sind  diejenigen  zwischen  Mikroorganismen  und  höheren 
Lebewesen,  Pflanzen  und  Tieren.  Wir  sprechen  im  ersteren  Falle 
gewöhnlich  nicht  mehr  von  Antibiose  oder  Antagonismus,  sondern 
erstens  von  Krankheitserregung  durch  Mikrobengifte  (Vergiftung  oder 
Intoxikation),  wenn  die  Mikroben,  z.  B.  Alkoholhefen,  Wurstvergiftungs- 
bazillen, nur  dadurch  den  höheren  Organismen  schädlich  werden,  daß 
sie,  ohne  in  ihnen  selbst  zu  wachsen^),  Absonderungen  oder  Leibesstoffe 
entwickeln,  die  bei  Einverleibung  giftig  für  jene  sind,  und  zweitens 
von  schädlichem  Parasitismus  oder  Infektion,  wenn  die  Mikroben  da- 
durch, daß  sie  auf  oder  in  den  höheren  Organismen  wachsen,  Krankheit 
erregen.  Krankheit  und  unter  Umständen  Tod  der  „Wirte"  wird  aller- 
dings auch  hier  durch  Giftstoffe  bedingt,  nicht  oder  nur  aus- 
nahmsweise^) durch  Nahrungsentziehung  und  nur  nebenbei 


1)  Eine  Nahrungsentziehung  durch  äußere  Mikroben- 
tat igkeit,  die  man  ebenfalls  zu  den  schädlichen  Mikrobenwirkungen  rechnen 
müßte,  trifft  die  höheren  Organismen  öfters  —  man  denke  an  die  Zersetzung 
vieler  Nahrungsmittel  durch  Filze  und  Bakterien  — ,  ist  aber  selten  für 
Pflanzen  imd  Tiere,  solange  Giftwirkungen  ausgeschlossen  sind,  verhängnis- 
voll. So  können  z.  B.  Wassertiere  durch  Sauerstoffentziehung  in  bakterien- 
n'ichen  Wässern  geschädigt  werden  (Fischsterben  in  Flüssen  mit  Kanal- 
aiwlässen). 

2)  Die  Durchwucherung  von  Fliegen  durch  manche  Algenpilze,  von 
vielon  Insekten  durch  Mikrosporidien,  von  Algen  durch  Schleimpilze  (Zopf), 
von  Mukorineen  durch  parasitische  Mitglieder  derselben  Gruppe  (B  r  e  - 
f  0 1  d ,  Bot.  Untersuchg.  über  Schimmelpilze  1,  1872;  4,  1881)  —  von  diesen 
und  anderen  Algenpilzen  durch  Chytridiaceen  (Zopf,  Über  einige  niedere 
AUenpilze,    1887,    A.   Fischer,    Jahrb.  wiss.  Bot.  13,  1882)    gehörten 


172  Kap.  IV,   §  61  u.  62. 

etwa  noch  durch  mechanische  Störungen  in  einzelnen 
Organen^).  Eine  Nahrungsentziehung  besteht  natürlich  bei  den 
Parasiten  stets,  nähren  sie  sich  doch  gewöhnlich  ausschließlich  von  den 
Leibern  oder  den  Nahrungsstoffen  ihrer  Wirte,  aber  sie  ist  im  allge- 
meinen wegen  der  geringen  Masse  der  Parasiten  zu  vernachlässigen. 

Die  Natur  der  Mikrobengifte  besprechen  wir  in  einem  besonderen 
Abschnitte  dieses  Bandes  (Kap.  XYI),  ihre  Wirkungen  ausführlicher 
erst  in  der  Infektionslehre.  Hier  wollen  wir  nur  darauf  hinweisen,  daß 
wir  den  für  die  höheren  Organismen  giftigen  Mikrobenstoffen  kaum 
eine  teleologische  Bedeutung  im  Daaeinskampfe  der  Mikroben  zu- 
schreiben dürfen.  Was  nützt  das  Wurstgift  und  die  dadurch  verursachte 
oft  tödliche  Krankheit  des  tierischen  Körpers  dem  Bac.  botulinus,  das 
Wimdstarrkrampfgift  dem  Bac.  tetani,  das  Diphtherietozin  dem  Diph- 
theriebazillus ?  Dem  Wachstum  außerhalb  derselben  sind  sie  ebenso- 
wenig förderlich,  weil  sie  bezeichnenderweise  im  Wettbewerb  mit 
anderen  Mikroorganismen  imd  schon  mit  mikroskopischen  Pflanzen  und 
Tieren  völlig  versagen  (vgl.  Infektionslehre).  Man  kann  die 
Gifte  daher  im  allgemeinen  nur  als  zufällige, 
für  die  Erhaltung  der  Mikrobenart  wertlose 
Bildungen  betrachten^).  Ein  Teil  der  sogenannten  Gifte, 
die  enteündungs-  und  fiebererregenden,  üben  insofern  sogar  einen  schäd- 
liehen  Einfluß  auf  die  Parasiten  aus,  als  sie  die  Wirte  zu  heilkräftigen 
Gegenwirkungen  anregen.  Wir  kommen  weiter  unten  bei  den  „Reiz- 
stoffen'' der  Parasiten  (§  53)  darauf  zurück.  Ganz  anders  sind  natürlich 
diejenigen  Stoffe  zu  beurteilen,  durch  welche  die  Mikroben  zum  para- 
sitischen Dasein  und  Wachstum  befähigt  werden,  die  ihre  „Virulenz" 
(Infektiosität)  ausmachen.  Wir  haben  sie  Angriffsstoffe,  Aggressine 
genannt,  weil  sie  gegen  die  Abwehrkräfte,  die  wir  wohl  in  allen  lebenden 
Zellen  annehmen  müssen,  imd  die  besonders  gründlich  im  Organismus 
der  höheren  Tiere  studiert  sind  (Alexine,  Opsonine,  Freßzellen  usw.), 
gerichtet  sind  (§  319  ff.).  Sie  fallen  zusammen  mit  den  schon  früher 
erwähnten  Aggressinen,  die  das  Wachstum  der  Mikroben  im  alexinhal- 
tigen  Blutserum  außerhalb  des  tierischen  Körpers  ermöglichen  (S.  166). 

Teilweise  sind  die  Wirte  der  Parasiten  selbst  Parasiten  und  selbst 
Mikroorganismen.     So  findet  man  Bakterien  oft  in  reichUchster  Ent- 


allenfalls  hierher  (vgl.  Infektionslehre).     Je  kleiner  die  Wirte,  um  so  mehr 
Bedeutung  hat  die  Nahrungsentziehung. 

1)  Vgl.  Infektionslehre.  Bei  den  Bakterien-  und  Pilzinfektionen  der 
Pflanzen  spielen  Organzerstörungen  wohl  die  Hauptrolle. 

2)  Näheres  §  257.  Einzelne  Stoffwechselgifte  (§258)  wie  Alkohol, 
Oxalsäure  machen  wohl  eine  Ausnahme.  Über  die  Bedeutung  des  Alko- 
holismus für  die  Hefe  s.  S.   178,  Anm.   1. 


Ernälirungsbedingiingen .  173 

Wicklung  innerlialb  der  DyBenterieamöben,  der  Myxo-  und  Sarkospo- 
ridien,  in  den  Knoten  der  Lebercoccidien,  der  Plasmodiophora  brassicae 
usw.  (vgl.  Infektionslehre). 

§  52.  Nützliche  und  harmlose  Parasiten.  Mntualismns 
and  Kommensalismns.  Die  Symbiose  zwischen  Mikroben  und 
höheren  Organismen  wird  als  Mutualismus  bezeichnet,  wenn  die  För- 
derung eine  gegenseitige  ist.  Sie  ist  nur  eine  Form  des  Parasitismus 
(nützlicher  Parasitismus),  da  die  niederen  fast  regelmäßig  dabei  auf 
oder  in  den  höheren  Organismen  leben.  Am  besten  bekannt  ist  das 
Verhältnis  der  stickstoffbindenden  Bakterien  der  Wurzelknöllchen  zu 
den  Schmetterlingsblütlern  (§  201).  In  ausgedehntem  Umfange  be- 
stehen auch  symbiotische  Beziehungen  zwischen  Bakterien  (und  Pro- 
tozoen) und  höheren  Tieren  (einschl.  des  Menschen)  in  deren  Darm  und 
auf  deren  anderen  Schleimhäuten  (Mund,  Magen,  Scheide),  wenn  wir 
darin  auch  noch  nicht  überall  klar  sehen  (vgl.  Infektionslehre).  Zum 
Unterschied  von  den  schädlichen  Parasiten  bilden  die  nützlichen  keine 
Gifte  oder  werden  wenigstens  nicht  durch  sie  gefährlich,  weil  die  Wirte 
über  giftwidrige  Fähigkeiten  verfügen,  dagegen  erzeugen  sie  vielleicht 
Stoffe,  die  wir  weiter  unten  als  „Reizstoffe"  näher  betrachten  werden 
( §  53).  Allein  auf  Seiten  der  Mikroben  scheint  der  Vorteil  bei  den  harm- 
losen Schmarotzern.  Zu  diesen  „Mitessern"  oder  Eommensalen  ge- 
hören namentlich  Ektoparasiten,  aber  auch  nicht  wenige  auf  den 
»Schleimhäuten,  namentlich  im  Darm  und  schließlich  selbst  im  Gewebe 
und  Blut  schmarotzende  Mikroben  aus  der  sonst  pathogenen  Gruppe 
der  Sporozoen  (Hämosporidien  und  Sarkosporidien)  und  Flagellaten 
(Trypanosomen)  besonders  bei  kaltblütigen  Tieren.  Ob  auch  die  Strepto- 
kokken der  Schmetterlinge  (Gräfin  Linden)  solche  harmlose  Parasiten 
sind,  ist  noch  auszumachen.  Jedenfalls  sieht  man  vielfach  Übergänge 
zwischen  Kommensalismus,  Mutualismus  und  Infektion.  Dss  zeigt  sich 
besonders  bei  den  Blutparasiten.  So  verursachen  die  Rattentrypano- 
somen,  die  gewöhnlich  harmlos  sind,  ausnahmsweise  Krankheits- 
erscheinungen in  ihren  Wirten.  So  kann  femer  die  Trypanosomiasis, 
Piroplasmose  a.  a.  m.  aus  dem  Zustand  der  akuten  Infektion  in  den 
eines  chronischen  oder  besser  „latenten"  übergehen,  in  dem  sich  die 
Parasiten  kaum  von  harmlosen  Schmarotzern  unterscheiden.  Umge- 
kehrt werden  harmlose  und  selbst  nützliche  Parasiten  durch  Umstände, 
die  die  Widerstandsfähigkeit  ihrer  Wirte  herabsetzen  oder  dadurch, 
daß  sie  zufällig  an  den  unrechten  Ort  im  Tierkörper  gelangen,  zu  In- 
fektionserregern (Selbstinfektion  z.  B.  durch  Pneumokokken,  Koli- 
bazillen,  vgl.  Infektionslehre;  Virulentwerden  von  KnöUchenbakterien, 
vgl.  §  201). 

Gemeinsam  ist  den  drei  Arten  von  Mikroben  die  Fähigkeit  des 


174  Kap.  IV,    §  52  u.  53. 

ParaBÜismus,  d.  h.  die  WachstHmswiderstände  auf  oder  im  lebenden 
Tier-  und  Pflanzenkörper  zu  überwinden.  Man  könnte  geneigt  sein, 
als  Grundlage  dieser  Fähigkeit  das  von  uAs  den  Infektionserregern 
zugeschriebene  Vermögen,  Angrif&stoffe  (Aggressine)  zu  bilden  (s.  o. 
S.  172)  anzusehen.  Freilich  würde  sich  die  Aggressivität  der  harmlosen 
und  nützlichen  Parasiten  schon  meist  durch  ihre  Begrenztheit  unter- 
scheiden, indem  sie  nur  dazu  ausreicht,  das  Wachstum  auf  der 
äußeren  oder  inneren  Körperoberfläche,  nicht  innerhalb  der  Gewebe,  zu 
gestatten.  Es  müßten  aber  auch  nicht  nur  quantitative,  sondern  auch 
qualitative  Unterschiede  in  der  Beschaffenheit  der  Angriffsstoffe  bestehen, 
denn  die  Aggressivität  der  Infektionserreger  im  Gewebe  befähigt  sie  noch 
nicht  ohne  weiteres  zxmi  Wachstum  auf  den  Körperoberflächen. 

Da  die  Oberflächen  des  Tierkörpers  mit  Sekreten  ausgestattet  zu 
sein  pflegen,  die  man  als  Schutzstoffe  betrachten  kann,  liegt  es  nahe, 
daran  zu  denken,  daß  die  harmlosen  Schmarotzer  nur  die  Eigenschaft 
erworben  haben,  in  diesen  Sekreten  zu  wuchern»  somit  durch  ihre 
Angrif&stoffe  die  in  ihnen  enthaltenen  Schutzstoffe  zu  neutralisieren 
licider  wissen  wir  aber  ebensowenig  über  die  Beschaffenheit  der  Schutz- 
kräfte der  Sekrete,  wie  über  die  ihnen  entsprechenden  Angriffsstoffe 
und  können  nur  sagen,  daß  die  ersteren  im  allgemeinen  weder  mit  den 
eigentlichen  Schutzkräften  des  Gewebes  noch  mit  den  Verdauungs- 
enzymen identisch  sind.  Denn  Alexin,  Opsonin,  Freßzellen  usw. 
fehlen  in  den  normalen  Sekreten  und  die  Enzyme  sind  sogar  wirkungslos 
gegenüber  allen  lebenden  Mikroben,  nicht  bloß  gegenüber  Parasiten. 
Auch  andere  Schutzstoffe  sind  bisher  nur  ausnahmsweise  in  Reagenz- 
glasversuchen mit  Sekreten  nachgewiesen  worden.  Daraus  folgt  aber 
noch  nicht,  daß  die  lebenden  Oberflächen  der  tierischen  Körper 
der  Schutzkräfte  beraubt  seien.  Im  Gegenteil  haben  wir  allen  Anlaß, 
solche  anzunehmen  (vgl.  Infektionslehre). 

Wichtig  ist,  daß  den  Parasiten,  gleichgültig,  ob  sie  dieser  oder  jener 
der  drei  Gruppen  angehören,  vielfach  das  Vermögen,  in  toten  Nähr- 
böden zu  wachsen,  verloren  gegangen,  oder  besser  gesagt,  bei  ihnen 
beschränkt  ist,  und  daß  andererseits  den  meisten  „Saprophyten",  d.  h, 
den  in  toten  Nährböden  besonders  gut  gedeihenden  Mikroben,  die 
Fähigkeit,  parasitisch  zu  leben,  völlig  abgeht  oder  nur  unter  bestinunten 
Bedingungen,  z.  B.  bei  Übertragung  größter  Mengen  zukommt.  Man 
spricht  daher  von  strengen  (obügaten)  und  gelegentlichen 
(fakultativen)  Parasiten  und  Saprophyten.  Ein  gewisser 
Gregensatz  der  Kräfte,  die  das  saprophytische  und  parasitische  Dasein 
möglich  machen,  besteht  also  und  würde  sich  vielleicht  dadurch  er- 
klären, daß  im  ersten  Falle  die  enzymatischen,  im  zweiten  die  aggres- 
siven Leistungen  mehr  entwickelt  sind.    Eine  scharfe  Abgrenzung  von 


Ernährungsbedingungen.  175 

Parasiten^)  und  Saprophyten  läßt  edcli  aber  um  so  weniger  aufrecht 
erhalten,  als  die  Aggressivität  bei  einer  und  derselben  Mikrobenart 
nicht  bloß  ungleich  ausgebildet  und  auf  einzelne  Tierarten  beschränkt 
sein,  sondern  sogar  völlig  verloren  gehen  kann,  und  umgekehrt  schein- 
bar strenge  Saprophyten  an  das  parasitische  Leben  gewöhnt  werden 
können  (§  356).  Unseres  Erachtens  erklären  sich  diese  Tatsachen  durch 
unsere  Äggressinlehre  im  aUgemeinen  leichter  als  durch  irgendwelche 
andere  Annahmen,  die  übrigens  bisher  noch  nicht  in  eine  brauchbare 
Theorie  zusammengefaßt  worden  sind  (vgl.  §  329).  Eine  Ergänzung  der 
Äggressinlehre  in  einzelnen  Beziehungen  wird  dadurch,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  nicht  ausgeschlossen. 

§  53.  Reizstoffe  der  Wirte  und  Parasiten.  Gegenwir- 
kungen. Ob  die  Wachstumsfähigkeit  der  Parasiten  im  Tierkörper  allein 
durch  ihre  Fähigkeit,  Angriffsstoffe  zu  bilden,  bedingt  ist,  soll  übrigens 
dahingestellt  sein.  Man  könnte  sich  wohl  vorstellen,  daß  auch  der  Wirt 
selbst  hin  und  wieder  durch  Reizstoffe,  die  er  enthält  oder  abgibt,  die 
Parasiten  anlockt  und  ihre  Wucherung  befördert.  Wir  würden  damit  der 
sogenannten  Assimilationstheorie,  d.h.  der,  die  das  Wachstum  der  Parasi- 
ten durch  ihre  Fähigkeit,  den  lebenden  Nährboden  zu  assimilieren,  erklärt, 
ein  beschränktes  Zugeständnis  machen  (§  329).  Bestimmte  Beweise  für 
das  Vorkommen  solcher  Beizstoffe  haben  wir  freilich  kaum*).  Immerhin 
würden  manche  Tatsachen  dadurch  vielleicht  eine  einfache  Erklärung 
finden.  Namentlich  die  höchst  eigentümliche  Tatsache,  daß  manche 
harmlosen  Schmarotzer  und  Infektionserreger  mit  Vorliebe  b  e  - 
stimmteOrgane  befallen.  Allerdings  würden  wir  auch  hier  wieder 
ohne  die  Annahme  spezifischer  Beziehungen  nicht  auskommen.  Denn 
die  betreffenden  Organe  sind  nicht  überhaupt  für  Parasiten  leichter 
angreifbar,  sondern  nur  für  einzelne  Arten  derselben,  so  daß  jedes 
tierische  Organ  fast  seine  besonderen  Parasiten  hat.  Setzen  wir  voraus, 
daß  hierbei  Reizwirkimgen  vorliegen,  so  würde  den  spezifischen  Reiz- 
stoffen der  Wirtsorganismen  eine  ebensolche  Reizbarkeit  der  Parasiten 
entsprechen.  Diese  letzt-ere  würde  dann  voraussichtlich  wieder  eine 
bestimmte  stoffliche  Anlage  voraussetzen  (Nutri-  oder  Chemorezeptoren 
Ehrlichs?).  Ehe  die  ganze  Frage  experimentell  bearbeitet  worden 
ist,  wird  man  sich  auf  weitere  Spekulationen  nicht  einzulassen  brauchen. 


1)  Noch  weniger  läßt  sich  die  von  Bail  (Lit.  bei  Aggressinen 
!  319)  versuchte  Einteilung  der  Parasiten  in  Ganz-  und  Halbparasiten 
durchführen,  weil  aüle  Übergänge  vorkommen. 

2)  Ob  die  Chemotaxis  und  der  Chemotropismus  ( §  56),  d.  h.  die  An- 
lockung der  Parasiten  durch  Bestandteile  der  Pflanzen  für  deren 
Infektion  von  Bedeutung  ist,  wie  manchmal  behauptet  wurde,  ist  ebenfalls 
noch  etwas  zweifelhaft  (vgl.  Infektionslehre). 


176  Kap.  IV,   §  Ö3  u.  54. 

Sicher  gestellt  ist  eine  andere  Reizwirkung  der  Wirte  auf  ihre 
Parasiten.  Sie  zeigt  sich  erstens  darin,  daß  die^  Mikroben,  und  zwar 
Bakterien  und  Hefepilze,  im  tierischen  Körper  sieh  mit  einer  Schleim- 
hülle (Kapsel)  umgeben  oder  wenigstens  —  vielleicht  ebenfalls  durch 
,, Hypertrophie  ihres  Ektoplasmas*'  —  eine  Größenzunahme  erfahren 
(§  4),  und  zweitens  in  einer  Steigerung  ihrer  Virulenz  (§  330).  Die  nähere 
Untersuchung  dieser  beiden  Reihen  von  Vorgängen  hat  gezeigt,  daÜ 
sie  wahrscheinlich  eng  zusammen  gehören  und  ausgelöst  werden  von  den 
Abwehrstoffen  (Immunkörpern)  des  normalen  oder  immunisierten 
Tierkörpers,  bzw.  von  solchen  Stoffen,  die  mit  diesen  Abwehrstoffen 
nahe  verwandt  sind.  Man  kann  sich  diese  Reizwirkung,  wenn  man  sich 
den  Vorstellungen  der  Ehrlich  sehen  Seitenkettentheorie  anschließt, 
dadurch  erklären,  daß  die  Abwehrstoffe  mit  bindenden  Gruppen  in 
entsprechende  Bindegruppen  (, »Rezeptoren")  der  Mikroben  eingreifen 
und  diese  durch  einen  ims  in  seinem  Wesen  allerdings  noch  völUg  dunklen 
Neubildimgsprozeß  zur  „Hypertrophie*'  oder  „Hyperplasie"  bringen 
(§  328).  Die  Folge  davon  ist  größere  Widerstandsfähigkeit,  gewisser- 
maßen „Immunität",  gegen  die  Abwehrstoffe,  d.  h.  gesteigerte  ^rulenz. 

Übertragen  sind  diese  Vorstellungen  aus  einem  anderen  Gebiet,  für 
das  sie  ursprünglich  ausgedacht  worden  sind,  nämlich  aus  der  eigentlichen 
Immimitätslehre  (§  331  ff.).  Schon  lange  kennt  man  die  Tatsachen, 
daß  Tiere  durch  Überstehen  einer  Infektion  gegen  die  gleichen  und 
fremden  Infektionen  Schutz  erlangen.  Hier  sind  es  umgekehrt  „Reiz- 
stoffe der  Mikroben",  welche  den  Widerstand  der  Tiere  gegen  letztere 
erhöhen.  Je  nachdem  die  Reizwirkung  eine  nichtspezifische  oder 
spezifische  ist,  sprechen  wir  von  „Entzündungs-  und  Fieberstoffen" 
oder  von  echten  immunisierenden  „Impfstoffen"  (Antigenen)  und  haben, 
wie  wir  oben  die  Reizstoffe  der  Tiere  mit  ihren  Abwehrstoffen  gleich- 
stellten, auch  hier  allen  Grund,  die  Reizstoffe  der  Kleinwesen  mit  ihren 
Angriffsstoffen  im  wesentlichen  zusammenfallen  zu  lassen.  Wir  stehen 
hier  vor  den  merkwürdigsten  Tatsachen  der  Biologie.  Zunächst  macht 
es  den  Eindruck,  als  ob  sich  die  Tiere  durch  ihre  Abwehrstoffe,  die  Mi- 
kroben durch  ihre  Angriffsstoffe  selbst  ihr  Grab  bereiteten.  Bei  näherer 
Betrachtung  verlieren  die  Immunitätserscheinimgen  indessen  ihren 
auffallenden  Charakter.  Schon  der  Umstand,  daß  die  heilkräftige  Wir- 
kung der  Entzündung  und  des  Fiebers  mindestens  eine  Reihe  von 
Stunden,  die  der  spezifischen  Immunisierung  ebensoviel  Tage  oder 
Wochen  nach  Einverleibung  der  Reizstoffe  eintritt,  während  die  infek- 
tionsbegünstigende  Wirkung  der  mit  ihnen  identischen  Angriffcstoffe 
sich  sofort  bemerkbar  macht  und  bald  verschwindet,  weist  darauf  hin, 
daß  wir  es  bei  den  Immunitätsvorgängen  mit  einer  Zeit  erfordernden 
Gegenwirkung  des  Tierkörpers  zu  tun  haben.   Der  Um- 


Ernährungsbedingungen.  177 

stand  ferner,  daß  lebende  Infektionserreger  nur  in  kleineren  Gaben,  die 
liicht  oder  nur  vorübergehend  zum  Wachsen  kommen,  schützen  und  im- 
munisieren, in  größeren  aber  sich  unaufhaltsam,  d.  h.  bis  zum  Tode 
der  Tiere,  vermehren,  lehrt  uns,  daß  die  Angriffsstoffe,  in  genügender 
Menge  einverleibt,  ihren  Zweck  zugunsten  ihrer  Erzeuger  erfüllen.  Das 
gleiche  gilt  aber  auch  von  den  Abwehrstoffen  der  Tiere:  da,  wo  sie  durch 
ihre  Menge  die  angreifenden  Mikroben  erdrücken,  dienen  sie  zum  Schutz 
der ersteren.  Die  Virulenzerhöhung,  ebenso  wie  die 
Immunisierung,  ist  also  nur  eine  Anpassung 
derParasiten  bzw.  ihrer  Wirte,  die  unter  für  sie 
günstigen   Bedingungen   erfolgt. 

Die  harmlosen  und  nützlichen  Parasiten  (§  52)  entbehren  auch 
wohl  nicJit  der  Reizstoffe,  durch  deren  Wirkung  sie  z.  B.  die  Ernährung 
ihrer  Wirte  befördern^),  und  stehen  andererseits  unter  dem  Einfluß  von 
Reizwirkungen  seitens  ihrer  Wirte.  Bezeichnend  aber  ist  es  für  sie,  daß 
weder  die  Parasiten  durch  ihr  dauerndes  Zusanmienleben  mit  Tieren 
und  Pflanzen  ihr  Wachstumsvermögen  über  das  gewöhnliche  Maß 
steigern,  d.  h.  für  sie  virulent  werden,  noch  die  Wirte  ihr  Abwehrver- 
m^n  gegen  die  Gäste,  die  sie  beherbergen,  erhöhen,  d.  h.  Immimität 
gegen  sie  erlangen.  Vielmehr  besteht  gewissermaßen  ein  Gleichgewichts- 
zustand zwischen  den  Kräften  der  Symbionten,  der  allerdings  durch 
besondere  Umstände  —  meist  zum  Schaden  des  Wirtes  —  gestört  wird, 
wie  S.  173  erwähnt  wurde.  Dort  wurde  gleichzeitig  auch  der  umge- 
kehrten Möglichkeit  gedacht,  daß  nämlich  Infektionserreger  sich  in  ihrem 
Wirte  zu  harmlosen  Schmarotzern  verwandeln  können.  Die  Umwand- 
lung ist  freilich  nur  eine  scheinbare,  weil  die  betreffenden  Keime  nur 
für  das  Tier,  in  dem  sie  sich  befinden,  ihre  Gefährlichkeit  verloren  haben. 
Wir  dürfen  wohl  annehmen,  daß  sich  dabei  eine  Art  Inmiimität  ent- 
wickelt, die  der  Angriffskraft  der  Parasiten  die  Wage  hält. 

§  54.  Kleinwesen  als  Nahrangsspender  und  Erzenger 
anderer  nfitzlicher  Stoffe.  Während  bei  den  bisher  besprochenen 
veischiedenen  Formen  des  Parasitismus^  mag  er  schädlich,  nützlich  oder 
hannlos  für  die  Wirte  sein,  die  Mikroben  stets  einen  mehr  oder  weniger 
großen  Vorteil  von  ihren  Beziehungen  zum  Wirte  haben,  weil  sie  auf 


1 )  Vielleicht  ist  durch  Anregung  der  Assimilation,  nicht  diirch  im- 
ifiittelbare  Assimilation  des  Stickstoffs  bzw.  Eiweißaufspeicherung,  der 
Xutzen  der  KnöUchenbakterien  für  die  SchmetterUngsblütler  zu  erklären 
^§  201).  Anregung  des  Wcu^hstums  bzw.  der  Blüte  durch  die  Parasiten 
erfolgt  auch  bei  vielen  Pflanzen,  z.  B.  bei  den  durch  Pilze  verursachten  sog. 
Hexenbeeen  (vgl.  v.  T  u  b  e  u  f  ,  Pflanzenkrankheiten  1895).  Es  scheint 
?<ich  hier  nicht  immer  um  Abwehreinrichtungen,  wie  bei  den  sog.  infektiösen 
^  rranulationsgeschwülsten  der  Tiere  (§  332),  zu  handeln. 

Kr  ose,  Mikrobiologie.  12 


178  Kap.  IV,   §  54  u.  65. 

oder  in  ihm  wachsen,  gibt  es  andere  Verhältnisse  zwischen  großen  und 
kleinen  Organismen,  in  denen  von  Parasitismus  keine  oder  nur  in  sehr 
beschränktem  Grade  die  Bede  ist.  Die  Mikroben  werden  dabei  entweder 
nur  mittelbar  als  Erzeuger  von  allerhand  nützlichen  Stoffen  beteiligt  oder 
tragen  sogar  Nachteile  davon.  So  benutzt  der  Mensch  viele  Stoffwechsel- 
produkte von  Gärungserregern  oder  die  durch  sie  veränderten  Grund- 
stoffe als  Nahrungs-  imd  Genußmittel,  Bekleidungsstoffe  usw.^).  Und  so 
dienen  Bakterien,  Sproßpilze  imd  Protozoen  nicht  nur  Schleimpilzen  und 
andern  Protozoen,  sondern  auch  gewissen  mit  Phagozyten  im  Darm 
ausgestatteten  niederen  Metazoen  (Metschnikoff*))  zum  Fräße. 
Auch  die  Phagozyten  der  höheren  Tiere  beseitigen  ja  so  viele  Infek- 
tionserreger. Man  hat  daher  in  dieser  Art  von  Frcßtätigkeit  einen  von 
den  niedrigen  Tieren  überkommenen  Rest  der  zellulären  Emährungs- 
tätigkeit  sehen  wollen.  Außerdem  gibt  es  auf  den  tierischen  Schleim- 
häuten antiseptische  Sekrete,  z.  B.  Magensaft,  und  im  Innern  der  Ge- 
webe keimwidrige  Säfte  ((Alexine  usw.),  durch  welche  Saprophyten 
und  Parasiten,  die  damit  in  Berührung  kommen,  aber  vielfach  auch  die 
virulenten  Parasiten  abgetötet  und  mehr  oder  weniger  vollständig  ge- 
löst werden  (§  lOu.  11).  Ein  reiner  Vorteil  ist  das  freilich  nur  dann  für  die 
Tiere,  wenn  nicht  bei  dem  Zugrundegehen  der  Mikroben  giftige  Stoffe 
in  Lösung  gehen  und  von  den  Geweben  aufgenommen  werden.  Dem- 
selben Schicksal  zerfallen  wenigstens  zum  Teil  die  Bakteroiden  der  Wur- 
zelknöUchen  (§  201). 

§  55.  Chemische  Ernährungsreize.  Aus  der  Physiologie  der 
höheren  Tiere  wissen  wir,  daß  es  Reizmittel  gibt,  die  bei  ihnen  den  Appetit 
und  die  Sekretion  der  Verdauungssäfte,  die  Assimilation,  den  Stoffansatz 
imd  die  Zellvermehrung  anregen.  Gifte,  die  diese  Vorgänge  hemmeu 
und  schließlich  Schutzeinrichtungen,  die  den  Giften  entgegenwirken. 
Es  fragt  sich,  ob  solche  Einflüsse  auch  bei  den  Mikroorganismen  im 
allgemeinen  wirksam  sind.  Nötig  scheinen  Ernährungsreize 
allerdings  den  Mikroorganismen  insofern  nicht,  als  sie  nicht  wie  die 
höheren,  namentlich  waripblütigen  Tiere  zur  periodischen  Nahrungs- 
aufnahme gereizt  zu  werden  brauchen,  da  sie,  stets  von  Nährflüssigkeit 
umgeben,  die  Ernährung  unter  sonst  günstigen  Bedingungen  überhaupt 
nicht  unterbrechen.  Doch  wissen  wir,  daß  die  Mikroorganismen  eben 
nicht  immer  unter  günstigen  Emährungsbedingungen  stehen,  femer, 
daß  sie  oft  auf  bestimmte  Nährstoffe  angewiesen  sind,  sich  diese  also 


1)  Insofern  diese  Gärungen  künstlich  hervorgerufen  werden,  haben 
freiheh  auch  die  Mikroben  einen  Vorteil  davon,  weil  ihnen  reichlichere  und 
günstigere  Daseinsbedingungen  und  sichere  Erhaltung  gewährt  werden. 

2)  Vgl.  Infektionslehre. 


Ernähningsbedingungen.  179 

aus  einem  Nahrongsgemisch  gewissennaßen  heraussuchen  müssen,  daß 
sie  auch  ebenso  wie  die  Tiere  Verdauungsenzyme  erzeugen  und  aus- 
scheiden und  auf  physikalische  Einflüsse  ihrer  Umgebung 
(§42 — 45)  durch  Beschleunigung  oder  Yerlangsamimg  ihres  Wachstums 
antworten.  Wir  dürfen  danach  von  vornherein  vermuten,  daß  es  auch 
für  sie   chemische   Emährungsreize  gibt. 

Die  Nahrungsstoffe,  einschließlich  des  Sauerstoffs,  wirken  im  all- 
gemeinen wohl  selbst  als  Reize.  Bei  zu  großer  Verdünnung  sind  die  Reize 
unwirksam;  bis  zu  einer  gewissen  Dichtigkeit  steigern  sie  die  Emährungs- 
vorgänge;  bei  zu  großer  Dichtigkeit  hemmen  sie  schließlich  (§40).  Wie- 
derholt imtersucht  wurde  die  Produktion  und  Sekretion  der  Verdauungs- 
enzyme.   Die  Tatsachen,  die  darüber  bekannt  sind,  widersprechen  sich 
allerdings  teilweise.     Einerseits  wird  behauptet,  daß  die  Enzyme  ge- 
bildet und  ausgeschieden  werden,  auch  ohne  daß  sie  in  Tätigkeit  treten 
können  —  bei  Abwesenheit  der  zu  verdauenden  Stoffe  — ,  andererseits 
sollen  sie  erst  erscheinen,  wenn  sie  gebraucht  werden  (vgl.  §  35,  69,  165 
und  250).  Es  darf  wohl  angenommen  werden,  daß  es  sich  nur  um  quan- 
titative Unterschiede  handelt,  denn  daß  die  Enzymmeuge  größer  wird 
mit  steigendem  Verbrauch,  lehren  viele  Erfahrungen.    Darauf  sind  ja 
die  Darsteliungsmethoden  der  Enzyme  gegründet.    Bemerkenswert  ist 
die  Regulierung  der  Enzymproduktion  durch  Stoffe,  die  nicht  direkt 
die  Enzjrme  beeinflussen  können.    Nach   K  a  t  z  ^)  wird  die  Diastase- 
bildung  von  Schimmelpilzen  und  Bakterien  beschränkt  durch  Zucker- 
lösungen von  verhältnismäßig  geringer  Konzentration,  z.  B.  bei  Peni- 
cillium  glaucum  durch  Trauben-  und  Rohrzucker  von  1,5%,  durch  Milch- 
und  Malzzucker  von  3%,  durch  Glyzerin,  Weinsäure  und  Chinasäure 
trat  in  höherer  Konzentration.   Man  könnte  daraus  schließen,  daß  eine 
Hemmung  der  Diastasebildung  etwa  dann  einträte,  wenn  solche  Stoffe, 
die  durch  Diastase  erzeugt  werden,  schon  vorhanden  seien,  und  daß 
andere  Stoffe,  auch  wenn  sie  gute  Nährstoffe  seien,  doch  keine  Hem- 
moBg  der  Diastasebildung  zustande  brächten.    Doch  ergeben  Versuche 
mit  Aspergillus  niger  ganz  andere  Resultate:  Rohrzucker  und  andere 
Stoffe  bewirken  hier  selbst  in  starker  Konzentration  keine  Hemmung 
der  Diastaseproduktion.     Beim  Penicillium  glaucum   machte  K  a  t  z 
übrigens  die  interessante  Beobachtmig,  daß  durch  Feptonzusatz  die 
hemmende  Wirkung  des  Rohrzuckers  auf  die  Diastasebildung  aufge- 
hoben wurde.    Wir  werden  bei  Besprechung  des  Wahlvermögens  der 
Mikroorganismen  auf  manche  andere  vorläufig  unerklärliche  Tatsache 
stoßen  (§  58). 

Es  braucht  kaum  daran  erinnert  zu  werden,  daß,  je  nach  der  Art 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  31;  vgl.  §  69. 

12* 


180  Kap.  IV,   §  65. 

der  Mikroorganismen,  die  Nährstoffe  bald  als  Reiz,  bald  als  Hemmung 
wirken.  Beispiele  dafür  sind  die  verschiedene  Wirkimg  des  Sauerstoffs 
auf  Aerobier  und  Anaerobier  (§  31),  der  freien  organischen  Säuren  auf 
Pilze  und  Bakterien  (§  50  und  149),  des  Alkohols  auf  Bakterien  und 
Pilze,  die  von  ihm  leben  imd  solche,  die  es  nicht  können  (§  134  und  135), 
der  organischen  Stoffe  auf  die  meisten  Mikroorganismen  im  Gegensatz 
zu  den  Nitrobakterien  (§  196). 

Den  Nahrungsstoffen  schließen  sich  an  die  aus  ihnen  erzeugten 
Stoffwechselprodukte.  Von  ihnen  sind  am  besten  studiert 
diejenigen,  welche  die  Reaktion  des  Nährbodens  beein- 
flussen, insofern  man  wenigstens  weiß,  daß  jedem  Mikroben  ein  be- 
stimmtes Optimum  der  Reaktion  entspricht  (§41).  Im  übrigen  kennt 
man  viel  besser  die  Hemmungs-  als  die  Reizwirkungen,  die  von  den  ein- 
zelnen Säuren,  dem  Alkohol  u.s.w.  ausgehen.  Was  darüber  festgestellt 
worden  ist,  soll  unten  im  Zusammenhang  mit  der  Reizwirkung  der 
giftigen  Stoffe  besprochen  werden.  Die  in  den  früheren  Abschnitten 
(§49  und  50)  behandelte  Wachstumsförderung  durch  eigene  und  fremde 
Stoffwechselerzeugnisse  der  Mikroben  erklärt  sich  teils  aus  der  Wirkung 
unbekannter  Reizstoffe,  teils  aus  der  Veränderung  der  Reaktion  oder 
der  Lieferung  von  Nährstoffen.  Wegen  der  eigentümlichen  Reizstoffe, 
die  wir  in  höheren  Organismen  für  die  parasitären  Kleinwesen  voraus- 
setzen dürfen,  verweisen  wir  auf  §  53. 

Daß  es  außer  Nährstoffen  und  Stoff  Wechselerzeugnissen  noch  eine 
ganze  Anzahl  chemischer  Reizmittel  für  die  Ernährung  der  Mikroben 
gibt,  lehren  schon  ältere  Untersuchimgen.  Anzuführen  wären  in 
erster  Linie  die  von  R  a  u  1  i  n  an  Schimmelpilzen  angestellten  Ex- 
perimente (§  29),  die  für  eine  Reizwirkung  mineralischer  Beimengungen, 
z.  B.  der  Kieselsäure,  des  Eisens  und  vor  allem  der  Zinksalze  sprechen. 
Dahin  gehört  besonders  aber  auch  der  Einfluß,  den  Gifte  bez.  Anti- 
septika in  kleinen  Mengen  auf  das  Wachstum  und  die  Gärtätigkeit  der 
Mikroorganismen  haben.  Hugo  Schulz^)  ist  auf  Grund  fremder 
und  eigener  Studien  an  der  Hefe  zu  dem  Satze  gelangt,  jeder  Reiz 
übe  aufjedeZelle  eineWirkung  aus,  derenEffekt 
hinsichtlich  der  Zelltätigkeit  umgekehrt  pro- 
portional sei  der  Intensität  des  Reizes.  Natürlich  gilt 
dieser  Satz  bestenfalls  nur  in  bestimmten  Grenzen,  denn  daß  von  einer 
gewissen  Konzentration  ab  die  Verdünnung  des  Antiseptikimis  den 
Reiz  herabsetzt,  ist  selbstverständlich.  Biernacki^)  hat  für  eine 
größere  Reihe  von  Desinfektionsmitteln  diejenige  Konzentration  be- 


1)  Pflügers  Arch.  42. 

2)  Ebenda  49. 


Ehmährungsbedingungen. 


181 


stimmt,  die  den  größten  Beiz  auf  Hefe  ausübte  und  damit  verglichen 
die  Konzentration,  die  noch  eine  Hemmung  bewirkte.    Er  fand  für 


seh 

wachste  aufhebend 
Konzentration 

e     stärkste  beschleunigende 
Konzentration 

Sublimat 

:  20000 

:  300000 

Kalium  hvpermanganic. 

Kupfeisulfat 

Brom 

:  10000 

:4000 

:4000 

:  100000 
:  600000 
;  50000 

Thymol 
Benzoesäure 

3000 
.2000 

.  1  . 

;  20000 
:  10000 

Salizylsäure 
Chinin 

1000 
400 

:  6000 
:  80000 

Karbolsäure 

200 

:  1000 

Schwefelsäure 

100 

10000 

Resorzin 

100 

2000 

Pvrogallol 
Borsaure 

50 
25 

4000 
8000 

rhloralhydrat 

25 

1000 

Wenn  auch  diese  Versuche  insofern  an  einem  Fehler  leiden,  als  sie  mit 
Preßhefe,  nicht  mit  Beinkulturen  angestellt  sind,  also  das  Vorhanden- 
sein von  Bakterien  das  Resultat  beeinflußt  haben  kann,  so  sind  sie  doch 
im  wesentlichen  als  richtig  zu  betrachten,  wie  spätere  Arbeiten  ergeben 
haben.  Für  Schimmelpilze  haben  Richards^)  und  Kosinski^), 
für  Milchsäurebakterien  Riebet^)  ähnliche  Verhältnisse  aufgedeckt. 
Bemerkenswert  ist,  daß  die  Zahlen  der  ersten  Reihe  nicht  immer  mit 
denen  der  zweiten  parallel  gehen.  So  muß  man  namentlich  bei  Kupfer 
zu  sehr  bedeutenden  Verdünnungen  heruntersteigen,  um  noch  eine 
Reizwirkung  feststellen  zu  können.  Sie  fehlte  allerdings  nicht  (vgl. 
0  n  0  *)).  Unter  den  Reizen  für  die  Gärungshefe  ist  nach  Effront^) 
die  Milchsäure  zu  nennen,  deren  Nutzen  für  die  Darstellung  des 
Hefegates  für  die  Brennerei  schon  lange  bekannt  ist,  und  die  wir  schon 
als  für  die  Symbiose  wichtiges  Stoffwechselprodukt  (§  50,  vgl.  §  96 
und  111)  kennen  gelernt  haben,  femer  auch  andere  noch  nicht  er- 
wähnte echte  Antiseptika  wie  Flußsäure,  Formaldehyd,  schweflige 
Säure,  Salzsäure  usw. 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  30,  1897. 

2)  Ebenda  37. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  114.  1494. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9. 

5)  Annal.  Pasteur  1896.  39. 


182  Kap.  IV,   !  65  u.  56. 

Oroße  praktische  und  theoretische  Bedeutung  gewonnen  haben 
namentlich  die  Versuche  Effronts^)  mit  Flußsäure  und 
ihren  Salzen.  Es  stellte  sich  heraus,  daß  einerseits  die  gewöhnliclie 
Regel  auch  für  diese  Antiseptika  gilt,  daß  aber  andererseits  auch  eine 
Anpassung  der  Hefe  an  die  Flußsäurewirkimg  möglich  ist^).  Die 
Wachstums-  und  namentlich  auch  die  Gärkraft  der  in  flußsauren  Nähr- 
böden gezogenen  Hefe  kann  dauernd  gesteigert  werden,  so  daß 
sie  auch  beim  Weglassen  des  Keizmittels  bestehen  bleibt.  Das  gleiche 
gilt  für  die  übrigen  Antiseptika^).  Wir  kommen  weiter  unten  darauf 
zurück  (§57).  Neuerdings  hat  Hüne*)  die  begünstigende  Wirkung 
kleinster  Mengen  Sublimats  auf  die  Gänmg  für  B.  coli  bestätigt 
und  gleichzeitig  gefunden,  daß  auch  die  bakteriziden  Im- 
munsera in  gewissen  Verdünnungen  das  Bakterienwachstum  anregen. 
Die  Erklärung  dieser  Reizwirkung  der  Antiseptika  bietet  Schwierig- 
keiten. Es  ist  durchaus  nicht  bewiesen,  daß  durch  die  Verdünnung  die 
Giftigkeit  dieser  Substanzen  für  das  Protoplasma  völlig  beseitigt  wird, 
ja,  vielleicht  wahrscheinlich,  daß  sie  bestehen  bleibt,  daß  aber  die  Gift- 
wirkung in  diesem  Falle  kompensiert  und  überkompensiert  wird  durch 
eine  Gegenwirkung,  eine  „Reaktion"  der  Zelle,  die  sich  nicht 
nur  in  Bildung  von  giftneutralisierenden  Stoffen  (§  57),  sondern  auch  in 
einer  Steigerimg  des  gesamten  Stoffwechsels  äußert.  Bei  zu  starker 
Konzentration  der  Gifte  bleibt  die  Reaktion  aus,  bei  Anpassung  wird 
sie  zu  einer  dauernden  Eigenschaft  (vgl.  §  53). 

Über  die  Reizwirkimg  anderer  nicht  giftiger  Substanzen  ist  wenig 
bekannt.  So  wird  ein  günstiger  Einfluß  größerer  Mengen  von  Kalium- 
phosphat  auf  die  Hefe,  von  Kaliumkarbonat  und  -sulfat  auf  die 
Nitrobakterien  (D  u  m  o  n  t  und  Crochetelle*)),  von  Magnesia- 
und  Phosphorsalzen  auf  die  Pigmentbakterien  (§  254),  von  Chlor- 
kalzium, Chlornatrium  und  Salpeter  auf  den  Leuconostoc  mesenterioides 
(Liesenberg  imd  Zopf®))  behauptet.  Doch  handelt  sich  es  im 
letzteren  Falle  anscheinend  nur  um  die  Begünstigimg  einer  Teilfunktion, 
der  Dextranbildung. 

Die  Begünstigung  rein  fermentativer  Vorgänge  auf  chemischem 
Wege  behandeln  wir  an  anderer  Stelle  (§  247),  machen  aber  hier  gleich 
aufmerksam  auf  die  Tatsache,  daß   kein   Parallelismus  be- 


1)  Zeitschr.  f.  Spiritusindustrie  1891,  64.    Vgl.  Kochs  Jahresber. 
1891  ff. 

2)  Deutsches  Reichspatent  95412. 

3)  Vgl.  Lit.  bei    K  r  u  i  s  in  Lafars  Handb.  5.  302,  1906. 

4)  Zentr.  Bakt.  48,  1908. 

6)  Compt.  rend.  ac.  sc.  117  und  119. 

6)  Kochs    Jahresber.  1892,  90;  vgl.    §  128 ff. 


Bmährungsbedingungen .  1  g  3 

steht  zwischen  diesen  Reizerfolgen  und  denen, 
die  in  lebenden  Kulturen  beobachtet  werden. 
Ebensowenig  gilt  ein  solcher  übrigens  für  die  Giftwirkungen  (S.  191). 

§  56.  Chemische  Bewegungsreize.  In  denjenigen  Fällen,  in 
denen  es  sich  um  bewegliche  Kleinwesen  handelt,  könnte  man  vielleicht 
die  Förderung  der  Ernährung  durch  beliebige  Reize  mindestens  zum  Teil 
auf  Beschleunigung  ihrer  Bewegungen  zurückführen.  Wie  dem  auch 
sei,  sicher  ist,  daß  es  außer  den  früher  betrachteten  physikalischen^) 
auch  chemische  Reize  gibt,  die  richtungsgebend  auf  die 
Bewegungen  der  Mikroben  einwirken.  Die  Wachs- 
tumsbewegung  von  Pilzen  wird  nach  Pfeffer,  Mi70shi^)u.  a. 
beemflußt,  indem  z.  B.  die  jungen  Keimschläuche  durch  die  Spalt- 
Öffnungen  eines  mit  Nährlösung  injizierten  Blattes  oder  durch  die 
Löcher  einer  Glinmierplatte,  die  auf  Nährgelatine  liegt,  einwandern. 
Die  nährende  Eigenschaft  der  chemotropischen  Stoffe  ent- 
scheidet dabei  nicht,  so  wirken  Glyzerin  überhaupt  kaum,  Zucker,  Am- 
moniumsalze, Phosphate,  Fleischextrakt,  Pepton,  Asparagin  mehr  oder 
weniger  stark  positiv  chemotropisch,  Kalisalpeter,  Kochsalz,  Chlor- 
kaUom,  Kakiumnitrat,  freie  organische  und  unorganische  Säuren,  AI- 
kalien,  Alkohol  schon  in  großer  Verdünnung  negativ  chemotropisch. 
Die  Anlockung  oder  Abstoßung  ist  so  stark,  daß  erhebliche  Widerstände, 
wie  Zellulosemembranen,  spaltöffnimgsfreie  Epidermis,  Goldhäutchen 
dnrchbohrt  werden.  Der  Unterschied  der  Reizgröße  ist  dabei  bestim- 
mend, imd  zwar  gilt  auch  hier  das  Weber  sehe  Gesetz.  Bei  aeroben 
Filzen  und  Bakterien  bewirkt  der  Zug  zum  Sauerstoff  Oberflächen- 
wachstum (Aerotropismus).  Die  Bedeutung  dieser  Verhältnisse 
für  die  Infektion  von  Pflanzen  wurde  durch  Nordhausen  und 
Behrens*)  betont.  Auch  bei  den  tierischen  Infektionen  spielen  sie 
Welleicht  eine  gewisse  Rolle,  die  Vorliebe  der  Erreger  für  bestimmte  Ge- 
webe und  Gewebsteile  ist  ja  bekannt  genug  (§53).  Auffällig  ist  allerdings 
gerade  bei  Pilzinfektionen,  wie  die  Pilzfäden  scheinbar  wahllos,  d.  h. 
ohne  auf  die  Gewebsunterschiede  zu  achten,  nach  allen  Seiten  gleich- 
mäßig ihre Hyphen aussenden.  Der  Hydro-  und  Osmotropis- 
iQ  u  8  ist  dem  Chemotropismus  verwandt:  hier  entscheiden  Unterschiede 
im  Wassergehalt  und  osmotischen  Druck*).  Bei  frei  beweglichen  Mi- 
kroben haben  wir  entsprechende  Einflüsse  in  der  Chemo-,  A  e  r  o  -, 
Hydro-,   Osmotaxis.    Schon  Pfeffer^)  fand,  daß  Bakterien 


1)  §  46.    Vgl.  dort  auch  Literatur. 

2)  Bot.  ZeJtg.  1804,  1.    Jahrb.  wiss.  Bot.  28,  1896. 

3)  Ebenda  33,  1898. 

4)  Vgl.    S  t  e  y  e  r  ,  a.  a.  O.  f  §  46). 

5)  Arb.  bot.  Inst.  Tübingen  1.  363,  1884  und  2.  582,  1888. 


184  Kap.  IV,    §  56. 

und  Protozoen  aus  einem  Wassertropfen  in  Glaskapillaren,  die  mit  Lösung 
von  Pepton,  Asparagin,  Ealiumsalzen,  Fleischextrakt  gefüllt  waren, 
am  schnellsten  einwanderten.  Natrium-  und  Ealziumsalze,  Harnstoff, 
Zucker  waren  weniger,  Glyzerin  gar  nicht  wirksam  (s.  o.),  andere  Stoffe 
wie  Säuren,  Alkalien,  Alkohol  und  manche  (nicht  alle)  anderen  Gifte 
negativ  chemotropisch,  d.  h.  wirkten  abstoßend.  Starke  Konzentration 
der  Stoffe  verwandelt  die  Anziehung  öfter  in  Abstoßung,  was  nicht 
immer  auf  Osmotaxis  beruht  (vgl.  §  2).  So  fand  Rotbart^),  daß 
Äther  in  dünner  Lösung  Amylobakter  anlockt,  in  starker  vertreibt. 
Die  einzelnen  Arten  können  sich  ungleich  verhalten.  Paramäcien  werden 
z.  B.  nach  Jennings^)  von  schwachen  Säuren  imd  sauren  Salzen 
sowie  destilliertem  Wasser  angezogen,  von  ihrer  eigenen  alkalischen 
Kulturflüssigkeit  interessanterweise^)  verjagt,  während  Amöben  durch 
fast  alle  Reize  unangenehm  berührt  zu  werden  scheinen,  ihre  Scheinfüße 
einziehen  oder  fliehen.  Manche  Bakterien  werden  nach  Rot  hart 
von  Äther  und  Chloroform  beeinflußt  (s.  o.),  andere  nicht.  Auch  für  die 
Chemotaxis  gilt  das  Weber  sehe  Gesetz.  Über  die  Wirkung 
gemischter  Reize  hat  außer  R  o  t  h  a  r  t  namentlich  K  n  i  e  p  ^) 
gearbeitet  und  kam  zu  dem  Schluß,  daß  in  demselben  Bakterium  ver- 
schiedene Reizbarkeiten  bestehen.  Ebenso  behandelte  er  die  Frage, 
ob  die  Reizbarkeit  durch  äußere  Einflüsse  beeinflußt  werden  kann. 
Das  ist  in  der  Tat  der  Fall.  So  war  ein  Fäulnisbazillus  in  saurer  Lösung 
gegen  Phosphate  empfindlich,  in  alkalischer  nicht,  während  er  sich  gegen 
Ammoniumsalze  (Chlorid,  Nitrat)  gerade  umgekehrt  verhielt  und  von 
Ammonphosphat  sowohl  in  alkalischer  als  saurer  Lösung  angelockt 
wurde.    Auf  weitere  Einzelheiten  gehen  wir  nicht  ein. 

Daß  Sauerstoffmangel  die  Bewegimgen  von  Aerobiem  und  Sauer- 
stoffzutritt die  von  Anaerobiem  allmählich  ebenso  hemmt,  wie  etwa 
Kälte  die  Bewegungen  aller  Mikroben,  ist  eine  bekannte  Tatsache. 
Nach  Ritter^)  verhalten  sich  fakultative  Anaerobier  gegen  Sauer- 
stoffentziehung ungleich ;  zum  Teil  verlieren  sie  ihre  Beweglichkeit  so 
schnell  wie  strenge  Anaerobier,  zum  Teil  erst  nach  einigen  Stunden. 
Ernährung  mit  bestimmten  (für  sie  vergärbaren?)  Kohlehydraten  ver- 
längert die  Bewegungsdauer  erheblich. 

Die   anlockende  Wirkung  des   Sauerstoffs  auf  Bakterien  wurde 


1)  Flora  88,  1901. 

2)  Contribution  of  the  behaviour  of  lower  Organismus.    Waßhington, 
Carnogie  Instit.   1904  und  Doflein,    Protozoenkunde  1909,  S.   111 

3)  s.   o.    §  47   Stoffweohselgifte. 

4)  Jahrb.  wiss.  Bot.   43,    1906. 
f))  Flora  86,    1899. 


Emährungsbedingungen.  185 

zuerst  von  Engelmann^)  zur  Feststellung  der  Assimilationsgröße 
Ton  Algen  in  den  verschiedenen  Teilen  des  mikroskopischen  Spektrums 
benutzt.  An  den  Stellen,  wo  am  meisten  Sauerstoff  ausgeschieden 
wurde,  sammelten  sich  die  Bakterien  an.  Aus  der  ungleichen  Vorliebe 
für  den  Sauerstoff  erklären  sich  auch  die  „Atmungsfiguren",  d.  h.  die 
verschieden  geformten  Bakterienansammlungen,  die  man  nach  B  e  i  - 
j  e  r  i  n  c  k  ^)  in  einem  schräg  zwischen  Deckglas  und  Objektträger 
liegenden  Tropfen  beobachten  kann.  Die  Bakterien  des  aerobiotischen 
Typus  sammeln  sich  ausschließlich  in  einer  schmalen  Zone  am  freien 
Rande  an,  wählend  ein  anderer  Teil,  durch  den  Laftmangel  starr  ge- 
worden, in  der  Mitte  liegen  bleibt;  die  des  anaerobiotischen  Typus 
liegen  sämtlich  in  dem  zentralen  Teil,  die  des  „Spirillentypus"  —  auch 
Vibrionen  und  Schwefelbakterien  —  in  einer  Zwischenzone.  Später 
hat  Beijerinck*)  angegeben,  daß  die  strengen  Anaerobier  nur, 
wenn  sie  in  geringer  Zahl  sind,  sich  in  der  Mitte  ansammeln,  sonst 
aber,  wie  die  Spirillen,  einen  Ring  bilden  in  einiger  Entfernung  vom 
freien  Rande,  and  betrachtet  sie  daher  als  „mikroaerophil",  wie  die 
Spirillen  u.s.w.  Ritter*)  hat  das  bestätigt,  konnte  aber  nicht  fest- 
stellen, daß  die  Anaerobier  die  Mitte,  d.  h.  den  Ort  des  vollständigen 
Sauerstoffmangels  fliehen.  Sie  verhalten  sich  danach  doch  anders 
wie  die  Spirillen.  Nach  Beijerinck  und  Ritter  zeigen  fakultativ 
anaerobe  Bakterien  Atmungsfiguren  wie  Aerobier,  einzelne  aber  — 
dieselben,  die  auch  in  Zucker  Jange  Zeit  ihre  BewegHchkeit  bei  Sauer- 
stoffabschluß erhalten  —  sammeln  sich  zwar  zum  größten  Teil  am 
Rande  an,  verteilen  sich  aber,  eben  weil  sie  ihre  Beweglichkeit  nicht 
verlieren,  sonst  ziemlich  gleichmäßig  über  den  Raum  des  Tropfens. 
Während  diese  Erscheinungen  im  Laufe  weniger  Minuten  sich 
bemerkbar  machen,  treten  die  sog.  „Bakterienniveaus"  Beijerincks 
erst  einige  Tage  auf,  nachdem  man  Reagenzgläser  mit  etwas  fester  Nähr- 
gelatine (oder  Nähragar)  beschickt,  mit  Bakterien  beimpft  und  dann 
mit  Wasser  6 — 10  cm  hoch  überschichtet  hat.  Es  sind  das  dünne 
plattenförmige  Bakterienansanmalungen  in  einiger  Entfernung  von 
der  Oberfläche  der  Flüssigkeit,  die  entweder  ganz  scharf  in  dieser 
gegen  die  klare  Umgebung  abgegrenzt  sind  oder  nach  oben  und  unten 
in  dünne  Trübungen  übergehen.  Wahrscheinlich  ist  das  ein  Vorgang, 
der  sich  dadurch  erklärt,  daß  die  beweglichen  Bakterien  —  denn  nur 
solche  bilden  Niveaus  —  sich  an  denjenigen  Stellen  besonders  reich- 


1)  Bot.  Zeitg.   1881  und  1882. 

2)  Zentr.  Bakt.   U,  1893. 

3)  Arch.  n^erland.   1890  (Kochs  Jahresber.). 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  20.  36,  1908. 


186  Kap.  IV,  §  56u.  57. 

• 
lieh  anhäufen  und  vermehren,  wo  sie  einerseits  genügenden  Sauerstoff, 
andererseits  die  nötigen  Nährstoffe  antreffen.  So  kommt  es,  daß  bei 
Beschränkung  der  Sauerstoffzufuhr  die  Niveaus  steigen,  bei  Ver- 
stärkung sinken.  Lehmann  und  Curchod^),  die  die  Dinge 
nachprüften,  konnten  die  Bildung  von  mehreren  Niveaus  über- 
einander, die  Beijerinck  unter  Umständen  beobachtete,  nicht 
bestätigen,  wenigstens  nicht  in  dem  Sinne,  daß  sich  scharf  be- 
grenzte Platten  dabei  entwickelten,  dagegen  sahen  sie  gelegentlich 
die  schon  von  Jegunow*)  beschriebenen  seltsamen  Bewe- 
gungen bzw.  trichter-,  buckel-  und  säulenförmige  Umfor- 
mungen der  Bakterienplatten  („Bakteriengesellschaf- 
ten'*), ohne  über  den  Mechanismus  derselben  zu  vollständiger  Klar- 
heit zu  gelangen.  Es  scheint,  als  ob  passive,  durch  die  Schwerkraft 
veranlaßte  Wirkimgen  neben  aktiven  Leistungen  der  Bakterien  dabei 
beteiligt  seien. 

In  ihrer  Ursache  noch  vielfach  dunkel  sind  die  Bewegungserschei- 
nungen,  die  manche  Bakterien,  wie  z.  B.  Proteus  (H  a  u  s  e  r)  in  ihren 
Einzelindividuen  und  Kolonien  auf  der  Oberfläche  der  Nährböden 
zeigen.  Daß  für  sie  zum  Teil  Unebenheiten  der  Oberfläche  bestimmend 
sind,  zeigte  neuerdings  B  u  g  g  e.®) 

Zweifellos  ist  es,  daß  die  Aerotaxis  auch  unter  natürlichen  Ver- 
hältnissen für  das  Leben  der  Kleinwesen  wichtig  ist,  bei  den  ver- 
wickelten Verhältnissen  im  Einzelfall  wird  man  freilich  oft  darüber 
nicht  zur  Klarheit  gelangen,  ob  sie  in  Frage  kommt.*) 

§57.  Ernährungsgifte  und  Gegenvirirkungen  der  Mikro- 
organismen. Den  ernährungsf ordernden  Einflüssen  stehen  hemmende 
gegenüber.  Soweit  sie  physikalischer  Natur  sind  (§  42 — 45),  auf  der 
Reaktion  (§  41)  und  Konzentration  der  Nährböden  (§  40)  beruhen 
oder  auf  die  Stoffwechselerzeugnisse  und  Körperbestandteile  der  eigenen 
Mikrobenart  oder  fremder  Mikro-  und  Makroorganismen  zurückzu- 
führen sind  (§  47,  48,  51),  haben  wir  sie  schon  in  den  vorhergehenden 
Abschnitten  abgehandelt.  Hier  gehen  ims  im  wesentlichen  nur  noch 
die  eigentlichen  „fäulniswidrigen"  „antiseptischen"  oder  „desinfizieren- 
den" Mittel,  d.  h.  die  für  die  Mikroben  giftigen  Stoffe  an,  und  zwar 
in  denjenigen  Konzentrationen,  in  denen  sie  nicht  mehr,  wie  wir  eben 
sahen  (§  55),  reizende  Eigenschaften  entwickeln.    Zunächst  gilt  der 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  14.  449,  1905. 

2)  Ebenda  2,  1896  und  4,  1898. 

3)  „Pseudokolonien".    Zentr.  Bedct.    Ref.    42.  Beilage,    S.  69,  1908. 

4)  Vgl.  z.  B.  Rothermund,  Arch.  f.  Hyg.  65.  149  und  Kruse, 
Zeitschr.  f.  Hyg.  59.  39  ff.  über  den  Keimgehalt  der  Oberfläche  fließender 
und  stehender  Gewässer. 


Ernähningsbedingungen.  1  g  7 

Satz,  daß  mit  der  Dichtigkeit  der  Gifte  ihre  wachs- 
tumshemmende  oder  tötende  Kraft  steigt.  Er  ist 
ohne  weiteres  verstandlich.  Aus  dem  gleichen  Grmide  erklärlich  er- 
schiene es,  wenn  die  Wirkung  der  Gifte  abnähme  mit  der  Zahl  der  zu 
desinfizierenden  Mikroben.  Kommt  doch  so  auf  jede  Zelle  weniger 
Gift.  In  der  Tat  läßt  sich  durch  Vergrößerung  der  Ein- 
saat die  Giftwirkung  eines  Nährbodens  oftherab- 
setzen, ja  völlig  aufheben.  Freilich  besteht  diese  Regel 
anscheinend  nicht  für  alle  Gifte,  bez.  nur  in  gewissen  Grenzen  und 
erklart  sich  zum  Teil  aus  der  giftneutralisierenden  Fähigkeit  gelöster 
(abgesonderter)  und  ungelöster  Bestandteile  der  Mikrobenleiber  und 
des  Nährbodens,  wie  wir  schon  im  §  49  bemerkten  und  weiter  unten 
noch  näher  erörtern  werden.  Umgekehrt  haben  wir  S.  166  aus  der 
im  Laboratorium  oft  genug  zu  beobachtenden  Erscheinung,  daß  nur 
große,  nicht  kleine  Mengen  von  Mikroben  —  z.  B.  Pneumokokken  — 
in  einem  Nährboden  —  z.  B.  gewöhnlicher  Nährbouillon  — zum  Wachs- 
tum kommen,  geschlossen,  daß  in  dem  Nährboden  irgend^  Gift  vor- 
handen sein  müsse,  über  dessen  Natur  wir  allerdings  bisher  kaum  etwas 
aussagen  konnten. 

Eben  dahin  gehören,  aber  besser  bekannt  sind  die  zuerst  von 
N  ä  g  e  1  i ,  dann  namentlich  von  F  i  c  k  e  r  studierten  „oligodjoia- 
mischen"  Einflüsse  in  wässerigen  Flüssigkeiten,  die  auf  der  Verun- 
reinigung mit  giftigen  Metallen  u.  dgl.  beruhen.  Diese  Einflüsse  und 
überhaupt  die  Giftwirkungen  sind  —  damit  kommen  wir  auf  die  dritte 
Regel  —  um  so  kräftiger,  je  schwächer  die  Nährkraft 
des  Nährbodens  sonst  ist;  also  am  größten  in 
Wasser,  am  schwächsten  in  Eiweißlösungen  (Behring). 
Zum  Teil  liegt  das  offenbar  daran,  daß  Nahrungsreize  die  Wirkung 
von  Nahrungsgiften  ausgleichen  können,  zum  Teil  an  den  später  zu 
besprechenden  unmittelbar  giftneutralisierenden  Eigenschaften  vieler 
Nahrungsstoffe.  Da  zu  den  Nahrungsreizen  auch  die  Temperatur 
gehört,  ist  klar,  daß  bei  der  für  das  Wachstum  günstigsten  Temperatur 
ein  stärkerer  Zusatz  von  Giften  nötig  ist,  um  das  Wachstum  zu 
hemmen,  als  bei  anderen  Temperaturen.  Beim  Mangel  an  Nähr- 
stoffen imd  wohl  auch  bei  Konzentrationen  der  Gifte,  die  Wachs- 
tum überhaupt  nicht  zulassen,  gilt  dagegen  die  Begel,  daß  d  i  e 
Gifte  um  so  schneller  töten,  je  höher  dieTem- 
peratur  ist. 

Im  einzelnen  die  antiseptischen  Mittel  oder  gar  die  gesamte  prak- 
tische Desinfektionslehre  zu  besprechen,  liegt  nicht  in  unserer  Absicht. 
Der  große  Umfang  dieser  Aufgabe  erfordert  bei  gründlicher  Erledigung 


188  Kap.  IV,   §  67. 

ein  Buch  für  sicli^).  Dagegen  würden  wir  gern  eine  theoretische  Be- 
gründung der  Giftwirkungen  geben,  wenn  der  heutige  Zustand  unserer 
Kenntnisse  das  erlaubte.  Leider  ist  das  aber  bisher  (vgl.  §  16),  wie  wir 
auch  bei  der  Besprechung  der  Giftwirkungen,  die  von  den  Mikroben 
selbst  ausgehen,  sehen  werden  (§  256),  nicht  der  Fall.  Schwierig  zu 
erklären  ist  namentlich  auch  die  spezifische  Verschiedenheit  der  Gift- 
wirkungen, die  man  bei  Vergleichen  der  einzelnen  Mikrobenarten  hin 
und  wieder,  wenn  auch  nicht  regelmäßig,  beobachtet  hat.  Man  könnte 
versucht  sein,  der  Lösung  des  Bätsels  nahe  zu  kommen  durch  das 
Studium  der  stofflichen  Veränderungen,  welche  die  oben  (S.  182)  schon 
kurz  gestreifte  Anpassimg  der  Mikroben  an  Gifte  begleiten. 
Effront^)  glaubt  in  der  Tat  auf  Grund  seiner  chemischen  Analysen 
die  Widerstandsfähigkeit  der  an  FluBsäure  gewöhnten  Hefe  auf  ihren 
höheren  Ealkgehalt  zurückführen  zu  dürfen,  indem  die  in  die  Zellen 
eindringenden  Fluoride  dadurch  in  unlösliche  Salze  umgewandelt 
würden.  Dagegen  soll  der  Mechanismus  bei  der  Anpassung  an  Formal- 
dehyd darin  bestehen,  daß  die  Hefe  ein  größeres  Zerstörungsvermögen 
gegenüber  dem  in  Lösung  befindUchen  Formaldehyd  gewinne.  Nach 
G  i  m  e  1  ^)  würde  eine  gesteigerte  Oxydasebildung  die  Grewöhnung 
der  Hefe  an  schweflige  Säure  erklären.  Nahe  liegt  es,  die  Vorstellung 
der  „Seitenkettentheorie",  die  Ehrlich  zur  Erklärung  der  erworbenen 
Inmiunität  aufgestellt  (§  279,  328),  auf  unsere  Erscheinungen  anzu- 
wenden und  entweder  eine  Ubererzeugung  der  für  das  Antiseptikum 
empfindlichen  Seitenketten  (Rezeptoren)  des  Protoplasmas  oder  eine 
Untererzeugung  derselben  annehmen.  Im  ersten  Falle  wird  das  Gift 
„abgelenkt",  in  unschädlicher  Form  gebunden,  im  zweiten  überhaupt 
nicht  gebunden,  weil  es  ihm  an  Angriffspunkten  mangelt.  Wenn  auch 
diese  Theorie  der  Immunität  ursprünglich  nur  für  die  spezifischen 
immunisierenden  Gifte  aufgestellt  worden  ist  imd  dann  in  zweiter  Linie 
auch  Anwendung  gefunden  hat  bei  der  Erklärung  der  Anpassung  der 
Mikroben  an  tierische  Abwehrstoffe  (§  328  u.  330),  so  hat  Ehrlich 
neuerdings  gezeigt,  daß  man  sich  ihrer  auch  bedienen  kann,  um 
die  Gewöhnung  der  Trypanosomen  an  chemisch  gut  bekannte  Arznei- 
mittel   wie   das   Atoxyl,    den  Brechweinstein    u.  a.    verständlich  zu 


1 )  Vgl.  das  Werk  von  R  i  d  e  a  1 ,  Desinfektion  and  preservation 
of  food  1904,  ferner  die  Darstellung  Gotschlichs  in  der  3.  Auflage 
der  Flügge  sehen  Mikroorganismen  und  in  Kolle-Wassermanns 
Handb.,  sowie  die  hygienischen  Lehrbücher.  Über  theoretische  Grundlagen 
der  Desinfektion  vgl.  besonders  K  r  ö  n  i  g  und  Paul,  Zeitschr.  f.  Hyg. 
25 ;  M  a  d  s  e  n  und  N  y  m  a  n  ,  ebenda  57 ;  C  h  i  c  k ,  Journ.  of  hyg.  1908. 

2)  Kochs  Jahresber.   1905,  228. 

3)  Ebenda  229. 


Ernähningsbedingungen.  1 S9 

machen^).  Er  nimmt  an,  daß  diese  mit  „Chemorezeptoren''  ausgestattet 
seien,  von  denen  er  bisher  mindestens  drei  Gruppen  unterscheidet,  näm- 
lich solche,  die  Arzneistoffe  aus  der  Arsenreihe  (Atoxyl  usw.),  oder  dem 
Fuchsin  ähnliche  Farbstoffe,  oder  Trjrpanrot  (aus  der  Benzopurpurin- 
reihe)  binden.  Durch  Behandlung  der  Trj^anosomeninfektion  im  Tier 
mit  diesen  Mittehi  gelingt  es,  den  Parasiten  gegen  jede  einzebie  dieser 
drei  Gruppen  bzw.  gegen  alle  zusammen  eine  spezifische  und  haltbare 
Widerstandsfähigkeit,  Giftfestigkeit,  zu  verschaffen.  Es  sollen  dabei 
keine  Antikörper  gegen  die  Gifte  gebildet,  sondern  nur  eine  Art  „Re- 
zeptorenschwund" oder  besser  gesagt,  eine  Verminderung  der  Ver- 
wandtschaft (Avidität)  für  die  Gifte  herbeigeführt  werden.  Diese 
Verminderung  erfolgt  gradweise,  und  zwar  so,  daß  z.  B.  die  erste  Stufe 
der  Arsenfestigkeit  dadurch  erreicht  wird,  daß  die  Trypanosomen  der 
Behandlung  mit  p-Amidophenylarsinsäure  (Atoxyl)  und  deren  Azetyl- 
produkt  unterworfen  werden.  Die  zweite  Stufe  zeichnet  sich  durch 
Widerstandsfähigkeit  gegenüber  dem  Arsenophenylglyzin,  die  dritte 
durch  solche  gegen  arsenige  Säure  und  Brechweinstein  aus.  Vielleicht 
geben  uns  ähnliche  Vorstellungen  die  Möglichkeit,  uns  das  spezifische 
Verhalten  gewisser  Desinfektionsmittel,  z.  B.  Farben  gegenüber  Bak- 
terien, wie  Koli-  imd  Typhusbazillen,  die  vielfach  zu  differentialdiagno- 
Rtischen  Zwecken  benutzt  worden  ist,  zu  erklären. 

Gewisse  experimentelle  Tatsachen  (§  49)  geben  ims  femer  einen 
Anhaltspimkt  für  das  Vorkommen  giftablenkender  Stoffe  in 
den  Mikrobenleibem.  Nicht  bloß  durch  stärkere  Einsaat  lebender 
Bakterien  lassen  sich  die  Wachstumswiderstände  —  nach  unserer  Auf- 
fassung die  giftigen  Bestandteile  —  imgeeigneter  Nährböden  überwinden, 
sondern  auch  durch  Zugabe  toter  Bakterien  bzw.  von  Auszügen 
oder  filtrierten  Kulturen.  Diese  Vorstellimgen  führen  uns  aber  noch 
weiter.  Nehmen  wir  nämlich  das  Vorhandensein  giftablenkender 
Stoffe  neben  den  eigentlich  giftempfindlichen  im  Mikrobenleibe  an, 
80  erhalten  wir  auch  eine  Erldärungsmöglichkeit  für  die  Unterschiede 
der  Widerstandsfähigkeit  normaler  Mikrobenarten  gegen  Gifte.  Wir 
konunen  damit  auf  unsere  Erklärung  der  Tatsachen  zurück,  die  W  i  1  - 
dier  zu  seiner  Bios-Theorie  veranlaßt  haben  (S.  167).  Es  ist  natür- 
lich gleichgültig,  wie  wir  die  giftablenkenden  Stoffe  in  den  Bakterien- 
leibem  nennen,  jedenfalls  sind  sie  in  ihrer  Wirkimg  unseren  Aggres- 
sinen  (vgl.  auch  §  328)  und  den  Antifermenten  anderer  Forscher  ( §  10) 


1)  Vgl.  z.  B.  Ehrlich  (Münchn.  med.  Wochenschr.  1909,  5).  Die 
Schlüfise,  die  Ehrlich  aus  solchen  Erfahrungen  auf  die  allgemeine  Kon- 
j^titution  des  Protoplasmas,  die  Bedeutung  der  Seitenketten  für  die  Er- 
nährung zieht,  können  wir  nicht  billigen  (vgl.   §  68  u.  329). 


190  Kap.  IV,  §  57  u.  58. 

vergleichbar.  Über  ihre  Natur,  wie  eine  etwaige  Spezifität  können 
wir  wenig  aussagen,  ehe  die  experimentelle  Bearbeitung  des  ganzen 
Grebietes  nicht  gründlich  durchgeführt  worden  ist.  Wir  wissen  aber, 
daß  gegenüber  manchen  Oiften,  z.  B.  den  Metallsalzen,  schon  den 
Eiweißkörpem  an  sich  eine  „fällende"  Wirkung  zukommt.  Ebenso 
kennen  wir  eine  „absorbierende"  Fähigkeit  vieler  anderer  „Kolloide" 
gegenüber  allen  möglichen  auch  bakteriellen  Giften  (§  274).  Auch  bei 
den  Aggressinen  können  wir  es  schließUch  unentschieden  lassen,  ob 
man  ihre  Leistungen  gegenüber  den  Alexinen  usw.  auf  eine  rein  chemiscbe 
oder  chemisch-physikalische  Bindung  zurückzuführen  hat  imd  müssen 
nur  auf  eine  gewisse  Spezifität  der  Leistungen  Wert  legen  (§  325  ff.). 
Vielleicht  besitzen  die  gewöhnlichen  Gifte  ablenkende  Stoffe  letztere 
ebenfalls  in  gewissem  Grade.  Wir  haben  darauf  schon  hingewiesen, 
als  wir  von  der  wachstumsbefördemden  Wirkung  fremder  Bakterien- 
produkte auf  Streptokokken,  Influenzabazillen  usw.  gesprochen  haben 
(S.  170).  Möglicherweise  gehört  übrigens  in  dieselbe  Gruppe  von  Er- 
scheinungen auch  die  wachstumsbefördernde  Wirkung  bestimmter 
anderer,  nicht  bakterieller  Stoffe,  so  die  Begünstigung  des  Influenza- 
bazillus durch  rote  Blutkörper  bzw.  Hämoglobin,  die  der  Gono-  und 
Menigokokken  durch  Blutserum,  namentlich  vom  Menschen,  die  der 
Trypanosomen  durch  Fleischsaftnährböden.  Nach  der  gewöhnlichen 
Erklärung  sollen  alle  diese  Zusätze  freilich  unmittelbar  als  gute  Nähr- 
stoffe wirken  (S.  108).  Der  Beweis  dafür  ist  aber  niemals  geliefert 
worden.  Uns  scheint  es  vorläufig  ebenso  berechtigt  zu  sein,  hier  von 
einer  giftneutralisierenden  Wirkung  zu  sprechen. 

Wenn  wir  von  Schutzmitteln  der  Mikroben  gegen  Gifte  sprechen, 
dürfen  wir  auch  gewisse  morphologische  Einrichtimgen  derselben  nicht 
vergessen.  Hierher  gehören  die  Schleimhüllen,  die  sogenannten  Kapseln 
der  Bakterien  und  Hefen  (§  4),  die  Sporen  der  Bakterien,  Strahlen- 
pilze und  echten  Pilze,  die  Zysten  der  Protozoen.  Zunächst  werden 
wir  vielleicht  die  größere  Widerstandsfähigkeit  dieser  Formen^)  als 
physikalisch  bedingt  auffassen  dürfen:  schon  das  Eindringen  der  Gifte 
in  die  Zellen  muß  durch  die  Hüllen  und  Membranen  ja  erschwert  werden. 
Die  dichtere  Beschaffenheit  bez.  Wasserarmut  des  Protoplasmas  der 
säure-  und  gramfeöten  Bakterien  (§  18  u.  19)  und  Sporen,  der  Wachs- 
gehalt der  ersteren  wird  ähnlich  wirken.    Daneben  sind  aber  auch 


1)  Nach  Liesenberg  und  Zopf  (Zentr.  Bakt.  12)  erhöht  die 
Kapsel  die  Widerstandsfähigkeit  des  Leuconostoc  mesenterioides  auch 
gegen  Erhitzung.  Abgeschwächte  Milzbrandbazillen  gewöhnen  sich  nicht 
nur  allmählich  an  die  Alexine  des  Blutserums,  sondern  auch  an  die  Wir- 
kungen des  Arseniks  und  bilden  gleichzeitig  Kapseln  (D  a  n  y  s  z  ,  Annal. 
Pasteur  1900). 


Emährungsbedingungen.  191 

chemische  Einflüsse  nicht  xa  unterschätzen.  So  könnte  man  die  Kap- 
seln der  infektiösen  Bakterien  geradezu  als  Sitz  der  Aggressine  be- 
trachten. 

Von  vornherein  enthält  die  Voraussetzung,  daß  es  verschiedene 
durch  Anpassung  erworbene  Schutzmittel  gibt,  durchaus  nichts  Un- 
wahrscheinliches. 

Die  schädliche  Wirkung  von  Giften  auf  das  Wachstum  und  die 
Lebensfähigkeit  der  Eleinwesen  ist  keineswegs  immer  mit  einer  ähn- 
lichen Beeinflussung  aller  Lebensvorgänge,  z.  B.  vieler  Enzym-  und 
Fermentleistungen  verbunden.  So  henmien  Chloroform  imd  andere 
schwache  Antiseptika  nicht  die  letzteren,  obwohl  sie  die  2jellen  töten, 
ja,  sie  dienen  geradezu  zum  Nachweis  derselben.  Man  darf  daraus 
aber  nicht  den  Schluß  ziehen,  daß  das  Wachstum,  der  Stoffaufbau 
kein  enzjmatischer  Vorgang  sei,  es  kann  sich  vielmehr  ganz  gut  um 
eine  größere  Empfindlichkeit  der  synthetischen  Fermente  handeln.  Unter- 
einander zeigen  ja  auch  die  bekannten  Enzyme  große  Unterschiede 
in  ihrer  Empfindlichkeit  für  schädigende  Einflüsse  (Kap.  XIV). 

§  58.  Aaswahl  der  Nährstoffe  bei  gemischter  Ernährung, 
Spaltnng  razemischer  Verbindungen,  Zusammenwirken 
von  Nährstoffen.  Bei  den  verschiedenen  Ansprüchen,  die,  wie  wir  in 
Kap.  III  sahen,  die  einzelnen  Arten  der  Eleinwesen  an  die  Nahrmig 
stellen,  liegt  es  auf  der  Hand,  daß  sie  ein  Wahlvermögen  gegenüber 
den  Nahnmgsstoffen  haben  müssen.  Dasselbe  äußert  sich  einerseits 
darin,  daß  die  Mikroben  aus  den  Nährlösungen  die  für  sie  nützlichen 
Stoffe,  selbst  wenn  sie  stark  verdünnt  sind,  herausziehen  und  die  un- 
nützen, mögen  sie  noch  so  reichlich  vorhanden  sein,  zurücklassen, 
andererseits  darin,  daß  sie  in  dem  Gremisch  an  sich  brauchbarer  Nähr- 
stoffe den  einen  oder  anderen  bevorzugen.  Daß  in  erster  Linie  chemische 
Anziehungskräfte,  die  durch  Fermente  vermittelt  werden,  im  Proto- 
plasma, nicht  allein  etwa,  wie  man  wohl  geglaubt  hat,  physikalische 
Verhältnisse,  insbesondere  eine  die  Osmose  beeinflussende  Zusammen- 
setzung der  äußeren  Zellschichten  dabei  beteiligt  sind,  ist  recht  wahr- 
scheinlich. Im  übrigen  fehlen  uns  fast  alle  Voraussetzungen,  um  uns 
ein  klares  Bild  von  dem  Mechanismus  dieser  Vorgänge  machen  zu 
können.  Im  folgenden  wollen  wir  die  Auswahl  der  Stoffe  an  einigen 
Fällen  betrachten,  die  genauer  untersucht  worden  sind. 

Einige  Zahlen  Cramers  über  den  Aschenbedarf  der  Cholera- 
bazillen haben  wir  schon  auf  S.  88  wiedergegeben;  sie  beweisen,  daß 
diese  Mikroorganismen  die  Phosphorsäure  relativ  begierig  aufnehmen, 
denn  ihre  Asche  kann  5  mal  mehr  davon  enthalten,  als  die  Nährboden- 
asche. Auch  die  Schwefelsäure  zeigt  nach  Gramer  eine  ähnliche 
Anreicherung  im  Zellkörper,  vermutlich  auch  Kalzium  und  Magnesium, 


192  Kap.  IV.   §  58. 

während  der  Chlorgehalt  geringere  Unterschiede  zväschen  Nährboden 
und  Zelle  aufweist. 

Das  Verhalten  der  Mikroorganismen  gegenüber  Kohlenstofh^er- 
bindungen  hat,  nach  einigen  vorläufigen  Erfahrungen  D  u  c  1  a  u  x'  ^). 
Pfeffer')  besonders  gründlich  studiert.  Er  fand  zunächst,  daß 
Schimmelpilze  (Aspergillus  niger  und  Penicillium  glaucum),  wenn  sie 
in  Salz-  und  Traubenzuckerlösungen  mit  Glyzerin,  Milchsäure  oder 
Essigsäure  gezüchtet  werden,  neben  dem  Traubenzucker  vor  allem  die 
Essigsäure  verzehren,  viel  wem'ger  Glyzerin  und  Milchsäure,  die  bei 
genügendem  Überschuß  von  Traubenzucker  sogar  fast  völlig  vor  der 
Verbrennung  geschützt  werden.  So  verhalten  sich  also  die  drei  in 
ihrem  Nährwert  ziemlich  gleichwertigen  Stoffe  recht  ungleich,  nähern 
sich  nur  in  dem  Punkte,  daß  sie,  selbst  in  großem  XTberschuß  angewandt, 
den  freilich  viel  besser  zur  Ernährung  geeigneten  Traubenzucker  ihrer- 
seits nicht  vor  dem  Verbrauch  bewahren. 

Weitere  Nährversuche  mit  Traubensäure  zeigten  zwar,  daß  von 
Pilzen  (Aspergillus  niger,  flavescens,  PeniciUium  glaucum,  einer  „Hefe'* 
und  Monilia  Candida)  sowie  einem  „Rechtsbakterium''  die  Rechts- 
weinsäure, also  nur  der  eine  Bestandteil  der  Traubensäure,  in  erster 
linie  zur  Nahrung  verbraucht  wird,  bestätigten  also  die  berühmte 
Entdeckung  Pasteurs*)  von  der  Spaltung  der  „razemischen"  Wein- 
säure durch  Mikroorganismen  und  dem  Verbrauche  der  Rechtswein- 
säure durch  sie,  bewiesen  aber,  daß  gleichzeitig  geringe  Mengen  der 
Linksweinsäure  und,  nach  völligem  Verbrauch  der  Rechtssäure,  große 
Mengen  der  Linkssäure  assimiliert  werden.  Auf  der  anderen  Seite 
greift  ein  „Linksbakterium"  zunächst  die  Linksweinsäure  und  erst  in 
zweiter  Linie  die  Rechtssäure  an.  Schließlich  fehlt  es  auch  nicht  an 
Mikroorganismen  (Asp.  fumigatus,  Sach.  ellipsoideuSj  Rosahefe,  Bac. 
subtilis),  die  Recht«-  und  Linksweinsäure  in  gleichem  Verhältnis  ver- 
brauchen. U 1  p  i  a  n  i  und  Condelli*),  McKenzie  und  Kar- 
den^) bestätigten  die  Pfeffer  sehen  Befunde  betr.  die  Zersetzung 
der  Traubensäure  durch  Pilze. 

Während  L  e  w  k  o  w  i  t  s  c  h  ^)  bei  der  Mandelsäure  eine 
Bevorzugung  des  linksdrehenden  Bestandteils  durch  allerhand  Pilze, 
und  Pfeffer  wenigstens  manchmal  eine  solche  des  rechtsdrehenden 
durch  Penicillium  glaucum  gefunden  hatten,  erhielten  McKenzie 


1)  Annal.  Pastour  1889,   109. 

2)  Jalirb.  wiss.  Bot.  28,   1895. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.   46.   614,   1855;  51.  298,   1860. 

4)  Kochs  Jahresber.   1900. 

5)  Ebenda  1903. 

6)  Ber.  ehem.   Gesellsch.    15  u.   16,   1882  u.   1883. 


Emährungsbedi  ngnngen.  193 

und  H  a  T  d  e  n  mit  sicheren  Reinkulturen  des  letzteren  Pikes  keine 
deutliche  Spaltung  der  inaktiven  Säure,  ja  kaum  Wachstum,  mit 
Aspergillus  niger  Links-,  mit  Asp.  griseus  Rechtsmandelsäure. 

Inaktive  Glyzerinsäure  wird  nach  Lewkowitsch, 
Mo.  Kenzie  und  H  a  r  d  e  n  durch  Pilze  linksdrehend,  nach  Frank- 
land*) durch  Bac.  ethaceticus  rechtsdrehend,  Milchsäure  nach 
Lewkowitsch,  Linossier,  Frankland,  Ulpiani  und 
Condelli,  McKenzie  und  Harden  durch  Pilze  und  Bakterien 
(Bac.  subtilis,  typhosus)  rechtsdrehend.  Nach  P  e  r  e  ^)  greift  aber 
das  B.  coli  bald  die  Rechts-,  bald  die  Linksmilchsäure  an,  nach  Ul- 
piani und  Condelli  das  Bact.  avicidum  die  Rechtssäure. 

Aach  die  aktiven  Aminosäuren  Alanin,  Leuzin,  Asparagin- 
und  Glutaminsäure  (Schulze  imd  Boßhard*),  E.Fischer, 
Ulpiani  und  Condelli,  McKenzie  und  Harden  u.  a.) 
werden  von  Pilzen  in  ungleichem  Maße  zersetzt.  Nach  F.  Ehrlich^) 
benutzt  die  Hefe  die  in  der  Natur  allein  vorkommenden  optisch  aktiven 
Aminosäuren,  z.  B.  das  Linksleuzin  imd  das  Rechtsalanin  zu  ihrer 
Ernährung,  d.  h.  entzieht  ihnen  Stickstoff  in  Form  von  Ammoniak 
und  macht  Amylalkohol  usw.  dabei  frei  (§  90  und  173),  während  sie 
Rechtsleuzin,  Linksalanin  usw.  fast  gar  nicht  angreift^). 

Weitere  Beispiele  für  das  Wahlvermögen  sind  folgende:  Essig- 
bakterien verbrauchen  zunächst  den  Alkohol,  und,  wenn  dieser  ver- 
schwunden ist,  auch  die  von  ihnen  selbst  gebildete  Essigsäure.  Asper- 
gillus niger  zerstört  nach  W  e  h  m  e  r  *^)  in  ähnlicher  Weise  die  Oxal- 
säure, die  er  vorher  erzeugt,  ist  aber  nur  bei  15 — ^20^  dazu  imstande, 
nicht  bei  8— 10»  (§  122).  Derselbe  Pilz  greift  Stärke,  der  Bac.  amylo- 
bacter  van  Tieghems  Zellulose  erst  an,  wenn  er  den  gleichzeitig 
gebotenen  Zucker  aufgebraucht  hat  (vgl.  Duclaux')).  Auch  nach 
B  e  h  r  e  n  8  ®)  ist  die  Nutzbarkeit  der  organischen  Säuren  für  Schimmel- 
pilze je  nach  der  Spezies  sehr  verschieden :  Botrjrtis  cinerea  greift  Wein- 
säure am  stärksten  an,  weniger  Apfelsäure,  am  wenigsten  Zitronen- 
säure; umgekehrt  verzehrt  Penicillium  glaucum  zuerst  die  Äpfelsäure, 


1)  Zentr.  Bakt.   15,  1894. 

2)  Annal.  Pasteur  1892  u.   1893. 

3)  Ber.  ehem.  Gesellsch.   1891  u.   1893. 

4)  Bioch.  Zeitschr.   1,   1906  u.  8,   1908. 

5)  Eine  vollständige  ZusanunensteDung  auch  seltener,  hier  nicht 
genannter  razemischer  Verbindungen  gibt  Emmerling  inLafars 
Handbuch  1.  429,   1905. 

6)  Ber.  bot.   Ges.  1891. 

7)  Mikrobiol.  4.  446. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  4.  741. 

Krase,  Mikrobiologie.  13 


194  Kap.  IV,   !  58. 

später  Wein-  und  Zitronensäure.  Dabei  ist  das  Wachstum  auf  der  Wein- 
säure allein  bei  Botrytis  am  geringsten.  Der  Autor  will  dieses  auffallende 
Verhalten  daraus  erklären,  daß  der  Pilz  „selbstregulatorisch''  die 
hemmende  Substanz  verbrauche. 

Wie  Traubenzucker  manche  anderen  Stoffe  vor  der  Zer- 
setzung schützt  (s.  o.),  so  fand  Burchard^),  daß  er  auch  den  Harn- 
stoff vor  dem  Angriff  des  Micr.  ureae  liquefaciens  bewahrt.  Wahr- 
scheinlich gilt  dasselbe  für  den  Leim,  denn  es  ist  eine  bekannte  Er- 
fahrung, daß  Gelatine  bei  Zusatz  von  Traubenzucker  von  vielen  Bak- 
terien nicht  verflüssigt  wird. 

Was  die  Stickstoff  quellen  anlangt,  so  kann  auch  hier  eine  N-haltige 
Substanz,  z.  B.  Pepton,  eine  zweite,  z.  B.  Nitrat,  vor  der  Assimilation 
schützen,  während  die  letztere  allein  gegeben  assimiUert  wird  (M  a  a  s  - 
s  e  n  ^)).  Nach  F.  Ehrlich^)  schützt  der  Zusatz  von  Ammoniak- 
salzen oder  anderen  Ammoniak  leicht  abgebenden  Verbindungen  das 
linksleuzin  (s.  o.)  vor  der  Zersetzung  und  erweist  sich  dadurch  als 
Vorbeugungsmittel  gegen  die  Fuselölbildung. 

Viel  studiert  ist  die  Ernährung  der  Hefe  durch  die  verschiedenen 
Zuckerarten  und  deren  Vergärung  durch  sie.  Da  wir  später  im  ein- 
zelnen darauf  eingehen  müssen  (§  86  u.  87),  wollen  wir  hier  nur  vor- 
weg nehmen,  daß  die  Hefearten  oder  Varietäten  sich  zu  den  Zuckern 
ebenso  verschieden  verhalten,  wie  andere  Mikroorganismen  zu  den 
Weinsäuren.  Nach  dem  einen  Teil  der  Forscher,  wie  E.  Chr.  Han- 
sen, Lindner,  Klöcker  ist  dies  Verhalten  für  jede  Varietät 
ein  feststehendes,  nach  6  a  y  o  n  und  Dubourg,  Dienert, 
Duclaux*)  sind  sie  aber  einer  Art  Anpassung  fähig.  So  sollen 
Hefen,  die  wohl  Traubenzucker,  aber  Rohrzucker  allein  nicht  zu 
vergären  vermögen,  den  letzteren  dennoch  angreifen,  wenn  ihnen  beide 
Zucker  zusammen  geboten  werden  und  diese  ihre  Eigenschaft  auf 
ihre  Nachkommen  vererben,  so  daß  die  Hefe  auch  die  Fähigkeit  er- 
langt, den  Rohrzucker  allein  zu  verarbeiten.  Umgekehrt  soll  auch 
das  Gärvermögen  für  eine  Zuckerart  wie  Galaktose  durch  Ernährung 
der  Hefe  in  anderen  Zuckern  verloren  gehen  können.  Ähnliche  An- 
passungen an  die  Nahrung  hat  Pottevin  bei  Schinmielpilzen  be- 
obachtet, die  mit  Glykosiden  ernährt  werden  (§  155).  Vielleicht  handelt 
es  sich  in  diesen  Fällen  nicht  um  den  unbedingten  Gewinn  oder  Verlust 
der  Assimilationsvermögens,  sondern  nur  um  Gradunterschiede.    Daß 


1)  Arch.  f.  Hyg.    36.  281. 

2)  Arb.- Gesundheitsamt  18. 

3)  Ber.  ehem.   Ges.   1907,   1027. 

4)  Mikrobiol.  3.  246  ff. 


Emährungsbedingungen.  195 

in  dieser  Beziehung  ein  gewisses  Maß   von  Variabilität  vorkommt, 
darüber  kann  kein  Zweifel  bestehen  (vgl.   §  353). 

Ebensowenig  ist  zu  bezweifeln,  daß  ein  Nährstoff,  der,  allein  ge- 
reicht, nur  sehr  kiunmerlich  ausgenutzt  wird,  bei  Anwesenheit  anderer 
Nährstoffe  reichlich  assimiliert  werden  kann.  Diese  Erfahrungen  haben 
z.  B.  P  f  e  f  f  e  r  (a.  a.  0.,  S.  233)  bei  Pilzen  mit  Linksweinsäure,  P  r  o  s  - 
k  a  tt  e  r  und  B  e  c  k  ^)  beim  Tuberkelbazillus  mit  Zuckerarten,  S  a  1  z  - 
m  a  n  n  ^)  bei  den  denitrifizierenden  Bakterien  mit  Salpeter,  M  a  a  s  - 
sen^)  bei  verschiedenen  Bakterien  mit  organischen  Säuren  allerart 
gemacht.  Wie  man  sich  den  Vorgang  zu  denken  hat,  bleibt  in  den 
meisten  Fällen  noch  aufzuklären  (vgl.  S.  118  u.  128). 


1)  Vgl.  Lit.   §  29. 


13* 


Kapitel   V. 

Die  Stoffwechselvorgänge  im  allgemeinen^). 

§  59.  Einleitung.  In  den  vorigen  beiden  Kapiteln  haben  wir 
festgestellt,  welche  Stoffe  für  die  Ernährung  der  Mikroorganismen 
nötig  sind,  in  welcher  Menge  und  Mischung  sie  gereicht  werden  müssen, 
und  welche  Einflüsse  die  Ernährung  begünstigen  oder  hemmen.  Die 
Frage,  welchen  Wandlungen  die  Nährstoffe  dabei  unterliegen,  die  Kräfte, 
mit  deren  Hilfe  die  Mikroorganismen  diese  Veränderungen  hervor- 
rufen, mit  einem  Wort,  die  Stoff  wechselvorgänge,  wurden 
dabei  höchstens  oberflächlich  berührt.  Die  Aufgabe  der  folgenden 
Kapitel  ¥rird  es  sein,  soweit  das  die  vorliegenden  Erfahrungen  gestatten, 
in  den  Stoffwechsel  selbst  einzudringen. 

Das  Ziel,  das  wir  uns  stecken,  besteht  darin,  möglichst  jeden 
Stoff,  derderErnährungdient,  in  seinen  Schick- 
salen bis  zum  Ende  zu  verfolgen.  Wir  werden  also  nach- 
einander die  Wandlungen  der  Kohlehydrate,  Alkohole,  der  organischen 
Säuren,  der  verwickelten  oder  einfachen  Stickstoffverbindungen,  der 
Schwefel-  und  eisenhaltigen  Körper,  des  Sauerstoffs  usw.  behandeln. 
Bei  weitem  die  meisten  und  gerade  die  bestbekannten  Vorgänge  sind 
abbauende  (zersetzende,  dissimilierende),  inmierhin  fehlen  unter  den 
letzteren  auch  aufbauende  (synthetische,  assimilierende)  nicht  ganz, 
wenn  sie  auch  nur  Hüll-  und  Vorratsstoffe  der  Zellen  zu  betreffen 
scheinen.  Dabei  kommen  wir  von  selbst  schon  einerseits  auf  die  Stoff- 
wechselerzeugnisse,  andererseits  auf  die  Hilfsmittel,  deren 
sich  die  Mikroorganismen  zur  Stoff  Umwandlung  bedienen,  d.  h.  die 
Fermente  oder  Enzyme,  sehen  allerdings  hier  schon  eine  Grenze  für 
unsere  Erkenntnis,  insofern  wir  zugeben  müssen,  daß  wir  sowohl  über 
die  chemische  Natur  dieser  letzteren  Zellbestandteile  als  ihre  Ent- 
stehungs-  und  Wirkungsweise  im  Dunkeln  sind.  Ähnliche  Erfahrungen 
müssen  wir  auch  sonst  machen,  so  kennen  wir  zwar  im  wesentlichen 
die  grobe  chemische  Zusammensetzung  des  Hauptteils  der  Zellen,  des 
Protoplasmas,  sind  aber  vielfach  im  unklaren  über  dessen  feinen  Bau 


1)  Vgl.   liierzu  namentlich  Duclaux,  Trait6  de  microbiologie. 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  197 

und  den  Weg,  auf  dem  es  sicli  aus  den  Nahrungsstoffen  beim  Wachs- 
tum bildet,  mit  anderen  Worten,  auf  dem  die  Assimilation  stattfindet. 
Immerhin  haben  wir  hier  noch  wenigstens  gewisse  Möglichkeiten  für 
das  Verständnis  der  synthetischen  Vorgänge.  Viel  schwieriger  wird 
die  Untersuchung  wieder,  wenn  wir  zu  dem  Aufbau  der  biologisch 
wichtigen  spezifischen  Zellbestandteilen  kommen,  unter  denen  außer 
den  Fermenten  und  Farbstoffen  namentlich  die  Gifte,  Angriffs«  und 
ImpSstoffe  zu  nennen  sind. 

Bevor  wir  unsere  Untersuchung  nach  diesem  Plane  durchführen, 
geben  wir  hier  eine  Übersicht  über  die  verschiedenen  Vorgänge  des 
Stoffwechsels  und  nehmen  dabei  gewisse  allgemeine  Ergebnisse  schon 
vorweg.  Die  Umwandlungen,  welche  die  Kohlehydrate  im  Stoff- 
wechsel erleiden,  dienen  uns  dabei  am  besten  als  Beispiele  für  die  wich- 
tigsten chemischen  Prozesse. 

§  60.      Hydrolytische  Spaltungen  und  Verflüssigungen. 

I.  Viele  Mikroorganismen  besitzen,  die  Fähigkeit,  unlösliche  Stärke  zu 
lösen  und  gelöste  Stärke  zu  verzuckern.  Der  Vorgang  stellt  dar  in  erster 
Linie  eine  physikalische  Verändenmg,  eine  Verflüssigung  oder  Ver- 
dauung, wobei  der  ursprünglich  unlösliche  oder  kolloidale  Stoff  in 
einen  gut  löslichen  und  teilweise  kristallisierbaren  verwandelt  wird» 
Chemisch  entspricht  ihm  eine  Zersprengung- des  stark  polymerisierten 
Stärkemoleküls  (CgHiQOg)^^  in  das  weniger  Moleküle  C^Hj^Og  ent- 
haltende Dextrin  (CeHiQOg)^  und  eine  teilweise,  unter  Wasserauf- 
nahme erfolgende,  weitere  Spaltung  (Hydrolyse)  des  Dextrins  zu  einem 

Disaccharid  (Maltose)  nach  der  Formel  (CgHjQOs)^  +  2^^^  ^  2^i2H220ii- 

Der  Prozeß  wird  durch  eine  Absonderung  der  Mikroorganismen,  die 
von  P  a  y  e  n  und  P  e  r  s  o  z  1833  zuerst  aus  Malz  dargestellte  und 
benannte  Diastase  verursacht.  Kleinste  Mengen  dieses 
Stoffes  genügen,  um  die  Umwandlung  großer 
Mengen  von  Stärke  zu  vollziehen  und  scheinen 
selbst  den  Prozeß,  ohne  angegriffen  zu  werden, 
zu  überdauern.  Sie  ähneln  deshalb  den  sogenannten 
katalytischen  oder  Kontaktsubstanzen  bekannter  Zu- 
sammensetzung,  in  diesem  Falle  den  verdünnten  Säuren,  die  imstande 
sind,  dieselbe  Umwandlimg  zu  vollziehen.  Zu  Ehren  der  Entdecker 
bezeichnen  die  französischen  Forscher^)  alle  ähnlichen  Zellsekrete  als 
Diastasen;  bei  uns  sind  die  Ausdrücke  lösliche  (ungeformte) 
Fermente  oder  Enzyme  (Kühne)  gebräuchlicher.  Wir  werden 
die  letzteren  bevorzugen  und  das  Wort  Diastase  für  das  stärkelösende 


1)  Duclaux,  Microbiol.  2.   14. 


198  Kap.  V,  S  60  u.  61. 

Enzym  bewahren.  Für  die  Bezeichnung  der  übrigen  Enzyme  werden 
wii  dagegen  nach  dem  Vorgänge  der  meisten  neueren  Forscher  den 
Grundsatz  möglichst  befolgen,  daß  durch  die  Anhängung  „ase"' 
an  den  lateinischen  Namen  des  durch  das  Enzym  veränderten  Stoffes 
das  Enzym  selbst  bezeichnet  wird.  So  würde  also  „Amylase"  gleich- 
bedeutend sein  mit  Diastase^). 

Zu  den  verflüssigenden  Vorgängen  gehört  gleicherweise  die  Ver- 
wandlung des  Inulins  durch  die  Inulinase,  des  Pektins  durch  die 
Pektinase,  der  Zellulose  durch  die  Zellulase  usw.,  aber  auch  die 
sogenannte  Peptonisierung  der  festen  und  schwer  diffusiblen  Eiweiß- 
körper durch  peptische  und  tryptische  Enzyme. 

II.  Chemisch  scharf  charakterisiert  als  einfache  Hydrolyse  ist  die 
sogenannte  Inversion  des  Rohrzuckers,  die  nach  der  Formel 

verläuft  und  durch  das  Invertin  (Invertase,  Saccharase)  bewirkt  wird. 
Die  Formel  ist  die  gleiche  für  die  Hydrolyse  der  übrigen  Disaccharide, 
des  Malzzuckers  durch  die  Maltase,  des  Milchzuckers  durch  die  Lak- 
tase, der  Melibiose  durch  die  Melibiase  usw.,  nur  sind  die  daraus  her- 
vorgehenden Hexosen  (Glykose,  Galaktose,  Fruktose)  durch  ihre 
Konstitution  verschieden.  Einer  hydroljrtischen  Spaltung  entspricht 
auch  der  Zerfall  der  Trisaccharide,  z.  B.  der  Raffinose  in  Melibiose 
und  Fruktose  durch  die  Raffinase,  der  Glykoside  in  Zucker  und  andere 
meist  aromatische  Bestandteile  durch  Emulsin  usw.,  der  Fette  in 
Glyzerin  und  Fettsäure  durch  Lipase,  und  wenn  man  will,  auch  des 
Harnstoffs  in  kohlensaures  Ammoniak  durch  die  Urease. 

§  61.  Spaltungsgärungen.  III.  Eine  Spaltung  des  Trauben- 
zuckers und  anderer  Hexosen  in  zwei  Milchsäuremoleküle  führt  die 
sog.  Milchsäuregärung  herbei: 

Ebenfalls  in  einer  Spaltimg^),  aber  in  einer  solchen  in  einen  flüssigen 


1 )  Leider  ist  eine  ganz  folgerichtige  Anwendung  unserer  Regel  gegen- 
über lange  eingebürgerten  älteren  Namen  nicht  durchführbar  und  wird 
auch  sehr  erschwert  dadurch,  daß  ein  und  derselbe  Stoff  verschiedenen 
enzymatischen  Veränderungen  verfallen  kann. 

2)  Man  sieht,  wie  im  Gegensatz  zu  den  Hydrolysen  die  SpcJtung  der 
Moleküle  hier  eine  tiefergehende  ist  und  ansclieinend  ohne  Beteiligung 
des  Wassers  verläuft.  Eine  nähere  Untersuchung  der  chemischen  Vor- 
gänge, durch  die  das  Endergebnis  erreicht  werden  könnte,  zeigt  aber, 
daß  eine  Mitwirkung  des  Wassers  dabei  kaum  entbehrt  werden  kann,  nur 
gleichen  sich  in  den  genannten  beiden  Fällen  Wassereintritt  und  -austritt 
miteinander  wieder  aus  (§  88).  Bei  anderen  Spaltungagärungen  ist  das  aber 
nicht  immer  der  Fall  (s.  u.). 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  199 

nnd  einen  gasförmigen  Bestandteil  (Alkohol  und  Kohlensäure)  besteht 
die  alkoholische  Gärung  des  Zuckeis 

CfiJ),  =  2C2HeO  +  2CO2  . 

Bis  1897  glaubte  man  meist,  daß  diese  „Gärungen*^  oder  besser  Spal-' 
tungsgarungeni),  die  sich  von  den  Verflüssigungen  und  hydrolytischen 
Spaltungen  auch  durch  die  Schwierigkeit,  sie  auf  anderem  als  bio- 
logischem Wege  zu  erzeugen  imd  die  viel  reichlichere  Wärmeentwick- 
lung, von  der  sie  begleitet  werden,  unterscheiden,  nicht  wie  die 
Hydrolysen  durch  isolierbare  Enzjrme,  sondern  nur  durch  die  Wirkimg 
„geformter"  Fermente  oder  des  „lebenden  Protoplasmas"  hervorgebracht 
würden.  Eduard  Buchner  hat  den  Beweis  des  Gegenteils  ge- 
führt, indem  er  zuerst  die  „Zymase",  das  Enzym  der  Alkoholgärung 
und  später  das  der  Milchsäuregärung  aus  den  Leibern  der  Mikroorganis- 
men darstellte.  Damit  fällt  ein  wesentlicher  Unter- 
schied zwischen  Hydrolysen  und  Gärungen. 

Zu  den  Spaltungsprozessen  gehören  eine  große  Reihe  anderer 
Gärungen,  zunächst  die  der  Zuckerarten  und  der  übrigen  Kohlehydrate, 
so  die  (anaerobe)  Essigsäure-,  Wasserstoff-,  Buttersäure-  imd  Sumpf- 
gasgärung, dann  aber  auch  die  Gärungen  höherer  Alkohole  (Mannit, 
Glyzerin),  der  Fettsäuren  (Ameisensäure,  Essigsäure,  Buttersäure, 
Xilclisäure,  Weinsäure  usw.)  und  endlich  die  sog.  Fäulnis  der  Eiweiß- 
körper, d.  h.  die  Spaltung  der  Aminosäuren.  Sie  sind  nicht  so  gut 
bekannt,  weil  sie  verwickelter  sind.  Bei  der  sogenannten  Buttersäure- 
gärung werden  wir  z.  B.  sehen,  daß  sie  wahrscheinlich  aus  einer  ganzen 
Reihe  verschiedener  Einzelgärungen  zusanuuengesetzt  ist.  Sie  lassen 
sich  in  folgenden  Formeln,  unter  denen  auch  die  der  alkoholischen 
und  Milchsäuregärung  vorkonmien,  wiedergeben  (§  114  und  115): 

CeHitOe  =  Cfifi^  +  200^  +  2H2  (Buttersäuregärung  im 

engeren  Sinne) 
CgHjjOg  =  3  C2H4O2  (anaerobe  Essigsäuregärung) 
C'eHwO«  +  6HjO  =  6CO2  +  12  Hg  (Wasserstoffgärung) 
CcHi^O«  =  C4H10O  +  2  CO2  +  H2O  (Butylalkoholgärung) 
CJB.vfi%  =  2C2HeO  +  2CO2  (alkoholische  Gärung  s.  o.) 
C^HigOj  =  20311^03  (Milchsäuregärung  s.  0.) 

Je  nachdem  die  eine  oder  andere  Spaltung  überwiegt,  ist  die  Mischung 
der  erhaltenen  Produkte  eine  verschiedene,  scheinbar  regellose.    Bei 


1)  Die  Begriffsbestimmung  der  Gärungen  ist  leider  im  Laufe 
der  Zeiten  und  bei  den  verschiedenen  Autoren  so  vielen  Schwankungen 
unterlegen,  daß  man  von  einem  einheitlichen  Sprachgebrauch  nicht  reden 
JtÄim.  Ursprünglich  wurden  darunter,  wie  das  Wort  sagt,  nur  Zersetzungen 
verstanden,  die  rait  Gasentwicklung  verliefen.    Später  hat  man  andere  Spal- 


200  Kap.  V,   §  61  u.  62. 

vielen  anderen  Gärungen  haben  wir  ähnliclie  Verhältnisse.  Daraus 
braucht  natürlich  nicht  zu  folgen,  daß  keine  Regel  bestehe,  und  daß 
die  genannten  Spaltungen  nicht  enz3nBati8cher  Natur  seien.  Im  Gegen- 
teil wird  uns  die  Zukunft  wohl  noch  die  Kenntnis  von  vielen  anderen 
GäruDgsenzymen  verschaffen.  Bei  den  tiefen  Spaltungen  des  Eiweißes, 
bzw.  der  Aminosäuren  scheint  das  in  gewissem  Grade  schon  gelungen, 
man  kann  z.  B.  von  einer  „Aminazidase'"  sprechen,  die  Asparaginsauie 
in  Bemsteinsäure,  Essigsäure,  Kohlensäure  und  Ammoniak  spaltet 
(§  169).  Bei  der  sogenannten  Selbstverdauung  imter  Ausschluß  des 
Lebens  durch  Chloroform  u.  dgl.  wird  femer  gelegentlich  bis  zu  50% 
des  Stickstoffs  als  Ammoniak  frei,  muß  also  eine  Spaltung  zahlreicher 
Aminosäuren  stattfinden  (§  166).  Auch  die  Abspaltung  von  Schwefel- 
wasserstoff aus  Eiweiß  durch  keimfreie  Bakterienprodukte  (M  a  a  s  - 
s  e  n  §  255)  gehört  wohl  hierher. 

§  62.  Oxydationen.  IV.  Während  bei  den  bisher  betrachteten 
Stoffwechselvorgängen  der  Luftsauerstoff  wenigstens  unmittelbar  keine 
Bolle  spielt,  ist  das  bei  den  Oxydationen  oder  Oxydationsgärungen 
der  Fall.  Je  nach  dem  Verbrauch  verschiedener  Sauerstoff  mengen 
entstehen  verschiedene  Produkte  aus  demselben  Stoff  (§  119  ff.).  So  haben 
wir  bei  Zutritt  von  12  Sauerstoff atomen  zum  Zuckermolekül  die  voll- 
ständige Verbrennung  (Veratmung)  desselben  zu  Kohlensäure  imd 
Wasser :  C^fl^^O^  +  1 2  0  =  6  COg  +  6  lijO. 

Wird  der  Oxydationsprozeß  etwas  früher  unterbrochen,  so  sprechen 
wir  von  der  „Oxalsäuregärung" 

CeHiA  +  90  =  SCgH^O^  +  SH^O. 

Noch  weniger  Sauerstoff  verlangt  die  „Zitronensäuregärung": 

CeHiA  +  30  =  CeH,0,  +  2H,0. 

Am  wenigsten  Sauerstoff  ist  schließlich  für  die  Entstehung  der  Glykon- 
säure,  Glykuronsäure  und  der  Glyzerose  aus  Zucker  vonnöten.  Eigen- 
tümlicherweise hängt  das  Zustandekommen  dieser  verschiedenen  Oxyda- 
tionen weniger  von  der  ungleichen  Versorgung  der  Mikroben  mit 
Sauerstoff,  als  von  der  Eigenart  der  Mikroben  selbst  ab.  Weitere 
bekannte  Vorgänge  sind  die  Essigsäuregärung,  die  den  Alkohol  zu 
Essigsäure,  die  Nitrifikation,  die  Ammoniak  zu  Salpetersäure,  die 
Verwesung,  die  Eiweißstoffe  verbrennt.  Die  Forschungen  der  letzten 
Jahrzehnte,  an  erster  Stelle  die  von  G.  Bertrand,  E.  Buchner 


tungen,  aber  auch  Oxydationen  (z.  B.  die  aerobe  Essiggärung),  Hydrolysen 
(Harngärung)  und  Reduktionen  (Mannitgärung),  Kondensationen  (Schleim- 
gärung) und  Farbstoffbildungen  (Pigmentgärung)  als  Gärungen  bezeichnet. 
Wenn  wir  den  Namen  überhaupt  beibehalten  wollen,  so  sprechen  wir  besser 
von  Spaltungs-,  Oxydations-  usw.  Gärungen. 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  201 

und  Meisenheimer  haben  es  wahrscheinlich  gemacht,  daß  nicht 
bloß  einfachste,  biologisch  wenig  wichtige  Oxydationen,  wie  z.  B. 
diejenigen,  die  zur  Bildung  von  Farbstoffen  führen,  sondern  mindestens 
ein  Teil  der  „Oxydationsgärungen",  insbesondere  die  (aerobe)  Essig- 
sauregärung  durch  Enzyme,  die  Sauerstoff  übertragen,  die  sogenannten 
Oxydasen,  vermittelt  wird.  Es  ist  aber  nicht  unmöglich,  ja,  sogar 
recht  wahrscheinlich,  daß  überhaupt  die  „Atmung"  (Luftatmung, 
Sauerstoffatmung)  der  aeroben  Mikroorganismen,  wie  die  aller  luft- 
liebenden Wesen  auf  die  Wirkung  solcher  Oxydasen  zurückzuführen  ist. 

Während  diese  eigentliche  oder  äußere  Atmung  stets  durch  Auf- 
nahme freien  Sauerstoffs  imd  häufig  durch  Abgabe  von  Kohlensäure 
ausgezeichnet  ist,  bezeichnet  man  bekanntlich  als  innere  (intramole- 
kulare) Atmung  eine  Ausscheidung  von  Kohlensäure,  die  nicht  an 
den  Zutritt  freien  Sauerstoffs  gebunden  ist.  Ihre  Existenz  ist  durch 
die  berühmten  Untersuchimgen  Pflügers  i)  für  den  Frosch,  für 
höhere  Pflanzen  durch  Pasteur,  Pfeffer  2)  u.  a.  festgestellt 
worden.  Diese  Forscher  brachten  sie  auch  in  Zusammenhang  mit  der 
alkoholischen  Gärung  (s.  o.).  Bei  vielen  Kleinwesen  hat  man  ähnliches 
beobachtet,  und  zwar  sind  es  stets  solche,  die  eine  Zeitlang  oder  dauernd 
ohne  Sauerstoff  leben  und  Spaltungsgärungen  erregen  können.  Aller 
Wahrscheinlichkeit  nach  sind  eben  diese  Gärun- 
gen —  nichtbloßdiealkoholische,undnichtbloß 
diejenigen,  bei  denen  Kohlensäure  entwickelt 
wird  —  mit  der  intramolekularen  Atmung  iden- 
tisch und  ermöglichen  geradezu  erst  das  Leben 
ohne  Sauerstoff,  die  Anaerobiose,  indem  sie  die 
zumLebennötigeWärme  (Energie)  liefern.  Aus  dem 
Umstände,  daß  die  Oxydationen  meist  erheblich  mehr  Wärme  ent- 
wickeln, als  die  Spaltungen,  erklärt  sich  der  gewöhnlich  viel 
größere  Stoffverbrauch  bei  der  letzteren.  Überall  da,  wo 
die  Oxydationen  verhältnismäßig  wenig  Wärme  liefern,  steigt  aber 
auch  der  Stoffverbrauch  bei  den  Aerobiem  in  ähnlicher  Weise  an. 
Und  gerade  derartige  Vorgänge  verdienen  deshalb  in  erster  Linie  den 
Namen  der  Oxydationsgärungen.  Die  hydrolytischen  Spaltungen  und 
Verflüssigungen  kommen  dagegen,  wie  oben  bemerkt,  für  die  Kraft- 
lieferung nicht  in  Betracht'').  Sie  dienen  vielmehr  nur  zur  Vorberei- 
tung der  Nahrung,  zur  eigentlichen  Verdauung.  Damit  hängt  zu- 
sammen, daß  Hydrolysen  und  Verflüssigungen  meist  (nicht  immer) 


1)  Pflügers  Archiv  10. 

2)  Pflanzenphysiologie  1.  545. 

3)  Alle  Einzelheiten  über  die  Energieverhältnisse  vgl.  in  Kap.  XIII. 


202  Kap.  V,  §  62  u.  63. 

durch  Enzjnne,  die  von  der  Zelle  nach  außen  abgesondert  werden,  veran- 
laßt werden,  während  Spaltungen  und  Oxydationen,  ob  sie  nachweis- 
lich durch  Enzyme  verursacht  werden  oder  nicht,  stets  innerhalb  der 
Zellen  selbst  verlaufen.  Freilich  sind  die  Produkte,  die  aus  den  dynamo- 
genen  Zersetzungen  hervorgehen,  für  die  Assimilation  oder  weitere 
Zersetzungen  noch  nicht  notwendigerweise  -  verloren,  d.  h.  als  Aus- 
wurfsstoffe (Exkrete)  zu  betrachten.  Nur  von  der  Kohlensäure  kann 
man  das  wohl  immer  sagen,  die  übrigen  Stoffe  werden  unter  Umstanden 
im  Stoffwechsel  weiter  verbraucht.  So  verbrennen  z.  B.  Schinmiel- 
pilze  und  Essigbakterien  die  durch  die  Oxydation  gebildete  Oxal- 
und  Essigsäure  vollständig  zu  Kohlensäure  und  Wasser,  wenn  ihnen 
kein  Zucker  oder  Alkohol  mehr  zur  Verfügung  stehen,  und  so  benutzt 
die  Hefe  das  Ammoniak,  das  neben  Fuselöl  bei  der  Leuzinspaltong 
entsteht,  zu  ihrer  Stickstoffemährung. 

Läßt  sich  einerseits  wegen  der  Möglichkeit  der  Anaerobiose  nicht 
leugnen,  daß  die  Mikroben  die  Sauerstoffatmung  nicht  so  unumgäng- 
lich nötig  haben,  wie  die  höheren  Organismen,  so  ist  andererseits  die 
Verwendung  des  Sauerstoffs  der  Luft  bei  ersteren  eine  weit  vielseitigere 
als  bei  den  letzteren,  da  sie  nicht  bloß  die  gewöhnlichen  Nährstoffe, 
sondern  eigentlich  alle  Stoffe,  die  überhaupt  der  Oxydation  fähig  sind, 
z.  B.  selbst  Wasserstoff,  Kohlenoxyd,  Sumpfgas  (§  33),  Schwefel- 
wasserstoff (§  207),  Ammoniak  (§  196)  verbrennen,  ja  als  aus- 
schließliche Kraftquellen  benutzen.  Dabei  sind  sie,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  noch  befähigt,  zur  Oxydation  sich  statt  des  Luft- 
sauerstoffs des  an  Stickstoff  oder  Schwefel  gebundenen  Sauerstoffe 
zu  bedienen.  Freilich  sind  diese  Leistungen  meist  nur  wieder  auf 
ganz  bestimmte  Arten  von  Kleinwesen  beschränkt. 

§  63.  Kednktionen.  V.  Wenden  wir  uns  jetzt  zu  den  Reduk- 
tionen, so  bieten  uns  die  Kohlehydrate  auch  Beispiele  von  solchen, 
selbst  wenn  wir  die  Reduktionsprodukte,  die  neben  Oxydationspro- 
dukten aus  den  schon  besprochenen  Spaltungsgärungen  hervorgehen,  wie 
Alkohol,  Butylalkohol,  Wasserstoff  usw.  nicht  berücksichtigen.  Durch 
Aufnahme  von  2  Atomen  Wasserstoff  in  das  Fruchtzuckermolekül 
bildet  sich  M  a  n  n  i  t  bei  der  nach  ihm  benannten  Mannitgärung  des 
Weines  (§  124).  Daneben  wird  etwas  Milch-,  Essigsäure  und  Kohlen- 
säure erzeugt.  Die  ersten  beiden  Säuren  kann  man  aus  unmittelbarer 
Spaltung  des  Zuckers  herleiten  (s.  o.),  Mannit  und  Kohlensäure  könnten 
aus  folgender  Gleichung  hervorgehen: 

ISCeHiÄ  +  6H2O  =  12CeH,,0e  +  GCO^. 
Diese  Reduktion  erfolgt  übrigens,  obwohl  sie  eine  teilweise  Synthese 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  203 

darstellt,  unter  Wärmeentwicklung,  ist  also  den  kraftliefernden  Vor- 
gängen anzureihen. 

Durch  Reduktionsprozesse  entstehen  ferner  Fett  und  Eiweiß 
aus  Kohlehydraten.  Doch  kommen  wir  damit  schon  in  das  Grebiet 
der  eigentlichen  stark  endothermen  Synthesen  (§66).  Andere  Stoffe 
werden  leichter  reduziert  als  die  Kohlehydrate,  die  selbst  vielmehr 
ab  Reduktionsmittel  dienen  gegenüber  anderen  Stoffen,  so  vor  allem 
gegenüber  den  Nitraten  und  Nitriten,  die  von  den  meisten  Mikro- 
organismen mehr  oder  weniger  kräftig  reduziert  werden.  Die  Produkte 
sind  Nitrite  oder  Ammoniak,  bei  den  sogenannten  denitrifizierenden 
Bakterien  freier  Stickstoff.  Da  niemals  freier  Sauerstoff  entbunden 
wird,  sondern  auf  Kosten  der  Kohlehydrate  usw.  Oxydationsprodukte 
entstehen,  können  wir  diese  Reduktionen  als  Oxydationen  auf- 
fassen, für  die  der  nötigt  Sauerstoff  statt  aus  der  Atmosphäre  aus  der 
Salpeter-  und  salpetrigen  Säure  entnommen  wird.  In  der  Tat  wird 
die  „Stickstoffgärung''  bei  SauerstoSabschluß  von  sonst  luftliebenden 
Bakterien  vollzogen.  Ebenso  dient  die  Schwefelsäure  den  Erregem 
der  „Schwefelwasserstoffgärung''  als  Sauerstofflieferant,  kann  aber 
bei  diesen  strengen  Anaerobiem  nicht  durch  freien  Sauerstoff  ersetzt 
werden.  Diesen  Reduktionen,  die  der  Kraftlieferung  und  zum  Teil 
nebenher  der  Assimilation  des  Stickstoffs  aus  Oxydverbindungen  dienen, 
steht  gegenüber  die  Entwicklung  von  Schwefelwasserstoff  aus  allen 
möglichen  Schwefelverbindungen  und  regulinischem  Schwefel,  die  eben- 
falls eine  weitverbreitete  Eigenschaft  der  Mikroorganismen  ist,  aber 
anscheinend  keine  Kraftquelle  darstellt.  Daß  gelegentlich  keine  eigent- 
liche Reduktion,  sondern  nur  eine  Abspaltung  vorgebildeten  Schwefel- 
wassentoffs  stattfindet,  kann  an  der  allgemeinen  Auffassung  des 
Vorgangs  nichts  ändern.  Ebenfalls  hierher  gehört  die  Reduktion  von 
Farbstoffen  durch  Bakterien.  Welche  Bedeutung  diese  Leistungen  im 
Leben  der  Kleinwesen  haben,  steht  dahin. 

Die  bei  den  Mikroorganismen  nur  ausnahmsweise  auftretende 
Reduktion  der  Kohlensäure,  sowie  die  des  freien  Stickstoffs  zu  Am- 
moniak bez.  Eiweiß   gehören   zu  den  eigentlichen  Synthesen  (§  66). 

Früher  standen  sich  zwei  Erklärungen  für  die  beobachteten  Re- 
duktionswirkungen gegenüber.  Nach  der  einen  wäre  es  naszierender 
Wasserstoff,  nach  der  anderen,  die  die  erste  nicht  ausschUeßt,  das  lebende 
Protoplasma  selbst,  die  sie  vollbringt.  Daß  Wasserstoff  z.  B.  bei  den 
Gärungen  aus  Spaltungen  vielfach  entsteht  und  im  statu  nascendi 
energische  reduzierende  Wirkungen  entfalten  könnte,  ist  nicht  zu 
bestreiten,  doch  ist  im  gegebenen  Falle  selten  der  Nachweis  seiner 
Wirkung  und  bei  den  meisten  Reduktionen  auch  nicht  einmal  der  seiner 
Entstehung  geliefert.     Zur  „Protoplasmawirkung"  greift  man  immer 


204  Kap.  V,   §  64—66. 

dann,  wenn  keine  andere  Deutung  möglicbi  scheint.  Neuerdings  ist 
eine  solche  Möglichkeit  auch  hier  eröffnet  worden  durch  die  Enzym- 
theorie. Ähnlich  wie  es  anorganische  Eontaktsubstanzen  gibt,  die 
Reduktion  bewirken,  z.  B.  den  überschüssigen  Sauerstoff  des  Wasser- 
stoffsuperoxyds entbinden,  so  gibt  es  auch  organische  Eatalj^satoren, 
Enzyme,  die  das  vermögen.  Längst  bekannt  ist  das  für  das  eben  ge- 
wählte Beispiel,  denn  alle  Enzyme,  auch  die  der  Mikroben,  haben  die 
Fähigkeit,  H2O2  zu  zersetzen,  sie  enthalten,  wie  man  jetzt  sagt,  „Kata- 
lasen"'. Dazu  kommen  als  eigentliche  „Reduktasen''  das  Philo- 
t  h  i  o  n  ,  das  Rey-Pailhade  schon  1890  im  alkohoUschen  Ex- 
trakt der  Bierhefe  fand  und  das  aus  Schwefel  Schwefelwasserstoff 
entwickelt.  In  keimfreiem  Hefenpreßsaft  und  bei  Bakterien  sind  dann 
noch  weitere  Reduktasen  gefunden  worden,  freilich  noch  nicht  solche, 
welche  die  der  Kraftlieferung  und  dem  Aufbau  dienenden  Prozesse 
erklären  könnten  (vgl.  S.  107  oben). 

§  64.  Anhydridbildang.  VI.  Wie  die  Reduktion  der  Oxydation, 
so  steht  die  Anhydrid-  oder  Ätherbildung  der  Hydrolyse  gegenüber. 
Alle  höheren  Oganismen,  Tiere  wie  Pflanzen,  sind  dazu  fähig,  sie  bauen 
in  ihrem  Leibe  z.  B.  mit  Leichtigkeit  Disaccharide  aus  Hexoeen,  Fette 
aus  Glyzerin  und  Fettsäuren,  Eiweiß  aus  Peptonen,  Harnstoff  aus 
kohlensaurem  Ammoniak  auf.  Allgemein  nachgewiesen  ist  derartiges 
bisher,  streng  genommen,  noch  nicht  für  Mikroorganismen,  aber  sehr 
wahrscheinlich,  denn  die  Endprodukte  des  Prozesses,  die  unter  gleich- 
zeitiger Kondensation  gebildet  werden  (Stärke,  Glykogen,  Zellulose, 
Fett),  fehlen  auch  bei  ihnen  nicht  (§  65).  Neuere  Erfahrungen,  die 
sich  namentlich  an  die  Beobachtimg  H  i  1 1  s  i)  angeschlossen  haben, 
führen  weiter  zu  der  Anschauung,  daß  dieselben  Enzyme,  die  die  Hydro- 
lyse bewirken,  bei  einer  gewissen  Konzentration  der  entstandenen 
Produkte  die  Umkehrung  der  Prozesse  einleiten,  daß  wir  es  hier,  wie 
man  zu  sagen  pflegt,  mit  „reversiblen"  Prozessen  zu  tun  haben.  So 
haben  Hill  und  nach  ihm  Emmerling  konstatiert,  daß  Glykose 
unter  dem  Einfluß  der  Maltase  in  stärkeren  liösungen  zum  Teil  zu 
Maltose  (oder  Isomaltose)  wird;  E.  Fischer  und  Armstrong 
sahen  aus  Galaktose  und  Glykose  durch  Laktase  Milchzucker  entstehen 
u.  a.  m.  Die  Bedeutung  dieser  Tatsachen  für  die  enzymatische  Er- 
klärung der  einfachen  Synthesen  liegt  auf  der  Hand. 

§  65.  Verdichtungen.  VII.  Das  zeigt  sich  gleich  bei  einer 
weiteren  Gruppe  von  Vorgängen,  die  man  als  Verdichtungen  oder 
Kondensationen  (Polymerisationen)  bezeichnen  kann,  und  die  die 
Umkehrung  der  Verflüssigungsprozesse  ( §  60)  darstellen.  Da  die  Mikro- 


1)  Journal  of  the  cheroieal  society.    August  1898. 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  205 

Organismen  die  Stärke,  das  Glykogen,  die  Zellulose,  die  sie  in  ihrem 
Körper  ansetzen,  meist  in  Form  von  kristÄllisierbarem  Zucker  aufnehmen, 
müssen  sie  im  Inneren  daraus  erst  wieder  Wasser  abspalten  und  dann 
die  Moleküle  kondensieren.  Das  scheint  auch  hier  wieder  unter  der 
Einwirkung  derselben  Enzyme  vor  sich  zu  gehen.  So  würden  nach 
H  a  r  d  e  n  und  Young,  Buchner  und  Meisenheimer 
durch  die  Zymase  aus  Zucker  wieder  Polysaccharide  aufgebaut. 

Ähnliche  Vorgänge  scheinen  sich  abzuspielen  bei  den  sogenannten 
schleimigen  Gärungen,  die  in  Wein  und  Bier,  Milch,  dem 
Saft  der  Zuckerrüben  imd  allen  möglichen  Pflanzensäften  vorkommen. 
Es  wird  hierbei  aus  Hexosen  CgHjr.Oß  unter  Austritt  von  Wasser  das 
Polj^saccharid  (CqHi(,05)p  des  Pflanzenschleims  gebildet.  Aus  Zellu- 
lose soll  der  Schleim  der  sogenannten  Essigmutt«r  bestehen.  Man 
spricht  hier  von  Gärungen,  weil  das  Erzeugnis  sich  massenhaft  außer- 
halb der  Zellen  anhäuft,  es  ist  aber  nicht  verschieden  von  den  in  den 
Zellen  abgelagerten  Stoffen. 

Eine  extrazelluläre  Kondensation  ist  nach  D  u  c  1  a  u  x  in  ge- 
wisser Beziehung  sehr  bestechender  Auffassung  auch  die  Gerinnung 
des  Kaseins  der  Milch  durch  Labenzym,  die  ja  von  vielen  Mikro- 
organismen bewerkstelügt  wird.  Wahrscheinlich  erfolgt  aber  auch 
der  intrazelluläre  Aufbau  des  Eiweißes  in  ähnücher  Weise  durch  Kon- 
densation von  Aminosäuren  zu  Polj^ptiden,  Peptonen  usw. 

Der  chemische  Vorgang  bei  den  genannten  Kondensationen  ist 
noch  nicht  genügend  aufgeklärt  und  erfolgt  vielleicht  auf  verschiedene 
Weise,  d.  h.  entweder  unter  fortgesetzter  Verkettung  mit  Wasser- 
austritt nach  Art  der  Trisaccharide  und  Polypeptide  oder  —  wenigstens 
teilweise  —  unter  Atomverschiebungen  und  zyklischen  Bindungen, 
wie  sie  bei  der  Polvmerisation  beobachtet  werden. 

Während  die  Reduktionen  meist  exotherm  verlaufen,  gehören 
Kondensation  und  Anhydridbildung  der  Regel  nach  zu  den  endo- 
thermen Vorgängen,  doch  wird  nur  wenig  Wärme  dabei  gebunden. 

§  66.  Synthesen.  VIII.  Teils  den  tiefen  Spaltungen,  teils  den 
Oxydationen  entgegengesetzt  durch  die  Natur  der  chemischen  Vor- 
gänge sind  die  eigentlichen  Synthesen,  die  darum  auch  einen  großen 
Energieaufwand  erfordern,  also  ebensoviel  Wärme  binden,  wie  jene 
erzeugen.  Dahin  gehören  außer  dem  Aufbau  der  Zellsubstanzen  aus 
den  gewöhnlichen  Nährstoffen  auch  die  ohne  Chlorophyll  \md  Licht- 
wirkung zustande  kommende  Assimilation  der  Kohlensäure  durch  die 
Nitrobakterien  (H  ü  p  p  e  und  Heraus,  Winogradsky),  die 
ähnlichen  Leistungen  gewisser  Schwefelbakterien,  die  ebenso  merk- 
würdige Assimilation  des  atmosphärischen  Stickstoffs  durch  die  Bak- 
terioden  der WurzelknöUchen  (Hellriegel),  das  Clostridium  Pasto- 


206  Kap.  V,  {  66  u.  67. 

nanum  Winogradskys,  das  Azotobakter  chroococcum  B e i - 
jerincks  u.  a.  Über  die  Wege,  die  dazu  führen,  ist  man  meist  noch 
ganz  im  miklaren,  wenn  es  auch  an  Vermutungen  darüber  nicht  fehlt. 
Ebenso  ist  der  Mechanismus  der  Synthesen  noch  unbekannt.  Nach  den 
Fortschritten,  die  in  der  letzten  Zeit  die  Kenntnis  der  Fermente  bzw. 
Enzyme  gemacht,  liegt  es  aber  nahe  genug,  auch  für  den  Aufbau  des 
Protoplasmas  auf  die  Tätigkeit  fermentativer  Kräfte,  vielleicht  sogar 
isolierbarer  Enzyme,  zurückzugreifen,  Assimilation  und  Dissimilation 
also  auf  einen  ähnlichen  Mechanismus  zurückzuführen.  Jedenfalls 
wäre  es  sehr  unvorsichtig,  ohne  weiteres  diese  Möglichkeit  abzulehnen. 
Man  braucht  nur  daran  zu  erinnern,  wie  sehr  sich  diejenigen  —  und  es 
war  sicher  die  große  Mehrzahl  der  Gelehrten  —  getäuscht  haben,  die 
noch  vor  15  Jahren  die  Vorstellung  für  unannehmbar  erklärten,  daß 
die  Gärwirkimgen  im  Inneren  des  lebenden  Zelleibes  durch  einen 
besonderen,  von  der  Zelle  produzierten  enzymartigen  Stoff,  der  sich 
nur  wegen  seiner  großen  Empfindlichkeit  nicht  isolieren  ließe,  vermittelt 
würden.  Wenige  Jahre  darauf  hatten  wir  die  Zjmiase  der  alkoholi- 
schen Gärung  und  die  Enzyme  der  Milchsäure-  und  Essiggärung  in 
Händen !  Und  die  Zukunft  wird  uns  hoffentlich  noch  viele  derartige 
Überraschungen  bringen.  Wahrscheinlich  hat  das  erwähnte  Vorurteil 
es  nur  zuwege  gebracht,  daß  wir  solange  auf  die  Entdeckung  der 
Zymase  haben  warten  müssen. 

Natürlich  wäre  es  nicht  nötig,  anzunehmen,  daß  die  vermuteten 
S)mthetischen  Enzyme  genau  in  der  umgekehrten  Richtung  arbeiteten, 
wie  sich  die  Spaltungen  und  Oxydationen  vollzögen,  daß  diese  selbst 
umkehrbare  Prozesse  darstellten,  also  z.  B.  die  Synthese  des  Zuckers 
sich  durch  Zusammentreten  von  Alkohol  imd  Kohlensäure  vollziehen 
könnte.  Mißtrauisch  müssen  wir  aber  auch  gegen  die  Versuche  sein, 
aus  „theoretischen"  Gründen  allein  die  Möglichkeit  ihrer  enzyma- 
tischen  Entstehung  zu  bestreiten.  Wir  müssen  wohl  Geduld  haben, 
bis  die  Erfahrung  auch  in  dieser  Frage  entscheidet  und  uns  nicht  auf 
Definitionen  der  Enzyme,  wie  die  0  s  t  w  a  1  d  sehe,  festlegen,  die 
sich  später  als  unrichtig  erweisen  könnten  (§  239).  Analogien  mit 
unorganischen  Katalysatoren  sind  nicht  maßgebend,  die  Fermente 
der  Zelle  sind  eben  weit  leistungsfähiger,  wie  uüas  schon  die  bisher 
bekannten  Gärungsenzyme  lehren.  Die  Hauptsache  wird  immer 
bleiben,  daß  die  zur  Leistung  der  synthetischen  Arbeit  nötige  Kraft 
der  Zelle  geliefert  wird,  und  dafür  sorgen  deren  reichliche  Wärme- 
quellen, d.  h.  Oxydationen  und  Gärungen, 

Vergegenwärtigt  man  sich  im  einzelnen  den  Gang  der  Synthesen, 
die  z.  B.  zum  Aufbau  des  Eiweißmoleküls  führen  könnten,  so  sieht  man 
zunächst,  daß  bei  den  Mikroorganismen  die  Mannigfaltigkeit  der  Pro- 


Stoffwechsel  im  allgemeineii.  207 

zesae  eine  viel  größere  sein  muß,  als  bei  den  Tieren  und  zum  Teil  noch 
bei  den  Pflanzen:  die  Emährungsmögliclikeiten  sind  ja,  wie  wir  im 
Kap.  III  gesellen,  viel  umfassender:  der  nötige  Stickstoff  und  Kohlen- 
stoff kann  in  der  verschiedensten  Form  geboten  sein.  Dementsprechend 
müssen  auch  die  synthetischen  Prozesse  wechseln.  Nehmen  wir  an, 
daß  als  einziger  Nährstoff  eine  Aminosäure  geliefert  wäre,  z.  B.  Alanin 
(Äminopropionsäure),  so  würde  die  erste  Aufgabe  der  SSelle  darin  be* 
stehen,  aus  diesem  Gnmdstoff  alle  übrigen  Bestandteile  des  Eiweiß- 
moleküls, die  zahlreichen  anderen  Aminosäuren  (Leuzin,  Glykokoll, 
Asparaginsäure,  Tyrosin  usw.)  zu  bilden  —  und  zwar  in  dem  rich- 
tigen Verhältnis  zu  bilden,  durch  deren  Verkettung  die  Polypeptide, 
Peptone,  Albumosen  und  schließlich  die  verschiedenen  Eiweißkörper 
des  Protoplasmas  zu  erzeugen.  Es  handelt  sich  offenbar  dabei  nicht 
nur  um  eigentliche  Synthesen,  sondern  Hand  in  Hand  gehen  wohl  damit 
viele  der  früher  besprochenen  Stoffwechselprozesse,  Oxydationen, 
Reduktionen,  Spaltungen  usw.  Daneben  werden  aber  vielleicht  noch 
andere  JStoffumwandlungen  vorkommen,  die  wir  bisher  nicht  erwähnt 
haben,  weil  sie  isoliert  nicht  beobachtet  worden  sind :  So  bilden  manche 
Bakterien  aus  einer  Zuckerart,  z.  B.  Glykose,  arabischen  Gunmii,  in 
dessen  Molekül  die  Galaktosegruppe  stark  vertreten  ist.  Diese  Syn- 
these setzt  also  Atomverschiebungen  voraus,  wenn  wir 
nicht  annehmen  wollen,  daß  die  Glykose  zu  dem  Zweck  erst  tiefer 
gespalten  wird. 

§  67.  Znsammenfassung.  Aus  unserer  Darstellung  folgt,  daß 
wir  geneigt  sind,  nicht  nur  die  oberflächlichen  und  tiefen  Spaltungen, 
die  Oxydationen  und  Keduktionen,  die  Anhydridbildxmgen  und  Kon- 
densationen, sondern  ebenso  auch  die  eigentlichen,  unter  starker 
Wännebindung  verlaufenden  Sjnithesen  auf  Fermente  zurückzuführen 
und  weiter  die  Vermutung  auszusprechen,  daß  diese  Fermente  sich 
auch,  wenigstens  begrifflich,  von  dem  lebenden  Protoplasma  trennen 
lassen,  d.  h.  ungeformte  Fermente  oder  Enzyme  seien.  Die  heutige 
Entwicklung  der  Enzjmiforschung  spricht  wenigstens  nicht  gegen  diese 
Ansicht.  So  kennen  wir  auch  verschiedene,  den  einfachen  (hydroly- 
tischen) oder  tieferen  Spaltungen  (Gärungen)  und  Oxydationen  durch- 
aus vergleichbare  Vorgänge,  bei  denen  es  bisher  noch  nicht  gelungen 
ist,  die  Enzyme  darzustellen,  und  bei  denen  wii  sie  trotzdem  doch  wohl 
aus  Gründen  der  Analogie  annehmen  dürfen.  Beispielsweise  sind  weder 
die  Zymasen  noch  —  meistenteils  —  die  entsprechenden  die  alkoholische 
Vergärung  der  Disaccharide  durch  Bakterien  vorbereitenden  hydro- 
lytischen Enzyme  dargestellt  worden.  Femer  hat  man,  obwohl  man  die 
spaltende  Wirkung  der  Hefe  für  Leuzin  imd  andere  Aminosäuren 
(unter  Bildung  von  Fuselölen)  kennt,  weder  im  Hefepreßsaft  noch  in 


208  Kap.  V,   §  67. 

der  Azetondauerhefe  das  betreffende  Enzym  nachweisen  können.  Wir 
schließen  daraus  nur,  daß  sich  der  Darstellung  vorläufig  unüberwind- 
liche Schwierigkeiten  entgegenstellen,  nicht  aber,  daß  die  £nz3nne 
nicht  gebildet  werden,  und  denken,  daß  es  sich  ebenso  mit  den  von 
uns  vorausgesetzten  oxydierenden  imd  sjmthetischen  Enzymen  ver- 
halten könnte.  Im  übrigen  macht  es  unseres  Erachtens  wenig  Unter- 
schied, ob  wir  für  die  Stoffwechselvorgänge,  das  Vorhandensein  von 
Enz)anen  oder  das  von  „geformten  Fermenten"  verantwortlich  machen. 
Denn  ob  man  die  letzteren,  wie  man  es  früher  liebte,  als  besondere, 
nur  dem  lebenden  Protoplasma  eigentümliche  Kräfte  bezeichnet  oder 
ob  man  diese  Kräfte,  wie  wir  es  vorziehen  würden,  in  bestimmten,  von 
dem  Protoplasma  ohne  Zerstörung  nicht  trennbaren  fermentartigen 
Seitenketten  sucht,  ist  wohl  ziemlich  gleichgültig.  Auf  andere  „theore- 
tische" Gründe  gegen  die  Ausdehnung  der  Enzymtheorie  auf  die 
Sjmthesen  geben  wir,  wie  gesagt  (§  66),  nicht  viel. 

Aus  unserer  Darstellung  würde  folgen,  daß  dasProtoplasma 
der  Kleinwesen  —  ebenso  natürlich  das  der  höheren 
Zellen  —  durch  die  Ausstattung  mit  Fermenten 
bzw.  Enzymen  zu  seinen  so  verschiedenartigen 
S  to  f  f  we  chs  e  1 1  ei  s  t  u  n  ge  n  in  den  Stand  gesetzt  wird. 
Ihre  Zahl  ist  sehr  erheblich.  So  rechnen  wir  allein  bei  der  Hefe  schon 
jetzt  einige  Dutzend  heraus  (§  89  u.  90).  Ein  Teil  derselben  scheint 
freilich  nur  spurenweise  zur  Wirkung  zu  gelangen,  z.  B.  das  Enzym 
der  anaeroben  Essigsäure-  und  Milchsäuregärung,  während  andere,  wie 
Invertin,  Maltase,  Zymase  offenbar  besonders  mächtig  entwickelt  sind. 
Einmal  dieser  Umstand,  andererseits  die  Tatsache,  daß  die  Stoffwechsel- 
leistungen vieler  anderer  Kleinwesen  wieder  nach  anderer  Richtung 
hin  hervorragen  —  man  denke  z.  B.  an  die  zahlreichen  Zersetzungen 
der  Kohlenhydrate,  die  Milchsäure-,  (anaerobe)  Essigsäure-,  Butter- 
säure-, Butylalkohol-,  Sumpfgas-,  Zitronensäure-,  Oxalsäure-,  Mannit- 
und  Schleimgärung,  die  wohl  sämtlich  durch  besondere  Enzyme  her- 
vorgerufen werden  —  lassen  darauf  schließen,  daß  zwar  die  An- 
lagen zu  e  n  z  y  m  a  t  i  s  c  h  e  n  Leistungen  im  allge- 
meinen in  den  Mikroben  weit  verbreitet  vorkom- 
men, daß  aber  in  jeder  Art  nur  einzelne  Leistungen 
gewissermaßen  zu  Spezialitäten  ausgebildet  werden. 
Die  Mannigfaltigkeit  der  Enzyme  in  jeder  Zelle  würde  es  mit  sich 
bringen,  daß  sie  sich  oder  ihre  Wirkungen  gegenseitig  schädigten, 
wenn  sie  nicht  vor  Berührung  geschützt  würden.  Das  ist  z.  B. 
nachgewiesen  für  die  Zymase,  die  im  Hefepreßsaft  durch  die 
Endotrj^tase  zerstört  wird.  Offenbar  bestehen  im  lebenden  Proto- 
plasma   Isolierungseinrichtungen.     Man    könnte    ähnlich    wie    Hof- 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  209 

m  e  i  s  t  e  r  ^)  die  Zellen  etwa  als  eine  chemische  Fabrik  sich 
vorstellen,  die  aus  einzelnen  Laboratorien  mit  streng  durchge- 
führter Arbeitsteilung  bestände.  Die  Wände  derselben  würden 
\ielleicht  durch  kolloide  (hpoide?)  Stoffe  gebildet,  an  denen  die 
Zelle  80  reich  ist.  Sobald  wir  allerdings  versuchen,  uns  das  Bild 
weiter  auszumalen,  geraten  wir  in  Schwierigkeiten.  So  verträgt 
sich  schon  die  Tatsache,  daß  so  häufig  durch  die  Selbstverdauung 
der  ganze  Verband  der  Sicllen  aufgehoben  wird,  schwer  mit  der  An« 
nähme  einer  ausreichenden  Isolierung  der  Enzvme.  Genügt  doch 
schon  die  Ausschaltung  der  Lebenstätigkeit,  d.  h.  in  diesem  Falle 
wohl  der  aufbauenden  Fermente,  z.  B.  durch  schwache  Antiseptika, 
um  das  oder  die  Verdauungsenzyme  frei  zu  machen  (§  9).  Auf  der 
anderen  Seite  darf  die  Isolierung  der  Fermente  nicht  so  weit  gehen, 
daß  das  Ineinandergreifen  der  einzelnen  Stoffwechselvorgänge  ver- 
hindert wird.  Wahrscheinlich  bestehen  also  nicht  nur  einfache  mecha* 
nische  Hindernisse,  sondern  verwickelte  Einrichtungen,  imd  zwar 
hemmende^),  die  die  ordnungsmäßige '^  Einzelarbeit  der  Enzyme 
ermöglichen,  und  wider  andere,  die  ihr  zweckmäßiges  Zusammen- 
wirken in  den  Zellen  gewährleisten. 

§68.  (Fortsetzung)  Gegenstoffe,  Hilfsstoffe  der  Klein- 
wesen. Die  Enzymtheorie  hat  so  deutliche  Vorzüge  vor  den  früheren 
unklaren  Vorstellungen  über  die  „Protoplasmatätigkeit"  im  Stoff- 
wechsel, daß  man  deswegen  mit  ihr  ganz  zufrieden  sein  könnte.  Immer- 
hin dürfen  wir  uns  nicht  der  Täuschung  hingeben,  daß  wir  durch  sie 
das  Lebensrätsel  erklären.  Wir  schieben  nur  die  Grenzen  unserer 
Kenntnisse  um  einige  Schritte  weiter  vor,  bleiben  aber  nach  wie  vor 
über  das,  was  jenseits  der  Grenze  liegt,  im  Dunkeln.  So  wird  uns  schon 
die  Freude  an  den  Enzjrmen  sehr  beeinträchtigt  durch  unsere  fast 
völlige  Unkenntnis  ihrer  chemischen  Natur,  Wir- 
kungs-  und  Entstehungsweise.  Dieser  Mangel  gilt  in 
ziemlich  gleicher  Weise  für  andere  in  den  letzten  Jahrzehnten  ebenso 
oft  genannte  und  studierte  Bestandteile  der  Kleinwesen,  ihre  Eigen- 
gifte, Angriffs-  und  Impfstoffe,  die  wir  hier  als  Antigene  oder  ,, Gegen- 
stoffe" zusammenfassen  wollen.  Mit  den  Enzymen  haben  sie  außer 
den  genannten  leider  negativen  Eigenschaften  erstens  gemeinsam,  daß 
sie  für  bestimmte  biochemische  Leistungen  verantwortlich  sind.  Und 
zwar  kann  man  diese  Leistungen  zum  Teil  wie  die  der  Enzyme  als 


1)  Die  chemische  Organisation  der  Zelle,  1901. 

2)  Vgl.  die  von  I  w  a  n  o  f  f  gefundenen,  die  Selbstverdauung  der 
Hefe  hemmenden  Körper  (§  92).  Über  die  vermeintlichen  Antifermente 
der  Bakterien  vgl.   §  10. 

Kr  Die,  Mikrobiologie.  ,  14 


210  Kap.  V,    !  68. 

Auslösungen,  Anregungen  chemischer  Vorgänge, 
zum  Teil  als  Hemmungen  von  solchen  bezeichnen.  Im  Stoff- 
wechsel der  Mikroben  sind  ihre  Wirkungen  zweischneidiger  Natur, 
nämlich  günstige,  insofern  sie  das  Leben  der  Mikroben  vor  Gefährdung 
von  außen  schützen,  ungünstige  aber,  indem  sie  umgekehrt  die  Ge- 
fahren von  außen  heranziehen.  VerständUcher  wird  uns  das  erst, 
wenn  wir  eine  weitere,  mindestens  ebenso  wichtige  Leistung  der  ver- 
schiedenen Arten  von  Antigenen,  die  sie  ebenfalls  mit  den  Enzymen, 
mindestens  mit  vielen  von  ihnen  gemein  haben  (§  249),  ihre  Fähigkeit, 
Tiere  zu  immunisieren,  spezifische  Immunkörper  (Antikörper,  Gegen- 
körper) in  ihnen  zu  erzeugen,  ins  Auge  fassen.  Die  giftigen  Antigene 
sind  außerdem  wegen  der  Krankheitserscheinungen,  die  sie  im  Tiere 
hervorrufen,  für  die  Pathologie  von  großer  Bedeutung,  haben  aber  nach 
imserer  Auffassung  (§  51)  für  das  Leben  der  Mikroben,  die  sie  erzeugen, 
keinen  Wert^).  Hier,  wo  wir  es  nur  mit  dem  Stoffwechsel  der  Mikroben 
selbst  zu  tun  haben,  interessiert  uns  ihre  Giftwirkung  überhaupt  nicht 
und  das  Immunisierungsvermögen  der  Gifte,  Angriffsstoffe,  sonstigen 
Impfstoffe  und  Enzyme  nur  deswegen,  weil  es  uns  nach  der  Ehr- 
lich sehen  Seitenkettentheorie  einen  gewissen  Einblick  eröffnet  in 
den  chemischen  Bau  dieser  Stoffe,  und  Ehrlich  diese  Theorie  auch 
benutzt  hat,  um  daran  Vorstellungen  über  den  Bau  des  Protoplasmas 
und  die  Assimilation  zu  knüpfen^).  Die  Antigene  sind,  wie  Ehrlich 
es  nennt,  mit  bindenden  („haptophoren")  Gruppen  ausgestattete 
Seitenketten  des  Protoplasmas  der  Mikroben,  die  dadurch,  daß  sie 
von  den  Mikroben  losgelöst  und  Tieren  einverleibt  in  entsprechende 
Seitenketten  („Rezeptoren'*)  der  tierischen  Zellen  eingreifen,  diese  aus 
dem  Betrieb  ausschalten  und  hierdurch  mittelbar  ihren  Ersatz,  ja  ihre 
überreichliche  Neubildung  anregen.  In  das  Blut  abgestoßen  stellen 
die  tierischen  Rezeptoren  dann  das  vor,  was  wir  Anti-  oder  Immun- 
körper oder  auch  Schutzstoffe  nennen.  Mit  ihnen  treten  die  Antigene, 
oder  wie  wir  sie  auch  nennen  können,  solange  sie  an  ihren  Erzeugern, 
haften,  die  Rezeptoren  derMikroben,  wieder  in  Wechselwirkimg,  indem 
sie  sie  ihrerseits  an  die  Leiber  der  Mikroben  ketten  und  dadurch  ent- 
weder deren  Vernichtung  (durch  Bakteriolyse,  Bakterizidie,  opsonische 
Beeinflussung  und  Freßtätigkeit)  vermitteln  oder  sie  als  sogenannte 
Angriffsstoffe  von  den  Leibern  der  Mikroben  ablenken,  deren  Über- 
leben imd  Wachstum  ermöglichen.  Wirken  die  Antikörper  längere  Zeit 
oder  wiederholentlich  —  im  Reagensglas  oder  im  Tierkörper  —  auf  die 

1 )  Von  den  Eigengiften  und  Reizstoffen,  die  nicht  immunisieren 
(s.  u.  S.  213),  wird  im  folgenden  zunächst  abgesehen. 

2)  Vgl.    Lit.  dcffüber   §  329,   namentlich  Münch.  med.  Wochenschr. 
1909,  5.    Zur  Teleologie  der  Immunität  vgl.   S.  176,   §  331  u.  334. 


Stoffwechsel  im  allgemeinen.  211 

Mikroben,  so  können  die  letzteren  unter  Hyperplasie  ihrer  Rezeptoren 
(oder  vielleicht  auch  umgekehrt  unter  Atrophie  derselben,  d.  h.  Rezep- 
toienschwund),  ihre  Widerstandsfähigkeit  gegen  die  spezifischen  Serum- 
wiikungen  verändern,  sich  gegen  sie  immunisieren,  sich  ihnen  an- 
passen. Wir  haben  diese  Theorie,  die  zunächst  nur  aufgestellt  war, 
um  die  Vergiftungs-  und  Immunisierungserscheinungen  im  Tier  zu  er- 
klären, in  diesem  Bande,  bei  Besprechung  der  Virulenz  der  Kleinwesen, 
ihrer  Anpassungsfähigkeit  an  die  Widerstandskräfte  der  Tiere  genauer 
behandelt  {§  327 — 330).  Ehrlich  ist  aber  von  Anfang  an  noch 
weiter  gegangen  und  hat  die  Rezeptoren  ganz  allgemein  mit  der  Er- 
nähnmg,  und  zwar  in  erster  Linie  mit  der  Assimilation  der  Eiweiß- 
körper in  Verbindung  gebracht.  Unter  diesen  „Nutrirezeptoren"  soll 
es  noch  andere  geben,  die  einfache  Nährstoffe,  wie  Fette  und  Zucker- 
arten binden,  ferner  solche,  die,  ähnlich  dem  Hämoglobin,  die  Sauer- 
stoffaufnahme bewirken.  Den  Nutrirezeptoren,  die  der  Assimilation 
dienen,  ständen  dann  noch  „Chemorezeptoren"  zur  Seite,  die  es  ermög- 
lichen, daß  Arzneistoffe  in  den  Zellen  zur  Wirksamkeit  gelangen.  Wir 
haben  früher  {§  57)  davon  gesprochen. 

So  sehr  diese  Annahmen  Ehrlichs  geeignet  sind,  uns  die  Tat- 
sachen der  Empfänglichkeit  und  Widerstandsfähigkeit  der  höheren 
nndniederenWesen  gegen  spezifische  Gifte  und  Arzneistoffe  und  nament- 
lich die  Erscheinungen  der  „Tmmunitäf  zu  erklären,  so  zweifelhaft 
ist  die  Ubertragbarkeit  derselben  Vorstellungen  auf  die  Ernährungs- 
lehre. Daß  das  Protoplasma  für  Nährstoffe  gewisse  Verwandtschaften 
hat,  ist  zuzugeben.  Wir  selbst  nehmen  ja  an,  daß  bei  den  einfachen 
und  verwickelten  Synthesen  unter  dem  Einfluß  der  Fer- 
mente eine-  Angliederung  der  Nährstoffe  an  die  das  Protoplasma 
zusammensetzenden  Stoffe  erfolgt  und  könnten  uns  ganz  gut  denken, 
daß  auch  die  Nährstoffe,  die  der  Dissimilation  verfallen,  eine  Zeitlang, 
d.  h.  solange  sie  unter  der  Einwirkung  der  Fermente  stehen,  eben 
durch  die  Vermittlung  der  letzteren,  in  eine  ähn- 
liche, aber  lockere  Verbindung  mit  dem  Protoplasma  treten.  Denn 
einerseits  scheinen  ja  die  —  mindestens  intrazellulären  —  Fermente 
echte,  wenn  auch  mehr  oder  weniger  fest  gebundenen  Protoplasma- 
bestandteile (Seitenketten),  andererseits  Bedingung  für  jede  Ferment- 
wirkung eine  vorübergehende  Verbindung  zwischen  der  zur  fermen- 
tierenden Substanz  und  dem  Ferment  selbst  zu  sein.  Ganz  in  der 
Luft  schwebt  aber  die  Voraussetzung  Ehrlichs,  daß  es  dieselben 
spezifischen  bindenden  Gruppen^)  seien,  die  Eiweißstoffe  assimilieren 


1)  Ebensowenig  ist  es  bewiesen  oder  wahrscheinlich,  daß  die  Enzyme 
durch  die  gleichen  bindenden  Gruppen,  mit  Hilfe  derer  sie  Antienzyme  er- 

14* 


212  Kap.  V,   §  68. 

und  Antigene  bzw.  Immunkörper  binden.  Vielmehr  ist  wohl  wahrschein- 
lich, daß  sich  die  Eiweißmoleküle  in  ähnlicher  Weise,  d.  h.  durch  be- 
kannte, nichtspezifische  Bindegruppen  miteinander  verketten,  wie 
die  Aminosäuren  zu  Polypeptiden,  Peptonen  usw.,  die  Hexosen  zu 
Di-,  Tri-  imd  Polysacchariden.  Auch  die  von  Ehrlich  neuerdings 
in  Gemeinschaft  mit  Bohl  und  Gulbranson  gefundene  Tat- 
sache, daß  Trypanosomen  gegen  zwei  verschiedene  Sera  widerstands- 
fähig sein  können,  daß  aber  die  Behandlimg  mit  beiden  Seren  zusammen 
ihr  Wachstumsvermögen  im  Tiere  aufhebt,  braucht  nicht  so  gedeutet 
zu  werden,  daß  erst  die  beiden  Antikörper  die  sämtlichen  Nutri- 
rezeptoren  „besetzen''  und  dadurch  für  die  Assimilation  imtauglicii 
machen,  also  als  „Atrepsine''  wirkten,  sondern  kann  in  der  bisher 
üblichen  Weise  durch  Schädigung  des  Protoplasmas  (Giftwirkung, 
Trypanolyse  oder  Trypanozidie)  erklärt  werden,  wenn  auch  die  Schädi- 
gung in  diesem  Falle  keine  so  plötzliche,  d.  h.  kräftige  ist,  wie  sonst. 
Neu  ist  hier  nur,  daß  erst  die  gemeinsame  Tätigkeit  zweier  Seren  die 
Wirkung  auslösen  soll.  Wie  die  Giftwirkang  der  antiinfektiösen  Seren 
bzw.  Abwehrstoffe  (Alexine)  eigentlich  zustande  kommt,  ist  uns  aller- 
dings ja  bisher  noch  ein  Rätsel,  obwohl  wir  wissen,  daß  die  wirksamen 
Stoffe  sich  an  den  Mikrobenkörper  binden,  daß  sie  ferner  einen  (ferment- 
artigen?) Bestandteil,  das  Komplement,  enthalten  und  obwohl  wir 
für  viele  Fälle  das  morphologische  Endergebnis  der  Vergiftung,  die 
Bakteriolyse  (§11)  kennen.  Die  von  Ehrlich  entdeckte  Tatsache 
gestattet  es  noch  nicht,  das  Rätsel  für  gelöst  zu  halten  und  darauf  so 
weitgehende  Schlüsse  zu  gründen,  wie  dieser  Forscher  es  tut.  Bevor 
dieser  Befund  gemacht  worden  war,  berief  sich  Ehrlich  für  seine 
Auffassung  von  der  Bedeutung  der  Rezeptoren  für  die  Ernährung 
eigentlich  nur  auf  zwei  Umstände:  erstens  darauf,  daß  die  so  mannig- 
faltigen Rezeptoren  des  tierischen  Körpers  doch  eine  Bedeutung  im 
gew^öhnlichen  Stoffwechsel  haben  müßten,  zweitens  darauf,  daß  genuine 
Eiweißkörper  allerart,  nicht  bloß  Bakterien  usw.  im  Tierkörper  selbst 
Antigene  seien, d.h.  (präzipitierende  und  komplementbindende)  Immun- 
körper erzeugten.  Der  erste  Grund  ist  selbstverständlich  ungenügend, 
da  wir  viele  Einrichtungen  im  Tierkörper  noch  nicht  deuten  können, 
und  außerdem  die  Möglichkeit  vorliegt,  den  Rezeptorenreichtum  des 
Tierkörpers  für  eine  —  im  wesentlichen  —  zweckmäßige  Schutzvor- 
richtung zur  Beseitigung  von  Fremdstoffen  zu  halten.  Der  zweite 
Grund  ist  ebensowenig  stichhaltig,  denn  es  ist  immer  noch  eine  offene 
Frage,  ob  die  Antigene  selbst  Eiweißkörper  sind,  und  ob  sie,  selbst 


zeugen   oder  binden,   ihre   (vorübergehende)  Bindung   an   die   Nährstoffe 
vollziehen  (§  249). 


Stoffwechsel  im  allgeineinen.  213 

wenn  man  ihre  Eiweißnatur  anerkennen  wollte,  nicht  doch  nur  quan- 
titativ wenig  bedeutungsvolle  Begleitstoffe  — 
wenn  man  will  Seitenketten  —  gewöhnlicher,  nicht  antigener  Eiweiß- 
körper sind.  Außerdem  ist  festgestellt,  daß  die  antigene  Eigenschaft 
der  genannten  Eiweißkörper  im  Darmkanal  der  Tiere  fast  völlig  ver- 
loren geht,  daß  ihre  spezifischen  Bindegruppen  alßo  für  die  Assimila- 
tion gar  nicht  oder  höchstens  in  geringstem  Umfange  in  Betracht 
kommen.  Ob  das  bei  der  Assimilation  der  Eiweißstoffe  durch  die 
Mikroorganismen  sich  ebenso  verhält,  wissen  wir  nicht,  bekannt  ist 
aber,  daß  denaturierte  Eiweißstoffe,  die  nicht  mehr  antigen  wirken, 
für  die  Ernährung  der  Klein wesen  mindestens  ebenso,  wenn  nicht  besser, 
geeignet  zu  sein  pflegen,  wie  die  genuinen. 

Hat  somit  die  Ehrlich  sehe  Assimilationstheorie  für  uns  nichts 
Cberzeugendes,  so  erfahren  wir  durch  die  Seitenkettentheorie  auch 
nichts  über  den  Mechanismus  der  Bildung  imd  Neubildung  der  Rezep- 
toren im  Tiere  und  der  Antigene  im  Mikroben.  Ehrlich  behilft 
sich  damit,  von  „Regeneration"  im  Überschuß  zu  sprechen,  andere 
stellen  diesen  Vorgang  der  „Sekretion"  an  die  Seite.  Das  sind  aber  nur 
andere  Ausdrücke  für  denselben,  auch  von  ims  oben  im  Unklaren  ge- 
lassenen Prozeß  der  Neubildung. 

Im  vorstehenden  haben  wir  abgesehen  von  den  nicht  immuni- 
sierenden Eigengiften  (Kap,  XVI)  und  Reizstoffen  (§  53  u.  331)  der 
Mikroben,  ebenso  von  den  Selbstgiften  (§  47  u.  48)  und  giftneutrali- 
sierenden Stoffen  (§  57),  den  Färb-  (§  253)  und  Leuchtstoffen  (§  238), 
deren  chemischer  Bau  und  Bildungsweise  ebenfalls  unbekannt  ist, 
und  bei  denen  wir  zwar  wenigstens  zum  Teil  auch  Bindegruppen  vor- 
aussetzen dürfen,  aber  doch  nicht  solche,  die  imstande  sind,  Inmiun- 
korperbildung  anzuregen.  Wir  könnten  sie  mit  den  Enz3mien  und 
Antigenen  als  „Hilfestoffe"  zusammenfassen.  In  ihrer  äußeren  Wir- 
kung sind  ihnen  zum  Teil  gleichwertig  die  „Stoffwechselgifte"  (§  48, 
u.  258  ff.)  und  manche  Farbstoffe,  sowie  die  Riechstoffe  (§  90,  153  ff., 
173),  deren  chemische  Natur  und  deren  Entstehung  im  Stoffwechsel 
wir  aber  mehr  oder  weniger  gut  kennen.  Daß  diese  Hilfestoffe  immer 
eine  zweckmäßige  Rolle  im  Leben  der  Mikroben  spielen,  soll  übrigens 
durch  den  Namen  nicht  ausgedrückt  sein.  In  den  einzelnen  Abschnitten 
gehen  wir  auf  ihre  vielfach  noch  zweifelhafte  Bedeutxmg  näher  ein. 


Kapitel  VI. 

Umwandlungen  der  Kohlenhydrate  im  Stoffwechsel. 

§  69.  Verzuckerung  der  Stärke.  Diastase.  Die  Kohlen- 
hydrate sind  nach  Menge  und  Verbreitung  die  wichtigsten  Nahrungsstoffe, 
weil  der  größte  Teil  der  Pflanzen  aus  ihnen  besteht.  Ihre  Bedeutung 
für  die  Ernährung  ist  femer  sehr  groß,  weil  sie  vorzüglich  geeignet 
sind,  das  Kohlenstoffbedürfnis  fast  aller  Mikroorganismen  zu  be- 
friedigen (§  33),  und  zwar  ebensowohl  als  Bau-  wie  als  Betriebsstoffe 
(§  35).  Wir  behandeln  ihre  Umwandlungen  im  Stoffwechsel  aber  auch 
deswegen  an  erster  Stelle,  weil  sie  außerordentlich  mannigfaltig  sind, 
und,  wie  wir  im  vorigen  Kapitel  gesehen  haben,  ausgezeichnete  Bei- 
spiele abgeben  für  die  verschiedenen  Arten  von  Stoffwechselvorgängen. 
Nacheinander  werden  wir  besprechen  die  Verflüssigungen  und  Hydro- 
lysen, Spaltungen,  Oxydationen,  Reduktionen,  Anhydridbildungen 
und  Kondensationen  und  schließlich  die  Synthesen,  denen  die  Kohle- 
hydrate unter  dem  Einfluß  der  Mikroorganismen  unterliegen. 

Nachdem  Kirchhoff  1811  gefunden  hatte,  daß  Stärke 
durch  Kochen  in  verdünnten  Säuren  in  Dextrin  und  weiter  in  Trauben- 
zucker übergeführt  wird,  und  derselbe  Autor  1815  beobachtet  hatte, 
daß  Gerstenmalz,  also  ein  Pflanzenstoff,  eine  ähnliche  Wirkung  aus- 
übte, gelang  es  P  a  y  e  n  und  P  e  r  s  o  z  ^)  im  Jahre  1833  zuerst  aus 
dem  Malz  die  wirksame  Substanz,  die  „Diastase"  durch  Fällung  mit 
Alkohol  darzustellen.  Die  erste  organische  Kontaktsubstanz,  das  erste 
Enzym,  war  damit  gefunden.  Bei  Pflanzen  und  Tieren  sind  diastatische 
Wirkungen  allgemein  verbreitet,  bei  Mikroorganismen  wurden  sie 
zuerst  von  N  ä  g  e  1  i  2)  an  nicht  näher  bezeichneten  Bakterien,  bei 
Marcano^)  an  Bakterien,  die  auf  der  Hülle  der  Maiskeime  vor- 
kommen, von  Wortmann*)  an  Fäulnisbakterien,  von  H  ü  p  p  e  ^) 


1)  Ann.  de  chim.  et  phys.   8.  s^r.   53. 

2)  Die  niederen  Pilze   1877,   12. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  95. 

4)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   6,  287. 

5)  Mitt.   Gesundheitsamt  2.   342  und  367,   1884. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


215 


an  HilchBaurebazillen  (B.  aerogenes)  und  Eartoffelbazillen,  von  Mil- 
ler*) an  Darmbakterien,  von  Bitter*)  an  Choleraspirillen  nach- 
gewiesen. M  a  r  c  a  n  o  erhielt  dieselbe  Wirkung  bei  Kulturen,  die  er 
daich  Filtration  oder  Chloroformzusatz  von  den  lebenden  Bakterien 
befreit  hatte,  Wortmajin  stellte  das  Enzym  durch  Extraktion  der 
Bakt^rienmassen  und  Fällung  mit  Alkohol  dar.  Die  umfangreichen 
Arbeiten  von  F  e  r  m  i  ^) ,  die  wir  noch  öfter  zu  zitieren  haben  werden, 
führten  zu  folgenden  Resultaten: 


Diastatische  Fermente  werden 


fi 


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»» 


gebildet  von 

Bac.  anthra'cis  f 
ramosuB   f 
Fitz  t 

subtilis  t 
megatherium  t 
Photobacterium  f 
Spir.  cholerae  f 
Finkler-Priorf 
Miller  f 
Dene  k  e   f 
Micr.  tetragenuB  t 

t,    mastitidis  bovis  f 
Actinomycas  bovis  f 
alba  t 
violacea  f 
albido- 
f lava  t 
nigra  t 


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nicht  gebildet   von 

Bac.  cuniculicide  ? 

Zopfii  ? 

typhi? 

diphtheriae  ? 

phospore^cens  ? 

pyocyäneus  ? 

prodigiosus 

viscosus 

der  Frettchenseuche 

der  Schweineseuche 

cavicida 

cyanogenus 

der  Milchsäure 
Spir.  Metschnikoffi 
Micrococc.   ascoformans 
Staphyl.  pyog.  citreus 
Streptothrix  camea 
Rosahefe 
Soorhefe 
Oidium  lactis 


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Bac.  coli 

aeeticus 

pneumoniae 

violaceus 

mallei 

der  „gelben  Milch" 
Staphyl.  oereus 
,f        flavus 
MRote"  Hefe 
„Weiße"  Hefe 
Trichophyton  tonsurans 

In  dieser  Tabelle  bedeutet  ein  t>  ^^^  eine  starke  Reaktion  erhalten 
wurde,  ein  ?,  daß  die  Reaktion  zweifelhaft  war,  gesperrter  Druck,  daß 
das  Enzym  aus  der  verflüssigten  Gelatinekultur  —  nckch  Beseitigung  der 
Gelatine  durch  verdünnten  Alkohol  —  durch  Fälliing  mittelst  absoluten 


Stärke  wird  unt.  Säure- 
bildung  zersetzt  von 

Bac.  Fitz,  t 

megatherium  f 
violaceus  f 
phosphoresc.  f 
pneumoniae  f 
cavicida  t 
des  Schweinerot- 
laufs t 
d.   Milchsäure   f 

Spir.  Metschnikoffi  t 
„      Miller  t 

Bac.  cyanogenus 
viscosus 
d.  Frettchen- 
seuche 

Spir.  cholerae 

Finkler-Prior 
Deneke 

Microc.  tetragenus 
Oidium  lactis 


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1)  Deutsche  med.  Wochenschr.  1885,  49. 

2)  Arch.  Hyg.  5. 

3)  Arch.  Hyg.   10  und  Zentr.  Bakt.   12.  20,  1892. 


216  Kap.  V.   §  69. 

Alkohols  dargestellt  werden  konnte.  Im  allgemeinen  wurde  das  Vorhanden- 
sein diastatischer  Wirkungen  dadurch  nachgewiesen,  daß  einige  Tropfen 
von  Bouillon-,  Gelatine-  oder  Blutserumkulturen  zu  4  com  sterilisiertem 
Stärkekleisters  luid  6  ccm  Thymolwasser  gegeben  und  die  Mischungen 
nach  48  Stunden  mit  Fehlingscher  Flüssigkeit  auf  Zucker  geprüft  wurden. 

Aus  den  Experimenten  folgt  (Spalte  1  der  Übersicht),  daß  D  i  a  - 
stase  von  vielen  Mikroorganismen  auch  auf  stärke- 
freien Nährböden  gebildet  wird.  Doch  muß  ihnen 
stets  irgend  ein  Eiweißstoff  als  Nahrung  geboten 
werden;  auf  Nährlösungen  mit  Asparagin  oder  Ammonsalzen  er- 
zeugte keine  einzige  Art  eine  Spur  von  diastatischem  Enzym. 

Nahm  F  e  r  m  i  die  Bakterienkörper  allein  zu  den  Versuchen,  so 
fielen  die  Proben  sämtlich  negativ  aus,  das  Enzym  scheint  also  in  den 
Nährboden  gelöst  überzugehen,  in  den  Leibern  aber  in  nachweisbarer 
Menge,  bzw.  in  freiem  Zustande,  nicht  vorhanden  zu  sein.  Daneben 
wurde  noch  festgestellt,  wie  sich  die  lebenden  Mikroorganismen 
auf  stärkehaltigem  Nährboden  (Kartoffelbrei)  verhielten.  Das  Er- 
gebnis (Spalte  3  der  Übersicht)  war  auch  hier  kein  anderes,  nur  trat 
häufig  noch  neben  der  Zuckerreaktion  Säure  auf,  was  sich  wohl  durch 
weitere  Veränderungen  des  Zuckers  (saure  Gärungen,  vgl.§  97  ff.)  erklärt, 
nicht  selten  wurde  freilich  bei  Mikroorganismen,  die  keine  Diastase 
abscheiden,  doch  Säure  gefunden.  Die  Erklärung  dafür  steht  noch 
aus.  Es  wäre  aber  denkbar,  daß  in  solchen  Fällen 
die  Säure  unmittelbar,  d.  h.  ohne  vorhergehende 
h'ydroly tische  Spaltung,  aus  der  Stärke  gebildet 
würde. 

Die  Bildungsbedingungen  der  Diastasen  der  Mikroorganismen 
haben  sonst  noch  Wortmann,  Katz^)  und  Went *)  studiert. 
Wortmann  kam  an  seinem  allerdings  nicht  einwandfreien  Material, 
das  aus  einem  Bakteriengemisch  bestand,  zu  dem  Schluß,  daß  die 
Diastase  nur  gebildet  würde  bei  Gegenwart  freien  Sauerstoffs  und  nur 
dann,  wenn  den  Bakterien  keine  andere  Kohlenstoffquelle  außer  der 
Stärke  zu  Gebote  stände.  Allgemeingültig  sind  beide  Sätze  jedenfalJß 
nicht.  Fermi  hat,  wie  bemerkt,  den  zweiten  Satz  widerlegt,  später  auch 
Katz  und  Went.  Perdrix^)  und  Botkin*)  züchteten  femer  Rein- 
kulturen von  anaeroben  Bazillen,  die  sehr  kräftige  diastatische  Fer- 
mente bildeten.  Nach  A  c  h  a  1  m  e  ^),  der  die  Anaeroben  einem  vergleichen- 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  31,  1898. 

2)  Ebenda  36»   1901. 

3)  Annal.  Pasteur  1891. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.   11. 

5)  Annal.  Pasteur  1902. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


217 


den  Studium  unterworfen  hat,   verhielten  sich  noch  einige  andere 
Arten  ähnlich,  so  daß  man  folgende  Tabelle  aufstellen  kann  (vgl.  §  113). 

Von  den  Anaeroben  greifen 


die  Starke  an 
B.  amyloEyxna  (Perdrix) 
B.  butyricus  (Botkin  u.  a.) 
B.  des  Gelenkrheumatismus 

(Achalme) 
B.  enteritidis  spörogenes  (E.  Klein) 
B.  perfringens  (Veillon  und  Zuber) 
B.  orthobutylicus  (Grimbert) 


nicht  an 
B.  des  Rauschbrands 
B.  dea  malignen  Ödems 
B.  botulinus 
B.  tetani 
B.  putrificus  coli 
B.  Legros 
B.  emphysematosus  ( ? ). 


Trotzdem  also  den  Beobachtungen  Wortmanns  eine  Allgemein- 
gültigkeit sicherlich  nicht  zukommt,  hat  die  Arbeit  von  K  a  t  z  (s.  o.) 
gezeigt,  daß  in  der  Tat  bei  einigen  Mikroorganismen  (PenicilUum 
glancum  und  Bac.  megatherium)  die  Bildung  der  Diastase 
sehr  erheblich  beeinträchtigt  wird  durch  die  An- 
wesenheit von  Zucker,  Glyzerin,  Weinsäure  usw. 
im  Nährboden.  Doch  müssen  diese  Stoffe  in  nicht  zu  geringer  Kon- 
zentration geboten  weiden  (1,5 — 3%).  Die  Diastase  von  Aspergillus 
niger  wird  dagegen  kaum  beeinflußt. 

Die  wenigen  anderen  Forscher,  die  sich  sonst  mit  der  Diastase- 
produktion  der  Bakterien  beschäftigten,  kamen  zu  ziemlich  ähnlichen 
Ergebnissen  wie  Fermi.  Eijkman^)  hatte  bei  Benutzung  von 
Nähragarplatten,  dem  er  Reisstärke  beigemischt  hatte,  folgende 
Ergebnisse: 

kräftige  Wirkungen    mittlere  Wirkungen 


Bac.  anthracis 
„    m^atherium 
,.    subtilis 

Spir.  cholerae 
.,     Hetschnikoffi  ( !) 

\iele  Schimmelpilze 


Bac.  diphtheriae 
„  dysenteriae 
„     ruber 


keine  Wirkungen 

Bac.  typhi 
coli 
mallei 
pertis 

pyocyaneus 
prodigiosus 
indicus 
cyanogenus 
fluorescens  liquef  acieus 
mesentericus  ( !) 

Staphyl.  pyogenes 

Wesentliche  Unterschiede  gegenüber  den  früheren  Untersuchungen 
ergaben  sich  also  nur  bei  dem  Bac.  mesentericus  (Eartoffelbazillus), 
der  merkwürdigerweise  nach  E  i  j  k  m  a  n  keine  Diastase  bildet  und 
beim  Spirillum  Metschnikoffi. 

Die   kräftigen    diastatischen   Wirkungen    vieler    Schimmel- 


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1)  Zentr.  Bakt.  29.  22. 


218  Kap.  VI,  !  69. 

pilze  wurden  aucli  sonst  noch,  z.  B.  für  Aspergillus,  Hucor  und 
Penicillium  beobachtet  (G a y o n  und  Dubourg^),  Bourque- 
lot^),  Katz  (s.  o.));  bei  den  Pilzen  der  sogenannten  japanischen, 
chinesischen  und  javanischen  „Hefe''  ist  sie  so  energisch,  daß  sie  bei 
der  Herstelliing  des  Reisweins  (oder  besser  -Punsches,  S  a  k  6) ,  der 
Sojabohnensauce  (Soja)  und  des  Sojabreis  (Miso)  usw.  (vgl.  §  96) 
technisch  ausgenutzt  wird  zur  Verzuckerung  der  Starke  (Aspergillus 
oryzae  und  Wentii,  Mucor  Rouxii  und  javanicus  ^)). 

Die  Hefepilze  haben  umgekehrt  so  gut  wie  gar  keine  dia- 
statischen Kräfte.  Die  „rote'' .  und  „weiße"  Hefe  F  e  r  m  i  s  bilden 
Ausnahmen^). 

Ob  die  Mikroorganismen,  die  keine  freie  Diastase  absondern, 
nicht  doch  in  ihren  Zellen  ähnliche  Fermente  enthalten,  darüber  fehlen 
Angaben.  Die  Untersuchung  der  „Preßsäfte"  (vgl.  Zymase)  köimte 
darüber  Auskunft  geben.  Mindestens  sollte  man  doch  bei  allen  Mikro- 
ben, die  Stärke  aufspeichern  (§  27),  auch  diastatische  Enzyme  in  ihrem 
Leibe  voraussetzen. 

Über  die  Erzeugnisse  der  diastatischen  Fer- 
mente geben  ims  bisher  fast  nur  die  Untersuchungen  Au&chluJS, 
die  mit  der  Diastase  des  Malzes  vorgenommen  worden  sind,  sie  können 
deshalb  nur  mit  einigem  Vorbehalt  auf  die  Mikroorganismen  über- 
tragen werden.  Einstimmigkeit  herrscht  darüber, 
daß  bei  der  diastatischen  Spaltung  der  Stärke 
einerseits  Dextrin,  andererseits  Maltose  ent- 
steht, d.  h.  ein  gut  lösliches  Polysaccharid,  das  sich  von  der  Stärke 
(CgHjLQOß)^^  wohl  nur  durch  eine  geringere  Anzahl  (n)  Gruppen 
CßHjQOg  im  Molekül  unterscheidet  und  ein  Disaccharid  (Hexobiose  = 
C12H22O11),  das  durch  weitere  Verflüssigung  und  Aufnahme  von  Wasser 
(Hydrolyse)  daraus  entstanden  ist  (§  60).  Daneben  tritt  nach 
E.  Fischer  und  Lintner  stets  noch  ein  zweites  Disaccharid,  die 
Isomaltose  auf,  was  allerdings  von  Brown  imd  Morris  sowie 
von  Pottevin^)  bestritten  wird.  Glykose  mrd  dagegen  nur  ge- 
funden, wenn  neben  der  Diastase  ein  maltosespaltendes  Enzym,  die 


1)  Aiinal.  Pasteur  1887. 

2)  Kochs  Jahresber.   1893,  276. 

3)  Calmette,  Annal.  Pasteur  1892;  W  e  h  m  e  r,  Zentr.  Bakt., 
2.  Abt.  1  u.  2,  6  und  7;  Kozai,  ebenda  6;  Kellner,  Chem.  Zeitg.  1895. 
97;  Prinsen-  G  e  e  r  1  i  c  hs,  ebenda  1896. 97;  vgl.  auch  in  Lafars  Handb. 
4.  260  und  5.  245. 

4)  Die  Angabe  von  Oppenheimer  (Fermente  2.  Aufl.  222), 
Hefeninfuse  enthielten  diastatische  Fermente,  erklärt  sich  vielleicht  aus 
Verunreinigungen  oder  aus  der  Verwechselung  mit  der  Dextrinase,  8,  u.  §  70. 

5)  Annal.  Pasteur  1899.  796. 


Wcmdlungen  der  Kohlenhydrate.  219 

Maltase  (auch  „Glukase'^  genannt)  im  Malze  vorkommt,  wie  es  beim 
Maismak  der  Fall  ist  (vgl.  §  79).  Die  Hauptschwierigkeit  für  die  klare 
Auffassung  der  diastatischen  Wirkung  besteht  darin,  daß  Dextrin 
kein  scharf  bestimmter  Körper  ist,  wie  die  Maltose,  sondern  ein  Über- 
gangsprodukt  von  der  Starke  zur  Maltose,  an  dem  man,  je  nach  dem 
Stadium,  in  dem  man  es  zu  fassen  bekommt,  verschiedene  Eigen- 
schaften beobachtet. 

Die  am  stärksten  kondensierte  Substanz  ist  die  rohe  Stärke.  Sie 
wird  von  der  Diastase  sehr  viel  schwerer  und  linvollständiger  angegriffen 
als  die  gequollene  Stärke  (Stärkekleister),  die  aus  ihr  beim  Erwärmen 
mit  Wasser  entsteht.  Nach  Maquenne^)  liegt  das  aber  nur  an  ihrer 
physikalischen  Struktur:  wenn  sie  sehr  fein  zerrieben  wird,  verhält  sie  sich 
ähnlich  der  erhitzten  Stärke.  Der  Stärkekleister  lost  sich  zum  größten 
Teil  in  Wasser  und  kann  daraus  durch  Alkohol  niedergeschlagen  werden 
(Granulöse,  lösliche  Stärke,  Amylodextrin),  der  unlösliche  Teil  gibt  die 
Reaktion  der  Zellulose  (Stärkezellulose).  Aus  der  Grcuiulose  gehen  dann 
durch  eine  allmähliche  weitere  Verflüssigung  (Depolymerisierung)  des 
Moleküls  die  Dextrine  hervor,  zuerst  die  Erythrodextrine,  die  noch  eine 
Jodreaktion  geben,  wie  die  Stärke  selbst,  aber  sich  nicht  blau,  sondern 
violett  bis  rot  färben,  dann  bei  weiterem  Fortschritt  des  Prozesses  dio 
Achroodextrine,  die  überhaupt  nicht  mehr  auf  Jod  reagieren.  Bis  hier- 
her bedingte  der  Prozeß  wesentlich  physikalische  Veränderungen,  jetzt 
greift  die  Hydrolyse  ein  und  bildet  Maltose  aus  dem  Dextrin.  Man 
könnte  sich  denken,  daß  der  erstere  Vorgang  auf  ein 
besonderes  Teilenzym  der  Diastase,  die  „A  m  y  1  a  s  e*^ 
der  zweite  auf  ein  anderes,  die  „D  extrinas  e**,  zurück- 
zuführen wäre.  Beide  wären  im  Malz  enthalten  und  wirkten  bis 
zum  Ende  zusammen.  Da  die  Stärkekömer  verschiedene  Größe  und  Resi- 
stenz haben,  entsteht  das  Dextrin  erst  allmählich,  und  ebenso  schrittweise 
wird  das  gebildete  Dextrin  zu  Maltose  hydrolysiert.  So  kommt  es,  daß  vom 
Beginn  des  Prozesses  an  Maltose  nachweisbar  ist.  Man  sollte  annehmen, 
daß  diese  Menge  beständig  zunehmen  müsse.  Das  ist  aber  nur  bis  zu  einem 
gewissen  Punkte  der  Fall.  Allerdings  wird  sämtliche  lösliche  Stärke  in 
Dextrin  verwandelt,  aber  nur  etwa  zwei  Drittel  des  Dextrins  in  Maltose 
und  zwar  je  nach  der  Temperatur  der  Reaktion  bald  mehr  bald  weniger. 
Die  Dextrinase  ist,  wie  manche  anderen  Enzyme,  nicht  imstande,  die  Hydro- 
lyse bis  zu  Ende  zu  führen,  sondern  ihre  Wirksamkeit  hört  bei  einem  be- 
stimmten Verhältnis  des  Produktes  zu  dem  Ausgangsstoff  auf.  Wird  also 
neue  Stärke  zugefügt,  so  wird  auch  diese  wieder  zum  größten  Teil  ver- 
zuckert. Der  hier  entwickelten  Theorie,  die  auf  Pottevins  Forschungen 
aufgebaut  ist,  für  deren  Einzelheiten  aber  auf  D  u  c  1  a  u  x  '  Darstellung') 
verwiesen  werden  muß,  stehen  eine  ganze  Anzahl  anderer  gegenüber. 
Auch  Wijsmann')  nimmt  nach  dem  Vorgange  von  Dubrunfaut 
und  Cuisinier  in  der  Diastase  zwei  Enzyme  an:  die  „Maltese"'  soll 
Erythrogranulose  (Erythrodextrin)  neben  Maltose  erzeugen  und  auch  das 


1)  Compt.  rend.  as.  sc.  138.  375. 

2)  Mikrobiol.  2.  391  ff. 

3)  Kochs  Jahresber.   1890,  155. 


220  Kap.  VI,   §  69. 

Maltodextrin  in  Maltose  verwandeln,  die  „Dextrinaee**  spaltet  die  Stärke 
und  die  Erythrogranulose  in  Maltodextrin  (Isomaltose)  und  Leukodextria 
(Achroodextrin).    Für  diese  Auffassung  spricht  auch  die  Tatsache,  daß 
aus  Stärke  unter  dem  Einfluß  des  Malzes  bei  Temperaturen  bis  zu  60^ 
mehr   Maltose   als   Dextrine   entstehen,   bei   höheren   Temperaturen  um- 
gekehrt die  Dextrine  überwiegen.    Im  ersteren  Fall  wirken  beide  Enzyme, 
im  letzteren  nur  die  Dextrinase,  weil  die  Maltase  bei  56 — 60*  zerstört  wird. 
Übrigens  will  Wijsmann  beide  Enzyme  auch  durch  ihre  verschiedeno 
Diffusionsgeschwindigkeit   und   den   verschiedenen    Sitz   im    Gerstenkorn 
voneinander  unterscheiden.    Beijerinck^)  hat  diese  Theorie  seiner- 
seits dahin  abgeändert',  daß  er  die  „Dextrinase"  nicht  im   Gerstemnalz 
vorgebildet  ansieht,  sondern  sie  erst  aus  einer  „Granulase**,  einem  Enzym, 
das  Maltose  neben  Achroodextrinen  erzeuge,   durch  die  Erhitzung  ent- 
stehen läßt.    Brown  und  H  e  r  o  n  ■)  und  Bourquelot*)  erklären 
den  Abbau  der  Stärke  in  folgender  anschaulichen  Weise:  die  lösliche  Stärke 
habe  etwa  die  Formel  (Cj2H2oO|o)iof  sie  gehe  durch  die  Diastaaewirkung 
unter  Wasseraufnahme  in  Erxthrodextrin  (Cj^goOio)«  und  ein  Molekül 
Maltose  Ci,H,,Oii  über.    In  derselben  Weise  vollziehe  sich  stufenweise 
die  Abspcdtung  von  Maltose  und  die   Depolymerisierung  des   Dextrins, 
bis  schließlich  die  Reaktion  zum  Stillstajid  komme,  wenn  81%  Maltose 
und   19%  des  letzten  Achroodextrins  (Ci|HaoOio)i  gebildet  sei.     Spätere 
Untersuch\ingen  führten   Brown  und  Morris  *)   aber  zu  einer   viel 
verwickelt^ren  Theorie,  wobei  sie  davon  ausgingen,  daß  die  lösliche  Stärke 
aus  5  Dextrinkemen  von  der  Zusanunensetzung  (C|^toOio)to  beständen. 
Bei  der  •  Spaltimg  bildeten  sich  zahlreiche  Zwischenprodukte  aus  Kombina- 
tion von  Amylinkemen  CijHjoOio  und  Amylosekemen  Ci,Hj,Oii.    L  i  n  t  - 
n  e  r  und  D  ü  1 1  *)  bezeichnen  diese  Körper  als  Gemische  von  Dextrinen 
(Amylo-,  Erythro-  und  Achroodextrin)  und  Isomaltose,  die  sie  als  Vor- 
produkt  der   Maltose   betrachten.     Das    Amylodextrin   entspräche   etwa 
der   Formel   (Ci^,oOio)64,    das    Erythrodextrin   (CiJEIjoOio)i7  •  CiJH„Oji 
entstände  daraus  durch  Wasseraufnahme,  daraus  ebenso  das  Achroodextrin 
(Ci^joOio)6  •  Ci,H„Oii  usw.     Röhmann«)    hält   wieder   das  Erythro- 
dextrin für  ein  Gemenge. 

Wenn  die  Theorien  der  Diastasewirkung,  die  beim  Arbeiten  mit 
einem  viel  leichter  erhältlichen  Material,  dem  Malz,  entstanden  sind, 
so  wenig  Ubereinstimmmig  zeigen,  so  würde  man  von  vornherein 
kaum  erwarten,  daß  sie  erheblich  gefördert  werden  könnten  durch  das 
Studium  der  Mikroorganismen,  aus  denen  man  die  Enzyme  viel  schwerer 
in  der  nötigen  Menge  gewinnen  kann.  Immerhin  bestände  die  Mög- 
lichkeit, daß  in  einzelnen  Fällen  die  Verhältnisse  hier  einfacher  lägen, 
als  bei  der  Malzdiastase.  In  der  Tat  hat  man,  wie  wir  bald  sehen  werden, 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   1.  229,  1896. 

2)  Liebigs  Annalen  199. 

3)  Compt.  rend.   104.  576. 

4)  Journ.  ehem.  soc.   55  imd  69. 

5)  Ber.  ehem.  Ges.  26.   2533,   1893. 

6)  Ebenda  25.   3654. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  221 

Grund  dazu,  die  Einwirkung  eines  das  Dextrin  allein  verändernden 
Enzyms,  der  Dextrinase,  bei  einigen  Hefepilzen  anzunehmen.  Das 
würde  für  die  Zweienzymiheorie  im  Sinne  Duclauxs  sprechen, 
d.  h.  wir  hatten  in  der  Diastase  zwei  getrennte  Enzyme,  die  A  m  y  1  a  s  e 
und  Dextrinase.  Auf  der  anderen  Seite  finden  Laborde^) 
und  Petit'),  daß  die  Diastase  des  Aspergillus  niger,  des  Fenicillium 
glaucum  und  der  Eurotiopsis  Gayoni,  und  W  e  n  t  ^),  daß  diejenige 
der  Monilia  sitophila  (aus  Java)  die  Starke  ia  Dextrin  und  Dextrose 
(nicht  Maltose)  und  ebenso  das  Malzdextrin  und  die  Maltose  in  Dextrose 
yerwandehi.  Es  ist  allerdings  fragUch,  ob  wir  es  hier  mit  einem  ein- 
zigen  Enzym  der  „Amylomaltose*'  oder  mit  einer  Mischimg  mehrerer 
zu  tun  haben.  Jedenfalls  muß  man  sich  hüten,  Resultate,  die  an  dem 
einen  Material  gewonnen  sind,  ohne  weiteres  auf  anderes  zu  übertragen : 
es  gibt  wahrscheinlich  nicht  bloß  eine  Diastase, 
sondern  verschiedene,  ähnlich  aber  nicht  gleich 
wirkende,  ebenso  wie  es  mehrere  Zellulasen,  Pektinasen  usw. 
gibt  (s.  u.).  Am  zweckmäßigsten  ist  es  daher,  bei  der  Bezeichnung 
der  Enzyme  stets  den  Ursprung  anzugeben,  also  von  Gersten-,  Malz-, 
Aspergillus-,  Milzbranddiastasen  usw.  zu  sprechen.  Als  Beweis  dafür 
kann  auch  das  Verhalten  der  Bakteriendiastasen  gegenüber  hoher  und 
niederer  Temperatur  gelten.  Nach  F  e  r  m  i  (a.  a.  0.)  wirken  sie  sämt- 
lich bei  37®  sehr  kräftig;  bei  4®  C  büßt  das  Ferment  des  Milzbrand- 
bazillus und  B.  ramosus  seine  Wirkung  völlig  ein,  während  das  des 
Spirillum  Finkler-Prior  gar  nicht,  die  der  Spirillum  Deneke  und  Miller 
etwas  geschwächt  werden.  Temperaturen  von  50°  verringern  nur  die 
Wirkung  bei  Spir.  Deneke.  Bei  56 — 60®  lassen  sich  die  Kulturen  des 
Milzbrands,  Finkler-Prior  und  Deneke  sterilisieren,  ohne  ihre  diasta- 
tische  Kraft  zu  verlieren,  das  "Enzym  der  Choleraspirillen  wird  aber 
dabei  zerstört.  Einstündige  Erhitzung  auf  70°  vernichtet  die  Wirkung 
samtlicher  Diastasen.  Alle  diese  Versuche  wurden  mit  feuchten  Enzymen 
angestellt,  im  trockenen  Zustand  behalten  die  Diastasen  ihre  Wirk« 
samkeit  selbst,  wenn  sie  15  Minuten  auf  120 — 140°  erhitzt  werden. 
Auch  beim  Zusatz  chemischer  Mittel  zeigten  sich  Unterschiede. 
3piozentige  Karbolsäure,  gesättigte  Salizylsäurelösung,  lOprozentige 
Soda  hoben  die  Enzymwirkung  nicht  auf,  5  prozentige  Salzsäure  ver- 
nichtete sie  beim  Milzbrandbazillus,  schwächte  sie  beim  Cholera- 
spirillum,  ließ  sie  tmberührt  beim  Spir.  Finkler-Prior.    Ein  Vergleich 


1)  Annal.    Pasteur    1897;   vgl.    Fernbach   in   Kochs    Jaliresber. 
1899.  306. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  128.   1176,  1899. 

3)  Jahrb.  wiss.  Bot.  36,  1901. 


222  Kap.  VI,  §  69—72. 

mit  dem  diastatischen  Ferment  der  Pankreasdrüse  bewies  F  e  r  m  i , 
daß  dasselbe  gegenüber  schädigenden  Einflüssen  empfindlicher  war 
wie  die  meisten  Bakterienenzyme.  Auch  L  a  b  o  r  d  e  findet  Unter- 
schiede  zwischen  der  Amylomaltose  der  von  ihm  mitersuchten  drei 
Schimmelpilze. 

Ob  die  Diastase  identisch  ist  mit  dem  Enzym,  mittelst  dessen 
gewisse  Chytridiaceen  die  Paramylonkömer  der  Euglenen  (Flagellaten) 
lösen,  ist  unbekannt  (vgl.  Zopf,  Pilze  S.  179). 

Eine  besondere  Stellung  nimmt  offenbar  ein  von  Schardin- 
ge r  ^)  beschriebener  Bac.  macerans  ein,  indem  er  aus  Starkekleister 
neben  Säure,  Azeton  usw.  zwei  kristallisierbare  Stoffe  erzeugt,  die  durch 
ihre  Reaktionen  teils  als  Amylodextrin,  teils  als  Amylose  erscheinen. 
Nach  der  Ansicht  der  Verfasser  verdankt  der  Mikrobe  das  seinem 
Auflösungsvermögen  gegenüber  pektinartigen  Bindesubstanzen  (§  74) 
im  Stärkekleister,  die  die  in  ihm  vorgebildete  Amylöse  freimachen  sollen. 

§  70.  Verzuckerung  des  Dextrins.  Dextrinase.  Wir  haben 
eben  gesehen,  daß  die  Diastase  nicht  bloß  die  Stärke  in  Dextrin,  son- 
dern auch  das  Dextrin  in  Maltose  verwandelt.  Von  vornherein  war  es 
naheliegend,  diese  Reaktionen  verschiedenen  Enzymen  zuzuschreiben, 
die  nebeneinander  in  der  Diastase  vorkämen,  der  Amylase  imd  Dex- 
trinase (D  u  c  1  a  u  X  ,  s.  o.  S.  219).  Diese  Theorie  erhält  eine  Stütze 
dadurch,  daß  es  gelingt,  nachzuweisen,  daß  bei  vielen  Hefearten  ein 
Enzym  im  isolierten  Zustande  vorkommt,  welches  zwar  Dextrin,  aber 
nicht  Stärke  angreift.  Gewisse  Rassen  des  Saccharomyces  cerevisiae, 
namentlich  die  Hefen  ,  Logos"  und  „Frohberg  Oberhefe"  imd  „Unter- 
hefe" vergären  einige  (nicht  alle)  Dextrine  zu  Alkohol,  sondern  also 
wahrscheinlich  „Dextrinase"*)  ab,  die  das  Dextrin  in  Maltose  ver- 
wandelt und  dadurch  gärfähig  macht.  Der  Schizosaccharomyces 
Pombe  und  octosporus  verhalten  sich  ähnlich  (L  i  n  d  n  e  r  *)).  Dabei 
vergärt  keiner  dieser  Pilze,  wie  es  doch  geschehen  müßte,  wenn  sie 
Diastase  produzierten,  Stärke.  Dargestellt  ist  die  Dextrinase  bisher 
nur  von  P  e  t  i  t  in  Form  eines  Auszuges  von  Preßhefe  mit  3%  Koch- 
salzlösung; es  wird  aber  kaum  möglich  sein,  sie  von  den  übrigen  hydro- 
Ij^ischen  Enzymen  der  Hefe  zu  trennen.  Da  viele  Bakterien  Dextrin 
angreifen  (vgl.  saure  Gärungen,  §  100),  könnte  man  annehmen,  daß 
auch  sie  Dextrinase  bildeten,  doch  erscheint  auch  die  unmittelbare 
Zersetzimg  des  Dextrins,  ebenso  wie  die  der  Stärke  (S.  216),  des 
Glykogens,  Inulins,  der  Zellulose  usw.  möglich. 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  22.  98,  1908. 

2)  Nicht  zu  verwechseln  mit  der  Dextrinckse  W  i  j  s  m  a  n  s  (s.  o- 
S.  220). 

3)  Wochenschr.  f.  Brauerei  1900,  49—51,  vgl.   §  86. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  223 

§  71.  Innlinase.  Das  Inulin,  ein  dem  Amylodextrin  vergleich- 
bares Kohlenhydiat,  das  in  manchen  Pflanzen  an  Stelle  der  Stärke 
vorkommt,  wird  ähnlich  wie  das  Dextrin  (§  70)  von  Hefepilzen 
vergoren,  doch  sind  es  wenige  Arten  oder  Varietäten,  so  z.  B.  die  oben- 
genannte Hefe  „Logos''  mid  der  ScÜizosaccharomyoes  Pombe,  femer 
der  Saccharomjrces  Marxianns  (L  i  n  d  n  e  r  u.  §  86).  Wir  dürfen  also 
wohl  bei  diesen  ein  Enzym,  die  „Inulinase'',  voraussetzen,  daß  das 
Inulin  in  einen  vergärbaren  Zucker  verwandelt.  Wahrscheinlich  ist 
das  die  Fruktose  (Lävulose),  der  Fruchtzucker,  in  den  das  Inulin  ja 
auch  bei  der  Hydrolyse  mit  Wasser  oder  verdünnten  Säuren  zerfällt^). 
Daß  Übergangsstoffe,  wie  die  Dextrine  beim  Stärkezerfall,  dabei  ge- 
bildet werden,  ist  nicht  festgestellt  worden,  aber  wahrscheinlich.  Jeden- 
falls werden  sie  von  Dextrinen  schon  deshalb  verschieden  sein,  weil 
der  Saccharomyces  Marxianus,  der  Inulin  kräftig  vergärt,  Dextrin 
gar  nicht  angreift.  Außer  den  genannten  Hefen  erzeugen  Inulinase 
einige  Pilze,  z.  B.  der  Aspergillus  niger  nach  Bourquelot^)  imd 
Penicillium  glaucum  nach  D  e  a  n  ^).  Die  Malzdiastase  läßt  Inulin 
unberührt.  Wie  die  Bakterien  sich  verhalten,  ist  unbekannt.  Dar- 
gestellt haben  Green  das  Enzym  aus  Helianthus  tuberosus  und  Dean 
aus  Aspergillus  niger  und  Penicilliimi  glaucum.  Merkwürdigerweise 
soll  es  nur  aus  den  Leibern  der  Mikroorganismen  zu  bekommen  sein; 
man  begreift  dabei  nicht,  wie  das  schwer  diffundierbare  Inulin  von 
ihnen  angegriffen  werden  kann.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich  um 
ähnliche  Verhältnisse,  wie  wir  sie  für  die  Saccharase  und  Maltase 
kennen  lernen  werden,  die  zwar  recht  fest  in  den  Zellen  sitzen,  aber 
doch  auch  nach  außen  abgeschieden  werden.  Die  Inulinase  ist  sehr 
empfindlich  gegen  Säuren  und  Alkalien,  schon  Yjqq  Normalschwefel- 
säure und  Vioooo  Normalkalilauge  wirken  schädlich.  Das  Optimum 
ihrer  Wirkung  liegt  bei  55®;  sie  wird  aber  auch  durch  Temperaturen 
von  64*  noch  nicht  geschädigt.  Durch  Kochen  wird  sie,  wie  fast  alle 
Enzyme,  zerstört.  Für  die  Zersetzung  des  Inulins  durch  Bakterien 
gilt  das  bei  der  Dextrinase  Gesagte. 

§  72.  Glykogenose.  Glykogen,  die  „tierische"  Stärke,  die  aber 
auch  ein  Bestandteil  vieler  Mikroorganismen  ist  (§  27),  wird  durch 
Malzdiastase  in  Maltose,  durch  Speicheldiastase  (Ptyalin),  das  auch 
noch  ein  maltosespaltendes  Enzym  enthält,   in   Traubenzucker  ver- 


1)  Inulin   verhält  sich   zur  Fruktose,   wie   lösliche    Stärke   (Amylo- 
dextrin) zur  Glykose. 

2)  Kochs  Jahresber.  1893.  276  und  283. 

3)  Botan.  Gazette  1903  (nach  Oppenheimer). 


224  Kap.  VI,   f  72—74. 

wandelt  (C  r  e  m  e  r  ^)).  Man  hat  daraus  den  Schluß  gezogen,  daB  die 
Diastase  als  solche  imstande  sei,  Glykogen  zu  verzuckern.  Das  Gegen- 
teil läßt  sich  schwer  beweisen,  aber  auch  die  Möglichkeit  kann  nicht 
bestritten  werden,  daß  noch  ein  besonderes  Enzym,  die  „Glykogenase'\ 
dazu  nötig  sei,  das  für  gewöhnlich  die  Diastase  begleite.  Für  diese  An- 
sicht kann  man  die  Tatsache  anführen,  daß  es  ein  Enzym  gibt, 
daszwar  Glykogen,  aberkeine  Stärke  verzuckert. 
Ein  solches  ist  in  der  Hefe  enthalten.  Zwar  lassen  nach  A.  Koch 
und  Hosaeus^)  Reinkulturen  von  Bier-  und  Preßhefe  Kalbs-  und 
Eaninchenglykogen  unberührt,  aber  der  Zellsaft  der  Hefe  vergärt 
nach  E.  Buchner  (vgl.  Zymase,  §89)  das  Glykogen,  enthält  also 
vielleicht  ein  hydrolytisches  Enzym,  das  man  Glykogenase  nennen 
kann.  Von  der  Zymase,  dem  Ferment  der  Alkoholgärung,  ist  es  bisher 
allerdings  noch  nicht  abgetrennt  worden;  es  wäre  nicht  undenkbar, 
daß  die  Zymase  selbst  es  wäre,  welche  die  glykogenspaltende  Fähigkeit 
besäße.  Doch  spricht  für  die  gesonderte  Existenz  der  Glykogenase 
wieder  die  Tatsache,  daß  es  Mikroorganismen  gibt,  die  zwar  Glykogen 
verzuckern,  aber  den  Zucker  nicht  vergären.  Viele  Schimmelpilze, 
aber  auch  manche  Hefearten  und  Bakterien  gehören  hierher.  Das  läßt 
sich  schon  daraus  schließen,  daß  das  Glykogen  in  ihren  Zellkörpem 
durch  die  Jodreaktion  mikroskopisch  nachweisbar  ist,  also  im  Stoff- 
wechsel Verwendung  finden  muß.  Direkte  Versuche  über  das  Ver- 
halten dieser  Mikroorganismen  zu  Glykogen  scheinen  freilich  kaum 
gemacht  worden  zu  sein.  Nur  A.  Koch  und  H  o  s  a  e  u  s  haben  bei 
ihren  obengenannten  Experimenten  die  Beobachtung  gemacht,  daß 
Bakterien,  die  sich  zufällig  ansiedelten,  das  Glykogen  verbrauchten. 
Ob  das  solche  Arten  waren,  die  auch  Stärke  angriffen,  wurde  nicht 
festgestellt.  Es  entsteht  weiter  die  Frage,  ob  diese  extrazelluläre  Gly- 
kogenase mit  der  intrazellularen  der  Hefe  identisch  oder  ihr  nahe 
verwandt  ist,  und  ob  der  Zerfall  des  Glykogens  nicht  unmittelbar  ohne 
vorhergehende  Hydrolyse  geschieht.  Am  einfachsten  wäre  es  natür- 
lich auch  hier  wieder,  die  Existenz  verschiedener  'Enzyme  mit  ähn- 
lichen Wirkungen  anzunehmen  (vgl.   Invertase,    §  78). 

§  73.  Verflüssigung  des  Pflanzenschleims.  Über  die  Ver- 
wandlungen, die  Gummi  und  Pflanzenschleim  ^)  durch  Mikroorganismen 
erfahren,  ist,  wenn  man  von  den  Dextrinen  (s.  o.  §  70)  absieht,  wenig 


1)  Münchn.  med.  Wochenschr.   1894.  26. 

2)  Zentr.  Bakt.   16.   145. 

3)  Beide  scheinen  Verbindungen  von  Stoffen  zu  sein,  die  teils  Hexosc-n 
(CgHijO,),  teils  Pentosengruppen  (C5H10O5)  enthalten.  Ihre  Zusammen- 
setzung entspricht  bald  mehr  der  Formel  (CeH|o05)x,  bald  (C,H804)y; 
sie  sind  entweder  „Hexosane"  oder  „Pentosane".  Vgl.  Schleimgärung  §  129. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  225 

bekannt.  Daß  eine  Einwirkung  stattfinden  kann,  ist  wahrscheinlich, 
der  umgekehrte  Prozeß,  die  Verwandlung  von  Zucker  in  Schleim, 
wird  jedenfalls  sehr  häufig  beobachtet.  Manche  dieser  Körper  besitzen 
freilich  eine  sehr  bedeutende  Widerstandsfähigkeit.  Darauf  beruht 
die  Verwendung  der  Schleime  von  Algen  und  Flechten  (Agar-Agar, 
Fucus  crispus)  als  Grundlage  unserer  bakteriologischen  Nährböden. 
Nach  allgemeiner  Erfahrung  sind  sie  so  wenig  angreifbar,  daß  z.  B. 
der  gründlich  ausgewaschene  Agar-Agar  als  Ersatz  der  rein  mineralischen 
Kieselsäuregallerte  dienen  kann  (§  196).  Dennoch  gibt  es  Ausnahmen 
von  der  Regel.  G  r  a  n  ^)  fand  unter  den  Wasserbakterien  eine  Art, 
die  Agar-Agar  (Gelose)  verflüssigte,  er  nannte  sie  Bac.  gelaticus  und 
das  Enzym,  mit  dem  sie  arbeitet  „Gelase^'^).  Es  bilden  sich  dabei 
reduzierende  Substanzen,  also  wohl  Zucker,  und  die  rote  Färbung, 
die  Jod  im  Agar  hervorruft,  tritt  nicht  mehr  ein.  Über  andere  Pro- 
zesse, die  zu  tieferen  Veränderungen  führen,  vgl.  §  117. 

§74.  Pektinase.  Sehr  weit  verbreitet  scheint  dagegen  bei  den 
Mikroorganismen  die  Fähigkeit  zu  sein,  Pektinstoffe  ^),  Substanzen, 
die  an  der  Bildung  pflanzlicher  Membranen  stark  beteiligt  sind,  z.  B. 
die  sogenannte  Mittellamelle  zusammensetzen,  zu  verflüssigen.  Von 
d  e  B  a  r  y*)  stammt  wohl  die  erste  Beobachtung  dieser  Art.  Er  iso- 
lierte aus  den  parasitischen  Pilzen  Sclerotinia  (Peziza)  sclerotiorum 
und  Sclerotinia  trifoliorum  ein  „Pezizaenzym",  das  die  Zellwandungen 
krautartiger  Pflanzen  zur  Quellung  und  die  Mittellamelle  zur  Lösung 
brachte.  Durch  Kochen  verlor  es  seine  Wirkung.  W  a  r  d  ^)  fand  ein 
ähnliches  Enzym  bei  einer  Botrytisart,  die  eine  Krankheit  der  Lilie 
hervorruft,  und  V  i  g  n  a  1  ®)  konstatierte  die  gleiche  Wirkung  bei  dem 
gewöhnlichen  Kartoffelbazillus.  Wohl  alle  Bakterien  und  viele  Pilze, 
die  auf  Pflanzen  parasitisch  leben,  erzeugen  dieses  Enzym,  das  man 


1)  Botan.  Jahresber.   1902.  297. 

2)  Nach  Richter  (Bor.  bot.  Ges.  1904.  494)  verflüssigen  auch 
Diatomeen  den  Agar. 

3)  Vgl.  über  diese  M  a  n  g  i  n,  Compt.  rend.  ac.  sc.  107.  146  und  110. 
295  und  die  S.  85,  Anm.  1,  genannten  Arbeiten.  Während  man  früher  den 
Pektinstoffen  einen  höheren  Sauerstoffgehalt  zuschrieb,  sind  sie  nach 
neueren  Untersuchungen  Kohlehydrate,  die  den  Gunmii-  und  Pflanzen- 
schleiraen  nahestehen  und  bei  der  Hydrolyse  Hexosen  oder  Pentosen 
abspalten.  Meist  handelt  es  sich  wohl  nicht  um  reine  Substanzen,  son- 
dern um  Mischungen.  Von  der  Zellulose  unterscheiden  sie  sich  dadurch, 
daß  sie  aus  den  mit  Säuren  vorbehandelten  pflanzlichen  Membranen  durch 
AlkaUen  leicht  gelöst  werden  (pektinsaurer  Kalk  s.  u.). 

4)  Bot.  Zeitg.   1886,  22—27. 

5)  Ann.  of  bot.   1888. 

6)  Le  bac.  mesentericus  vulgatus.    Paris  1889. 

Kr  ose,  Mikrobiologie.  15 


226 


Kap.  VI,   §  74  u.  76. 


mit  Bourquelot^),  der  es  auch  aus  dem  Malz  darstellte,  als 
„Pektinase"  bezeichnen  kann.  Wir  geben  eine  Übersicht  der  bisher 
mit  Erfolg  daraufhin  untersuchten  Mikroorganismen: 


Es  bilden  Pektinase: 
Micrococcus  (  ?)  phytophtorus 

Bac.  amylobacter 

Bac.  (Astasia)  asterosporus 
Bac.  carotovoma 

Bcm;.  der  Kartoffelfäulnis 
Pseudomonas  destructans 
Bac.  coli  communis 

fluorescens  putidus 

typhi 

enteritidis 

fluorescens  liquefaciens 

mesentericus 

mycoides 

subtilis 


nach 


Frank  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3.  57 

und  4.  98). 
van  Senus  (Kochs  Jahresber.  90. 

137). 
A.  Meyer  (Flora  97.   188). 
Jones   (Zentr.    Bakt.    2.    Abt.   7, 

1—2  und  14.  257. 
Wehmer  (eb.  4.  693). 
Pott  er  (eb.  7.  282). 
Laurent  (Ann.  Pasieur  1899). 


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Lepoutre  (eb.   1902). 


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van  Hall  (Bejdragen  tot  de  Kemiia 
den  bakterieele  Plantenzickten 
Amsterdam.  Dissert.  1902). 


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mesentericus  vulgatus 

onmivorus 
„     atrosepticus 
Pseudomonas  Iridis 

„  Syringae 

Bac.  intercellularis  (Wundfäulnis) 


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99 


Penicillium  glaucum 

Botrytis  cinerea 
Mucor  stolonifer 

,,        hiemalis 
Cladosporium  herbarum 


Spieckermann    (Landwirtsch. 

Jahrb.  1902). 
Behrens   (Zentr.   Bakt.   2.  Abt. 

4.  521). 


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Behrens  (eb.  8.  4—10). 


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Es  sind  also  darunter  auch  eine  ganze  Anzahl  von  Mikroorganismen, 
die  gewöhnheh  keine  Pflanzenparasiten  sind,  es  allerdings,  wie  wir 
in  §  356  sehen  werden,  unter  Umständen  werden  können. 

Über  die  Darstellung  imd  Wirkungsweise  der  Pektinase  belehren 
uns  vor  allem  die  Arbeiten  von  Bourquelot,  Potter,  Lau- 
rent, van  Hall,  Spieckermann  imd  Jones  (s.  o.).  Sie 
zeigen  ims,  daß  man  trotz  den  im  ganzen  ähnlichen  Wirkungen  doch 


1)  Journ.   Pharm.  Chim.   1898  imd    1899,   vgl.   Kochs   Jahresber. 
1898,  324  und  337. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  227 

nickt  von  einer  einheitlichen  Substanz  sprechen  darf.  So  konnten 
Pott  er  und  Laurent  ihr  Enzym  mittelst  Hindurchschickens 
durch  Bakterienfilter  gewinnen,  van  Hall  gelang  das  nur  mit  starker 
Abschwächung  und  Spieckermann  überhaupt  nicht.  Jones 
reinigte  es  durch  wiederholte  Alkoholfällimg.  Manchmal  erwies  sich 
das  E^nzym  empfindlich  gegen  Beaktionsveränderungen  und  Chloro- 
formzusatz, andere  Male  nicht.  "Stets  scheint  allerdings  eine  schwach- 
saure Reaktion  am  günstigsten  zu  wirken.  Besonders  interessant  ist, 
daß  die  Enzyme  der  einzelnen  Mikroben  sich  imgleich  verhielten  gegen- 
über den  Pektinstoffen  der  verschiedenen  Pflanzen.  Stärke  und  Zellu- 
lose wurden  mit  einigen  Ausnahmen,  die  sich  wohl  durch  die  gleich- 
zeitige Gregenwart  von  Diastase  und  Zellulase  erklären,  nicht  ange- 
griffen. Die  Wirkung  der  Enzyme  auf  die  natürlichen  Pektinstoffe 
der  Pflanzen  (rohe  Kartoffel-,  Bübenscheiben  u.  dgl.),  besteht  darin, 
daß  die  Zellmembranen  aufquellen,  aber  nur  die  Zwischensubstanzen 
gelöst  werden,  wodurch  die  Zellen  meist  auseinanderfallen.  Dabei 
entstehen  nach  Bourquelot  aus  der  durch  Auskochen  von  Pflanzen- 
teilen bei  110®  hergestellten  Pektinlösung  imter  dem  Einfluß  des  Enzyms 
reduzierende  Stoffe,  und  die  Geriimbarkeit  der  Lösung  geht  verloren. 
Spieckermann,  der  das  Enzym  auf  eine  gallertartige  Pektin- 
kalklösung wirken  ließ,  sah  Verflüssigung  eintreten.  Die  Produkte 
der  Zersetzung  verdienten  noch  näher  festgestellt  zu  werden;  wenn 
wir  die  reduzierende  Substanz  für  Zucker  halten,  so  scheint  er  nur  in 
geringer  Menge  zu  entstehen. 

Nach  van  Hall  wird  die  Pektinase  vom  B.  subtilis,  trotz  gutem 
Wachstum  auf  Zackemährböden,  die  als  Stickstoffquelle  nur  Ammon- 
snlfat  oder  Ealiumnitrat  enthalten,  gar  nicht  gebildet,  wenig  bei  Dar- 
reichung von  Asparagin,  mehr  auf  Pepton-  und  am  meisten  auf  Fleisch- 
und  Würzagar.  Beim  Bac.  mesentericus  vulgatus  waren  diese  Unter- 
schiede aber  nicht  zu  spüren. 

§  75.  Pektingärnng.  Technische  Anwendung  findet  die  Pek- 
tinase bei  der  sogenannten  B ö s t e  (Botte)  des  Flachses  und 
Hanfes^). 

Durch  sie  werden  die  Gewebszellen  (Bastfasern,  Gefäßbündel),  die 
nachher  als  Gespinnstfasem  dienen,  voneinander  getrennt.  Je  nachdem 
noan  die  Pflanzenstengel  dabei  bloß  anfeuchtet  oder  in  Wasser  einlegt, 
unterscheidet  man  die  Tau-  oder  Wasserröste.  Van  Tieghem*)  hatte  für 
den  Erreger  der  dabei  auftretenden  Gärung,  die  er  mit  der  Zellulosegärung 
identifizierte,  den  euiaeroben  Bac.  amylobacter  T  r  6  c  u  1  s  gehalten.  Daß 
hier  von  einer  Veränderung  der  Zellulose  nicht  die  Rede  sei,  sondern  nur 

1)  Vgl.  dazu  auch  Behrens  in  Lafars  Handb.  3.  269. 

2)  Compt.  rend.  88.  205. 

15* 


228  Kap.  VI,  §  75  u.  76. 

von  einer  solchen  der  Pektinstoffe,  hatte  zwar  schon  K  o  1  b  ^)  erkannt, 
aber  erst  F  r  i  b  e  s  *) ,  ein  Schüler  Winogradskys»  brachte  1895 
den  Sachverhalt  wieder  zu  Ehren  und  züchtete  den  Erreger  der  Plachs- 
röste  in  Reinkultur.  Es  ist  ein  großes  anaerobes  Stäbchen  von  1  :  10 — 15  P, 
das  in  2 — 3  fi  dicken  Endanschwellungen  eiförmige  Sporen  bildet  und  nur 
mit  Schwierigkeit  auf  mit  Kreide  eingeriebenen  Kartoffelscheiben  zu 
züchten  war.  Der  Bazillus  vergalt  bei  Gegenwart  von  Pepton  Trauben-, 
Kohr-,  Milchzucker  und  Stärke,  nicht,  bei  Gegenwart  von  Ammoniak- 
salzen.  Viel  leichter  vergärt  er  dagegen  selbst  im  letzteren  Fall  Pektin 
und  Pektinsäure.  Zellulose  greift  er  gar  nicht  an  (vgl.  Omelianski'). 
J.  Behrens^)  hat  bei  der  Wasserröste  des  Hanfes  ein  anaerobee  Stäb- 
chen, das  kleine  Ketten  bildet  und  bei  der  Sporenbildung  spindelförmig^ 
anschwillt,  gefunden.  Dieses  »»Clostridium'*  wird  durch  Jod  blau  gefärbt 
und  ähnelt  dadurch,  sowie  durch  seine  sonstigen  Eigenschaften  dem  Bao. 
amylobacter  der  früheren  Autoren.  Auf  den  gewöhnlichen  festen  Nähr- 
böden war  es  nicht  zu  züchten,  es  wuchs  allerdings  in  Mischkulturen  auf 
Stärkenährböden,  aber  erst  nach  vielen  Versuchen  gelang  einmal  die  Bein- 
kultur auf  Oblaten,  die  mit  Peptonsalzlösung  getränkt  waren.  Die  Ab- 
impfung  davon  ergab,  daß  Glykose,  Galaktose,  Fruktose,  Rohrzucker, 
Milchzucker,  Stärke  und  Pektin  vergoren  wurden,  nicht  Xylose,  Arabinose, 
Zellulose,  Gummi  arabicum,  Quittenschleim,  Kalziumlaktat.  Die  Mittel - 
lamelle  des  Hanfes  und  Flachses  (pektinsaurer  Kalk)  wird  durch  das 
Clostridium  unter  Geusbildung  in  eine  weiche  schleimige  Masse  verwandelt 
und  schließlich  verflüssigt.  Ob  außer  Pepton  noch  andere  stickstoffhaltige 
Stoffe  zur  Ernährung  geeignet  sind,  ist  fraglich.  Zu  den  Produkten  der 
Gärung  gehört  Buttersäure.  Bei  der  Tauröste  fcmd  Behrens 
nicht  dieselben  Bakterien,  sondern  in  erster  Linie  den  Mucor  stolonifer 
wirksam.  Durch  ihn  scheint  es  nicht  zu  einer  eigentlichen  Gärung,  d.  h. 
Zersetzung  unter  Gasentwicklung  zu  kommen.  Die  Zellulose  greift  der 
Schimmelpilz  nicht  an,  wohl  aber  das  als  Verunreinigung  bei  der  Röste 
gelegentlich  in  Form  schwarzer  Flecke  auftretende  Cladosporium  herbarum. 
Nach  Behrens  sind  bei  der  natürlichen  Wasserröste  stets  zu  Anfanj^ 
auch  fakultativ  anaerobe  Bakterien  im  Spiel  und  erzeugen  eine  schleimige 
Gärung,  die  nichts  mit  dem  Köstprozeß  selbst  zu  tun  hat,  sondern  eine 
Salpetervergärung  zu  sein  scheint.  Die  Erreger  der  Röste  finden  sich  schon 
auf  den  Hanf-  und  Flachsstengeln  vor;  denn  sterilisierte  Stengel  mit  nicht 
sterilisiertem  Wasser  zusammengebracht  rösten  nicht,  wohl  eine  sterili- 
sierte Stengelaufschwemmung,  die  nüt  nicht  sterilisierten  Stengeln  ge- 
impft wird. 

Die  Angabe  von  H  a  u  m  a  n  *) ,  daß  alle  möglichen  Bakterien  (vgl. 
Liste  auf  S.  226)  die  Röste  venursachen,  beruht  nckch  Behrens*)  auf 
einem  Irrtum.  Nur  Bac.  asterosporus  sei  allenfalls  dazu  imstande.  Die 
positiven  Ergebnisse  H  a  u  m  a  n  s  erklären  sich  vielleicht  daraus,  daß 
er    den    Hanf    bei    seinen  Versuchen    trocken    sterilisierte,    wodurch   di^ 


1)  Ebenda  66.   1024. 

2)  Ebenda  121.  742. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.  36.   1904. 

4)  Ebenda  8.  4—10  mit  Lit. 

5)  Annal.  Pasteur  1902. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.   16/17. 


Wcuidlungen  der  Kohlenhydrate.  229 

Sporen  des  Clostridiums  nicht  abgetötet  wurden.  Störmer  *)  isolierte 
durch  Anreicherung  in  flüssigen  Nährböden  und  Pasteuiisierung  bei  der 
Wasserröste  des  Hanfes  ein  dem  Fribesschen  ähnliches  köpfchensporen- 
bildendes  Bakterium,  das  er  Plectridium  pectinovorum  nannte.  Auch 
dieses  ist  ein  strenger  Anaerobier,  der  Pektinsubstanzen  und  andere  Kohlen- 
hydrate, auch  Pentosen,  nicht  aber  Zell\ilose  unter  Bildung  von  Kohlensäure 
und  Wasserstoff,  Essig-  und  Buttersäure  neben  Spuren  von  Bal- 
drian- und  Milchsäure  zersetzt. 

Beijerinck  und  van  Delden")  züchteten  vier  verschiedene 
Arten  Granulobakter  aus  gärendem  Lein  (Gr.  pectinovorum,  urocephalum, 
sacchturobutyricum,  butyricum),  betrachten  aber  nur  die  beiden  ersten 
als  Erreger  der  Pektingärung,  Bredemann')  will  aber  alle  diese  „Arten** 
untereinander  und  nüt  den  übrigen  beweglichen  Buttersäurebazillen  (Bac. 
amylobacter)  identifizieren.  Nach  ihm  wäre  die  Fähigkeit,  das  Pektin 
anzugreifen,  ebenso  veränderlich,  wie  die,  andere  Kohlehydrate  zu  zer- 
setzen, Stickstoff  zu  fixieren  u.  a.  m.  (vgl.  §  113  ff.).  Ob  er  in  dieser  Be- 
ziehung nicht  doch  zu  weit  geht,  steht  dahin.  Jedenfalls  scheint  es  B  r  e  d  e  - 
mann  selbst  noch  nicht  gelungen  zu  sein,  den  Pektin  nicht  vergärenden 
Buttersaurebakterien  dies  Vermögen  zu  verschaffen. 

Nach  alledem  besteht  die  Röste  im  wesentlichen  in  einer  Lösung 
der  Mittellamelle,  deren  enzymatischer  Urspriuig  zwar  wahr- 
scheinlich, aber  von  den  Autoren  nur  bei  den  Pilzen  nachgewiesen  worden 
Ist.  Dazu  gesellt  sich,  wenn  aneierobe  Bakterien  den  Prozeß  verursachen 
eine  Vergärung  der  Spaltprodukte  des  Pektins  (Pen- 
tosenund  Galaktose?),  dieeiner  Buttersäuregärung 
(§  113 ff)  ähnelt.  Bei  der  Tauröste,  die  durch  Schimmelpilze  bedingt 
wird,  fehlt  die  letztere  Gärung.  Schardinger*)  hat  als  Verunreini- 
gimg von  Nährböden  einen  sporenbildenden  Bazillus  gefunden,  der  rohe 
Kartoffeln  auflöste  und  dabei  neben  Alkohol,  Säuren  und  Gcisen,  Azeton 
erzeugte;  ob  aus  der  Stärke  oder  den  Pektin-  oder  den  Eiweißstoffen, 
war  ungewiß.    Buttersäure  und  Fäulnisgeruch  fehlten  (vgl.   §  110). 

§  76.  Zellalase  (Zytase).  Die  Zellulose  wird  durch  Mikroorganis- 
men ebenso  wie  durch  rein  chemische  Mittel  viel  schwerer  angegriffen 
als  die  übrigen  Polysaccharide.  So  sind  auch  die  §  74  u.  75  genannten 
Bakterien  ohne  Wirkung  auf  sie,  und  von  den  Schimmelpilzen  äußern 
nur  Botrytis  imd  die  verwandten  Sklerotinien,  sowie  Aspergillus  oryzae 
(X  e  w  c  o  m  b  e  ^))  und  einige  seltenere   von  van  Iterson®)  ge- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   13,  1904. 

2)  Arch.  N^rlandaises.    1906,   2.   ser.   9.   418    bei  Bredemann 
Anm.  3. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  647. 

4)  Wiener  klin.  Wochenschr.   1904,  8. 

5)  Ann.  of  Botan.  1899. 

6)  s.  §  123.  NachKoning  (Humicole  Fungi  usw.  Verhandel.  Akad. 
Wetensch.  Amsterdam  1903,  2.  Sect.  IX,  7)  soll  aber  unter  anderen  hiunus- 
bewohnenden  Pilzen  auch  Penioillium  glaucmn  auf  reinem  Filtrierpapier 
mit  einer  Spur  Ammoniumnitrat  zum  Wachstum  kommen,  also  die  Zelhi- 
lose  (unter  Oxydation)  angreifen. 


230  Kap.  VI,  §  76  u.  77. 

fondene  Arten  eine  solche,  enthalten  also  vielleicht  neben  der  Pek- 
tinase  auch  Zellulase  oder  „Zjijase",  wie  Brown  und  Morris^) 
das  ähnliche  Enzym  der  keimenden  Gerste  genannt  haben.  Von  anderen 
Pilzen  hatte  man  schon  längst  holzzersetzende  Eigenschaften  mikro- 
skopisch nachgewiesen  (H  a  r  t  i  g  ')),  ohne  der  Frage  auf  chemischem 
Wege  näher  zu  treten.  Erst  Kohnstamm*)  zeigte,  daß  der  aus 
den  Zellen  des  Hausschwamms  (Merulius  lacrjmans)  dargestellte 
Preßsaft  echte  Zellulose  löste.  Ob  die  „Hadromase",  die  Czapek*) 
auf  ähnliche  Weise  aus  Pleurotus  pulmonarius  und  Merulius  lacrymans 
durch  Auspressen  tmd  Fällen  mit  Alkohol  in  fester  Form  gewonnen 
hat,  identisch  mit  der  Zytase  oder  „Zellulase"  ist,  bleibt  zunächst 
fraglich.  Der  Autor  selbst  faßt  sie  als  besonderes  Enzym  auf,  das  mit 
der  Zellulase  vergesellschaftet  ist  und  ihre  Wirkung  vorbereitet,  indem 
sie  die  glykosidartige  Verbindung  der  Zellulose  mit  dem  Hadromal, 
die  den  Hauptbestandteil  des  Holzes  ausmacht,  erst  spaltet  (vgl.  §  155). 

Während  im  allgemeinen  Bakterien  nur  Pektinase,  nicht  Zellu- 
lase bilden,  scheint  unter  gewissen  Umständen  doch  auch  von  ihnen 
ein  Enzym  erzeugt  zu  werden,  das  Zellulose  angreift.  Van  S  e  n  u  s  ^) 
gelang  es,  aus  Wasser,  in  dem  faulende  Rüben  zerrieben  waren,  mit 
Alkohol  einen  Stoff  zu  fällen,  der  in  alkalischer  Lösimg  bei  37*  nach 
mehrtägiger  Einwirkung  unter  Chloroformzusatz  die  Zellulose  in 
Bohnenschnitten  teils  auflöste,  teils  deutlich  anfraß.  Die  Bakterien- 
art, von  der  dies  Enzym  stammte,  konnte  der  Autor  aus  dem  Gremisch 
nicht  isolieren;  die  von  ihm  rein  gezüchteten  Arten  (B.  amylobacter, 
8.  o.  §  75)  griffen  höchstens  die  Pektinstoffe  an.  Der  Befund  van  S  e  - 
nus'  steht  bisher  allein  da,  obwohl  man  eigentlich  voraussetzen  könnte, 
daß  die  Zellulase  bei  der  Zellulosevergärung  (§  117)  und  Zellulose- 
oxydation (§  123),  die  durch  Bakterien  verusacht  wird,  zur  Vorberei- 
timg dieser  Zersetzung  regelmäßig  abgesondert  würde.  Immerhin 
ist  das  hier  ebensowenig  nachgewiesen,  wie  es  bei  der  Vergärung  der 
übrigen  Kohlehydrate  (außer  Stärke)  durch  Bakterien  regelmäßig 
geschehen  ist. 

Die  Produkte  der  Zellulasewirkung  sind  vorläufig  ebenso  unbe- 
kannt wie  die  der  Pektinase.  Die  Annahme  von  Grüß®),  daß  dabei 
Mannose  entstehe,  beruht  nur  auf  einer  Vermutung.  Beijerinck') 


1)  Journ.  ehem.  soc.  57.  497,   1890. 

2)  Zersetzungserscheinungon  des  Holzes  1878. 

3)  Dissert.  Erlangen  1900. 

4)  Ber.  botan.  Ges.   1899.   141. 

5)  Kochs  Jahresber.   1890.   138. 

6)  Ber.  bot.  Ges.  1894.  60,  vgl.  auch  Kochs  Jahresber.  1899.  329. 

7)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   1.  239. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  231 

beobachtete,  daß  die  Zellulose  vor  ihrer  Lösung  in  einen  Körper  ver- 
wandelt wird,  der  wie  Stärke  mit  Jod  blau  gefärbt  wird.  Daß  die  soge- 
nannten Humusstoffe,  die  bei  der  Vermoderung  der  Pflanzenteile 
übrigbleiben,  etwa  Nebenprodukte  der  Zellulosezersetzung  seien,  ist 
noch  nicht  festgestellt,  wenn  es  auch  möglich  ist,  auf  chemischem  Wege 
sie  aus  Kohlehydraten  herzustellen  (§  118).  Wahrscheinlich  wird  es 
übrigens  nicht  eine  Zellulase,  sondern  eine  ganze  Reihe  derartiger 
Enzyme  geben ;  nach  Reinitzer^)  greift  z.  B.  die  keimende  Gerste 
nur  Hemizellulosen  an. 

§  77.  Hydrolyse  der  Di-  und  Trisaccharide.  Während  bei 
den  bisher  besprochenen  Prozessen  der  Verflüssigungsprozeß,  die 
Depolymerisierung,  an  erster  Stelle  steht  und  die  Spaltung  unter  Wasser- 
aufnahme  (Hydrolyse)  erst  nachträgUch  aufzutreten  scheint,  ist  der 
letztere  Vorgang  das  Wesen  der  Sache  bei  der  hydrolytischen  Spal- 
tung der  Di-  und  Trisaccharide,  die  nach  der  Formel 

C12H0O11+  H^O  =  2CeHi,0e  oder  C^sHagOie  +  H^O  =  Ci^H^Oii 

+  CftHijOß 
verlauft. 

Die  verschiedenen  isomeren^  Disaccharide  (Hexobiosen)  zerfallen 
also  in  Monosaccharide  (Hexosen),  als  deren  ätherartige  Verbindungen 
sie  zu  betrachten  sind  ^),  und  zwar,  um  nur  die  bekannteren  zu  nennen: 

Saccharose  (Rohrzucker,  Saccharobiose),  in  Glykose  (Trauben- 
zucker, Dextrose)  und  Fruktose  (Fruchtzucker,  Lävulose), 

Maltose  (Malzzucker,  Maltobiose)  in  2  Teile  Glykose, 

Trehalose  (Mykose)  ebenfalls  in  2  Teile  Glykose, 

Melibiose  in  Glykose  und  Galaktose, 

Laktose  (Milchzucker,  Laktobiose)  ebenfalls  in  Glykose  und 
Galaktose.  Das  Trisaccharid  Raffinose  (Melitriose)  zerfällt  in 
Melibiose  und  Fruktose. 

-f  Diese  Spaltungen  können  ebensogut  durch  verdünnte  Mineral- 
sauren,  wie  durch  Enzyme  erfolgen.  Man  bezeichnet  diese  am  besten 
nach  den  jetzt  ziemlich  allgemein  angenommenen\,Grundsätzen  (vgl. 
§  60)  als  Saccharase,  Maltase,  Trehalase,  Melibiase,  Laktase  und  Raffi- 
naae.  Alle  diese  Enzyme  sind  bei  Mikroorganismen  nachgewiesen 
worden,  kommen  aber  wohl  sämtlich  auch  in  höheren  Pflanzen  und 
Tieren  vor.  Ihre  Isolierung  ist  freilich  bei  weitem  noch  nicht  überall 
gelungen. 


1)  Zeitfichr.  phys.  Chem.  23. 

2)  Über  die  Eigenschaften  der  einzelnen  Zuckerarten  vgl.  die  chemi- 
schen Lehrbücher,  über  ihr  Verhalten  zur  alkoholischen  Gärung  s.  §  86 
u.  87,  zur  sauren  Gärung  §  100. 


232  Kap.  VI,  §  78. 

§  78.  Saccharase  (Invertase).  Die  Saccharase  ist  am  längsten 
bekannt  und  zwar  unter  dem  Namen  „ferment  inversiv'",  unter  dem 
es  von  Berthelot  ^)  1860  zuerst  dargestellt  wurde  (Invertin).  Der 
Name  stammt  daher,  daß  unter  dem  Einfluß  des  Enzyms  der  rechta- 
drehende  Bohrzucker  in  den  linksdrehenden  „Invertzucker'"  (D  u  - 
brunfaut  1830,  B  i  o  t  1833)  verwandelt  wird,  der  eine  Mischung 
von  gleichen  Teilen  schwächer  rechtsdrehenden  Traubenzuckers  und 
stärker  linksdrehenden  Fruchtzuckers  ist.  Später  ist  die  ältere  Be- 
zeichnung durch  die  Namen  Invertase,  Sucrase.  oder  Saccharase  ersetzt 
worden.  Das  Enzym  wurde  zuerst  bei  der  Hefe  gefunden.  Die  meisten 
gärfähigen  Hefearten  erzeugen  es,  wie  vor  allem  die  Arbeiten  von 
£.  Chr.  Hansen  dargetan  haben  (§  85  u.  86),  Ausnahme  machen  nur 
die  Gruppen  des  Sacch.  albicans  (Soorpilz),  Sacch.  apiculatus,  viele 
Milchzuckerhefen  imd  die  nicht  gärungsfähigen  Arten  (Sacch. 
Mycoderma,  viele  Torulaarten*).  Auch  viele  Schimmelpilze  inver- 
tieren den  Rohrzucker,  insbesonders  kräftig  der  Aspergillus  niger  und 
Penicillium  glaucum,  nicht  aber  Mucor  (Gayon^),  Bourquelot*), 
F  e  r  m  i  und  Montesan  o^),  ferner  die  Monilia  sitophila  W  e  n  t  s  ^). 
Von  Bakterien  besitzen  nach  F e r m i  und  Montesano  nur 
wenige  die  Fähigkeit,  Invertin  zu  bilden,  nämlich  Bac.  megatherium, 
Bac.  kiliensis,  Proteus  vulgaris,  fluorescens  liquefaciens  und  in  wechseln- 
dem Maße  das  Spir.  cholerae  und  Metschnikoffi.  Viele  Dutzende  anderer 
Bakterien  und  alle  Strahlenpilze  erwiesen  sich  als  unwirksam,  darunter 
auch  die  Milzbrand-  und  Milchsäurebazillen,  denen  von  früheren  For- 
schem (Gayon,  Hüppe')  invertierende  Kraft  zugeschrieben 
worden  war.  Doch  besitzen  nach  anderen  Erfahrungen  Leuconostoc 
mesenterioides  und  andere  Schleimbildner  (§  128),  femer  das  Bact. 
aceti  und  xylinum  (§  135),  nach  Kalischer®)  auch  Bazillen  aus  der 
Heubakteriengruppe  invertierendes  Vermögen.  Ebenso  gelang  es 
E.  Buchner  und  Meisenheimer  (§  101)  mit  ihrem  Dauer- 
präparat des  Bac.  Delbrückii  (der  „langen  Milchsäurebazillen'*)  In- 
version  zu   erzielen.      Manche    andere    Bakterien   aber, 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  51.  980. 

2)  Auch  im  Bier  ist  es  regelmäßig  enthalten.  Daher  benutzt  Bau 
die  Inversionsprobe  zur  Fe^tstelhmg  der  Pasteurisierung  im  Bier  (Woch. 
Brauerei  1902.   44). 

3)  Compt.  rend.   86. 

4)  Ebenda  97. 

5)  AnnaU  d'igiene  1894.  383  und  Zentr.  Bakt.  2,  Abt.  1.  482  u.  542, 
1895. 

6)  Jahrb.  wias.  Bot.   1901,   36. 

7)  Mitteil.   Gesundheitsamt  2. 

8)  Arch.  Hyg.   37. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  233 

die  Rohrzucker  sehr  gut  vergären,  spalten  ihn 
sicher  nicht  vorher  durch  ein  hydrolytisches 
Enzym,   so   der  Bac.  pneumoniae  nach  Grimbert  (§  98). 

Der  Nachweis  invertierender  Wirkungen  bei  Mikroorganismen 
gelingt  nach  F  e  r  m  i  am  einfachsten,  wenn  man  2 — 4  Wochen  alte 
Kulturen  in  4prozentiger  Saccharosebouillon  der  Reduktionsprobe 
unterwirft.  Nur  bei  Sacch.  candidus  (Monilia  Candida)  gelingt  die 
Probe  nicht,  weil  hier,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  der  Bohrzucker 
erst  intrazellulär  invertiert  und  gleich  vergoren  wird. 

Ein  anderes  von  F e r m i  und  Montesano  angewandtes  Ver- 
fahren besteht  darin,  daß  man  die  Mikroorganismen  14  Tage  lang  in 
einer  Glyzerinpeptonbouillon  kultiviert,  die  Kulturen  dann  mit  gleichen 
Teilen  einer  10  prozentigen  Lösung  von  Bohrzucker  in  2%  Karbolsäure 
versetzt  und  wieder  14  Tage  bei  37^  hält.  Die  Beduktionsprobe  ent- 
scheidet dann  über  das  Vorhandensein  eines  invertierenden  Enzyms. 
Da  der  Versuch  im  ersten  wie  im  zweiten  Falle  übereinstimmend  aus- 
fillt.so  dient  er  zugleich  als  Beweis  dafür,  daß  das  Enzym  zu  seiner 
Bildung  nicht  die  Gegenwart  von  Bohrzucker 
verlangt.  Statt  der  Peptonbouillon  können  übrigens  auch  eiweiß- 
freie, nur  aus  Mineralsalzen,  Anmiontartrat  und  Glyzerin  zusammen- 
gesetzte Nährlösungen  ohne  wesentliche  Anderimg  des  Besultats  be- 
nutzt werden.  Nur  die  Menge  des  Invertins  scheint  herabgesetzt  zu 
sein.  Eine  dritte  Methode  beruht  auf  der  Verwendung  von  Kultur- 
filtraten.  Fernbach  ^)  hat  dieses  Verfahren  mit  wechselndem 
Glück  versucht:  während  das  Hefeinvertin  durch  das  Chamberlandfilter 
hindurchging,  wurde  das  Enzym  des  Aspergillus  niger  im  Filter  zurück- 
gehalten. F e r m i  und  Montesano  hatten  auch  mit  diesen  Mikro- 
orgamsmen  stets  Erfolg,  wenn  sie  sehr  alte  Kulturen  benutzten.  F  e  r  n  - 
bach  schlägt  für  Aspergillus  niger,  der  freilich  sehr  viel  mehr  In- 
vertin  produziert,  als  Bakterien,  vor,  die  Invertin  enthaltenden  Flüssig- 
keiten mit  50  prozentiger  Bohrzuckerlösung  zu  versetzen,  die  Beaktion 
auf  einen  Gehalt  von  1%  Essigsäure  zu  bringen,  das  Gemisch  eine 
Stunde  lang  bei  56^  G  zu  halten  und  danach  die  Menge  des  Invert- 
zuckers durch  Beduktion  zu  bestimmen.  Bei  dieser  Temperatur  und 
Beaktion  verläuft  die  Inversion  am  schnellsten.  Für  die  Invertine 
der  Hefen  liegt  nach  Fernbach  das  Temperaturoptimum 
bei  54— 56';  das  Säureoptimum  sdiwankt  zwischen  1  und  0,02%  Essig- 
säure, ein  Beweis,  daß  wir  es  hier  mit  verschiedenen  Enzymen  zu  tun 
haben.  Auch  andere  Erfahrungen  sprechen  in  demselben  Sinne. 
Wie  F  e  r  m  i  und  M  o  n  t  e  s.a  n  o  stellte  W  e  n  t  für  seine  Monilia 


11)  Ann.  Pasteur  890.  641. 


234 


Kap.  VI,  §  78. 


fest,  daß  Saccharase  auch  bei  Ernährung  des  Pilzes  mit  Maltose,  Gly- 
kose,  Glyzerin,  Essig-,  Milch-,  Äpfelsäure,  Pepton  gebildet  wird. 

Fernbach  verdanken  wir  femer  sehr  interessante  quantitative 
Untersuchungen  über  die  Bildung  und  Absonderung  der  Invertase 
während  des  Wachstums  der  Pilze.  Auf  die  verwickelte  Methode, 
mittelst  deren  er  dabei  die  Menge  des  Enzyms  feststellte,  können  wir 
hier  nicht  eingehen.  Die  folgende  Tafel  faßt  die  Ergebnisse  eines  Ver- 
suchs zusammen,  in  dem  die  vom  Aspergillus  niger  in  100  com  R  a  u  • 
lin scher  Nährlösung  gebildete  Invertase  bestimmt  wurde.  Es  muß 
dabei  bemerkt  werden,  daß  als  Invertaseeinheit  diejenige  Enzymmenge 
bezeichnet  wurde,  die  imstande  war,  0,20  g  Rohrzucker  binnen  einer 
Stunde  bei  56®  und  1%  Essiggehalt  der  Flüssigkeit  zu  invertieren. 


Kultur- 
dauer in 
Tagen 


Rohrzucker 
in  g 

unbe-    inver-  i    ver- 
rührt    tiert   !  braucht 


Säure  als 
Weinsäure 
berechnet 

in  g 


Invertase 
in  „Einheiten"  ber. 


in  der 
Flüssigkeit 


in  den 
Zellen 


Gewicht 
der  Pilze 

in  g 


0 
1 
2 
3 
4 
5 


4,44 

0 

0 

1,36 

2,36     0,92 

0,22 

1,65     2,57 

0 

0,7 

3,74 

0 

0 

4,44 

0 

0 

4,44 

0,170 
0,293 
0,368 
0,267 
0,143 
0,135 


0 
2 
3 
5 
10 
13 


0 
58 
47 
45 
44 
35 


0 

0,65 

1,265 

1,78 

1,65 

1,61 


Die  Invertase  wurde  sowohl  in  der  Flüssigkeit  als  in  den  Zellen 
selbst  bestimmt;  die  letztere  wurde  dadurch  aus  den  Zellen  frei  gemacht, 
daß  der  Pilzrasen  mit  Sand  gründlich  zerrieben,  in  destilliertem  Wassa 
aufgeschwemmt  und  unter  Zusatz  einer  Spur  Senföl  zur  Eonservierung 
durch  Papier  abfiltriert  wurde.  Der  Versuch  ergab,  wie  man  sieht, 
das  überraschende  Resultat,  daß  die  Menge  der  Invertase 
innerhalb  der  Pilzzellen  schon  am  ersten  Tage 
das  Maximum  erreicht  und  von  da  stetig  abnimmt, 
während  die  in  die  Flüssigkeit  ausgeschiedene 
Enzymmenge  am  ersten  Tage,  obwohl  schon  der 
größte  Teil  des  Zuckers  invertiert  ist,  sehr  gering 
ist  und  erst  mit  demAlterderKultur  und  dem  Ver- 
schwinden des  Zuckers  zunimmt.  Bemerkenswert  ist, 
daß  gleichzeitig  mit  der  Zunahme  der  Invertase  in  der  Flüssigkeit 
das  Gewicht  des  Pilzrasens  abnimmt.  Man  darf  daraus  wohl  schUeßen, 
daß  die  Inversion  selbst  wesentlich  innerhalb  der 
Zellen  verläuft  und  die  Ausscheidung  der  Inver- 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  235 

tase  ein  Zeichen  der  Zellauflösung  ist.  Versuclie 
mit  verschiedenen  Heferassen  ergaben  Fernbach  ähnliche  Re- 
sultate. Die  Bestimmung  des  in  den  Zellen  vorhandenen  Enzyms 
gelang  hier  freilich  nicht  auf  dieselbe  einwandfreie  Weise,  wie  bei  den 
Schimmelpilzen  —  weil  dem  Verfasser  noch  nicht  die  Buchner  sehe 
Methode  der  Preßsaftgewinnung  zur  Verfügung  stand,  durch  welche 
die  Invertindarstellung  am  sichersten  gelingt  (vgl.  §  89)  —  immerhin 
ließ  sie  sich  dadurch  ermöglichen,  daß  man  die  Hefe  von  der  Kultur- 
flüssigkeit trennte  und  tage-  und  wochenlang  mit  destilliertem  Wasser 
mazerierte.  Je  jünger  die  Hefekultur,  desto  schwieriger  trennen  sich 
die  Enzyme  von  den  Zellen.  Man  muß  nach  Fernbach  bei 
dem  Prozeß  Sorge  tragen,  daß  er  im  luftleeren 
Raumeerfolgt,  weilsonstdergrößteTeildesEn- 
zyms  durch  den  Luftsauerstoff  zerstört  wird. 
Auch  diese  Versuche  mit  Hefe  beweisen  also,  daß  das  Invertin  wesent- 
lich innerhalb  der  Zellen  wirkt,  und  erst  mit  dem  Absterben  derselben 
frei  wild.  Dieselbe  Erfahrung  machten  alle  Forscher,  die  sich  seit 
Berthelot  mit  der  Darstellung  der  Invertase  aus  Hefe  beschäf- 
tigten und  wandten  darum  zur  Abscheidung  des  Enzyms  zelltötende 
Mittel,  wie  Äther,  Chloroform,  Alkohol,  Toluol,  Erhitzen  im  trockenen 
Zustand  oder  konzentrierte  Salzlösungen,  insbesondere  neutrales  wein- 
saures Kalium  (0  a  7  o  n)  an. 

Bei  den  Bakterien  ist  die  Bildimg  der  Invertase  noch  nicht  in 
gleich  vollständiger  Weise  studiert  worden.  Es  könnte  das  vielleicht 
am  besten  geschehen  mit  Hilfe  von  Preßsäften,  die  nach  Buchners 
Methode  zu  gewinnen  wären.  Lassen  doch  die  Erfahrungen  von  F  e  r  m  i 
ond  Montesano  darüber  kaum  einen  Zweifel,  daß  auch  diese  Mikro- 
organismen das  Enzym  recht  festhalten  und  erst  in  älteren  Kulturen 
an  die  Kulturflüssigkeit  abgeben. 

Eine  Ausnahmestellung  nimmt  die  Inversion  des  Rohrzuckers 
durch  die  Monilia  Candida  ein,  insofern  als  sie  in  den  Kulturen  nicht, 
wie  bei  den  anderen  Hefepilzen,  nachweisbar  ist,  obwohl  auch  diese 
Hefe  den  Rohrzucker  vergärt.  Man  hatte  früher  daraus  den  Schluß 
ziehen  wollen,  daß  auch  eine  direkte  Vergärung  des  genannten  Zuckers 
ohne  vorbeigehende  Inversion  möglich  sei.  Gerade  hier  trifft  diese 
Möglichkeit  aber  sicher  nicht  zu. 

E.  Fischer  und  Lindner  ^)  haben  bewiesen,  daß  inver- 
tierendes Ferment  auch  von  dieser  Hefe  gebildet  wird.  Sie  konnten 
Inversion  erzielen,  weim  sie  die  Hefe  gründlich  trockneten  und  dann 
unter  Toluolzusatz  auf  Rohrzuckerlösung  wirken  ließen  oder  wenn 

1)  Ber.  ehem.  Gesellseh.  28.  3034. 


236  Kap.  VI,  f  78  u.  79. 

sie  {riflche,  mit  Glaspulver  zerriebene  Hefe  anwandten.  Auch  im  Preß- 
saft fanden  E.  Buchner  und  Meisenheimer^)  dement- 
sprechend das  Enzym. 

Das  Studium  der  Geschwindigkeit,  mit  der  die  Inversion  des 
Rohrzuckers  verläuft,  hat  Anlaß  gegeben  zu  wichtigen  Feststellungen, 
betreffend  die  Wirkungsweise  der  katalytischen  Substanzen  überhaupt. 
Wir  werden  auf  sie  in  dem  Kapitel,  das  von  den  Enzjrmen  im  allge- 
meinen (§  241)  handelt,  zurückkonmien. 

Das  Optimum  der  sauren  Reaktion  liegt  für  die  einzelnen  Sauren 
in  verschiedener  Höhe,  so  z.  B.  nach  Fernbach  für  die  Essigsaure 
zwischen  0,2 — IOVqq,  für  die  Milchsäure  zwischen  0,1 — 0,5Voo»  ^  ^^ 
Oxalsäure    zwischen    0,05 — 0,5yQQ,    für    die    Schwefelsäurezwischen 

0,025^,20/00. 

K  a  n  i  t  z  ^)  hat  nachgewiesen,  daß  diese  scheinbare  Regellosig- 
keit verschwindet,  wenn  man  den  Dissoziationsgrad  der  Säuren  berück- 
sichtigt: stets  erweisen  sich  die  gleichen  Mengen 
freier  Wasserstoffionen  wirksam. 

Die  Invertasen  sind  verschieden  empfindHch  gegen  störende  Ein- 
flüsse. Nach  Fernbach  ^)  wird  das  Enzym,  das  durch  Mazera- 
tion aus  Aspergillus  niger  gewonnen  ist,  schon  bei  gewöhnlicher  Tem- 
peratur (s.  o.),  besonders  aber  bei  höherer  Temperatur,  z.  B.  bei  56*, 
bei  der  die  Reaktion  am  schnellsten  verläuft,  und  in  alkalischer  Lösung 
durch  den  Sauerstoff  der  Luft  geschädigt.  Erhitzen  auf  70®  vernichtet 
die  Wirkimg.  Er  fand  aber  für  die  Hefe,  daß  das  Enzym,  so- 
lange es  noch  in  den  Zellen  steckt,  widerstands- 
fähig ist,  selbst  gegen  die  Kochhitze.  Fermi  und 
Montesano  zeigten,  daß  alte  Kulturen  von  Bakterien  durch  ein- 
stündige Erhitzung  auf  65®,  solche  von  Hefepilzen  durch  die  Temperatur 
von  70®,  die  von  Schimmelpilzen  erst  durch  ein-  bis  zweistündige  Ein- 
wirkung der  Siedehitze  ihre  Inversionsfähigkeit  verlieren.  Wahrschein- 
lich erklärt  sich  das  zum  Teil  aus  der  verschiedenen  Zähigkeit,  mit 
der  die  Enzyme  in  den  Zellen  festgehalten  werden,  denn  die  Verfasser 
machen  gleichzeitig  die  Bemerkung,  daß  filtrierte  Kiüturen  viel  weniger 
Widerstand  leisten.  In  den  Zellen  ist  die  Invertase  vielleicht  nicht  als 
solches  enthalten,  sondern  als  ein  Vorstadium  (zjrmoplastische  Sub- 
stanz, Proenzym).  Aber  auch  in  wäßriger  Lösung  bestehen  Unter- 
schiede, je  nachdem  die  Flüssigkeit  außerdem  Rohrzucker  oder  Eiweiß- 
stoffe enthält  oder  nicht:  im  ersten  Falle  vertragen  die  Enzyme  auch 


1)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   40,   1903. 

2)  Pflügers  Arch.   100.   548. 

3)  Ann.  Pasteur  1889. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  237 

der  Bakteriell  längere  Erhitzung  auf  60 — ^70®,  während  sie  im  letzteren 
refnichtet  werden.  F e r m i  und  Montesano  deuten  das  wie 
andere  Forscher  dahin,  daß  das  Enzym  im  „aktiven'*  Zustand  weniger 
leicht  zerstört  werde,  als  im  „inaktiven'*.  Säuren  wie  Alkalien  schädigen 
nach  F  e  r  m  i  tmd  Montesano  ebenfalls  die  Invertase  der  Schinmiel- 
pilze  weniger  als  die  der  Hefe. 

Einen  weiteren  Unterschied  fanden  E.  Buchner  und  Meisen- 
heimer  beim  Vergleich  der  Invertase  des  Preßsaftes  der  gewöhn- 
lichen Hefen  und  der  Monilia  Candida:  die  letztere  ging  nicht  durch 
Pei^amentpapier  hindurch,  wie  die  erstere  (s.  o.  F  e  r  n  b  a  c  h ,  S.  233). 

§  79.  Maltase.  Das  zweite  der  hydrolytischen  Enzyme,  die 
Maltase,  ist  zuerst  imter  dem  Namen  „Glukase"  bekannt  geworden. 
Cuisinier^)  fand  1886  bei  Verzuckerung  von  Mais  und  Maismalz 
viel  Traubenzucker,  während  bekanntlich  die  Verzuckerung  von  Gerste 
durch  Gerstenmalz  neben  Dextrin  nur  Malzzucker  ergibt.  Er  nahm 
deshalb  in  dem  Maismalz  neben  der  Diastase  ein  zweites  Enzym,  die 
„Glokase^*  an.  Geduld^)  stellte  sie,  allerdings  nicht  in  reinem 
Zustand,  aus  dem  Maismalz  dar  und  bewies,  daß  sie  Maltose  in  Trauben- 
zucker spaltete.  Später  wurde  ein  ähnliches  Enzym  von  Bei  j  erinck  ^), 
R  ö  h  m  a  n  n  imd  B  i  a  1  ^)  in  tierischen  imd  pflanzlichen  Säften,  von 
B  0  u  r  q  u  e  1  o  t  ^)  bei  Aspergillus  niger,  von  Lintner*),  Beije- 
r  i  n  c  k  und  E.Fischer'),  ii^  der  Hefe  gefunden,  und  erhielt 
den  passenden  Namen  Maltase.  Sehr  wahrscheinlich  gibt  es  auch  hier 
wieder  nicht  eine,  sondern  mehrere  verschiedene  Maltasen  (E.Fischer®). 

Nur  die  maltosevergärenden  Hefen  enthalten  anscheinend  die 
Maltase  (§  86),  also  die  Gruppen  des  Saccharomyces  cerevisiae,  der 
Monilia  Candida  und  des  Sacch.  albicans  (Soorpilz).  Wie  sich  die  übrigen 
Schimmelpilze  außer  Aspergillus  niger  imd  Monilia  sitophila  (Went*)) 
nnd  die  Bakterien  verhalten,  ist  unbekannt.  Wahrscheinlich  kommen 
auch  unter  ihnen  Maltasebildner  vor,  da  viele  die  Maltose  vergären. 

Was  die  Bildung  der  Maltase  („Maltoglukase")  anlangt,  so  ist  sie 
nach  W  e  n  t  etwas  mehr  von  der  Art  der  Ernährung  abhängig,  als  die 
der  Saccharase,  doch  findet  sie  statt  auch  bei  Gegenwart  von  vielen 


1)  Nach  Geduld,  Kochs  Jahresber.   1891.  250. 

2)  Ebenda. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  1,   1895. 

4)  Ber.  ehem.  Ges.  25.  3654  und  27.  3251. 

5)  Joum.  anat.  physiol.   1886.   162;  Kochs  Jahresber.   1893.  276. 

6)  Zeitschr.  f.  Brauerei  1892. 

7)  Ber.  ehem.  Ges.  28.  1429. 

8)  Zeitschr.  phys.  Chem.  26. 

9)  Jahrb.  wiss.  Bot.  1901.  36. 


238  Kap.  VI,  §  79—81. 

anderen  Kohlenhydraten  und  Pepton.  Dabei  ist  die  Produktion  in 
hohem  Grade  unabhängig  von  der  Wachstumsstärke  des  Pilzes. 

Die  Maltase  ist  noch  fester  an  die  Zellen  gebunden  ak  die  Inver- 
tase;  sie  läßt  sich  aus  ihnen  in  ähnlicher  Weise  gewinnen,  wie  es  oben 
beschrieben  wurde.  Der  Prozeß  der  Maltosespaltung 
verläuft  also  auch  wesentlich  innerhalb  der  Zel- 
len. Zum  Nachweis  der  Hydrolyse  empfiehlt  sich  nach  E.  Fischer, 
die  Hefe  auszuwaschen,  sie  gründlich  zu  trocknen  und  dann  unter 
Zusatz  von  Thymol,  Toluol  oder  Äther  (nicht  von  Chloroform)  auf 
Malzzucker  wirken  zu  lassen.  Ihrer  Darstellung  nach  ist  die  Maltase 
gewöhnlich  vergesellschaftet  mit  der  Saccharase.  Man  kann  nach 
Röhmanndie  letztere  von  ersterer  trennen,  indem  man  die  Flüssig- 
keiten, die  beide  Enzyme  enthalten,  durch  Alkohol  niederschlägt,  wieder 
löst  und  nochmals  niederschlägt.  Da  die  Maltase  gegen  Al- 
kohol empfindlicher  ist  als  die  Saccharase,  bleibt 
letztere  schließlich  allein  zurück.  Die  umgekehrte 
Trennung  ist  kaum  möglich;  um  die  Maltase  rein  zu  gewinnen,  müßte 
man  daher  Hefen  verwenden,  die  wohl  Maltase  aber  nicht  Saccharase 
vergären,  also  z.  B.  den  Soorpilz  oder  den  Schizosaccharomyces  octo- 
sporus. 

Gewöhnlich  wird  angenommen,  daß  die  Maltase  auch  die  Fähig- 
keit habe,  Dextrin  in  Glykose  zu  verwandeln.  Das  ist  aber  nach  dem, 
was  wir  oben  bei  Gelegenheit  der  Öextrinase  ausgeführt,  zum  mindesten 
sehr  zweifelhaft.  Es  kann  sich  hier  um  Vermischung  zweier  Enzyme 
handeln.  —  Die  Widerstandsfähigkeit  der  Maltase  ist  nicht  nur  gegen- 
über Alkohol  geringer  als  die  der  Saccharase,  sondern  auch  gegen  Er- 
hitzimg. Nach  L  i  n  t  n  e  r  und  K  r  ö  b  e  r  ^)  wird  die  erstere  aus  Hefe 
schon  bei  55 <*  zerstört;  am  kräftigsten  wirkt  sie  bei  40°.  B  o  u  r  q  u  e  - 
1  o  t  ^)  findet  allerdings  die  Aspergillusmaltase  viel  resistenter,  er  konnte 
sie  dadurch  sogar  von  der  Trehalase  (§  80)  trennen,  daß  er  den  Pilz- 
auszug auf  64®  erhitzte.  Die  Maltase  vertrug  das,  während  die  Treha- 
lase zerstört  wurde.  Der  Schluß  liegt  nahe,  daß  die  Maltase  der  Hefe 
und  des  Aspergillus  verschieden  sind.  Auch  die  Angaben  über  das 
Verhalten  der  Hefemaltase  stimmen  freilich  nicht  überein.  Nach 
L  i  n  t  n  e  r  imd  K  r  ö  b  e  r  hält  sie  sich  in  wäßriger  Lösimg  nur  wenige 
Tage ;  vielleicht  liegt  das  teilweise  an  der  Schädigimg  durch  freien  Sauer- 
stoff, H  i  1 P)  konnte  sie  wenigstens  in  verschlossener  Flasche 
Mon-ate  lang  ohne  wesentliche  Abschwächimg  aufbewahren.     M  e  r  k  - 


1)  Ber.  ehem.   Ges.  28.   1050. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   116.  826. 

3)  Joum.  ehem.  soc.   1898. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  239 

würdig  ist  die  nachteilige  Wirkung  des  Chloro- 
forms auf  die  Hefemaltase  (s.  o.).  Für  die  Aspergillus- 
maltase  konnte  sie  H  e  r  i  s  s  e  y  ^)  nicht  bestätigen.  —  Eine  theoretisch 
sehr  wichtige  Umkehrung  der  Hefemaltasewirkung,  wobei  Maltose 
ans  Glykose  entstellt,  findet  nach  Hill  dann  statt,  wenn  die  letztere 
im  Überschuß  (zu  75%tuid  mehr)  vorhanden  ist.  In  reinen  40  prozentigen 
GlykoselÖBungen  wurden  bis  zu  15%  in  Maltose  übergeführt.  Man  hat 
dadurch  einen  experimentellen  Anhaltspunkt  ge- 
wonnen für  die  Möglichkeit  des  Aufbaus  des  zu- 
sammengesetzten aus  einfachem  Zucker  in  der 
Zelle:  auch  diese  wäre  also  enzymatischer  Art. 
Nach  Emmerling^)  soll  allerdings  nicht  Maltose,  sondern  Iso- 
maltose entstehen. 

§  80.  Trehalase.  Ein  Disaccharid,  das  ebenso  wie  die  Maltose 
in  zwei  Moleküle  Glykose  gespalten  wird,  ist  die  Trehalose  (Mykose),  die 
in  Pilzen  und  der  syrischen  Manna  vorkommt.  Nach  Bourquelot*) 
sondern  Aspergillus  niger  und  andere  Schimmelarten  (Penisdllien)  ein 
Enzym,  die  Trehalase,  ab,  das  die  Spaltung  verursacht.  E.  Fischer^) 
fand  sie  auch  im  Grünmalz  und  —  allerdings  nur  in  geringer  Menge  — 
in  einigen  Hefen  (vgl.  auch  Ealanthar^)  imd  L  i  n  d  n  e  r  ®).  Nach 
B  a  u  ^)  wäre  das  Verhalten  der  Hefe  gegen  Trehalose  ein  zu  unregel- 
mäßiges und  ihre  Spaltung  zu  langsam,  als  daß  man  sie  einem  echten 
Enzym  zuschreiben  könnte.  Er  denkt  eher  an  eine  Wirkung  des  Proto- 
plasmas. Damit  scheint  uns  wenig  gewonnen  zu  sein.  Es  liegt  näher, 
sich  vorzustellen,  daß  das  Enzym  selbst  gewöhnlich  nur  in  geringer 
Menge  und  vielleicht  nur  unter  bestimmten  Bedingungen  gebildet 
wird.  Jedenfalls  gibt  es  einige  Mikroorganismen,  wie  Aspergillus  niger, 
Monilia  Candida  (Sacch.  cand.),  Monilia  variabilis,  Mucor  Rouxii  (Amy- 
lomyces),  die  Trehalose  recht  kräftig  und  regelmäßig  angreifen  (L  i  n  d  - 
n  e  r).  Bei  der  Monilia  sitophila  W  e  n  t  s  ®)  wird  die  Trehalase  nicht, 
wie  die  übrigen  zahlreichen  Enzyme  dieses  Pilzes  nach  außen  abge- 
schieden, läßt  sich  auch  aus  zerriebenen  Myzel  nur  schwer  in  Lösung 
gewinnen,  haftet  vielmehr  dem  unlöslichen  Rückstand  an. 

§  81.  Melibiase.  Weiter  verbreitet  bei  Hefen  ist  die  Melibiase, 
die  ein  bei  Hydrolyse  der  Baffinose  (§83)  entstehendes  Disaccharid, 

1)  Compt.  rend.  soc.  biol.  1896.  915. 

2)  Her.  ehem.  Ges.  1901.  600. 

3)  Compt.  rend.  &o.  sc.  116.  826. 

4)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  26. 

5)  Ebenda. 

6)  Wochenschr.  f.  Brauerei  1900. 

7)  Kochs  Jahresbor.  1899.  112. 

8)  Jahrb.  wiss.  Bot.  1901.  36. 


240  Kap.  VI,  §  81  u.  82. 

die  Melibiose,  in  Galaktose  und  Glykose  zerlegt.  B  a  u  ^)  hatte  uisprüng- 
lich  angegeben,  daß  sich  die  sogenannte  Unterhefe  von  der  Oberhefe 
durch  die  Bildung  von  Melibiase  unterschiede  (§  86).  Im  allgemeinen 
stimmt  das  auch,  doch  konmien  Ausnahmen  vor,  insbesondere  fehlt 
den  Weinhefen,  die  Unterhefen  sind,  gewöhnlich  die  Melibiase  (L  i  n  d  - 
n  e  r  ^).  Die  Frage,  ob  die  Melibiase  nicht  vielleicht  identisch  ist  mit 
einem  anderen  Enzym,  z.  B.  der  Maltase,  ist  auch  aufgeworfen  und 
verschieden  beantwortet  worden.  Wenn  man  die  Identität  annimmt, 
dann  muß  man  natürlich  voraussetzen,  daß  es  verschiedene  Maltasen 
gibt,  von  denen  die  einen  nur  die  Maltose,  die  anderen  Maltose  und 
Melibiose  spalten  (vgl.  E.  Fischer*)).  Bei  dem  heutigen  Zustand 
unserer  Kenntnisse  ist  eine  sichere  Entscheidung  nach  der  einen 
oder  anderen  Richtimg  nicht  zu  geben.  Im  Interesse  einer 
klaren  Darstellung  liegt  es  aber  unzweifelhaft, 
wenn  wir  vorläufig  wesentlich  verschiedene  che- 
mische Leistungen  als  an  besondere  Enzyme  gebun- 
den betrachten.  Nachweislich  kommen  einer  und  derselben 
Zelle  eine  ganze  Anzahl  von  Enzymen  zu,  das  Verständnis  dafür  wird 
nicht  davon  berührt,  ob  acht  oder  zehn  nebeneinander  angenommen 
werden.  Erst  wenn  ganz  erhebliche  Gründe  gegen  die  Verschieden- 
heit zweier  Enzyme  sprechen,  werden  wir  für  ihre  Identität  eintreten. 
Einen  solchen  Grund  würde  z.  B.  die  Tatsache  abgeben,  daß  zwei  ver- 
schiedene chemische  Leistungen  regelmäßig  nebeneinander,  nie  getrennt 
voneinander  beobachtet  werden.  Die  Unmöglichkeit,  zwei  oder  mehr 
in  derselben  Lösimg  angenommene  Enzyme  zu  trennen,  will  bei  den 
mangelhaften  Mitteln,  die  uns  bis  jetzt  für  die  Darstellung  dieser  Stoffe 
zur  Verfügung  stehen,  gar  nichts  besagen. 

§  82.  Laktase.  Die  Umwandlung  in  Galaktose  und  Glykose 
erleidet  auch  ein  zweites,  praktisch  viel  wichtigeres  Disaccharid,  der 
Milchzucker  (Laktose).  Beijerinck*)  führte  sie  zuerst  auf  ein 
besonderes  Enzym,  die  Laktase  zurück,  nachdem  er  die  hydrolytische 
Spaltung  des  Milchzuckers  bei  dem  Sacch.  Kefyr^)  und  Sacch.  tyricola 


1)  Kochs  Jahresber.   1894.    141  und   159. 

2)  Mikr.  Betriebskontrolle  1901.  344. 

3)  Zeitschr.  phys.  Chem.  26 

4)  Zentr.  Bakt.  6.  44. 

5)  Nicht  zu  verwechseln  mit  dem  Sacch.  Kefyr  von  Freuden- 
r  e  i  0  h  8  (Landwirtsch.  Jahrb.  Schweiz  1896),  der  Milchzucker  erst  ver- 
gärt, wenn  er  durch  die  Einwirkung  des  im  Kefyr  vorhandenen  Strepto- 
coccus lacticus  (s.  u.)  hydrolysiert  ist.  Danach  entsteht  .der  Alkohol  im 
Kefyr  aus  zwei  Quellen,  einmal  aus  der  direkten  Vergärung  durch  Mileh- 
zuckerhefe  und  zweitens  aus  der  Symbiose  zwischen  Milchsäurebcücterien 
und  gewöhnlichen  Hefen  (s.  u.  M  a  z  u  n  und  t*  e  b  e  n). 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  241 

wahrscheinlich  gemacht  hatte.  Erst  E.  Fischer^)  gelang  hier  wie 
in  anderen  Fällen  der  sichere  Nachweis  dieser  Spaltung,  dadurch  daß 
er  die  entsprechenden  Ozazone  darstellte,  und  gleichzeitig  die  Dar- 
stellung des  'EnzjmB  durch  Ausziehen  von  Eef}rrkömem  mit  Wasser 
und  Fällung  mit  Alkohol.  Weniger  leicht  —  am  besten  durch  Ver- 
reibung  mit  Glaspulver  oder  nach  Chloroformeinwirkimg  —  erhält 
man  die  Laktase  aus  Reinkulturen  solcher  „Milchzuckerhefen'^  weil 
sie  hier  fester  mit  den  Zellen  verbunden  ist  (E.  Fischer,  Dienert^), 
Maze')).  Im  Preßsaft  einer  armenischen  Mazunhefe  (s.  u.)  erhielten 
£.  Buchner  und  Meisenheimer^)  eine  Laktase,  die  wie  die 
Invertase  der  Monilia  Candida  durch  Pergament  nicht  diffundierte. 

Wichtig  ist,  daß  es  Fischer  und  Armstrong'^)  mit  Hilfe 
von  Hefelaktase  gelang,  aus  einer  konzentrierten  Lösung  von  Glykose 
und  Galaktose  einen  milchzuckerähnlichen  Körper  (Laktose  oder  Iso- 
laktoee)  zu  gewinnen.  Es  scheint  sich  danach  umeinenumkehr- 
barenyorgangzuhalten,derfürdie  Synthesedes 
Milchzuckers  von  Bedeutung  sein  dürfte  (vgl.  Maltase  S.  239). 

Die  allermeisten  Hefen  enthalten  keine  Laktase  und  sind  infolge- 
dessen nicht  imstande,  den  Milchzucker  zu  vergären  (§  86).  Außer 
den  beiden  schon  genannten  Arten,  die  in  Kefyr  und  Käse  leben, 
koQunen  noch  in  Betracht^)  die  Milchhefe  Duclaux'^),  der  Saccharo- 
myces  acidi  lactici  Grotenfelts'®),  der  S.  lactis  Adametz'®) 
die  Hefen  We  i  g  m  a  n  n  s  ^®)  und  J  e  n  s  e  n  s  ^^)  aus  Butter,  eine  Hefe 
aus  saurer  Milch ^*),  der  Sacch.  fragilis,  den  Jörgensen^^)  ebenfalls 
im  Kefyr  fand,  femer  Hefen  aus  kaukasischem  imd  armenischem  Mazun 
(Kalanthariaz  ^*),  Lindner^®)).   Schließlich  hat  M a z  ^  (s.  o.) 


1)  Her.  ehem.  Ges.  27.  2991  und  3481. 

2)  Compt.  rend.   129.  63. 

3)  Annal.  Pasteur  1903.   19. 

4)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  40,   1903. 

5)  Ber.  chem.  Ges.  35,  1902. 

6)  Vgl.   Literatur  und  eigene   Studien  bei   H  e  i  n  z  e  und  C  o  h  ii , 
Zeitschr.  f.  Hyg.  46,   1904. 

7)  Annal.  Pasteur  1887.  573. 

8)  Fortflchr.  d.  Medizin  1889.   131. 

9)  Zentr.  Bakt.  5.   116.   1889. 

10)  Milchzeitung  1890.  743. 

11)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8.   137,   1902. 

12)  v.Freudenreich  und  O.  Jensen,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3. 545, 1897. 

13)  Bei  K 1  ö  c  k  e  r  ,  Gärungsorganismen  1900. 

14)  Kochs  Jahresber.   1898.  322. 

15)  Mikr.  Betriebskontrolle  in  den  Gärungsgewerben  1901.  Neben  den 
Milchzuckerhefen  kommen  auch  im  Maziui  gewöhnliche  Hefen  vor  und 
milchzuckerspaltende  Bakterien  (s.  u.). 

Kruse,  Mikrobiologie.  16 


242  Kap.  VI,   §  82— 83a. 

neuerdings  gefunden,  daß  man  Milclizuckerhefen  aus  jedem  Käse  ge- 
winnen kann,  wenn  man  Spuren  davon  in  leicht  saurer  Rohrzucker- 
bouillon züchtet.  Zunächst  entwickeln  sich  darin  Milchsäurebakterien, 
später  Hefen,  die  dann  leicht  auf  festen  Nährböden  zu  isolieren  sind. 
Viele  dieser  Hefen  gehören  zur  sogenannten  Torula,  d.  h.  bilden 
keine  Sporen,  fast  alle  zeichnen  sich  dadurch  aus, 
daß  sie  außer  Laktase  keine  anderen  hydroly- 
tischen Enzyme  bilden,  nur  die  Weigmann  sehe  Art 
erzeugt  auch  Saccharase  und  Raffinase.  Die  den  Hefen  nahestehenden 
Monilia  variabilis  und  Sachsia  suaveolens  vergären  nach  L  i  n  d  n  e  r 
ebenfalls  Milchzucker. 

Die  Schimmelpilze  bilden  wie  die  gewöhnlichen  Hefen 
nur  selten  Laktase,  doch  gibt  es  einen,  die  Eurotiopis  Gayoni  (La- 
bor d  e  ^) ,  der  Diastase,  Dextrinase,  Maltase,  Trehalase,  Laktase 
und  außerdem  noch  glykosid-  und  eiweißspaltende  Enzyme  sowie 
Zymase  produziert,  wenn  auch  zum  Teil  nur  in  kleiner  Menge.  Nur 
die  Saccharase  fehlt  in  dem  komplizierten  Bilde,  das  wir  ims  von  dem 
im  Stoffwechsel  benutzten  Handwerkszeug  dieses  Pilzes  machen 
müssen.  Maltase  und  Laktase  schließen  sichdaher 
gegenseitig  nicht  aus  (vgl.  E.  Fischer  ^)).  Dafür  könnte 
man  auch  die  Tatsache  anführen,  daß  es  zahlreiche  Bakterien,  z.  B. 
aus  der  Gruppe  des  Bact.  coli  und  Strept.  lacticus  gibt,  die  Milchzucker 
und  andere  Disaccharide  gleichzeitig  angreifen  (vgl.  Milchsäure-,  Butter- 
säure- und  Schleimgärung).  Hydrolytische  Enzyme  sind  freilich  bisher 
bei  ihnen  nur  verhältnismäßig  selten  nachgewiesen  worden,  so  z.  B. 
bei  dem  Streptococcus  lacticus  b  von  Freudenreichs*)  und  dem 
Mikrokokkus  E  m  m  e  r  1  i  n  g  s  *),  die  im  Ketyr  und  Mazun  vorkommen, 
und  die  Milchzucker  imd  Rohrzucker  spalten  und  dadurch  zur  Gärung 
für  die  gewöhnliche  Hefe  vorbereiten.  Vielleicht  besteht  eine  ähnliche 
Symbiose  zwischen  milchzuckerspaltenden  Bak- 
terien und  Hefen  im  ägyptischen  „Leben"^).  Wahrscheinlich 
würde  eine  umfassende  Prüfimg  der  Bakterien,  namentlich  mit  Hilfe 
der  Preßsaftmethode,  bessere  Ergebnisse  liefern,  d.  h.  ein  häufigeres 


1)  Annal.  Pasteur  1897.  Die  ebenso  enzymreiche  Monilia  sitophila 
W  e  n  t  s  (Jahrb.  wiss.  Bot.  36,  1901)  bildet  keine  Laktase  und  auch  keine 
Zymase,  außerdem  aber  Zelluleuse  und  Raffinase. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  26. 

3)  Vgl.  Anm.  4,   S.  240. 

4)  Zontr.  Bakt.  2.  Abt.  4.   418. 

5)  Rist  und  K  h  o  u  r  y  ,  Annal.  Pasteur  1902.  Die  Reinkulturen 
der  Bakterien  besaßen  allerdings  keine  spaltende  Kraft  für  Milchzucker, 
in  Mischung  mit  Hefe  veranlaßten  sie  aber  die  alkoholische  Gärung. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  243 

Wkommen  der  hydrolytischen  Enzyme  etwa  in  Form  von  Endo- 
enzymen  (vgl.  Monilia  Candida,  S.  235)  beweisen.  In  manchen  Fällen 
haben  wir  aber  den  sicheren  Beweis,  daß  die  hydrolj^ischen  Spaltungen 
überhaupt  nicht  ausgeführt,  sondern  die  zusammengesetzten  Zucker 
direkt  vergoren  werden  (§  98).  Übrigens  bestätigt 
sich  auch  bei  den  Bakterien  die  bei  den  Pilzen  ge- 
machte  Beobachtung,  daß  Milchzucker  seltener 
als  die  übrigen  Disaccharide  von  ihnen  ange- 
griffen wird.  Über  die  Beziehungen,  die  zwischen  Laktase  und 
glykosidspaltenden  Fermenten  bestehen,  werden  wir  bei  den  letz- 
teren berichten  (§  154). 

Bemerkenswerterweise  ist  Laktase  bisher  das  einzige  zucker- 
spaltende Enzym,  mit  dessen  Hilfe  es  geUngt,  bei  Tieren  eine  Anti- 
laktase,  d.  h.  einen  die  Laktasewirkung  hemmenden  Stoff  im  Blut- 
serom  zu  erzeugen^). 

§  83.  Raffinase.  EinTrisaccharid,  das  wegen  seines  Vorkommens 
in  der  Melasse  der  Zuckerfabriken  eine  größere  Bedeutung  hat  und  von 
vielen  Hefepilzen  (§  86)  zu  Melibiose  imd  Fruktose  gespalten  wird, 
ist  die  Melitriose  oder  Raf.inose.  Wahrscheinlich  beruht  diese  Um- 
wandlung auf  einem  Enz3an,  der  Raffinase.  Es  darf  mit  der  Saccharase 
nicht  zusammengeworfen  werden,  obwohl  es  gewöhnlich  mit  ihr  ver- 
gesellschaftet ist,  weil  in  einzelnen  Fällen,  so  z.  B.  bei  Monilia  Candida, 
das  Vorkommen  von  Saccharase  und  das  Fehlen  von  Raffinase  fest- 
gestellt worden  ist,  und  umgekehrt  sich  die  Raffinase  ohne  die  Saccharase 
findet  (Schizosaccharomyces  octosporus  ^)).  Auch  Pilze  spalten  viel- 
fach Raffinose,  so  die  enzymreiche  Monilia  sitophila  W  e  n  t  s  ^), 
mögücherweise  —  nach  ihrem  Gärungsvermögen  zu  urteilen  —  auch 
Bakterien  (§  100  u.  112). 

§  83a.  Zusammenfassung.  Mit  den  hier  aufgeführten  Vorgängen 
ißt  die  2jahl  der  hydrolytischen  Spaltungen  der  Zuckerarten  jedenfalls 
noch  nicht  erschöpft.  Es  gibt  seltenere  Disaccharide,  wie  Turanose 
und  Gentiobiose,  und  Trisaccharide  wie  Melezitose  und  Oentianose, 
die  von  Pilzen  zum  Verfall  gebracht  werden  können*).  Vorläufig  werden 
wir  besondere  Enzyme  dafür  verantwortlich  zu  machen  haben. 

1)  Vgl.  Schütze,  Zeitschr.  f.  Hyg.  48.  3,   1904.     Vgl.  §  249. 

2)  E.  Fischer  und  Lindner,  Ber.  ehem.  Ges.  28.  984,  1895. 
Vgl.  L  i  n  d  n  e  r,  Betriebekontrolle.  S.  196.  E.  Fischer  und  N  i  e  g  e  1 
(Sitzungsber.  Berl.  Akad.  1896)  konstatierten  dasselbe  Verhalten  für  den 
Dannsaft  des  Kindes. 

3)  Jahrb.  wies.  Bot.  36,  1901,  vgl.  Bourquelot,  Bull.  soc. 
raycol.  de  France  1893. 

4)  Bourquelot,  Compt.  rend.   soc.  biol.   55,    1903. 

16» 


244  Kap.  VI,   §  84  u.  86. 

Aua  diesem  Abschnitt  (§  69 — 83)  können  wir  vielleicht  den  Schluß 
ziehen,  daß  hydrolytische  Enzyme  für  Kohlenhydrate  bei  Pilzen,  ein- 
schließlich der  Hefen,  sehr  gewöhnlich  nachzuweisen  sind,  für  die 
Bakterien  aber  eine  geringere  Bedeutung  haben.  Nur  die  diastatisclien 
Enzyme  machen  eine  Ausnahme  von  dieser  Regel. 

§84.  Spaltungsgärungen  der  Kohlehydrate.  Alkohol- 
gärnng.  Die  hydrolytischen  Vorgänge,  die  wir  bisher  kennen  gelernt 
haben,  bereiten  die  zusammengesetzten  Kohlenhydrate  vor  zu  tiefen 
Spaltimgen,  die  am  besten  als  „Spaltimgsgärungen"  bezeichnet  werden 
(§  61),  und  zwar  nach  ihren  hauptsächlichsten  Produkten  als  alkoho- 
lische, Milchsäure-,  Buttersäure-  und  Sumpfgasgärung.  Doch  werden 
wir  im  Laufe  der  Erörterung  sehen,  daß  damit  nicht  alle  Spaltungs- 
gärungen  erschöpft  sind,  daß  wir  daneben  noch  eine  (anaerobe)  Essig- 
säure-, Wasserstoff-,  Ameisen-,  Propionsäure-,  Bemsteinsäure-,  Gly- 
zerin-, Mannit-  und  Butylalkohol- Gärung  zu  unterscheiden  haben.  Die 
Benennung  dieser  Vorgänge  ist  keine  ganz  folgerichtige.  Man  spricht 
z.  B.  oft  von  einer  Zellulosegärung  und  meint  damit  die  Ver- 
gärung der  Zellulose  zu  Simipfgas  oder  Wasserstoff.  Manch- 
mal will  man  unter  Gärung  nur  die  tieferen  Spaltungen  verstehen, 
bei  denen  Gase  entstehen. 

Nur  in  einigen  Fällen,  wie  bei  der  Alkohol-  und  Milchsäuregämng 
ist  es  gelungen,  die  Spaltung  auf  ein  Enzym  ziirückzuführen,  in  den 
anderen  wird  es  hoffentlich  noch  gelingen. 

Die  Geschichte  der  Alkoholgärung  ist  zugleich  auch  die 
Geschichte  der  Gärung  überhaupt,  weil  sie  bei  weitem  die  größte  Be- 
deutung für  den  Haushalt  des  Menschen  hat  und  darum  auch  am 
meisten  studiert  worden  ist.  Die  Entwicklung  unserer  Kenntnisse  läßt 
sich  in  folgender  Weise  kurz  zusammenfassen: 

Lavoisier  (1789),  Gay-Lussac  (1815),  Dumas  und 
B  o  u  1 1  a  y  (1828)  haben  das  Verdienst,  die  quantitativen  Verhält- 
nisse der  Alkoholgärung,  die  zu  der  Gleichung 

CeHiA  =  2C0,  +  2C,HeO 

führten,  aufgedeckt  zu  haben. 

Cagniard-Latour  (1836)  und  Schwann  (1837)  be- 
wiesen zuerst  unabhängig  voneinander,  daß  die  Hefe  als  ein  Wesen 
zu  betrachten  ist,  das  durch  seinen  Lebensprozeß  die  Spaltung  des 
Zuckers  in  Alkohol  und  Kohlensäure  vollzieht. 

Aber  erst  Pasteur^)  (1860 ff)  gelang  es,  dieser  Auffassung  in 
der  wissenschaftlichen  Welt  zum  Siege  zu  verhelfen  und  die  Biologie 


1)  Memoire  sur  la  fermentation  alcoolique.    Annal.  de  chim.  et  phys., 
3.  s6rie,  58.  Bd.  1860.    [ßtudes  sur  la  biere.     1876. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  245 

und  Chemie  des  Gärungsprozesses  gründlicli  aufzuklären.  Mit  seinen 
Arbeiten  muß  man  noch  heute  das  Studiimi  der  Gärung  beginnen. 
Ein  weiterer  Fortschritt  erfolgte  durch  die  Reinzucht  der  Hefen,  die 
wirHansen(§  85)  verdanken.  Daß  der  Vergärung  der  Disaccharide, 
wenigstens  der  durch  Hefen  verursachten,  stets  ihre  Hydrolyse  durch 
besondere  Enzyme  vorausgeht,  imd  daß  die  Gärfähigkeit  der  Mono- 
saccharide von  dem  räumlichen  Aufbau  ihrer  Moleküle  abhängt,  haben 
uns  namentlich  die  Untersuchungen  E.  Fischers  gelehrt^). 

Den  Schlußstein  des  Gebäudes  setzte  1897  E.  B  u  c  h  n  e  r  *)  ein 
durch  Entdeckung  des  Enzjrms  der  Alkoholgärung,  der  Zymase. 

§  85.  Erreger  der  Alkoholgärnng.  Die  alkoholerzeugenden 
Mikroorganismen  sind  in  erster  Linie  die  Hefen,  deren  Besonderheiten 
wir  vor  allen  Dingen  durch  die  Arbeiten  E.  Chr.  Hansens,  der  uns 
die  Reinzucht  der  Hefe  lehrte,  und  seiner  Schüler  und  Nach- 
folger') kennen.  Es  gehören  dazu  die  eigentlichen  (sporenbildenden) 
Hefen  (Saccharomyces  und  Schizosaccharomyces)  und  viele  nicht 
sporenbildende,  unechte  Hefen  oder  Sproßpilze  wie  Torula,  Monilia, 
Sachsia,  Oidium  (aus  der  Gruppe  der  Fungi  imperfecti),  während  die 
Mycoderma-Arten  gewöhnlich  keine  alkoholische  Gärung  verursachen 
(vgl.  die  Klassifikation  §  86).  Aber  auch  Schimmelpilze  gehören  hierher, 
wenn  sie  auch  bei  weitem  nicht  so  kräftig  wirken  wie  Hefen.  So  ist  lange 
bekannt,  daß  Mucorarten,  insbesondere  Mucor  racemosus,  alkoholische 
Gärung  verursachen  können*).  Man  brachte  die  Gärung  in  Verbindung 
mit  den  sproßpilzähnlichen  Verbänden,  die  sich  dabei  zeigen.  Nach 
W  e  h  m  e  r  ^)  haben  diese  aber  nichts  mit  der  Gärung  zu  tun.  Das 
wird  schon  dadurch  bezeugt,  daß  auch  andere  Filze,  die  nur  ausnahms- 
weise Sproßverbände  bilden  (M.  javanicus),  Gärung  erregen.  Andere 
Gärungserreger  sind  Mucor  Rouxii  (Amylomyces*)),  alternans'),  cir- 
einelloides,    spinosus®),    mucedo    und    erectus®).     Etwas    zweifelhaft 


1)  Ber.  ehem.  Ges.  von  1891 — 96,  insbesondere  23.  2114  und  27. 
3189.    Zusammenfassende  Darstellung:   Zeitschr.   physiol.   Cham.   26. 

2)  Vgl.  insbesondere  das  Werk  von  E.  und  H.  Buchner  und 
M.  Hahn:   Die  Zymasegärung.    München   1903. 

3)  Compt.  rend.  trav.  du  laboratoire  de  Carlsberg.  Kopenhagen 
1879  ff.  Vgl.  Kl  Ocker:  Gärungsorganismen,  1900;  L  i  n  d  n  e  r:  Mikroskop. 
Betriebskontrolle  in  den  Gärungsgewerben;  und  den  3.  Bd.  in  Lafars 
Techn.  Mykologie  1906—1907. 

4)  B  r  e  f  e  1  d  ,  Landwirtsch.  Jahrb.  1876. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   14.  556  und  15.  8,  1905. 

6)  Calmette,  Annal.  Fasteur  1892. 

7)  G  a  y  o  n  und  D  u  b  o  u  r  g ,  Annal.  Pasteur  1887. 

8)  Gayon,  Ann.  chim.  phys.    5.  s^rie,   14,   1878. 

9)  Hansen,  Compt.  rend.  trav.  laborat.    Carlsberg  1888. 


246  Kap.  VI,  §  8Ö  u.  86. 

ist  das  Gärvermögen  von  Aspergillus  und  Penicillium,  das  allerdings 
schon  P  a  8 1  e  u  r  beobachtet  haben  wollte.  Dagegen  ist  die  vielseitige 
Eurotiopsis  (Allescheria)  Gayoni,  die  wir  schon  mehrfach  erwähnt, 
auch  hier  anzuführen^). 

Den  Bakterien  fehlt  ebensowenig  die  Fähigkeit  zur  alkoholischen 
Gärung,  doch  ist  sie  stets  nur  in  geringerem  Grade  ausgesprochen  und 
von  anderen  Gärungen  derartig  verdeckt,  daß  der  Alkoholnachweis 
nur  bei  genauester  chemischer  Untersuchung  gelingt  (vgl.  §  104). 
Immerhin  sprechen  diese  Funde  dafür,  daß  die  Alkoholgärung 
bei  den  Mikroorganismen  weit  verbreitet  ist.  Noch 
interessanter  ist  aber  die  Feststellung,  daß  sie 
auch  bei  den  höheren  Organismen,  Pflanzen  und 
Tieren  beobachtet  wird. 

Ältere  Literatur  darüber  findet  sich  bei  D  ö  p  p  i  n  g  und  S  t  r  u  v  e  , 
Joum.  prakt.  Chem.  41.  271,  1847.  Einwandfreie  Versuche  wurden  zuerst 
1869  von  Lechartier  und  Bellamy  (Compt.  rend.  69.  366  und  466; 
75.  1204;  79.  949  und  1006)  mit  Äpfeln  und  Birnen  gemacht,  die  sich  bei 
Abschluß  von  Sauerstoff  monatelang  am  Leben  halten  ließen.  P  a  s  t  e  u  r 
(Compt.  rend.  75.  1056  und£tudes  sur  la  bi^re,  S.  260)  setzte  einige  Jahre 
später  24  frische  Pflaumen  unter  eine  Glocke,  die  er  mit  Kohlensäure 
füllte.  Nach  8  Tagen  waren  die  Pflaumen  trocken  und  hart  geworden  und 
hatten  viel  von  ihrem  Zuckergehalt  verloren,  ihre  Destillation  ergab  da- 
gegen 6,5  g  Alkohol,  d.  h.  mehr  als  1%  ihres  Gewichts.  Andere  Versuche 
von  Traube  (Her.  chem.  Ges.  1874.  885),  Brefeld  (Landwirtsch. 
Jahrb.  1876)  und  M  ü  n  t  z  (Ann.  chim.  phys.  5.  s^rie,  8,  1876)  hatten  bei 
zahlreichen  Pflanzen  ähnliche  Resultate.  Brefeld  sah  den  Alkoholgehalt 
in  Erbsenkeimlingen  sogar  5%  erreichen.  Er  betont  übrigens  die  Bildung 
von  Nebenprodukten,  wie  Säuren,  Fuselöl  und  aromatischen  Stoffen.  Auf- 
hebung der  Lebensfähigkeit  durch  Erhitzung  auf  48*  imd  Erfrieren  hebt 
auch  die  Alkoholbildung  auf.  R  ö  h  m  a  n  n  (Zeitschr.  phj^.  Chem.  5) 
und  Rajewski  (Pflügers  Archiv  11)  fanden  ebenfalls  Alkohol  in  Leber 
und  Mastd£urm  normaler  Tiere.  Neuerdings  —  nach  der  Entdeckung  der 
Zymase  —  sind  diese  Versuche  von  verschiedenen  Autoren  wieder  auf- 
genonmien  worden.  Godlewsky  und  Polzeniusz  (Compt.  rend. 
acad.  sc.  Cracovie  1901.  227)  kamen  dabei  zu  dem  Resultat,  daß  die  intra- 
molekulare Atmung  der  Samenkörner,  was  die  quantitative  Produktion 
von  Alkohol  und  Kohlensäiire  anbetrifft,  einer  echten  fklkoholischen  Gärung 
entspricht.  Für  M  a  z  6  (Annal.  Pasteur  1900  und  1902)  ist  der  Alkohol 
auch  unter  den  gewöhnlichen  Verhältnissen  des  Lebens  an  der  Luft  eins 
der  wichtigsten  Zwischenprodukte  des  Stoffwechsels.  Erbsen  eignen  sich 
am  besten  zum  Studium  der  vegetabilischen  Alkoholgärung.  Sehr  umfang- 
reich sind  die  Arbeiten  Stoklasas  auf  diesem  Gebiete.  Stoklasa 
und  C  z  e  r  n  y  (Ber.  chem.  Ges.  36.  622  und  Hofmeisters  Beitr.  3.  1 1) 
erhielten  nach  dem  Buchner-Albert  sehen  Verfahren  ( §  89)  aus 
Rüben,  Erbsen  und  Kfiu*toffeln,  die  sie  5 — 10  Tage  bei  Sauerstoff abschluß 
hielten,    ferner    aus    frischen  Erbsenpflänzchen   und   Zuckerrüben  wurzeln, 


1)  Laborde,  Ann.  Pasteur   1897;  Maz6,  Annal.  Pasteur  1904. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  247 

ebenso  aus  Blättern  und  Blüten,  aber  auch  aus  frischen  oder  anaerob  auf- 
bewahrtem Fleisch,  Lunge,  Leber  und  anderen  Organen  von  Schlacht- 
tieren ein  trockenes  Pulver,  das,  in  Zuckerlösung  gebracht,  diese  sofort 
in  mehr  oder  weniger  stürmische  Gärung  versetzte.  Das  Verhältnis  der 
dabei  entwickelten  Kohlensäure-  und  Alkoholmenge  entsprach  ziemlich 
genau  demjenigen,  das  bei  der  alkoholischen  Gärung  gefunden  wird 
(100  :  104,5),  nur  wurde  gewöhnlich  etwas  zuviel  Alkohol  bestimmt.  Dabei 
wurde  strengste  Vorsorge  getroffen,  daß  keine  Verunreinigung  durch  Mikro- 
organismen auftrat.  Wo  eine  solche  dennoch  stattgefunden  hatte,  konnten 
die  Autoren  feststellen,  daß  die  Miki'oorganismen  nicht  an  der  Gärung 
schuld  waren.  Die  Menge  der  von  10  g  Rindslungenenzym  in  100  ccm 
15  prozentiger  Glykoselösung  gebildeter  Produkte  betrug  in  einem  Ver- 
suche binnen  52  Stunden  3,088  g  Kohlensäure  und  3,201  g  Alkohol.  Von 
der  Kohlensäure  war  mehr  als  der  dritte  Teil  schon  in  den  12  ersten  Stiuiden 
entwickelt.  Die  wesentliche  Identität  der  intramole- 
kularen Atmung  (§  62)  mit  der  alkoholischen  Gärung 
scheint  dadurch  allerdings  sehr  wahrscheinlich 
gemacht  (vgl.  auch   §  101). 

§  86.  Verhalten  der  zusammengesetzten  Kohlehydrate 
zm*  Alkoholgärung.  Einteilung  der  Hefen.  Wie  oben  (S.  245) 
bemerkt,  vergären  die  Hefepilze  diejenigen  Poly-  und  Disaccharide, 
für  die  sie  hydrolytische  'Enzyme  besitzen.  Da  diese  in  den  verschieden- 
sten Mischungen  vorkommen,  so  ergibt  sich  daraus  eine  freilich  nicht 
gerade  „natürliche"'  Klassifikation  der  Hefepilze  nach  ihrem  6är- 
vermögen. 

Man  kann  unterscheiden  (nach  Hansen,  Lindner  u.  a. 
von  mir  zusanmiengestellt^)) : 

I.  Gruppe  des  Sacch.  cerevisiaCjd.  h.  Hefen,  die  Mal 
tose,  Saccharose,  Raffinose,  Dextrose  und  Fruktose,  nicht  Lak- 
tose vergären.    Der  Sacch.  cerevisiae  zerfällt  wieder  in  folgende 
Abarten: 

a)  var.    Logos   (van   L  a  e  r)   vergärt  Dextrin   vollständig  und 
Inulin,  ebenso  Melibiose; 

b)  var.    Unterhefe   I    (Frohberg)   vergärt   einige   Dextrine   und 
Melibiose; 

c)  var.  ünterhefe  II  (Saaz),  vergärt  Dextrin  nicht,  aber  Melibiose; 

d)  var.  Oberhefe  I  (Frohberg)  vergärt  Dextrin,  nicht  Melibiose; 

e)  var.  Oberhefe  II  (Saaz)  vergärt  weder  Dextrin  noch  Melibiose. 


1)  Zur  Prüfung  des  Gärungsvermögens  eignet  sich  am  besten  die  von 
Lindner  angegebene  Methode,  nach  der  die  Hefeauf  seh  wemmung  (in 
Wasser  oder  Hefewasser)  in  die  Höhlung  eines  ausgeschliffenen  Objekt- 
trägere  gebracht,  mit  einer  Platinöse  Zucker  vermischt,  unter  Vermeidung 
von  Luftblasen  mit  Deckglas  überdeckt  und  nun  mit  Vaselin  umrandet 
bei  25*  stehen  gelassen  wird.  Wenn  Gärung  erfolgt,  treten  Kohlensäure- 
blasen auf. 


248  Kap.  VI,   §  88  u.  87. 

Der  Sacch.  ellipsoideus  (Weinhefe)  läßt  sich  ähnlich  einteilen 
wie  Unterhefe,  vergärt  aber  Melibiose  nicht.  Weitere  Unter- 
scheidungsmerkmale gibt  das  Verhalten  zu  Trehalose. 

Das  Gleiche  gilt  für  den  Sacch.  pastorianus  (wilde  Krank- 
heitshefen).  Hierher  gehören  femer  der  Sacch.  anomalus,  S. 
(Torula)  novae  Carlsbergiensis  und  S.  cartilagineus  (L  i  n  d  n  e  r). 
Der  Schizosaccharomyces  Pombe  vergärt  außer  den  obigen 
Zuckerarten  Dextrin  und  Inulin,  nicht  Mannose  und  Galaktose, 
der  Seh.  mellacei  auch  Mannose  (L  i  n  d  n  e  r  s.  u.  S.  258). 

II.  GruppederMoniliacandida  vergärt  Maltose,  Saccha- 
rose, Dextrose  und  Fruktose,  nicht  Baffinose  und  Laktose, 

III.  Gruppe  des  S.  Marxianus  vergärt  Saccharose,  Raffinose, 
Dextrose  und  Fruktose,  nicht  Maltose  und  Laktose.  S.  Marxianus 
vergärt  Inulin,  nicht  Dextrin;  S.  exiguus  Dextrin,  nicht  Inulin;  S. 
Ludwigii  weder  Dextrin  noch  Inulin.  Hierher  scheint  auch  der 
bekannte  Sacch.  guttulatus  des  Kaninchendarms  zu  gehören  ^). 

IV.  Gruppe  des  S.  albicans  vergärt  Maltose,  Dextrose  und 
Fruktose,  nicht  Saccharose  und  Laktose.  S.  albicans  (Soor). 
Der  Schizosaccharomyces  octosporus  vergärt  außer  der  Saccha- 
rose, Laktose,  und  dem  Inulin  alle  Zuckerarten,  auch  sämtliche 
Hexosen  (L  i  n  d  n  e  r  s.  u.   §  89). 

V.  Gruppe  des  S.  apiculatus  vergärt  Dextrose  und  Fruk- 
tose, nicht  Maltose,  Saccharose,  Raffinose  und  Laktose,  S.  api- 
culatus, Delbrückii,  Bailii,  farinosus,  anomalus  belgicus,  S.  (Myco- 
derma)  glycomyces  Beijerinck  (von  B.  Fischer  und 
B  r  e  b  e  c  k  1894  als  Endoblastoderma  bezeichnet). 

VI.  Gruppe  der  Milchzuckerhefen  vergärt  Laktose  (vgl. 
§  82).  Sie  verhalten  sich  im  übrigen  verschieden  zu  den  anderen 
Zuckerarten,  zum  Teil  wie  Gruppe  I  und  IL 

VII.  Gruppe  der  Zucker  nicht  vergärenden  Kahm- 
hefen (Mycoderma-,  Endoblastoderma-),  Torula-  und  Oidium- 
Arten.  Hierher  gehören  nach  Buschke^)  auch  die  pathogenen 
Oidien  Gilchrichts,  nach  Sternberg*)  die  patho- 
genen Hefen  (Sacch.  hominis  Busse  u.  a.).  Indessen  besitzen 
sie  nach  anderen  Angaben  (Sternberg:  Oidien,  B u s c h k e  : 
Hefen)  doch  ein  schwaches  Gärvermögen. 


l)Casagrandi    und    Buscalioni    (Annali    d'igiene    1898), 
Wilhelm!  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4). 

2)  Blastomykose  in  Bibl.  medic.    Stuttgart  1902. 

3)  Zieglers  Beiträge  32. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  249 

§  87.  BeziehuBgen  der  Y ergärbarkeit  zum  Bau  der  Mono- 
saccharide. Nachdem  wir  in  früheren  Abeclinitten  die  hydrolytische 
Spaltung  der  Kohlenhydrate  durch  Hefen  erörtert,  interessiert  uns  hier 
noch  das  verschiedene  Verhalten  der  Hefe  gegenüber  den  Produkten  der 
Hydrolyse.  Direkt  gärfähig  sind  überhaupt  nur  die  Hexosen  von  der 
Formel  CgH^jO^,  aber  auch  diese  nicht  sämtlich,  sondern  nur  drei  von 
allen  Aldohexosen,  nämlich  die  d-Glykose  (Traubenzucker,  Dextrose), 
die  d-Mannose  und  die  d- Galaktose,  sowie  nur  eine  Ketohexose,  nämlich 
die  d-Fruktose  (Fruchtzucker,  Lävulose  ^)).  Das  ist  wieder  ein  Beispiel 
für  die  ausschlaggebende  Bedeutung,  welche  die  Konfiguration 
des  Moleküls  für  die  Angreifbarkeit  desselben  durch  die  Mikro- 
organismen besitzt.  Ebenso  wie  manche  Schimmelpilze  nur  oder  wenig- 
stens in  erster  Linie  die  Rechtsweinsäure  zersetzen  können  (§  58), 
spalten  die  Hefen  nur  die  d-Hexosen,  nicht  ihre  optischen  Antipoden, 
die  1- Verbindungen;  aber  auch  jede  andere  Veränderung  in  der  Stellung 
der  Atome  hebt  die  Gärfahigkeit  auf  oder  beeinträchtigt  sie  wenigstens 
um  so  mehr,  je  größer  die  Verändenmg,  die  das  Molekül  dadurch  in 
seiner  Konfiguration  gegenüber  der  d-Glykose  erleidet.  Klarer  wird 
das  wenn  wir  uns  nach  E.  Fischer^)  die  Konfigurationsformeln 
der  Hexosen  vergegenwärtigen: 


COH 

COH 

HOCH 

HCOH 

HCOH 

HOCH 

HOCH 

HCOH 

HOCH 

HCOH 

CH^OH 

CHjOH 

II.  I-Glykose. 

I.  d-Glykose. 

Hier  ist  die  Verbindung  links,  das  Spiegelbild  von  der  d-Glykose, 
unvergärbar,  während  die  letztere  unter  allen  Zuckern  am  besten  ver- 
goren wird.  Wird  jetzt  das  Wasserstoffatom  und  das  Hydroxyl  an 
dem  ersten  asymmetrischen  Kohlenstoff atom  der  d-Glykose  vertauscht, 
so  entsteht  die  leicht,  aber  immerhin  schwerer  als  die  Glykose  vergär- 
bare d-Mannose.  Auch  der  Umtasuch  der  an  das  dritte  asymmetrische 
Kohlenstoffatom  geketteten 


1)  Vgl.  E.  Fischer  und  Thierfelder,  Ber.  ehem.  Ges.  27. 
2036  und  Lindner,  Wochenschr.  Brauerei  1900,  auch  S.  196  und  197 
der  Mikr.  Betriebskon trolle  in  den  Gärvuigsge werben  1901.  S.  u.  auch 
die  Übersicht  S.  268. 

2)  Zeit  sehr,  physiol.  Chem.  26. 


250  Kap.  VI,  §  87  u.  88. 

COH  COH 

HOCH  HCOH 

HOCH  HOCH 

HCOH  HOCH 
HCOH  HCOH 

CHgOH  CHjjOH 

III.  d-Mannose.  IV.  d-Galaktose. 

Atome  gibt  noch  einen  Zucker,  die  Oalaktose,  der  gewöhnlich  vergoren 
wird,  allerdings  nicht  so  kräftig,  wie  die  bisher  genannten.  Findet  die 
Umstellung  aber  am  ersten  und  dritten  oder  am  ersten  und  vierten 
oder  am  zweiten  und  dritten  Eohlenstoffatom  statt,  so  entstehen 
die  drei  gärungsunfähigen  Hexosen  d-Talose,  d-Gulose  und  1-Gulose. 


COH 

COH 

COH 

HOCH 

HOCH 

HCOH 

HOCH 

HOCH 

HCOH 

HOCH 

HCOH 

HOCH 

HCOH 

HOCH 

HCOH 

CHjOH 

CH2OH 

CHjOH 

V.  d-Talose  VI.  d-Gulose  VII.  I-Gulose 

Die  d-Fruktose,  die  einzige  Ketohexose,  die  vergoren  wird,  und 
zwar  im  allgemeinen  ebenso  leicht  als  die  d-Glykose,  hat  folgende  ab- 
weichende Konfiguration,  deren  sonst  möglichst  hohe  Ähnlichkeit 
mit  der  letzteren  aber  ins  Auge  springt. 

CHgOH  COH 

CO  HCOH 

HOCH  HOCH 

HCOH  HCOH 

HCOH  CH2OH 
CH2OH 

VIII.  d-Fruktose.  IX.  Xylose. 

Von  den  Ketosen  ist  sonst  noch  die  1-Fruktose,  Tagatose  und  die 
Sorbose  mit  negativem  Erfolge  geprüft  worden. 

Pentosen  (Xylose,  Arabinose,  Rhamnose),  Heptosen  (a-Glyko- 
heptose),  Oktosen  (a-Glykooktose)  sind  nicht  gärfähig,  wohl  einzelne 
Nonosen  (Mannononose).  Ob  die  Triose  (Glyzerose)  vergoren  wird, 
ist  zweifelhaft  (Emmerling,  Ber.  ehem.  Ges.  32. 342).  Figur  IX  zeigt  die 
Konfiguration  der  Xylose  und  ihre  sonst  vollständige  Ähnlichkeit  mit 
der  d-Glykose.  Das  Fehlen  des  vierten  asymmetrischen  Kohlenstoffs 
reicht  aber  hin,  um  diesen  Zucker  gegen  den  Angriff  der  Hefe  zu  schützen. 

§88.  Theorie  der  alkoholiseheii  Zuckerspaltung.  Aus  den 
im  vorstehenden  aufgeführten  Tatsachen    haben  E.  Fischer   und 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


251 


Thierfelder  ebenso  wie  aus  ihren  Untersuchungen  über  die  hydroly- 
tischen Spaltungen  der  Glykoside  (vgl.  §  154)  den  Schluß  gezogen,  daß 
zwischen  den  Enzymen  und  ihren  Angriffsobjekten  eine  Ähnlichkeit 
der  molekularen  Konfiguration  bestehen  müsse,  wenn  Reaktion  er- 
folgen solle.  Fischer^)  verglich  die  Anpassung  des  Enzyms  an  die 
zu  verwandelnde  Substanz  mit  derjenigen,  die  zwischen  Schlüssel  und 
Schloß  besteht.  Es  ist  das  freilich  nur  ein  Bild,  aber  ein  so  anschauliches, 
wie  wir  es  ims  bei  diesen  dunklen  Verhältnissen  nur  wünschen  können. 
Mit  dieser  Hypothese  ist  natürlich  über  die  Art  der  Spaltung  des 
Zuckermoleküls  zu  Alkohol  und  Kohlensäure  noch  nichts  gesagt. 
Weil  Zwischenprodukte  bei  diesen  Reaktionen  bis  vor  kurzem  nicht 
bekannt  waren,  sie  auch  auf  andere  Weise  als  durch  Fermentwirkung 
nicht  hervorgerufen  werden  konnten,  so  war  man  auf  Vermutungen 
angewiesen.  Da  Zahl  und  Beschaffenheit  der  Atome  nach  der  Reaktion 
dieselbe  wie  vorher  ist,  so  könnte  man  sich  vorstellen,  daß  sie  zustande 
käme  durch  eine  Verschiebung  der  Atome  innerhalb  des 
Zuckermoleküls,  eine  Verschiebung,  wobei  einerseits  durch  Bindimg 
von  zwei  Dritteln  der  Sauerstoffatome  an  ein  Drittel  der  Kohlenstoff- 
atome eine  Oxydation  und  andererseits  durch  Bindung  fast  sämt- 
licher Wasserstoffatome  an  den  übrigen  Kohlenstoff  eine  Reduk- 
tion einträte.  Es  ist  aber  kaum  anzimehmen,  daß  der  Prozeß  ab 
einfache  Atomverschiebimg  verläuft.  Vielmehr  hat  Ad.  Baeyer^) 
schon  1870  durch  analoge  Reaktionen  die  Hypothese  begründet,  daß 
die  Atomverschiebung  vermittelt  werde  durch  abwechselnden  Aus- 
und  Eintritt  von  Wassermolekülen.  Indem  wir  auf  die  nähere  Be- 
gründung durch  B  a  e  y  e  r  verweisen,  geben  wir  hier  die  dabei  sich 
etwa  abspielenden  Vorgänge  in  einer  von  E.  Buchner  etwas  ver- 
änderten Form  wieder. 


1.  2. 

CHO  +  HH 

CHOH 


3. 
CHgOH 


4.  5.        6.  7. 

+  HII   CH3    — HgO 


8. 


9. 


!CH, 


CHOH 


CHOH 
OH- 


CHgOH 


+  H 

+  OHH    CO2  +  2H2O 


CH0H  +  ÖHn<;OH_jjo+^^   C^OH        *   +  OHOH  CO»  +  2  H^O 


OHl|     OH 
CHOH  CHOH 


CHjOH+HHCHj      — HgO 

1)  Ber.  ehem.  Ges.  1894.  2992. 

2)  Ebenda  1870.  03. 


I      OH 

CHOH 


+  H 


CHjOH 


CH. 


CH, 


252  Kap.  VI,   §  88  u.  89. 

Aus  dem  Molekül  des  Traubenzuckers  (1)  bildet  sich  durch  Ein- 
tritt von  4  Wassermolekülen  (2)  die  Zwischenverbindung  (3)  unter  Aus- 
tritt von  3  Wassermolekülen  (4).  Zwei  H2O  (5)  treten  an  anderer  Stelle 
wieder  ein  und  bilden  das  Vorprodukt  der  eigentlichen  Spaltung  (6), 
das  eine  Art  vom  Anhydrid  der  Milchsäure  ist  unter  Wiederaustritt 
von  zwei  HgO  (7).  Treten  jetzt  drei  Wassermoleküle  dazu  (8),  so  zer- 
fällt das  Ganze  in  (9)  2  Moleküle  Alkohol,  2  Moleküle  Kohlensaure 
und  4  Wassermoleküle.  Durch  die  Anhäufung  des  Sauerstoffs  in  der 
Mitte  des  Moleküls  (6)  wird  eine  Sprengung  an  dieser  Stelle  begünstigt. 

Einen  ähnlichen  Gedankengang  verfolgte  N  e  n  c  k  i  ^),  ließ  aber 
den  Alkohol  unmittelbar  durch  Abspaltung  von  Kohlensäure  aus  Milch- 
säure hervorgehen, 

COOK  —  CHOH  —  CH3  =  CO2  +  CHjOH  —  CH3 

die  ihrerseits  aus  dem  Zucker  auf  dem  Umwege  über  das  Dioxypro- 
pionaldehyd  CHO  —  CHOH  —  CHgOH  durch  Ein-  und  Austritt  von 
Wasser  sich  bilden  soll. 

Neuere  Untersuchungen  haben  ergeben  (s.  u.  §  90),  daß  bei  der 
zellfreien  Gärung  Milchsäure  wirklich  neben  Alkohol  und  Kohlen- 
säure in  wechselnden  Mengen  auftritt  und  wieder  verschwindet.  B  u  c  h  - 
n  e  r  und  Meisenheimer^)  folgern  daraus,  daß  dieser  Stoff  ein 
Zwischeneizeugnis  der  Gärung  sei  imd  schließen  sich  zuletzt  der  von 
Wohl  und  N  e  f  ^)  näher  begründeten  Ansicht  an,  daß  Methylglyoxal 
CH3  — CO  — COH,  nicht  die  Dioxy-y-Ketonsäure  COOK  — CHOH 
—  CHj  —  CO  —  CHOH  —  CH3,  wie  sie  es  zuerst  annahmen,  als  das 
erste  Umwandlungsprodukt  der  Glykose  bei  der  Gärung  zu  betrachten 
sei,  obwohl  sie  diesen  letzteren  Stoff  mit  Dauerhefe  nicht  spalten 
konnten.  Den  ersten  Teil  der  Gärung,  die  Milchsäureentwicklong, 
führen  sie  jetzt  auf  ein  besonderes  Enzym,  das  sie  wieder  „Hefe-Zymase** 
nennen,  die  Spaltung  der  Milchsäure  auf  die  „Laktazidase^^  zurück. 
Abgesehen  von  der  Milchsäure,  die  noch  dazu  bei  der  Gärung  durch 
lebende  Hefe  auch  fehlt,  ist  aber  keins  der  übrigen  Zwischenpro- 
dukte bisher  nachgewiesen  worden.  Es  bleibt  auch  die  Möglichkeit 
bestehen,  daß  die  Milchsäure  ihre  Entstehung  der  Wirksamkeit  eines 
anderen  Endoenzyms  verdankte  und,  wie  bei  der  Milchsäuregärung 
durch  Bakterien,  gar  nichts  mit  der  Alkoholbildung  zu  tun  hätte  (§  99 
und  104).  Immerhin  bliebe  dann  das  auch  nach  künstlichem  Zusatz 
von  Milchsäure  zum  Preßsaft  manchmal  beobachtete  Verschwinden 


1)  Joum.  prakt.  Chem.   17.   105,   1883. 

2)  Ber.  chem.   Ges.   1904.  417  und  1905.  620;  1906.  3201. 

3)  Annal.  der  Chem.  und  Pharm.  335.  254  und  279,   1904. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  253 

der  Milchsäure^)  zu  erklären.  Weitere  Untersuchungen,  die  auch  auf 
die  Preßsäfte  anderer  Hefepilze  (§  89)  auszudehnen  wären,  sind  natür- 
lich sehr  wünschenswert. 

Auch  auf  rein  chemisch-physikalischem  Wege  ist  mehrfach  die  Ent- 
stehung von  Milchsäure  und  Alkohol  aus  Zucker  nachgewiesen  worden. 
Zunächst  fanden  N  e  n  c  k  i  *)  und  S  i  e  b  e  r  ,  daß  allerdings  bei  etw&s 
erhöhter  Temperatur  (35 — 40*) "  Traubenzucker  mit  0,3  prozentiger  Kali- 
lauge nach  10  Tagen,  mit  1  prozentiger  Kalilauge  nach  6  Tagen  unter 
Milchsäurebildung  verschwindet;  dann  stellte  Duclaux')  fest,  daß 
(ilykoee  im  Sonnenlicht  in  Gegenwart  von  Kalilauge  in  Alkohol  und  Kohlen- 
säure, bei  Gegenwart  von  Barytwasser  in  Milchsäure  gespalten  wird, 
während  milchsaurer  Kalk  in  wäßriger  Lösung  ebenfalls  im  Sonnenlicht 
zu  Alkohol,  Kalziumkarbonat  und  Azetat  zerfällt.  B  u  c  h  n  e  r  und  M ei- 
senheimer  sahen  Glykose  in  5  prozentiger  Kalilauge  selbst  im  Dunkeln 
und  bei  gewöhnlicher  Temperatur  nach  11  Monaten  unter  reichlicher  Bil- 
dung von  Milchsäure  vollständig  verschwinden,  und  stellten  aus  Kalzium- 
laktat, das  mit  Kalziumhydroxyd  erhitzt  war,  größere  Mengen  Äthyl- 
alkohol imd  Isopropylalkohol  dar. 

Eine  andere  Art  von  katalytischer  Umwandlung  des  Zuckers  in 
Alkohol  und  Kohlensäure  hat  Schade  *)  emgegeben.  Danach  soll  Zucker 
mit  Kalilauge  unter  Luftdurchsaugung  in  Azetaldehyd  und  Ameisensäure 

C.H,,0,  =  2(CH,CHO  -f  HCOOH) 

zerfallen  und  beide  Körper  zusanmien  durch  Rhodiununohr  Alkohol  und 
Kohlensäure  ergeben,  indem  die  Ameisensäure  in  Kohlensäure  und  Wctöser- 
i^toff  zerspalten  werde  und  der  entstehende  Wasserstoff  das  Azetaldehyd 
zu  Alkohol  reduziere.  Der  erste  Teil  des  Prozesses  wird  aber  von  B  u  c  h  - 
n e r  und  Meisenheimer*)  in  Abrede  gestellt  und  die  Entstehung 
der  Ameisensäure  durch  Oxydation  aus  Formaldehyd  erklärt,  der  sich 
auf  dem  Umwege  über  das  Glyzerinaldehyd  unter  dem  Einfluß  des  Alkalis 
bilde. 

§  89.  Zymase.  Lüdersdorff«)  hatte  schon  1846  in  der 
ausgesprochenen  Absicht,  zwischen  der  L  i  e  b  i  g  sehen  Gärungs- 
theorie und  der  vitalistischen  Anschauung  zu  entscheiden,  Hefezellen 
auf  einer  matt  geschliffenen  Glasplatte  mit  Hilfe  eines  gläsernen  Läufers 
vollständig  zerrieben,  bekam  aber  bei  der  Prüfung  dieses  Breies  mit 
Traubenzucker  nicht  ein  einziges  Gasbläschen,  v.  Manassein^) 
sah  zwar  bei  einer  Nachprüfimg  dieses  Experimentes  Gärung  eintreten, 
gleichzeitig  aber  auch  Sprossung  erhaltengebliebener  Hefezellen.    Das 

1)  Vgl.  übrigens  dazu  Slator,  Ber.  ehem.  Ges.   1907.   123. 

2)  Joum.  prakt.  Chem.  24.  501,   1881. 

3)  Vgl.  Annal.  Pasteur  1893.   751  und  1896.   168. 

4)  Zeitschr.   physik.   Chem.    67,    1906  und  Nachtrag    1907;  Münch. 
med.  Woch.   1907.  38. 

5)  Ber.  chem.  Gesellsch.  1906.  4217. 

6)  Pogg.  Annal.  67.  408. 

7)  Bei  Wiesner,  MikroBkopische  Untersuchungen,  Stuttgart  1872, 
S.  126. 


254  Kap.  VI,   §  89. 

Ergebnis  war  also  nicht  einwandfrei,  führte  aber  die  Verfasserin  doch 
zu  der  ausgesprochenen  Überzeugung,  daß  das  Leben  der  Hefe  zur 
Gärung  nicht  nötig  sei.  Andere  Forscher,  wie  Ad.  Mayer  ^),  Am- 
thor*),  E.  Fischer  und  Lindner  ^),  Cremer*)  arbeiteten 
zwar  auch  mit  zerriebenen  Hefezellen,  aber  nur,  um  hydrolytische 
Enzyme  daraus  darzustellen.  Man  muß  daher  zugeben,  daß  nur  von 
sehr  wenigen  Gelehrten  auch  nur  der  ernstliche  Versuch  gemacht 
worden  ist,  die  Anwendbarkeit  der  Enzjontheorie  auf  die  Alkohol- 
gärung zu  prüfen.  In  dem  Grade  stand  man  unter  dem  Banne  der 
vitalistischen  Theorie.  An  Forschem,  welche  an  der  alten  L  i  e  b  i  g  - 
Traube  sehen  Auffassung  mehr  oder  weniger  festhielten,  fehlte  es 
trotzdem  nicht  (H  o  p  p  e  -  S  e  y  1  e  r  ^),  Low*),  E.  Fischer"), 
Will®),Lafar®).  Will  beobachtete  sogar  eine  kräftige  Gärwirkung 
von  Hefe,  die  9  Jahre  lang  gelagert  hatte  und  kaum  noch  lebende 
Sicllen  enthielt.  So  ist  es  fast  ein  Wunder,  daß  die  Entdeckung  der  Zy- 
mase  solange  hat  auf  sich  warten  lassen.  Das  schmälert  natürlich  das 
Verdienst  E.  Büchners*^)  in  keiner  Weise.  Seine  Versuche,  die 
1893  begannen,  führten  ihn  und  seinen  Mitarbeiter  M.  Hahn  1897 
zu  dem  Ergebnis,  daß  es  gelingt,  frische,  unter  50  Atmosphären  trocken 
abgepreßte  Bierhefe  (1  kg)  mit  feinem  Quarzsand  (1  kg)  und  Kiesel- 
guhr  (0,2 — 0,3  kg)  in  einer  gewöhnlichen  Reibeschale  so  zu  zerreiben, 
daß  die  Zellen  zum  größten  Teil  zerstört  werden,  und  dann  aus  diesem 
in  ein  Tuch  eingeschlagenen  Gemisch  unter  einer  hydraulischen  Hand- 
presse bei  400 — ^500  Atmosphären  Druck  einen  Saft  (300 — 500  ccm) 
auszupressen,  der  erhebliche  Gärkraft  besitzt.  So  wurden  z.  B.  aus 
20  ccm  Saft,  der  mit  8  g  Rohrzucker  und  0,2  ccm  Toluol  versetzt  war, 
bei  22°  C  in  24  Stunden  0,23—1,32,  in  3  Tagen  0,48—1,87  g  Kohlensäure 
entwickelt.  Letztere  Zahl  entspricht  etwa  1  Liter  Kohlensäure.  Guter 
Preßsaft  liefert  mit  dem  dritten  Teil  einer  60  prozentigen  Rohrzucker- 
lösung vermischt  bei  28°  in  1  Stunde  das  1^4 — ^2^4  fache  seines  Volu- 
mens an  Kohlensäure.  Die  Gasentwicklung  beginnt 
also  sofort  und  fällt  deutlich  in  die  Augen.   Wenn 


1)  Lehre  von  den  chemischen  Fermenten  1882. 

2)  Zeitschr.  angewandt.  Chemie  1892.  319. 

3)  Ber.  ehem.  Ges.   27.   3479  und  28.  3037. 

4)  Zeitschr.  f.  Biol.   31.   188. 

5)  Pflügers  Arch.   12.  9. 

6)  Journ.  prakt.  Chem.  N.  F.  33.   351. 

7)  Ber.  chem.   Ges.  27.  2993. 

8)  Zeitschr.  f.  Brauwesen  1896.  20. 

9)  Techn.  Mykol.   1897.  21. 

10)  Ber.  chem.   Ges.  30 — 32,    vgl.    auch    Buchner    und   Hahn, 
die  „Zymasegärung"   1903. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  255 

dieses  Ergebnis  für  jeden,  der  die  Hefegärung  kennt,  schon  keinen 
Zweifel  darüber  läßt,  daß  es  nicht  die  lebende  Hefe  ist,  die  im  Preß- 
saft wirkt,  so  beweisen  dasselbe  ijnikroskopische  Untersuchimg  und 
Kultorversache.  Z.  B.  waren  in  20  ccm  Saft  nach  3  Tagen  nur  1420 
Bakterien  und  80  Hefezellen  anwesend,  eine  Zahl,  die  gegenüber  der  zer- 
setzten Zuckermenge  überhaupt  nicht  in  Betracht  kommt.  Selbst  bei 
Zusatz  frischer  Hefezellen  zu  altem,  gezuckertem  Preßsaft  ist  die  Gärung 
eine  ganz  unbedeutende,  der  Saft  wirkt  also  geradezu  entwick- 
langs  -  und  gärungshemmend  auf  lebende  Zellen  (vgl.  Geret  ^) 
und  Rapp^)).  Filtrieren  des  Saftes  durch  Bakterienfilter  verursacht 
eine  starke  Abnahme  seines  Gärvermögens,  wie  nach  anderen  Er- 
fahrungen zu  erwarten  war,  immerhin  blieb  es  bei  Benutzung  von 
Eieselgurfiltem  noch  energisch  genug.  Einengen  des  Saftes  bei  22 — 35° 
und  völliges  Einkochen  unter  der  Luftpumpe  vermindert  dagegen  seine 
Gärkraft  nur  imbedeutend.  Das  Trockenpräparat  läßt  sich  auch  monate- 
lang aufbewahren  und  sogar  stundenlang  auf  85°  erhitzen,  während 
der  Preßsaft  selbst  schon  nach  kurzer  Zeit,  wahrscheinlich  unter  dem 
Einfluß  eines  gleichzeitig  vorhandenen  tryptischen  Fernlentes  (s.  Endo- 
tryptase,  §  166),  seine  Wirktmg  verhert.  Durch  Ausfrierenlassen  kann 
man  den  Preßsaft  konzentrieren  ( A  h  r  e  n  s)  und  durch  Fällen  mit 
Alkohol,  Äther  oder  Azeton  die  wirksame  Substanz  ziemlich  unge^ 
schmälert  gewinnen;  sie  ist  in  Wasser  nur  schwer,  gut  in  verdünntem 
Glyzerin  löslich.  Wie  vergleichende  Versuche  mit  Fällungen  durch 
>iel  oder  wenig  Alkohol  ergaben,  kann  der  Anteil  des  Enzyms  an  der 
gefällten  Substanz  nur  ein  ganz  unbedeutender  sein,  denn  der  Nieder- 
schlag wog  in  beiden  Fällen  gleich  schwer,  während  seine  Gärkraft 
sehr  verschieden  war.  Am  günstigsten  erweist  sich  die  zehnfache  Menge 
des  Fällungsmittels.  Das  niedergeschlagene  trockene  Enzym  wird  ent- 
gegen anderen  ähnlich  dargestellten  Enzymen  schon  durch  Tempera- 
turen von  105 — HO«  zerstört. 

Gewöhnlich  bedeutend  größer  als  die  Gärkraft  des  Hefepreßsaftes 
ist  die  vorsichtig  abgetöteter  Hefezellen,  der  sogenannten  Dauer- 
li  e  f  e  (Zymin),  die  durch  sorgfältiges  Trocknen  an  der  Luft  und  sechs- 
stündiges nachfolgendes  Erhitzen  bei  100°  (E.  B  u  c  h  n  e  r)  oder  durch 
Einwirkung  von  Alkohol-Äther  (R.  A 1  b  e  r  t  ^))  oder  Azeton  (Albert, 
B  u  c  h  n  e  r  und  R  a  p  p  *))  auf  trocken  abgepreßte  Hefe  erhalten 
wird.    Die  Chemikalien  dürfen  nur  5 — 15  Minuten  mit  der  Hefe  in 


1)  Münch.  med.  Woch.  1901.  46. 

2)  Ebenda  1902.  36. 

3)  Ber.  ehem.  Ges.  33.  3775. 

4)  Ebenda  35.  2375. 


256  Kap.  VI,   §  89. 

Berührung  bleiben.  Im  Durchschnitt  bringt  die  Dauer- 
hefe gleiche  Teile  Zucker  zur  alkoholischen  Gä- 
rung. Aus  diesem  Präparat  läßt  sich  durch  Zerreibung  imd  Aus- 
pressen wieder  ein  gärtüchtiger  Preßsaft  gewinnen,  es  wirkt  aber  auch 
unzerkleinert.  Seiner  Haltbarkeit  wegen  wird  es  fabrikmäßig  dar- 
gestellt (Schröder-  München). 

Da  das  Azetonverfahren  auch  sonst  für  die  Darstellung  von  En- 
zymen Anwendung  finden  kann,  soll  es  hier  genau  angegeben  werden. 
500  g  ausgewaschene  und  trocken  abgepreßte  frische  Bierhefe  wird 
mit  3  Litern  Azeton  10 — 15  Minuten  lang  verrieben,  das  Azeton  dann 
abgegossen,  durch  Filtrierpapier  möglichst  vollständig  abgesogen, 
durch  1  Liter  frisches  Azeton  ersetzt,  dies  nach  2  Minuten  abermals 
entfernt,  die  Masse  3  Minuten  lang  mit  250  ccm  Äther  verrieben,  der 
Äther  abfiltriert,  der  Rückstand  auf  Filtrierpapier  ausgebreitet  und 
24  Stimden  bei  45®  getrocknet.  Man  erhält  so  etwa  30%  des  ursprüng- 
lichen Hefegewichts.  4  g  dieser  Azetonhefe  geben  mit  2  g  Rohrzucker 
in  10  ccm  Wasser  und  0,2  g  Toluol  binnen  72  Stunden  1  g  Kohlensäure. 
Die  Gasentwicklung  beginnt  früher  als  bei  dem  Alkohol-Ätherpräparat 
und  ist  auch  kräftiger. 

Von  selbst  abgestorbene  Hefe  soll  dagegen  unfähig  sein,  Gärung 
zu  erregen. 

Um  wirksame  Zymase  zu  gewinnen,  ist  es  nötig,  die  Hefe  mög- 
lichst frisch  zu  verarbeiten,  doch  schadet  eintägiges  Lagern  unter  Eis- 
wasser nicht.  Wird  gut  gewaschene  und  trocken  abgepreßte  Hefe 
3 — ^20  Stunden  bei  0®  an  der  Luft  stehengelassen,  so  erhält  man  sogar 
eine  Steigerung  des  Gärungsvermögens  in  der  daraus  hergestellten 
Dauerhefe. 

Die  Zymase  der  gewöhnlichen  Bierhefe  vergärt  nach  B  u  c  h  n  e  r 
wie  lebende  Hefe  die  Glykose  und  Fruktose  gleichgut,  die  Galaktose 
viel  schlechter,  über  Mannose  fehlt  eine  Angabe.  Arabinose  wird  nicht 
angegriffen. 

Außer  der  Zymase  enthält  der  Hefepreßsaft  (und  die  Dauerhefe), 
wie  von  vornherein  zu  erwarten,  auch  noch  die  übrigen  Enzyme  der 
Hefe.  Nachgewiesen  wurden  die  Wirkungen  der  Invertase,  Maltase, 
Raffinase,  Melibiase,  Glykogenase,  das  Vermögen  Milch-  und  Essig- 
säure zu  bilden  (§  90),  ferner  tryptische  Fermente,  die  Endotryptase, 
Nuklease,  Arginase  (§  166),  Emulsin  (§  154),  Lipase  (§  138),  oxydierende 
(§  159  u.  222),  reduzierende  (§  161  u.  211),  und  schließlich  noch  S)ti- 
thetische  Enzyme  (§  90).  Das  spezifische  Gewicht  des  Preßsaftes  be- 
trägt 1,027—1,050,  sein  Trockenrückstand  8,5—14,0%,  sein  Stick- 
stoff gehalt  0,74—1,75%. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  257 

£.  Buchner  hat  mit  Meisenheimer^)  auch  den  Preß- 
saft einiger  anderer  Hefearten  tmtersucht.  Derjenige  der  M  o  n  i  1  i  a 
Candida  zeigte  nur  schwache  Gärkraft,  wie  die  lebende  Zelle  ja 
auch;  er  invertierte  Rohrzucker  energisch,  was  sich  nach  dem  voran* 
gegangenen  Versuch  £.  Fischers  erwarten  ließ  (S.  235).  Der  Preß- 
saft einer  Milchzuckerhefe  aus  armenischem  „Mazun^^  vergor  Glykose 
und  Laktose,  Saccharose  kaum  (§  82).  M  a  z  e  ^)  hat  die  Z3miase  der 
Eurotiopsis  Gayoni,  Kostytsphew  aus  anderen  Pilzen  (§  222) 
Äzetonpraparate  dargestellt.  Entsprechend  der  schwachen  Gärkraft 
der  Eurotiopsis  wirkte  auch  das  Enzym  viel  schwächer,  vertrug  auch 
die  Erhitzung  auf  100®  im  Azetonpräparat  schlecht.  Schwächer  als 
der  Preßsaft  aus  Unterhefe  wirkt  nach  Macfadyen,  Morris 
und  Rowland^)  und  H a r d e n  und  Y o u n g  *)  auch  der  aus 
Oberhefe  da^estellte.  Im  übrigen  bestätigt  namentlich  die  letzt- 
genannte Arbeit,  wie  die  verschiedener  anderer  Forscher^)  die  Angaben 
E.  Buchners  vollständig.  Warschawsky^)  fand,  daß  Sacch. 
cerevisiae  I  und  S.  Pombe  ebenfalls  Zymase  bilden,  jedoch  nur 
auf  Nährböden,  die  gärfähiges  Material  entr 
halten  und  eine  gute  Entwicklung  gestatten.  In  dem  Sacch.  mem- 
branaefaciens,  der  Zucker  nicht  vergärt,  fand  sich  auch  keine  Zymase. 

Bisher  hat  sich  das  Alkoholferment  noch  nicht  von  den  übrigen 
Enzymen  trennen  lassen^),  geschweige  denn,  daß  es  gelungen  wäre, 
die  beiden  neuerdings  von  Buchnerin  dem  Preßsaft  angenommenen 
Teilenzyme  der  alkoholischen  Gärung,  die  Zymase  im  engeren  Sinne 
und  die  Laktazidase  (§  88  u.  90)  voneinander  zu  scheiden.  Dagegen  ist 
es  möglich,  durch  die  Filtration  oder  Dialyse  wenigstens  einen  anderen 
für  die  Gärung  wichtigen  Stoff,  ein  Koenzym  („Koferment")  von  der 
Zymase  zu  trennen.  H  a  r  d  e  n  und  Y  o  u  n  g  ^)  beobachteten  näm- 
lich, daß  gekochter  imd  filtrierter  Preßsaft,  zu  ungekochtem  zugesetzt, 
dessen  Gärwirkung  verstärkte  und  fanden  dann  weiter,  daß  Filtra- 
tion durch  ein  mit  Gelatine  getränktes  Filter  den  Preßsaft  in  zwei 


1)  Zeitschr.  physiol.  Chemie  40,   1903. 

2)  Annal.  Pasteur  1904.  284. 

3)  Ber.  ehem.  Ges.   1900.  2764. 

4)  Ebenda  1904.  1052. 

5)  W i  1 1 ,  Zeitschr.  f.  Brauwesen  1898.  291;  Delbrück,  Woch. 
Brauerei  1897.  363;  Green,  Annal.  of  bot.  1898;  Wroblewski, 
Zentr.  Physiol.  1898.  697;  Ahrens,  Zeitschr.  angew.  Chem.  14,  1900; 
Stavenhagen,  Ber.   chem.   Ges.    1897.   2422  und  2963. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  12.  400,  1904. 

7)  Buchner  und  A  n  t  o  n  i,  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  44,  1905; 
B  u  c  h  n  e  r  und  H  o  f  m  a  n  n  ,  Biochera.  Zeitschr.   4,   1907. 

8)  ref.  Joum.  of  physiol.  32  I  und  Bull.  Pasteur  1905.  430. 
Kr  ose,  Mikrobiologie.  17 


258  Kap.  VI,    §  89. 

Teile  trennte,  die  allein  den  Zucker  nicht  vergären,  wohl  aber  mit- 
einander gemischt.  E.  Buchner  und  K 1  a 1 1 e ^)  ergänzten  diese 
Befunde,  indem  sie  nachwiesen,  daß  Preßsaft,  der  durch  Lagern  un- 
wirksam geworden  ist,  nicht  nur  seiner  Gärkraft,  sondern  auch  des  Ko- 
enzyms  beraubt  ist.  Wahrscheinlich  geschieht  das  letztere  nicht  wie 
das  erstere  durch  die  Endotryptase  (s.  o.),  sondern  durch  eine  Lipase. 
Vielleicht  ist  das  Koenzym  ein  organischer  Phosphorsäureester,  der 
durch  Lipase  unter  Abspaltung  von  Phosphorsäure  verseift  wird.  Auch 
glyzerinphosphorsaures  Natron  erhöhte  die  Gärkraft  des  Preßsaftes 
auf  über  das  doppelte,  ebenso  Lezithin  und  sekimdäres  Natriumphosphat, 
war  freilich  nicht  imstande,  den  durch  Gärung  imwirksam  gewordenen 
Preßsaft  wirksam  zu  machen. 

Eine  wichtige  Frage  ist  die,  ob  alle  Organismen,  die  alkohoUsehe 
Gärung  zu  erregen  vermögen,  sich  gegenüber  den  Zuckerarten  gleich 
verhalten,  mit  anderen  Worten,  ob  man  die  Einheit  des  Alkoholfer- 
mentes, der  Zymase,  mit  Grund  annehmen  darf.  Zimächst  müßte 
der  Beweis  für  Bakterien,  Pflanzen  und  Tiere  noch  genauer  geführt 
werden.  Man  kennt  aber  auch  für  die  Hefen  selbst  einige  Tatsachen, 
die  gegen  die  Einheit  sprechen.  Folgende  Übersicht,  die  wir  nach  den 
Erfahrungen  von  L  i  n  d  n  e  r  (S.  249)  zusammenstellen,  belehrt  uns 
über  das  Gärvermögen  verschiedener  Heferassen  gegenüber  den 
4  vergärbaren  Hexosen.  Das  Gärvermögen  ist  mit  Zahlen  von  0  bis  3 
bezeichnet. 

d-Glykose  d-Mannose  d- Galaktose  d-Fruktose 


Hefe  „Logos" 
„     aus  Zackerrohrmelasse 

3 
3 

3 
3 

2 
0 

3 
3 

Schizosaccharomyces  Pombe 
„                  mellacei 

3 

2 

0 
2 

0 
0 

3 
2 

„                  octosporus 
Sacchar.  apiculatiis 

(Leipzig) 
„      exiguus 
„      Ludwigii 
„      membranaefaciens 

2 
1 
3 
3 
3 
1 

2 
1 
0 
0 
2 
0 

1 
1 
0 
1 
1 
0 

3 
3 
3 
3 
3 
1 

„      farinosus 

1 

0 

0 

3 

Monilia  variabilis 

3 

0 

2 

3 

Während  die  Hefe  Logos,  Sacch.  Ludwigü  und  membranaefaciens 
in  ihrem  Gärvermögen  gegenüber  den  Hexosen  die  gewöhnliche  Reihen- 
folge zeigen  und  nur  in  der  Intensität  der  Enzymwirkung  aus  einander 
gehen,    weichen    die    übrigen   Rassen    mehr    oder   weniger  von    der 

1)  Biochem.  Zeitschr.  8,  1908. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  259 

Regel  ab.  So  vergären  Schizosacch.  Pombe  und  Sacch.  apiculatus 
(Leipzig)  Glykose  und  Fruktose  sehr  gut,  lassen  aber  Mannose  und 
Galaktose  ganz  unberührt.  Fruktose  wird  am  stärksten  vergoren  von 
Schizosacch.  octosporus,  Sacch.  apiculatus  und  farinosus.  Die  Hefen 
aus  Zuckerrohrmelasse  tmd  Schizosacch.  mellacei  greifen  die  Mannose 
ebenso  energisch  an  wie  Glykose  und  Fruktose,  die  Galaktose  gar 
nicht,  umgekehrt  vergärt  Monilia  variabilis  die  Galaktose,  nicht  die 
Mannose.  Aber  auch  diejenige  Kombination,  die  in  obiger  Tabelle  fehlt, 
findet  sich  bei  gewissen  Arten  von  Hefen,  den  sogenannten  Milchzucker- 
hefen (vgl.  §  82) ;  von  ihnen  wird  nämlich  der  Regel  nach  die  Galaktose 
kräftiger  angegriffen  als  die  Glykose  (M  a  z  e). 

Mag  auch  hier  und  da  bei  diesen  Proben  eine  Zufälligkeit  unter- 
gelaufen sein,  die  das  Resultat  getrübt  hat,  über  alle  Unregelmäßig- 
keiten dürfen  wir  uns  durch  diesen  Einwand  nicht  hinwegtäuschen 
lassen,  sie  führen  vielmehr  zu  dem  Schluß,  daß  das  gärende  Prin- 
zip, das  E.  Buchner  als  Zymase  bezeichnet  hat, 
keine  einheitliche  Substanz  ist,  sondern  daß  wir 
vielleicht  berechtigt  sind,  T  ei  Iz  y  m  2fs  en  ,  etwa 
eine  Glyko-,  Frukto-,  Manno-  und  Galakto-Zy- 
mase  anzunehmen.  Nach  den  Erfahrungen,  die  wir  bei  den  hydro- 
lytischen Enzymen  gemacht  haben,  kann  uns  diese  Mannigfaltigkeit 
der  Fermentwirkungen  kaum  noch  verwundern. 

In  demselben  Sinne  lassen  sich  die  Ergebnisse  deuten,  die  Die- 
nert*) b3i  8?inen  Versuchen  über  die  Anpassungsfähigkeit 
des  Gärvermögens  der  Hefen  bekommen  hat.  Alle  Hefe- 
rassen, auch  diejenigen,  die  Galaktose  gar  nicht  vergären,  sollen  sich, 
sofern  sie  überhaupt  Gärung  erzeugen,  an  die  Vergärung  dieses  Zuckers 
gewöhnen  lassen.  Am  besten  gelingt  das  bei  Kultur  in  stickstoffreicher 
Lösung,  die  neben  Galaktose  Glykose  enthält,  wie  schon  Dubourg^) 
behauptet  hatte.  Dabei  wird  nicht  etwa  die  Galaktose  mit  in  die  Gärung 
„hineingerissen"  (B  o  u  r  q  u  e  1  o  t  ^)) ,  sondern  sie  wird  später  auch 
ohne  die  Glykose  vergoren.  Dienert  will  übrigens  diese  Tatsache 
nicht  durch  die  Annahme  zweier  verschiedener  Zymasen  für  die  Gly- 
kose und  Galaktose  erklären,  sondern  durch  Veränderungen  in  dem 
Bau  der  einen  Zymase.  Uns  scheint  die  erste  Vorstellung  besser  be- 
gründet. Es  darf  dabei  nicht  verschwiegen  werden,  daß  andere  For- 
scher, wie  van  Laer*)  und  die  Hansen  sehe  Schule  überhaupt 


1)  Annal.  Pasteur  1900. 

2)  Compt.  rend.  eye.  sc.  129.  63. 

3)  Ebenda  106.  283. 

4)  Kochs  Jahresber.  1896,  97. 

17* 


260  Kap.  VI,    §  90. 

die  Möglichkeit  solcher  Anpassungen  leugnen.  Sie  halten  das  Gär- 
vermögen für  eine  —  wenigstens  qualitativ  —  beständige  Rasseneigen- 
schaft  der  Hefe. 

Vorläufig  müssen  wir  uns  in  dieser  Frage  auf  Vermutungen  be- 
schränken, da  unsere  Kenntnisse  über  die  Zymase  noch  auf  viel  zu 
wenig  umfangreichen  Feststellungen  beruhen.  Bisher  haben  wegen 
der  Schwierigkeiten,  welche  die  Darstellung  dieses  Enzyms  mit  sich 
bringt,  nur  wenige  Forscher  sich  damit  beschäftigt.  Von  einem  Ver- 
fahren, die  Zymase  auch  nur  so  weit  zu  isolieren,  wie  es  bei  anderen 
Enzymen  möglich  gewesen  ist,  kann  überhaupt  noch  keine  Rede  sein. 
Nicht  weniger  als  fast  die  ganze  protoplasmatische  Substanz  der  Zellen 
haftet  den  besten  Präparaten  noch  an. 

§  90.  Erzeugnisse  der  alkoholischen  Gärung.  Wenn  man 
auch  schon  seit  Lavoisier  annahm,  daß  der  Zucker  bei  der  Gärung 
in  Alkohol  und  Kohlensäure  zerfällt  und  seit  Gay-Lussac  (1815) 
die  alkoholische  Gärung  durch  die  Gleichung 

I.  -  CeHiaO«  =  2  COa  +  2C2HeO  (+  22,3  kal.i)) 

ausdrückte,  so  vnißte  man  doch  schon,  daß  Alkohol  und  Kohlensäure 
nicht  die  einzigen  Gärprodukte  sind.  Aber  erst  Pasteur^)  war  es, 
der  die  Natur  der  Nebenprodukte  im  wesentlichen  richtig  fest- 
stellte. Er  fand  2,5 — 3,6%  des  vergorenen  Zuckers  als  Glyzerin, 
0,4 — 0  7%  als  Bernsteinsäure  wieder.  D  u  c  1  a  u  x  bestimmte 
dann  noch  ca.  0,05%  als  Essigsäure®).  Dazu  kommen  Spuren 
von  Ameisensäure,  Aldehyd  (R  o  e  s  e  r  *) ,  K  a  y  s  e  r  ^)) ,  Azetal, 
wechselnde  Mengen  Propyl-,  Isobutyl,  Hexyl-  und  namentlich  Amyl- 
alkohol, deren  Gemisch  als  Fuselöl  bekannt  ist,  ätherartige 
Stoffe,  die  das  „Bouquet"  (Blume,  Aroma)  des  Weins  bedingen, 
und  Furfurol.  Doch  ist  sowohl  die  Herkunft  des  Fuselöls  als  des 
Furfurols  aus  dem  Stoffwechsel  der  Hefe  bestritten  (Chapmann 

1)  Über  die  Wärmebildimg  bei  der  alkoholischen  Gärung  vgl.  §  237, 
Über  die  eigentümliche  Geschichte  dieser  Gleichung  s.  Duclaux,  Mikro- 
biol.  3.  264  ff. 

2)  a.  a.  O.  (§  84);  vgl.  Mach  und  Portele,  Landwirtsch.  Ver- 
suchsstation. 41.  233 ;  Thylmann  und  H  i  1  g  e  r ,  Arch.  Hyg.  8;  R  a  u 
eb.  14;  Wortnaann,  Lemdwirtsch.  Jahrb.  1894.  Als  Minimum  fanden 
sich  0,2 — 0,3%  Bernsteinsäure  imd  0,8 — 1,9%  Glyzerin. 

3)  Nach  H  e  i  n  z  e  (Zeitschr.  f.  Hyg.  46.  326)  werden  wahrscheinlich 
außer  Ameisensäiu*e  noch  Spuren  anderer  Säuren  (Wein-  und  Äpfelsäure) 
bei  der  normalen  Weingärung  gebildet.  Sehr  hohe  Zahlen  für  Essigsäure 
findet  M  a  z  6  (Annal.  Pasteur  1904.  294)  bei  der  von  ihm  studierten  Hefe. 

4)  Annal.  Pasteur  1893. 

5)  Ebenda. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrato.  261 

und  Gentil^),  Emmerling*))  und  auf  Bakterienwirkung 
zurückgeführt  worden.  Nach  K  r  u  i  s  und  R  a  y  m  a  n  ')  würden  sie 
zwar  von  der  Hofe  gebildet  aber  nur  bei  Verwendung  bestimmten 
fetthaltigen  Gärmaterials,  nach  F.  Ehrlich^)  ebenfalls  von  der 
Hefe  selbst,  aber  aus  dem  Leuzin  und  Isoleuzin  des  Nährbodens,  nach 
Effront^)  auch  bei  der  Selbstverdauung  der  Hefe.  Durch  die 
F.  Ehrlich  sehen  Arbeiten  scheint  die  Frage  endgültig  entschieden 
zu  sein,  eine  wesentliche  Beteiligung  von  Bakterien  wäre  übrigens 
nach  Pringsheim®)  schon  deshalb  ausgeschlossen,  weil  die  von 
ilmen  gebildeten  höheren  Alkohole  eine  andere  Zusammensetzung 
haben,  nämlich  zum  größten  Teil  nicht  aus  Amyl-,  sondern  aus  Butyl- 
alkohol  bestehen. 

Die  Bouquetstoffe  (vgl.  §  95)  entstammen  teilweise  nicht  der  Hefe- 
wirkung, sondern  den  Trauben  selbst  (Wortmann'))  oder  werden 
erst  bei  der  Destillation  erzeugt,  zum  Teil  entstehen  sie  aber  sicher 
duTch  die  Tätigkeit  der  Hefe  selbst.  Nach  Bokorny®)  würden 
sie  durch  eine  Fermentwirkung,  vielleicht  die  Zymase  selbst  gebildet, 
denn  wenn  man  große  Mengen  gärfähigen  Zuckers,  z.  B.  66  g  mit  100  g 
Preßhefe  zusammenbrächte,  träte  Gärung  und  Aromabildung  ein.  Ab- 
steibeprozesse  kämen  dabei  nicht  in  Frage,  denn  Milchzucker  bliebe 
ohne  Wirkung.  Nach  F.  Ehrlich  spielen  aber  bei  der  Bildung  der 
Bouquetstoffe  ebenso  wie  bei  der  der  Ameisensäure  und  des 
Aldehyds  vielleicht  ähnliche  Vorgänge  mit,  wie  bei  der  des  Fuselöls. 
In  der  Tat  gelang  es  ihm,  aus  aromatischen  Aminosäuren  durch  Gärung 
mit  Hefe  Riechstoffe  darzustellen  (§  173).  Die  chemische  Beschaffen- 
heit des  Hefearomas  ist  allerdings  zum  großen  Teil  noch  unbekannt« 
Doch  erzeugen  die  Fruchtätherhefen  Lindners  vorwiegend  Essig- 
äther. Zu  dem  bei  der  eigentlichen  Gärung  entwickelten  Aroma  ge- 
sellen sich  später  beim  Lagern  und  Reifen  Bouquetstoffe,  die  wahr- 
scheinlich nicht  bloß  durch  langsame  Oxydationen  und  Reduktionen, 
sondern  auch  durch  Mikroben  Wirkung  gebildet  werden  (Wort  mann^)). 
Über  die  Entstehung  von  Riechstoffen  aus  Glykosiden  vgl.  Kap.  VIII. 


1)  Kochs  Jahresber.  1897.  101. 

2)  Zeitflchr.  f.  Spiritusindustrie  1904.  477. 

3)  Ebenda  311. 

4)  Zeitschr.  Verein  f.  Rübenzuckerindustrie  1905.   Über  die  chemische 
Natur  der  Vorgänge  und  andere  Fuselölbildner  vgl.   §  173. 

5)  Kochs  Jahresber.  1906.  204. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   15.   300.    Ber.  ehem.   Ges.    1905.   486.  vgl. 
aber  §  115  und  173. 

7)  Landwirtschaft!.  Jahrb.   1892. 

8)  Chem.  Zeitg.  1904,  24. 

9)  Landwirtschaft!.  Jahrb.   1898. 


262  Kap.  VI,    §  90. 

Früher  war  man  darüber  im  Unklaren,  ob  man  das  in  erheblichen 
Mengen  gebildete  Glyzerin  und  die  Bernsteinsäure  als  Produkte  der 
Gärung  oder  des  sonstigen  Stoffwechsels  der  Hefe  auffassen  sollte. 
P  a  s  t  e  u  r  selbst  hat  schon  für  beide  Stoffe  eine  Gärformel  angegeben: 

49  CeHjgOe  +  30  HgO  =  72  C^Tlfi^  +  12  C4He04  +  30  CO^. 

Doch  wäre  es  bei  dem  schwankenden  Verhältnis,  in  dem  beide  Sub- 
stanzen auftreten,  besser,  sie  getrennt  aus  den  Zahlen  entstehen  zu 
lassen  nach  den  Formeln  (D  u  c  1  a  u  x  ^)) : 

IL       7  CeHigOe  +  6  H^O  =  12  Cfifi^  +  6  CO^ 
III.       7  CeHjaOe  +  6  CO^  =  12  0^04  +  6  H^O. 

Wenn  man  die  Formeln  I — ^III  miteinander  vereinigt,  etwa  wie  folgt: 

124  X  I  +  6  X  II  +  1  X  III 

so  erhält  man  die  einzelnen  Gärprodukte  in  der  gewöhnlichen  Mischung. 
Nach  der  Entdeckung  der  Zymase  lag  es  nahe,  die  quantitativen 
Verhältnisse  der  Gärung  einer  erneuten  Untersuchung  zu  unterwerfen. 
B  u  c  h  n  e  r  und  R  a  p  p  ^)  fanden  dabei  zunächst,  daß  auch  bei  der 
zellenfreien  Gärung  Kohlensäure  und  Alkohol  ungefähr  zu  gleichen 
Teilen  entstehen.  So  lieferten  z.  B.  22,5  g  Azeton-Dauerhefe  aus  17,96  g 
Rohrzucker  8,05 g  COg  und  8,10 g  Alkohol^),  d.  h.  im  ganzen  16,15  g, 
während  lebende  Hefe  nach  Jodlbauer*)  8,81  g  COg  und  9,18  g 
Alkohol,  zusammen  17,99  g  erzeugt  hatten,  und  nach  der  G  a  y-Lus- 
8  a  c  sehen  Formel  I  9,24  g  COg  und  9,66  g  Alkohol,  also  zusammen 
18,9  g  hätten  entstehen  müssen,  wenn  Glyzerin,  Bernsteinsäure  und 
andere  Nebenprodukte  vollständig  gefehlt  hätten.  An  diesem  Er- 
gebnis ist  auffällig,  daß  trotz  der  reichlichen  Mengen  von  Zymase  die 
Spaltung  des  Zuckers  keine  vollständige  war,  sondern  10 — 15%  davon 
nicht  in  den  Gärprodukten  —  auch  nicht  in  Form  von  Glyzerin  und 
Bernsteinsäure,  s.  u.  —  erschienen.  Dabei  gelang  es  weder  durch  die 
Reduktion  mit  Fehlingscher  Lösung  noch  durch  Ausziehen  des  Trocken- 
rückstandes mit  Alkohol,  diese  fehlende  Menge  des  Zuckers  nachzu- 
weisen. Es  war  also  nicht  als  wahrscheinlich  zu  bezeichnen,  daß  die 
Vergärung  eine  unvollständige  war,  indem  etwa  vor  ihrer  Vollendung 
ein  Gleichgewichtszustand,  wie  bei  der  Spaltimg  der  Stärke  durch 
Diastase  eingetreten  wäre.    Eine  Erklärung  dafür  ergäbe  sich  nach 

1)  Mikrobiol.   3.   401. 

2)  Zymasegämng,   S.  210. 

3)  Nach  Abrechnung  der  Mengen  Alkohol,  die  in  der  Dauerhefe  von 
vornherein  vorhanden  waren  und  derjenigen,  die  bei  der  Vergärung  des 
in  der  Dauerhefe  anwesenden  Glykogens  auftreten  mußten. 

4)  Zeitschr.  f.  das  gesamte  Brauwesen  1888.  252. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  263 

Macfadyen,  Morris  und  R o w  1  a n d  (S.  257)  durch  die  An- 
nahme, daß  durch  Anlagerung  von  Zymase  an  den  Zucker  Zwischen- 
produkte entständen,  die  bei  der  gewöhnlichen  Gärung  wieder  imter 
Bildung  von  Alkohol  und  Kohlensäure  und  Regeneration  des  Enzyms 
zerfielen,  bei  der  zellenfreien  Oärung  aber  teilweise  unverändert  zurück- 
blieben. Man  könnte  aber  auch  daran  denken,  daß  bei  derZymase- 
wirkung  synthetische  Enzyme  zur  Geltung  kämen, 
die  Zucker  zu  Dextrinen  ode  r  Glykogen  konden- 
sierten oder  an  irgendwelche  Bestandteile  der  Hefezelle  bänden, 
wie  es  beim  Wachstimi  der  lebenden  Hefe  auch  geschieht  (§  91).  Für 
diese  Möglichkeit  spricht  die  von  H  a  r  d  e  n  und  Y  o  u  n  g  (S.  257) 
ermittelte  Tatsache,  daß  es  durch  Hydrolyse  mit  Salzsäure  gelingt, 
den  in  Verlust  gegangenen  Zucker  wiederzugewinnen.  Auch  Büch- 
ner imd  Meisenheimer^)  schlössen  auf  Grund  ähnlicher  Be- 
funde, die  erhebliche  Mengen  von  Polysacchariden  ergaben,  auf  die 
Wirkung  eines  aufbauenden  Enzyms  in  dem  Hefepreßsaft. 

Ein  anderes  synthetisches  Enzym,  das  Phos« 
phate  in  organische  Bindung  überführt,  fand  Iwa- 
noff*) im  Filtrat  der  durch  Zymase  vergorenen  Flüssigkeit.  Dieser 
Stoff,  die  Triosephosphorsäure,  werde  durch  frische  Zymase  wieder 
vergoren  zu  Kohlensäure,  Alkohol  und  Phosphorsäure.  Daraus  soll 
sich  die  Beförderung  der  Zjnnasegärung  durch  Phosphate  erklären. 

In  ihrer  genannten  Arbeit  fanden  E.  Buchner  und  Rapp, 
dafi  Glyzerin  und  Bemsteinsäure  sehr  wahrscheinlich,  wenn  überhaupt, 
nur  in  kleinen  Mengen  bei  der  zellfreien  Gärung  entständen.  Weitere 
Untersuchungen  von  B u c h n e r  und  Meisenheimer^)  ergaben 
aber,  daß  bei  der  zellfreien  Gärung  zwar  Bemsteinsäure  so  gut  wie 
völlig  fehlte,  aber  Glyzerin  in  Mengen  von  5 — 16%  des  Alkohols 
gebildet  wurde.  Die  von  Delbrück*)  ausgesprochene  Vermutung, 
das  Glyzerin  entstamme  einer  Lipaseeinwirkung  auf  das  Fett  der 
Hefezellen,  vermögen  B u c h n e r  und  Meisenheimer  nicht 
anzuerkennen,  weil  sie  höhere  Fettsäuren  in  entsprechender  Menge 
vermißten,  sind  aber  ihrerseits  nicht  imstande,  den  Ursprung  des 
Glyzerins  aufzuklären.  Man  wird  vielleiclit  nicht  fehlgehen,  wenn 
man  ein  besonderes, ZuckerzuGlyzerinspaltendes 
E  n  z  y  m  in  der  Zymase  voraussetzt.   Bei  der  Milchsäuregärung  durch 


1)  Ber.  ehem.  Gesellsch.  1906,  3201. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  24.   1909. 

3)  Ber.  ehem.  Ges.  1906.  3201. 

4)  Woch.  Brauerei  1903.  7.  Seifert  und  R  e  i  s  c  h  ,  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.  12.  574,  1904»  fassen  das  Glyzerin  wieder  als  „Stoff Wechselprodukt" 
der  Hefe  auf. 


264  Kap.  VI,  §  ^0  u.  91. 

Bakterien  begegnen  wir  ausnahmsweise  ähnUchen  Olyzerinmengen 
(§  106),  nicht  selten  übrigens  auch  erheblichen  Mengen  von  Beinstein- 
säure (§  107). 

Weiter  wurde  durch  verschiedene  Forscher  gezeigt^"'),  daß  bei 
der  Zymasegärung  (unter  Sauerstoffabschluß)  Essigsäure  bis  zu  0,33%, 
(inaktive)  Milchsäure,  die  man  bei  der  Gärung  durch  lebende  Hefe 
überhaupt  nicht  findet,  bis  zu  0,47%  ^des  Preßsaftes)  entstehen. 
B u c h n e r  und  Meisenheimer  glauben  damit  den  Beweis  ge- 
liefert zu  haben,  daß  die  Milchsäure,  wie  schon  früher  vermutet  (S.  252), 
ein  Zwischenprodukt  der  alkoholischen  Gärung  sei.  Sie  nehmen  jetzt 
zwei  Enzyme  in  der  Hefe  an,  die  eigentliche  Zymase  („Hefen- 
zym a  s  e^'  im  Gegensatz  zur  „Bakterienzymase^'),  die  aus  dem  Zucker 
Milchsäure,  und  die  Laktazidase,  die  aus  der  Milchsäure  Alkohol 
und  Kohlensäure  bilde.  Die  Essigsäure  würde  ebenfalls  durch  ein 
besonderes  Enzym,  das  den  Zucker  in  3  Moleküle  Essigsäure  spaltet, 
die  „Glukazetase*',  gebildet  (vgl.  §  103).  Die  Frage  ist,  wie  schon  früher 
'bemerkt,  noch  nicht  spruchreif. 

Amylalkohol  fanden  auch  B  u  c  h  n  e  r  und  Meisenheimer 
(wie  Ehrlich  imd  Pringsheim  a.a.  0.)  bei  der  Zymasegärung 
nur  in  Spuren,  heben  aber  selbst  hervor,  daß  das  gegen  die  Ehr- 
lich sehe  Theorie  von  der  Entstehung  des  Fuselöls  aus  Leuzin  nichts 
beweise.  Da  es  mit  der  Bernsteinsäure  sich  ähnlich  verhält,  könnte 
man  bis  zum  Beweise  des  Gegenteils  allenfalls  noch  die,  übrigens  von 
Ehrlich  ausgesprochene,  Vermutung  zulassen,  daß  dieser  Stoff 
auch  nicht  dem  Zucker,  sondern  einer  Aminosäure  (etwa  der  Asparagin- 
säure)  entstamme  (vgl.  §  169). 

§  91.  Einfloß  des  Hefewachstums  and  des  Sanerstoffza- 
tritts  auf  die  Gärung.  Selbstvergftrnng.  Bei  der  Alkoholgärung 
durch  lebende  Hefe  wird  ein  Teil  des  Zuckers,  wie  Pasteur  zuerst 
gefunden,  zum  Aufbau  der  Hefesubstanz  verwendet.  Je 
nach  der  Intensität  des  Wachstums  wechselt  natürlich  die  dafür  ver- 
brauchte Zuckermenge.  Sie  ist  um  so  größer,  je  reichlicher  der  Sauer- 
stoffzutritt. Wir  werden  bei  Besprechung  der  Ausnützung  der  Nähr- 
böden die  Beweise  dafür  erörtern  und  gleichzeitig  dabei  sehen,  in  welcher 
Weise  durch  den  Sauerstoff  die  Gärung  beeinflußt  wird  (§  233).  Es 
findet  sich  der  Pasteur  sehe  Satz  bestätigt,  daß  das  Gärver- 
mögenderHefe,d.  h.  dasVerhältnisdesvergorenen 

Zuckers   zu   der   gebildeten   Hefesubstanz   um  so 

1)  Ahrens,  Zeitschr.  angew.   Chem.    1900,   483  (Milchsäure). 

2)  Buchner,   Zymasegärung   S.   224   (Essigsäure). 

3)  Buchner   und   Meisenheimer,    Ber.    chem.    Gres.    1904. 
426  und   1906,   620. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  265 

größer  ist,  je  stärker  der  Sauerstoffzutritt  be- 
schränkt  ist.    Andererseits  ist  als  erwiesen  zu  betrachten,  daß 
die  Zymasewirknng  selbst  durch  die  Abwesenheit  oder   Gegenwart 
des  Sauerstoäs  nicht  beeinflußt  wird  ^)  und  daß,  entgegen  der  Pasteur« 
sehen  Ansicht  die  Gärung  der  lebenden  Hefe  auch  bei 
reichlichem  Säuerst  o  ff  zutritt   eintritt  und  ener- 
gisch verläuft^).    Man  kann  das  auch  so  ausdrücken,  daß  man 
sagt:  der  Zymasegehalt  oder  die  Zymase wir kung 
der  lebenden  Hefezelle  ist  verhältnismäßig  um 
80  größer,  jeweniger  Sauerstoff  ihr  geboten  wird, 
je  langsamer  sie  also  wächst,  er  fehlt  aber  auch 
der  aerob  wachsenden  Zelle  nicht.    Man  darf  daraus 
nicht  etwa  den  Schluß  ziehen,  daß  die  Gärungstechniker  gut  daran 
täten,  in  der  Brauerei  und  Brennerei  den  Sauerstoffabschluß  streng 
durchzuführen.    Zweierlei  Gründe  sprechen  dagegen:  erstens  kommt 
es  der  Technik  nicht  auf  das  relative  Gärvermögen  der  Hefezelle  an, 
sondern  darauf,  daß  eine  möglichst  große  absolute  Menge  des 
Gärprodukts    in    möglichst    kurzer    Zeit    erzielt 
wird.    Nun  ergibt  sich  aber  schon  aus  den  P  a  s  t  e  u  r  sehen  Ver- 
snchen,  daß,  je  vollständiger  der  Sauerstoff  von  der  Gärung  abge- 
schlossen wird,  die  letztere  um  so  langsamer  verläuft  (§  233).    Die 
Rücksicht  darauf  verlangt  für  den  Sauerstoffabschluß  schon  eine  ge- 
wisse Beschränkung.   Ebenso  wichtig  ist  aber  die  Tatsache,  daß  d  i  e 
Hefe  durch  das  Leben  ohne  Sauerstoff  entschieden 
geschädigt  wird,  daß  sie  dadurch  in  ihrer  Fähig- 
keit zu  wachsen  und  auf  die  Dauer  Zymase  zu  pro- 
duzieren,   Einbuße   erleidet.    Diese    Gründe   machen   es 
erklärlich,  daß  die  Technik  nicht  den  völligen  Abschluß  des  Sauer- 
stoffes bei  der  Gärung,  sondern  nur  mäßige  Lüftung  anwendet,  die  bei 
großer  Hefenaussaat  eine  gute  Ausnutzung  des  Gärmaterials,  schnelle 
Gärung  und  dauernde  Lebens-  imd  Gärfähigkeit  der  Hefe  gewähr- 
leistet. 

Einige  besondere  Fälle  verdienen  noch  eine  Besprechung,  weil 
sich  an  sie  lebhafte  Erörterungen  angeschlossen  haben.  Wird  eine 
sehr  große  Hefenmenge  (z.  B.  20  g)  in  eine  reine  Zuckerlösung  (100  ccm 
einer  10  prozentigen  Lösung)  eingebracht,  so  gerät  diese  in  lebhafte 


1)  Grigoriew,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  42;  Buchner  und 
A  n  t  o  n  i  ,  ebenda  44,   1905. 

2)  Das  gilt  übrigens  nur  für  die  gewöhnliche  Bierhefe,  Schizosacch. 
Pombe  ist  empfindlicher  gegen  Sauerstoffmangel,  der  überhaupt  nicht 
vergärende  Sacch.  membranaefaciens  kann  gar  nicht  ohne  Sauerstoff 
existieren  (Leschtsch,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.,  12  und  13,  1904). 


266  Kap.  VT,    §  91  u.  92. 

Gärung,  ohne  daß  eine  deutliche  Vermehrung  der  Hefezellen  eintriti;. 
Ja,  es  kann  sogar  das  Hefegewicht  dabei  abnehmen.  Für  uns  hat 
diese  Tatsache  kaum  etwas  Unerklärliches  mehr,  seitdem  wir  die  Zymase 
kennen.  Diese  wird  Gärung  erzeugen,  solange  sie  noch  in  den  Zellen 
vorhanden  ist,  ob  Wachstum  erfolgt  oder  nicht.  P  a  s  t  e  u  r  hat  die 
Schwierigkeit,  die  für  seine  vitalistische  Theorie  daraus  entstand, 
dadurch  zu  überwinden  gesucht,  daß  er  nicht  bloß  die  Hefengewicht«, 
sondern  auch  die  Menge  der  in  der  Gärflüssigkeit  nach  der  Gärung 
gefundenen,  in  Alkohol  und  Äther  unlöslichen  Stoffe  bestimmte.  Er 
fand  erhebhche  Mengen  davon  und  wies  nach,  daß  in  jedem  Falle 
die  Summe  des  Hefegewichts  und  dieser  Stoffe 
größer  war  als  das  ursprüngliche  Hefegewicht.  Nach  ihm  geben 
die  Hefezellen,  wenn  sie  in  eine  reine  Zuckerlösimg  gebracht  werden, 
eine  gewisse  Menge  ihrer  stickstoffhaltigen  Zellstoffe  und  Salze  an  sie 
ab^),  assimilieren  dafür  aber  eine  gewisse  Menge  Zucker,  so  daß  man 
in  Wirklichkeit  auch  in  diesem  extremen  Falle  von  einem  Wachstum 
sprechen  dürfe.  Man  kann  diese  Auffassung  vielleicht  mit  der  Ab- 
weichung annehmen,  daß  bei  der  mangelhaften  Ernährung  wenigstens 
ein  Teil  der  massenhaft  eingesäten  Hefezellen  durch  Selbstverdauung 
(§  9)  zerfällt  und  dadurch  für  den  Rest  die  außer  dem  Zucker  nötigen 
Stoffe  zum  mäßigen  Wachstum  gewährt.  So  würde  sich  die  erhebliche 
Gärleistung  auch  durch  eine  gewisse  Neubildung  von  Zymaae  erklären. 
Einige  Versuche  Browns^)  würden  darauf  schließen  lassen, 
daß  die  Pasteursche  Deutung  (s.  o.  S.  265)  doch  nicht  stich- 
haltig ist.  Der  Autor  fand  nämlich,  daß  Hefe  bei  sehr  großer 
Einsaat  eine  gute  Nährlösung  etwas  stärker  vergärt,  wenn  Sauer- 
stoff, als  wenn  Wasserstoff  durchgeleitet  wurde,  ohne  daß  sich  eine 
Sprossung  der  Zellen  hätte  nachweisen  lassen.  Auch  war  die  Gewichts- 
zunahme, die  in  einem  anderen  ähnlichen  Versuche  in  mäßigem  Grade 
eintrat,  in  Wasserstoff  etwas  größer  als  in  Luft.  Van  L  a  e  r  ^)  be- 
obachtete ebenfalls  an  Hefe,  die  verhindert  war  zu  wachsen,  höhere 
Gärkraft,  wenn  während  der  Gärung  gelüftet  wurde.  Unter  normalen 
Verhältnissen  fand  er  hingegen  das  Pasteursche  Gesetz  durchaus 
bestätigt.  Iwanowski*)  will  wiederum  einen  Einfluß  des  Sauer- 
stoffzutritts oder  -abschlusses  auf  die  Gänmg  überhaupt  nicht  zu- 
geben. Uns  scheint,  daß  man  aus  Versuchen,  die  imter  so  abnormen 
Bedingungen  und  meist  noch  nicht  einmal  mit  Reinkulturen  vor- 
genommen  wurden,  keine  bindenden  Schlüsse  ziehen  darf.    Auch  von 

• F ■ 

1)  Vgl.  aber  Iwanoff   §  92. 

2)  Kochs  Jahresber.   1892.   101. 

3)  Kochs  Jahresber.   1893.   137. 

4)  Ebenda  1894.    116. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  267 

den  Veisuchen  Chudiakows^)  gilt  das.  Chudiakow  hatte 
gefunden,  daß  bei  mäßiger  Einsaat  von  Hefe  in  reines  Zucker- 
wasser die  DurcUeitung  von  Sauerstoff  die  Gärung  beeinträchtigt, 
die  von  Wasserstoff  sie  unterhält.  B  u  c  h  n  e  r  und  R  a  p  p  ^)  sahen 
ihrerseits  bei  beiden  Verfahren  kaum  einen  Unterschied,  höchstens 
war  umgekehrt  bei  Sauerstoffdurchleitung  die  Gärung  etwas  leb- 
hafter, und  zwar  anscheinend  aus  dem  Grunde,  weil  dabei  eine  geringe 
Veraiehrung  der  Hefe  stattfand.  Außerdem  ergaben  aber  die  Versuche, 
daß  die  mechanische  Erschütterung,  wie  sie  die  Folge 
der  Gasdurchleitimg  ist,  durchaus  nicht  gleichgültig,  sondern  schädlich 
ist  für  die  Hefe.  Das  bestärkt  uns  erst  recht  in  unserer  Abneigung, 
die  Ergebnisse  der  Gärversuche  mit  Zellen,  die  einer  doppelten  Schäd- 
lichkeit, dem  Nahrungsmangel  und  der  Erschütterung  unterliegen 
als  maßgebend  für  die  normalen  Verhältnisse  anzusehen.  Soweit  letz- 
tere in  Frage  kommen,  haben  gerade  B  u  c  h  n  e  r  imd  R  a  p  p  (§  233) 
die  gewichtigsten  Beweise  für  die  Bichtigkeit  der  P  a  s  t  e  u  r  sehen 
liehre  erbracht. 

Ein  weiterer  Fall  ergibt  sich,  wenn  frische  lebenskräftige  Hefe 
von  den  anhaftenden  Nährstoffen  durch  Auswaschen  befreit  und  dann 
mit  genügenden  Mengen  Wasser  bei  günstiger  Temperatur  (20 — 30^) 
sich  selbst  überlassen  wird.  Dann  tritt  die  sogenannte  Selbst- 
vergärung  der  Hefe  ein.  Nach  unseren  heutigen  Kenntnissen 
bietet  sie  nichts  Wxmderbares:  Hefepreßsaft  allein  verfällt  demselben 
Prozeß.  Das  Gärsubstrat  sind  die  Kohlenhydrate,  vor  allem  das  Gly- 
kogen, das  die  Hefezellen  enthalten  (vgl.  §  27).  Je  größer  der  Vorrat 
daran,  desto  kräftiger  die  Selbstgärung.  Völlig  unerklärlich  und  B  u  c  h  - 
n  e  r  s  Erfahrungen  durchaus  widersprechend  ist  aber  die  Angabe  von 
Macfadyen,  Morris  und  R  o  w  1  a  n  d  (S.  257),  daß  in  nahezu 
jedem  Fall  durch  die  Selbstgärung  des  Preßsafts  mehr  Gas  erhalten 
wurde,  ak  wenn  die  Gärung  in  Gegenwart  von  Rohrzucker  vor  sich  ging. 

§  92.   Selbstverdauung  der  Hefe  und  ihre  Hemmung.    Ist 

der  Zuckergehalt  der  Hefe  durch  Selbstvergärung  erschöpft,  so  tritt 
schließlich  der  letzte  Fall,  die  Selbstverdauung  der  Hefe  d.  h. 
Zellenzerfall  und  Zersetzung  ihrer  Eiweißkörper  durch  die  Endo- 
tryptase  ein,  die  stets  die  Zymase  begleitet  (§  9  u.  166). 

Die  eben  erwähnte  Beobachtung  Pasteurs,  nach  der  die  Gärung 
der  Hefe  in  reinen  Zuckerlösungen  mit  Stickstoffausscheidung  einher- 
g^he,  ist  zwar  von  vielen  Forschem  wieder  gemacht  worden,  wird  aber 


3)  Landwirt«ch.  Jahrb.   1804. 

4)  Zeitechr.  f.  Biol.  37,  vgl.   S.   150. 


268  Kap.  VI,    !  92  u.  93. 

von  Iwanoff  ^)  neuerdings  auf  zu  lange  Dauer  der  Versuche,  die 
das  Absterben  der  Hefezellen  bewirken,  oder  die  Gegenwart  von  Bak- 
terien zurückgeführt  und  für  kurze  Zeit  dauernde  Versuche  nicht  be- 
stätigt: der  Eiweiß»  und  Stickstoffgehalt  der  Hefe  solle  sich  trotz 
kräftiger  Gärung  gar  nicht  verändern.  Erst  wenn  der  Zucker  der 
Zelle  entzogen  wird,  nimmt  ihr  Eiweißgehalt  ab,  ergänzt  sich  aber 
wieder,  wenn  man  neuen  Zucker  zufügt,  doch  nur  etwa  zur  Hälfte, 
die  übrige  Hälfte  der  stickstoffhaltigen  Zersetzungsprodukte  scheint 
zur  Synthese  nicht  geeignet  zu  sein. 

Der  Grund  dafür,  daß  keine  Eiweißzersetzung  während  der  Gärung 
stattfindet,  liegt  anscheinend  darin,  daß  die  Gärung  Stoffe 
bildet,  die  die  Eiweißzersetzung,  die  Selbst- 
verdauung hemmen.  Iwanoff  glaubt  das  durch  besondere 
Versuche  bewiesen  zu  haben.  Die  Selbstverdauimg  der  durch  Thymol- 
oder  Chloroformzusatz  getöteten  und  bei  47®  gehaltenen  Hefe  war  sehr 
viel  geringer,  wenn  die  Hefe  vorher  zur  Gärung  benutzt  war;  Zusatz 
von  Gärflüssigkeit,  die  durch  Porzellan  filtriert  war,  hemmte  eben- 
falls. Die  hemmenden  Stoffe  haben  fast  den  Charakter  von  Fermenten, 
denn  Kochen  zerstört  sie  fast  völlig.  I  w  a  n  o  f  f  schreibt  die  Bolle 
fruchtätherähnlichen,  aldehydartigen  Substanzen  zu,  denn  Kochen 
mit  Rückflußkühler  ist  unschädlich.  Jedenfalls  ist  der  Alkohol  nicht 
an  der  Hemmung  schuld:  Zusatz  von  MonokaUumphosphat  beseitigt 
die  Hemmimg  und  beschleunigt  die  Selbstverdauung. 

§  93.  Gärimgsgeschwindigkeit,  Gärvermögen  und  Ver- 
gärungsgrad. Nach  Brown  (§  91)  und  Slator*)  hat  —  für  eine 
bestimmte  Heferasse  —  die  Konzentration  der  Zucker- 
lösung, innerhalb  der  Grenzen  von  5  bis  20%  und  in  den 
ersten  dre*  Stunden  keinen  erheblichen  Einfluß  auf  die 
Intensität  des  Gärungsprozesses,  während  30proz.  Lösungen 
schon  langsamer  vergoren  wurden.  Das  ist  nicht  Folge  des 
höheren  spezifischen  Gewichts  resp.  osmotischen  Drucks,  denn  die 
Vergärung  einer  Lösimg,  die  15%  Dextrose  und  15%  Milchzucker 
enthält,  ist  viel  lebhafter,  als  die  einer  30  prozentigen  Dextroselösung. 
Auch  die  zellfreie  Gärung  mit  Z3nnase  oder  Z3anin  zeigt  ein  ähnliches 
Verhalten  (Buchner,  Grigoriew).  Die  nach  einem  anderen 
Verfahren^)    ermittelte    Gärungsgeschwindigkeit    ist    nach    S 1  a  t  o  r 

1)  Zeitschr.  physiol.  Chera.  42,   1904. 

2)  Transactions  ehem.  soc.   1906  vgl.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.  771. 

3)  Als  Maß  der  Gärkraft  sind  verschiedene  Bezeichnungen  im  Ge- 
brauch, die  leider  aber  nach  den  Autoren  wechseln.  Prior  (Chem.  und 
Physiol.  des  Malzes  und  Bieres  1896)  nennt  Gärungsenergie  die 
Anzahl   Milligr.  Saccharose    die  von  einer  Million  Hefezellen  bei  Zimmer- 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  269 

innerhalb  der  Grenzen  von  0,4 — 10%  ebenfalls  fast  unabhängig  von 
der  Zuckerkonzentration,  gleichgültig,  welcher  Zucker,  und  ob  man 
lebende  Hefe  oder  Zymase  nimmt. 

Die    Dauer  der  Gärung  ist  nach  D u m a s  ^)  annähernd 
der  vorhandenen  Zuckermenge  proportional,  doch  gilt  das  nur  inner- 
halb der  bepsrochenen  Grenzen,    denn  über  einen  gewissen 
Gehalt  an  Alkohol  geht  die  Gärung  nicht  hinaus. 
Dieser   Endgehalt  schwankt,   ebenso  wie  die   Gärungsenergie   (s.   o.) 
nach  den  einzelnen  Kassen  und  Arten  der  Gärungserreger.    Bei  der 
Bier-   und  Weinhefe  geht  das  Maximum  des  produzierten  Alkohols 
nicht   über   12 — 14%  Alkohol   hinaus.    Für  Mucor  racemosus   fand 
Hansen  7%,  für  Mucor  mucedo  3%  (n  einem  Jahre).   Woran  der 
Stillstand  der  Gärung  in  diesen  Fällen  hegt,  ist  noch  nicht  ganz  klar- 
gestellt.   Sehr  wahrscheinlich  ist  es  aber  zum  Teil  der  Gehalt  der  Gär- 
flüssigkeit an  Gärprodukten,  der  schädlich  auf  die  Weiterentwicklung 
der  Mikroorganismen  wirkt  (§  47).   Z.  B.  wies  P  r  i  o  r  ^)  für  die  Hefe 
..Saaz'*  nach,  daß  ihr  niedriger  Endvergärungsgrad  sich  durch  die  Emp- 
findlichkeit gegen  ihre  eigenen  Produkte  erklärt;  werden  dieselben 
durch  überdestillieren  im  Vakuum  entfernt,  so  läßt  sich  auch  mit  dieser 
Hefe  eine  stärkere  Vergärung  erzielen.  Nicht  bloß  die  eigenen  Produkte, 
sondern  auch  die  anderer  Hefen  wirken  schädigend  auf  Gärung  und 
Vermehrung,  doch  nur  in  bestinmiter  Konzentration,  in  kleinen  Mengen 
können  sie  vielleicht,  wie  andere  Gifte  (s.  u.)  Reize  vorstellen'). 

Außer  den  Selbstgiften  hemmen  die  Gärung  der  lebenden  Hefe 
alle  Antiseptika,  wenn  sie  in  stärkerer  Konzentration  zur  Ein- 
wirkung gelangen.  Dabei  gilt  die  Kegel,  daß  zimächst  nur  die  Lebens- 
tätigkeit, d.  h.  Wachstimi,  Vermehrung  und  Zjmiiase  b  i  1  d  u  n  g  der 
Hefe  dadurch  aufgehoben  wird,  nicht  die  Gärtätigkeit,  d.  h.  die  Zymase- 
wirkung.  Die  Zjnnase  wird  z.  B.  nach  Buchner  von  1% 
Toluol  gar  nicht  beeinflußt,  von  0,24%  Pormaldehyd  und  14%  Alkohol 
nur   gehemmt,   während    schon  0,04%  Formaldehyd    und   10 — 14% 


teinperatur  nach  4  Tagen,  bei  Kellertemperatur  nach  8  Tagen  vergoren 
werden,  und  Gärvermögen,  die  von  einer  Million  Hefezellen  am 
Ende  des  Versuches  vergorenen  Saccharosemengen.  S  1  a  t  o  r  (s.  o.)  mißt 
die  Gärungsgeschwindigkeit  durch  die  Druckveränderung, 
die  durch  die  Kohlensäureentwicklung  in  einem  mit  einem  Manometer 
verbondenen  geschlossenen  Gefäße  erfolgt. 

1)  Annal.  chim.  et  phys.  1874. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   1.  432. 

3)  Thibaut,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  20,  1902,  sah  einen  solchen 
Einfluß  der  eigenen  und  fremder  Produkte  freilich  nicht  regelmäßig  beim 
Stadium  der   Vennehrungs-  imd   Gärungsenergie  lebender  Hefe.     G  r  i  - 


270  Kap.  VI,    §  93  u.  94. 

Alkohol  die  Hefegärung  unterdrücken ^).  Nach  Grigoriew  be- 
günstigt Gegenwart  von  Alkohol  oder  Chinin  die  Gärwirkung  der 
Dauerhefe,  weil  diese  Stoffe  den  schädlichen  Einfluß  des  proteoly- 
tischen Enzyms  der  Hefe  vennindem.  Umgekehrt  wirken  Kalisalpeter 
oder  Chlorkalzium  schädlich  auf  die  Gärung,  weil  sie  die  proteolytischen 
Enzyme  befördern.  Blausäure  hebt  dagegen  die  zellfreie  Gärung 
sofort  auf,  wie  sie  auch  andere  Enzyme  lähmt. 

Von  der  eigentümlichen  die  Gärwirkung  steigernden 
Wirkung  stark  verdünnter  Gifte,  besonders  der  Flußsäure  und 
ihrer  Salze  auf  die  lebende  Hefe  haben  wir  schon  §  55  gesprochen^). 
Auf  die  Zymasegärung  selbst  wirkt  Natriumfluorid  in  Lösungen  von 
0,5  bis  2%  sehr  schädlich. 

Während  wir  §  41  gesehen  haben  daß  das  Wachstum  der 
Hefe  durch  leicht  saure  Reaktion  des  Nährbodens  verbessert 
wird,  haben  B  u  c  h  n  e  r  und  Wroblewski^)  einen  günstigen 
Einfluß  der  alkalischen  Reaktion  auf  die  Zjnnasewirkung  beob- 
achtet. Nach  dem  ersteren  Autor  beschleunigt  namentlich  der  Zusatz 
von  Natriumbiphosphat  bis  zu  4%  die  Zjonasegärung  sehr  bedeutend. 
Umgekehrt  hemmt  saure  Reaktion  wenigstens  anfangs  die   Gärung. 

Über  den  Einfluß  der  Konzentration  der  Gärflüssigkeit  wurde 
oben  schon  gesprochen,  ihre  Verdünnung  hat  auf  die  Tätigkeit 
der  lebenden  Hefe  insofern  eine  Wirkung,  als  sie  das  Wachstum  und 
damit  auch  die  Gärung  verlangsamt.  Das  gleiche  ist  der  Fall  bei  der 
Zymase.  Wenn  nicht  nur  die  Zuckerlösung,  sondern  auch  die  Zymase 
selbst  stark  verdünnt  ist,  wird  die  Intensität  der  Gärung  allerdings 
unverhältnismäßig  gering.  Das  hat  aber  nach  B  u  c  h  n  e  r  und  M  e  i  - 
senheimer  nur  den  Grund,  daß  das  Gärungsenzym  in  der  ver- 
dünnten Flüssigkeit  seine  Wirksamkeit,  wie  andere  kolloidale  Stoffe, 
schneller  verliert.  Setzt  man  daher  unter  sonst  gleichen  Verhältnissen 
z.  B.  bei  25  facher  Verdünnung  des  Preßsaftes  10%  Glyzerin  oder 
Eiweiß  zu,  so  erhält  man  wieder  eine  kräftige  Gärung. 

Salze  von  Alkalien  und  alkalischen  Erden  stören  schon  in  wenigen 
Prozenten  zugesetzt  die  zellfreie   Gärung  erheblich,  ähnlich,  wie  sie 


g  o  r  i  e  w  (Zeitschr.  physioL  Chem.  42,  1904)  fcmd,  daß  die  Dauerhefe 
(Zymase)  kräftiger  wirkt  in  einer  Mischung,  die  schon  vorher  durch  Zyniase 
vergoren  worden  ist,  hier  findet  also  ebenfalls  eine  Förderung  der  Gärung 
durch  die  eigenen  Gärprodukte  statt. 

1 )  Zymasegärung,   vgl.    auch  B  u  c  h  n  e  r  und  A  n  t  o  n  i ,  Zeitschr. 
physiol.  Ch.   44.  222,   1905. 

2)  Die  Gärgeschwindigkoit  nach  S  1  a  t  o  r  s  Methode  gemessen  (s.  o.) 
soll  dagegen  durch  verdünnte  Gifte  nicht  beeinflußt  werden. 

3)  Journ.  prakt.  Chem.  2.  Serie,  64. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  271 

auch  andere  Enzyme  (z.  B.  Diastase  und  Invertase)  schädigen.  Über 
die  entgegengesetzte  Wirkung  des  sekundären  phosphorsauren  Natriums, 
sowie  des  glyzerinphospliorsauren  Natrons,  wurde  früher  gesprochen 
(8.  Koenzym  S.  257). 

Was  den  Einfluß  der  Temperatur  auf  die  Gärung  durch 
lebende  Hefe  angeht,  so  ist  bekannt,  daß  die  mittleren  Temperaturen 
von  20  bis  30^  am  günstigsten  für  sie  sind,  während  die  Annäherung 
an  40*  nach  oben  und  0*  nach  imten  die  Gärung  aufhebt^).  Ähnlich 
scheinen  die  Dinge  zu  liegen  für  die  Zymase,  nur  tritt  bei  dieser  das 
trvptische  Enzym  bei  Temperaturen  von  über  20®  als  schädliches 
Moment  auf,  so  daß  bei  30®  die  Zymasewirkung  schon  nach  einem  Tage, 
bei  22*  nach  2  Tagen  ihr  Ende  erreicht,  während  sie  bei  5 — ^7*  noch 
am  16.  Tage  merkbar  fortschreitet. 

§94.  Grärungsgewerbe.  Brauerei.  Die  Alkoholgärung  steht  im 
Dienste  der  Menschheit,  soweit  historische  und  geographische  Nach- 
richten reichen.  Die  Erfahrung,  daß  gewisse  Nahrungsmittel  beim 
Stehen  eine  fireiwillige  Zersetzung  erleiden,  bei  der  die  Flüssigkeit 
aufschäumt,  „sich  hebt'**),  gewissermaßen  aufkocht^),  und  aus  der 
ein  bis  dahin  nicht  vorhandener  Stoff  von  eigentümlich  anregender 
und  berauschender  Wirkung  entsteht,  muß  offenbar  eine  der  ältesten 
gewesen  sein,  die  der  Mensch  sich  zimutze  gemacht  hat.  Je  nach  der 
Verschiedenheit  der  Länder  und  ihrer  Bodenfrüchte  und  der  Geschick- 
lichkeit ihrer  Bewohner  ist  das  Erzeugnis  der  „geistigen  *  Gärungen 
ein  äußerlich  recht  verschiedenes,  die  entstehenden  Stoffe  sind  aber 
im  wesentlichen  dieselben,  nämlich  Alkohol  und  Kohlensäure,  und  die 
Gänmgserreger  stets  Mikroorganismen  der  Sproßpilzgruppe.  Lange 
genug  hat  es  gedauert,  bis  die  Erkenntnis,  daß  die  Gärung  ein  Lebens- 
vorgang sei,  sich  Bahn  gebrochen  hat,  und  die  chemischen  Verhält- 
nisse genauer  bekannt  wurden  (s.  o.  §  84).  Die  praktischen  Schluß- 
folgerungen daraus  sind  Aufgaben  der  Gewerbe  und  einer  besonderen 
Wissenschaft,  der  Lehre  von  den  Gärungsmikroorganismen ^),  die  schon 
in  eigenen  Instituten  ihre  Vertrettmg  findet. 

Wir  wollen  aber  doch  nicht  unterlassen,  hier  in  Kürze  die  Be- 
dingungen, unter  denen  die  Gärung  im  großen  verläuft,  die  Störungen, 


1 )  Vgl.  auch  die  Mitteilungen  von  S  1  a  t  o  r  über  die  Beeinflussung 
der  Gärgeschwindigkeit  durch  die  Temperatur  (a.  a.  O.) 

2)  Daher  Hefe,  levuro. 

3)  fervescere,  daher  femientum;  eine  ähnliche  Bedeutung  soll  das 
hebräische  Wort  für  Wein  haben   (vgl.  Duclaux,  Microbiologie  1.  1). 

4)  Vgl.  die  Lehrbücher  von  Jörgensen,  Klöcker,  Lind- 
ner, Lafar. 


272  Kap.  VI,    §  94. 

denen  sie  unterliegen  kann,  und  die  Mittel  zu  ihrer  Bekämpfung,  soweit 
sie  ein  allgemeines  Interesse  haben,  zu  erörtern. 

Dasjenige  Gärungsgewerbe,  das  praktisch  am  meisten  fortge- 
schritten und  theoretisch  am  besten  studiert  ist,  ist  die  Bier- 
brauerei. Es  empfiehlt  sich  deswegen  in  erster  Linie  sie  als  Bei- 
spiel heranzuziehen.  Wir  ¥ris8en  zwar,  daß  die  alten  Deutschen  des 
Tacitus  —  von  den  Ägyptern  zu  schweigen^)  —  aus  Gerstensaft  schon 
ein  Bier  brauten,  das  sie  recht  trinkbar  fanden,  wenn  der  Römer  es 
auch  mit  schlechtem  Wein  vergleicht;  wir  haben  femer  Beweise  dafür, 
daß  die  Brauerei  sich  die  folgenden  Jahrhunderte  stetig  weiter  ent- 
wickelte, dennoch  müssen  die  Bierverhältnisse  noch  um  1800  n.  Chr. 
nichts  weniger  als  günstige  gewesen  sein,  denn  Klagen  über  verdorbenes 
Bier  hörte  man  damals  fast  allgemein^).  Man  beherrschte  offenbar 
den  Gärungsprozeß  noch  nicht  annähernd  in  der  Weise  wie  heute. 
Den  seitdem  erzielten  Fortschritt  verdankt  man  nicht  zum  wenigsten 
der  Entwicklung  der  Lehre  von  den  Gärungsorganismen«  Welche 
Faktoren  bedingen  die  Haltbarkeit  und  die  Güte  des  Bieres?  Für 
unsere  Zwecke  imterscheiden  wir  zwischen  den  chemischen  Vorbe- 
dingungen der  Gärung  und  der  Gärung  selbst.  Zu  den  Vorbedingungen 
gehören:  gute  Beschaffenheit  der  Gerste  und  des  daraus  gewonnenen 
Malzes,  Güte  des  Wassers,  das  zur  Bereitung  der  Würze  dient,  richtige 
Führung  des  Maisch-  und  Eochprozesses,  durch  den  das  Malz  verzuckert 
und  ausgelaugt,  die  Würze  gehopft,  geklärt  und  konzentriert  wird 
und  schließlich  sorgfältige  Kühlung  der  Würze.  Damit  ist  das  Roh- 
material gegeben,  das  der  Gärung  unterliegen  soll.  Nehmen  wir  an, 
daß  es  die  richtige  Zusammensetzung  besitze,  und  betrachten  wir  die 
Umwandlung,  die  es  erfahren  soll,  den  Gänmgsvorgang  selbst.  In  der 
gekühlten  Würze  setzt  die  Tätigkeit  der  Mikroorganismen  ein.  Sie 
richtig  zu  leiten,  nur  die  nützlichen  Organismen  zuzulassen,  die  schäd- 
lichen auszuschließen,  darin  besteht  die  Aufgabe.  Früher  war  man 
weit  davon  entfernt,  diese  Aufgabe  zu  erfassen,  man  setzte  der  Würze 
die  Hefe  zu,  die  man  aus  dem  vorhergehenden  Brauprozeß  gewonnen 
hatte,  ohne  sich  um  ihre  Zusammensetzung  viel  zu  kümmern,  man 
beachtete  nicht  die  zahlreichen  Wege,  auf  denen  nebenher  Mikro- 
organismen in  die  Würze  hineingelangten,  und  war  deswegen  nicht 
imstande,  die  Güte  des  Gebräus  imd  seine  Haltbarkeit  zu  gewähr- 


1)  E.  Hahn,  Woch.  Brauer.  1898.  433  (zur  Urgeschichte  des  Biers) 
und  Sander  (Afrikanische  Braukunst)  ebd.    1900.   468. 

2)  Vgl.  den  Vortrag  von  Delbrück:  „Das  deutsche  Brauerei- 
gewerbe an  der  Jahrhundertswende.**  in  der  Wochenschr.  f.  Brauerei 
1900.  387. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  273 

leisten.  Pasteur^)  war  der  erste,  der  die  Notwendigkeit,  von  vorn- 
herein mit  reiner  Hefe  zu  arbeiten  und  unabsichtliclie  Infektionen  zu 
verhüten, klarstellte,  und  EmilChr.Han8en(§85)  schuf  etwa  gleich- 
zeitig mit  B.  Koch,  der  ähnliches  für  die  Bakterienuntersuchung 
leistete,  das  Hauptmittel  dazu,  indem  er  die  Kulturhefen  rein  zu 
züchten  und  von  „wilden'^  und  „Krankheitshefen''  zu  scheiden 
lehrte.  Diese  Grundsätze  haben  sich  denn  auch  in  dem  Gewerbe  mehr 
und  mehr  Bahn  gebrochen  imd  sich  auch  da  Greltung  verschafft,  wo 
man  die  Vorschläge  Hansens  nicht  gerade  wörtlich  durchführte. 
Nach  Hansen  kann  man  von  reingezüchteter  Hefe  nur  sprechen, 
wenn  man  die  einzelnen  Hefezellen  isoliert  und  weiter  fortpflanzt. 
Der  Ausgangspunkt  für  Hansen  war  die  Beobachtung,  daß  die 
Hefezellen,  nachdem  sie  in  der  Nährflüssigkeit  der  Aussaatkolben  gut 
durchgeschüttelt  worden  sind,  zu  Boden  sinken  imd  hier  deutliche 
und  gut  gesonderte  „Hefeflecken"  bilden.  Durch  Zählung  der  Hefe- 
zellen unter  dem  Mikroskop  und  entsprechende  Verdünnung  der  sie 
enthaltenden  Tropfen  gelang  es  ihm,  in  jedem  Kolben  nur  einen  Hefe- 
fleck und  daraus  eine  Reinkultur  zu  erhalten.  Später  erzielte  er  ähn- 
liche Kolonien  aus  einzelnen  Zellen  in  Grelatinetropfen,  die  er  unter 
dem  Mikroskop  beobachtete  und  züchtete. 

Delbrück*)  unterscheidet  gegenüber  diesem  künstlichen  Ver- 
fahren die  „natürliche  Beinzuch t".  Es  gelingt  nämlich 
durch  Lmehaltung  bestimmter  Bedingungen,  eine  verunreinigte  Hefe 
imgroßensozu  züchten,  daß  sie  die  verunreinigenden  Organismen 
ganz  in  den  Hintergrund  drängt.  Zwei  Verfahren  haben  sich  hier  am 
besten  bewährt.  Die  wilden  Hefen  wachsen  bei  niederer  Temperatur 
besonders  gut,  können  also  dadurch  ausgeschaltet  werden,  daß  man 
die  gemiischte  Hefe  bei  höheren  Temperatiiren  züchtet.  Ferner  ist  die 
Schichtung  der  Hefen  am  Boden  des  Gärbottichs  eine  charakteristische, 
die  oberste  und  unterste  pflegen  die  meisten  Verunreinigungen  zu 
enthalten,  diese  lassen  sich  also  dadurch  beseitigen,  daß  man  die  mitt- 
lere Schicht,  die  „Kernhefe",  zur  Gärung  verwendet.  Unbewußt  hat  man 
diese  und  andere  Verfahren  schon  früher  in  der  Praxis  benutzt,  bevor 
die  Notwendigkeit  der  Reinzucht  durch  die  Theorie  begründet  war, 
denn  anders  erklärt  sich  kaum  die  Tatsache,  daß  es  manchen  Brauereien 
schon  lange  vorher  geglückt  ist,  gleichmäßig  gute  und  beständige  Er- 
zeugnisse zu  liefern.  In  das  Gebiet  der  natürlichen  Beinzucht  gehören 
auch  die  Zusätze  von  Säuren,  z.  B.  Weinsäure,  Milchsäure,  oder  die 
künstliche  Erzeugung  einer  Milchsäuregärung   in   dem  Hefegut,    die 


1)  :^tudes  sur  la  bi^re  1876. 

2)  Wochenschr.  f.  Brauerei  1895.  Nr.  4  und  30  und  1896. 
Kruse,  Mikrobiologie.  18 


274  Kap.  VT,   |  94. 

man  namentlich  in  der  Brennerei  (§  96)  benutzt,  um  die  Überwucherung 
mit  Bchädlichen  Bakterien  hintanzuhalten.  Die  genannten  Säuren^ 
ebenso  echte  Antiseptika,  wie  Salizylsäure,  Formaldehyd  u.  a.  sollen 
übrigens  nicht  nur  eine  desinfizierende  Wirkung  auf  gewisse  schäd- 
liche Mikroorganismen,  in  diesem  Falle  die  Bakterien,  ausüben,  sondern 
auch  eine  reizende,  die  Gärkraft  steigernde  Wirkung  auf  die  Hefe- 
zellen (§  55).  Sie  tim  das  aber  nur  in  größerer  Verdünnung;  weidet 
man  sie,  wie  E  f  f  r  o  n  t  die  Flußsäure  (Fluorammonium),  in  starker 
Konzentration  an,  so  ist  von  einer  unmittelbaren  Reizwirkung  keine 
Rede,  im  Gegenteil  würde  die  Hefe  dadurch  getötet  oder  mindestens 
ihr  Wachstum  gehemmt  werden,  wenn  es  nicht  gelänge,  sie  an  das 
Antiseptikum  zu  gewöhnen.  Das  ist  in  der  Tat  der  Fall,  man  hat 
es  nach  Effrontin  der  Hand,  dadurch  sehr  widerstandsfähige  Hefe- 
rassen zu  schaffen  und  soll  zugleich  noch  einen  zweiten  Vorteil  er- 
ringen, nämlich  viel  gärkräftigere  Hefen  gewinnen. 

Selbstverständlich  können  alle  diese  auf  der  „natürlichen  Rein- 
zucht^'  beruhenden  Methoden,  die  man  vielleicht  besser  als  Selbst- 
reinigung der  Hefe  bezeichnet,  nur  dann  auf  die  Dauer  er- 
sprießlich wirken,  wenn  man  sie  durch  die  wirkliche  Reinkultur  nach 
Hansen  beständig  überwacht. 

Diejenigen  Hefen,  die  sich  in  der  Brauerei  bewährt  haben,  pflegt 
man  „Eulturhefen"  zu  nennen.  Es  gibt  sehr  zahlreiche  Rassen,  fast 
soviel  als  Brauereien.  Wenn  man  ihre  Reinkulturen  vergleicht,  so 
findet  man  meist  nur  sehr  geringe  Unterschiede,  immerhin  sind  die 
Unterschiede,  wenn  man  allein  schon  die  Wirkung  ihrer  Produkte 
auf  den  GeschmackderVerbraucher  berücksichtigt,  nicht 
wegzuleugnen.  Zum  guten  Teil  wird  der  verschiedene  Geschmack 
allerdings  auf  der  Zusammensetzung  der  Würze  oder  Abweichungen 
in  der  Führung  der  Gärung  beruhen.  Jedenfalls  halten  die  meisten 
Brauereien  an  derjenigen  Hefe,  mit  der  sie  günstige  Erfahrungen  ge- 
macht zu  haben  glauben,  fest.  Einige  Unterschiede  sind  außerdem 
gewissermaßen  mit  Händen  zu  greifen,  da  sie  die  äußere  Erscheinung 
des  Gärungsvorganges  beeinflussen.  Hierher  gehört  die  Trennung 
der  Hefen  in  Unter-  und  Oberhefen.  Man  nennt  bekanntlich 
Untergärung  in  der  Brauerei  diejenige,  namentlich  bei  sogenannten 
bayrischen  Bieren  übliche  Gärung,  die  bei  5 — lO'^C  verläuft,  wahrend 
die  Obergärung  der  englischen,  belgischen,  französischen  und  einiger 
deutscher  Biere,  z.  B.  des  Weißbiers,  bei  12 — ^25*  erfolgt.  Bei  der 
letzteren  treiben  die  Schaumblasen  dicke  Schichten  von  Hefe  an  die 
Oberfläche,  bei  der  Untergärung  ist  diese  Deckschicht  niemals  dick 
oder  fehlt  auch  vollständig.  Man  hielt  früher  den  Temperaturunter- 
schied für  das  Wesentliche  beider  Prozesse  und  glaubte  die  Unterhefe 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  275 

in  Oberhefe  umwandeln  zu  können  und  umgekehrt.  Hansen  hat 
bewiesen,  daß  dem  nicht  so  ist,  sondern  daß  wir  es  hier  mit  Hefe- 
ab&rten  zu  tun  haben,  die  ihre  Eigenschaften  zähe  festhalten.  Die 
Unterhefe  erzeugt  auch  bei  höherer  Temperatur  nicht  die  charakteri* 
stischen  hefebedeckten  Schäume  der  Oberhefe.  Später  hat  dann  nament- 
lich B  a  u  ^)  darauf  hingewiesen,  daß  auch  chemische  Unterschiede 
zwischen  Ober-  und  Unterhefe  bestehen.  Wir  haben  bei  der  Über- 
sicht über  die  Hefepilze  (§  86)  gesehen,  daß  man  auf  Grund  der  Ver- 
schiedenheiten, die  die  Kulturhefen  in  ihrem  Qärvermögen  gegenüber 
Dextrin,  Melibiose  u.  a.  zeigen,  sie  in  ein  Sjrstem  bringen  kann. 

Auf  die  Verschiedenheit  der  Gärprodukte,  die  sich  aus  der  Zu- 
sanmiensetzung  und  Konzentration  der  Würze,  der  Größe  des  Hopfen- 
znsatzes  usw.  erklären,  können  wir  hier  natürlich  nicht  eingehen. 
Zahlreiche  Abarten  von  Bier  entstehen  auf  solche  Weise.  Interessanter 
sind  für  uns  die  Biere,  die  sich  dadurch  kennzeichnen,  daß  an  ihrer 
Erzeugung  mehrere  Kleinwesen  beteiligt  sind.  Ein  Beispiel  dafür  ist 
das  Berliner  Weißbier,  das  seinen  Alkohol-  imd  Kohlensäuregehalt 
einer  echten  Hefe,  seinen  säuerlichen  Geschmack  einem  Milch- 
säurebazillus  verdankt.  Bis  vor  kurzem  hatte  man  geglaubt, 
ein  gutes  Weißbier  könne  nur  hervorgehen  aus  einer  Würze,  die  nicht 
gekocht  sei,  weil  das  Kochen  die  Milchsäurebakterien,  die  zur  Gärung 
nötig  seien,  zerstöre,  die  richtige  Gärung  lasse  sich  auch  nicht  durch 
Reinkulturen  herbeiführen  und  die  Beife  erhalte  das  Bier  erst  durch 
die  Nachgärung  in  der  Flasche.  Es  hat  sich  aber  durch  Versuche  heraus- 
gestellt*), daß  man  es  hier  im  Grunde  nur  mit  Vorurteilen  zu  tim  hat : 
auch  in  der  Weißbierbrauerei  führt  der  Brauprozeß  zu  einem  ebenso 
guten  und  dabei  haltbaren  Erzeugnis,  wenn  man  ihn  nicht  in  der  alten 
roh  erbhrungsmäßigen,  sondern  in  der  neuen  wissenschaftlichen  Weise 
leitet,  d.  h.  die  Würze  durch  Kochen  sterilisiert,  durch  Reinkulturen 
von  Hefe  und  Milchsäurebakterien^)  vergärt  und  die  Gärung  im  Bottich 
zu  Ende  führt.  Allerdings  sind  nicht  beliebige  Milchsäurebakterien 
dazu  geeignet,  mit  Hefe  in  der  gewünschten  Art  zusammen  zu  arbeiten, 
es  bedarf  vielmehr  einer  gegenseitigen  Anpassung,  wenn  der  Erfolg 
dauernd  ein  günstiger  sein  soll.  Auch  andere  obergärige  Biere  verhalten 
sich  ähnlich  (S  c  h  ö  n  f  e  1  d). 

Diese  Symbiose  der  Bakterien  und  Hefen  bei  der  Weißbier- 
bereitung bringt  uns  auf  die  viel  erörterte  Frage,  ob  denn  nicht  in 

1)  Woch.  Brauerei  1894. 

2)  Vgl.  Schönfeld,  Woch.  f.  Brauerei  1900.  267  und  338;  1901. 
237;  0.  Neumann,  ebenda  1900.  581  und  608. 

3)  Nach  Henneberg,  Zeitechr.  f.   Spiritusind.   1903.   226   wohl 
nahe  verwandt  mit  den  BcJsterien  des  umgeschlagenen  Bieres  (s.  u.). 

18* 


276  Kap.  VI,  §  94. 

manchen  Fällen  statt  einer  Hefe  zwei  oder  mehrere  mit  Vorteil  zur 
Gärung  benutzt  werden  könnten.  Das  scheint  in  der  Tat  der  Fall 
zu  sein,  wenn  sich  die  Hefen  gegenseitig  in  ihrer  Wirkimg  ergänzen. 
So  treten  in  der  englischen  obergärigen  Brauerei  (z.  B.  Porter)  zu  den- 
jenigen Hefenrassen,  die  die  Hauptgärung  zu  besorgen  haben, 
noch  andere,  die  die  Nachgärung  bewirken.  Die  ersteren  vergärten 
nach  L  i  n  d  n  e  r  die  verschiedenen  Zucker,  aber  nicht  Dextrin,  die 
letzteren  vollenden  die  Gärung,  indem  sie  auch  Dextrin  vergären^). 

Eine  wichtige  Tatsache,  für  die  man  früher  kein  Verständnis 
hatte,  hat  auch  in  der  Periode,  die  der  Einführung  der  Reinkultur  in 
die  Brauerei  gefolgt  ist,  wenigstens  ihre  teilweise  Erklärung  gefunden, 
nämlich  die  Variation  der  Hefe,  die  im  Brauereibetriebe  statt- 
finden kann,  ohne  daß  etwa  eine  Verunreinigung  mit  anderen  Mikro- 
organismen erfolgt  wäre.  Ähnliche  Abänderungen  hat  man  ja  vielfach 
kennen  und  experimentell  auch  bis  zu  einem  gewissen  Grade  beherrschen 
gelernt,  seitdem  man  im  Laboratorium  mit  Reinkulturen  von  Hefe, 
und  Bakterien  arbeitet.  Allerdings  sind  die  Gründe  der  Erscheinung, 
die  bald  als  Rassenverbesserung,  bald  als  -Verschlechterung  auftreten, 
im  praktischen  Betriebe  meist  noch  dunkel.  Sie  kommen  und  gehen 
vorüber,  anscheinend  ohne  Ursache.  Den  Reinkulturen  als  solchen 
sind  sie  jedenfalls  nicht  in  die  Schuhe  zu  schieben,  denn  die  Beobach- 
tungen stammen,  wie  gesagt,  nicht  von  heute.  Das  beste  Heilmittel 
für  den  Fall,  daß  eine  Brauereihefe  „entartet"  ist,  besteht  auch  in  der 
Einführung  einer  neuen  Reinkultur. 

Welches  sind  denn  nun  die  Krankheiten  des  Bieres, 
vor  denen  in  erster  Linie  die  Einführung  der  Reinhefe  schützen  soll? 
Noch  P  a  s  t  e  u  r  glaubte,  daß  nur  Bakterien  als  Krankheitserreger 
in  Frage  kämen  und  gab  als  Mittel  dagegen  die  Behandlung  der  Hefe 
mit  Weinsäure  an.  Erst  Hansen  zeigte,  daß  es  sehr  böse  Schädlinge 
des  Bieres  gerade  unter  den  wilden  Hefen  gibt.  Selbst  Beimengungen 
von  Sacch.  Pastorianus  I,  die  zur  Menge  der  Kulturhefe  im  Verhältnis 
von  1  :  22  stehen,  machen  sich  noch  unangenehm  bemerkbar  durch 
den  bitteren  Geschmack  und  schlechten  Geruch,  den  sie  diesem  Bier 
verleihen.  Eine  Trübung  des  Bieres  in  den  Flaschen  verursacht  Sacch. 
Pastorianus  III  und  Sacch.  ellipsoideus  II.  Auch  andere  Forscher 
haben  ähnliche  Krankheitshefen  beobachtet,  darunter  z.  B.  W  i  1 1  '^) 
eine  Kahmhefe  (Sacch.  mycoderma),  die  obergäriges  Bier  nicht  selten 
trübt  und  entfärbt,  auch  den  Geschmack  bei  starker  Infektion  un- 
günstig beeinflußt.    Unschuldiger  Art  dagegen  sind  nach  demselben 


1)  Vgl.  auch   §  86  und  Lindner,  mikroskop.  Betriebskontrolle. 

2)  Zeitßchr.  f.  Brauwesen  1900. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  277 

Forscher  die  sogenannten  Torulaarten,  d.  h.  kleine  runde  Hefen,  die 
in  der  Brauerei  allenthalben  vorkommen,  aber  auch  bei  stärkerer  Ein- 
saat in  die  Würze  oder  das  Bier  gegen  die  Kulturhefe  nicht  aufkommen 
können. 

Die  Angaben  über  Bakterien  im  Bier  sind  älter,  so  spricht 
Pasteur  von  einem  Kokkus,  der  das  Bier  fadenziehend  mache. 
L  i  n  d  n  e  r  fand  einen  „Pediococcus  (Sarcina)  v  i  s  c  o  s  u  s" 
als  Ursache  des  Langwerdens  von  Weißbier,  v  a  n  L  a  e  r  zwei  Bazillen 
(B.  viscosus  I  und  II)  in  schleimig  verändertem  belgischem  Bier,  V  a  n  - 
dam, Brown  und  Morris^)  Kokken  und  Stäbchen  ähnlicher  Art 
im  englischen  Bier. 

Auch  für  das  „Umschlagen"  des  Bieres,  bei  dem  dieses  trübe  und 
sauer  wird  und  unangenehm  riecht  und  schmeckt,  hat  Pasteur 
die  Ursache  entdeckt  in  einem  Bazillus,  den  vanLaerim  belgischen 
Bier  wiedergefunden  und  Saccharobacillus  pastorianus 
genannt  hat.  Davon  verschieden,  aber  in  ähnlicher  Weise  wirksam 
ist  ein  anderes  Milchsäurebakterium,  der  Bac.  Lindneri,  aus 
umgeschlagenem  deutschem  Lagerbier^). 

Während  die  genannten  Arten  als  Krankheitserreger  auftreten, 
gibt  es  einige  dem  Saccharobacillus  Pastorianus  verwandte  Bakterien, 
die  absichtlich  der  Würze  zugesetzt  werden,  um  Milchsäure  zu  ent- 
wickeln. Dahin  gehören  die  schon  oben  erwähnten  Bazillen  der  Weiß- 
bierbrauerei und  der  Brennerei  (§  96). 

Trübung  und  Säuerung  verursachen  im  Bier  ferner  die  Essig- 
bakterien,  von  denen  eine  ganze  Anzahl  beschrieben  worden 
sind,  einfache  Trübimg  noch  eine  Reihe  von  Sarzinen  oder  „Pedio- 
kokkus^formen,  die  namentlich  Lindner,  Lasche  und  Schön- 
feld studiert  haben.  Freilich  kommen  die  letzteren  Organismen 
sehr  häufig  in  der  Würze  vor,  ohne  dem  Bier  gefährlich  zu  werden. 
Ob  sie  im  Bier  zum  Wachstum  kommen  oder  nicht,  scheint  von  ihrer 
Menge  und  ihrer  sehr  verschiedenen  „Virulenz"   abzuhängen. 

Wie  die  meisten  Sarzinen  verhalten  sich  auch  andere  Bakterien, 
z.  B.  Heubazillen  und  Proteusarten  (Thermobakterien  L  i  n  d  n  e  r). 
Sie  gedeihen  in  der  Würze  unter  Umständen  recht  gut,  werden  aber 
unterdrückt,  sobald  die  Hefegärung  kräftig  einsetzt. 

Zur  Vermeidung  der  genannten  Krankheiten  des  Bieres  dient  in 
erster  Linie  die  Beinkultur  der  Hefe,  hat  doch  Hansen  direkt  den 
Nachweis  führen  können,  daß  die  am  meisten  gefährlichen  wilden 
Hefen  nur  dann  zur  Wirkung  kommen,  wenn  sie  schon  in  beträchtlicher 


1)  Zit.  nach  K 1  ö  c  k  e  r ,  vgl.  auch  §  128. 

2)  Henneberg,  Zeitschr.  f.  Spiritusind.   1903.  vgl.  Lit.   §  97. 


278  Kap.  VI,  §  94  u.  95. 

Menge  und  mit  der  Kulturhefe  gleichzeitig  in  die  Würze  gelangen. 
Daneben  sind  natürlich  auch  alle  übrigen  „Infektions^gelegenheiten 
zu  beachten.  Die  Würze  wird  häufig  schon  beim  Kühlungsprozeß 
vor  dem  Zusatz  der  Hefe  infiziert  dadurch,  daß  sie  unreine  Bohre 
passiert,  in  unsaubere  Gärbottiche  gelassen  wird  oder  Luftkeime  auf- 
nimmt. Später  bleibt  die  letztgenannte  Infektionsquelle  noch  längere 
Zeit  offen  und  neue  kommen  dazu,  bis  das  Bier  fertig  ist  zum  Ver- 
brauche. Hier  ist  höchste  Sauberkeit,  wie  der  Mediziner  sagen  würde, 
ein  „ aseptischer ''  Betrieb  vonnöten.  Die  Analogie  mit  der 
Prophylaxe  der  Infektionskrankheiten  der  Tiere  und  des  Menschen 
geht  noch  weiter.  Auch  bei  der  Würze  kann  man  von  einer  Dis- 
position zur  Erkrankung  sprechen.  Ein  zu  hoher  Stickstoffgehalt 
des  Malzes  und  sogar  des  Brauwassers  soU^)  z.  B.  die  Haltbarkeit 
des  Bieres  beeinträchtigen.  Maßgebend  dafür  ist  bekanntlich  auch 
die  Innehaltung  der  richtigen  Temperatur  bei  den  einzelnen  Brau- 
prozessen und  später  die  niedrige  Temperatur  beim  Lagern  und  Auf- 
bewahren des  Bieres.  Wo  dieselbe,  wie  z.  B.  bei  dem  für  die  Tropen 
bestimmten  Ezportbier,  praktisch  nicht  durchführbar  ist,  kann  man 
dem  Bier  einen  (beschränkten)  Schutz  verleihen,  indem  man  es  durch 
Erhitzen  von  dem  größeren  Teil  der  in  ihm  noch  enthaltenen  Keime 
befreit,  d.  h.  es  zwischen  50  und  75®  „pasteurisiert"*). 

§  95.  Weinbereitung.  Die  Weinbereitung  ist  noch  nicht 
in  demselben  Maße  auf  wissenschaftlichen  Grundsätzen  durchgeführt, 
wie  die  Brauerei.  Das  liegt  offenbar  daran,  daß  die  Natur  selbst  hier 
das  wesentliche  des  Prozesses  verrichtet,  indem  sie  das  Rohmaterial 
der  Gärung,  den  Traubensaft,  in  der  richtigen  Zusammensetzung  schon 
liefert  imd  dazu  auch  auf  den  Beeren  selbst  die  Mikroorganismen 
züchtet,  die  die  Gärung  bewerkstelligen.  Immerhin  zeigt  sich  mehr 
tmd  mehr,  daß  die  neuen  Lehren,  die  die  moderne  Umgestaltung  des 
Brauereigewerbes  bewirkt  haben,  auch  nutzbringende  Anwendung 
finden  können  auf  die  Weinerzeugung.  Die  Verwendung  rein  ge- 
züchteter Hefe  hat  sich  auch  hier  bewährt,  am  frühesten  bei  der  Her- 
stellung der  Obstweine  und  des  Schaumweines,  sowie  bei 
der  ümgärung,  der  kranke  Weine  imterworfen  werden,  um  sie 
trinkbar  zu  machen,  gewinnt  aber  auch  sonst  alhni^lich  an  Boden, 
nachdem  die  Kinderkrankheiten  des  Verfahrens  überwunden  sind. 
Der  Einfluß  des  künstlichen  Hefezusatzes  ist  dann  am  größten,  wenn 
der  Most  vorher  sterilisiert  (pasteurisiert)  wird,  und  dadurch  das  un- 
kontrollierbare Hefe-  und  Bakteriengemisch,   das  imter  natürlichen 


1)  S.  Ref.  von  Moritz  in  Wochenschr.  f.  Brauerei  1900.   114. 

2)  Vgl.  in  derselben  Zeitschrift  1900.    464  und  478. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  279 

Verhältnissen  die  Gämng  begleitet»  ganz  ausgeschaltet  wird.  Die  Wahl 
der  Heferasse  ist  dabei  von  entscheidender  Wichtigkeit.  Allerdings 
hat  Müller-  Thurgau  gezeigt,  daß  man  auch  mit  Hilfe  gewöhnlicher 
Bierhefe  oder  selbst  mit  den  wilden  Hefen,  die  man  aus  der  Brauerei 
als  Krankheitshefe  kennt,  Weine  erzeugen  kann,  die  normales  Bouquet 
besitzen.  Offenbar  enthalten  die  Trauben  selbst  die  nötigen  „primären^* 
Bouquetstoffe.  Ebenso  sicher  ist  aber,  namentlich  durch  Arbeiten 
von  Wortmann  ^),  festgestellt,  daß  es  Heferassen  gibt,  die  die 
Fähigkeit  besitzen,  den  Gfeschmack  und  Geruch  des  Weins  durch  Er- 
zeugung „sekundärer"'  Boquetstoffe  zu  veredehi.  Solche  Hefen  finden 
sich  unter  natürlichen  Bedingungen  schon  auf  den  Trauben,  sie  sind 
es,  die  die  Unterschiede  der  einzelnen  Weinsorten  mit  bedingen.  Man 
braucht  also  nur  die  „Johannisberger",  „Walporzheimer",  „Pisporter" 
Hefen  zu  isolieren,  um  geeignetes,  charakteristisches  Material  für  die 
Reinzucht  zu  bekommen.  Selbstverständlich  ist  die  Zusanunensetzung 
des  Mostes  daneben  noch  von  großer  Bedeutung,  man  wird  also  aus 
einem  minderwertigen  Most  durch  die  besten  Hefen  keinen  edlen  Wein 
bekommen.  Wie  groß  indessen  der  Einfluß  der  Heferasse,  kann  man 
an  den  sogenannten  Malton  weinen  ^)  erkennen.  Diese  werden 
in  der  Weise  hergestellt,  daß  man  reines  Gerstenmalz,  also  denselben 
Rohstoff  wie  in  der  Bierbrauerei,  aber  in  stärkerer  Konzentration  ver- 
maiBcht,  dann  einer  Milchsäuregärung  künstlich  imterzieht,  um  die 
dem  Malze  fehlende  Säure  der  Traube  zu  ersetzen  und  schließlich  durch 
Südweinhefen  zur  alkoholischen  Gärung  bringt.  Das  Erzeugnis  be- 
kommt dadurch  in  der  Tat  das  Aroma  des  Portweins,  Sherrys  usw. 
Auch  das  Champagnerbouquetist  das  Produkt  einer  Hefe^), 
die  sich  auch  dadurch  kennzeichnet,  daß  sie  die  Gärflüssigkeit  kaum 
trübt  und  sich  gut  absetzt.  Bekanntlich  spielen  diese  beiden  Eigen« 
Schäften  bei  der  Herstellung  des  Schaumweins,  d.  h.  bei  der  auf  Flaschen 
stattfindenden  Nachgärung,  eine  größere,  ja  die  Hauptrolle.  Praktisch 
sehr  wichtig  ist,  daß  die  Bouquetbildung  der  reingezüchteten  Hefen 
bald  verloren  geht,  sie  müssen  daher  von  den  Champagnertrauben 
immer  frisch  gezüchtet  werden,  wenn  sie  günstig  wirken  sollen. 

Die  Benutzung  der  Beinhefe  in  der  Weinbereitung  würde  in  erster 
Linie  dazu  dienen,  die  Krankheiten  des  Weins  zu  verhüten.  Solche 
Krankheiten  hat  schon  Pasteur^)  auf  Bakterien  zurückgeführt. 


1)  Landwirtsch.  Jahrb.  1892  u.  1894;  vgl.  auch  §  90  und  zahlreiche 
Angaben  in  Kochs  Jahresber.  1890—1900 

2)  Vgl.   Sauer  u.  a.,  Zeitschr.  f.   Spiritusindustrie  1897. 
3)Cordier,  Kochs  Jahresber.    1899.    114. 

4)  ^tudes  sur  le  vin  Fcuris  1866,  2.  ^ition  1873.    Neuere  Zusammen- 


280  Kap.  VI,   §  95. 

Diese  sind  auch  sicher  dabei  in  erster  Linie  beteiligt,  indessen  haben 
die  Untersuchungen  darüber  noch  keineswegs  eindeutige  Ergebnisse 
gehabt,  da  die  Impfversuche  mit  den  reingezüchteten  Bakterien  fast 
immer  mißlingen.  Nach  H  e  i  n  z  e  kann  man  etwa  folgende  durch 
Mikroorganismen  hervorgerufene  Veränderungen  unterscheiden.  EÜgent- 
liehe  Krankheitshefen,  wie  beim  Bier,  kennt  man  nicht,  wohl  siedeln 
sich  aber  bei  reichlichem  Luftzutritt  zum  Wein  häufig  Kahmhefen 
(Sacch.  mycoderma)  auf  diesem  an  und  schädigen  ihn  dadurch,  daQ 
sie  den  Alkoholgehalt  herabsetzen,  auch  den  Greschmack  ungünstig 
beeinflussen^).  Allein  für  sich  oder  mit  Kahmhefe  zusammen  verur- 
sachen die  Essigbakterien  den  sogenannten  „Stich''  des  Weines, 
besonders  wieder  bei  ungehindertem  Luftzutritt  und  unter  Einwirkung 
höherer  Temperaturen.  Viel  größer  ist  aber  der  Schaden,  wenn  sich 
zu  ihnen  noch  Fäulnisbakterien  gesellen,  die  von  den  toten  Hefezellen 
und  den  stickstoffhaltigen  Bestandteilen  des  Wassers  leben  und  den 
„Mausgeschmack",  das  „Mäuseln"  des  Weines  oder  den  „Hefeabge- 
schmack"  erzeugen.  Welcher  von  den  zahlreichen  bekannten  Milch- 
säurebakterien  den  Milchsäurestich  oder  das  „Zickendwerden"' 
des  Weines  bedingen,  ist  noch  nicht  bekannt,  erst  seit  kürzerem  studiert 
die  Mannitgärung  des  Weines,  die  von  6  a  y  o  n  und  D  u  - 
b  o  u  r  g  auf  den  Mannitbazillus  zurückgeführt  wird.  Den  interessanten 
Reduktionsprozeß,  der  dabei  in  Erscheinimg  tritt,  besprechen  wir  an 
anderer  Stelle  (§  124,  125). 

Nach  Laborde^)  sind  die  fadenbildenden  Bakterien,  die  schon 
P  a  8  t  e  u  r  als  Erreger  der  „pousse"  oder  „toüme  du  vin"  angesehen, 
leicht  zu  kultivieren  und  zeigen  sich  nahe  verwandt  dem  Bac.  manniticus. 
In  Wein  eingesät  erzeugen  sie  allmählich  aus  der  Weinsäure  (?) 
größere  Mengen  flüchtiger  Säuren  (viel  Essigsäure  mit  weniger  Pro- 
pionsäure). 

Unter  dem  Sammelnamen  des  „Umschlagens"  oder  „Brechens" 
der  Weine  meint  man  aber  meist  Mischinfe  ktionen,  durch 
die  Weine  trübe  imd  ölig  oder  schleimig  werden,  sich  braun 
färben  und  widerwärtigen  Geschmack  annehmen.  Beschrieben  sind  als 
Schleimbildner  im  Wein  besonders  von  K  r  a  m  e  r  Bakterien  (Bac. 
viscosus  vini),  von  Meißner  Hefen  (Sacch.  viscosus).  —  Das  „Bitter- 
werden" des  Rotweines  schrieben  P  a  s  t  e  u  r  und  nach  ihm  andere 


Stellung  über  die  Krankheiten  des  Weins  bei  H  e  i  n  z  e  ,  Hygien.  Rund- 
schau 1901,  Nr.   7  und  8  niit  Lit. 

1)  Vgl.  über  die  Kahmliefe  des  Weines  auch  H  e  i  n  z  e  ,   Landwirt- 
schaftl.   Jahrb.    1901. 

2)  Compt.  rend.    138.  228,  vgl.   §   124  u.  D  u  c  1  au  x   §   147. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  281 

Forscher,  zuletzt  noch  Bordas,  Joulin  und  Raczkowski^) 
Bakterien  zu.  Nach  den  umfangreichen  Feststellungen  Wortmanns  ^) 
liegt  dazu  kein  Grund  vor,  vielmehr  scheinen  Schimmelpilze  (wie  Botry- 
tis, Penicillium),  die  teils  schon  auf  den  Beeren,  teils  im  Fasse  ange- 
siedelt sind,  aus  der  Gerbsäure  des  Weines  die  Bitterstoffe  zu  ent- 
wickeln. Schimmelpilze  sind  es  auch,  die  einen  äußerst  un- 
angenehmen Schimmelgeruch  und  -geschmack  im  Weine  erzeugen 
können.  Ebendahin  gehört  wohl  wenigstens  teilweise  der  „Stopfen- 
geschmack"  der  Flaschenweine').  Der  „Boden"-  oder  „Erd "geschmack 
mancher  Weine  ist  das  gemeinsame  Produkt  der  wilden  Hefen  (Sacch. 
apiculatus)  und  Schimmelpilze. 

Die  Schimmelpilze,  insbesondere  Botr3Üs  cinerea  und  Penicillium 
glaucum  haben  auch  insofern  eine  Bedeutung  für  die  Weinbereitung, 
als  sie  bei  reichlicher  Einsaat  die  Gärung  des  Mostes  verlangsamen. 
Nach  Behrens*)  sind  Giftstoffe,  die  sie  erzeugen,  daran  schuld. 
Auf  der  anderen  Seite  ist  die  Botr3rtis  cinerea  bekanntlich  auch  von 
Nutzen,  da  sie  die  Ursache  der  „Edelfäule"  des  Weines  ist^). 

Auch  in  den  ältesten  und  gesündesten  Flaschenweinen  kommen 
nach  Wortmann  regelmäßig  Mikroorganismen  vor,  besonders 
Hefen,  aber  auch  Bakterien.  Diese  echten  Weinhefen  sind  es,  die 
wahlscheinlich  den  Ausbau  des  Weines  in  der  Flasche  besorgen.  Was 
den  Säureverlust  anlangt,  der  in  jungen  und  alten  Weinen  sich  mehr 
oder  weniger  stark  bemerkbar  macht,  so  wird  er  verschieden  erklärt: 
neben  der  physikalischen  Wirkung  der  Weinsteinabscheidung  werden 
von  Schukow,  Wortmann  u.  a.  noch  die  Hefepilze  verant- 
wortlich gemacht*),  von  K  u  1  i  s  c  h  und  A.  Koch')  aber  spezifische 
Bakterien,  die  die  Äpfelsäure  des  Weins  verzehren.  Wenn  ungleiche 
Sauremengen  in  den  Weinen,  z.  B.  mehr  Säure  in  den  Moselweinen, 
zurückbleiben,  so  wäre  das  nach  Koch  darin  begründet,  daß  die 
säureverzehrenden  Bakterien  in  dem  einen  Weine  besser  als  in  den 


1)  Vgl.  Kochs  Jahresber.  1898.  147.  Impfungen  mit  ihrem  Bazillus 
sollen  in  sterilisiertem  Wein  die  Krankheit  erzeugt  haben.  Die  Besclirei- 
bung  des  Bakteriums  ist  sehr  unvollständig. 

2)  LandwirtBchaftl.  Jahrb.  1900. 

3)  Ebd.   1898.  631. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4.  638. 

5)  Müller-  Thurgau,  Landwirtsch.  Jahrb.   1888. 

6)  Vgl.  H  e  i  n  z  e  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  46.  324. 

7)  Kochs  Jahresber.  1897 — 1900.  Vgl.  auch  den  Mieroc.  malo- 
1  oticus  von  Seifert,  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  10.  664,  und  die  „Kahm- 
hefen" Meißners  (Landwirtsch.  Jahrb.  1901),  die  je  nach  Umständen 
Säure  entwickeln  oder  verzehren.  Bei  freiem  Luftzutritt  überwiegt  die 
Säurezerstorung. 


282  Kap.  VI,  §  96  —  97. 

anderen  fortkommen.  Diese  wie  andere  Einzelheiten  der  Weinbereitong, 
der  Einfluß  der  Temperatur,  des  Luftsauerstoffs,  verdienen  noch  gründ- 
lichere Bearbeitung.  An  Widersprüchen  fehlt  es  nicht.  So  ist  es  zwar 
verständlich,  daß  der  Wein  bei  der  Reifung,  die  ja  wohl  im  wesentlichen 
als  ein  Lebensprozeß  zu  deuten  ist,  einer  nicht  zu  niederen  Temperatur 
ausgesetzt  werden  darf,  warum  er  aber,  nachdem  er  die  volle  Beife 
erlangt,  nicht  bei  der  niedersten  für  die  Eonservierung  geeigneten 
Temperatur  gehalten  werden  soll,  ist  nicht  recht  verständlich.  Etwas 
klarer  sind  die  Vorschriften  über  den  Sauerstoäzutritt  zum  Wein. 
Im  allgemeinen  wird  bei  der  Lagerung  des  Weins  die  Luft  streng  ab- 
geschlossen, weil  dadurch  nicht  nur  die  Lifektion,  sondern  vor  allem 
auch  das  Wachstum  der  schon  im  Wein  befindlichen  sauerstoffliebenden 
Eahmhefe  und  Essigbakterien  begünstigt  wird;  bei  dem  wiederholten 
Umstechen  in  andere  Fässer  soll  dagegen  die  Lüftung  eine  vollkom- 
menere sein,  damit  die  Organismen,  denen  der  weitere  Ausbau  des 
Weines  obliegt,  nun  zur  Tätigkeit  angeregt  werden.  Je  reifer  der  Wein 
wird,  desto  weniger  nötig  ist  die  Lüftimg  und  soll  bei  der  Füllung  in 
Flaschen  überhaupt  unterbleiben. 

Das  sicherste  Mittel  gegen  das  Auftreten  von  Krankheitserregern 
im  Wein  ist  die  Einführung  der  Hefereinkultur,  aber  schon  die  saubere 
imd  sorgfältige  Eellerbehandlung  kann  viel  leisten.  Ist  die  Erankheit 
einmal  ausgebrochen,  so  kommen  als  Heilmittel  mannigfache  Ver- 
fahren in  Frage,  das  Schönen  durch  niederschlagende  Substanzen 
(Hausenblase),  das  Durchschütteln  mit  absorbierenden  Stoffen  (Holz- 
kohle, Olivenöl),  das  Filtrieren  und  Pasteurisieren.  In  manchen  Fällen 
kann  die  fehlerhafte  Gärung  ausgeglichen  werden  durch  eine  Nach- 
gärung mit  Beinhefe. 

§  96.  Branntweinbrennerei.  Das  dritte  Gärungsgewerbe,  die 
Brennerei,  bietet  für  uns  wenig  interessante  Dinge,  die  nicht  schon 
bei  der  Brauerei  Besprechung  gefimden  hätten.  Besonders  wichtig 
geworden  und  vergleichbar  dem  oben  geschilderten  Verfahren  bei  der 
Weißbierbrauerei  ist  die  Benutzung  von  Reinkulturen  der  langen 
Milchsäurebazillen  (L  a  f  a  r)  zur  Herstellung  des  sog.  Hefegutes,  d.  h. 
der  Vorkultur  der  Hefe,  mit  der  die  Brennereimaische  geimpft  wird. 
Die  Milchsäurebazillen  dienen  hier  freilich  nicht  zur  Erzeugung  eines 
bestimmten  Geschmackes,  sondern  nur  zur  Sicherung  und  Förderung 
des  Hefe  Wachstums  (vgl.   §  111). 

Vielleicht  steht  dem  Brennereibetriebe  eine  weitere  Umwälzung 
bevor  durch  Einführung  der  Pilzdiastasean  Stelle  des  Gerstenmalzes. 
Viele  Schimmelpilze  sind  nämlich  imstande,  starke  diastatische  Fer- 
mente  zu  bilden.    So  werden  in  asiatischen  Ländern  M  u  c  o  r  -  und 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  283 

Aspergillus arten^)  im  weitesten  Umfange  zur  Verzuckerung 
des  Reises  als  Vorbereitung  der  alkoholischen  Gärung  benutzt.  Die 
„chinesiBche  Hefe''  konmit  nach  Calmettein  den  Handel  in  Gestalt 
kleiner  grauer  Kuchen,  die  aus  allerhand  aromatischen  Drogen  und 
Reismehl  gemischt  sind  imd  die  Sporen  des  Mucor  (Amylomyces) 
R  o  u  X  i  i  neben  Hefe  und  Bakterien  enthalten.  Grekochter  Reis  wird 
mit  einem  Pulver  dieser  Hefe  bestreut  und  überzieht  sich  bald  mit  dem 
Myzel  des  genannten  Pilzes,  der  die  Stärke  in  Dextrin  und  Zucker 
überführt.  Die  Hefe  vergärt  dann  den  Zucker  zu  Alkohol.  W  e  h  m  e  r 
gibt  eine  ähnliche  Beschreibung  von  dem  auf  dem  malayischen  Archipel 
als  Veigärungsmittel  benutzten  „Ragi'',  das  den  Mucor  javanicus  als 
wirksamen  Bestandteil  enthält.  Auch  der  in  Ost-  und  Mittelasien 
als  Genußmittel  weit  verbreitete  Reiswein,  der,  weil  er  sehr  viel 
Alkohol  enthält  imd  heiß  getrunken  wird,  besser  Reispunsch  zu  nennen 
ist,  der  „Sak^"'  der  Japaner,  wird  nach  K  e  1 1  n  e  r  u.  a.  in  der  gleichen 
Weise  hergestellt,  nur  daß  hier  als  Diastase  der  Aspergillus  oryzae 
dient.  Derselbe  Pilz  wird  auch  benutzt  zur  Fabrikation  der  Soja, 
einer  Art  Sauce  aus  Bohnen  und  Weizen,  die  durch  einen  viele  Monate 
und  Jahre  lang  dauernden  langsamen  Gärungsprozeß  gewonnen  wird, 
ebenso  wird  das  M  i  s  o  ,  ein  steifer  Brei  aus  Bohnen,  Reis  oder  Gerste, 
der  in  der  Ernährung  der  niederen  Klassen  in  Japan  eine  Rolle  spielt, 
erzeugt.  Neuerdings  hat  man  die  genannten  Pilze  auch  in  Europa 
eingeführt  als  Ersatz  des  Malzes  in  Brennereien. 

§  96a.   Aus  Mischgärnngen  hervorgehende  Genußmittel. 

Die  letztgenannten  Produkte  leiten  zu  anderen  Nahrungs-  imd  Genuß- 
mitteln hinüber,  bei  deren  Herstellung  neben  der  Alkoholgärung  noch 
saure  Gärungsprozesse  mehr  oder  weniger  im  Vordergrund  stehen: 
auBer  dem  schon  §  94  genannten  Berliner  Weißbier  wäre  hier  das 
Brüsseler  Lambic  und  Erickenbier,  der  englischen  Ingwerwein,  das 
Hirsebier  der  Neger  (P  o  m  b  e  in  Ostafrika),  der  russische  Kwas,  der 
Sauerteig  des  Brotes  aller  Völker,  das  deutsche  Sauerkraut,  der  tatarische 
Kumys,  der  kaukasische  Kefyr,  der  armenische  Mazun,  das  ägyptische 
Leben  zu  nennen.  Der  letzteren  aus  Milch  bereiteten  Getränke  wurde 
schon  gedacht  bei  der  Hydrolyse  des  Milchzuckers  {§  82),  von  ihnen 
und  den  übrigen  wird  noch  weiter  die  Rede  sein  bei  der  Milchsäure- 
gärung (§  111). 

§97.  Milchsänre-  und  gemischte  saure  Gärungen.  Obwohl 
das  Sauerwerden  der  Milch  derjenige  Gärvorgang  ist,  der  den  Menschen 
am  frühesten  bekannt  werden  mußte,  hat  man  seine  wahre  Natur  erst 
sehr  spät  erkannt.   Erziehen  zählt  ihn  z.  B.  noch  im  Jahre  1784 


1)  Vgl.  Lit.  8.  218. 


284  Kftp.  VI,   §  97. 

in  seinen  ,,Anfang8gründen  der  Chemie''  nicht  einmal  zu  den  eigent- 
lichen Gärungen.  Um  diese  Zeit  wurde  erst  durch  Scheele  die 
Entdeckung  gemacht,  daß  die  Milchsäure  eine  Säure  besonderer  Art 
ist.  Auch  als  später  durch  Cagniard- Latour,  Schwann 
imd  namentlich  K  ü  t  z  i  n  g  die  Gärungen  als  Äußerungen  kleinster 
Lebewesen  erkannt  waren,  wurde  diese  Vorstellung  noch  nicht  auf 
die  Milchsäuregärung  übertragen.  Teilweise  war  schuld  daran  die  Tat- 
sache, daß  die  Milchsäurebakterien  dem  bewaffneten  Auge  nicht  so 
auffallen,  wie  die  Hefe  im  Biere,  die  „Mutter"  im  Essig,  die  „Infu- 
sorien'' der  Fäulnis.  Außerdem  war  der  Beweis,  daß  auch  die  Milch- 
säuregärung auf  lebende  Erreger  zurückzuführen  sei,  nicht  so  leicht 
zu  führen.  Mußten  doch  alle  Forscher,  die  sich  mit  den  Zersetzungen 
der  Milch  beschäftigten,  die  Beobachtung  machen,  daß  das  Kochen 
durchaus  kein  sicheres  Mittel  ist,  um  diese  zu  verhindern^).  Erst 
Pasteur^)  hat  seit  1857  diese  letzteren  Schwierigkeiten  überwinden 
gelehrt.  Er  machte  durch  Erhitzung  auf  über  100^  unter  Druck  die 
Milch  auf  die  Dauer  keimfrei,  beschrieb  übrigens  auch  schon  unter 
dem  Namen  der  Milchsäurehefe  ein  Bakterium,  das  eine  Milchgärung 
verusacht.  Die  Reinzüchtung  der  Milchsäurebakterien  gelang  aber  erat 
viel  später.  In  ziemlich  reinem  Zustand  in  Händen  gehabt  hat  sie  schon 
L  i  s  t  e  r  ^),  doch  konnte  seine  Methode  —  die  Züchtung  in  flüssigen 
Nährmedien  — ,  keine  sichere  Gewähr  bieten.  Selbst  H  ü  p  p  e  *) , 
der  zuerst  die  Koch  sehe  Methode  der  Reinkultur  auf  festen  Nähr- 
böden auf  die  Untersuchung  der  Milch  anwandte,  hatte  insofern  kein 
Glück,  als  es  ihm  nicht  gelang,  den  gewöhnlichen  Erreger  der  Milch- 
säuregärung zu  isolieren.  Sein  Bac.  acidi  lactici  ist,  wie  später  fest- 
gestellt wurde,  ein  zwar  leichter  züchtbarer,  aber  nur  verhältnismäßig 
seltener  und  nebensächlicher  Begleiter  der  Milchsäuregärung,  der  mit 
dem  von  Escherich  beschriebenen  Bact.  (lactis)  aerogenes  aus  dem 
Milchkot  der  Säuglinge  identisch  ist.  Von  den  meisten  späteren  For- 
schern wurden  die  H  ü  p  p  e  sehen  Ergebnisse  ohne  weiteres  über- 
nommen, es  kam  dadurch  zu  einer  bösen  Verwirrung,  die  sich  nicht 
bloß  auf  die  Namen  und  die  Beschreibung  der  Milchsäureerreger,  son- 
dern auf  die  Auffassung  der  Gärung  selbst  erstreckte.  Zunächst  war 
es   ein   großer   Fortschritt,   als   Leichmann,   sovrie    Günther 


1 )  Vgl.   z.   B.    Schröder  iind  von  Dusch,   Liebigs  Annal.  89 
und  99  (1854  und   1859). 

2)  Compt.  rend.   45.  913;  47.   224;    48.   337  und  1149;  50.   849  und 
Ann.  ehim.  et  phys.  64,  1862,  p.  58. 

3)  Transactiona  of  the  Pathol.   Soc.  London  1878. 

4)  Mitt.  K.   Gesundheitsamt  2,   1884. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  285 

und  Thiepfelder*)die  wirklichen  Erreger  der  gewöhnlichen  Milch- 
säuregärong  isolierten  und  ziemlich  richtig  beschrieben.  Die  letzteren 
Forscher  identifizierten  leider  selbst  ihre  Bakterien  mit  den  H  ü  p  p  e  - 
sehen.  Leichmann  ^)  erkannte  zwar  die  Verschiedenheit  seiner  Bak- 
terien von  dem  Bac.  acidi  lactici  Hüppes,  hatte  aber  die  unglückliche 
Idee,  sie  als  Bacterium  lactis  acidi  zu  bezeichnen.  Die  Verwirrung 
Würde  noch  gesteigert,  als  etwa  gleichzeitig  Lehmann  und  N  e  u  - 
mann  in  ihrem  Grundriß  der  Bakteriologie  (1896)  das  neue  Bak- 
terium als  Bact.  Güntheri,  und  ich  selbst  in  der  3.  Auflage  der  Flügge- 
schen  Mikroorganismen  als  Bacillus  lacticus  benannten,  femer  L  e  i  c  h  * 
m  a  n  n  ^)  einen  auf  den  ersten  Blick  gänzlich  verschiedenen  Mikro- 
organismus, der  auch  Milchsäuregärung  erzeugt  —  den  langen  Milch- 
säurebacilluB  (s.  u.)  —  als  Bacillus  lactis  acidi  bezeichnete.  Daneben 
haben  eine  ganze  Anzahl  von  Forschem  noch  Kokken  als  Mikrokokkus, 
Streptokokkus,  Bacillus  acidi  paralactici,  Micrococcus  lactis  acidi, 
Micrococcus  ovalis,  Enterococcus,  Lactococcus  usw.  als  besondere 
Bakterien  beschrieben,  die  Milchsäuregärung  erzeugen. 

Diese  Verwirrung  hat  den  Verfasser  zu  eigenen  Untersuchungen 
über  die  Milchsäuregärung*)  veranlaßt.  Ihr  Ergebnis  ist  ebenso  über- 
raschend als  erfreulich:  die  meisten  der  genannten  Mikroorganismen 
sind  in  den  wesentlichen  Eigenschaften  miteinander  identisch,  die 
früher  als  Bazillen  aufgeführten  verdienen  diesen  Namen  nicht, 
sondern  sind  echte  Streptokokken,  die  den  lanzett- 
förmigen Pneu  m  onie  k  ok  k  e  n  ihrer  Gestalt  nach 
meist  sehr  ähnlich  sind,  im  übrigen  aber  viele 
Abarten  bilden.  Man  könnte  sie  am  besten  als  Strepto- 
coccus lacticus^)  zusammenfassen.    Wenn  hierdurch  eine  Ver- 


l)'Arch.  f.  Hyg.  25.   1895. 

2)  Milchzeitung  1894. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.  777. 

4)  Kruse,  Zentralbl.  Bakt.  34,  1903.  Vgl.  auch  H  ö  1 1  i  n  g  s 
niHdizinische  Diasertation,  Bonn  1904. 

5)  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  nennen  sie  in  der  3.  Auflage 
ihres  Grundrisses  aus  Prioritätsgründen  Strept.  Güntheri.  Der  Name  ist 
mindestens  unpraktisch.  Vgl.  auch  Weigmann  in  Lafars  Handb.  2 
(Lit.)  und  L  ö  h  n  i  8  ,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  18.  100,  Zeile  15.  Noch  weniger 
empfehlenswert  ist  es  natürlich,  mit  Beijerinck  (Zeitschr.  f.  Spiritus- 
industrie 1902.  631)  den  Strept.  lacticus  als  ,, Lactococcus"  zu  bezeichnen. 
Wieder  aus  Prioritätsgründen  wählen  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n 
in  der  4.  Auflage  (1907)  den  Namen  Strept.  acidi  lactici  und  Löhnis 
K^ht  mit  seinem  Strept.  leu^tis  sogar  auf  L  i  s  t  o  r  zurück  (Zentr.  Bakt. 
•2.  Abt.  22.  253,  1909).  Wenn  man  durchaus  aus  diese  recht  zweifelhaften 
Prioritätsansprüche  den  Hauptwert  legen  wollte,  so  käme  noch  der  Strept. 
(Micr.)  ovalis  Escherichs  (1886)  in  Betracht.    Unverständlich  ist  es. 


286  Kap.  VI.  S  »7. 

einfachimg  erzielt  ist,  so  bleibt  trotzdem  die  Tatsache  bestehen,  daß 
es  außer  den  gewöhnlichen  Milchsäurebakterien 
noch  eine  große  An  zahl  sicher  von  ihnen  verschie- 
dener Bakterien  gibt,  die  ebenfalls  Milchsäure- 
gärung zu  erzeugen  imstande  sind.  Dazu  gehört  in 
erster  Linie  außer  dem  Hüppe-Escherichschen  Bac.  (Bact.) 
aerogenes^),  der  oben  erwähnte  Bacillus  lactis  acidi  L e i c h - 
m  a  n  n  s ,  der  wahrscheinlich  dem  in  Brennereimaischen  sehr  ver- 
breiteten Bac.  acidificus  longissimus  Lafars'),  dem  Bac.  Delbrückii 
Leichmanns')  und  anderen  „langen'^  Milchsäurebazillen*)  sehr 
nahe  steht  und  schließlich  die  von  Gorini  ^)  als  Säure-Lab- 
bildner zusammengefaßten  verflüssigenden  Milchbakterien.  Wir 
hätten  damit  vier  Hauptgruppen  von  Milchsäurebildnem^). 

Die  erste  Gruppe  des  Streptococcus  lacticus 
charakterisiert  sich  durch  ihre  Streptokokkennatur,  d.  h.  Auftreten 
in  Form  von  Diplokokken  und  Ketten  verschiedener  Länge,  Gramfestig- 
keit, verhältnismäßig  spärliches,  auch  unter  Sauerstoffabschluß  ziem- 
lich gleichmäßiges  Wachstum,  den  Mangel  des  Peptonisierungsver- 
mögens.  Hierher  gehören  außer  den  gewöhnlichen  Streptokokken  der 
Milch  (Str.  lacticus)  auch  die  beiden  parasitischen  Streptokokkenarten, 
der  Streptococcus  lanceolatus  (Pneumokokkus),  und  der 
Streptococcus  pyo.genes ,  sowie  der  zwischen  ihnen  stehende 
Enterokokkus  der  französischen  Forscher  (T  h  i  e  r  c  e  1  i  n), 
d.  h.  die  gemeinen  Darmstreptokokken'').  Eine  scharfe  Tren- 
nung der  drei  Hauptarten  von  Streptokokken, 
des  Strept.  pyogenes,  lanceolatus  und  lacticus 
ist  nicht  möglich,  da  alle  Übergänge  zwischen  ihnen  unter 
natürlichen    Bedingungen    vorkommen,    und    auch    ihre    Variabilität 


wie  L.  Müller  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  17,  1907)  und  A.  W  o  1  f  f  (ebenda. 
24,  1909)  immer  noch  von  einem  ,, Bakterium"  —  letzterer  schlägt  Bact. 
Leichmanni  vor  —  sprechen  können,  obwohl  der  erstere  doch  selbst  die 
schönsten  Beweise  für  die  enge  Verwandtschaft  mit  Streptokokken  er- 
bracht hat. 

1 )  AerobeM^ter  Beijerinck,  Bact.  acidi  lactici  Lehmann- 
Neumann  (1907). 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.   194,  1896;  7.  871. 

3)  Ebenda  2.  281  Zeitschr.  f.  Spiritusindustrie  1896.  305. 

4)  Lactobacillus  Beijerinck. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8.   137,  1902. 

6)  Auch  Löhnis  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  18.  97)  kommt  zu  einer 
ähnlichen  Einteilung,  wenn  er  die  Gruppen  auch  etwas  anders  benennt. 
Man  vergleiche  die  dort  gegebenen  Beschreibungen  mit  Lit. 

7)  Vgl.  bei  Kruse. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  287 

unter  künstlichen  Bedingungen  sehr  erheblich  ist.  Das  hindert  nicht, 
daB  ihre  typischen  Vertreter  sich  gut  unterscheiden  lassen.  Auch  Über- 
gänge zu  den  anderen  Gruppen  kommen  vor,  so  gibt  es  verflüssigende, 
labbildende  Streptokokken  (s.  4.  Gruppe),  gramnegative  Strepto- 
kokken und  grampositive  kurze  Bazillen,  die  sich  sonst  durch  ihre 
Eigenschaften  der  dritten  Gruppe  (des  Aerogenes)  nahem.  Schließlich 
ist  die  stammesgeschichtliche  Verwandtschaft  der  Streptokokken  und 
langen  Milchsaurebazillen  (s.  2.  Gruppe)  nicht  zu  verkennen  (§  359) 
and  es  werden  sich  wohl  Zwischenglieder  zwischen  beiden  auffinden 
lassen.  Das  Säurebildungsvermögen  wechselt  sehr  bedeutend,  nament- 
lich auch  ihr  Verhalten  zu  den  einzelnen  Zuckerarten  (vgl.  §  100). 
Der  typische  Strept.  lacticus  kommt  nicht  nur  in  Milch,  sondern  auch 
in  anderen  pflanzlichen  Stofien  (§  111),  z.  B.  in  Gras,  Sauerkraut, 
sauren  Rübenschnitzeln^)  und  im  Darmkanal  (s.  o.  Enterokokkus) 
sehr  gewöhnlich  vor.  Soweit  Grasbildung  (bei  Sauerstoffabschluß) 
überhaupt  beobachtet  wird,  handelt  es  sich  nur  um  Kohlensäure. 

Die  zweite  Gruppe,  die  wir  die  langen  Milchsäure- 
bazillen (am  liebsten  würden  wir  jetzt  sagen  Bacillus  lac- 
ticus) nennen  wollen,  umfaßt  grampositive,  fakultativ  anaerobe, 
nicht  verflüssigende  und  nicht  sporenbildende  schlanke,  oft  faden- 
oder  kettenbildende  Bazillen.  Auch  sie  scheinen  wie  der  Streptococcus 
lacticus  zahlreiche  Abarten  zu  bilden  und  sehr  verbreitet  zu  sein, 
sind  aber  bei  uns  seltener  in  Milch  als  in  den  anderen  der  sauren  Gärung 
verfallenen  Stoffen  pflanzlichen  Ursprunges,  wie  namentlich  der 
Brenneieimaische,  dem  Weißbier  und  umgeschlagenen  Bier  (Saccha- 
robac.  pastorianus,  Bac.  Lindneri  Henneberg  ^))  zu  finden.  Nachneueren 
Forschungen  spielen  sie  allerdings  auch  in  manchen  ausländischen 
Milcherzeugnissen,  z.  B.  dem  kaukasischen  Eefyr  (Bacillus  caucasicus  von 
Freudenreich'),  Lactobacillus  caucasicus  Bei] erinck*)),  dem  arme- 
nischen Mazun  (Bakterium  Mazun  Weigmann,  Gruber  und  Huß^)), 
dem  äygptischen  Leben  (Bacillus  Lebenis,  Streptobacillus  lebenis  Rist 


1)  Hier  zum  Teil  unter  besonderem  Namen  beschrieben.  Vgl.  Baet. 
braasicae  W  e  h  m  e  r  ,  Bact.  pabuli  acidi  bei  Weiß,  Göttinger  phil. 
Dissertation  1898.  Dahin  gehört  auch  der  Strept.  casei.  Der  Strept.  hol- 
landicus  (Bact.  lactis  longi)  zeichnet  sich  durch  Schleimbildiing  aus  (§  128). 
Über  Bact.  und  Bac.  acidi  propionici  vgl.   §  109  u.   142. 

2)  Zeitschr.  f.  Spiritusind.  1903.  226  vgl.  hierzu  und  zu  dem  folgenden 
die  Abschnitte  über  Gärungsgewerbe  §  94,  95,  96,  111  u.  178. 

3)  Landwirtsch.  Jahrb.  d.  Schweiz  1896. 

4)  Zeitschr.  f.  Spiritusindustrie  1902.  533. 
6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  19.  78. 


288  Kap.  VI,  {  97. 

und  K  h  o  u  r  y  ^)) ,  dem  bulgarischen  oder  türkischen  Yoghurt  (Bac. 
bulgaricus  Metschnikoff^))  eine  Hauptrolle  als  Säurebildner. 
Ebenfalls  hierher  gehören  anscheinend  die  Käsebakterien  Bac.  casei 
ß,  7,  €  (von  Freudenreich^))  und  Bacterium  casei  I — ^III 
(L  e  i  c  h  m  a  n  n  und  Bazarewski  *)),  Die  auf  Schleimhäuten 
(Magen,  Darm,  Scheide)  der  Säugetiere  und  Menschen  regelmäßig 
schmarotzenden  Bac.  acidophilus  (M  o  r  o) ,  der  Bac.  bifidus  (T  i  s  - 
sier),  die  Boas-Oppler sehen  „langen  Milchsäurebazillen"  des 
Magens  (Bact.  gastrophilum,  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  ^)), 
der  Bacillus  vaginalis  Döderleins^)  haben  ebenfalls  mehr  oder 
weniger  große  Verwandtschaft  zueinander  und  zu  dieser  Gruppe 
Auch  hier  zeigen  sich  aber  große  Unterschiede  im  Gärvermögen  sowohl 
dem  Grrade  nach  als  in  dem  Verhalten  gegenüber  den  einzelnen  Zucker- 
arten (§  100).  Ebenso  ist  das  Sauerstoffbedürfnis  nicht  überall  gleich. 
Der  Bac.  bifidus  gehört  z.  B.  zu  den  strengen  Änaeroben.  Ebenso  ist 
das  Temperaturbedürfnis  verschieden.  Ein  großer  Teil  der  langen 
Bazillen  zeichnet  sich  vor  den  Milchsäurestreptokokken  dadurch  aus, 
daß  er  bei  Temperaturen  von  40  bis  50®  am  besten  gedeiht,  andere 
lieben  wieder  niedere  Temperaturen.  Gasbildung  findet  gewöhnlich 
nicht  statt,  doch  erwähnt  z.  B.  Beijerinck  solche  für  seinen  Lacto- 
bacillus  fermentum.  Jedenfalls  handelt  es  sich  wie  bei  den  Strepto- 
kokken nur  um  Kohlensäure  ( §  104).  Nach  Beijerinck  u.  a. 
bilden  die  langen  Milchsäurebazillen  ferner  mehr  oder  weniger  reichlich 
Mannit  aus  Lävulose  (§  124  ff.). 

Manche  Zweifel  bestehen  noch  über  das  Verhalten  dieser  Bakterien- 
gruppe (sowie  übrigens  auch  der  Streptokokken)  zu  dem  Eiweiß.  Nach 
von  Freudenreich  würden  die  Käsebazillen,  obwohl  sie  nicht 
imstande  sind,  die  Gelatine  zu  verflüssigen,  das  Pepton  stark  angreifen 
imd  so  zu  der  Käsereifung  (§  178)  beitragen,  nach  Bertrand  und 
Weisweiller')  soll  auch  der  Bac.  bulgaricus  Kasein  lösen,  nach 


1)  Annal,  Pasteiir  1902,  vgl.  Severin,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  22. 
3,   1908. 

2)  Lit.  darüber  bei  Luerssen  und  Kühn,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
20.  234,  1908;  Klotz  und  K  u  n  t  z  e  ebenda  21,  Severin  ebenda  22. 
Es  kommen  Varietäten  vor. 

3)  Landwirtsch.  Jahrb.  der  Schweiz  1894 — 99;  von  Freuden- 
reich und  T  h  ö  n  y  ebenda   1904. 

4)  Zentr.  Bakt.'  2.  Abt.  6.  245,   1900. 

.5)  Atlas  und  Grundriß  der  Bakt.  3.  Aufl.  1904,  vgl.  auch  Henne- 
b  e  r  ^  a.  a.  O.  und  Sandberg,  Z.  klin.  Mediz.  51,   1903. 

6)  Nach  eigenen  Untersuchungen  und  den  Arbeiten  von  R  o  d  e  1 1  a 
(Zentr.  Bakt.  1.  Abt.  47.  445),  K  u  n  t  z  o  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt,  21.  737)  u.  a. 

7)  Annal.  Pasteur  1906. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  289 

S  i  c  k  ^)  und  Rodella  ^)  der  Bac.  acidophilus  sogar  die  Milchsäure 
aus  dem  Eiweiß  bilden.  Wenn  sich  das  als  richtig  herausstellte,  würde 
sich  auf  den  ersten  Blick  ein  tiefgehender  Gegensatz  zwischen  dem 
Acidophilus  und  den  übrigen  Bakterien,  die  sicher  die  Milchsäure  aus 
Kohlehydraten  erzeugen,  ergeben.  Indessen  liegen  auch  sonst  Er- 
{ahnmgen  vor,  die  für  eine  gleichzeitige  Entwicklung  von  Milchsäure 
aus  Zucker  und  Eiweiß  sprechen'). 

Die  dritte  Gruppe  des  Bacillus  aerogenes  um? 
faßt  auch  die  gewöhnlichen  Darmbewohner  Bac.  coli  communis  sowie 
deren  beider  Verwandte,  nämlich  einerseits  die  Bac.  pneumoniae 
(Friedländer),  ozaenae,  rhinoscleromatis,  dysenteriae,  pseudo- 
dvBenteriae,  andererseits  die  Bac.  paratyphi,  typhi.  Es  sind  teils  unbe- 
wegliche, teils  bewegliche,  gramnegative,  Gelatine  nicht  verflüssigende 
und  nicht  sporenbildende  Bazillen,  die  im  übrigen  erhebliche  Unter* 
schiede  zeigen  imd  nur  zum  Teil,  wie  der  Bac.  aerogenes  selbst,  den 
Zucker  unter  Gasbildung  (Kohlensäure  und  Wasserstoff)  zer- 
setzen. Vielfach,  bei  den  pathogenen  gewöhnlich,  bleibt  gerade  der 
Milchzucker  von  ihnen  unberührt  (§  100),  und  bei  den  pathogenen 
fehlt  auch  oft  die  Gasbildung.  Die  Milchsäure  tritt  häufig  hinter  den 
anderen  Erzeugnissen  zurück,  ist  übrigens  noch  nicht  überall  unter 
den  sauren  Produkten  ausdrücklich  festgestellt  worden. 

Die  vierte  und  letzte  Gruppe,  die  der  Säurelab- 
bildner Gorinis,  ist  die  am  wenigsten  natürliche.  In  der  Tat 
umfaßt  sie  verflüiasigende  Streptokokken,  z.  B.  den  Streptoc.  coli 
gracilis  Escherichs,  einen  Streptokokkus  aus  Cheddarkäse 
fBockhout  und  de  V r  i  e s  *))  und  aus  Bienen- Sauerbrut  (B  u r  r  l,: 
L.  Müller*)),  den  Staphylococcus  pyogenes,  Micr.  acidi  lactici 
Krüger*),  Micr.  acidi  paralactici  liquefaciens  Halensis  K  o  z  a  i ') 
und  ähnliche  von  Gorini,  von  Freudenrei  c  husw.  beschriebene 
Fonnen,  Sarzinen  aus  Käse  (A  d  a  m  e  t  z  ^))  und  alkoholischen  Flüssig- 
keiten (Lind  n  er®),  Saito^®)),  Bazillen  aus  den  verschiedensten 
Abteilungen,  z.  B.  Bac.  cloacae,  Proteus  vulgaris,  prodigiosus,  vielleicht 

1)  Deutsch.  Arch.  f.  klin.  Med.  86,  1906. 

2)  S.  Anm.  6)  auf  S.  288. 

3)  Vgl.   §  168  u.   174. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  12.  587,   1904. 

5)  Ebenda  17.  640,  1907. 

6)  Zentr.  Bakt.   1.  Abt.  7.   19.   1890. 

7)  Zeitschr.  f.  Hyg.  31  und  38. 

8)  Landwirtsch.  Jahrb.   18.  89.  250. 

9)  Zeitschr.  f.  Hpiritusindtistrie  1887.  369  „Pediococcus  acidi  lactici** 
auÄ  Brennereunaisohe,  vgl.  Henneberg  ebenda  1901.  371  und  1903.  226. 

10)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   17.  20. . 

Kruse,  Mikrobiologie.  19 


290  Kap.  VI,   §  91  u.  98. 

auch  Heubazillen  und  ähnliche  aerobe  Sporenbildner^),  ferner  außei 
den  Buttersäurebazillen  auch  andere  Anaerobier,  wie  den 
Bac.  des  malignen  Ödems  (§  113),  Spirillen  der  Cholera  und  Verwandte*). 
Die  Übergänge  zu  den  früheren  Gruppen,  z.  B.  durch  die  verfliissigen* 
den  Streptokokken  und  den  Bac.  cloacae  zum  Streptococcus  lacticus 
und  Bac.  aerogenes  liegen  auf  der  Hand.  Soweit  es  sich  hier  um  strenge 
Aerobier  handelt,  bleibt  freilich  die  Milchsäurebildung  in  engen  Grenzen 
und  ist  in  ihrem  Ursprung  auch  noch  wenig  studiert. 

Sieht  man  sich  diese  Übersicht  an,  so  bemerkt  man,  daß  kaum 
eine  der  bekannten  Bakteriengruppen  der  Fähigkeit,  Milchsäure  zu 
erzeugen,  völlig  entbehrt.  Nur  scheinbar  fehlt  sie  vielleicht  gewöhnlich 
den  Strahlenpilzen^)  und  echten  Pilzen  wie  auch  der  Hefe.  Denn  die 
Entdeckung  von  Ahrens,  E.  Buchner  imd  Meisenheimei 
(§  90),  daß  die  Zymasegärung  unter  Bildimg  von  Milchsäure,  die  Gärung 
lebender  Hefe  ohne  solche  erfolgt,  ist  möglicherweise  dahin  zu  deuten, 
daß  die  Milchsäuregärung  hier  nur  intrazellulär  vor  sich  geht,  ähnlich 
wie  etwa  die  hydrol}rtische  Spaltung  des  Rohrzuckers  durch  Monilia 
Candida (S. 235).  DaßdieMilchsäuregärungsogareine 
allgemeine  Eigenschaft  des  Protoplasmas  ist, 
könnte  man  aus  den  neueren  Erfahrungen,  die  S  t  o  k  1  a  s  a  ^)  u.  a. 
beim  Studium  der  Organsäfte  höherer  Tiere  und  Pflanzen  gemacht 
haben,  folgern. 

§  98.  Verschiedene  Arten  der  sauren  Gärung.  Wie  wir  ge- 
sehen haben,  daß  die  alkoholische  Gärung  der  Hefe  ein  im  wesentlichen 
chemisch  einheitlicher^)  Vorgang  ist,  gibt  es  auch  einzelne  Bakterien- 
arten (Streptokokken  und  lange  Bazillen,  s.  u.  §  99),  die  den  Zucker 
nach  der  Formel 

1)    CeHi^Oe  =  2  CgHeOg  (+  15  Kai.«)), 
d.  h.  ein  Molekül  Traubenzucker  in  zwei  Moleküle  Milchsäure,  oder, 
wie  man  es  in  der  Milch  beobachtet,  nach  der  Formel 

la)     CigHgAi  +  HaO^iCgHeOa, 

1)  Vgl.  bei  der  anaeroben  Essigsäuregärung  (§  103),  der  Vergärung 
des  Glyzerins  (§  131)  der  Milchsäure  (§  142),  der  Schleimgärung  (§  128). 

2)  Beispiele  s.   S.  307  u.  308. 

3)  Der  Diphtheriebazillus,  der  den  Aktinomyzeten  nahesteht,  bildet 
aber  Milchsäure  (§  102),  der  Bac.  tuberculosis  humanae  wenigstens  aus 
Glyzerin  Säure  (Th.  Smith,  Joum.  med.  research.  1905). 

4)  Vgl.    §  101. 

6)  Betrachtet  man  die  alkoholische  Gärung  im  allgemeinen,  d.  h. 
schließt  man  auch  die  durch  Bakterien  verursachte  ein,  so  ergeben  sich 
freilich  verwickelte  Verhältnisse  vgl.   §  104. 

6)  Über  die  eigentümlichen  Wärmeverhältnisse  der  Milchsäuregärung 
vgl.   §  237  und  S.  293  in  diesem  Paragraphen. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  291 

d.  h.  ein  Molekül  Milchzucker  unter  Wasseraufnahme  in  4  Moleküle 
Hilchsaure  spalten.  Häufig  verläuft  der  Prozeß  aber  nicht  so  einfach^ 
sondern  es  werden  daneben  mehr  oder  weniger  große  Mengen  Essig- 
saure, Alkohol,  Kohlensäure,  Wasserstoff  oder  auch  Bernsteinsäure, 
Ameisensäure,  Propionsäure,  Glyzerin,  ja  zum  Teil  Buttersäure,  Mannit, 
Gummi,  Schleim  gebildet.  Nicht  genug  damit,  die  Milchsäure  gelbst 
kami  verschiedene  (Rechts-,  Links-,  inaktive  Milchsäure)  Konfigura- 
tionen besitzen,  die  einzelnen  Zuckerarten  können  verschieden  ge« 
spalten  werden,  die  Gärungen  auch,  je  nach  den  sonstigen  Emährungsbe- 
dingongen  und  dem  Zeitpunkte,  in  dem  man  sie  untersucht,  verschiedene 
Produkte  liefern.  Schließlich  fehlt  die  Milchsäure  überhaupt  in  einzelnen 
Fällen,  und  die  Erzeugnisse  der  sauren  Gärung  setzen  sich  ausschließ- 
lich aus  den  eben  als  Nebenprodukten  genannten  Stoffen  zusammen. 
Die  Schwierigkeiten,  die  sich  hieraus  ergeben,  sind  bisher  nur  zum 
kleinsten  Teil  überwunden  worden.  Bei  den  meisten  Bakterien  sind 
wir  weit  entfernt  davon,  die  tatsächliche  Beschaffenheit  und  Menge 
ihrer  Gärprodukte  und  den  zeitlichen  Verlauf  der  Gärung  genauer  zu 
kennen,  geschweige  denn,  daß  wir  imstande  wären,  den  ganzen  Vor- 
gang in  Formeln  zu  fassen. 

Ab  Beispiel  gründlicher  Untersuchimgen^)  führen  wir  zunächst 
die  Ergebnisse  von  Analysen  an,  die  G a y o n  und  Dubourg*) 
bei  der  Gärung  des  Bac.  manniticus,  eines  vielleicht  zur  Gruppe  der 
langen  Milchsäurebazillen  gehörenden  Mikroben,  gemacht  haben. 


Produkte  aus 

Glykose 

Galaktose 

Sacchaiose 

Alkohol 

22,7% 

25,6% 

23,2% 

Milchsäure 

ai,4  „ 

34,8  „ 

28,7  „ 

Essigsäure 

8,6  „ 

8,7  „ 

16,1  „ 

Bernsteinsäure 

0,7., 

1,0  „ 

0,5  „ 

Glyzerin 

9,7  „ 

9,0  „ 

6,7  „ 

Kohlensäure 

21,0  „ 

21,8  „ 

21,2  „ 

Bakteriengewicht 

2,3  „ 

Im  ganzen: 

96,30/o 

100,8% 

96,4% 

Die  Schwankungen,  die  die  einzelnen  Analysen  zeigen  können,  sind 
dabei  noch  nicht  einmal  berücksichtigt,  sie  betragen  bei  der  Vergärung 
der  Glykose  z.  B.  20 — 30%  des  vergorenen  Zuckers  für  den  Alkohol, 
25 — 45%  für  die  Milchsäure,  6 — 12%  für  die  Essigsäure.  Bemerkens- 
wert und  wohl  nicht  zufällig  ist  die  Übereinstimmung  der  Zahlen, 

1)  Vgl.  auch  die  Arbeiten  von  Frankland,  Harden,   Fot" 
tevin  in  den  folgenden  Paragraphen. 

2)  Annal.  Pasteur  1894  u.  1901. 

19* 


292 


Kap.  VI,   §  98. 


die  für  Alkohol  und  Kohlensäure  gefunden  wurden.  Sie  erinnern  daran, 
daß  auch  bei  der  alkoholischen  Grärung  durch  Hefe  aus  Zucker  etwa 
gleiche  Teile  Alkohol  und  Kohlensäure  entstehen.  Weiteren  Eigen- 
heiten des  Bac.  manniticus  werden  wir  bei  der  Mannitgärung  begegnen 
(§  124). 

Weniger  vollständig,  weil  die  gleichzeitig  entwickelten  Gase 
(Wasserstoff  und  Kohlensäure)  nicht  bestimmt  worden  sind,  aber  sehr 
wichtig  wegen  der  umfangreichen  Vergleichung  der  Gärung  in  verschie- 
denem Material  sind  die  Analysen  die  Grimbert^)  von  der  Gärung 
des  Bac.  pneumoniae  (Friedländer)  angefertigt. 


Produkte  aus 

Alkohol 

Ensigsäure  I 

äilchnäure  Bemsteinsäure 

Glykose 

Spur 

11,1% 

58,4%            - 

Galaktose 

7,7% 

16,6  „ 

53,3  „ 

Laktose 

15,0  „ 

19,5  „ 

Spur             30,7% 

Maltose 

Spur 

35  5,, 

vorhanden 

Saccharose 

Spur 

29,6  „ 

43,6«) 

Arabinose 

36,1  „ 

49,9  „             - 

Xylose 

6,9  „ 

23,4  „ 

Spur              19,9  „ 

Mannit 

11,4  „ 

10,6  „ 

36,6  „ 

Dulzit 

29,3  „ 

9,5  „ 

-               21,6  „ 

Dextrin 

? 

10,1  „ 

-                14,0  „ 

Glyzerin 

10,0% 

11,8  „ 

27,3  „             - 

Kartoffeln 

vorhanden 

—             vorhanden 

Besonders  merkwürdig  ist  hier  das  Verhalten  derMilch-  und 
Bernsteinsäure,  die  sich  z.  T.  gegenseitig  auszu- 
schließen scheinen,  dann  des  Alkohols,  der  bei  der  Ver- 
gärung der  Glykose  fehlt,  bei  der  Galaktose  auftritt  und  bei 
der  Laktose  am  reichlichsten  vorhanden  ist,  während  wir  nach 
den  Erfahrungen,  die  wir  bei  der  Alkoholgärung  durch  Hefe  gewonnen 
haben,  die  umgekehrte  Reihenfolge  erwarten  sollten.  Sehr  auffallend 
ist  femer  die  imgleiche  Spaltung  der  Disaccharide  und  der  entsprechen- 
den Monosaccharide.  Sie  läßt  darauf  schließen,  daß  hier  der  Spal- 
tung keine  Hydrolyse  durch  besondere  Enzyme 
vorhergeht,  denn  sonst  könnte  z.  B.  die  Laktose  nicht  andere 
Produkte  liefern,  als  die  Glykose  und  Galaktose,  zu  denen  sie  durch 
Laktase  zerfällt.  Ähnliches  ergibt  sich  übrigens  für  den  Bac.  manniticus 
(s.  o.  und  §  124). 

Aus  diesen  Beispielen  ist  schon  zu  ersehen,  daß  es  bei  den  wechseln- 


1)  Annal.  Pastevir  1895. 

2)  Nicht  getrennt  bestimmt. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  293 

den  Verhältnissen  der  Einzelprodukte  schwer  fallen  würde,  einheit- 
liche Formeln  für  die  Gärungen  aufzustellen.  Man  wird  eher  mit 
D  u  c  1  a  n  X  versuchen  können,  jedes  dieser  Einzelprodukte  für  sich 
aus  dem  Zucker  abzuleiten,  also  das  Bestehen  mehrerer 
Gärungen  nebeneinander  vorauszusetzen.  So  hät- 
ten wir  neben  der  Formel  1,  die  für  die  Milchsäure  gilt,  die  uns  schon 
bekannte  Gleichung: 

2)  CeHi20e=2C2HeO  +  2C02(+22KaL) 

fiii  Alkohol  und  Kohlensäure,  die  z.  B.  für  den  Fall  des  Bac.  manniticus 
(s.  0.)  gut  passen  würde.  Ebenso  könnte  man  sich  die  Essigsäure  ent- 
standen denken  wie  folgt: 

3)  C^H^^Oe  =  3  CÄO2  (+  33  Kai.) 

d.  h.  durch  Zerspaltung  des  Zuckermoleküls  in  drei  Moleküle  Essig- 
säure. Für  das  Glyzerin  und  die  Bernsteinsäure  könnte  man  auf 
die  Formehl  Duclaux'  (§90) 

4)  TCgHijOe  +  6H2O  =  12CgH303  +  öCOg  (—50  Kai.) 
und       5)  7  CgHigOe  +  6  COg  =  12  C4He04  +  6  ILfi  (+  434  Kai.) 

zurückgreifen,  die  wir  schon  von  der  Alkoholgärung  her  kennen.  Schwie- 
riger ist  die  Entwicklung  von  Wasserstoff  zu  deuten  der  in  wechselnder 
Menge  neben  Kohlensäure  gebildet  wird.    Die  Formel 

6)    C.Hi,Oe  +  6 HjO  =  6  CO2  +  12  H^  (— 147  Kai.) 

würde  die  Erklärung  geben  für  das  Volumenverhältnis  Kohlensäure: 
Wasserstoff  =  1  : 2,  das  sehr  häufig  wenigstens  annähernd  gefunden 
wird  (§  105).  Eine  theoretische  Schwierigkeit  besteht  darin,  daß  die 
Umsetzungen  nach  4  und  6,  wie  die  Formeln  der  beigefügten  Kalorien- 
zahlen beweisen,  nicht  mit  Entwicklimg,  sondern  mit  Bindung  von 
Wärme  verlaufen  müßten^).  Da  durch  die  übrigen  Spaltungen  ge- 
nügende Energie  geliefert  wird,  so  braucht  man  auf  den  Einwand 
wohl  kein  Gewicht  zu  legen.  Die  Schwierigkeit  verschwindet  übrigens, 
wenn  wir  die  hier  getrennten  Prozesse  auf  einmal  verlaufen  lassen. 
So  hat  H  a  r  d  e  n  ^)  z.  B.  gefunden,  daß  sich  die  Vergärung  der  Glykose 
durch  den  Bac.  coli  ausdrücken  läßt  durch  die  Gleichung 


1 )  Die  Keaktionswärmen  sind  meist  nach  den  Stohmann  sehen 
Zahlen  für  die  Verbrenmingswarme  der  Reaktionskörper  von  mir  berechnet, 
die  Verbrennungswänne  der  Milchsäure  hat  Longuinine  Ann.  chim. 
(6)  23.  210,  1891  angegeben  (nach  Herzog,  Zeitachr.  physiol.  Ch.  37. 
393).  vgl.  aber   §  237. 

2)  Proceed.  Chem.  Soc.  Mai  1901  (nach  dem  Bericht  von  E  m  m  e  r  - 
ling:  Zersetzung  stickstofffreier  organischer  Substanazen  durch  Bak- 
terien (1902.  S.  44)  vgl.  auch  Kochs  Jahresber.    1901). 


294 


Kap.  VI.  §  98  u.  99. 


.     2C^ifit+  H20=2C3H,03+  C^A  +  CjHgO,  +  2C0,  +  2Hj 

Traubenznoker     Wasser     MilehBäuie       Essigs&ur«       Alkohol    Koblensäaie  Wtsserstof 

Wir  erhalten  ganz  dieselbe  Gleichung,  wenn  wir  die  Summe  von 

6  X  Gleichung  1 
2x  „  3 
3x         ,.         2 

Ix         »         6 
nehmen  und  sie  durch  6  dividieren.  Die  Reaktion  verläuft  dann  unter 
Entwicklung  von  16,5  Kai.   Die  obige  verwickelte  Gürung  kann  man 
«ich  aber  auch  nach  H  a  r  d  e  n  folgendermaßen  unmittelbar  zustande- 
gekommen denken: 


I 
CHOH     CHgOH 

CHOH     CHÖlf 


=  CHj^  CHgOH  +  COj  +  Hg 

Alkohol  Kohlen-    Wasser- 

B&are        stoff 


CHOH     CHOH 

I 

CHOH      CHOH 


=  2CH3—  COHH  —  CO  OH 

Uilchsäure 


COH 


Trauben- 
zacker 


CHOH 

+  HjO=  CH,- 
COH 

Traaben-    Wasser  Essigsäure 

Zucker 


COOH  +  CO2  +  H, 


Kohlen-   Wasser- 
säore        stoff 


In  ähnlicher  Weise  läßt  H  a  r  d  e  n  die  einzelnen  Erzeugnisse  aus  der 
Vergärung  der  übrigen  Zuckerarten  einschließlich  der  Pentosen  hervor- 
gehen. Nach  ihm  würde  der  Alkohol  zu  seiner  Bildung  im  Gärmaterial 
die  Gruppe  CHgOH  —  CHOH  —  erfordern. 

Leider  fügen  sich  aber  die  analytischen  Tatsachen  nicht  überall 
so  schön  einer  einfachen  Formel,  wie  nach  H  a  r  d  e  n  in  dem  Fall  der 
Vergärung  des  Traubenzuckers  durch  Colibazillen.  Es  wird  uns  also  im 
allgemeinen  nichts  übrig  bleiben  als  die  Gärungen,  wie  oben,  in  Teil- 
prozesse aufzulösen,  und  zu  sprechen  außer  von  Milchsäuregärung  (1), 
von  Alkoholgärung  (2),  Essigsäuregärung  (3),  die  wir  von  der  unter 
Sauerstoffzutritt  erfolgenden  (§  135)  als  „anaerobe"  unterscheiden 
können,  von  Glyzerin-,  Bernsteinsäure-,  Wasserstoffgärung  (4 — 6) 
und  schließlich  von  der  zwar  seltener,  aber  gerade  für  wichtige  Bakterien 
(Typhus-,  Ruhrbazillen,  Käsekokken)  in  Betracht  kommenden  Ameisen- 
säure- undPropionsäuregärung.  Wir  werden  sie  im  §  99 — 109  besonders 
besprechen,  ohne  damit  ausdrücken  zu  wollen,  daß  sie  alle  selbständig 
auftreten  können.  Nur  die  Milchsäuregäru  n  g  und  allen- 
falls  die    Essigsäuregärung   kommen    allerdings 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  "295 

rein  vor,  die  übrigen  nur  mit  ihnen  oder  mitein- 
ander vergesellschaftet.  tJber  Buttersäure-,  Mannit«  und 
Schleimgarung,  die  anderen  Milchsäurebakterien  eigen  ist,  sprechen 
wir  in  späteren  Abschnitten.  Die  Trennung  der  Erörterung  in  be- 
sondere Abschnitte  ist  nötig,  imi  von  den  Vorgängen  ein  klares  Bild 
zu  geben,  sie  soll  aber  nicht  besagen,  daß  die  Natur  die  Scheidung 
mit  derselben  Strenge  vornehme.  Vielmehr  finden  sich  allenthalben 
Übergange  imd  die  Veränderlichkeit  spielt  wahrscheinlich  selbst  bei 
einer  und  derselben  Art  oder  Abart  eine  größere  Rolle,  als  man 
früher  annahm. 

Bisher  kennen  wir  nur  ein  Milchsäureenzym  (§  101),  die 
übrigen  Zersetzungen  sind  noch  nicht  auf  solche  zurückgeführt,  wenn 
auch  bei  der  Zymasegärung  Essigsäure  in  kleinen  Mengen  entsteht 
(§90). 

§  99.  Milchsänregärang.  Man  hat  früher  vielfach  bestritten, 
daß  eine  reine  Milchsäuregärung  vorkäme,  und  konnte  sich  dabei  u.  a. 
auf  die  Angabe  von  Ad.  M  a  y  e  r  ^)  stützen,  nach  der  nur  83,9%  des 
vergorenen  Milchzuckers  als  Milchsäure,  3,7%  als  Essigsäure  und  12,4% 
als  unbekannte  Stoffe  (darunter  keine  Gase)  erscheinen  sollten.  Diese 
Versuche  sind  aber  nicht  mit  Reinkulturen  angestellt  worden,  also  nicht 
beweisend.  E  a  y  s  e  r  ^)  hat  dieses  Erfordernis  in  seiner  noch  häufig 
zu  zitierenden  Arbeit  erfüllt.  Ein  Mangel  seiner  Untersuchung  besteht 
darin,  daß  die  von  ihm  benutzten  Bakterien  nicht  genügend  beschrieben 
sind,  so  daß  man  meist  darauf  verzichten  muß,  sie  sicher  wiederzuer- 
kennen. Zum  größten  Teil  gehören  sie  aber  offenbar  in  die  Gruppe 
des  Streptococcus  lacticus. 

I.  II.  III. 

Malzaufguß  Zwiebelaufguß   Zwiebelaufguß 


mit  13,3Voo 

mit  ICöVoo 

mit  7,5Vm 

Glykose    u. 

Glykose 

Glykose 

öVoo  Pepton 

Bakt.  n  ohne  Sauerstoffzutritt  93,8% 

94,0% 

95,30/0 

mit 

70     „ 

60  9,, 

62,1  „ 

Bakt.  b  ohne 

i> 

74.6  „ 

mit 

if 

80,6  „ 

Bakt.  0  ohne 

Ji 

100     „ 

mit 

i» 

98,9  „ 

1)  Zeitechr.  f.  Spiritusindustrie  1891,  183,  ref.  Kochs  Jahresber. 
1891,  173. 

2)  Annal.  Pasteur  1894,  vgl.  auch  die  spätere  Arbeit  in  Annal.  Inst. 
Agron.  (Kochs  Jahresber.  1904.  319).  Sie  betraf  4  grampositive  Milch- 
Räurebiücterien  (Strept.  und  Bazillen)  und  zeigte  recht  wechselnde  Ver- 
hältnisse (s.  u.  im  Text). 


59S  Kap.  VI.   §  99. 

-Vorstellende  tJbersicht  gibt  die  Resultate  einiger  Versuche,  die  K  ä  7- 
s  e  r  mit  verschiedenen  Milchsäurebakterien  teils  in  Gefässen  mit 
großer  Oberfläche  —  also  bei  ungehindertem  Luftzutritt  —  teils  in 
-hohen  engen  Kölbchen  —  also  fast  unter  anaeroben  Bedingungen  — 
ausgeführt  hat.  Die  Zahlen  geben  in  Prozenten  die  Ausbeute  der  Milch- 
säure aus  dem  vergorenen  Zucker  an.  Die  Bakterien  entsprechen  drei 
Typen :  Bacterium  o  aus'  belgischem  Bier,  nach  der  Beschreibung  ein 
echter  Streptococcus  lacticus,  vergärt,  gleichgültig,  ob  mit  oder  ohne 
Sauerstoffzutritt,  den  Zucker  vollständig  oder  wenigstens  zu 
99%  zu  Milchsäure;  Bakterium  n,  das  aus  Sauerkraut  stammt  und 
seinen  Eultureigenschaften  nach  mehr  den  langen  Milchsäurebazillen 
zu  entsprechen  scheint,  gibt  bei  Sauerstoffabschluß  94 — ^95%  Milch- 
säure, bei  freiem  Sauerstoffzutritt  nur  60 — 70%  imd  Bakterium  b  aus 
Rahm,  der  seinen  Eigenschaften  nach  in  der  Mitte  steht,  gibt  unab- 
hängig von  dem  Einfluß  des  Sauerstoffs  75 — 80%  Milchsäure. 

Auch  ein  von  Pottevin^  aus  Zwiebelinfus  gezüchtetes  Milch- 
säurebakterium  erzeugte  in  diesem  Medium,  nach  Zusatz  von  1% 
Pepton  und  verschiedenen  Zuckerarten  (Laktose,  Saccharose,  Maltose, 
Glykose  Invertzucker,  Galaktose  und  Mannose)  98 — ^95%  Milchsäure. 
Auffallenderweise  sank  die  Ausbeute  aber  bei  Verringerung  des  Pep- 
-tonzusatzes  auf  94—81%. 

Aus  diesen  Versuchen  E  a  y  s  e  r  s  und  Pottevins  folgt  zu- 
nächst, daß  es  eine  reine  Milchsäuregärung  gibt,  bei  der  der  Zucker 
im  wesentlichen  nach  der  Gleichung  (§98) 

1)  CeH^^Oe  =  2C3He03  oder  la)  Ci^H^^Oii  +  H^O  =  4C3He03 

gespalten  wird,  daß  also  die  von  Hoppe-Seyler^)  und  Ad. 
M  a  y  e  r  ^)  aus  theoretischen  Gründen  gegen  diese  Formel  erhobenen 
Bedenken  nicht  stichhaltig  sind. 

Während  die  in  diesen  Versuchen  benutzten  Bakterien  sich  nicht 
mit  Sicherheit  identifizieren  lassen,  ist  das  der  Fall  bei  den  von  We  i  g  - 
mann*),  Leichmann ^)  und  Bazarewski, Henneberg*) 
(und    Kownatzki)       Beijerinck'),'     Kozai®),      Ber- 


1)  Annal.  Pasteur  1898. 

2)  Pflügers  Arch.   12. 

3)  Gärungscliemie  6.  Aufl. 

4)  Milchzeitung  1896.   147. 

5)  Ebenda  65;  Zentr.  Bakt  2.  Abt.  2,  1896  und  6,  1900  vgl.  Kochs 
Jahresber. 

6)  Woch.  Brauerei  1901  und  Zeitsclir.  f.  Spiritusind.  1903  (Kochs 
Jahresber.). 

7)  Zeitschr.  f.   Spiritusind.   1901   (Kochs  Jahresber.) 

8)  Zeitschr.  f.  Hyg.   31  und  38. 


Waadlungen  der  Kohlenhydrate.  297 

t r a n d  und  W e i ß  w e i  1 1  e r  ^)  u.  a.  studierten.  Nach  ihnen  bil- 
den gerade  die  beiden  wichtigsten  („energischsten" : 
Beijerinck)  Milchsäurebakterien,  die  Strepto- 
kokken und  langen  Bazillen  (§  97),  fast  ausschließ- 
lich Milchsäure.  Doch  scheinen  einige  Varietäten  namentlich 
der  letzteren  eine  Ausnahme  zu  machen,  indem  sie  nicht  ganz  unerheb- 
liche Mengen  von  Kohlensäure,  Alkohol  und  flüchtiger  Säure  ent- 
wickeln (Beijerinck,  Henneberg).  Besonders  gälte  das  von 
dem  Bac.  manniticus  von  Gayon  und  Dubourg  (§  98  u.  124), 
8ofem  er  in  die  Gruppe  der  langen  Milchsäurebazillen  gehören  sollte. 
Fiel  reicMicher  pflegen  diese  Nebenerzeugnisae  aber  nach  allgemeinem 
Urteil  bei  der  Gärung  des  Bac.  aerogenes  und  anderen  Mitgliedern  der 
dritten  Gruppe  (§  97)  zu  sein  und  nach  Kozai  u.  a.  auch  bei  der 
freiwilligen  Gärung  der  Milch,  wenn  sie  bei  höherer  Temperatur  und 
läDgere  Zeit  verfolgt  wird. 

Die  vierte  Gruppe,  die  der  Labsäurebakterien,  ist  noch  nicht  ge- 
nügend in  dieser  Beziehung  studiert  worden,  ihre  Fähigkeit,  das  Eiweiß 
zu  zersetzen,  läßt  aber  schon  darauf  schließen,  daß  unter  ihren  Pro- 
dukten die  flüchtigen  Säuren  eine  wesentliche  Rolle  spielen  werden. 

Zweitens  wird  durch  diese  Arbeiten  ein  anderes  Vorurteil,  das 
auf  Grund  der  Angaben  von  Hüppe,  Ad.  Mayer  u.  a.  entstanden 
war,  nämlich,  daß  die  Milchsäuregärung  ein  wesentlich  aerober  Vor- 
gang sei,  widerlegt.  Im  Gegenteil  ist  die  Ausbeute  anMilch- 
säure  durchschnittlich  höher  oder  mindestens 
ebenso  hoch  bei  spärlichem  oder  mangelndem 
Sauerstoffzutritt.  Kayser  hat  das  für  die  übrigen  von 
ihm  daraufhin  geprüften  Milchsäurebakterien  bestätigt  gefunden.  Auch 
wenn  er  völlig  anaerobe  Versuchsbedingungen  herstellte,  war  immer 
ein  üppiges  Wachstum  imd  reichlichste  Produktion  von  Milchsäure 
zu  erzielen.  Das  stinmit  mit  unseren  eigenen  imd  fremden  Erfahnmgen 
überein.  Allerdings  findet  K  ö  s  1 1  e  r  *)  bei  einem  langen  Milchsäure- 
bakteriimi  das  Optimum  der  Säurebildung  bei  einem  gewissen  Mindest- 
druck des  Sauerstoffs.  Etwas  anders  liegt,  wie  wir  später  sehen  werden, 
die  Sache  bei  der  Essigsäurebildung  (§  103). 

Die  dritte  Tatsache  istdergünstigeEinfluß,deneine 
reichliche  und  zwar  aus  Pepton  oder  Eiweiß 
bestehende    S  ti  cks  t  o  f  f  e  rn  ährun  g    auf    die    Milch- 


1)  Annal.  Posteur  1906.  Auf  26  g  Milchsäure  erzeugt  der  Bac.  bul- 
garicus  nur  je  0,5  g  Essig-  und  Bernsteinsäure.  Nach  Bertrand  iind 
Duchacek  (Annal.  Pasteur  1909,  6)  soll  aus  anderen  Zuckerarten  auch 
«»twas  Ameisensäure  gebildet  werden. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   19.   1907. 


298  Kap.  VI,   S  99  u.  100. 

Säuregärung  ausübt.  Nachdem  schon  frühere  Autoren  ähn- 
liches gefunden,  hat  K  a  y  s  e  r  durch  besondere  Versuchsreihen  den 
Satz  über  jeden  Zweifel  gestellt^).  Besonders  wichtig  ist  die  Feststel- 
lung, daß  bei  reichlichem  Peptonzusatz  schließlich  die  Ausbeute  an 
Milchsäure  größer  ist,  als  der  Zuckermenge  entspricht.  Es  muß 
diese  Säure  also  auch  aus  den  stickstoffhaltigen 
Substanzen  abgespalten  werden.  In  der  Tat  hat  das 
K  a  7  s  e  r  an  einem  seiner  Bakterien  für  rein  dargestelltes  Pepton 
aus  Eiweiß  und  Fibrin  bewiesen.  Andere  Säuren  wurden  nur  spurweise 
gebildet,  R  o  d  e  1 1  a  ')  leitet  sogar  die  Milchsäure,  die  seine  langen 
Bazillen  aus  Darminhalt  (Acidophilus)  bilden,  wesentlich  aus  Eiweiß 
her.  Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  durch  diese  Erfahrung  die  oben 
von  K  a  y  s  e  r  für  die  Spaltung  des  Zuckers  in  Milchsäure  gegebenen 
Zahlen  etwas  an  Sicherheit  verlieren.  Man  wird  sich  künftig  nicht 
darauf  beschränken  dürfen,  den  Zuckerverbrauch  und  die  Milch- 
säureerzeugung zu  bestimmen,  sondern  möglichst  alle  sonstigen  Pro- 
dukte der  Zuckerspaltung  und  der  Eiweißzersetzung  feststellen  müssen. 
Daß  gleichzeitig  auch  die  Bakterienemte  zu  messen  ist,  wenn  man 
eine  richtige  Bilanz  der  Gärung  erhalten  will,  ist  eigentlich  selbstver- 
ständlich, bisher  aber  nur  in  wenigen  Fällen  berücksichtigt  worden 
(vgl.  §  235). 

Die  Pottevin sehen  Zahlen  werden  übrigens  nicht  von  dieser 
Unsicherheit  berührt,  denn  nach  den  Feststellungen  dieses  Autors  ist 
das  von  ihm  studierte  Milchsäurebakterium  nicht  imstande,  Milch- 
säure aus  Pepton  zu  bilden.  Wohl  wurden  bis  zu  0,2 %o  Essigsäure 
erzeugt.  Das  Vorkommen  einer  reinen  Milchsäuregärung  kann  also 
nicht  angezweifelt  werden. 

§  100.  Einfluß  des  Gärmaterials  auf  die  Milchsänre- 
gärung.  Außerordentlich  groß  sind  die  Verschiedenheiten  in  dem  Ver- 
halten der  einzelnen  Kohlenhydrate  bzw.  Zuckerarten  zur  Milchsäure- 
gärung. Es  ist  schwer,  dafür  allgemeine  Begeln  aufzustellen.  Am  besten 
betrachten  wir  die  einzelnen  Erreger  für  sich.  Was  zunächst  die  Gruppe 
der  Milchsäurestreptokokken  ^)  anlangt,  so  werden  schon  die  Hexosen 


1 )  Bestätigungen  s.  bei  Leichmann  und  Bazarewski, 
Beijerinck,  Kozai,  L.  Müller  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  17.  249). 
Ob  die  echten  Milchsavirebakterien  wirklich  ohne  eiweißartige  Stoffe  nicht 
gedeihen  können,  müßte  wohl  noch  sicherer  festgestellt  werden.  Die  Coli- 
gruppe  ist  jedenfalls  dazu  imstande  (Proskauer  und  C  a  p  a  1  d  i , 
Zeitschr.  f.  Hyg.  23). 

2)  Zentr.  Bakt.  47  vgl.   S.  288  unten. 

3)  Vgl.  außer  Kayser  (Kochs  Jahresber.  1904.  320),  L.  Mül- 
ler, (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  17.  748, 1907),  Th.  G  r  u  b  e  r,  (ebenda 760),  auch 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  299 

flicht  gleichmäßig  von  ihnen  vergoren.  Allerdings  scheint  wie  nach  älteren 
Erfahrungen,  so  nach  denen  von  L.  Müller  und  S  a  1  o  m  o  n  ^)  die 
Begel  zu  gelten,  daß  sie  Glykose  und  Fruktose  (Lävulose)  am  stärksten 
von  allen  Zuckerarten  und  ungefähr  gleich  stark  angreifen.  Galaktose 
wild  nach  Th.  G  ruh  er  von  Strept.  lacticus  überhaupt  nicht  zer- 
setzt, aber  der  Kokkus  Nr.  1  Kaysers,  der  offenbar  zu  ihm  gehört, 
vermag  das  doch,  wenn  auch  in  mäßigem  Umfange,  ebenso  der  Strepto- 
coccus pyogenes  nach  S  a  1  o  m  o  n.  Die  Mannose  ist  nach  letzterem 
Forscher  erheblich  widerstandsfähiger,  wird  aber  auch  von  einzelnen 
Stämmen  vergoren.  Von  den  Disaöchariden  wird  allein 
der  Milchzucker  durch  den  Strept.  lacticus  regel- 
mäßig, jedoch  in  etwas  geringerem  Maße  zersetzt, 
als  Traubenzucker  und  Fruchtzucker.  Maltose  wird 
dagegen  manchmal  und  Saccharose  häufig  unberührt  gelassen.  Der 
Streptococcus  pyogenes  soll  dagegen  nachSalo- 
mon  u.  a.  umgekehrt  häufiger  Bohrzucker  und 
namentlichMalzzuckervergärenalsMilchzucker. 
Trisaccharide  wie  Raffinose  erleiden  selten,  Polysaccharide  (Dextrin 
und  Stärke)  wieder  öfter  (S  a  1  o  m  o  n)  Zersetzungen.  Aus  Fentosen 
(Arabinose)  erzeugen  nach  Müller  die  meisten  Stämme  des  Strept. 
lacticus  etwas  Säure,  einige  ziemlich  viel  (vgl.  auch  S  a  1  o  m  o  n). 
Der  Alkohol  Mannit  verfällt,  um  das  gleich  hier  zu  bemerken,  häufig 
und  manchmal  ziemlich  ausgiebig  der  Milchsäuregärung,  Glyzerin* 
seltener  und  im  geringerem  Umfange  (§  131). 

Die  langen  Milchsäurebazillen')  zeigen  schon  gegenüber  den  Hexosen 
größere  Verschiedenheiten.  Nach  Henneberg  gibt  es  einige  Spiel- 
arten (Saccharobac.  pastorianus  var.  berolinensis,  Bac.  Lindneri),  die 
Fruktose  weniger  angreifen  als  Glykose,  nach  Bertrand  und  D  u  c  h  a  - 
c  e  k  ')  gehört  dazu  auch  der  Bac.  bulgaricus.  Galaktose  wird  von 
Bac.  Delbrückii  und  lactis  acidi,  die  Fruktose  gut  vergären,  weniger 


die  Zosammenstellung  bei  Weigmann  in  Lafars  Handb.  2.  92  und 
die  in  §  112  am  Schluß  aufgeführten  Arbeiten  von  Gordon,  Salo- 
m  o  n  u.  a. 

1)  Auffallend  ist,  daß  G  r  u  b  e  r  mit  einer  Anzahl  seiner  Strepto- 
kokken bei  Glykose  keine,  bei  Milchzucker  immer  Vergärung  erhielt. 
Vielleicht  lag  das  an  dem  Nährboden  (Hefewasser).  Jedenfalls  weu*  in 
Müllers  viel  zahlreicheren  Versuchen  in  Bouillon  oder  Fleischextrakt 
die  Vergärung  in  Traubenzucker  stets  am  deutlichsten  ausgesprochen. 
8  a  1  o  m  o  n  s  Ergebnisse  sind  übrigens  wegen  der  von  ihm  gewählten 
(aeroben)  Versuchsanordnung  ebenfalls  mit  Vorsicht  aufzunehmen. 

2)  Vgl.  außer  K  a  y  s  e  r  und  Weigmann  (Anm.  3.  S.  298),  be- 
sonders Henneberg,  Zeitschr.  f.  Spritind.  1003  (Kochs  Jahresber.) 

3)  Annal.  Pasteur  1909. 


300  Kap.  VI.  §  100. 

stark,  von  Bac.  berolinensis  und  bulgaricus  dagegen  kräftig  zersetzt. 
Auch  Mannose  widersteht  letzterem  nicht.  Von  den  Disacchariden 
wird  durch  die  langen  Bazillen  am  besten  die  Maltose  vergoren, 
nicht  wie  durch  die  Milchstreptokokken  der  Milchzucker,  nur  der  Bac. 
casei  (von  Freudenreich  und  Thöni)  und  der  Bac.  bulgaricus 
machen  eine  Ausnahme.  Das  hängt  wohl  damit  zusammen,  daß  die 
beiden  letzteren  in  milchzucker-,  die  übrigen  in  malzzuckerhaltigen 
(pflanzlichen)  Nährböden  sich  aufzuhalten  pflegen  (§111)^).  Der  Bac. 
casei  e  steht  insofern  allein,  als  er  sogar  Milchzucker  kräftiger  zersetzt 
als  die  Hexosen.  Rohrzucker  wird  häufig  unberührt  gelassen,  ebenso 
Trehalose  und  das  Trisaccharid  Kaffinose.  Der  Saccharobacillus 
pastorianus  versetzt  Dextrin  und  Stärke  in  milchsaure  Gärung  und 
ebenso  wie  die  Käsebazillen  a  und  /  (von  Freudenreich  und 
Thöni)  auch  die  Pentosen  Arabinose,  Xylose,  Bhanmose.  Zu  den 
Mannit-  und  Glyzerinvergärem  (§  131)  gehören  ebenfalls  lange  Ba- 
zillen, wenn  wir  solche  auch  gerade  umgekehrt  als  Erzeuger  von  Mannit 
und  Glyzerin  aus  Zucker  kennen  lernen  werden  (§  124  u.   106). 

Die  Gruppe  des  Bac.  aerogenes,  bei  der  die  gewöhnlichen  Gärungen 
überwiegen,  zeigt  noch  mehr  Eigentümlichkeiten.  So  soll  nach  B  r  i  e  - 
g e r  ^)  und  Frankland  ^)  d^r  Fneumoniebazillus  —  nach  dem 
ersteren  auch  der  Typhusbazillus  nach  dem  letzten  auch  der  Bac. 
ethaceticus  —  Traubenzucker  überhaupt  nicht  in  milchsaure, 
*  sondern  nur  in  essigsaure  und  alkoholische  Gärung  ^)  versetzen  (s.  u. 
§  103  u.  104).  Wenn  diese  Angabe  richtig  ist,  so  kann  es  freilich  nur 
für  bestinmite  Stämme  dieser  Bakterien  oder  besondere  Bedingungen 
gelten,  denn  die  meisten  anderen  Forscher  (T  a  t  e  ^),  G  r  i  m  b  e  r  t  ®), 
Kayser'),      Emmerling®),       Bovet*),      Macfadyen, 


1)  Viele  lange  Milchsäurebazillen  soUen  nach  Henneberg  sogar 
in  Milch  gar  nicht  wachsen,  wie  die  Milchsäurestreptokokken  umgekehrt 
in  Bier  nicht  gedeihen. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  8  u.  9  (Friedländers  „Pneumo- 
kokkus'*);  weitere  Untersuchungen   über   Ptomaine,    1885   (Typhus). 

3)  Mit  Stanley  und  F  r  e  w  ,  Transact.  chem.  soc.  1891,  Kochs 
Jahresber.  91.  235  (Fneumoniebazillus),  mit  Lumsden,  Kochs 
Jahresber.   1892.  231  (Bac.  ethaceticus). 

4)  Von  den  nebenbei  entwickelten  Gasen  wird  hier  vorläufig  ab- 
gesehen (vgl.    §  105). 

5)  Kochs  Jahresber.   1893.  191  („Askokokken"). 

6)  Annal.  Pasteur  1895  und  1896  (Pneumoniebazillen)  vgl.  S.  292: 
CJompt.  rend.  soc.  biol.  1896  und  Kochs  Jahresber.  1896.  223.  (Coli- 
bazillen). 

7)  Annal.  Pasteur   1894. 

8)  Ber.  chem.  Ges.   33.  2477  (Aerogenes). 

9)  Kochs  Jaliresber.   1891.  239.   (Coli). 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  301 

X  e  n  c  k  i  und  Sieber  ^),  Blachstein*),  Harden*),  Ko- 
zai*),Pottevin^)  fanden  bei  dem  Bac.  pneumoniae  und  den  ihm 
mehr  oder  weniger  verwandten  Bac.  aerogenes,  acidi  lactici  (laevolactici), 
coli,  typhi,  paratyphi  zwar  auch  gewöhnlich  essigsaure,  ameisen- 
saiire  oder  alkoholische  Gärung  (oder  beide  zusammen),  daneben 
aber  immer  auch  milchsaure.  Ja,  die  letztere  pflegte 
gerade  bei  der  Zersetzung  des  Traubenzuckers  die  vorherrschende  zu 
sein.  Ob  das  auch  bei  den  hierher  gehörigen  Ruhr-  und  Pseudodysen- 
teriebazillen  der  Fall  ist,  oder  ob  bei  ihnen  die  milchsaure  Gärung 
(der  Traubenzuckerbouillon)  durch  die  essig-  und  ameisensaure  ersetzt 
wird,  ist  noch  festzustellen. 

Die  übrigen  Hexosen  sind  nur  ausnahmsweise  geprüft  worden: 
nach  H  a  r  d  e  n  verhält  sich  dabei  Fruktose  und  Galaktose  dem  B.  coli 
gegenüber  wie  Glykose,  während  aus  der  Galaktose  nach  G  r  i  m  b  e  r  t 
vom  Bac.  pneumoniae  zwar  ähnliche  Mengen  Milchsäure,  aber  ungleiche 
Mengen  Alkohol  und  Essigsäure  gebildet  werden  (S.  292).  Nicht  im- 
mittelbar  benutzbar  sind  die  Arbeiten  von  Jensen  und  Bahr, 
Dieudonne  imd  Segin,  MacConkeyu.  a.  über  die  Säure- 
bildung von  Coli-,  Aerogenes-,  Paratyphusbazillen,  usw.  in  den 
verschiedenen  Zuckerarten,  weil  sie  über  die  Art  der  Säure 
nichts  mitteilen  (§  112),  sie  lehren  aber  wohl  das  eine,  daß 
Glykose  und  Fruktose  meist  gleich  stark,  Galaktose  und  namentlich 
Sorbose  weniger  oder  gar  nicht  angegriffen  werden.  Auch  für  die  Ver- 
gärung der  IKsaccharide  mit  Ausnahme  des  Milchzuckers  können  wir 
meist  nur  auf  ähnliche,  wesentlich  zum  Zwecke  der  Differentialdiagnose 
vorgenonmiene  Untersuchungen  verweisen.  Sie  lehren  ims  aber,  daß 
auch  hier  Malzzucker  am  häufigsten,  Milchzucker  und  Rohrzucker 
seltener,  und  zwar  bald  dieser,  bald  jener  häufiger  zersetzt  wird.  Eine 
Ausnahme  macht  der  Bac.  aerogenes  paradoxus  Wortmanns®), 
der  Milchzucker  (unter  Gasbildung)  vergärt,  nicht  Traubenzucker. 
Was  die  Art  der  Vergärung  anbetrifft,  so  soll  sie  nach  H  a  r  d  e  n  beim 
Colibazillus  ähnlich  der  der  Glykose  und  Fruktose  sein,  nach  Grim- 
bart würde  sich  aber  beim  Bac.  pneumoniae  ein  großer  Unterschied 
ergeben,  indem  Malz-  und  Rohrzucker  in  Milchsäure,  Bemsteinsäure 
und  Essigsäure  zerfiele,  Milchzucker  aber  in  Bemsteinsäure,  Essigsäure 


1)  Arch.  exper.  Path.  28. 

2)  Baumgartens  Jahresber.    1894.   252  (Typhus). 

3)  Lit.  vgl.  S.  293  Anm.  2  (Coli,  Typhus);  ferner  Journ.  of  hyg.  190o 
(Coli,  aerogenes,  cloacae,  u.  a.  m.). 

4)  Zeitechr.  f.  Hyg.  38.  404,  1901. 

5)  Annal.  Pasteur  1905  (Paratyphus  und  Enteritidis). 

6)  Ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  20.  540. 


302  Kap.  VI,  §  100. 

und  Alkohol.  Diese  Angaben  Grimberts  sind  von  großer  Bedeutung, 
weil  sie  lehren,  daß  bei  der  Vergärung  des  Milchzuckers  und  auch  wohl 
der  beiden  anderen  Disaccharide  durch  den  Bac.  pneumoniae»  wenn 
man  sie  vergleicht  mit  derjenigen  der  sie  zusammensetzenden  Hexosen, 
die  Milchsäure  durch  die  Bernsteinsäure  ersetzt 
wird,  also  kaum  die  Rede  davon  sein  kann,  daß 
der  Gärung  eine  Hydrolyse  voraufgeht.  Nach  Grim- 
bert,  BlumenthaP),  Seelig*),  Bienstock')  sollen  sich 
verschiedene  Stämme  des  Bac.  coli,  nach  Emmerling  auch  solche 
des  Bac.  aerogenes  ähnlich  verhalten,  d.  h.  Bernsteinsäure- 
g  ä  r  u  n  g  in  Milch  oder  Milchzuckerlösung  verursachen  (§  107).  Andere 
üntersucher  wie  K  a  y  s  e  r  fanden  bei  Aerogenes  einen  Unterschied, 
je  nachdem  sie  ihn  in  Milch  oder  künstlicher  Milchzuckerlösung  prüften: 
nur  in  ersterer  blieb  die  milchsaure  Gärung  fast  völlig  aus  —  wieder 
ein  Beweis  für  den  Einfluß  der  Stickstoffnahrung  (S.  297)  auf  den 
Ausfall  der  Gärung  —  in.  letzterer  hielt  sie  sich  mit  der  essigsauren 
etwa  die  Wage.  Baginsky^),  Haacke^),  sowie  für  einige 
seiner  Colistämme  auch  G  r  i  m  b  e  r  t  erhielten  neben  einem  Über- 
schuß der  Essigsäure  in  der  Milch  immer  noch  beträchtliche  Mengen 
Milchsäure.  Andere,  wie  Oppenheimer*),  Leichmann') 
imd  K9zai  (a.  a.  0.)  sahen  dagegen  auch  bei  der  Vergärung  der 
Milch  durch  Aerogenes-  oder  Colistämme  die  Milchsäure  überwiegen 
und  die  Essig-  und  Bernsteinsäure,  wenn  überhaupt,  nur  in  kleinen, 
allerdings  wechselnden  Mengen  entstehen.  Man  sieht,  daß  es  w  e  s  e  n  t  • 
lieh  von  der  Stammes  ei  gentümlichkeit  abhängt, 
ob  Milchsäure,  Bernsteinsäure  oder  Essigsäure 
das  Haupterzeugnis  der  Vergärung  des  Milch- 
zuckers durch  die  Aerogenesgruppe  ist. 

Von  Trisacchariden  verhält  sich  Raffinose  nach  Jensen  und 
Bahr,  Segin  u.  a.,  was  die  Säuerung  überhaupt  anlangt,  gegen 
die  Gruppe  der  Colibakterien  ähnlich  wie  Bohrzucker,  Melezitose  wird 
nicht  angegriffen.  Dextrin,  Stärke,  Inulin  werden  ebenfalls  häufig 
in  saiLre  Gärung  versetzt,  jedoch  nach  Grimbert  von  Pneumonie- 
bazillen  nur  in  essig-  und  bernsteinsaure.  Die  Pentosen  (Ara- 
binose,  Xylose,  Bhamnose)  werden  meist  so  stark 


1)  Virchows  Arch.   146,  1900. 

2)  Ebenda. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  39.  410. 

4)  Zeitschr.  f.  physiol.  Ch.   12  (Bac.  aerogenes),  eb.    13  (Coli). 

5)  Arch.  f.  Hyg.  42  (Bac.  acidi  lactici). 

6)  Ref.  Zentr.  Bakt.  6.  586. 

7)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5.  344. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  303 

vergoren  wie  die  Hexosen.  Dabei  bilden  sich  zwar  nach 
Grimbert,  Harden  aus  der  Arabinose  neben  Essigsäure  große 
Mengen  Milchsäure,  aus  der  Bhamnose  aber  nach  Täte  sogar  ein 
Überschuß  von  Essigsäore  und  aus  der  Xylose  nach  6  r  i  m  b  e  r  t 
neben  Essigsäure  und  Alkohol  nur  Bemsteinsäure,  während  aus  der 
Vergärung  der  Arabinose  durch  den  Bac.  ethaceticus  nach  Frank- 
I a Q d  und  Mac  Gregor^)  der  Hauptsache  nach  Essigsäure 
und  Alkohol,  femer  Ameisensäure  und  nur  wenig  Bernsteinsäure 
entstehen.  Die  Gärprodukte  sind  also  ähnlich  wie  bei  der  Ver- 
gärung des  Traubenzuckers,  nur  soll  das  Verhältnis  der  Essigsäure  z\ur 
Alkohol  größer  werden.  Glyzerin  wird,  um  das  schon  hier  zu 
erwähnen^  meist,  Mannit,  fast  regelmäßig,  Dulzit  weniger  häufig 
und  Erythrit  am  seltensten  zersetzt  (§  131). 

Die  Gruppe  der  Säurelabbakterien  ist  bisher  nur  wenig  unter- 
sucht worden.  Vom  Pediococcus  acidi  lactici  erwähnt  Henneberg, 
daß  er  die  Hexosen,  aber  auch  manche  andere  Zuckerarten  säure.  Von 
der  Säurebildung  der  Bac.  cloacae,  proteus,  der  Anaeroben,  der  Spirillen 
wild  später  noch  die  Bede  sein  (§  112).  Meist  ist  die  Beschaffenheit 
der  Säure  niclit  festgestellt  worden.  Doch  spricht  Harden*)  dem 
Bac.  cloacae,  Schattenfroh  ^)  außer  den  Buttersäurebazillen 
den  nicht  buttersäurebildenden  Baz.  des  malignen  Odems  und  Putrid 
ficus  coli,  Kupriänow  den  Spirillen  (vgl.  §  102)  Milchsäuregärung 
in  Hexosen  und  Disacchariden  zu.  Noch  nicht  völlig  aufgeklärt  ist 
das  Verhalten  des  Proteus  vulgaris.  In  Milchzuckerlösungen 
ruft  er  keine  Gärung  hervor,  die  Milch  macht  er  aber  nach  B  i  e  n  - 
stock*)  sauer.  Dabei  soll  sich  allein  Bernsteinsäure  bilden  (etwa 
aus  Eiweiß?  vgl.  S.  298).  Traubenzucker  und  auch  oft  Saccharose 
verfallen  der  sauren  Gärung,  aber  die  Natur  der  Säure  ist  unbekannt. 

Die  Verschiedenheiten  werden  noch  größer,  wenn  wir  auch  die 
Konfiguration  der  Milchsäure  berücksichtigen.  Selbst  das,  was  wir 
bisher  als  reine  Milchsäuregärung  betrachtet  haben,  ist  kein  einheit- 
licher Prozeß,  da  das  Produkt,  die  Milchsäure,  nicht  immer  das  gleiche 
ist,  sondern  sich  oft  durch  seine  Konfiguration  unterscheidet.  Wir 
kommen  gleich  darauf  zurück  (§  102). 


1)  Kochs  Jahreeber.   1892.  232. 

2)  Joum.  of  hyg.  1905.  488;  auch  Leichmanns  Aerogenesstamm 
aus  Milch,  der  neben  viel  Milchsäure  keine  flüchtige  Säure,  sondern  Bem- 
steinsäure bildet,  gehört  wohl  zum  Bew.  cloacae  wegen  der  Zusammen- 
äetzung  seiner  Gase  (§  105). 

3)  Arch.  f.  Hyg.  48.  100. 

4)  Ebenda  39.  410. 


304  Kap.  VI,  §  101. 

§  101.      Stärke  der  Milchsäuregärung.      Gäraugsenzym. 

Ebenso  ungleich  ist  die  Kraft,  mit  der  die  einzelnen  Milchsäurebakterien 
die  Gärong  bewirken.    K  a  y  s  e  r  fand  unter  seinen  dreizehn  Milchsäure- 
bakterien eins,  das  in  dem  besten  Nährboden,  der  mit  Pepton  versetzten 
Milch,  es  höchstens  bis  auf  einen  Säuregrad  von  2,2"  oo  brachte,  während 
andere  10,  15  und  selbst  17,5%o  Säure  erzeugten.    Allerdings  ist  der 
am  Ende  erreichte  Säuregehalt  nicht  überall  der  überhaupt  erreichbare, 
da  manche  Bakterien  die  von  ihnen  produzierte  Säure  allmählich  selbst 
teilweise  verzehren  (vgl.  Kayser  §  103).   Freilich  ist  der  Säureverlust, 
der  dadurch  entsteht,  selten  sehr  bedeutend.    Man  hat  eine  gewisse 
Berechtigung,  anzunehmen,  daß  der  Grad  der  Gärung  durch  die  einzelnen 
Mikroorganismen  abhängt  von  ihrer  Widerstandsfähigkeit  gegenüber 
der  Säure,  doch  erklärt  sie  noch  nicht  die  vorkommenden  Unterschiede. 
Denn  die  Erfahrung  lehrt  zwar,  daß,  wenn  der  Gärflüssigkeit  zum  Ab- 
stumpfen der  Säure  kohlensaurer  Kalk  zugesetzt  wird,  die  im  ganzen 
gebildete  Säure  fast  durchweg  höher  ansteigt,  das  Verhältnis,  in  dem  die 
Gärkraft  der  einzelnen  Bakterien  zueinandersteht,  aber  im  wesentlichen 
dasselbe  bleibt.  Auch  viele  andere  Forscher  fanden  große  Unterschiede 
in  der  Gärkraft.     So  ist  die  Säurebildung  nach  L.  Müllers^)  zahl- 
reichen Bestimmungen  bei  den  einzelnen  Stämmen  des  Strept.  lacticus 
nicht  nur  sehr  ungleich,  sondern  schwankt  auch  zeitlich  bei  einem  und 
demselben  Stamme,  imd  zwar  beobachtet  man  je  nach  Umständen 
bald  einen  Gewinn,  bald  einen  Verlust  der  Gärkraft.    Für  die  langen 
Milchsäiirebazillen  gilt  das  gleiche.    Unter  den  letzteren  findet  man 
die  kräftigsten  Gärungserreger.     So  erzeugt  der  Bac.  bulgaricus  im 
Yoghurt  nach  Bertrand   und  Weißweiller^)  und  der  Bac. 
Delbrückü  im  sauren  Hefegut  (Laf  ar  u,  a.  §  111)  2 — i  mal  soviel  Säure 
als  gewöhnlich  bei  der  natürlichen  Gärung  der  Milch  entsteht  (0,6%). 

Von  der  Wachstumskraft  der  Bakterien  hängt  das  Gärvermögen 
ebensowenig  ab,  wie  von  ihrer  Widerstandsfähigkeit  gegen  Säure. 
Es  bleibt  also  nur  übrig  anzunehmen,  daß  sie  es  einer  besonderen,  ihnen 
in  mehr  oder  weniger  hohem  Grade  eigenen  Fähigkeit  verdanken. 
Während  man  diese  noch  vor  nicht  langer  Zeit  gewöhnlich  als  Eigen- 
schaft des  lebenden  Protoplasmas  betrachtete,  haben  wir  jetzt  Grund, 
sie  auf  ein  trennbares  Enzym,  das  von  E.  Buchner  neuerdings 
,,Bakterienzymase",  (S.  252  u.  264),  von  Stoklasa  „Laktolase'* 
genannt  wird,  zurückzuführen. 

E.  Buchner  und  Meisenheimer^)  haben  Reinkulturen 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   17.  744  ff.,   1907. 

2)  Annal.  Paateur  1906. 

1)  Ber.  ehem.  Ges.  36.  636,  1903  und  Annal.  der  Chem.  349,  1906. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  305 

von  Bac.  Delbrückü,  der  imBrennereibetrieb  zur  Säuerung  der  Maischen 
im  großen  Maßstabe  angewandt  wird,  in  hochprozentiger  Würze  bei 
40 — io^  C  kultiviert,  die  Bakterien  durch  Zentrifugieren  von  der  Flüssig- 
keit getrennt,  nochmals' in  Wasser  aufgeschwemmt,  wieder  zentrifugiert, 
den  Bodensatz  mit  20  Teilen  Azeton  10 — 15  Minuten  lang  angerührt 
(Vgl.  die  Herstellung  der  „Dauerhefe"  §  89),  auf  dem  Filter  mit  Azeton 
und  Äther  gewaschen  und  im  Vakuum  getrocknet.  Sie  erhielten  etwa 
1  g  trockene  Bakterien  aus  je  1  Liter.  Diese  wurden  mit  gleichen  Teilen 
Quarzsand  unter  Zusatz  einer  geringen  Wassermenge  10  Minuten  lang 
verrieben,  was  zu  vollständigem  Zerreißen  der  Zelle  genügte.  6,5  g  der 
Bakterien  ergaben  dann  mit  35  com  Wasser,  7,5  g  Rohrzucker,  1  g 
Kalziumkarbonat  und  1  ccm  Toluol  bei  30®  nach  4  Tagen  0,11  g,  nach 
ti  Tagen  0,27  g  Kohlensäure,  entsprechend  1,1  g  Milchsäure.  Letztere 
wurde  aus  dem  Rückstand  nach  Ansäuren  mit  Schwefelsäure  durch 
Äther  ausgeschüttelt  und  als  Zinksalz  ds^gestellt  (0,9  g).  D  e  r  k  1  a  r  e 
Prefisaft  aus  den  frischen  Bazillen  war  unwirk- 
sam, sein  Rückstand  aber  wieder  wirksam;  das 
Enzym  ist  also  entweder  unlöslich  oder  die  Zellsubstanz  wird  durch 
das  Zerreiben  nicht  genügend  aufgeschlossen.  Neben  dem  Gärungs- 
enzym ist  in  den  Zellen  ein  invertierendes  Enzym  (§  78)  enthalten. 

Etwa  gleichzeitig  gewann  Herzogt)  ebenfalls  im  Laboratorium 
von  B  u  c  h  n  e  r  aus  Reinkulturen  von  Bac.  aerogenes  (B.  acidi  lactici 
Hüppe)  durch  Schütteln  mit  Kieseiguhr  ein  Pulver,  das  trocken 
abgepreßt  und  mit  reichlichen  Mengen  eiskalten  Methylalkohols  ver- 
setzt, nach  10  Minuten  mit  Äther  gewaschen  und  im  Brutschrank  ge- 
trocknet wurde.  Das  Pulver,  das  sich  als  frei  von  lebenden  Keimen 
erwies,  war  imstande,  Milchzucker  in  Milchsäure  zu  verwandeln. 
Doch  ging  die  Reaktion  sehr  langsam  vor  sich  und  förderte  so  geringe 
Mengen  von  Milchsäure  zutage,  daß  der  Nachweis  nur  auf  mikrochemi- 
schem Wege  durch  das  Kobalto-Bariumlaktat  möglich  war. 

Ein  ähnliches  Enzym  hat  Stoklasa^)  aus  pflanzlichem  und 
tierischem   (Jewebe  gewonnen. 

Fraglich  ist,  ob  die  Gärungsfermente,  die  wir  danach  wohl  bei 
allen  Milchsäurebakterien  voraussetzen  dürfen,  bloß  Hexosen  (und 
Pentosen)  vergären  oder  auch  Disaccharide  ohne  Beihilfe  besonderer 
hydrolytischer  Enzyme  spalten.  Nachgewiesen  sind  letztere  mit 
Ausnahme  der  Diastase  bisher  ja  nur  ausnahmsweise  bei  Bakterien. 
Sie  könnten  freilich,  wie  die  Invertase  im  Bac.  Delbrückii  (s.  o.)  fest 
an  die  Zellen  gebunden,  d.  h.  Endoenzyme  sein.    Wahrscheinlich  be- 


1)  Zeitschr.  physiol.  Cham.  37.  381. 

2)  Ber.  botan.  Ges.   1904.  460;  Ber.  ehem.  Ges.   1905.  664. 
Kr  ose,  Mikrobiologie.  20 


306  Kap.  VI,  §  101  u.  102. 

ruhen  die  Unterschiede  zwischen  den  einzehien  Bakterien  auf  der  Ver- 
schiedenheit ihrer  Milchsäurefermente.  Über  die  chemischen  Vorgänge 
dabei  vgl.  das  bei  der  Zjrmase  Gesagte  (§  88). 

Die  günstigste  Temperaturfürdie  Milchsäuregänmg  ist  nach 
K  a  7  s  e  r  für  die  meisten  Bakterien  30 — 35®,  einige  der  von  ihm  unter- 
suchten Arten,  die  dem  Bac.  aerogenes  nahestehen,  wirkten  aber  ener- 
gischer bei  40®  und  noch  kräftig  bei  45®.  Bei  letzterer  Temperatur 
oder  noch  höher  (bis  52®)  gärt  der  Bac.  Delbrückii  (Bac.  acidificans 
longissimus),  der  in  der  Brennerei  zur  Säuerung  der  Maische  verwendet 
wird,  und  der  Bac.  lactis  acidi,  den  Leichmann  in  der  Milch  ge- 
funden hat.  Erst  unter  35®  pflegen  dagegen  die  langen  Bazillen  des 
sauren  Bieres  (Saccharobac.  pastorianus,  Bac.  Lindneri  Henneberg) 
zu  wachsen.  Zwischen  10 — 15®  verläuft  die  natürliche  Gärung  in  der 
Milch  schon  sehr  langsam. 

Die  Erfahrung  der  Milchwirtschaft  hat  gelehrt,  daß  einmaliges 
Erhitzen  der  Milch  auf  60 — 65®  zwar  die  große  Mehrzahl  der  Milch- 
säurebakterien tötet,  aber  die  widerstandsfähigsten  noch  lebendig 
läßt.  Nach  K  a  7  s  e  r  bestehen  auch  hier  je  nach  der  Art  große  Unter- 
schiede^). Erst  Temperaturen  von  70®  und  mehr  töten  sicher  und 
schnell. 

Ähnlich  wie  Erhitzung  wirken  Gifte.  In  kleinsten  Dosen  be- 
schleunigen die  letzteren  die  Gärung  (§  55). 

§  102.  Die  Beschaffenheit  der  Milchsäure.  Soviel  man  weiß, 
wird  bei  der  Milchsäuregärung  nur  die  Äth7lidenmilchsäure  oder  a-Oxy- 
propionsäure  von  der  Formel  CH3.CHOH.COOH  gebildet,  nicht  die 
/^-Ox7propionsäure  CHgOH .  CHj .  COOH.  Sie  erscheint  aber  in  drei 
Formen,  die  sich  durch  ihr  Verhalten  gegenüber  dem  polarisierten 
Licht,  ihre  Löslichkeit  und  ihr  Eristallwasser  voneinander  unter- 
scheiden, die  Rechtsmilchsäure  (Fleischmilchsäure,  Paramilchsäure), 
Linksmilchsäure  und  die  optisch  inaktive  oder  Gärungsmilchsäure. 
Dieser  letztere  Name,  der  von  L  i  e  b  i  g  stammt,  ist  nach  den  heutigen 
Erfahrungen  nicht  gerechtfertigt,  denn  bei  der  natürlichen  sauren 
Gärung  der  Milch  entsteht  nach  Günther  und  Thierfelder*), 
Kozai^), Thiele  *),Utz^)  und  anderen,  z.  B.  in  meinem  Labora- 
torium von  H  ö  1 1  i  n  g  gemachten  Untersuchungen  zwar  häufig  in- 
aktive, der  Kegel  nach  aber  mehr  oder  weniger  Rechtsmilch- 


1)  Eine  Zusammenstellung  über  die  Temperaturverhältnisse  der  einzel- 
nen Arten  s.  bei  Weigmann  in  Lafars  Handb.  2.  96. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  25;  Hyg.  Rundschau  1900.  769. 

3)  Lit.,  soweit  hier  nicht  aufgeführt  in  den   §  97  ff. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  46,   1904. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   11.  600,   1904. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  307 

sänre.  Seinen  Grund  hat  das  im  wesentlichen  wohl  darin,  daß  der 
Streptococcus  lacticus  in  Beinkultur,  wie  fast  alle  Untersucher  gefunden 
haben,  diese  letztere  Säure  bildet.  Wie  dieser  verhalten  sich  auch  die 
übrigen  Streptokokken,  z.  B.  der  Streptococcus  pyogenes  und  lanceo- 
latos  (H ö  Hing),  nach  Dzierzgowski  und  Rekowski^) 
die  Diphtheriebazillen,  nach  Kuprianow*)  das  Spirillum  Deneke, 
nach  Blachstein^)  das  Bact.  coli,  femer  viele  lange  Milchsäure- 
bazillen, wie  z.  B.  nach  v.  Freudenreich  und  T h ö n 7  der  Bac. 
casei  er,  nach  Leichmann  und  Bazarewski  das  Bact.  casei 
I~III,  nach  Bertrand  und  Weißweiller  der  Bac.  bulgaricus 
(in  Milch) ;  auch  nach  Schattenfroh ^)  der  Bac.  des  malignen 
Odems  und  der  „denaturierte"  Rauschbrand-  und  Buttersäurebazillus. 

Inaktive  Milchsäure  erzeugen  zunächst  lange  Bazillen, 
wie  der  Saccharobacillus  pastorianus,  der  das  Umschlagen  des  Bieres 
bewirkt  (van  Laer,  Henneberg),  der  Bac.  bulgaricus  nach 
Bertrand  und  Duchacek  in  künstlichen  Zuckerlösimgen,  dann 
Streptokokken,  wie  das  „Bact.  lactis  acidi'"  (Henneberg),  das 
„Bact.  Güntheri  var.  inactiva"  aus  sauren  Gurken  (A  d  e  r  h  o  1  d  ^)) , 
der  Bac.  casei  s  (von  Freudenreich  und  T  h  ö  n  y) ,  der  Entero- 
kokkus  (T i s s i e r  und  Gasching*)),  femer  der  Typhusbazillus 
iCatheline  au^)) ,  der  Bac.  acidi  lactici  (Blume  n  th  aP)) , 
die  Cholera-  und  Massauaspirillen  (R  o  n  t  a  1  e  r  ^)). 

Linksmilchsäure  bilden  nach  6  o  s  i  o  ^®)  und  K  u  p  r  i  a  - 
D  0  w  (s.  o.)  die  meisten  Spirillen,  auch  die  der  Cholera,  nach  L  e  i  c  h  - 
mann,  Henneberg,  Beijerinck  die  langen  Bazillen  der 
Brennereimaischen  (Bac.  Delbrückii,  longissimus)  und  der  sauren 
Milch  (Bac.  lactis  acidi,  caucasicus),  nach  Leichman n^^)  der  Micr. 
acidi  laevolactici,  nach  den  meisten  Forschem  (Tate^*),  Grim- 
bert*'),  Leichmann^*),   Kozai,   Thiele,   Harden)  der 


1)  Kochs  Jahresber.  1892.  66. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  19. 

3)  Zentr.  Bakt.  16.  862. 

4)  Arch.  Hyg.  48,  vgl.    §  113. 

5)  Kochs  Jahresber.  1899.   182. 

6)  Annal.  Fasteur  1903.  8. 

7)  Bei  D u  cl a u X  4.  163. 

8)  Virchows  Arch.   146. 

9)  Arch.  f.  Hyg.  22. 

10)  Ebenda  21  und  22. 

11)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.  777. 

12)  K  o  c  h  s  Jahresber.    1893.  191. 

13)  Arnial.  Fasteur  1895. 

14)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5.  446. 

20* 


308  Kap.  VI,  102. 

Bac.aerogenes,  pneumoniae  und  seine  Verwandten,  der  Bac.  coli,  Typhus- 
bazillufi  (B lachstein,  van  Ermenghem  und  van  Laer^), 
H  a  r  d  e  n) ,  der  Paratyphusbazillus  (P  o  1 1  e  v  i  n) ,  schließlich  auch 
der  Pestbazillus  (Gosio  und  Biginelli^)). 

Sieht  man  sich  die  Liste  an,  so  findet  man  verschiedene  Wider- 
sprüche bzw.  auffallende  Beobachtungen.  So  weichen  die  Befunde 
bei  den  Enterokokken,  den  Aderhold  sehen  Gurkenbakterien,  dem 
Bact.  lactis  acidi  (Henneberg),  obwohl  diese  Bakterien  in  die 
Nähe  des  Streptococcus  lacticus  gehören,  von  den  gewöhnlichen  dadurch 
ab,  daß  sie  nicht  Rechtsmilchsäure  ergaben,  umgekehrt  entsprechen 
die  Ergebnisse  beim  Bact.  casei,  Saccharobac.  pastorianus,  Bac.  bul- 
garicus  nicht  den  sonst  bei  den  langen  Milchsäurebazillen,  zu  denen 
sie  gehören,  üblichen  Funden  von  Linksmilchsäure.  Ebenso  stimmeTi 
schließlich  die  Ergebnisse  bei  Typhus-,  Coli-,  Aerogenesbazillen  und 
Spirillen  nicht  überein.  Manche  dieser  Widersprüche  werden  sich  wohl 
daraus  ei  klären,  daß  die  einzelnen  Forscher  mit  verschiedenen  Bak- 
terien arbeiteten,  daß  es  also  z.  B.  wirklich  Rassen  oder  Abarten  oder 
„Arten"  von  Streptokokken  gibt,  die  inaktive  oder  linksmilchsäure 
bilden,  und  solche  des  langen  Milchsäurebazillus,  die  inaktive  oder  Rechts- 
milchsäure entwickeln.  Durch  die  erstere  Annahme  würde  unseres 
Erachtens  besser  das  so  häufige  Vorkommen  von  inaktiver  Milchsäure 
bei  der  freiwilligen  Gärung  der  Milch  (ö.  o.)  erklärt  werden,  als  durch 
die  vielfach  ausgesprochene,  aber  nicht  genügend  durch  Beobach- 
tungen belegte  Vermutung,  daß  die  gewöhnlich  Linksmilchsäure  er- 
zeugenden Bakterien  der  Aerogenesgruppe  daran  schuld  seien.  Die 
Rassenbildung  zeigt  sich  übrigens  auch  in  dem  Schwanken  anderer 
Merkmale  deutlich  genug  (Verhalten  zu  der  Temperatur  (§  101),  zu 
den  Zuckerarten  (§  100)  usw.).  Was  die  Colibazillen  anlangt,  so  hat 
P  e  r  e  ®)  die  Varietätenbildung  bei  ihnen  in  der  Tat  bewiesen,  indem 
er  fand,  daß  sie  sich  je  nach  ihrem  Ursprung  entgegengesetzt  verhielten, 
die  Colistämme  aus  dem  Darme  der  Erwachsenen  und  Kinder  nämlich 
Linksmilchsäure,  aus  dem  der  Haustiere  und  Säuglinge  Rechtsniilch- 
säure  in  Glykoselösungen  bildeten. 

Teilweise  müssen  die  verschiedenen  Ergebnisse  aber  auch  auf  die 
Beschaffenheit  des  Nährbodens  und  der  Wachstums- 
bedingungen  zurückgeführt  werden.  So  zeigte  P  6  r  e  *)  ,  daß 
ein  Stamm  des  B.  coli  aus  Traubenzucker  rechtsdrehende,  aus  Frucht- 


1 )  Bei  D  u  c  1  a  u  X. 

2)  Bei  E  m  m  e  r  1  i  n  g  ,  vgl.  Anm.  2  auf  S.  293. 

3)  Compt.  rend.  soc.  biol.   1896.   446. 

4)  Annal.  Pasteur   1892  und  93. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  309 

zncker  inaktive  Säure  produzierte,  ein  anderer  aus  Glykose  Rechts- 
säure,  aus  Galaktose,  Mannose  und  Mannit  Linkssäure,  aus  Arabinose 
mehr  links-  als  rechtsdrehende,  aus  Rohrzucker  mehr  rechts-  als  links- 
diehende,  aus  Milchzucker  gleiche  Teile  davon,  also  inaktive  Säure 
erzeugte.  Ein  dritter  Stamm  schließlich  bildete  aus  allen  Zuckerarten 
Linksmilchsäure.  Ebenso  fand  Henneberg  ^),  daß  der  Bac.  lactis 
acidi  (W  e  i  g  m  a  n  n)  nur  aus  Milchzucker  Rechtsmilchsäure,  aus  allen 
anderen  Zuckerarten  Linksmilchsäure  bildete.  Für  eigentümliche  Ein- 
flüsse der  Stickstoffemährung  spricht  die  Erfahrung,  die  Bertrand 
und  Duchacek  beim  Bac.  bulgaricus  machten.  In  Milch  erzeugte 
er  neben  großen  Mengen  inaktiver  Säure  etwas  Rechtsmilchsäure,  in 
künstUch  zusanmiengesetzten  Zuckemährböden  (auch  Milchzucker) 
stets  nur  inaktive  Säure.  Sehr  wichtig  erwies  sich  auch  für  manche 
Arten  von  Colibazillen  die  Form  der  Stickstoffnahrung.  Aus  Glykose 
entstand  nach  P  e  r  e  bei  Darreichung  der  schlechter  nährenden  Ammo- 
niaksalze Linksmilchsäure,  bei  Ernährung  mit  Pepton  aber  Rechts- 
säoie.  Eine  neuere  Yersuchsreiche  ergab  P  e  r  e  ^) ,  daß  ein  und 
derselbe  Colistamm  nicht  nur  die  drei  verschie- 
denen Formen  der  Milchsäure  bildete,  wenn  ihm 
verschiedene  Zuckerarten  zur  Vergärung  dar- 
geboten wurden,  sondern  sie  auch  aus  einem  ein- 
zigen Zucker  erzeugen  konnte,  wenn  ihmdieser 
unter  wechselnden  Bedingungen  geboten  wurde. 

Die  Ergebnisse  waren  folgende: 

A. 
Zucker,  Kohlehydrat  oder  Alkohol    10  g 


X-..,  y.  1  Pepton 3  g 

^      ^  Kalziumkarbonat 6  g 


Temperatur  38  •. 


Wasser 200  g 

1.  Glykose:    Mischung  von   inaktiver   und   rechtsdrehender    Säure. 

2.  Mannose:    Inaktive  Säure. 

3.  Galaktose:         „  „ 

4.  Arabinose:  Linksmilchsäure  in  kleiner  Menge. 

5.  Saccharose:  etwas  inaktive  und  viel  Rechtsmilchsäure. 

6.  Laktose:  Linksmilchsäure. 

7.  Mannit:  ,, 

8.  Dulzit:  „ 

9.  Glyzerin:  „ 

Die  j  en  i  ge  n  Stoffe,  die  am  schlechtesten  vergoren 
werden,  scheinen  Linksmilchsäure,  die  mäßig  an- 
gegriffen werden,  inaktive,  die  am  besten  vergore- 


1)  Kochs  Jahreeber.   1903.  314. 

2)  Annal.  Pasteur  1898. 


310  Kap.  VI,   S  102. 

nen,  Kechtssäure  zu  liefern.  Die  folgenden  Versuche  be- 
stätigten das  aber  nicht.  Auch  fand  Pottevin  (S.  326)  umgekehrt  bei 
Hemmung  der  Gärung  durch  den  Parat3^husbazillus  Rechtsmilchsäure, 
bei  ungehinderter  Gärung  inaktive  Milchsäure. 

B. 

Dieselbe  Menge  des  Gärmaterials  wird  mit  wechselnden  Zusätzen 
von  stickstoffhaltigen  Substanzen  bei  verschiedener  Temperatur  und  teil- 
weise mit  antiseptischen  Zutaten  vergoren: 

a)  Glykose:     1.  Zusammensetzung    wie    bei    A.     Temperatur    aber    25**: 

Mischung  inaktiver  und  linksdrehender  Säure. 

2.  wie  bei  A,  aber  nur  der  10.  Teil  Pepton:  Linksmilchsäure. 

3.  wie  bei  A,  statt  Pepton  aber  Anmioniaksalz :  Linksmileh- 
säure. 

b)  Mannose:    1.  wie  bei  A,  aber  Zusatz  von  0,05%  Karbolsäure:  Rechts- 

milchsäure. 

2.  wie  bei  A.  Temperatur  aber  25*^:  Etwas  inaktive  und  \iel 
Rechtsmilchsäure. 

3.  wie  bei  A,  aber  nur  der   10.  Teil  Pepton:  Inaktive  mit 
etwas  Rechtssäure. 

4.  An  Stelle  des  Peptons  Ammoniaksalz:    Linksmilchsäure. 

c)  Saccharose  gibt  unter  ähnlichen  Verhältnissen  nur  Rechtsmilchsäure. 

Eine  Regel  ist  aus  diesen  Feststellungen  kaum  abzuleiten.  Man 
sieht  vielmehr,  wie  wenig  geklärt  die  ganze  Frage  noch  ist.  Die  Arbeiten 
anderer  Forscher  bestätigen  diesen  Satz  nur^).  Wenn  auch  vielleicht 
nicht  alle  Milchsäurebakterien  so  schwankende  Verhältnisse  zeigen, 
wie  das  B.  coU,  so  wird  man  doch  jedenfalls  dieBeschaffenheit 
der  Milchsäure  nicht  als  ein  wichtiges  Artcharak- 
teristikum  betrachten  können.  Manche  Tatsachen,  wie 
z.  B.  die  Beobachtung  von  K  a  y  s  e  r  ,  daß  das  Drehungsvermögen 
der  „reinen''  Bechts-  und  Linksmilchsäure  gegenüber  dem  polarisierten 
Lichtstrahl  erheblich  schwankt  (s.  u.),  legen  die  Vermutung  nahe, 
daß  wir  es  überhaupt  nicht  mit  reinen  Stoffen,  sondern  stets  mit 
Mischungen  zu  tun  haben.  Wie  wir  uns  die  so  ungleich  verlaufende 
Spaltung  des  Zuckers  stereochemisch  vorzustellen  haben,  darüber 
fehlt  uns  bisher  jeder  Anhaltspunkt.  Sicher  unrichtig  ist 
die  Annahme,  die  von  manchen  Seiten  gemacht 
wird,  daß  das  Zuckermolekül  stets  in  gleiche 
Mengen  Rechts-  und  Li  nks  milchs  äure  ,  also  in 
inaktive  Säure  gespalten  werde,  und  daß  erst  durch  Ver- 
brauch der  einen  oder  anderen  Modifikation  seitens  der  Mikroorganis- 


1 )  Vgl.  Täte,  Kayser,  Pottevin  a.  a.  O.,  ferner  C  a  t  h  ^  - 
1  i  n  e  a  u  ,  van  Ermengem  usw.  K  o  z  a  i  konnte  übrigens  ebenso- 
wenig wie  H  a  r  d  e  n  eine  Abhängigkeit  der  Gärprodukte  von  der  Art 
der  Stickstoffernährung  beobachten. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  311 

men  —  wie  bei  der  Weinsaure  u.  a.  m.  (§  58)  —  die  optisch  wirksamen 
Bestandteile  in  die  Eischeinung  treten.  Ein  solcher  Verbrauch  ist  zwar 
von  P  6  r  6  für  den  Bac.  coli  behauptet  worden,  ist  aber  jedenfalls 
nicht  die  Regel,  im  allgemeinen  wird  die  von  den  Bakterien  gebildete 
Milchsäure  vielmehr  gar  nicht  oder  erst  in  späteren  Stadien,  vielleicht 
unter  dem  Einfluß  des  Sauerstoffs  von  ihnen  angegriffen  (K  a  y  s  e  r). 

Einige  kurze  Bemerkungen  über  die  Darstellung  iind  die  Eigen- 
schaften der  Milchsäure  mögen  hier  Platz  finden.  Die  Gärflüasigkeit  wird 
auf  dem  Wasserbad  zum  Sirup  eingedämpft,  der  Rückstand  unter  Zusatz 
von  etwas  Phosphorsäure  wiederholt  und  reichhch  mit  Äther  ausgezogen, 
die  nach  Verjagen  des  Äthers  verbleibende  Flüssigkeit  in  Wasser  gelöst, 
mit  überschüssigem  Zinkoxyd  oder  Zinkkarbonat  gekocht,  mit  Tierkohle 
entfärbt  zur  Kristallisation  eingedämpft  und  dann  an  der  Luft  langsam 
gelTocknet.  Das  inaktive  Zinklaktat  hat  die  Zusammensetzung  (C,H(0,),Zn 
-f  3H,0  und  enthält  27,27%  ZnO  und  18,17%  Kristallwasser.  Es  löst 
sich  bei  15*  in  53  Teilen  Wasser,  gar  nicht  in  Alkohol.  Die  Zinksalze  der 
aktiven  Säuren  enthalten  nur  2  Moleküle  H,0  =  12,9%  Kristallwasser 
und  29,0%  Zinkoxyd,  sie  lösen  sich  schon  in  17,5  Teilen  Wasser  und  in 
1100  Teilen  Alkohol.  Das  Kristall wasser  wird  diurch  Trocknen  bei  110* 
bestimmt.  Theoretisch  wäre  es  möglich,  durch  seine  Bestimmung  oder  durch 
die  spezifische  Drehung  den  prozentischen  Gehalt  des  Präparats  an  aktivem 
und  inaktivem  Salz  zu  ermitteln.  Beide  Verfahren  begegnen  aber  Schwierig- 
keiten. Gewöhnlich  bedient  man  sich  der  Drehung  im  Polarisationsapparat. 
Die  Drehung  der  aktiven  Salze  ist  sehr  schwach  und  soll  nach  F  r  e  s  e  - 
n  i  u  8  u.  a.  nüt  steigender  Konzentration  sich  vermindern,  die  Zinksalze 
drehen  in  umgekehrtem  Sinne  wie  die  freien  Säuren,  das  rechtsmilchsaure 
Salz  also  links,  das  linksmilchsaure  rechts.  K  a  y  s  e  r  bestimmte  die  spezi- 
fische Drehung  des  Zinksalzes  der  Rechtsmilchsäure  für  die  Konzentration 

von  1,72%  auf  7«  45', 
3,476%  „  7»  54', 
3,796%     „    8»  20'. 

Die  für  Röhren  von  20  cm  Lange  beobachteten  Ausschläge  betrugen  dabei 
nur  16,  33  und  38  Minuten.  Die  für  das  Drehungsvermögen  gefundenen 
Werte  schwankten  aber  in  seinen  zahlreichen  Versuchen  sehr  bedeutend, 
6*  50'  war  das  Minimiun,  16*  43'  das  Maximum;  Zahlen  über  10®  wurden 
nicht  selten  gefunden.  Die  Berechnung  des  Gehaltes  an  den  verschiedenen 
Säuren  steht  also  auf  recht  schwankenden  Füßen.  Man  wird  sich  wohl 
begnügen  müssen,  nur  stärkere  Ausschläge  als  beweisend  zu  betrachten. 
Proientisch  anzugeben,  wieviel  inaktive  der  aktiven  Säiu-e  beigemischt 
iät.  und  ob  eine  solche  Beimischung  ganz  fehlt,  ist  unmöglich;  auch  die 
Feststellung  des  Kristallwassergehaltes  genügt  dazu  kaum,  da  ein  Teil 
des  Kristallwassers  schön  bei  gewöhnlicher  Temperatur  verloren  zu  gehen 
scheint.  Eine  Kontrolle  für  die  Reinheit  der  dargestellten  Salze  bietet 
der  Gehalt  an  ZnO,  der  durch  Veraschung  festzustellen  ist  (33,3%  des  bei 
110*  getrockneten  Präparats). 

Die  Tjrennung  der  Milchsäure  von  daneben  vorhandener  Bernstein - 
:^ure  gelingt  nach  Beilstein  (Zeitschr.  f.  analyt.  Chem.  21)  in  der  Weise, 
daß  man  die  saure  Lösung  der  Ätherrückstände  mit  schwacher  Kalilösimg 
neutralisiert  und  im  Kochen  mit  Bariumazetat  versetzt.    Der  Niederschlag 


312  Kap.  VI,  §  102  u.  103. 

enthält  sämtliche  Bernsteinsäiire,  deren  Menge  durch  den  damit  verbun- 
denen Baryt  bestimmt  wird.  In  dem  Filtrat  wird  nach  Palm  (ebend^i 
22  imd  26)  die  Milchsäure  mit  Bleiessig  und  alkoholischem  Ammon  als 
basisches  Bleisalz  gefällt  und  dann  als  Zinksalz  charakterisiert.  Man  kann 
auch  die  Bernsteinsäurebildung  schon  an  den  Kristallen  erkennen,  die  sirli 
bei  der  Verdunstung  der  in  wenig  Wasser  gelösten  Ätherrückstände  auf  der 
sirupigen  Flüssigkeit  (Milchsäure)  ausscheiden  und  von  dieser  durch  Fil- 
trieren und  Ausweichen  mit  konzentriertem  Bernsteinsäurewasser  trennen. 

§  103.  Die  anaerobe  Essigsäuregärung  oder  essigsaure 
Gärung  der  Kohlehydrate^).  Selbst  bei  der  reinen  Milchsäure- 
gärong,  wie  sie  Kayser,  Pottevin,  Leichmann,  Beijerinck, 
Henneberg  studiert  haben  (§  99),  werden  geringe  Mengen  von 
Nebenerzeugnissen,  und  zwar  vor  allem  flüchtige  Säuren  gebildet-). 
Nach  Pottevin  waren  es  Spuren  von  Ameisensäure  (§  108),  nach 
Kayser  u.  a.  neben  Kohlensäure  und  Alkohol  (§  104)  in  erster 
Linie  Essigsäure.  Je  nach  der  Eigenart  der  Mikroorganismen,  der 
Zusammensetzung  des  Nährbodens,  der  Dauer  der  Gärung  und  dem 
Einfluß  des  Sauerstoffs  auf  die  Gärung  fand  Kayser^)  große  Schwan- 
kungen in  dem  Verhältnis  zwischen  Milch-  und  Essigsäure.  Bei  12 
seiner  Bakterien  schwankte  dasselbe  z.  B.  in  öprozentiger  Milch- 
zuckerpeptonlösung  zwischen  22,5  und  7,5:1,  d.  h.  die  Essigsäure 
trat  hier  sehr  hinter  der  Milchsäure  zurück.  Nur  ein  Bakterium,  das  er 
selbst  als  Bac.  aerogenes  (s.  u.)  bezeichnet,  zeigte  das  Verhältnis  0,8  : 1, 
wäre  also  schon  besser  als  Essigsäurebakterium  zu  bezeichnen.  Die 
Bedeutung  des  Nährbodens  trat  in  einer  zweiten  Versuchsreihe  zutage. 
In  Milch  mit  Peptonzusatz  erzeugten  die  meisten  Bakterienarten  aller- 
dings auch  noch  mehr  Milch-  als  Essigsäure,  doch  nicht  in  dem  großen 
Überschuß,  wie  in  der  Milchzuckerlösung.  Der  oben  erwähnte  Bac. 
aerogenes  bildete  neben  Essigsäure  nur  noch  2%  Milchsäure,  erzeugte 
also  fast  reine  Essigsäuregärung,  bei  einigen  anderen 
näherte  sich  das  Verhältnis  zwischen  den  beiden  Säuren  der  Einheit 
imd  ging  noch  darunter  hinab :  es  verdienten  also  in  diesem  Nährboden 
schon  mehr  Mikroorganismen  den  Namen  von  Essigsäurebakterien. 


1)  Über  die  Darstellung  der  flüchtigen  Fettsäuren  aus  Gänings- 
gemischen  vgl.  O.  Jensen,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  13,  1904.  Am  besten 
hat  sich  ihm  wie  uns  die  D  u  cl  a  u  x  sehe  Destillationsniethode  bewährt. 

2)  Über  Essigsäurebildung  bei  der  natürlichen  Milchsäuregärung 
R.  K  o  z  a  i .  Zeitschr.  f.  Hyg.  38.  395,  1901.  Je  länger  sie  dauert,  desto 
mehr  Essigsäure  entsteht.  Vgl.  auch  bei  O.  Jensen  (Anm.  1)  die  flüchtige 
Säure  im  Käse. 

3)  Annal.  Pasteur  1894  und  Kochs  Jahresber.  1904.  320.  In  der 
zweiten  Arbeit,  die  4  grampositive  Bakterien  betrifft,  schwanken  die  er- 
haltenen absoluten  und  Verhältniszahlen  noch  bedeutender.  Hier  genaue 
Angaben  über  die  Befunde  in  den  einzelnen  Zuckerarten. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  313 

Folgende  Übersicht  gibt  das  Verhältnis  zwischen  der  Milchsäure- 
und  Essigsäurenienge  auch  noch  für  eine  dritte  Nährlösung  an. 


5%  Milchzucker 

Milch 

5,6%  Maltose 

Bakterien 

+  2  Pepton 

+  Pepton 

+  2%  Pepton 

a 

19,1 

5,0 

b 

9,7 

2,4 

13,7 

c 

18,7 

3,9 

d 

12,1 

0,5 

0,85 

e 

7,5 

2,5 

2,40 

{ 

0,8 

0,02 

g 

21,6 

8,0 

17,6 

h 

12,8 

1,9 

2,7 

1 

12,1 

1,1 

m 

9,3 

4,6 

17,5 

n 

16,2 

5,3 

14,5 

0 

22,5 

6,4 

14,3 

P 

13,7 

6,5 

11,9 

Wenn  K  a  y  s  e  r  Kulturen  desselben  Bakteriums,  aber  verschiedenen 
Alters  untersuchte,  fand  er  in  vielen  Fällen  das  Verhältnis  zwischen 
<len  fixen  und  flüchtigen  Säuren  im  wesentlichen  beständig,  in  anderen 
ziemlich  veränderlich.  Ausnahmsweise  groß  war  die  Veränderung 
bei  dem  Streptokokkus  der  infektiösen  Enterentzündung.  Während 
hier  nach  4  Tagen  mehr  Milchsäure  als  Essigsäure  gebildet  war,  kehrte 
sich  später  das  Verhältnis  um,  bis  schließlich  nur  noch  Spuren  von 
Milchsäure  nachweisbar  waren.  Gleichzeitig  stieg  die  Menge  der  Essig- 
säure auch  absolut.  Es  liegt  nahe,  hier  eine  Umwandlung  der 
Milchsäure  in  Essigsäure  anzunehmen  und  dabei  an  eine 
Einwirkung  des  Sauerstoffes  zu  denken. 

Daß  der  Zutritt  derLuft  auch  sonst  nicht  gleichgültig  ist, 
lehren  umfangreiche  Versuche  K  a  y  s  e  r  s.  Manche  seiner  Bakterien 
bilden  freilich  unter  aeroben  wie  anaeroben  Bedingungen  gleichviel 
oder  nahezu  gleichviel  Milch-  imd  Essigsäure,  häufig  wurde  aber  durch 
den  reichlichen  Sauerstoffzutritt  das  Verhalten  beider  Säuren  zugunsten 
der  Essigsäure  verändert.  Möglicherweise  findet  dabei  eine  teilweise 
Oxydation  der  Milchsäure  statt.  Freilich  braucht  das  nicht  notwendig  der 
Fall  zu  sein,  man  könnte  sich  auch  vorstellen,  daß  die  Fähigkeit  der 
Spaltung  des  Zuckers  zu  Essigsäure,  oder  wenn  wir  wollen,  das  Enzym 
dieser  Gärung  sich  besser  entwickelt,  wo  Sauerstoff  reichlich  geboten 
wird.  Notwendig  ist  der  Sauerstoff  jedenfalls  nicht 
zur  Entstehung  der  Essigsäure,  man  hat  also  ein 
volles  Recht,  diese   Gärung  als  anaerobe  Essig- 


314  Kap.  VI,  S  103. 

Säuregärung  zu  bezeichnen  und  sie  dadurch  zu  trennen 
von  der  Verbrennung  des  Alkohols  zu  Essigsäure,  die  wir 
gewöhnlich  als  Essigiäuregärung  bezeichnen  (§  135).  Die  einfachste 
Formel,  nach  der  wir  uns  die  Bildung  der  Essigsäure  vorstellen  können, 
ist  (vgl.  §  98) 

C^HijOi,  =  3C2H4O2. 

Möglich  wäre  die  Entstehung  der  Säure  auch,  wenn  wir  uns  das  Wasser 
gespalten  und  den  Kohlestoff  des  Zuckermoleküls  durch  seinen  Sauer- 
stoff teilweise  oxydiert  dächten,  z.  B.  nach  der  Oleichung 

CeH^O«  +  2  HgO  =  2  C^H  A  +  2  CO,  +  4  H,. 

Dabei  würden  aber  immer  reichliche  Mengen  Gas,  nämlich  in  dem 
Verhältnis  von  2  Teilen  Wasserstoff  zu  1  Teil  Kohlensäure,  auftreten, 
was  tatsächlich  aber  nur  bei  den  weiter  unten  zu  besprechenden  Milch- 
säure-Essigsäuremischgärungen der  Fall  ist.  Wir  werden  deshalb  der 
ersten  Formel  den  Vorzug  geben,  um  so  mehr,  da,  selbst  wenn  eine 
Entwicklung  von  Gas  nachweisbar  ist,  dessen  Menge  nicht  in  einem 
bestimmten  Verhältnis  zur  Essigsäuremenge  zu  stehen  pflegt  (s.  u. 
§  105). 

Zu  bedauern  ist,  daß  K  a  y  s  e  r  ,  der  sicher  unter  seinen  Bakterien 
viele  Streptokokken  und  auch  lange  Milchsäurebazillen  gehabt  hat, 
diese  nicht  in  reiner  Milch  auf  Essigsäurebildung  geprüft  hat.  Die 
meisten  übrigen  Forscher,  die  das  getan  haben,  fanden  bei  der  Ver- 
gärung der  Milch  durch  diese  energischen  Milchsäurebakterien  nur 
kleine  Mengen  von  Essigsäure,  so  z.  B.  B  e  r  t  r  a  n  d  und  W  e  i  ß  - 
w  e  i  1 1  e  r  (S.  297,  Anm.  1)  beim  Bac.  bulgaricus  50  mal  soviel  Milch- 
wie  Essigsäure.  Das  Verhalten  der  übrigen  Zuckerarten  bei  diesen, 
namentlich  den  Streptokokkengärungen,  verdient  überhaupt  noch 
genauer  festgestellt  zu  werden.  Für  die  langen  Bazillen  entnehmen 
wir  der  Arbeit  Hennebergs,  daß  sie  auch  aus  Rohrzucker  nur 
wenig  oder  gar  keine  flüchtige  Säure  bilden.  Der  vielleicht  hierher 
gehörige  Bac.  manniticus  von  Gay  on  und  Dubourg(S.  291)  erzeugt 
dagegen  ziemlich  beträchtliche  Mengen  aus  Glykose,  Galaktose  und 
namentlich  Saccharose. 

Zu  den  Essigsäurebakterien  im  hier  besprochenen  Sinne  gehört 
vor  allen  Dingen,  wie  wir  früher  sahen,  die  ganze  Verwandtschaft  des 
Bac.  aerogenes,  d.  h.  unsere  dritte  Gruppe  der  Milchsäurebakterien, 
wir  haben  die  Literatur  darüber  schon  S.  300  angeführt  imd  erinnern 
hier  nur  daran,  daß  je  nach  der  Eigenartdes  Stammesund 
der  Beschaffenheit  des  Zuckers  bald  mehr,  bald 
weniger  Essigsäure  neben  oder  anstatt  derMilch- 
säuregebildetwird.   Von  einerreinen  (anaeroben) 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  315 

essigsauren  Gärung  darf  allerdings  nur  selten 
gesprochen  werden,  da  gewöhnlich  mit  ihr  eine 
alkoholische  und  zum  größtenTeil  auch  eine  Was- 
serstoff gär  ung  einhergeht,  oder  auch,  wie  bei 
den  pathogenen  Typhus-,  Dysenterie-  und  Pseudo- 
dysenteriebazillen,  andere  flüchtige  (Ameisen- 
säure) oder  auch  nicht  flüchtige  Säuren  (Bernstein- 
säure) beigemengt  sind.  Wie  wir  im  folgenden  §  104  sehen 
werden,  ist  die  Bildung  der  Ameisensäure  neben  der  Essigsäure  und 
dem  Alkohol  deswegen  wichtig,  weil  sie  vielleicht  gestattet,  eine  andere 
eio&che  Gleichung  für  die  Entstehung  der  Essigsäure  aufzustellen. 
Es  ist  nämlich: 

C,H^O.  +  H,0  =  CjHA  +  CoH,0  +  2CH2O,. 

Verhältnismäßig  am  wenigsten  Essigsäure  entsteht  durch  die  nicht 
genau  genug  beschriebenen,  von  Frankland  und  seinen  Mitarbeitern 
aber  biochemisch  gründlich  studierten  Bac.  ethaceticus  imd  ethaceto- 
succinicus,  die  uns  in  den  folgenden  (§§  104,  105,  107,  108,  131  näher 
beschäftigen  werden,  femer  bei  der  Vergärung  des  Traubenzuckers 
(H  a  r  d  e  n  ^)) ,  vielleicht  aber  auch  des  Milchzuckers  (L  e  i  c  h  - 
mann*))  durch  die  Bakterien,  die  sich  in  ihren  sonstigen  Eigen- 
schaften dem  Bac.  aerogenes  und  coli  nähern,  aber  durch  die  Zusammen- 
setzung der  von  ihm  gebildeten  Gase  und  die  nicht  seltene  Verflüssigung 
der  Gelatine  dem  Bac.  cloacae  verwandt  sind,  also  zur  4.  Gruppe 
der  Milchsäurebakterien  gehören  (vgl.  §  104  u.  105).  Die  Stelle  der  Essig- 
säure vertritt   hier  nach  Leichmann  die  Bemsteinsäure  (§  107). 

Die  Essigsäure  fehlt  auch  bei  der  Buttersäuregärung  (§  113  ff.) 
und  2^11ulosevergärung  (§  117)  nicht,  wir  begegnen  ihr  femer  beim 
Bac.  aethylicus  (§  104)  und  formicicus  Omelianskys  (§  140).  Daß 
auch  andere  Vertreter  der  Säurelabbakterien  als  die  Anaerobier  und 
der  Bac.  cloacae  hierher  gehören,  ist  wahrscheinlich. 

Unter  den  Heubazillen  der  Milch  gibt  es  nach  Kalischer  ^) 
solche,  die  Milch-  und  noch  mehr  Traubenzucker,  sowie  Glyzerin  (§  131) 
imd  Milchsäure  (§  142)  unter  Bildung  von  Essigsäure  imd  Ameisen- 
säure angreifen.  Milchsäure  fehlte,  Buttersäure  war  zweifelhaft,  Bal- 
driaosäure  auch  vorhanden,  aber  wahrscheinlich  aus  Eiweiß  entstanden. 
Obwohl  die  Heubakterien  strenge  Aerobier  sind  und  den  giößten 
Teil  des  Zuckers  wohl  unmittelbar  verbrennen  (§  123),  sind  sie  zur 
Spaltung  des  Zuckers  in  Essigsäure  imstande,  können  also  wahrschein- 


1)  Journ.  of  hyg.  1905. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5,  1899. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  37. 


316  Kap.  VI,  §  103  u.  104. 

lieh  ihr  Ferment  (in  ähnlicher  Weise  wie  die  Hefezellen  die  Zjrmafie) 
nur  bei  Sauerstoffzutritt  bilden.  Auch  fakultative  Anaerobier,  die 
den  Milchzucker  sogar  unter  Gasbildung  vergären,  sind  aber  unter  den 
Heubazillen  der  Milch,  wenn  auch  selten  zu  finden  (D  u  c  1  a  u  x , 
Flügge  ^)).  Die  dabei  gebildeten  Säuren  sind  aber  noch  nicht  ge- 
nügend untersucht.  Über  den  aeroben,  sporenbildenden  Bac.  booco- 
pricus  Emmerlings,  der  aus  Glykose  und  Laktose  Milchsäure 
und  Äthylalkohol,  aus  Glyzerin  aber  Essigsäure,  Buttersäure,  Methyl- 
alkohol usw.  bildet,  vgl.  die  Vergärung  des  Glyzerins  (§  131).  Der 
stickstoffbindende  Bac.  asterosporus  bildet  nach  Bredemann^), 
abgesehen  von  nicht  untersuchten  fixen  Säuren  aus  Trauben-  und  Rohr- 
zucker hauptsächlich  Essigsäure,  daneben  Spuren  von  Ameisen-  und 
höheren  Säuren,  ferner  aldehydartige  Verbindungen. 

Von  einemEnzym  der  anaeroben  Essigsäuregärung  („Glukazetase'\ 
E.  B  u  c  h  n  e  r)  wissen  wir  vorläufig  nichts,  wenn  wir  von  den  bei  der 
Zymasegärimg  gemachten  Beobachtungen  (S.  264)  absehen.  Manches 
spricht  dafür,  daß  auch  hier  die  Poly-  imd  Disaccharide  nicht  durch 
besondere  hydrolytische  Enzyme  für  die  Gärung  vorbereitet  zu  werden 
brauchen. 

§  104.  Alkoholische  Gärung  durch  Bakterien.  Nicht  ganz 
so  häufig  wie  die  Essigsäure  ist  der  Alkohol  ein  Nebenerzeugnis  der 
Milchsäuregärung^).  Selbst  bei  der  reinen  Milchsäuregärung  (§  99) 
durch  die  Streptokokken*)  und  langen  Bazillen^)  ist  er  häufig,  wenn 
auch  meist  nur  in  Spuren  gefunden  worden.  In  anderen  Fällen  spricht 
der  Nachweis  der  Entwicklung  von  reiner  Kohlensäure  als  einziges 
Gas  für  die  gleichzeitige  Bildung  von  Alkohol.  Derartige  Befunde 
sind  gar  nicht  selten  gemacht  worden,  z.  B.  von  Leichmann  ^) 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   17.  293. 

2)  Zeiitr.  Bakt.  2.  Abt.  22.  88,  1908. 

3)  Über  Alkohol  bei  der  freiwilligen  Milchsäuregänmg  s.  K  o  z  a  i , 
Zeitschr.  f.  Hyg.  38.  395,  1901. 

4)  Nach  Kaysers  erster  Arbeit  (S.  312,  Anm.  3)  beträgt  der 
Alkoholgehalt  höchstens  3 — 4%  der  Milclisävire,  nacli  seiner  zweiten  aber 
bis  50%.  Mit  Recht  bezweifelt  Leichmann  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
5.  344,  1899),  daß  die  Jodoformreaktion  allein  für  den  Nachweis  der  Alkohol- 
gärung genüge,  weil  auch  frische  Milch  bei  der  Destillation  solche  gebe. 
Was  den  Kohlensäurenachweis  angeht,  so  wird  er  wohl  öfters  dadurch 
erschwert,  daß  die  geringen  Gasmengen  sich  im  Nährboden  lösen.  Anderer- 
seits kann  bei  gleichzeitiger  Gegenwart  von  kohlensaurem  Kalk  im  Nähr- 
boden auch  durch  die  Bildimg  anderer  Säuren  Kohlensäurebildung  vor- 
getäuscht werden. 

5)  Z.  B.  bei  Saccharobac.  pastorianus  und  Bac.  Lindneri  (Henne- 
berg). 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.  777. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  317 

beim  Micr.  (Strept.)  acidi  laevolactici,  beim  Bact.  pabuli  acidi  III 
Weiß'*),  dem  Lactobac.  fermentimi  B  eij  e  ri  n  cks*).  In  letz- 
terem Falle  wird  reichlich  Kohlensäure  gebildet,  ebenso  beim  Bac. 
mamiiticus,  der  wohl  auch  zu  den  langen  Bazillen  gehört.  Gayon 
und  D  u  b  o  u  r  g  haben,  wie  wir  schon  S.  291  sahen,  bei  diesem  Bazillus 
alle  bei  der  Grärung  entstandenen  Stoffe  vollständig  untersucht  und 
dabei  ungefähr  gleichgroße  Mengen  Alkohol  und  Kohlensäure  ge- 
funden').  Das  spricht  dafür,  daß  bei  diesen  Bakterien  die  bekannte 
Formel  für  die  alkoholische  Gärung 

CeHjA=2C,HeO+20O2 

Geltung  besitzt.  Wie  bei  der  Gärung  durch  Hefe  verfallen  hier  auch 
die  Pentosen  nicht  der  Zersetzung.  Von  den  Disacchariden  wird  femer 
der  Milchzucker  am  wenigsten  angegriffen.  Trotzdem  sind  wir  weit 
von  völliger  Übereinstimmung  der  beiden  Gänmgen  entfernt,  können 
also  auch  nicht  das  gleiche  Gärungsenzym  für  beide  annehmen,  denn 
der  Bac.  manniticus  vergärt  die  Fruktose  überhaupt  nicht  zu  Alkohol- 
sondem  zu  Mannit  (§  124)  imd  die  Disaccharide  auch  nicht  nach  vor- 
hergehender Hydrolyse,  sondern  unmittelbar.  Außerdem  greifen 
andere  lange  Bazillen  auch  Pentosen  an  (S.  300). 

Es  darf  übrigens  nicht  verschwiegen  werden,  daß  es  neben  den 
genannten  Fällen,  in  denen  mehr  oder  weniger  reichlich  alkoholische 
Gärung  hervorgerufen  wird,  auch  andere  gibt,  in  denen  sie  nicht  nach- 
gewiesen  werden  kann.  Für  den  Streptococcus  lacticus  betonen  das 
z.  B.  Leichmann  und  Pottevin  (§  99),  für  die  langen  Bazillen 
der  Brennereimaische  (Bac.  Delbrückii)  Henneberg,  für  den  Bac. 
bulgaricus  Bertrand  und  Weißweiller. 

Fast  regelmäßig  wird  dagegen  Alkohol  von  der  Gruppe  des  Bac. 
aerogenes  gebildet.  Wir  haben  die  Literatur  schon  (S.  300 f.)  aufgeführt, 
als  wir  von  dem  Verhalten  der  Milchsäurebakterien  zu  den  einzelnen 
Znckerarten  sprachen.  Es  fragt  sich,  ob  wir  die  alkoholische  Gärung 
auch  hier  unter  die  Formel  C^H^gOg  =  2C2HgO  +  2CO2  bringen  dürfen. 


l)Koch'8  Jahresber.   1900,   198. 

2)  Zeitschr.  f.  Spiritusind.   1901. 

3)  K  a  y  8  e  r  findet  allerdings  in  seiner  zweiten  Arbeit  bei  seinem 
Kokkus  Nr.  1  meist  erheblich  mehr  Kohlensäure  als  Alkohol.  Wenn  die 
Beetimmungen  richtig  sind,  so  muß  man  hier  nach  einer  anderen  Quelle 
der  Kohlensaurebildung  suchen.  Da  in  den  Versuchen  Oxydationen  durch 
Luftsauerstoff  ausgeschlossen  waren,  könnte  die  Kohlensäiu:*ebildung  nur 
durch  gleichzeitige  Bildung  reduzierter  Körper,  wie  z.  B.  der  Propion- 
säure oder  des  Mannits  aus  dem  Zucker  erklärt  werden.  In  der  Tat  hat 
K  a  y  8  e  r  beide  Stoffe  neben  Milchsäure  und  Essigsäure  mehrfach  nach- 
Kt'wiesen  (s.  u.  §  109  u.  124),  übrigens  keine  vollständigen  Gärungs- 
gleichungen  aufzustellen  versucht. 


318  Kap.  VI,  S  104. 

Die  Schwierigkeiten  sind  hier  erheblich  größer,  als  bei  den  eben  be- 
sprochenen „echten*'  Milchsäurebakterien,  weil  vom  Bac.  aerogenes 
und  seinen  Verwandten  bei  Sauerstoff abschluß  niemals  neben  dem 
Alkohol  reine  Kohlensäure,  sondern  immer  eine  in  ihren 
Mengenverhältnissen  wechselnde  MischungvonKohlensäure 
und  anderen  Gasen,  nämlich  Wasserstoff  gebildet,  außer- 
dem gewöhnlich  nicht  nur  Hexosen  und  Disaccharide,  sondern  auch 
Pentosen  und  höhere  Alkohole  (Glyzerin,  Mannit  usw.)  angegriffen 
werden. 

Sehen  wir  uns  zunächst  einmal  die  Menge  des  Alkohols  im  Ver- 
hältnis zu  der  anderer  Stoffe  an.  Nach  Frarukland^)  und  seinen 
Mitarbeitern  Stanley  und  F  r  e  w ,  denen  wir  die  ersten  gründ- 
lichen Analysen  verdanken,  erzeugt  der  Bac.  pneumoniae  (Fried- 
1  ä  n  d  e  r)  —  in  Äquivalenten  berechnet  —  fast  doppelt  soviel  Alkohol 
aus  Glykose  (und  Mannit  §  131)  als  Essigsäure  und  etwas  mehr  Kohlen- 
säure als  Wasserstoff  (13  :  10).  Grimberts  davon  ganz  abweichende 
Ergebnisse,  die  wir  schon  §  98  angeführt,  beweisen,  daß  er  einen  völlig 
verschiedenen  Bazillus  in  Händen  hatte.  Harden  erhielt  mit  dem  „Bac. 
coli"  in  seiner  ersten  Arbeit  (ebenda)  ebenfalls  etwas  andere  Resultate, 
nämlich  außer  viel  Milchsäure  gleiche  Mengen  Essigsäure  und 
Alkohol,  Kohlensäure  und  Wasserstoff,  und  zwar  aus  Glykose  sowohl 
wie  aus  Fruktose,  während  aus  Mannit  und  namentlich  aus  Glyzerin 
Alkohol  im  Überschuß  gewoimen  wurde  (§131).  Typhusbazillen  er- 
zeugten aus  Glykose  ähnliche  Stoffe  wie  Kolibazillen,  nur  wurden  die  Gase 
durch  Ameisensäure  ersetzt,  die  bei  den  letzteren  ebenso  wie  Bern- 
steinsäure  nur  in  Spuren  auftrat.  Wir  müssen  hier  gleich  bemerken, 
daß  Sera  neuerdings  in  meinem  Laboratorium^)  weder  bei  Tjrphus- 
noch  bei  Dysenterie-  und  Pseudodysenteriebazillen  Alkohol,  sondern 
nur  Essig-  und  Ameisensäure  fand.  Dieser  auffallende  Widerspruch 
bleibt  also  aufzuklären  (s.  u.  §  108).  Später^)  lieferte  Harden  den 
Nachweis,  daß  man  zwei  T3rpen  von  Aerogenes-  und  Coli-  oder  besser 
„Fäkalbakterien"  zu  unterscheiden  hat:  der  erste,  häufigere  bildet 
Alkohol  und  Essigsäure  in  annähernd  äquimolekularen  Mengen  —  genau 
genonmien  schwankt  allerdings  das  Verhältnis  zwischen  1,5  imd  0,7: 1. 
Der  zweite  Typus,  zu  der  auch  der  Gelatine  verflüssigende  und  daher 
einen  Übergang  zu  der  Gruppe  der  Säurelabbakterien  (§  97)  bildende 
Bac.  cloacae  Jordans  gehört,  gibt  ein  Verhältnis  von  3  bis  19: 1,  d.  h. 


1)  Vgl.    S.    300.     Wir  benutzen  hier  die  ausführlichen  Berichte  in 
Kochs  Jahresber.   1891  u.   1892. 

2)  Zeitschr.  Hyg.   66,   1910. 

3)  Joum.  of  hygiene  1905,  vgl.  Kochs    Jahresber. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  319 

einen  großen  Überschuß  von  Alkohol^).  Leider  unterließ  H  a  r  d  e  n 
hier  die  Beetimmung  der  Gase,  aber  es  ist  wahrscheinlich,  daß  seine 
beiden  Gruppen  sich  auch  durch  ihre  Gase  unterscheiden,  indem  die 
Bac.  cloacae  und  Verwandte  neben  Alkohol  auch 
Kohlensäure  in  erheblichen  Überschuß  über  Was- 
serstoff bilden  (§  105  u.  112).  Eine  Andeutung  dieses  Verhält- 
nisses zeigten  schon  die  obigen  Analysen  Franklands,  und  auch 
die  von  demselben  Forscher  angestellten  Untersuchungen  über  die 
Produkte  des  vielleicht  ebenfalls  hierhergehörigen  Bac.  ethaceticus 
and  ethacetosuccinicus,  die  freilich  meist  Mannit  und  Dulzit  und  nur 
nebenbei  Glykose  und  Arabinose  betreffen  (vgl.  §  131),  sowie  die  aus- 
führlichen Stadien  Pottevins  über  die  Paratyphusbazillen  (§  105) 
sprechen  dafür,  daß  mit  dem  Alkohol  die  Kohlensäure  zunimmt. 

Kommen  wir  jetzt  zurück  zu  der  Frage  nach  der  Bildungsweise 
des  Alkohols,  so  gibt  Frankland  auf  Grund  seiner  Befunde  ver- 
wickelte Formeln  an,  die  alle  Zersetzungsprodukte  zusammenfassen 
(vgl.  §  131),  Weit  einfacher  sind  die  Gleichungen  H  a  r  d  e  n  s.  Wir 
haben  schon  S.  294  bemerkt,  daß  sie  uns  zu  einfach  erscheinen,  und 
die  Mannigfaltigkeit  der  im  Vorstehenden  mitgeteilten  Analysen  liefert 
den  Beweis  für  diese  unsere  Auffassung.  A.  a.  0.  haben  wir  auch  darauf 
hingewiesen,  daß  die  so  wechselnden  Mengenverhältnisse  zwischen  den 
einzelnen  Gärprodukten  sich  erklären  lassen,  wenn  man  mit  D  u  c  1  a  u  x 
für  jedes  Erzeugnis  möglichst  besondere  Teilgärungen  annimmt.  Dann 
liegt  es  aber  am  nächsten,  für  die  Alkoholbildung  zurückzugreifen  auf 
die  bekannte  Gay-Lussac sehe  Formel,  und  die  Entwicklung 
von  Milchsäure  und  Essigsäure  und  Wasserstoff  auf  die  schon  in  §  98 
erwähnten  und  im  §  99,  103  und  105  näher  besprochenen  einfachen 
Formeln  zurückzuführen.  Immerhin  bestände  die  Möglichkeit,  daß 
die  von  H  a  r  d  e  n  angegebene  Gärungsgleichung  wenn  auch  in  etwas 
veränderter  Form  Existenzberechtigung  besäße.  Zunächst  könnte  man 
schon  die  H  a  r  d  e  n  sehe  Gleichung 

I)  2CeHi,0e  +  H^O  =  2C3He03  +  C^HA  +  C^HeO  +  200^  +  2H2 

vereinfachen,  indem  man  die  Milchsäuregleichung  von  ihr  abzieht. 
Es  bliebe  dann : 

II)   CgH^O«  +  HjO  =  CjH A  +  C AO  +  2  CO2  +  2  H^. 


1)  Die  Menge  des  aus  1  Molekül  vergorenen  Traubenzuckers  ge- 
bildeten Alkohols  stieg  dabei  nur  imbedeutend  (von  etwa  0,5  auf  0,7  Molekül), 
während  die  der  Essigsäure  (von  0,6  auf  0,05  Molekül)  sank.  Im  besten 
Fall  wurden  nach  14tägiger  Bebrütung  einer  Lösung  von  10  g  Glykose, 
5  g  Pepton  in  500  com  Wasser  (in  Stickstoff atmosphäre  mit  Kjeidezusatz) 
nicht  mehr  als  2  g  Alkohol  gewonnen. 


320  Kap.  VI,   §  104  u.   105. 

Auch  sie  ist  wohl  noch  nicht  berechtigt,  weil  sie  ein  bestimmtes  Ver- 
hältnis von  Essigsäure  und  Alkohol  voraussetzt,  das  in  Wirklichkeit 
nicht  zu  bestehen  scheint.  Beseitigt  man  darum  die  Essigsäure,  indem 
man  die  Formel  II  dreimal  nimmt  und  von  ihr  die  Gleichung  der  anae- 
roben Essigsäuregärung  abzieht,  so  erhält  man 

III)    2CeHi20e  +  SH^O  =  SC^Ufi  +  6C0.^  +  eH^. 

Zunächst  scheint  diese  Gleichimg  kaum  einen  Vorzug  zu  verdienen, 
denn  sie  setzt  zwischen  dem  Alkohol  imd  den  Gasen  ein  feststehendes 
Verhältnis  voraus,  was  die  Analysen  wieder  nicht  bestätigen.  Ein 
anderes  Gesicht  bekommt  dies  allerdings,  wenn  man  die  schon  von 
Frankland  ausgesprochene  und  dann  von  H  a  r  d  e  n  aufgenommene 
Vermutung  sich  zu  eigen  macht,  daß  Kohlensäure  und  Wasserstoff 
bei  den  uns  hier  beschäftigenden  Gärungen  im  wesentlichen  aus  einer 
Spaltung  der  Ameisensäure  nach  der  Formel 

IV)  CHA  =  COj  +  Hj 

hervorgehen.   Danach  würde  sich  ergeben: 

Illa)    2  CeHigOe  +  3  ELjO  =  3  CgHeO  +  6  CH^Oa 

und  natürlich  entsprechende  Abänderungen  der  Gleichungen  I  und  K. 

Nach  den  Mitteilungen  Hardens  schien  es  fast,  als  ob  sich  diese 
Umsetzung  im  Falle  des  Typhusbazillus  verwirklichte.  Durch  die  er- 
wähnte  Arbeit  Seras  ist  das  aber  wieder  zweifelhaft  geworden.  Trotz- 
dem wird  man  vielleicht  die  Gleichung  Illa  hin  und  wieder  benutzen 
dürfen,  um  die  Entstehung  wenigstens  eines  Teiles  des  Alkohols,  der 
Ameisensäure  (§  108)  und — mit  der  Gleichimg  IV  zusammen  — der 
Gase  (§  105)  zu  erklären. 

Daß  die  eigentliche  alkoholische  Gärung  daneben  ihr  Recht  behält, 
scheint  uns  aber  namentlich  durch  die  oben  auseinandergesetzten 
Beziehungen  zwischen  Alkohol-  und  Kohlensäurebildung  bewiesen  zu 
werden. 

Wenn  wir  im  großen  und  ganzen  geneigt  sind,  die  Bildung  des 
Alkohols  aus  dem  Zucker  uns  auf  dem  von  der  Hefegärung  her  bekannten 
Wege  zu  deuten,  so  ist  doch,  wie  schon  oben  bemerkt,  nicht  an  eine 
Gleichheit  des  die  Gärung  verursachenden,  vorläufig  freilich  nur  an- 
genommenen, Enzyms  zu  denken.  Schon  die  vielfach  beobachtete 
Hineinziehung  der  Pentosen  und  hochwertigen  Alkohole  in  die  Bak- 
teriengärung macht  das  unmöglich,  ebenso  das  ungleiche  Verhalten 
der  Hexosen  und  Disaccharide.  Ein  schönes  Beispiel  dafür  bietet  die 
Arbeit  Grimberts  über  den  Bac.  pneumoniae  (S.  292).  Nach  ihr 
entgeht  gerade  die  durch  Hefe  leicht  vergärbare  Glykose,  Maltose  und 
Saccharose  sowie  die  Axabinose  der  alkoholischen  Gärung,  während 
Galaktose,  Laktose  und  Xylose  ihr  verfallen. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  321 

Aach  die  Säurelabbakterien  (außer  demBac.  cloacae,  s.o.)  kommen 
teilweise  als  Alkoholbildner  in  Betracht,  sind  freilich  daraufhin  noch 
wenig  studiert  worden.  Echte  Alkoholgänmg  wurde  vor  allem  be- 
obachtet bei  Anaerobiem.  Sie  hat  deswegen  ein  besonderes  Interesse, 
weil  bei  diesen  die  Äthylalkohol-Essigsäuregärung  die  Butylalkohol- 
Battersäuregärung  vertreten  zu  können  scheint.  So  beschreibt  D  u  - 
cl a u X ^)  einen  Bac.  (Amylobacter)  aethylicus,  der  dem  Amylobacter 
butylieum  in  seinen  sonstigen  Eigenschaften  durchaus  entspricht^). 
Das  gleichzeitige  Erscheinen  des  Alkohols  mit  2  bzw.  i  Eohlenstoff- 
atomen  mit  ihren  zugehörigen  Säuren  ist  wohl  nicht  als  zufällig  zu 
betrachten,  da  wir  ihm  sehr  häufig  begegnen.  Allerdings  wechselt  das 
Mengenverhältnis  zwischen  Säure  und  Alkohol,  wie  wir  schon  sahen, 
sehr  bedeutend,  auch  tritt  gelegentlich  Essigsäure  ohne  Alkohol  und 
Buttersäure  ohne  Butylalkohol  auf.  Dennoch  ist  die  Regel  nicht  zu 
verkennen.  Die  Erklärung  dafür  kann,  wie  D  u  c  1  a  u  x  bemerkt, 
nicht  etwa  darin  gesucht  werden,  daß  die  Säure  durch  Oxydation  aus 
dem  Alkohol  entstehe,  denn  sie  wird  ganz  in  derselben  Weise  bei  Ab- 
wesenheit freien  Sauerstoffs  beobachtet.  Vielmehr  ist  es  wahrschein- 
lich, daß  die  Spaltungen  des  Zuckers  in  Alkohol  und  Säure  nicht  ganz 
unabhängig  voneinander  verlaufen.  Vielleicht  haben  die  Enzyme^),  die 
einerseits  den  Alkohol,  andererseits  die  Säure  erzeugen,  eine  stereo- 
chemische Verwandtschaft.  Man  kann  dabei  wieder  an  den  bekannten 
Fische rschen  Vergleich  mit  Schlüssel  und  Schloß  denken. 

Für  die  Theorie  E.  Buchners,  der  den  Alkohol  bei  der  Hefe- 
gärung aus  der  Milchsäure  entstehen  läßt  (§  88),  bieten  die  bei  der 
Bakteriengärung  gemachten  Erfahrungen  keine  unmittelbare  Stütze, 
widersprechen  ihr  sogar  insofern,  als  wir  hier  Fälle  kennen  gelernt  haben, 
wo  sicherlich  Alkohol,  aber  gar  keine  Milchsäure  gebildet  wird  (G  r  i  m  - 
b  e  r  t ,  S.  292)  und  als  es  nicht  gelungen  ist,  durch  Bakterien  Milchsäure 
in  Alkohol  überzuführen  (§  142). 

§  105.  Wasserstoff gärung.  So  können  wir  das  gleichzeitige  Auf- 
treten von  Wasserstoff  (und  Kohlensäure),  das  bei  den  gemischten 
Gärungen  durch  die  Bakterien  der  Aerogenes-  (Coli-)  und  Säurelab- 
gnippe  recht  häufig  ist,  nennen  (S.  293).    A.  a.  0.  haben  wir  schon 


1)  Microbiol.  4.   197. 

2)  Vgl.  §  llö.  Nach  Schattenfroh  (Arch.  Hyg.  48.  91)  u.  a. 
bilden  die  den  Buttersäurobazillen  nahe  verwandten  ödem-  und  Fäulnis- 
bazillen  (putrificus  coli)  Äthylalkohol,  allerdings  neben  Milchsäure  und 
Honig  flüchtigen  Säuren  (§  113  ff.) 

3)  Über  die  Schwierigkeiten,  die  sich  dem  Nachweis  gasbildender 
Enzyme  bei  Kolibazillen  entgegenstellen,  vgl.  K  u  h  t  z  am  Ende  des  näch- 
'»ten  Paragraphen. 

Kruse,  Mikrobiologie.  21 


322  Kap.  VI.   §  105. 

von  der  Mögliclikeit  gesprochen,  sie  abzuleiten  aus  einer  Zersetzung 
nach  der  Formel  (D  u  c  1  a  u  x) 

6)   CeHigOe  +  öHgO  =  GCOg  +  12  H^  (— 147  Kai.), 

gleichzeitig  aber  auch  erwähnt,  daß  diese  Zersetzung,  weil  sie  unter 
starker  Wärmebindung  verläuft,  nicht  denkbar  ist  außer 
Verbindung  mit  anderen  Wärme  entwickelnden 
Gärungen.  In  der  Tat  wird  Wasserstoff  (und  Kohlensäure)  nie 
allein  gebildet,  sondern  regelmäßig  in  Begleitung  von  reichlichen,  ja 
gewöhnlich  überschießenden  Mengen  von  Milchsäure  (§  100),  Essig- 
säure (§  103),  Alkohol  (§  104).  Die  Beantwortung  der  Frage,  ob  und 
wo  wir  berechtigt  sind,  eine  Wasserstoffgärung  nach  der  obigen  Formel 
anzunehmen,  hängt  allerdings  davon  ab,  ob  wir  denn  nicht  noch  andere 
Quellen  des  Wasserstoffs  haben.  In  der  Tat  wird  Wasserstoff  (zu 
gleichen  Teilen  mit  Kohlensäure)  bei  der  Buttersäuregänmg  des  Zuckers 
entwickelt  (§114).  Da  die  Bildung  dieser  Säure  aber  bei  unseren 
Gärungen  im  allgemeinen  ausgeschlossen  ist,  braucht  sie  nicht  weiter 
berücksichtigt  zu  werden.  Aus  demselben  Grunde  fällt  für  uns  hier 
die  Vergärung  der  Milchsäure  zu  Buttersäure,  Wasserstoff  und  Kohlen- 
säure (§  142)  weg.  Sonst  käme  noch  die  Propionsäure-,  Glyzerin-  und 
Mannitgärung  des  Zuckers  (§  106  und  109),  sowie  die  Vergärung  der 
Essigsäure  und  der  Milchsäure  (zu  Propionsäure)  in  Betracht;  bei  ihnen 
wird  aber  nur  Sumpfgas  und  Kohlensäure,  kein  Wasserstoff  gebildet. 
Es  bleiben  noch  übrig  erstens  die  Vergärung  der  Ameisensäure  nach  der 
Formel  CHgOg  =  COg  +  Hg.  Wirklich  ist  sie  von  Frankland 
und  H  a  r  d  e  n  zur  Wasserstofflieferung  herangezogen  worden  (s.  o. 
S.  320)  und  scheint  nach  den  Versuchen  Hoppe- Seylers, 
P  a  k  e  s  und  Jollymans  und  Omelianskis  auch  unter  ge- 
wissen Bedingungen  durch  dem  B.  coli  nahestehende  Bakterien  bewirkt 
zu  werden  (§140).  Ob  sie  bei  den  gemischten  Vergärungen  des  Zuckers  eine 
wesentliche  Rolle  spielt,  ist  aber  keineswegs  ausgemacht,  da  wir  nicht 
sicher  wissen,  in  welchen  Mengen  sich  die  Ameisensäure  bei  der  Ver- 
gärung des  Zuckers  bildet.  Nur  dann  könnte  man  mit  Sicherheit  davon 
reden,  wenn  man  aus  dem  Studium  der  einzelnen  Gärungsperioden 
ersähe,  daß  ursprünglich  gebildete  Ameisensäure  später  unter  Gas- 
bildung verschwände.  Solche  Untersuchungen  fehlen  aber.  Möglich 
wäre  die  Bildung  der  Ameisensäure  übrigens  auf  zwei  Wegen  (§  108). 
Nur  der  eine,  der  gleichzeitig  zur  Alkoholbildung  führt  (vgl.  Gleichung 
Illa,  S.  320)  wäre  besonders  bemerkenswert,  der  zweite,  auf  dem  neben 
Ameisensäure  Wasserstoff  entstände, 

6a)    CgHigOe  +  öHgO  =  GCHgOg  +  öH^ 
würde  gewissermaßen  nur  eine  Strecke  auf  dem  Wege  zur  vollständigen 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  323 

Zersetzung  des  Zuckers  in  Wasserstoff  und  Kohlensäure  nach  unserer 
Gleichung  6  darstellen.  Eine  Entscheidung  zwischen  beiden  MögUch- 
keiten  und  der  dritten,  die  eben  durch  die  letzte  Gleichung  gegeben 
ist,  läßt  sich  vorläufig  nicht  fällen,  umso  weniger,  da  die  Hauptstütze 
H  a  r  d  e  n  8  für  diese  Annahme,  die  Bildung  von  Alkohol  und  Ameisen- 
säure in  dem  Verhältnis  der  Gleichung  Illa,  die  er  beim  Typusbazillus 
beobachtet  haben  wollte  (S,  320),  durch  Seras  Versuche  nicht  be- 
stätigt worden  ist  (vgl.  §  108). 

Eine  letzte  Quelle  des  Wasserstoffs  wäre  durch  die  Bildung  der 
fiemsteinsäure  nach  der  Gleichung  (§  107) 

5a)   2  CeHj^O,  =  3  C^HeO^  +  3  H^ 

eröffnet.  Wenn  sie  vorkäme,  würde  sie  aber  doch  nur  in  den  Fällen, 
wo  fiemsteinsäure  überhaupt  gebildet  wird,  in  Betracht  kommen. 
Es  müßte  daneben  auch  noch  eine  neue  Eohlensäurequelle  geschaffen 
werden,  denn  Wasserstoff  allein  tritt  niemals  auf  und  die  Alkohol- 
gärung genügt  meist  nicht,  um  die  Menge  der  gefundenen  Kohlensäure  zu 
erklären  (s.  u.).  Wir  werden  uns  also  nur  aushilfsweise  dieser  Formel 
bedienen  dürfen. 

Man  hätte  die  Berechtigung,  aus  dem  Mengenverhältnis  des 
bei  einer  Gärung  entwickelten  Wasserstoff-  und  Kohlensäuregases 
nach  Ausschluß  aller  etwaigen  Fehlerquellen  auf  die  Zulässigkeit  dieser 
oder  jener  Bildimgsweise  der  Gase  zu  schließen.  In  allen  Fällen  z.  B., 
wo  die  neugebildete  Menge  des  Wasserstoffs  und  der  Kohlensäure 
—  dem  Volumen  nach^)  —  im  Verhältnis  von  2  :  1  steht,  und  keine 
Gärungserzeugnisse  gefunden  wurden,  die  wie  der  Alkohol  (§  103), 
das  Glyzerin  (§  106),  der  Mannit  (§  106),  die  Propionsäure  (§  109), 
das  Sumpfgas  (§  117),  ebenfalls  die  Bildung  von  Kohlensäure  be- 
dingen*), oder  wie  die  Ameisensäure  und  Bemsteinsäure  Wasserstoff 
erzeugen  bzw.   Kohlensäure  verbrauchen,  könnten  wir  danach  ohne 


1)  Selbstverständlich  muß  dabei  auch  dio  Menge  der  nach  ihrer 
Entwicklung  in  den  Nährböden  gelöst  oder  gebunden  bleibenden  und 
der  etwa  durch  Säuren  aus  Karbonaten  entbundenen  Kohlonsäiu-o  berück- 
sichtigt werden,  was  nicht  immer  leicht  ist.  Umgekehrt  besteht  eine  mög- 
liche Fehlerquelle,  die  sich  aber  bisher  kaum  abschätzen  läßt,  in  dem  Ver- 
schwinden des  Wasserstoffs  durch  Einwirkung  auf  andere  in  den  Nähr- 
Wen  enthaltenen  oder  dort,  z.  B.  aus  Eiweiß,  gebildete  Stoffe.  So  soll 
nach  H  a  r  d  e  n  Aspcu'aginsäure,  als  einzige  Stickstoffquelle  verabreicht, 
^•^i  der  Vergärung  des  Zuckers  durch  B.  coli  zu  bemsteinsaurem  Ammoniak 
n*duziert  werden.  Aus  Eiweiß  bzw.  Aminosäuren  pflegt  Wasserstoff  gar 
nicht  oder  nur  spärlich  gebildet  zu  werden,  um  so  reichlicher  aber  Kohlen- 
Muro  (vgl.  §  168  u.  179).    Dort  auch  die  Ausnahmen.    Methodens.  §221. 

2)  Von  den  Oxydationen  durch  den  Luftsauerstoff,  die  sich  durch 
die  VersuchBanordniuig  leicht  ausschließen  letssen,  sehen  wir  hier  wieder  ab. 

21* 


324  Kap.  VI,  §  105. 

weiteres  unsere  Wasserstoffgärung  allein  für  die  Gasentwicklung  ver- 
antwortlich machen.  Leider  treffen  diese  Bedingungen  aber  anscheinend 
nur  selten,  ja  streng  genommen  niemals  zu,  während  umgekehrt  eine 
Entwicklung  von  Kohlensäure  allein  durch  einen  oder  den  anderen 
oder  mehrere  der  genannten  Prozesse  bei  den  Streptokokken  und 
langen  Milchsäurebazillen  sogar  die  Regel  i8t(S.316).  Wir  werden  daher  in 
den  nach  der  Literatur  nicht  seltenen  Fällen,  wo  das  Verhältnis 
des  Wasserstoffs  zur  Kohlensäure  annähernd  2  :  1  ist,  trotzdem  ebenso 
wie  in  allen^  übrigen  Fällen  die  Kohlensäure  erzeugenden  und  ver- 
brauchenden Vorgänge  aufsuchen  müssen.  Bisher  ist  das  nur  in  unvoll- 
kommenem Maße  oder  nur  in  einzelnen  Fällen  geschehen,  so  daß  wir 
nur  ausnahmsweise  imstande  sind,  brauchbare  Gärungsgleichungen 
aufzustellen.  Die  ersten  Forscher,  die  überhaupt  das  Vorkomraer 
einer  Wasserstoffbildimg  durch  Bakterien  außerhalb  der  Buttersäurc- 
gänmg  nachwiesen  und  auch  sonst  gründlich  genug  untersuchten. 
Frankland  und  seine  Mitarbeiter  (S.  300),  geben  nur  für  die  Zer- 
setzung des  Mannits  und  Dulzits  durch  die  Bac.  pneumoniae,  etha- 
ceticus  und  ethacetosuccinius  Formeln,  die  wir  später  erörtern  werden 
(§131).  Doch  berichten  sie  auch  über  die  bei  der  Vergärung  der  Glykose 
und  Arabinose  erhaltenen  Gase  und  anderen  Stoffe  so  genau,  daß  man 
daraus  Schlüsse  ziehen  kann.  Aus  3  g  Glykose  erhielten  Frankland, 
Stanley  und  F  r  e  w  z.  B.  150  g  Gas,  in  dem  auf  10  Teile  Wasser- 
stoff etwa  13  Kohlensäure  kamen.  Aus  Arabinose  (Frankland 
und  Mac  Gregor)  wurden  durch  Bac.  ethaceticus  entwickelt  etwa 
gleiche  Teile  Kohlensäure  und  Wasserstoff  neben  Alkohol,  Essigsäure, 
Ameisensäure,  etwas  Bemsteinsäure  und  „einer  unbekannten,  in  Äther 
unlöslichen,  nicht  flüchtigen  Säure",  deren  Vorhandensein  übrigens 
nur  aus  der  im  kreidehaltigen  Nährboden  im  Überschuß  entwickelten 
Kohlensäure  erschlossen  wurde,  imd  die  wahrscheinlich  nichts  anderes 
als  Kohlensäure  war. 

Wenn  man  sich  mit  den  beiden  Forscliern  vorstellt,  daß  die  j]resaint(^ 
Gasmenge  aus  der  Ameisensäure  entstände,  so  kamen  auf  ein  Molekül 
Kohlensäure  als  Äquivalent  der  unbekannten   Säure: 

3C,H«0  +  3C,H,0,  +  4CH2O,. 

Multipliziert   man  diese  Größe  mit  6  und  löst  die  Ameisensäiu'e  in  üire 
pjasfömiigen  Bea tandteile  auf,  so  erhält  man: 

6CO2  als  Äquivalente    der   imbekannten  Säure    +    ISCjHgO  +  ISCJI^Oj 
+  24 CO 2  +  24 Hj.    Zieht  man  davon  ab: 

I.   18C,HeO  +  18CO,  (=  9CoHi,Oe)  (Alkoholgärung), 

IL   I8C2H4O,  (=6C6Hi20e)  (Essigsäuregärung), 

III.  eCOj  +  I2H2  (=  CeHi,Oe  +  6H,0)       (Wasserstoffgärung). 

so  bleiben  übrig  IV.  12 Hg  und  6 CO,  als  Äquivalent  der  unbekcomten  Säure. 
Sind   die  von  Frankland  und  Mac    Gregor  gefundenen  Zahlen 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  325 

richtig,  so  müssen  auch  die  I2H2  und  die  Moleküle  der  unbekannten  Säure, 
die  6C0,  äquivalent  sind,  glatt  aus  der  Vergärung  des  Zuckers  hervorgehen  ; 
das  ist  aber  nur  möglich,  wenndie  unbekannte  Säure  nichts 
anderes  als  Kohlensäure  selbst  ist.  In  der  Tat  ist  nach 
der  Formel  der  Wasserstoffgärung  12 H^  +  eCOj  =  CeHi.O,  +  6H,0. 
I  +  II  +  III  +  IV  ergeben  also  17C,Hi,0«  +  12H,0  ,  imd  man  erhält 
nach  Division  durch  6  und  Multiphkation  mit  5,  Umwandlung  der  Hexoson 
in  Pentosen,  und  Zusammenziehung  von  III  und  IV: 

17C,H,o05  +  12H,0  =  löC^H.O  +  15C,H^O,  +  25CO,  +  20H,. 

Wir  würden  vorziehen,  diese  empirische  Formel  aufzulösen  in  die  Teil- 
formeln der  Alkohol-,  Essigsäure-  und  Wasserstoffgleichung,  die  allerdings 
für  die  Pentosen  etwas  umgestaltet  werden  müßten  und  dadurch  etwas 
vf)n  ihrer  Einfachheit  verlieren.     Die   Alkoholgleichung  würde  lauten: 

SC^HjoO,  =  5C,H.O  +  5C0s. 
Die  Essigsäuregleichiuig: 

2C,HjoO,  =  ÖC,H,0,. 
Die  Wasserstoffgleichung: 

CsHioOg  +  5H,0  =  5CO,  +  lOH«. 

Es  ist  leicht,  diese  neuen  Formeln  in  die  Gleichungen  I — ^III,  bzw.  IV 
(anzusetzen.  —  Wir  verzichten  darauf,  da  wahrscheinlich  hier  wie  in 
anderen  Fällen  das  Verhältnis  der  einzelnen  Produkte  bzw.  der  Teilgärungen 
zueinander  nur  ein  zufälliges  ist,  d.  h.  bei  neuen  Versuche  sich  ändern 
würde.  Aus  der  Erörterung  folgt  aber,  daß  man  auch  verwickelte  Gänmgen 
auf  dem  von  uns  beschrittenen  Wege  aufklären  kann. 

Während  in  diesem  Falle  das  Verhältnis  der  Kohlensäure  zum 
Wasserstoff  5  :  4  war,  betrug  es  in  anderen  Versuchen,  die  Frank- 
1  a  n  d  und  L  u  m  s  d  e  n  mit  dem  Bac.  ethaceticus  an  der  Glykose 
anstellten,  etwa  4  :  3,  auch  wieder  imter  der  Voraussetzimg,  daß  die 
.^unbekannte  Säure"  Kohlensäure  war.  Es  kamen  hierbei  auf  1  Molekül 
der  überschießenden  Kohlensäure  2,2 — ^2,8  Moleküle  Alkohol,  1,6 
Moleküle  Essigsäure  und  3,1  Moleküle  Ameisensäure  (COg  +  Hg).  Die 
tatsächlich  gefundene  Ameisensäure  war  in  allen  diesen  Versuchen 
verhältnismäßig  gering,  nur  in  einem  von  vier  anderen  unter  Luft- 
zutritt ausgeführten  Versuchen  erreichte  sie  (als  Molekül  berechnet) 
fast  die  Menge  der  Essigsäure,  so  daß  die  Verfasser  zu  dem  Schlüsse 
kommen,  daß  die  Aineisensäure  weniger  leicht  bei  Luftzutritt  als  bei 
Luftabschluß  gespalten  werde  (vgl.  §  108). 

S.  294  haben  wir  schon  gezeigt,  daß  die  von  H  a  r  d  e  n  für  die 
Vergärung  der  Glykose  durch  B.  coli  aufgestellte,  mehrfach  erwähnte 
Gleichung 

2C,H,jO,  +  H,0  =  2C3He03  +  C,HA  +  C^O  +  2  CO.,  +  2  H, 

auf  die  bekannten  Formeln  zurückzuführen  ist,  wenn  wir  noch  die  Milch- 
säuregärung zu  Hilfe  nehmen.  Sie  ist  übrigens  nur  zufällig  so  einfach 
ausgefallen,  denn  in  anderen  S.  318  erwähnten  Untersuchungen  H  a  r  - 


326  Kap.  VI,   §  lOö. 

d  e  n  8  selbst,  bei  denen  leider  keine  Gasanalysen  gemacht  wurden, 
wechselte  das  Verhältnis  der  Säure  zum  Alkohol  und  wahrscheinlich 
auch  das  der  Gase  zueinander.  Denn  in  zahlreichen  auf  einfachem 
Wege  erhaltenen  Gasanalysen  des  B.  coli  (s.  u.  und  §  112)  überwog  der 
Wasserstoff  gewöhnlich  die  Kohlensäure  um  ein  bedeutendes  und  wurde 
häufig  —  wohl  nur  zufällig  der  Wasserstoffgärung  entsprechend  — 
doppelt  so  reichlich  entwickelt  wie  Kohlensäure. 

Eine  gründliche  Untersuchung,  die  besonders  gut  in  den  Rahmen 
unserer  Vorstellungen  paßt,  hat  Potte  vin^)  für  den  Paratyphus 
und  die  verwandten  Bazillen  der  Fleischvergiftung  (Enteritidis),  imd 
Hogcholera  geliefert.  Nach  ihm  ist  das  Verhältnis  des  Wasserstoffs 
zur  Kohlensäure  bei  der  anaeroben  Vergärung  des  Traubenzuckers 
zunächst  1:1,  fällt  dann  aber  im  weiteren  Verlauf  auf  1  :  3.  Die 
genauere  Prüfung  zeigt,  daß  das  Maximum  der  Wasserstoffmenge  sehr 
schnell  gebildet  wird,  während  die  Kohlensäure  ständig  zunimmt. 
Gleichzeitig  werden  aber  entsprechende  Mengen  Alkohol  mehr  ge- 
bildet. Man  kann  danach  annehmen,  daß  die  Wasserstoffgärung  sehr 
bald  zum  Stillstand  konmit,  während  die  Alkoholgärung  —  und  gleich- 
zeitig die  Milchsäure-,  Essigsäure-  und  Bemsteinsäuregärung  —  fort- 
schreitet. In  der  Tat  stinmiten  die  bei  der  Analyse  für  dieses  Zer- 
setzungsprodukt erhaltenen  Zahlen  sehr  gut  mit  den  für  die  Gärungen 
angenommenen  Formehi  überein.  Z.  B.  wurden  nach  fünftägiger 
Gärung  bestimmt: 


Wasserstoff  349  < 

3cm 

0,027  g 

Kohlensäure  321 

ccm 

=-  0,609  g 

Alkohol 

0,304  g 

Essigsäure 

0,270  g 

Linksmilchsäure 

-  2,750  g 

Bernsteinsäure 

0,180  g 

Traubenzucker 

(von  27  g  verbraucht) 

4,110  g 

4,28  g 


Wenn  man  hier  von  der  Kohlensäure  die  dem  gebildeten  Alkohol  ent- 
sprechende Menge  abzieht,  bleiben  genau  2  Volumen  Wasserstoff  auf 
1  Volumen  Kohlensäure  übrig,  entsprechend  der  Formel  der  Wasser- 
stoffgärung. Die  übrigen  Produkte  entstehen  ohne  Gasentwicklung 
und  Aufnahme  von  anderen  Stoffen  aus  dem  Zerfall  des  Zuckers.  Nur 
die  Bildung  der  Bernsteinsäure  bleibt  hier  wie  anderwärts^)  dunkel. 
P  o  1 1  e  V  i  n   möchte   sie   auf   einen   „intramolekularen    Oxydations- 


1)  Annal.  Fast.   1905. 

2)  Vgl.  auch  die  Versuche  Franklands. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  327 

Vorgang"  znrückfüliren  (vgl.  §  107).  Daß  die  Summe  der  Gärprodukte 
größer  ist,  wie  die  des  verbrauchten  Zuckers,  erklärt  sich  einfach  daraus, 
daß  der  Zucker  bei  der  Wasserstoffgärung  eim'ge  Moleküle  Wasser 
aufnimmt. 

Wird  in  den  bisher  erwähnten  Versuchen  mit  Bakterien  der  Aero- 
genes-  und  Goligruppe  der  Wasserstoff  im  Überschuß  oder  nur  in  wenig 
geringerer  Menge  als  die  Kohlensäure  gebildet,  so  überwiegt  in  anderen 
Fällen,  nämlich  bei  der  Vergärung  des  Zuckers  durch  den  Bac.  cloacae 
und  Verwandte  mehr  oder  weniger  erheblich  die  Kohlensäure.  Kar- 
den hat,  wie  wir  sahen  (S.  318),  den  Beweis  geliefert,  daß  dann  auch 
die  Alkoholgärung  über  die  Essigsäuregärung  verhältnismäßig  stark 
überwiegt,  ist  uns  freilich,  weil  er  keine  Gasanalyse  anstellte,  den 
Nachweis  schuldig  geblieben,  daß,  absolut  genonomen,  die  Wasserstoff- 
bildung entsprechend  gesunken  ist.  Es  folgt  das  aber  wohl  schon  aus 
den  sonstigen  Erfahrungen,  die  mit  allerdings  recht  einfachen  Hilfe- 
mitteln  gewonnen  worden  sind.  Man  hat  nämlich  (vgl.  §  112)  vielfach 
mit  Th.  Smith  die  Gärwirkung  und  Gaszusanmiensetzung  der  Goli- 
gruppe einerseits  und  der  Gruppe  des  Bac.  cloacae  (Jordan^))  oder 
Bac.  levans  (H  o  1 1  i  g  e  r  ^))  andererseits  in  sogenannten  Gärungs- 
röhrchen  beobachtet  und  dabei  auch  durch  Absorption .  der  Kohlen- 
säure mittelst  Kalilauge  die  ungleiche  Zusanmiensetzung  der  von 
beiden  Gruppen  gebildeten  Gase  festgestellt.  Auch  die  absolute  Menge 
des  Wasserstoffe  scheint  bei  der  zweiten  geringer  zu  sein. 

Die  Säurelabbakterien  {außer  dem  Bac.  cloacae  imd  levans), 
wie  z.  B.  der  Bac.  proteus  vulgaris^)  (Bact.  vulgare  Lehmann  und 


1)  Zuerst  im  Kanal wasser,  dann  in  vielen  anderen  Wässern  (Jor- 
dan, Joum.  of  hyg.  1903)  und  auch  oft  in  Fäzes  (MacConkey  ebenda 
1905.  333)  gefunden,  wie  der  mit  ihm  wohl  verwandte  Bac.  levans  mehr 
oder  weniger  langsam  Gelatine  verflüssigend. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9,  1902.  Im  Sauerteig  gefunden,  von  Leh- 
mann und  F.  L  e  V  y  (Areh.  f.  Hyg.  49)  Bact.  coli  albidoliquefsrciens 
genannt.  Auch  nicht  verflüssigende  Bakterien  gehören  übrigens  wohl 
hierher,  so  gibt  Leichmann  wenigstens  von  dem  einen  Bac.  aerogenes, 
den  er  in  Milch  fand  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5,  1899)  und  der  mehr  Kohlen- 
säure wie  Wasserstoff  bildete,  nicht  an,  daß  er  verflüssigte.  Allem  An- 
schein nach  handelt  es  sich  um  Bakterien,  die  einen  Übergang  von  der 
Aerogenesgruppe  zu  dem  Bcu^illus  cloacae  bilden.  Die  Beobachtung 
Leichmanns,  daß  sein  Bazillus  (in  Milch)  neben  viel  Milchsäure  und 
Gagen  keine  Essigsäure,  sondern  Bernsteinsäure  bildete,  kann  für  die  Zu- 
sammensetziuig  des  Gases  keine  Bedeutung  haben,  im  Gegenteil  müßte 
bei  der  Bildung  von  Bemsteinsäure  Wasserstoff  entstehen  oder  Kohlen- 
säure verschwinden  (s.  u.  §  107).  H  a  r  d  e  n  sagt  nichts  über  ein  Ersatz- 
verhältnis zwischen  Bemsteinsäure  und  Essigsäure. 

3)  Nach  Th.   Smith,  Kochs  Jahresb.   1893,   15. 


328  Kap.  VI,  §  105  —  107. 

N  e  u  m  a  n  n)  und  der  Baz.  des  malignen  Odems^)  schließen  sich  ihrer 
Gasentwicklung  nach  an  die  Eolibazillen  an.  Die  Gasbildung  der 
Buttersäurebakterien  (§  113  ff.)  und  Zellulose  vergärer  (§  117)  be- 
sprechen wir  später. 

Der  Nachweis,  -daß  die  reine  Wasserstoffgärung,  wie  überhaupt 
die  mit  Gasbildung  verbundenen  Gärungen  dieser  Art,  durch  Enzyme 
vermittelt  sei,  ist  bisher  noch  nicht  geführt.  E  u  h  t  z  ^)  will  sogar 
daraus,  daß  die  Gasentwicklung  ausblieb,  wenn  er  Colibazillen  in 
reine  Zuckerlösung  oder  in  andere  zuckerhaltige  Nährböden  unter 
Verhältnissen,  unter  denen  kein  Wachstum  stattfinden  kann,  impfte, 
auf  das  Fehlen  eines  Gärimgsenzyms  schließen.  Jedenfalls  ersieht 
man  daraus  die  Schwierigkeit  der  Aufgabe. 

§  106.  Glyzerin-,  Mannit-  und  Schleimgftrang.  Schon  bei 
der  alkoholischen  Vergärung  des  Zuckers  durch  Hefe  haben  wir  die 
Bildung  von  wechselnden,  freilich  kleinen  Mengen  (bis  3,6%)  von 
Glyzerin  besprochen,  dort  aber  auch  über  andere  Erfahrungen  E.  B  u  c  h  - 
ners  mit  Zymase  berichtet,  die  zum  Teil  erheblich  größere  Mengen 
Glyzerin  ergaben  (S.  263).  Sonst  ist  dergleichen  bisher  nur  selten 
beobachtet  worden,  vielleicht  nur  deswegen,  weil  man  nicht  darauf 
geachtet  hat  ^).  Nur  der  merkwürdige  Bac.  manniticus,  der  aus  Frucht- 
zucker Mannit  bildet,  erzeugt,  wie  wir  aus  der  Tabelle  auf  S.  291  er- 
sehen, aus  den  übrigen  Zuckerarten,  insbesondere  der  Glykose,  Gralak- 
tose  und  Saccharose  nicht  unbeträchtliche  Mengen  —  bis  zu  10% 
des  vergorenen  Zuckers  —  von  Glyzerin.  Wenn  man  sich  den  Prozeß 
nach  der  Gleichung  Duclaux'*) 

4)   7  CßHiA  +  6  HgO  =  12  CgHgOg  +  6  CO^  (—  50  Kai.) 

Verlaufen  denkt  und  damit  die  Formel  für  die  Entstehung  des  Mannits 
(§  124)  vergleicht,  so  erkennt  man  die  Ähnlichkeit  zwischen  beiden 
Vorgängen. 

ISCcHjjjOe  +  6H2O  =  12CeHi40e  +  600^. 

Das  macht  den  Eindruck,  als  ob  das  Glyzerin  den  Mannit  vertreten 
könnte. 


1)  Graßberger  und   Schattenfroh,  Arch.   f.   Hyg.   48. 

2)  Ebenda  58.   1906. 

3)  Kayser  (Kochs  Jahreaber.  1904.  321)  findet  allerdings  in 
seiner  zweiten  Arbeit  über  echte  Milehsäurebakterien  Gly^serin  höchstens 
spurweise. 

4)  §  98.    Diese  Gleichung  läßt  sich  auflösen  in  die  folgenden: 

a)  C0H12O,  +  6H,0  =  6CO2  +  12Hj  (—  147  Kai.),  d.  h.  die  Wasserstoff- 
gleichung, und  b)  6(CBH,,Oe  + 2H8)  =  6(2C3H808)(+97  Kai.),  d.  h.  eine 
einfaclie  Reduktion  durch  Wasserstoff.  Ähnliches  gilt  für  die  Mannit- 
gärung. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  329 

Außer  dem  Bac.  manniticiis  erzeugen  noch  andere  Milchsäure- 
bakterien Mannit,  aber  anscheinend  nur  Spuren  von  Glyzerin,  so  nach 
Beijerinck  und  K  a  y  s  e  r  ^)  Streptokokken  (Laktokokkus),  und 
nach  Beijerinck^)  namentlich  die  langen  Milchsäurebazillen 
(LaktobaziUus),  zu  denen  übrigens  auch  der  Bac.  manniticus  zu  ge- 
hören  scheint  (§  124). 

Wir  kommen  auf  die  Mannit-  und  Glyzeringärung,  ebenso  wie 
auf  die  damit  manchmal  verbundene  Schleimgärung  (§  125)  später 
zurück.  Auf  die  Möglichkeit,  daß  das  gefundene  Glyzerin  gar  nicht 
dem  Zucker,  sondern  den  Fetten  (einer  Lipasewirknng,  vgl.  §  137  ff.) 
entstammt,  muß  natürlich  immer  geachtet  werden.  Die  Entscheidung 
ist  freilich,  wie  wir  schon  bei  der  Zymasegärung  sahen  (S.  263),  nicht 
immer  leicht.  Die  dort  mitgeteilten  Erfahrungen  rücken  aber  die  Mög- 
lichkeit nahe,  daß  es  Enzyme  gibt,  die  den  Zucker  in  Glyzerin  ver- 
wandeln. 

§  107.  Bernsteinsäuregäriing.  Spuren  von  Bernsteinsäure 
—  bis  zu  0,7%  des  vergorenen  Zuckers  —  haben  wir  bei  der  alkoholischen 
Oarung  durch  Hefe  —  nicht  durch  Zymase  -r-  entstehen  sehen  (§  90). 
Von  den  echten  Milchsäurebakterien,  d.  h.  Streptokokken  und  langen 
Bazillen  scheint  nur  selten  Bernsteinsäure  gebildet  zu  werden. 
G  a  y  o  n  und  D  u  b  o  u  r  g  fanden  sie  freilich  in  meßbaren  Mengen 
bei  ihrem  Bac.  manniticus  (S.  291),  K  a  y  s  e  r  ^)  neuerdings  bei  seinem 
Kokkus  Nr.  1  in  gewissen  Fällen.  In  freiwillig  geronnener  Milch  ist 
sie  nach  E  o  z  ai  ^)  meist  nur  in  ganz  geringer  Menge  vorhanden;  in 
zwei  Proben  fand  sie  sich  allerdings  in  großer  Menge;  es  handelte  sich 
hier  aber  um  sehr  alte  und  starke  Zersetzimgen,  von  denen  auch  die 
Eiweißstoffe  in  Mitleidenschaft  gezogen  waren.  Daß  auch  aus  letz- 
teren Bemsteinsäure  (bis  zu  2%)  entstehen  kann,  ist  von  Blumen- 
than)  gezeigt  worden  und  auch  wahrscheinlich  gemacht  durch  die 
Beobachtung  Bienstocks*^),  daß  der  Bac.  proteus  vulgaris  und 
prodigiosus,  die  nach  sonstigen  Erfahrungen  Milchzucker  nicht  ver- 
gären, in  Milchkulturen  Bemsteinsäure,  nicht  Milchsäure  bilden.  Viel- 
leicht erklärt  sich  so  auch  der  zunächst  auffällige  Befund  Blumen- 
thals''')   in  freiwillig  geronnener  Milch:  von  zwölf  Proben  enthielten 


1)  S.  o.  Anm.  3. 

2)  Zeitschr.  f.   Spiritusind.   1901  (Kochs  Jahresber.). 

3)  Kochs  Jahresber.  1904.  321. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  38.  394. 

5)  Virchows  Arch.   137. 

6)  Arch.  f.  Hyg.  39.  410,  vgl.  auch   Nawiasky    §  169. 

7)  Virchows  Arch.  146.    Vgl.  auch  E.  und  H.  Salkowski,  Bar. 
C'Iiem.  Ges.   12.   649  und  B  r  i  e  g  e  r  ,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  5.   360. 


330  Kap.  VI,  §  107  u.  108. 

nämlich  sechs  reine  Bernsteinsäoie,  vier  ein  Gremisch  von  Bernstein-  und 
Milchsäure  und  nur  eine  reine  Milchsäure.  Statt  eiweißzersetzender 
Bakterien  aas  der  Labsäurebildnergruppe^)  könnten  freilich  auch  die 
Bakterien  aus  der  Aerogenesgruppe  in  den  Verdacht  kommen,  durch 
ein  ausnahmsweise  reichliches  freiwilliges  Auftreten  in  der  Milch  die 
Bernsteinsäuregärung  verursacht  zu  haben.  In  der  Tat  haben  wir 
schon  S.  302  gesehen,  daß  außer  Blumenthal  auch  Grimbert, 
Seelig,  Bienstock  und  Emmerling  in  Milch-  oder  Milch- 
zuckerkulturen des  Bac.  pneumoniae,  aerogenes,  coli,  anstatt  der 
Milchsäuregärung  eine  Bernsteinsäuregärung, 
und  Oppenheimer,  Leichmann  und  E  o  z  a  i  wenigstens 
hin  und  wieder  beide  Gärungen  nebeneinander  beobachtet  haben. 
Nach  Grimberts  vergleichenden  Studien  (S.  292)  vertritt  dabei 
im  Milchzucker,  in  der  Xylose,  dem  Dulzit  und  Dextrin  die  Bemstein- 
säuregärung  die  in  der  Glykose,  Galaktose,  Arabinose,  dem  Mannit 
und  Glyzerin  erfolgende  Milchsäuregärung  und  findet  sich  mit  ihr 
vergesellschaftet  in  Rohrzucker  und  Malzzucker.  Nicht  ausgeschlossen 
ist  übrigens  nach  den  Beobachtungen  H  a  r  d  e  n  s  am  B.  coli,  daß 
die  Wasserstoffgärung  diiöser  oder  jener  Kohlehydrate  (S.  323,  Anm.  1) 
die  Entstehung  von  Bernsteinsäure  —  durch  Reduktionswirkung  — 
aus  Asparaginsäure  und  vielleicht  auch  aus  Eiweiß,  das  diese  Amino- 
säure als  Kern  enthält,  begünstigt. 

Von  einer  reinen  Bemst^insäuregärung  ist  nirgends  die  Rede, 
weil  nebenher  immer  noch  Essigsäure  und  Alkohol  entstehen.  In 
anderen  Fällen  fehlt  sogar  die  Bernsteinsäuregärung  in  der  Milch  auch 
bei  den  Mitgliedern  der  Aerogenesgruppe  vollständig  oder  tritt  nur 
spuren  weise  auf  (Kozaiu.  a.).  Leichmann  fand  dabei  eigen- 
tümliche Beziehungen,  indem  der  eine  von  ihm  aus  Milch  gezüchtete 
Stamm  neben  viel  Linksmilchsäure  flüchtige  Säure  (Essigsäure),  mehr 
Wasserstoff  als  Kohlensäure,  der  andere  keine  flüchtige  Säure,  aber 
Bernsteinsäure  und  mehr  Kohlensäure  als  Wasserstoff  bildete.  Nähme 
man  an,  daß  hier  die  Essigsäure  einen  einfachen  Ersatz  der  Bern- 
steinsäure bildete,,  so  müßte  man  gerade  ein  umgekehrtes  Mengen- 
verhältnis der  Gase  verlangen,  denn  die  Bernsteinsäurever- 
braucht  Kohlensäure  zu  ihrer  Bildung,  während  die 
Essigsäure   sich   vermutlich   ohne   Mitbeteiligung  von   Gasen  bildet. 


1)  Vgl.  auch  die  Buttersäuregärung  ( §  113ff.).  Blumen  thal  gibtauch 
für  Cholerabazillen  und  Typhusbazillen  Bernsteinsäure  an.  Bei  den  letz- 
teren kann  dieser  Stoff  schon  deswegen  nicht,  wie  Blumenthal  meint, 
aus  dem  Milchzucker  entstehen,  weil  der  Typhusbazillus  den  Milchzucker 
nicht  angreift.  Beim  Cholerabazillus  ist  sonst  Milchsäure  nachgewiesen 
worden  (S.   307). 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  331 

In  der  Tat  fuhrt,  wie  wir  scholl  bei  der  Alkoholgärung  der  Hefe  sahen, 
folgende  Formel  (Duclaux)  zur  Bemsteinsäure  (S.  293): 

5)  TCeHigOe  +  ßCOg  =  12C4He04  +  6H^0  (+  434  Kai). 

Man  könnte  sie  auch  unter  Vereinigang  mit  der  Gleichung  für  die 
Wasserstoff gärung:  Cja.^0^  +  GHgO  =  600^  +  ISHg  (—  147  Kai.) 
und  Teilung  durch  4  folgendermaßen  schreiben^) : 

5a)    2  CeH,.^Oe  =  3 C4He04  +  3 Hg  (+  72  Kai). 

Es  fragt  sich  allerdings,  ob  wir  genügende  Anhaltspunkte  für  das 
Vorkonunen  der  einen  oder  anderen  Reaktion  haben.  Bisher  ist  davon 
leider  kaum  die  Rede,  weil  nur  in  wenigen  Fällen  von  bakterieller 
Gärung  die  Menge  der  Bemsteinsäure  zusammen  mit  derjenigen  der 
Gase  bestinmit  worden  ist  und  die  wenigen  Beobachtungen  noch  dazu 
solche  Gärungen  betreffen,  in  denen  die  Bemsteinsäure  gegenüber 
anderen  unter  Gasentwicklimg  gebildeten  Erzeugnissen  eine  allzu 
geringe  Rolle  spielt*).  Immerhin  spricht  der  Umstand,  daß  es  durch 
Bakterien  (Bac.  manniticus)  und  durch  Hefe  (§  90)  verursachte 
Gärungen  gibt,  die  Bernsteinsäure,  aber  keinen  Wasserstoff  erzeugen, 
dafür,  daß  die  Formel  5a)  nicht  oder  wenigstens  nicht  für  alle  Fälle 
zutrifft.  Ebensowenig  haben  wir  vorläufig  Grund,  einer  dritten,  von 
Pottevin  geäußerte  Vermutung  zuzustinmien,  nach  der  die  Bem- 
steinsäure durch  „intramolekulare"  Oxydation  aus  der  Essigsäure 
hervorginge : 

2C2HA  +  0  =  C^HeO^  +  H,0. 

Denn  wir  kennen  nicht  wenige  Fälle,  wo  Essigsäure  und  Bemsteinsäure 
sich  geradezu  ausschließen.  Dasselbe  würde  gelten,  wenn  wir  die  Bern- 
steinsäure auf  ähnlichem  Wege  aus  der  Milchsäure  herleiteten.  Vor 
allem  müßten  wir  dabei  aber  fragen,  woher  denn  der  Sauerstoff  ent- 
nommen würde.  Nehmen  wir  wieder  dessen  Hilfe  zum  Wasser,  so 
kommen  wir  auf  unsere  obige  Gleichung  5a  zurück. 

§  108.  Ameisensäuregärnng^).  Ameisensäuregärung  ist  bei 
zahlreichen  Gärungen  gefunden  worden,  so  von  Pottevin  als  ein- 
ziges Nebenerzeugnis  der  echten  Milchsäuregärung  (s.  o.  S.  312),  von 


1)  Die  Gleichung  5b)  CeH„0,  =  C^HeO^  +  C,H,0,  +  H^,  die  auch 
möglich  wäre,  läßt  sieh  wieder  auflösen  in  die  Bemsteinsäure-,  Wasserstoff- 
und  die  Essigsäuregleiehung  (S.  293)  und  ähnliches  gälte  für  Formeln,  durch 
die  man  die  Bemsteinsäure  mit  Milchsäure,  Alkohol  oder  Ameisensäure 
zugleich  sich  bilden  ließen. 

2)  Vgl.  G  a  y  o  n  und  D  u  b  o  u  r  g  ,  Bac.  manniticus  S.  291. 

3)  Die  Bildung  von  Ameisensäure  aus  Eiweiß  bzw.  Aminosäuren  (vgl. 
§  168  ff.)  pflegt  spärlich  zu  sein. 


332  Kap.  VI,  108, 

E  a  7  8  e  r  ^)  neben  einem  Überschuß  von  Milchsäure,  Alkohol,  Essig- 
säure und  manchmal  mit  Propionsäure  zugleich  (§  109)  bei  der  Ver- 
gärung der  Fruktose,  Saccharose,  Arabinose  und  desMannits  durch  einen 
Streptokokkus,  nach  Walker  und  E  y  f  f  e  1  ^)  sogar  in  großer  Menge 
neben  anderen  flüchtigen  Säuren  bei  ihrem  Bazillus  (Streptokokkus?) 
des  Gelenkrheumatismus.  Während  hier  von  Gasen  höchstens  Kohlen- 
säure nebenher  entsteht,  wird  Ameisensäure,  freilich  meist  nur  in  Spuren, 
von  den  Wasserstoff  und  Kohlensäure  bildenden  Bac.  aerogenes,  coli, 
ethaceticus,  ethacetosuccinicus  usw.  gebildet  (Baginsky,  Frank- 
land,Täte,  Harden  u.a.  (vgl.  §  105).  Die  Buttersäurebakterien 
und  Säurelabbildner  (B.  cloacae)  entwickeln  gleichfalls  kleine  Mengen 
von  Ameisensäure.  Große  Mengen  werden  aber  nach  Harden  von 
den  nicht  gasbildenden  Tj^hus-,  nach  Sera  auch  von  Dysenterie- 
und  Pseudodysenteriebazillen  entwickelt  (S.  308). 

Ihre  Herkunft  ist  noch  keineswegs  aufgeklärt.  Manchmal  entsteht 
sie  wohl  neben  anderen  flüchtigen  Säuren  aus  Eiweißstoffen,  daß  sie 
aber  in  den  oben  angeführten  Fällen  aus  Kohlehydraten  hervorgeht, 
ist  nicht  zu  bezweifeln.  Man  könnte  sie  erstens  aus  dem  Zucker  ableiten 
nach  der  freilich  unter  Wärmebindung  verlaufenden  Gleichung: 

I)    CßHiaOe  +  öH^O  =  GCHA  +  ßH^  (— 111  Kai.). 
Auch  die  Formel  der  Wasserstoffgärung  (§  98  u.   105) 

6)    CßHiaOe  +  öHgO  =  ÖCOjj  +  12  Hg  (—  147  Kai.) 

führt  übrigens  zu  derselben  Gleichung,  wenn  man  darin  einsetzt: 

II)    6CO2  +  6H2  =  6CH2O2  (+  36  Kai.). 

Wenn  die  Reaktion  so  verliefe,  würde  es  verständlich  sein,  daß  die 
Ameisensäure  bei  der  Gärung  durch  die  Gasbild- 
ner der  Aerogenesgruppe  in  geringerer  Menge  bei 
Sauerstoffzutritt  unter  den  Produkten  erscheint 
als  bei  Luftabschluß  (Frankland  [S.  325],  D  u  c  1  a  u  x). 
Indessen  ist  die  Möglichkeit  einer  Umsetzung  nach  II  trotz  ihrer 
exothermen  Natur  bisher  noch  nicht  nachgewiesen  worden,  und  sie 
wird  auch  imwahrscheinlich  durch  die  Tatsache,  daß  diejenigen 
Bakterien, diewiedieTyphus-undßuhrbazille  11, 
ammeisten  Ameisensäurebilden,  überhauptkein 
Gas  entwickeln.  Gerade  das  würde  viel  leichter  verständlich 
werden,  wenn  wir  annähmen,  daß  umgekehrt  die  Aerogenes-,  Coli-, 
Cloacaebazillen  usw.  auch  die  Fähigkeit  besäßen,  größere  Mengen  >/on 


1)  Kochs  Jahresber.   1904.   321. 

2)  Brit.  med.  Journ.    19.  TX.  1903.     (Baumgartens  Jahresber.) 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  333 

Ameisensäure  zu  erzeugen,  aber  gleichzeitig  diese  zu  zersetzen  nach 
der  Gleichung: 

III)   CHgOg  =  CO2  +  H,  (— 6  Kai.). 

Sicht  nur  anorganische  Katalysatoren,  sondern  auch  zahlreiche  Bak- 
terien einschließlich  der  Kolibazillen  vermögen  diese  Spaltung  zu  leisten 
(§  140).  Für  sie  entscheiden  sich  denn  auch  Frankland  und  seine  Mit- 
arbeiter, und  neuerdings  wieder  H  a  r  d  e  n  ,  wie  wir  schon  sahen 
(iS.  320),  wollen  dabei  aber  nicht  von  unserer  Gleichung  I  ausgehen, 
sondern  leiten  die  Ameisensäure  aus  verwickeiteren  Formeln  ab,  in  denen 
außerdem  noch  Milchsäure,  Essigsäure  und  Alkohol  eine  Rolle  spielen. 
Wir  haben  (S.  320)  durch  Ausmerzung  der  beiden  Säuren  die  H  a  r  - 
den  sehe  Gleichung  vereinfacht  zu: 

IV)   2  CeH, A  +  3  H^O  =  3  Ü^Hfi  +  6  CH,0,. 

Bei  Zersetzen  der  Ameisensäure  in  Kohlensäure  und  Wasserstoff  nach  III 
würde  daraus: 

IVa)  2  CeHigOß  +  3  HgO  =  3  CgH^O  +  6  COg  +  6  H2. 

Handelte  es  sich  bloß  darum,  die  Gärungen  zu  erklären,  die  durch 
die  Gasbildner  hervorgerufen  werden,  so  würde  man  der  Hauptsache 
nach  mit  der  letzten  Gleichimg  IVa  auskommen.  Es  ist  aber  leicht 
zu  sehen,  daß  sie  nichts  weiter  ist  als  eine  Verbindung  unserer  Gleichun- 
gen 1  für  die  „Alkoholgärung"  imd  6  für  die  „Wasserstoffgärung", 
denn 

2  X  IVa  =  3  X  1  +  1  X  6. 

Unter  diesen  Umständen  würden  wir  vorziehen  1  und  6  statt 
IVa  zu  benutzen,  weil  wir  so  nicht  an  ein  bestimmtes  Verhältnis  zwischen 
den  Alkohol-  und  Gasmengen  gebunden  wären.  In  der  Tat  haben  uns 
die  Analysen  in  §  104  und  105  gelehrt,  daß  von  einem  bestimmten 
Verhältnis  keine  Rede  ist.  Aushilfsweise  käme  noch  Gleichung  I  und  III 
in  Betracht. 

In  Wirklichkeit  haben  wir  es  nicht  nur  mit  den  Gasbildnern,  son- 
dern auch  mit  den  Typhus-  und  Ruhrbazillen  zu  tun.  Genügt  aber 
für  sie  die  Formel  IV  ?  Nach  den  Analvsen  von  H  a  r  d  e  n  ,  die  bei 
der  Vergänmg  von  Traubenzucker  durch  Typhusbazillen  17%  Ameisen- 
säure neben  viel  Alkohol  ergaben,  schien  es  allerdings  so  zu  sein.  Die 
neuesten  Untersuchungen  S  e  r  a  s  unter  meinen  Augen  haben  aber 
bei  denselben  Bakterien  wie  bei  den  Dysenterie-  und  Pseudodysenterie- 
bazülen  entweder  gar  keine  oder  nur  Spuren  von  Alkohol  nachgewiesen. 
Von  den  uns  hier  allein  interessierenden  flüchtigen  Stoffen  wurden 
nur  Essig-  und  Ameisensäure  gefunden,  und  zwar  nach  6 — 13  tägiger 
Kultur  in  2  prozentiger  Traubenzuckerbouillon  (mit  Kreide)  zusammen 


334  Kap.  VI,   §  108  —  110. 

36 — 57  ccm  Nonnalsäure  im  liter.  Das  Mengenverhältnis  wechselte 
dabei  nach  meiner  Berechnung  in  Äquivalenten  von  1  Mol.  Ameisen- 
säure :  2  Mol.  Essigsäure  bis  3  Mol.  Ameisensäure  :  1  Mol.  Essigsäure, 
ohne  daß  sich  eine  bestinmite  Regel  feststellen  ließ.  Danach  kommt 
man  also  mit  der  Formel  IV  nicht  aus  und  muß,  weil  ja  für  diese  nicht- 
gasbildenden  Bakterien  Formel  I  ebensowenig  zu  gebrauchen  ist,  nach 
einer  anderen  Quelle  für  die  Ameisensäure  suchen.    An  die  Gleichungen: 

V)   CeH,20e=C4HA  +  2CH202 

VI)   2  CeHjgOe  =  3  CJ^fi^  +  3  CKA  und 

VII)    C,K,fi,  =  2  C^H^O  +  2  CH A 

ist  auch  nicht  zu  denken,  weil  Buttersäure,  Propionsäure  und  Aldehyd 
vermißt  werden.  Es  bleibt  hier  eine  Lücke  auszufüllen.  Die  Zersetzungen 
des  Glyzerins  und  Mannits  durch  die  Buhrbazillen  verlaufen  übrigens 
ähnlich  (§  131). 

§  109.  Propionsäuregärung.  Propionsäure  wurde  mehrfach  als 
ein  Bestandteil  der  durch  die  Milchsäuregärung  gebildeten  flüchtigen 
Säuren  nachgewiesen,  so  sehr  häufig  allein  oder  mit  der  Ameisensäure 
(s.  o.)  in  wägbaren  Mengen  neben  der  Essigsäure  bei  einem  von  K  a  y  - 
8  e  r  *)  untersuchten  Streptokokkus,  beim  B.  coli  (mit  etwas  Butter- 
säure)  von  Baginsky  (§  142).  Neuerdings  haben  von  Freuden- 
reich und  0.  Jensen^)  gefunden,  daß  einige  in  ihren  übrigen 
Eigenschaften  den  echten  Milchsäurebakterien  nahestehende  Bakterien 
des  Schweizerkäses  nicht  nur  aus  Milchsäure,  sondern  auch  aus  Milch- 
zucker reichliche  Mengen  Propionsäure  in  wechselnden  Mengen  neben 
Essigsäure  und  Kohlensäure  bilden.  Wir  können  vielleicht  dafür  die 
Gleichimg  annehmen: 

7C«Hi20e  =  12C3He02  +  6  CO,  +  öH^O, 

wenn  wir  nicht  erst  Milchsäure  entstehen  und  diese  weiter  zerfallen 
lassen  wollen.  Wir  kommen  bei  der  Propionsäuregärung  der  Milchsäui-e 
(§  142)  hierauf  zurück. 

Der  Möglichkeit,  daß  Propionsäure  neben  Ameisensäure  entstände, 
haben  wir  eben  gedacht  (Gleichung  VI  s.  o.). 

§  HO.    Andere  Nebenerzeugnisse  der  Milchsäuregärung. 

Buttersäure  fand  G  o  s  i  o  neben  Isovaleriansäure,  Aldehyd  und  Azeton 
bei  Spirillen  (S.  307).  Von  aldehydartigen  Verbindungen  spricht 
Bredemannals  Nebenerzeugnissen  bei  der  Essigsäuregärung  durch 
Bac.  asterosporus  (S.  316).  Eine  förmliche  „Azetongärung"  beobachtete 

1)  Kochs  Jahresber.   1904.   321. 

2)  Zontr.  Bakt.  2.  Abt.   17.  528,   1906. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  335 

Schardinger  ^)  auf  rohen  Kartoffeln  bei  einem  sporenbildenden 
I^Lzilliis  neben  der  Bildung  von  Alkohol,  Säuren  und  Gasen.  Ob  die 
Stärke  oder  die  Pektinstoffe  der  Kartoffel  oder  aber  Eiweiß  bzw. 
Aminosäuren  das  Azeton  (CjHqO)  hergeben,  bleibt  festzustellen.  Butter- 
säuie  fehlte.  Ein  anderer  azetonartiger  Körper,  das  Azetylmethyl- 
karbinol  C4H8O2  entsteht  nach  Grimbert  und  Pirquet  (§  147) 
bei  der  Vergärung  der  Kohlehydrate  durch  den  Bac.  tartricus  und  nach 
Desmots  durch  die  Wirkung  der  Heu-  und  Kartoffelbazillen  auf 
Kohlehydrate,  Mannit  und  Glyzerin  (§  131).  Pur  Aldehyd  käme  viel- 
leicht die  Entstehung  neben  xVmeisensäure  durch  Gärung  in  Betracht 
iS.  334),  natürlich  aber  auch,  wie  bei  allen  diesen  Stoffen,  Oxydation 
durch  die  Luft  (s.  u.).  Etwas  Sumpfgas  wurde  von  Baginsky 
(§  Hl)  beim  Aerogenes  und  von  Conrad  2)  bei  dem  verwandten 
Bac.  brassicae  acidae  neben  viel  Wasserstoff  und  Kohlensäure  nach- 
gewiesen Es  handelt  sich  hier  lun  vereinzelte  Befunde,  die  noch  ihrer 
Erklärang  harren  (vgl.  Sumpfgasgärung  der  Zellulose,  der  Buttersäure, 
Milchsäure,  der  Eiweißkörper.)  Am  nächsten  liegt  es,  das  Sumpfgas 
aus  einer  Vergärung  der  Essigsäure  abzuleiten,  indessen  scheint  die 
Fähigkeit,  diese  Spaltung  hervorzurufen,  den  hier  betrachteten  Milch- 
säuiebakterien  nicht  zuzukommen,  ebensowenig  wie  sie  ja  die  Milch- 
säure zu  Buttersäure  zu  vergären  pflegen.  Überhaupt  werden  die  Er- 
zeugnisse der  Zuckerspaltung  bei  den  hier  besprochenen  gemischten 
Milchsäuregärungen  nach  den  bisher  darüber  vorliegenden  Arbeiten, 
wenn  man  von  der  Ameisensäure  absieht  (§  108  u.  140),  miter  anaeroben 
Bedingungen  regelmäßig  nicht  weiter  angegriffen. 

Das  schließt  freilich  nicht  aus,  daß  Ausnahmen  vorkommen.  Wir 
haben  solche  erwähnt  bei  derPropionsäuregärung  (§108)  und  werden  bei 
Jer  Buttersäuregärung  einer  ganz  merkwürdigen  Veränderlichkeit 
der  Garkraft  begegnen,  die  sich  nicht  nur  darin  zeigt,  daß  die  einzelnen 
Erzeugnisse  der  Zuckerspaltung  unter  anscheinend  gleichen  Verhält- 
nissen und  von  demselben  Stamme  in  ganz  verschiedenen  Mengen  ge- 
bildet werden,  sondern  auch  darin,  daß  Kohlehydrate  und  deren  Pro- 
dukte, (namentlich  Milchsäure),  die  für  gewöhnlich  der  Zerlegung  Wider- 
stand entgegensetzen,  kräftig  zersetzt  werden. 

Darüber  kann  ferner  gar  kein  Zweifel  sein, 
daß  hier  und  da  die  durch  anaerobe  Gärung  ge- 
bildeten Stoffe  durch  den  Sauerstoff  der  Luft 
weiter  verändert  werden  (S.  313). 


1)  Wien.  klin.  Wochenschr.   1904.  8  vgl.   S.  222. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  29. 


336  Kap.  VI,  §  111. 

I 

§  11 L  Bedeutung  der  Milchsäurebakterien  fflr  die  Ge- 
werbe^). Die  Verbreitung  der  Milchsäurebakterien  in  der  Natur  ist, 
wenn  möglich,  eine  noch  größere  als  die  der  Hefen,  und  die  Verände- 
rungen, die  sie  hervorrufen,  sind  von  mindestens  ebenso  großer  Be- 
deutung für  die  Nahrungsmittelgewerbe,  als  die  alkoholische  Gärung. 
Allermeist  handelt  es  sich,  wie  sich  immer  mehr  herausstellt,  dabei  um 
die  beiden  großen  Hauptgruppen  der  Milchsäurebakterien,  den  Strepto- 
coccus lacticus  und  die  „langen  Bazillen".  Bei  freiwilliger 
saurer  Gärung  der  Milch  spielt  der  erste  allein  eine  Rolle, 
bei  dem  künstlich  durch  Zusätze  von  „Fermenten",  Einfüllen  in  die 
alten  Schläuche  oder  Impfen  mit  kleinen  Mengen  fertiger  Erzeugnisse 
aus  Kuh-,  Pferde-  und  Ziegenmilch  hergestellten  Kefyr  der  Kauka- 
sier,  Kumys  der  Tartaren,  M  a  z  u  n  der  Armenier,  Yoghurt 
der  Bulgaren,  Leben  der  Egypter  herrschen  dagegen  die  langen 
Bazillen  (Bac.  caucasicus,  bulgaricus  usw.)  vor,  wenn  auch  die  Strepto- 
kokken nie  fehlen.  Das  hängt  wohl  damit  zusammen,  daß  die  Strepto- 
kokken viel  gemeiner  sind  und  gerade  mit  der  Milch  unter  natürhehen 
Verhältnissen  regelmäßig  in  Berührung  kommen,  weil  sie  den  Darm 
aller  Säugetiere  bewohnen  (Kruse  und  H  ö  1 1  i  n  g  2)) ,  und  außer- 
dem in  der  Streu  und  dem  Futter,  z.  B.  dem  Grase  (L.  Müller, 
Th.  G  r  u  b  e  r  ^))  regelmäßig  vorkommen.  Die  langen  Bazillen  scheinen  . 
freilich  auch  weitverbreitet  zu  sein,  jedoch  meist  nicht  in  Abarten, 
die  ein  besonders  starkes  Gärungsvermögen  in  Milch  besitzen  (R  o  - 
della, Kruse  u.  a.).  Sie  müssen  deswegen  erst  einer  Auslese  unter- 
liegen, ehe  sie  für  die  Milchsäuregärung  im  Haushalt  geeignet  werden, 
weshalb  dann  hier  der  künstliche  Zusatz  nötig  wird.  In  pflanzlichen 
Nahrungsmitteln,  die  der  sauren  Gärung  verfallen,  fehlen  die  Strepto- 
kokken meist  auch  nicht,  und  beherrschen  sogar,  allerdings  anscheinend 


1)  Die  hier  nicht  angeführte  Literatur  vgl.   §  97  ff. 

2)  Daher  der  Name  Enterokokkus  der  französischen  Forscher.  Vgl. 
auch  L.  M  ü  1 1  o  r  ,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  17.632,  1907.  Wie  sieh  die  Angabe 
von  V.  Freudonreich  erklärt,  daß  der  Strept.  leicticus  im  Kot«  der 
Kühe  fehle  (Landwirtsch.  Jahrb.  d.  Schweiz  1902,  91),  wissen  wir  nicht. 
Dagegen  wird  der  ähnliche  Befund  Th.  G  r  u  b  e  r  s  (Anm.  3)  dadurch  ver- 
ständlich, daß  er  die  Darmflora  mit  Milch  anreicherte.  Dabei  überwuchern 
die  üi)pig  wachsenden  Bakterien  der  Aerogenes-  und  Coligruppe  die  Strepto- 
kokken. Die  Milch  in  den  Zitzen  unserer  Haustiere  enthält  fast  immer 
schon  Streptokoldcen,  niclit  nur,  wie  wohl  behauptet  worden  ist,  blos  in 
den  Fällen,  wenn  eine  Euterentzündung  vorliegt.  Die  Unterscheidung 
des  Milchstreptokokkus  von  dem  pyogenen  ist  nicht  immer  leicht,  aber 
bei  Berücksichtigung  des  mikroskopischen  und  hämolytischen  Verhaltens 
(s.  §  312)  zu  leisten,  während  die  Gärungsproben  in  Kohlehydraten  usw. 
im  Stich  lassen  (§  112  am  Ende). 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   17,   1907. 


Wcuidlungen  der  Kohlenhydrate.  337 

in  Abarten,  welche  den  Milchzucker  schlecht  vergären,  (B  u  t  j  a  g  i  n  ^)) 
oder  inaktive  statt  Bechtsmilchsäure  bilden  ( A  d  e  r  h  o  1  d  2)) ,  die 
Sauerkraut-  und  saure  Gurkengärung.  Auch  die 
Säuerung  der  Bohnen  (Aderhold,  R.  Weiß^)),  der  roten 
Buben  im  russischen  „Barszcz"  (Epstein*),  P  a  n  e  k  ^)) ,  der 
Rübenschnitzel  (E.  Weiß®))  wird  im  wesentlichen  durch 
Strept.  lacticus  verursacht.  Nach  P  a  n  e  k  zeichnete  sich  derselbe  durch 
Schleimbildung  aus  (Bact.  betae  viscosum).  Das  ist  nichts 
Neues  bei  Streptokokken,  denn  auch  der  Streptococcus  hollandicus 
(Huppe  und  Scholl),  der  die  holländische  ., lange  Wei",  das  Bact. 
lactis  longi  (Troili-Petersson')),  der  die  schwedische  „Zäh- 
milch", zwei  vielbenutzte  Nahrungsmittel  erzeuigt  und  wahrschein- 
lich auch  identisch  ist  mit  einem  Krankheitserreger,  dem  Kokkus  der 
^schleimigen  Milch"  (S  c  h  m  i  d  t  -  M  ü  1  h  e  i  m  ®) ,  H  ü  p  p  e  *))  u.  a. 
gehöroi  hierher  (vgl.  §  128).  In  anderen  Fällen  ist  allerdings  der  Er- 
reger der  schleimigen  Milch  wahrscheinlich  ein  „langer  Bazillus" 
(Leichmann  ^®)).  Die  letzteren  sind  jedenfalls  die  wesenthchsten 
Ursachen  der  sauren  Gärung  in  der  Brennereimaische  (Bac. 
acidificans  longissimus  L a f a r ,  Bac.  Delbrücldi  Leichmann), 
in  dem  Sauerteig  (Holliger  ^^)) ,  in  den  sauren  Bieren  (Saccharo- 
bac.  pastorianus  und  Bac.  Lindneri  van  liaer,  Beijerinck, 
H  e  n  n  e  b  e  r  g) ,  sei  es,  daß  ihre  Entwicklung  dort,  wie  in  dem  Ber- 
liner Weißbier  (§  94),  dem  Brüsseler  „Lambic"  (und  „Kricken- 
bier")  und  wahrscheinlich  auch  in  dem  russischen  „Kwass",  dem 
Hirsebier  der  Neger  usw.  gewollt  wird,  sei  es,  daß  sie  sich  als 
Krankheitserscheinung  einstellt  (§,96a). 

Ausnahmsweise   geht   die   Säurebildung   von   anderen   Bakterien 
als  Streptokokken  und  langen  Bazillen  aus,  so  im  Ingwerbier 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  11.  540,  vgl.  auch  Wehmer  ebenda  11 
u.  14  (Sauerkraut).  Wir  selbst  fanden  übrigens  im  Sauerkraut  lange  Bazillen 
(s,  u.). 

2)  Ebenda  5.  513,  1899  (Gurken),  s.  auch  den  Abschnitt  über  Ein- 
säuern in  Laf  ars  Handb.  2.   310. 

3)  Basel.    Dissert.   1899  (bei  Aderhold). 

4)  Arch.  f.  Hyg.  36,   1898. 

5)  Kochs  Jahresber.   1905,  428. 

6)  Ebenda  1898.   169. 

7)  Zeitechr.  f.  Hyg.  32,   1899. 

8)  Landwirtsch.  Versuchsstation  28.   1883. 

9)  Deutsch,  med.  Woch.   1884.  777. 

10)  Landwirtsch.  Versuchsstation.  43,  1894.  Andere  Bazillen  dor 
-jchleimigen  Milch  gehören  zu  den  Heubazillen  (§  128).  Weitere  Kranlcheits- 
erreger  der  Milch  s.  bei  den  Pigmentbakterien  (§  255). 

11)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  305,  1902. 

Kruse»  Mikrobiologie.  22 


338  Kap.  VI,  f  111  u.   112. 

der  Engländer  von  dem  durch  eigentümliche,  oft  einseitige  Hüllen 
ausgezeichneten  Ward  schen^)  Bact.  vermiforme.  Wenigstens  lassen 
sich  diese  nicht  ohne  weiteres  in  eine  der  beiden  Gruppen  der  Milch- 
säurebakterien einordnen').  Bei  der  Mehlteiggärung,  die 
unter  starker  Gasbildung  verläuft,  spielen  nach  Wolffin,  K.  B. 
Lehmann,  Fr.  Pränkel,  Papasotiriu,  Holliger  und 
F.  L  e  V  y  ®)  das  Bact.  coli  und  levans  (cloacae)  die  Hauptrolle.  In 
einigen  Fällen  scheint  die  Gärung  überhaupt  nicht  auf  die  Tätigkeit 
von  Bakterien  zurückzugehen,  sondern  auf  die  von  Enzymen,  die  in 
den  Pflanzen  selbst  schon  vorhanden  sind. 

Sehr  häufig  sind  die  Milchsäurebakterien  nicht  die  einzigen  Gärungs- 
erreger in  dem  Nahrungsmittel,  das  sie  verändern.  So  sind  in  dem 
Kumys,  Kefyr,  Mazun  und  Leben,  ferner  im  Sauerkraut  (W  e  h  m  e  r) 
und  Sauerteig,  in  der  Brennereimaische  und  den  oben  genannten  sauren 
Bieren  regelmäßig  Hefen  tätig,  die  alkoholische  Gärung  erzeugen. 
Sproß-  und  Spaltpilze  leben  dabei  offenbar  mehr  oder  weniger  in  Ab- 
hängigkeit voneinander  (§  50),  meist  in  dem  Sinne,  daß  die  Hefen 
durch  die  Milchsäurebakterien  nicht  nur  vor  anderen  Schädlichkeiten 
(z.  B.  Buttersäurebakterien  in  der  Brennereimaische)  geschützt,  sondern 
unmittelbar  in  ihrem  Wachstum  und  Gärvermögen  gefördert  werden*); 
manchmal,  wie  z.  B.  im  Ingwerbier,  ist  die  Symbiose  aber  eine  gegen- 
seitige, indem  auch  die  Bakterienwirkung  durch  die  Hefe  begünstigt 
wird.  Die  innige  Gemeinschaft  zwischen  beiden  Arten  von  Mikroben 
zeigt  sich  darin,  daß  sie  miteinander  öfter  zu  mehr  oder  weniger  festen 
Klumpen,  sog.  Zooglöen,  den  „Kefyrkömem"*^)  und  der  „Ginger-beer- 
plant"  (W  a  r  d)  verbunden  sind.  Durch  Verbindung  der  Reinkulturen 
der  sie  zusammensetzenden  Mikroorganismen  gelang  es  wiederholt, 
die  charakteristische  Gärimg  (von  Freudenreich,  Ward), 
nur  zum  Teil  aber  auch  die  Kömerbildung  hervorzurufen  (Ward). 

Man  hat  wie  bei  der  alkoholischen  Gärung  (§  94 — ^96)  durch  Hefe 
versucht,  den  Verlauf  der  Milchsäuregärung  dadurch  zu  sichern,  daß 

1)  Philosoph.  Transactions  183.  B.    S.   123,  1892. 

2)  Eine  gewisse  Ähnlichkeit  zwischen  dem  'Bact.  vermiforme  und  dem 
Lactobac.  caucasicus  Beijerincks  (Zeitschr.  f.  Spiritusind.  1902,  533) 
ist  freilich  nicht  zu  verkennen. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  49,  1904.    Lit.    Über  die  Art  der  Gase  vgl.  §  105. 

4)  Zum  Teil  scheint  (in  Kefyr  und  Leben)  durch  Hydrolyse  des  Milch- 
zuckers die  Gärung  erst  ermöglicht  zu  werden  (§  82),  zum  Teil  bildet  die 
Milchsäure  einen  Reiz  für  die  Hefe  (§  55).  Auf  die  Bedeutimg  der  Milch- 
ßäurebakterien  für  die  Käsereifung  kommen  wir  später  zurück  ( §  178). 

5)  Die  Angaben  über  die  Zusammensetzung  wechseln  erheblich.  Vgl. 
Kern,  K  rannhals,  Beijerinck  (Zentr.  Bakt.  6.  44,  1889  und 
"Zeitschr.  f.  Spiritusind.  1902.  533),  Scholl,  Adametz,  v.  Freu- 
denreich (Landwirtsch.   Jahrb.   Schweiz.   1896). 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  339 

man  das  Gärmaterial  mit  Reinlailturen  beimpfte.  So  benutzt  man  seit 
Storch  und  Weigmann^)  Reinkulturen  des  Strept.  lacticus 
in  Magermilch  als  „Säurewecker"  bei  der  Butterherstellung,  indem 
man  den  rohen,  oder  besser  bei  60 — 95^  pasteurisierten  Rahm  damit 
versetzt.  Ein  schönes  Aroma  erzielt  man  entweder  durch  die 
Auswahl  bestimmter  Rassen  des  Strept.  lacticus^)  oder  die  Zugabe 
von  besonderen  Aromabildnern  z.  B.  aus  den  Gruppen  der 
B.  coli  und  aerogenes.  Nach  W  e  i  g  m  a  n  n  ')  ist  dazu  geeignet  ein 
Bazillus  K,  ein  „Aromabazillus",  manche  Abarten  des  Oidum  lactis, 
nach  C  o  n  n  ein  Bazillus  Nr.  41,  nach  M  a  a  ß  e  n  das  Bact.  fragariae 
und  fragi,  der  Bac.  praepoUens  (vgl.  §  173),  nach  Grimm  ein  Bac. 
aromalicus  lactis,  nach  S  e  v  e  r  i  n  der  Bac.  aromaticus  butyri. 

Große  Verbreitung  haben  seit  L  a  f  a  r  s  *)  Empfehlung  Rein- 
kulturen von  langen  Milchsäurebazillen  bei  der  Herstellung  des  so- 
genannten Hefegutes,  mit  dem  die  Breimereimaische  beimpft  wird 
fs.  0.  S.  282)  gefunden.  Es  gelingt  dadurch  am  besten,  die  Über- 
^iicherung  von  fremden  Bakterien,  vor  allem  der  Buttersäurebakterien, 
zu  verhindern  und  nebenbei  wirkt  die  Milchsäure  anscheinend  als  Reiz- 
mittel für  die  Hefe. 

§  112.  Verwertung  der  Säure-  und  Gasbildung  zur  Unter- 
scheidung der  Bakterien.  In  der  bakteriologischen  Diagnostik  kann 
man  sich  nicht  darauf  einlassen,  jeden  Fund  eines  bestimmten  Bak- 
teriums dadurch  sicherzustellen,  daß  man  ausführliche  chemische  Unter- 
suchungen nach  Art  der  in  den  §  98 — 109  beschriebenen^)  anstellt, 
sondern  man  bedarf  einfacherer  Verfahren.  Wir  stellen  sie  hier,  so- 
weit sie  sich  auf  Säure-  und  Gasbildung  beziehen,  kurz  zusammen, 
indem  wir  auch  die  höheren  Alkohole  und  Glykoside  berücksichtigen. 

Seit  Buchner*)  wurde  ein  Zusatz  von  Lackmus  zum  zucker- 
haltigen Nährboden  vielfach  zum  Nachweis  einer  Säurebildung  von 
Bakterien  benutzt.  Petruschky')  empfahl  dann  die  seitdem 
vielfach®)  angewandte  Lackmusmolke  zum  vergleichenden  Stu- 
dium.  Reichliche  Säure  bildeten  der  Fäzesbazillus  B  r  i  e  g  e  r  s  ,  der 


1)  Milchzeitung  1890.  593  und  944. 

2)  Vgl.  Weigraann,  ebenda  1896.  793. 

3)  Vgl.  Lit.  bei  Weigmann  in  Lafars  Handb.  2.  299. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.  194,  1896;  7.  871,  1900. 

5)  Wie  man  gesehen  hat,  lassen  übrijrens  gerewie  die  Untersucliungon 
der  für  die  medizinische  Diagnostik  wichtigsten  patliogenon  Bakterien  in 
(iieser  Hinsicht  noch  viel  zu  wünschen  übrig. 

6)  Arch.  f.  Hyg.  3,  418. 

7)  Zentr.  Bakt.   1889;  7,   1890;  19,   1896. 

8)  Z.  B.  von  G  e  r  m  a  n  o  und  M  a  u  r  e  a  für  die  typhiisähnlichen 
Bakterien.    Z  i  e  g  1  e  r  s  Beitr.   12,   1893. 

22* 


340  Kap.  VI.   §   112. 

Bac.  acidi  lactici  (aerogenes)  H  ü  p  p  e  s  und  Kapselbazillen,  weniger 
der  Tjrphus-  und  Milzbrandbazillus  und  Micr.  tetragenus,  gar  keine 
Veränderung  bewirkten  Hühnercholera  und  Mäuseseptikämie,  alka- 
liscbe  Reaktion  erzeugten  Schweinerotlauf,  Schweineseuche,  Strepto- 
kokken ( ?)  und  Staphylokokken,  Pyocyaneus,  Proteus,  Cholerabazülen 
usw.,  femer  der  Bac.  (faecalis)  alcaligenes.  Die  Angreifbarkeit  des 
Milchzuckers  entscheidet  hier,  wie  in  der  ziemlich  gleichwertigen,  aber 
leichter  herzustellenden  Lackmusmilch  ^),  wenn  auch  nicht 
allein  über  die  Säurebildung.  Denn  auch  das  Eiweiß  kann  in  Säure 
gespalten  werden,  wie  es  z.  B.  bei  anderen  Stämmen  des  Proteus  vul- 
garis meist  geschieht^).  Hier,  wie  auch  bei  schwächeren  Graden  von 
Säuerung,  die  sich  z.  B.  beim  Typhus-  und  Ruhrbazillus  finden,  kann 
man  über  den  Ursprung  der  Säure  im  Zweifel  sein,  wenn  man  es  unter- 
läßt, auf  Säurebildung  in  anderen  Milchzuckernährlösungen  (s.  u.) 
zu  prüfen.  Für  die  Alkalibildtmg  in  Milch  oder  Molke  ist  dagegen 
wohl  ausschließlich  der  Zerfall  des  Milcheiweißes  in  Ammoniak  und 
ähnliche  Stoffe  verantwortlich  zu  machen  (vgl.  §170,  171,  174).  Man 
darf  sich  natürlich  nicht  wundern,  wenn  v.  Sommaruga3)in  den 
gewöhnlichen  Fleischsaftnährböden  durch  Titrie- 
rung mit  Rosolsäure  fast  ausschließlich  Alkalibildung  feststellte,  weil 
sie  eben  zuckerfrei  oder  -arm  zu  sein  pflegen.  Als  er  später*)  Gly- 
zerinnährböden benutzte,  erhielt  er  ebenso  häufig  Säure,  weil 
Glyzerin  der  sauren  Gärung  zu  verfallen  pflegt  {§  131).  Unter  den 
geprüften  Mikrobien  machten  nur  der  Pyocyaneus,  eine  weiße  Hefe 
und  ein  Trommelschlägerbazillus  Ausnahmen.  Später  wurden  die 
einzelnen  Zuckerarten  systematisch  auf  Säureentwicklung  geprüft. 
Dabei  zeigte  sich,  daß  Traubenzucker  noch  regelmäßiger 
zersetzt  wird  wie  Glyzerin  (Th.  S  m  i  t  h  ^)) ,  K.  B.  L  e  h  - 
mann  und  Neumann®),  Kruse "')).  Vielleicht  gibt  es  kein  bei 
Sauerstoffabschluß  gedeihendes  Bakterium,  das  diesen  Stoff  unberührt 
läßt.  Hier,  wie  auch  bei  den  strengen  Aerobiem  kann  freilich  die 
Säure-  durch  die  Alkalibildung  verdeckt  werden,  wird  aber  dann  häufig 
noch  deutlich,  wenn  man  auf  Oberflächen®)  z.  B.  mit  Lackmus 

1 )  Vgl.  z.  B.  Kruse,  Kittershaus,  Kemp  und  Metz 
(Zeitschr.  f.  Hyg.  57)  für  Dysenterie  und  Pseudodysenterie. 

2)  Bienstock,  Arch.  f.  Hyg.  39,  Weber,  Zontr.  Bakt.  33  u.  §  169. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.   12,   1892. 

4)  Ebenda  15,   1893. 

5)  Zentr.  Bakt.   18,  1896. 

6)  Grundriß,  4.  Aufl.   S.  86. 

7)  Nicht  veröffentlichte  Untersuchungen. 

8)  Bei  manchen  fakultativen  Anaeroben  kann  freilich  umgekehrt  die 
Säurebildung  durch  anaerobe  Züchtimg  bewirkt  werden.  Vgl.  u.  (S.  349) 
bei  den  Pneumokokken  (Salomon). 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  341 

versetzten  Platten  oder  Schrägagar  züchtet  und  nicht  zu  wenig 
Zucker,  d.  h.  mindestens  1 — 2%  nimmt.   Diese  letztere  Vorschrift 
gilt  überhaupt  für  jede  Prüfung  mit  den  verschiedensten  Zuckerarten. 
Bei  0,1 — 0,4%  Zuckergehalt  kann  nach  unseren  Erfahrungen  bei  D  y  - 
senterie  und  Pseudodysenterie^)  ein  Fehlen  der  Säue- 
mng  dadurch  vorgetäuscht  werden,  daB  die  Alkalibildung  überwiegt. 
Untersucht  man  allerdings  früh  genug,  so  erhält  man  auch  hier  fast 
stets^)  saure  Reaktion,  erst  später  alkalische.    Von  dem  ungleichen 
Eiweißzersetzungs-   bzw.   Ämmoniakbildungsvermögen  (oder  von  der 
Fähigkeit  Säure  zu  verzehren?  vgl.  §  149)  hängt  es  ab,  ob  die  saure 
Reaktion  bis  zu  Ende  fortbesteht  oder  nicht.  So  können  wir  die  einzelnen 
Stämme  der  Pseudodysenterie  danach  kennzeichnen,  ob  die  Kulturen 
bei  0,2,  0,4  oder  erst  bei  1%  Zuckerzusatz  dauernd  sauer  bleiben.    So 
erklärt  sieh  jedenfalls  auch  das  von  Proskauer  und  Capaldi^) 
angegebene   unterschiedliche   Verhalten   des   B.    coli    und    typhi 
in  0,1 — 0,2%  Traubenzucker-  imd  Mannitlösiingen.    Ebenfalls  werden 
dadurch  veiständlich  die  Beobachtungen,  die  man  über  die  Säure- 
bildung des  Diphtheriebazillus  gemacht  hat*).   Wenn  Trau- 
benzucker (aus  dem  Glykogen  des  Fleisches)  in  der  Bouillon  schon 
v^orhanden  ist  oder  ihr  künstlich  zugesetzt  wird,  wird  Säure  gebildet; 
sobald  die  Zuckermenge  aber  klein  ist,  nur  vorübergehend.    Der  von 
vomheiein  vorhandene  Alkaleszenzgrad  spielt  dabei  insofern  eine  Rolle, 
als  er,  wenn  gering,  die  Säuerung  begünstigt.'  Eine  gewisse  Wandelbarkeit 
der  Bazillen  ist  zwar  unbestritten;  ob  daneben  beständige  Stam- 
mesverschiedenheiten vorkommen,  aber  noch  fraglich.    Die  Pseudo- 
diphtheriebazillen  bilden,  wie  Peters^)  in  meinem  Laboratorium 
feststellte,  meist,  aber  nicht  immer,  weit  weniger  Säure  als  die 
Diphtheriebazillen.    Nach  den  neuen  Versuchen  L  u  b  e  n  a  u  s  *)  gilt 
das  Übergewicht  der  Diphtheriebazillen   in  bezug  auf  das  Gärungs- 
vermögen auch  nur  für  Trauben-,  Frucht-,  Malzzucker  und  Dextrin, 
nicht  für  Milch-  und  Eohrzucker,  und  nach  G  o  o  d  m  a  n  ist  es  so  der 
Variabilität    unterworfen,    daß    es    völlig    verschwinden    kann 
{§  353).   Auch  für  die  Unterscheidung  der  Menschen-  und  Säugetier- 


1)  Zeitechr.  f.  Hag.  67.  422. 

2)  Emigestrenge  Aerobier,  wie  derBac.  alcaligenes,  gewisse  Sporen- 
bildner und  Kokken  (s.  u.)  gehören  zu  den  Ausnahmen. 

3)  ZeitBchr.  f.  Hyg.  23,  vgl.  S  i  o  n  und  N  e  g  e  1 ,  Zentr.  Bakt.  32.  593. 

4)  Vgl.  S  pr  o  n  ck  ,' Annal.  Pasteur  95,  Madsen,  Zeitschr.  f. 
Hyg.  26,  1897  u.  Zentr.  Bakt.  25,  1899;vanTurenhout,  ref.  Zentr. 
Bakt.  18.  295;  C  o  b  b  e  1 1 ,  Annal.  Pasteur  1897;  H  e  1 1  s  t  r  ö  m  ,  Zentr. 
Bakt.  25,   1899;  Hubert,  Zeitschr.  f.  Hyg.  29,   1898. 

5)  Sitzungsber.  niederrhein.  Ges.  Nat.  u.  Heilk.   1896. 

6)  Arch.  f.  Hyg.  66,   1908. 


342  Kap.  VI,   !  112. 

tuberkelbazillen  läßt  sich  nach  Th.  S  m  i  t  h  ^)  die  Sanie 
bildmig  benutzen.  Nur  die  eisteren  vermögen  (aus  Glyzerin)  Säure 
zu  entwickeln. 

Umfangreiche  vergleichende  Untersuchungen  über  die  Säure- 
bildung von  31  Kulturen  stellte  S  e  g  i  n  *)  unter  Leitung  D  i  e  u  - 
d  o  n  n  e  s  in  Lösimgen  an,  die  außer  1%  Zucker  und  Lackmustinktur 
noch  Nutrose')  (Milchkasein)  enthielten  und  dadurch  gleichzeitig 
der  Farbenänderung  und  der  Gerinnung  zugänglich  waren.  Der 
Traubenzucker  wurde  von  allen  zersetzt  mit  Ausnahme  des  Bac.  faecalis 
alcaligenes,  Micr.  tetragenus  Lode  und  Staphylococcus  citreus,  die 
vielleicht  bei  anderen  Versuchsanordnungen  auch  positiv  reagiert 
hätten.  Fruktose  und  Galaktose  verfallen  zwar  auch  regelmäßig  in 
saure  Gärung,  aber  namentlich  bei  letzterer  führt  die  Säuerung  nicht  so 
leicht  zur  Gerinnung*).  Maltose  erwies  sich  erheblich  widerstands- 
fähiger, z.  B.  gegenüber  manchen  Paratyphusbazillen  und  dem  Bac. 
dysenteriae  (s.  u.).  Rohrzucker  wurde  leider  nicht  geprüft,  Milchzucker 
blieb  noch  öfter  unberührt,  z.  B.  durch  den  Typhusbazillus  und  die 
meisten  Paratyphusbazillen,  während  allerdings  einige  andere,  die  den 
Malzzucker  nicht  vergoren,  hier  Säure  bildeten  (s.  u.).  Auch 
die  Dysenteriebazillen  bildeten  kleine  Mengen  davon  (s.  u.).  Baffi- 
nose,  Erythrit,  Dulzit,  Querzit,  Glykoheptose  wurden  nur  aus- 
nahmsweise angegriffen,  die  Pentosen  Arabinose  und  Xylose  dagegen 
wieder  häufiger,  z.  B.  durch  den  Coli-  und  Typhusbazillus  (vgl. 
Harden  S.  303). 

Eine  Anzahl  von  Bakteriengruppen  wurde  besonders  gründhch  auf 
ihr  Verhalten  zu  den  Zuckerarten  geprüft.  Dabei  wurde  zimieist  aber 
nicht  die  Säure,  sondern  nur  die  Gasbildung  berücksichtigt.  Wir  haben 
gesehen  (§  105),  daß  von  Bakterien*)  Gas  ohne  Säure  überhaupt 
nicht  gebildet  wird,  dagegen  umgekehrt  Säure  ohne  Gas  ziemlich  häufig. 
Die  Untersuchimgen  über  die  Coli-Typhusgruppe  (im  engeren 


1)  Joum.  medic.  resoarch.   13,  1905. 

2)  Zentr.  Bakt.  34,  1903;  2.  Abt.   12,  1904. 

3)  Vgl.  auch  den  Milchzucker-Nutrosenährboden  von  Barsiekow 
(Wien.  klin.  Woch.  1902.  44)  und  Klopstock  (Berl.  klin.  Woch.  1902. 
34).  Statt  der  Nutroso  kann  man  nach  Segln  mit  ähnlichem  Erfolg 
auch  einen  Zusatz  von  Kindersorimi  (10%)  benutzen.  Kahlbaum  sehe 
Lackmiislösung  empf  ielilt  sich  melu*  wie  Mercksche,  weil  sie  weniger 
leicht  reduziert  wird. 

4)  S  e  g  i  n  möchte  das  mehr  durch  Ungleichheit  der  Säurebeachaffen- 
heit  als  der  Säuremenge  erklären. 

5)  Auch  die  Hefen  machen  keine  Ausnahme,  wenn  auch  die  Säure- 
bildung gering  ist  (§90)  und  die  saure  Reaktion  hier  im  wesentlichen 
von  der  Kohlensäure  abhängt. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  343 

Sinne)  sind  so  zahlreich,  daß  wir  sie  hier  nicht  alle  anführen  können. 
Es  hat  sich  stets  herausgestellt,  daß  die  wichtigsten  patho- 
genen  Vertreter  dieser  Gruppe^),  die  Typhus-  ebenso 
wie  die  Dysenterie  und  Pseudodysenteriebazillen,  die  vielleicht  wegen 
ihrer  Unbeweglichkeit  besser  zu  der  Aerogenesgruppe  (s.  u.)  zu  stellen 
wären,  aus  sämtlichen  Zuckerarten  kein  Gas,  da- 
gegen aus  Traubenzucker  und  Glyzerin  viel  Säure 
bilden,  wahrscheinlich  aber  auch  andere  Hexosen  und  Pentosen 
mehr  oder  weniger  säuern,  während  die  übrigen  Zuckerarten  sich  ihnen 
gegenüber  ungleich  verhalten.  Der  Typhusbazillus  säuert, 
wie  wir  aus  den  Arbeiten  von  C a p a  1  d i  und  Proskauer  (s.  o.), 
Lentz*),  Conradi,  von  Drigalski  und  Jürgens*), 
Segin  (s.  o.)  ersehen,  Malzzucker,  aber  Milchzucker  überhaupt  nicht, 
oder  höchstens  ganz  unbedeutend.  Daraus  erklärt  sich  auch  das  Ver- 
halten zur  Milch  und  zur  Lackmusmolke.  Rohrzucker  wird  nach  C.  0. 
Jensen  und  B  a  h  r  ^)  nicht  angegriffen,  ebensowenig  Dextrin  und 
Inulin  nach  L'entz.  Von  den  Zuckeralkoholen  wird  nur  Mannit, 
nach  C a p a  1  d i  und  Proskauer  auch  Sorbit,  und  zwar  stark, 
vergoren.  Die  Dysenteriebazillen  vergären  nach  unseren 
eigenen  umfassenden  Untersuchungen  (s.  o.)  sowie  nach  L  e  n  t  z , 
His  u.  a.  zwar  auch  nicht  Milchzucker,  Dextrin  und  Inulin,  aber 
ebensowenig  Mannit  und  gewöhnlich  auch  nicht  Maltose.  Allerdings 
haben  sich  im  letzteren  Punkte  Ausnahmen  gefunden.  In  Rohrzucker 
fallen  die  Proben  auch  recht  verschieden  aus.  Die  Pseudodysen- 
teriebazillen  wurden  zwar  von  Lentz  als  Mannitver- 
gärer  erkannt,  im  übrigen  zeigen  sie  große  Verschiedenheiten,  wie 
namentlich  aus  den  Arbeiten  von  F 1  e  x  n  e  r  und  Holt,  Hiß^), 


1)  Unter  den  nicht  pathogenen  wird  gewöhnlich  der  Bac.  f  ae- 
calis  alcaligenes,  als  ein  jedes  Säuerungs-  und  Gärungsvermögens 
entbehrender  Verwandter  des  Typhusbazillus  angefülirt,  es  ist  das  zwar 
richtig  und  trifft  auch  für  den  Bac.  aquatilis  sulcatus  Weichselbaums, 
den  Bac.  innocuus  Kruse  (aus  Milch),  die  man  fast  mit  dem  Bac.  alca- 
iigens  identifizieren  kann,  zu,  insofern  stehen  aber  alle  diese  Bakterien 
eigentlich  außer  Wettbewerb,  als  sie  strenge  Aerobier  sind.  Die 
Bazillen  der  hämorrhagischen  Septikamie,  die  ebenfalls  kaum  als  fakultative 
Anaerobier  zu  bezeichnen  sind,  aber  meist  mehr  oder  weniger  Säure  aus 
Kohlehydraten  bilden,  stehen  schon  in  morphologischer  Beziehung  etwas 
abeeits  von  der  Coli-  und  Aerogenesgruppe.  Dagegen  ist  der  Bazillus  der 
Pseudotuberkulosed  er  Nagetiere  nach  meinen  Untersuchungen 
ein  nächster  Verwandter  des  Typhusbazillus. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  41.  560. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  42.  153. 

4)  Zentr.  Bakt.  39.  267,  1905. 

5)  Journ.  medic.  research.  Dez.   1904. 


344  Kap.  VI,  §  112. 

S  h  i  g  a  ^)  und  unseren  eigenen  hervorgeht.  Zunächst  gibt  es  Stamme, 
die  sogar  Milchzucker  in  mehr  oder  weniger  erheblichem  Grade  ver- 
gären, von  einigen  wird  auch  Rohrzucker  und  Malzzucker  enei^sch 
angegriffen.  Es  ist  aber  nicht  möglich,  wie  H  i  ß  es  versucht,  abge- 
sehen von  der  Milchzuckergruppe,  die  auch  sonst  deutlich  verschieden 
ist,  andere  auf  Grund  der  Rohr-  und  Malzzucker  Vergärung  zu  bilden. 
Dazu  ist  das  Verhalten  der  Stämme  zu  unbeständig  (vgl.  §  353). 
Brauchbarer  zur  Gruppeneinteilimg  ist  das  Verhalten  gegenüber  agglu- 
tinierendem Serum. 

Die  Paratyphus-,  Enteritidis-  oder,  wie  sie  zuerst 
von  Th.  Smith  genannt  wurde,  Hogcholeragruppe  zeichnet 
sich  dadurch  aus,  daß  der  Traubenzucker  nicht  bloß  gesäuert,  sondern 
unter  Gasbildung  vergoren  wird  2)  und  der  Milchzucker  unverändert 
bleibt^).    Im  übrigen  bestehen  erhebliche  Verschiedenheiten  zwischen 
den   einzelnen   Untergruppen   und    Stämmen*).     So   fanden   S  e  g  i  n 
(s.  o.)  und  Bahr  bei  einigen  ihrer  Kulturen,  daß  sie  die  Pentosen 
unberührt  ließen.    Jensen  und  Bahr  schreiben  femer  zwar  der 
Gruppe  die  Eigenschaft  zu,  Malz-  und  Rohrzucker  nicht  anzugreifen, 
in  ersterer  Beziehung  lauten  aber,  wie  wir  sahen,  die  Angaben  von 
Segin  verschieden;   in   letzterem   scheint   allerdings,   nach   den   in 
meinem  Laboratorium  von  Trautmann  ^)  gemachten  Erfahrungen, 
die   Jensen  sehe  Regel  zu  gelten,   während   T  w  o  r  t  *)  die  A  n  - 
passungsmöglichkeit  der  Paratyphusbazillen  an  die  Rohr- 
zuckervergärung  behauptet.     Glyzerin    und   Mannit    wird   allgemein 
vergoren,  die  übrigen  Zuckeralkohole  unregelmäßig  (Bahr '')). 

Die  bisher  genannten  Bakterien  (Typhus,  Dysenterie,  Pseudo- 
dysenterie  imd  Paratyphus),  die  —  zufälligerweise?  —  gerade  die 
pathogenen  Vertreter  der  Coligruppe  sind,  zeichnen  sich,  wie  aus  dem 


1)  Zeitechr.  f.  Hyg.   60.   78. 

2)  Auch  für  die  anderen  angegriffenen  Zuckerarton  gilt  fast  stets 
die  Kegel,  daß  sie  in  Säuren  und  Gase  zerfallen.  Einige  Ausnahmen  s.  bei 
Jensen. 

3)  Wir  wollen  aber  dahingestellt  sein  lassen,  ob  nicht  auch  in  dieser 
Beziehung  Übergänge  zur  eigentlichen  Koligruppe  bestehen. 

4)  Vollständige  Literatur  s.  bei  Kutscher,  Paratyphus,  in 
Kolle- Wassermann,  Handb.  1.  Erg.-Bd.  2.  H.,  1907 ;  vgl.  auch 
Mac-Conkey,  Joum.  of  hyg.  1905.  Keine  Unterschiede  findet  Z  u  p  - 
n  i  k  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.   52.   531. 

6)  Zeitsclir.  f.  Hyg.  45. 

6)  Proceedings  Roy.   Soc.   79.   329. 

7)  Die  Vergärung  von  Zitronen-  und  anderen  Säuren,  die  von  Jen- 
sen und  Bahr  zur  Unterscheidung  von  Paratyphusbazillen  empfohlen 
wird,  eignet  sich  nach  Trommsdorff  (Areh.  f.  Hyg.  5ö)  nicht  dazu. 
Über  die  Brauchbarkeit  der   Glykoside  vgl.   T  w  o  r  t. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  345 

obigen  hervorgeht,  durch  den  Mangel  an  Gärvermögen  gegenüber  dem 
Uilchzacker  aus,  während  die  im  folgenden  zu  besprechenden  eigent- 
lichen Coli-  (und  Aerogene8-)bazillen  auch  den  Zucker  zu  vergären 
pflegen.  Man  hat  darauf  eine  ganze  Anzahl  von  Züchtungs  ver- 
fahren aufgebaut,  indem  man  Milchzucker  dem  als  Platte  dienenden 
Nährboden  zufügte  und  zum  Eenntlichmachen  der  Säure  bzw.  keine 
Säure  bildenden  Kolonien,  Farbstoffe,  wie  Lackmus  ( W  ü  r  t  z ) ,  Lack- 
mus mit  Kristallviolett  und  Nutrose  (Conradi  und  v.  Drigalski), 
SäDrefuchsin  mit  Natriumsulfit  (Endo),  Säurefuchsin  und  Mala- 
chitgrün (K  i  n  d  b  o  r  g)  zusetzte.  Bei  vorsichtigem  Gebrauch  erweisen 
sie  sieh  recht  nützlich,  man  beobachtet  aber  gerade  hier  recht  häufig, 
daß  die  aus  dem  tierischen  Körper  entnonmienen  Bakterien  zwar  in 
•1er  ersten  Plattengeneration  den  Milchzucker  unzersetzt  lassen,  sich 
aber  spater  ändern  (s.  u.  bei  den  Aerogenesbazillen  und  §  353). 

Die  Coligruppe  im  engsten  Sinne  umfaßt  diejenigen  nach 
ihren  sonstigen  morphologischen  und  kulturellen  Merkmalen  hierher- 
gehörigen Bakterien,  die  außer  Traubenzucker  auch  Milchzucker  unter 
Uasbildung  vergären.  Im  übrigen  finden  sich  große  Unterschiede, 
wie  schon  vor  längerer  Zeit  Th.  Smith,  Rodet  und  R  o  u  x , 
Gilbert  und  Lion,  Pere,  Germano  und  M  a  u  r  e  a 
(s.  o.)  in  meinem  Laboratorium  u.  a.^)  gegenüber  Rohrzucker  und 
anderm  Zucker,  später  in  besonders  umfassender  Weise,  d.  h.  an  vielen 
Stämmen  und  gegenüber  allen  möglichen  Zuckern  C.  0.  Jensen*) 
und  Mac  Conkey*)  feststellten.  Ersterer,  der  außer  Glykose  und 
Laktose  auch  Fniktose,  Galaktose  und  Mannose,  Arabinose  und  Xylose, 
Maltose  und  Melibiose,  Mannit  und  Sorbit  gleichmäßig  durch  alle 
Stämme  vergären  sah,  unterschied  zunächst  nach  ihrem  Verhalten 
zu  Rohrzucker  (imd  Raffinose)  zwei  Untergruppen  und  teilte  diese  dann 
nieder  in  Unterabteilungen,  je  nachdem  sie  Sorbose,  Rhamnose,  Gly- 
zerin,  Adonit    und  Dulzit  zersetzten*).    Mac   Conkey,   der  den 


1 )  Literatur  bei  Pfaundler  in  Kolle-Wassermann, 
Handb.   2.   349. 

2)  S.  bei  Bahr  a.  a.  O.  und  bei  Jensen,  „Kälberruhr"  in  K  o  1 1  e  - 
Wassermann,  Handb.  3.  174.  Die  Angaben  bei  C  a  p  a  1  d  i  und 
Proskauer  sind  leider  wegen  des  zu  geringen  Zusatzes  von  Zucker 
nicht  zu  gebrauchen,  beziehen  sich  auch  nur  auf  einen  Stamm.  Das  letztere 
?ilt  auch  für  die  genaueren  Angaben  P  6  r  6  s  ,  die  S.  309  wiedergegeben 
wurden. 

3)  Joum.  of  hyg.   1905. 

4)  Als  weitere  Unterscheidungsmerkmale  können  gelten  die  Fähig- 
keit. Zitronen-,  Glukon-,  Zucker-,  Schleim-  und  Traubensäure  zu  ver- 
tmren,  den  Stickstoff  aus  Ammoniaksalzen  und  Amiden  oder  manchen 
Peptonen  und  Albumosen  zu  verwerten,  Indol  zu  bilden  usw. 


346  Kap.  VI.  §  112. 

Colibazillen  außerdem  noch  das  Vermögen,  Dextrin,  aber  nicht  Inidin 
und  nur  auBnahmsweise  Stärke  zu  zersetzen,  zuschrieb,  stellte  nach 
dem  Verhalten  zu  Rohrzucker  und  Dulzit  vier  Untergruppen  auf.  Die 
Vergärung  von  Glykosiden  untersuchten  Twort  (s.  o.)  und  van  der 
Leck^)  und  fanden  dabei  ebenfalls  große  Unterschiede  (§  156). 

In  nächster  Beziehung  zu  den  KoUbazillen  und  kaum  von  ihnen 
scharf  zu  trennen^)  stehen  zwei  andere  „Sammelarten",  die  des  B  a  e. 
aerogenes  und  des  Bac.  cloacae.   Unter  dem  ersteren  Namen 
faßt    man    gewöhnlich   die    unbeweglichen,    häufig   schleimbildenden 
Formen,  unter  den  letzteren  am  besten  die  verflüssigenden  und  gas- 
bildenden,  natürlich  auch  gramnegativen   und  sporenfreien  BazUlen 
mit  Ausnahme  der  Proteusgruppe  zusammen.   Der  Bac.  coli  aerogenes 
im  engeren  Sinne  (Escherich)  vergärt  nach  Mac  Conkev  die- 
selben Zucker  wie  der  B.  coli  commimis  und  außerdem  Bohrzucker,  nicht 
Dulzit,  der  naheverwandte  Bac.  pneumoniae  Friedländer  auch  den 
Dulzit,  der  Bac.  acidi  lactici  H  ü  p  p  e  weder  Bohrzucker  noch  Dulzit. 
Perkins')  unterscheidet  dagegen  den  Bac.  aerogenes,  (einschließ- 
lich vieler  „Eapselbazillen"),  der  alle  Kohlehydrate  vergären  soll,  von 
dem  Bac.  pneumoniae,  der  nur  die  Laktose  und  dem  Bac.  acidi  lactici, 
der  nur  den  Rohrzucker  unberührt  läßt.    Sicher  gibt  es  Formen  mit 
diesen  Eigenschaften,  die  Namen  sind  aber  willkürlich  gewählt.    Es 
fehlt  wohl  auch  nicht  an  Übergängen,   z.   B.  solchen  „Pneumonie- 
bazillen",  die  Milchzucker  schwach  vergären,  nach  D  e  n  y  s  und  Mar- 
tin^) läßt  sich  auch  das  schwache  Oärvermögen  durch  fortgesetzte 
Kultur  in  Milch  erheblich  steigern.    Wir  selbst  haben  öfter  aus  Urin 
hierhergehörige  Bazillen  gezüchtet,   die  ursprünglich  sich  durch  ihr 
schwaches  oder  mangelndes  Gärvermögen  in  Milch  und  selbst  in  Trau- 
benzucker auszuzeichnen  schienen,  aber  daim  bei  fortgesetzter  Züch- 
tung kräftige   Gärungserreger  wurden.    Auf  Grund  aller  dieser  Er- 
fahrungen kann  man  auf  die  Unterscheidungsmerkmale  der  sogenannten 
Rhinosklerom-   und  Ozänabazillen  von   Pneumonie-   und  Aerogenes- 
bazillen  keinen  großen  Wert  legen.   Die  ersteren  sind  anscheinend  nur 
Rassen,  die  durch  den  Aufenthalt  im  lebenden  Körper  ihr  Gärvermögen 
mehr  oder  weniger  eingebüßt  haben^).    Über  das  Verhalten  der  Aero- 
genesgruppe  zu  Glykosiden  vgl.  Twort  und  vanderLeck(s.  o.). 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   17,  1907. 

2)  Vgl.  meine  Darstellung  in  Flügges  Mikroorgan.  3.  Aufl.  2.  336, 
1896. 

3)  Journ.  of  infect.  dis.   1904.  24. 

4)  Cellul.  9.  261,   1893. 

6)  Klemperer  und  S  c  h  e  i  e  r  (Zeitschr.  f.  klin.  Mediz.  45) 
haben  durch  Agglutinationsversuche  die  Identität  der  Khinosklerom-  und 
PneTimoniebazillen  noch   walirscheinlicher   gemacht. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  347 

Nach  Mac  Conkey  verhält  sich  der  Bac.  cloacae  (Jor- 
dan) aach  in  seinen  aus  Fäzes  gewonnenen  Stämmen  im  wesentlichen 
gegenüber  den  Zuckerarten  wie  der  Bac.  aerogenes  (s.  o.).  Jedoch 
unterscheidet  er  sich  nach  Th.  Smith  u.  a.,  wie  wir  schon  S.  327 
sahen,  von  ihm,  wie  von  der  Coli-  und  Paratyphusgruppe  sowie  den 
Proteusbazillen  (s.  u.)  durch  die  Zusanmiensetzung  seiner  Gänmgsgase, 
indem  bei  jenen  die  Kohlensäure  überwiegt,  bei  diesen  der  Wasser- 
stoff. Eine  einzelne  Prüfung  darf  freilich  nach  Mac  Conkey  nicht 
als  entscheidend  betrachtet  werden,  weil  gelegentlich  Abweichungen 
vorkommen.  Inmierhin  hat  sich  auch  uns  wie  Jordan  u.  a.  die 
Äbsorptionsprobe  mit  Kalilauge  im  Gärungsröhrchen  als  nützlich  er- 
wiesen, um  die  manchmal  erst  spät  verflüssigenden  Bakterien  der 
Cloacaegruppe  sofort  als  solche  zu  erkennen. 

Der  schon  durch  seinen  Fäulnisgestank  leicht  erkennbare  Bac. 
Proteus  ist  ein  weiterer  Gasbildner  in  Zuckerarten.  Nur  Milchzucker 
bleibt  untersetzt  (Smith,  Kruse  u.  a.),  Rohrzucker  und  selbst 
Traabenzucker  wird  aber  nach  R.  Weber*)  mit  wechselnder  Kraft 
angegriffen. 

Als  Grasbildner  in  Traubenzucker  wäre  sonst  noch  zu  erwähnen 
seltenere  Rassen  des  Bac.  prodigiosus,  fluorescens  liquefaciens  und 
non  hquefaciens,  man  könnte  sie  fast  als  gefärbte  Abarten  der  KoU-, 
AerogMies-,  Cloacae-  oder  Proteusgruppe  ansehen,  wenn  sie  sich  nicht 
durch  die  Anordnung  ihrer  Geißeln  meist  als  „|^seudomonaden"  (M  i  g  u  1  a 
?gL  §  359)  erwiesen.  Von  den  sporenbildenden  Bazillen  scheinen  wesent- 
lich nur  die  strengen  Anaerobier  zur  Vergärung  der  Kohlehydrate 
unter  Gasbildung^)  befähigt  zu  sein,  doch  gibt  es  auch  einige  fakultative 
Anaerobier  unter  ihnen  (S.  316).  Wir  kommen  auf  die  unterschiede 
der  Anaerobier  bei  der  Buttersäuregärung  (§  113  ff.)  zurück,  erwähnen 
aber  hier  den  interessanten  Versuch  Achalmes*),  durch  Züchtung 
in  Nährlösung  mit  gekochtem  Eiweiß  und  Zusatz 
verschiedener  Kohlehydrate  die  einzelnen  Arten  der 
Anaerobier  zu  trennen.  Leider  entsprechen  seine  Angaben  in  vieler 
Beziehung  nicht  den  Erfahrungen  anderer  Forscher,  wie  Tissier, 
Martelly  und  Gasching*),  Grassberger  und  Schattenfroh. 

Unter  den  Spirillen  gibt  es  keine  Gasbildner,  sie  sind  ja  auch 
meist  strenge  Aerobier;  unt«r  den  Kokken  wenigstens  keine, 
die  gleichzeitig  Wasserstoff  und  Kohlensäure  oder  etwa  so  viel  von 


1)  Zentr.  Bakt.  33.   1. 

2)  Säure  wird  öfter  gebildet,  zum  Teil  allerdings  offenbar  aus  den 
Eiweißstoffen. 

3)  Annal.  Paateur  1902. 

4)  Ebenda  1902  und  1903. 


348  Kap.  VI,  §  112. 

letzterer  allein  wie  die  Hefe  bilden.  Dagegen  sind  namentlich  Strep- 
tokokken als  fakultative  Anaerobier  und  Saurebildner  bekannt 
(vgl.  §  97).  Man  hat  vielfach  versucht,  das  Verhalten  derselben  zu  den 
Kohlehydraten  zur  Unterscheidung  der  zahlreichen  Abarten  der  Strepto- 
kokken zu  benutzen.  So  sollen,  um  nur  Arbeiten  der  neuesten  Zeit 
zu  erwähnen,  nach  G  o  r  d  o  n  ^)  300  aus  Speichel  gesunder  Personen 
gezüchtete  Streptokokken  in  Lackmusbouillon  mit  Saccharose  luid 
Laktose  Säure  bilden,  selten  mit  Raffinose  und  Salizin  oder  anderen 
gärfähigen  Stoffen,  niemals  mit  Mannit,  300  aus  Fäzes  stammende 
Streptokokken  zersetzten  außer  Saccharose  regelmäßig  Salizin,  häufig 
Laktose,  seltener  Raffinose  und  Mannit.  Von  200  aus  dem  kranken 
Körper  stammenden  Streptokokken  wurde  regelmäßig  Saccharose  und 
Laktose  gesäuert,  nur  ausnahmsweise  einer  der  übrigen  Stoffe.  Die 
späteren  üntersucher  Natvig,  Baumann,  Schultze-), 
Nieter^),  Baumgarten  und  letzthin  S  a  1  o  m  o  n  *)  in  einer 
sehr  ausführlichen  Arbeit  kamen,  wenn  man  von  Schnitze  ab- 
sieht, der  mit  E.  Franke  1  den  Lackmuslaktoseagar  zur  Unterscheidung 
empfiehlt,  zu  weniger  günstigen  Ergebnissen.  Trotzdem  glaubt  8  a  1  o  - 
m  o  n  nach  ihrem  Verhalten  auf  der  Oberfläche  von  Lackmus- ABzites- 
agar,  dem  vergärbare  Stoffe  zugesetzt  werden,  unter  gleichzeitiger 
Benutzung  derHäraolyse  (§  312),  Gestalt  und  Schleimbildung  folgende 
„natürliche"   Einteilung  der   Streptokokken  aufstellen  zu  können. 

A.   Gruppe  des  Strept.  pydgenes: 

Regelmäßige  Hämolyse  in  Blutplatten.  Säurebildung  aus  Dex- 
trose, Lävuloso,  Galaktose,  Mannose,  Maltose,  Saccharose,  nur  aus- 
nahmsweise aus  Arabinose.  Nach  ihrem  Verhalten  zu  Stärke,  Milch- 
zucker, Glyzerin,  Mannit  und  Raffinose  kann  man  folgende  Unter- 
abteilungen unterscheiden: 

I.  Strept.  pyogenes  (5  Stämme  von  Eitererregern).  Säure  wrd  aus 
löslicher  Stärke  und  Milchzucker  gebildet,  nicht  aus  Glyzerin, 
Mannit  und  Raffinose; 

II.  aus  Blut  gezüchtete  Stämme  (7)  bilden  Säure  aus  Mannit  und 
Glyzerin,  zum  Teil  aus  Raffinose,  weniger  oder  gar  nicht  aus 
Stärke  und  meist  auch  nicht  aus  Milchzucker; 

III.  aus  diphtherieverdächtigen  Fällen  gezüchtet  (9),  säuern  Stärke 
und  Raffinose  regelmäßig,  meist  auch  Milchzucker;  Mannit  und 
Glyzerin,  wenn  überhaupt,  nur  in  geringem  Grade,  Arabinose 
ausnahmsweise ; 

IV.  vereinigt  vorläufig  17  aus  diphtherie verdächtigen  Fällen  ge- 
züchtete   Stämme.     Die  ersten    11    von  ihnen  würden,   wenn  sie 


1)  Lancot  1905  I. 

2)  Münchn.  med.  Woch.   1907.  24. 

3)  Zoitschr.  f.  Hyg.  56,   1907. 

4J  Zentr.  Bakt.  47.   1,   1908  mit  Lit. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  349 

Hämolyse  verursachten  —  die  Prüfung  darauf  wurde  unterlassen  — 
in  die  Gruppe  I  gehören,  die  letzten  6  würden  eine  Gruppe  für 
sich  bilden,  da  sie  zwar  Stärke  und  Mannit  säuern,  nicht  aber 
Raffinose  und  Glyzerin. 

B.  Gruppe  des  Strept.  mucosus,  kennzeichnet  sich  durch  schleimiges 
Wachstum  und  grünen  Farbstoff  in  Blutplatten: 

I.   (4  Stämme)  bilden  Säure  aus  den  meisten  Hexosen  luid  Disaccha- 
riden,  femer  aus  Glyzerin,  Arabinose  und  Mannit,  nicht  aus  Raffi- 
nose und  löslicher  Stärke. 
II.   (6  Stämme)  greifen  nach  24  Stunden  nicht,  nach  48  selten  eins 
der  Kohlehydrate  usw.   —  am  ehesten  noch  Glykose  —  an. 

C.  Gruppe  der  Pneumokokken  (3  Stämme),  morphologisch  und  kulturell, 
sowie  durch  grünen  Feurbstoff  in  Blutplatten  und  fehlende  Säurebildung 
charakterisiert. 

D.  „Saprophytische"  Streptokokken  (6  Stämme  aus  dem  Menschenkörper), 
hamolysieren  nicht,  säuern  Hexosen  und  Disaccharide,  femer  meist 
Stärke,  selten  Raffinose  oder  Mannit,  nicht  Glyzerin. 

Gerade  die  echten  saprophytischen  Streptokokken  aus  Milch,  Fäzes  usw. 
wurden  leider  nicht  -geprüft.  Wie  wenig  natürlich  die  Einteilung  ist,  zeigt 
sieh  schon  aus  den  meuinigfachen  Ausnahmen  imd  Übergängen,  die  S  a  1  o  - 
mon  zum  Teil  in  eine  Gruppe  E  vereinigt. 

Eine  zweite  Versuchsreihe  Salomons  in  Bouillon  nut  den  ent- 
sprechenden Zusätzen  —  d.  h.  bei  verhältnismäßigen  Sauerstoffabschluß  — 
ergab  femer  ein  ganz  anderes  Bild.  Hier  bildeten  auch  die  Pneumokokken*) 
namentlich  aus  Glykose,  aber  auch  aus  löslicher  Stärke  und  Raffinose 
Säure,  und  Glyzerin  und  Mannit  wurden  auch  vom  Streptococcus  pyo- 
genes  aus  Anginen  angegriffen. 

Diese  Einteilung  hat  also  höchstens  bei  einer  ganz  bestimmten 
V<  rsuchsanordnimg  Wert.  Wir  haben  sie  aber  doch  gebracht,  um  die 
•S^bwierigkeiten  zu  zeigen,  die  sich  einer  natürlichen  Gruppierung 
<ler  Streptokokken  entgegenstellen.  Noch  gar  nicht  dabei  berück- 
sichtigt ißt  die  Tatsache,  daß  es  auch  sehr  pathogene  Streptokokken 
gi))t,  die  nicht  hamolysieren  (§  312),  und  die  sämtlichen  Eigenschaften 
der  Streptokokken  veränderlich  zu  sein  scheinen  (Kap.  XVITI). 

Die  streng  luftliebenden  Meningokokken  lassen  sich  nach  v.  L  i  n  - 
gelsheim*)  am  besten  von  ihren  Verwandten  unterscheiden  auf 
Lackmus-Aszites-Agarplatten  mit  Zusätzen  von  Kohlehydraten.  Sie 
selbst  bilden  nämlich  Säure  aus  Glykose  und  Maltose,  nicht  aus  Fruktose, 
Galaktose,  Milchzucker,  Rohrzucker,  Inulin,  Mannit  und  Dulzit.  Ein 
Diplococcus  flavus  pharyngis  vergärt  auch  Fruktose,  der  Dipl.  crassus 
(Meningococcus  Jägers)  außerdem  Galaktose,  Rohr-  und  Milch- 
zucker, der  Micr.  catarrhalis  keinen  der  genannten  Stoffe.  Nach  R  o  t  h  3) 


1)  Daß  sie   —  bei  längerem  Aufenthalt  —  regelmäßig  Milchzucker 
in  Milch  und  Traubenzucker  im  Stich  zersetzen,  ist  ja  eine  alte  Erfahrung. 

2)  Klin.  Jahrb.   15,  1905. 

3)  Zentr.  Bakt.  46.  647,  1908. 


350  Kap.  VI,   §  112  u.   113. 

erhält  man  auf  diese  Weise  auch  ein  Unterscheidungsmerkmal  für  die 
sonst  selbst  durch  Serumreaktionen  schwer  von  Meningokokken  zu 
trennenden  Gonokokken,  denn  sie  säuern  nur  Glykosenährboden. 

§113.  Buttersänre-  nnd  Bntylalkoholgärung  ^).  Während  die 
Buttersäure  schon  1814  von  Chevreuil  gelegentlich  seiner  Unter- 
suchungen über  die  Zusammensetzung  der  Fette  entdeckt  worden  ist, 
hat  man  erst  in  den  vierziger  Jahren  die  Beobachtung  gemacht,  daß 
sie  auch  bei  Gärungen  entstehen  könne,  und  zwar  zunächst  bei  Ver- 
gärung  des    weinsauren,    dann   des   milchsauren   Kalkes 
(P e  1  o u z e  und  G 6 1  i s  *).    1861  führte  dann  Pasteur')  die  letz- 
tere Gärung  imd  1863  die  erstere*)  auf  die  Tätigkeit  von  Mikroorganis- 
men, und  zwar  auf  Bakterien  zurück,  die  er  wegen  ihrer  Beweglichkeit 
„Infusorien"  nannte  (Vibrions  butjniques).    Epochemachend  wurden 
diese  Untersuchungen  dadurch,  daß  Pasteur  die  streng  anaerobe 
Natur  beider  Prozesse  nachwies.    Prazmowski*)  studierte  1880 
eine  Art  von  Buttersäurebakterien,  die  er  Bacillus  amylobacter  oder 
Qostridium  butyricum  nannte,  ohne  aber  zu  sicheren  Reinkulturen 
zu  gelangen.    Deshalb  haftet  seinen  Angaben  eine  gewisse  Unsicher- 
heit an.    Nach  ihm  würde  das  Clostridium  nicht  nur  milchsaure  Salze, 
wie  die  bisher  genannten,  sondern  auch  Zuckerarten  in  Buttersäure- 
gärung  versetzen.  Die  ausgedehnten  Untersuchungen  von  Fitz  leiden 
ebenfalls  unter  dem  Fehler,  daß  sie  nicht  mit  Beinkulturen  angestellt 
sind.   Er  wies  zunächst  nach®),  daß  eine  ganze  Reihe  von  Substanzen, 
Kohlehydrate  wie  Rohrzucker  und  Stärke,  höhere  Alkohole  wie  Mannit, 
Glyzerin,  Erythrit,  milchsaure  und  andere  fettsaure  Salze  einer  Butter- 
säuregärung unterliegen  (vgl.  §  139  ff.).  1882  beschrieb  er  dann  genauer 
einen  Bac.  butylicus,  der  aus  Rohrzucker,  Mannit  und  Glyzerin  nicht 
nur  Buttersäure,  sondern  auch  Butylalkohol  zu  bilden  vermochte"). 
Die  erste  Reinlniltur  von  Buttersäurebakterien  gelang  nach  seinem 
eigenen   Anspruch   H  ü  p  p  e  ®).     Doch   wachsen   seine   Bakterien  im 
Gegensatz  zu  den  vorgenannten  bei   Sauerstoffzutritt  besonders  gut 


1)  Die  Pektinvergäning,  die  ebenfalls  eine  Buttersäuregärung  zii 
sein  scheint,  wurde  schon  §  76  besprochen,  die  Zellulosevergärung  folgt 
später  (§  117).  Über  die  Bestimmung  der  Säuren  s.  Anm.  1,  S.  312; 
über  die  der  Gase   §  221. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  16,  1262,  Joum.  prakt.  Chem.  29,  1843. 

3)  Compt.  rend.  52.  344  und  1260. 

4)  Ebenda  56.  416. 

5)  Über  die  Entwicklungsgeschichte  und  Formentwicklung  einiger 
Bakterien.    Dissert.  Leipzig  1880. 

6)  Ber.  chem.   Ges.   1876.   1348;   1877.  276;  1878,  42;  1880.   1309. 

7)  Ebenda  1882.  867. 

8)  Mitteil.   Gesundheitsamt  2.   353,   1884. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  351 

and  sind  nicht  imstande,  Zucker'  in  buttersaure  Gärung  zu  versetzen, 
sondern  nur  (Eiweiß  ?  und)  milchsaure  Salze.  Auch  ist  die  Menge  der 
gebildeten  Säuie  ziemlich  gering.  Offenbar  gehört  dieser  Bac.  pseudo- 
butyricus  (K  r  u  s  e)  zu  der  Gruppe  der  Heu-  oder  Kartoffel- 
bazillen, von  denen,  wie  Löffler^)  nachgewiesen  hat,  viele 
dieselbe  Eigenschaft  besitzen.  Wir  sprechen  von  diesen  uneigentlichen 
Buttersäurebakterien  hier  nicht,  ebensowenig  wie  von  den  strengen 
Anaerobiem,  die  Buttersäure  nur  aus  Eiweiß  (s.  u.  und  §  168)  oder 
milchsauren  Salzen  (§  142)  zu  bilden  vermögen.  Jedenfalls  steht  fest, 
daß  die  Buttersaurebildung  aus  Kohlehydraten,  die  uns  hier  allein 
interessiert,  ganz  wesentlich  von  strengen  Anaero- 
biern  vollzogen  wird*).  Wenn,  wie  wir  schon  bei  (Jelegen- 
heit  der  Milchsäuregärung  (§  110)  gesehen,  hin  und  wieder  Spuren 
von  Buttersäure  auch  von  nicht  sporenbildenden  aeroben  oder  fakul- 
tativ anaeroben  Bakterien  gebildet  werden,  so  könnten  wir  wie  bei  den 
Heubazillen  auch  hier  noch  daran  zweifeln,  ob  der  Ursprung  der  Butter- 
säaie  in  dem  vergorenen  Zucker  zu  suchen  ist.  Die  Möglichkeit  darf 
aber  natürlich  nicht  von  vornherein  abgelehnt  werden,  da  Übergänge 
allenthalben  vorkommen  und  es  neuerdings  gelungen  ist,  echte  anaerobe 
Buttersäurebazillen  (Rauschbrandbazillen)  wenigstens  zeitweise  zum 
Wachstum  bei  Sauerstoffzutritt  zu  bewegen  (Graßberger^), 
^vgl.  u.  Beijerinck  und  Bredemann). 

Die  erste  anscheinend  gelungene  Reinkultur  eines  echten  Butter- 
säurebakteiiums  stammt  von  Liborius^).  Sein  Clostridium 
foetidum  ähnelt  äußerlich  dem  Clostridium  butyricum  Praz- 
m  o  w  s  k  i  s  ,  war  aber  auch  ein  starker  Eiweißzersetzer.  M.  G  r  u  - 
b  e  r  ^)  züchtete  bald  darauf  Bakterien,  die  nach  seiner  kurzen  Angabe 
aus  Kohlehydraten  Buttersäure  und  Butylalkohol  zu  bilden  ver- 
mochten (Clostridium  butyricum  I  und  II).  Perdrix'®) 
aus  Wasser  stanmiender  Bacillus  amylozyma  hat  dadurch  großes 
Interesse  für  uns,  daß  die  von  ihm  hervorgerufene  Buttersäuregärung 
von  dem  Verfasser  so  eingehend,  wie  von  keinem  späteren  Forscher, 
studiert  worden  ist  (§  114).    Den  von  B  o  t  k  i  n ')  und  Flügge®) 


1)  Berl.  klin.  W.   1887.  34. 

2)  Auch  die  Pektin-  und  Zellulosevergärung,  die  zum  Teil  eine  Butter- 
säuregänmg  darstellt,  wird  nur  von  strengen  Anaerobiem  besorgt.  Eine 
Erklärung  für  dieses  merkwürdige  Verhalten  steht  noch  aus. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  63.  158  und  60.  73. 

4)  Zeitschr-  f.  Hyg.   1.  162,  1886. 

5)  Zentr.  Bakt.  1.  370,  1887. 

6)  Annal.  Past.   1891. 

7)  Zeitschr.  f.  Hyg.  11,  1892. 

8)  Ebenda  17. 


352  Kap.  VI,   §  113. 

f 
als  regelmäßigen  Bewohner  der  Milch  gefundenen  Bac.  butyricus 

hat  der  erstere  wahrscheinlich  nicht  in  Reinkultur  in  Händen  gehabt, 
denn  die  von  ihm  gegebene  Beschreibung  stinmit  nicht  mit  der  späteren 
sehr  gründlichen  von  Graßberger  und  Schattenfroh  ge- 
gebenen (s.  u.)  überein.  Ausführliche,  namentlich  auch  chemische 
Studien  über  diesen  Gegenstand  verdanken  wir  Beijerinck^): 
er  unterscheidet  den  Erreger  der  eigentlichen  Buttersäuregärung 
Granulobacter  saccharobutyricum,  den  der  Butyl- 
alkoholgärung  Gr.  butylicum  und  den  der  Buttersäuregärung 
milchsaurer  Salze  Gr.  lactobutyricum,  der  in  eine  dem  Heu- 
bazillus ähnliche  aerobe  Form  übergehen  soll.  Die  Butylalkoholgärung 
untersuchten  ferner  Grimbert^)  und  D  u  c  1  a  u  x  ^)  am  Bac. 
orthobutylicus  und  Amylobacter  butylicum.  Weitere 
Beschreibungen  von  Buttersäurebakterien  mit  kurzen  chemischen 
Angaben  lieferten  Kerry  und  S.  Fränkel*)  (Odembazillus), 
N  e  n  c  k  i  ^)  (Rauschbrand),  Kedrowski®)  (Bac.  butyricus), 
N  o  V  y ')  (Bac.  oedematis  maligni  II)  von  K 1  e  c  k  i  ®)  (Bac.  saccharo- 
butyricus),  während  Lüderitz,  Eitasato,  Sanfelice, 
V  e  i  1 1  o  n  und  Zuber,  von  H  i  b  1  e  r  ^)  sich  auf  das  Studium  der 
morphologischen,  kulturellen  und  pathogenen  Eigenschaften  von 
Anaerobiem  beschränkten.  In  der  letzten  Zeit  wurden  diese  Studien 
auch  von  der  chemischen  Seite  her  wieder  mehr  in  Angriff  genommen,^ 
so  namentlich  von  Graßberger  und  Schattenfroh i°)  in 
ihren  ausführlichen  Arbeiten  über  saprophytische  imd  pathogene 
Anaerobier,  von  B  r  e  d  e  m  a  n  n  ^^)  in  seiner  gründlichen  Untersuchung 
der  stickstoffbindenden  Buttersäurebakterien,  von  Achalme^*),  Tis- 
s  i  e  r  und  Gasching^^)  (Bac.  lactobutylpropylicus  non  liquefaciens). 


1)  Verband,  kon.  Akad.  Wetensch.  Amsterdam  II.  Sect.  Deel  I,  1893. 

2)  Annal.  Pasteur  1893. 

3)  Ebenda  1895.   813. 

4)  Monatsb.   Cbem.   1890  (K  o  c  b  s  Jabresber.)  und  eb.    1891. 

5)  Zentr.  Bakt.   11.  225,   1891. 

6)  Zeitscbr.  f.  Hyg.   16. 

7)  Ebenda  17. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.   169,   1896. 

9)  Vgl.  die  große  Arbeit:  Untersuchungen  über  pathogene  Anaeroben, 
1908,  mit  vollständiger  Literatur.  Wichtig  ist  sie  für  uns  besonders  durch 
die  Untersuchungen  über  die  Verhältnisse  der  Granulöse-  und  Sporen- 
bildimg  (§  130). 

10)  Arch.  f.  Hyg.  37,  42,  48,  53  und  60  (1900—1907). 

11)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23,   1909. 

12)  Annal.  Pasteur  1902. 

13)  Ebenda  1903. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  353 

ferner  von  Winogradsky^)  (Clofitridiiim  pastorianum),  G  r  i  m  - 
bert^),  Ghon  und  Sachs 3),  Kamen*),  Emmerling^). 
Pringsheim*).  Eine  systematische  Darstellung  der  dabei  er- 
haltenen Ergebnisse  wird  vor  allem  durch  die  großeWandlungs- 
fähigkeit  der  Anaerobier,  die  alle,  auch  die  morphologischen 
Verhältnisse  betrifft,  sowie  durch  die  oft  kaum  zu  überwindenden 
Hemmnisse,  die  sich  der  Züchtung  entgegen- 
stellen, erschwert.  Daraus  erklären  sich  die  vielen  Widersprüche, 
die  zwischen  den  einzelnen  Forschem  und  nicht  selten  zwischen  den 
zu  ungleicher  Zeit  gemachten  Angaben  derselben  Forscher  bestehen. 
Wir  wollen  uns  hier  in  erster  Linie  an  die  letzte  Darstellung  von  6  r  a  ß  - 
b  e  r  g  e  r  und  Schattenfroh  und  zur  Ergänzung  an  die  B  r  e  d  e  - 
ma n n s  halten.  Danach  hätten  wir  außer  dem  Tetanusbazil- 
lus, der  die  Kohlehydrate  nicht  unter  Gasbildung  vergären,  ja,  nicht 
einmal  aus  ihnen  Säure  bilden  solP),  und  mindestens  vielen  Stäm- 
men des  Bac.  putrificus,  die  das  nach  Bienstock®), 
T i s s i e r  und  Martelly*),  Rodella ^^),  auch  nicht  in  irgend 
erheblichem  Grade  zustande  bringen,  sovrie  einigen  „  ö  d  e  m  - 
b  a  z  i  1 1  e  n  "  *  *)  und  manchen  anderen  selteneren  pathogenen 
Anaerobiem,  die  sich  nach  v.  H  i  b  1  e  r  ähnlich  verhalten  sollen, 
in  allen  übrigen  Anaerobiem  auch  Butter- 
säurebakterien zu  sehen,  allerdings  solche,  die  je 
na<^h  Eigenart,  Behandlung  und  Gärmaterial  die  Gärimg  in  sehr 
ungleichem  Grade  leisten. 

Zwei  Arten  von  Buttersäurebazillen  heben  Schattenfroh 
und  Graßberger  als  besonders  beständig  hervor.  Der  eine  ist  der 
anaerobe  bewegliche  Buttersäurebazillus ^2),  der  wohl 
niit  dem  Clost.  butyricum  G  r  u  b  e  r  s ,  dem  Granulobacter  saccharo- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23,  1909. 

2)  These  de  Paris  1903. 

3)  Zentr.  Bakt.  34  und  35  (Fall  von  Gasbrand). 

4)  Ebenda  35  (Gasbrand). 

5)  Ber.  ehem.   Ges.   1904.  3535;  1905.  954. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   15.  300,  1906. 

7)  Außer  älteren  Forschem  vgl.  T  i  s  s  i  e  r  und  G  a  s  c  h  i  n  g  a.  a.  O. 
'>''>1.  V.  H  i  b  1  e  r  betrachtet  den  Tetanusbazillus  ebenfalls  als  reinen 
Eiweiözersetzer.  Jedenfalls  vermag  er  Galaktose  (in  Hirnnährböden)  und 
Milclizucker  (in  Milch)  nicht  zu  säuern. 

8)  Annal.  Pasteur  1906,  vgl.  übrigens  bei  Fäulnis   §  168. 

9)  Ebenda  1902. 

10)  Ebenda  1905. 

11)  Siehe  weiter  unten  S.  356.    Auch  hier  scheint  es  zwei  Abarten,  wie 
Mm  Putrificus  zu  geben.    Über  den  Bac.  botulinus  s.  u.  S.  359. 

12)  Siehe  namentlich  Arch.  f.  Hyg.  42. 

Kr  ose,  Mikrobiologie.  23 


^ 


354  Kap.  VI,   §  113. 

butjrricum  Beijerincks,  Bac.  saccharobutyricus  v.  K  1  e  c  k  i  s  ^) , 
u.  a.  zusammenfällt,  nach  Bredemann  sogar  auch  mit  den  Stick- 
stoff ixierenden  Clostridien  Winogradskys,  Pringsheims 
u.  a.,  dem  Granulobakter  butylicum  Beijerincks  und  wahrschein- 
lich auch  mit  den  Pektin  vergärenden  Clostridien  von  Fribes, 
Behrens,  Störmer,  Beijerincks  und  van  D  eld  ens  und 
manchen  anderen  Buttersäurebakterien  identisch  wäre.  Bredemann 
empfiehlt  für  diese  Bakterien  den  Namen  Bac.  amylobacter, 
den  wir,  unter  der  Voraussetzung,  daß  sich  seine  Auffassung  bestätigt, 
im  Interesse  der  Einheitlichkeit  ebenfalls  anerkennen  möchten,  wenn 
auch  die  Ausdehnung  dieses  Begriffe  auf  alle  von  Bredemann 
ins  Auge  gefaßten  Formen  (s.  u.)  noch  Schwierigkeiten  begegnet.  Sie 
sind  aus  allen  möglichen  Stoffen,  wie  Erde,  reinem  und  unreinem 
Wasser,  Mehl,  Käse,  ausnahmsweise  auch  aus  Marktmilch  zu  erhalten, 
am  besten  nach  Beijerincks  Vorschlag,  indem  man  in  ein  eng- 
halsiges  Gefäß  je  5  g  Glykose  und  feingemahlenes  Fibrin  mit  100  g 
Wasser  einbringt,  zum  Sieden  erhitzt  und  die  kochende  Flüssigkeit 
beimpft.  Nach  24  Stunden  ist  fast  immer  schon  die  Gärung  im  Gange. 
Die  Kohlenhydrate  vergärt  der  Bazillus  nach  Schattenfroh 
und  Graßberger  sämtlich  bis  auf  Zellulose^),  außerdem 
Glyzerin,  wahrscheinlich  aber  nicht  Mannit  und  auch  nicht  milchsaure 
Salze.  Milchzucker  (Milch)  setzt  der  Gärung  und  dem  Wachstum 
manchmal  Widerstand  entgegen,  wird  andererseits  im  gegebenen  Fall 
fast  ausschließlich  zu  Buttersäure,  Wasserstoff  und 
Kohlensäure  vergoren,  während  aus  den  übrigen  Kohlehydraten 
mehr  oder  weniger  reichlich,  ja  manchmal  überwiegend  daneben  Rechts- 
oder inaktive  Milchsäure  entsteht.  Spuren  von  anderen  Säuren, 
z.  B.  Ameisensäure,  Propionsäure*)  treten  daneben  auf. 
Butylalkohol  wurde  nur  in  einem  Versuch  gefunden,  sonst 
ebensowenig  wie  Äthylalkohol.  Eiweiß  in  irgendeiner  Form 
ist  nötig  zum  Wachstum,  wird  aber  nicht  merkbar  vergoren  und  reicht 
auch  nicht  zur  Züchtung  aus.  Sporenbildung  erfolgt  unter  dem  be- 
kannten Bilde  des  Clostridiums,  vielfach  gleichzeitig  mit  Granu- 
löse bildung.  Bredemanns  Angaben  gehen  über  die  von  Graß- 
berger und  Schattenfroh  noch  hinaus,  insofern  er  alle 
genannten  Kohlenstoff  quellen,  einschließlich 
des   Pektins,    aber   ausschließlich   der   Zellulose 


1 )  Nach  A  c  h  a  1  m  e  auch  der  Bac.   des  Gelenkrheumatismus,  der 
Bac.  enteritidis  sporogenes  K 1  e  i  n  s. 

2)  Pektin  wird  nicht  genannt.    Diastase  (Amylase)  wird  dabei  regel- 
mäßig gebildet,  nicht  Saccharase  und  Lakta.se. 

3)  Namentlich  bei  Rauschbrandbazillen  (s.  u.)  gefunden. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  355 

für  vergärbar  hält.    Allerdings  gibt  er  nicht  überall  ausführ- 
lich genug  den  Beweis  dafür,  ja,  vermißt  die  Gärung  sogar  ausdrück- 
lich beim  Pektin.  Darauf  legt  er  aber  keinen  Wert,  weil  auch  das  sicher 
Pektin  vergarende   Clost.   pectinovorum   (Beijerinck  und  van 
D  e  I  d  e  n  ,  §  75)  unter  seinen  Händen  diese  Eigenschaft  verlor.   Nach 
Bredemann  ist  freilich  das  Gärungsvermögen  des  Bac. 
amjlobacter   gegenüber   den   einzelnen   Körpern 
ein  sehr  veränderliches.    Meist  soll  es  aber  doch  bei  sehr 
reichlicher  Einsaat  in  die  betreffenden  Nährböden,  besonders  wenn 
man  die  Wachstums-  und  Impfbedingungen  auch  noch  in  anderer 
Weise  verändert,  gelingen,  die  ursprünglich  vorhandenen  Widerstände 
zu  überwinden  und  Gärung  zu  erhalten.  Wenn,  wie  gesagt,  die  Beweise 
Bredemanns  für  diese  seine  Auffassung  vielfach  zu  wünschen 
übriglassen,   so  ist  es  ihm  gelungen,  einwandfrei  zu  zeigen,  daß  alle 
seine  von  ihm  selbst  aus  Erde  und  von  anderen  Forschem  aus  den 
verschiedensten   Quellen  gezüchteten  beweglichen  Buttersäure- 
bazillen,  wenn  sie  nur  richtig  behandelt  werden  (§  203),  die 
Fähigkeit   besitzen,   den   Stickstoff  der  Luft  zu 
binden.    Auch  was  die  Erzeugnisse  der  Gärung  und  die  morpholo- 
gischen Verhältnisse  anlangt,  geht  Bredemann  über  die  Angaben 
von  Schattenfroh  imd  Graßberger  hinaus.   Er  ist  geneigt, 
die  beweglichen  denaturierbaren  und  die  unbeweglichen  denaturierten 
Buttersäurebazillen  dieser  Forscher  (s.  u.)  auch  nur  als  unbeständige 
Varietäten  des  Bac.  amylobacter  zu  betrachten,  beschreibt  außerdem 
sogar  eine  aerob  und  sporenfrei  wachsende  „kokkoide"  Abart  des- 
selben als  sehr  häufig  und  spricht  selbst  den  Gärprodukten  der  typischen 
Formen  eine  erheblich  schwankende  Zusammensetzung  zu.    Auf  nicht 
flüchtige  Säuren  wurde   leider   nicht   untersucht,    aber   die   Aus- 
beute an  flüchtigen  Säuren  und  Alkoholen,  sowie 
deren  Natur  wechselt   selbst  bei  ein  und  demselben 
Stamm  und  unter  gleichen  Bedingungen  sehr  be- 
deutend und  kann  stärker  schwanken  als  die  bei 
verschiedenen   Stämmen.     Gefunden   wurden   von   Säuren 
(ans  dem   Bariumgehalt   der   Bariumsalze   erschlossen)   in   Trauben- 
zuckemährböden   Buttersäure,   Propionsäure,   Essig- 
säure und  Ameisensäure  in  allen  möglichen  Mischungen  und 
Mengen.    Bei  der  Alk  oho  lausbeute  spielt  neben  der  Variabilität  der 
Bakterien  die  Beschaffenheit  der  KohlenstoHquelle  anscheinend  eine 
große[^Rolle.    Nur  aus  Weizen-  und  Kartoffelmaische  werden  genügend 
große^Mengen  für  die  Analyse  (fraktionierte  Destillation  und  Siede- 
punktsbestinmiimgen)  gewonnen.  Über  die  Zusammensetzung  s.  §  115. 
Alles  in  allem  genonmien  beweisen  die  Bredemann  sehen  Unter- 

23* 


356  Kap.  VI,   §  113. 

suchungen  wieder  einmal  schlagend  die  große  Variabilität  der  Butter- 
säurebazillen und  die  nahe  Verwandtschaft  aller  Gruppenmitglieder. 
Zweifelhaft  bleibt  aber  doch  noch,  ob  die  Zusammenfassung  in  eine 
einzige  Art  gerechtfertigt  und  nicht  mindestens  aus  praktischen  Grün- 
den die  Trennung  in  besonders  benannte  Abarten  nützlich  ist. 
Auch  die  Erfahrungen  von  Graßberger  und  Schattenfroh, 
denen  wir  weiter  folgen,  sprechen  doch  sehr  dafür. 

Zunächst  wird  nämlich  eine  zweite  beständige  Art  unserer  Butter- 
säurebakterien von  Graßberger  und  Schattenfroh  als 
anaerober  Fäulnisbazillus  oder  (besser)  fäulniser- 
regender Buttersäurebazillus  bezeichnet  und  mit  dem 
Bac.  putrificus  Bienstocks  (S.  353)  auf  Grund  seiner  keuligen 
Sporen,  seiner  Beweglichkeit,  seiner  Kolonien  und  des  energischen 
Zersetzungsvermögens  für  Eiweiß  identifiziert^),  obwohl  er  selbst  auf 
eiweißfreien  Nährböden  von  löslichen  Kohlehydraten  wenigstens 
Glykose  in  (inaktive)  Milchsäure,  Buttersäure,  Essig- 
säure und  Äthylalkohol  vergärt.  Die  Fäulnisein  Wirkung 
auf  das  Eiweiß  zeigt  sich  besonders  deutlich  in  Milch,  in  der  das  Kasein 
feinflockig  gefällt  und  nach  kurzer  Zeit  peptonisiert  wird*),  während 
die  erste  Art  das  Kasein  in  dicke  Klumpen  ausscheidet,  die  durch  die 
stürmische  Gärung  in  die  Höhe  getrieben  werden. 

Eine  dritte  Art,  der  Bazillus  des  malignen  Odems,  stehe 
dem  Putrificus  durch  seine  Fähigkeit,  die  Eiweißstoffe  anzugreifen, 
sowie  aus  Zucker  (Glykose  und  Saccharose)  Äthylalkohol  neben 
Milchsäure  und  Buttersäure  zu  bilden,  nahe,  dem  beweg- 
lichen Buttersäurebazillus  durch  die  Neigung  zur  Clostridienform  und 
Granulosebildung,  sowie  die  wenigstens  manchmal  energische  butter- 
saure Gärung  in  Milch^).  Der  Odembazillus  imterscheidet  sich  ab- 
gesehen davon  von  den  beiden  ersten  Arten  durch  seine  etwas  geringere 
Formenbeständigkeit  oder,  wie  Graßberger  und  Schatten- 
froh es  ausdrücken,  durch  seine  „Denaturierbarkeit".  Ab  und  zu, 
besonders  in  Kohlehydraten,  wandeln  sich  nämlich  die  Bazillen  uni 
in  unbewegliche  und  sporenfreie  Ketten  plumper  Stäbchen. 


1)  Arch.  f.  Hyg.  60.  Vgl.  auch  Achalmea.  a.  O.  Bienstock 
bezeichnet  diese  Art,  die  er,  wie  andere  im  Gegensatz  zu  dem  Bac.  putrificus 
auch  im  Kot  gefunden  hat,  als  Bac.  paraputrificus. 

2)  Angaben  über  Vergärung  des  Milchzuckers  fehlen. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  48.  93.  Gewöhnlich  fehlt  sie  auch  nach  den  Proto- 
kollen Schattenfrohs,  wie  nach  den  Angaben  der  übrigen  Forscher 
(s.  o.  S.  352  u.  353),  außer  Kerry  und  F  r  ä  n  k  e  1 ,  die  auch  Stärke- 
kloister  (olmo  vorhergehende  Verzuckerung!)  vergären,  ja  selbst  milcli- 
sauren  Kalk  etwas  zerfallen  sahen  und  außer  den  übrigen  Stoffen  noch 
Essigsäure  und  Ameisensäure  fanden. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  357 

Viel  mehr  ausgesprochen  ist  diese  Eigenschaft  dagegen  bei  den 
«laher  auch  als  denaturierbare  oder  dimorphe^)  Butter- 
säurebazillen bezeichneten  Bakterien,  die  teils  als  harmlose 
Saprophyten  weitverbreitet,  teik  als  Erzeuger  des  Rausch-  und 
Gasbrandes  bekannt  sind.  Zu  den  völlig  denaturierten  Zu- 
ständen gehören  die  von  Graßberger  und  Schattenfroh 
in  ihrer  ersten  Arbeit  als  unbewegliche  Buttersäure- 
bazillen beschriebenen  Bakterien,  welche  die  von  Botkin  (S.  351) 
zuerst  beschriebene  Buttersäuregänmg  fast  in  jeder,  eine  halbe  Stunde 
bei  100^  sterilisierten  Marktmilch  verursachen.  Sie  sind  durch  ihre 
plumpeForm,NeigungzurKettenbildung, Mangel 
der  Beweglichkeit,  Granulöse-  und  Sporenbil- 
dung und  s  c  h  a  r  f  u  m  s  c  h  r  i  e  b  e  n  e  perlmutterähnlich  glänzende 
Kolonien  ausgezeichnet.  Die  Erzeugnisse  ihrer  Gärung  ähneln 
denen  der  beweglichen  Buttersäurebazillen  (S.  354),  namentlich  in  Milch 
selbst,  wo  von  ihnen  verhältnismäßig  am  meisten  Buttersäure,  Wasser- 
stoff und  Kohlensäure  gebildet  wird,  während  in  den  übrigen  Zuckerarten 
die  Milchsäuregärung  hier  erheblich  die  Butter- 
säuregärung zu  überwiegen  pflegt.  Alkohole  wurden 
auch  hier  nicht  gefunden.  Unter  Umständen  gelingt  es,  diese  Form 
in  die  bewegliche  sporenbildende  Abart,  aus  der  sie  nach  Graß- 
berger und  Schattenfroh  durch  Denaturierung  hervorgegangen 
sein  soll,  zurückzuführen.  Umfassender  sind  aber  die  entsprechenden 
Erfahrungen  bei  den  pathogenen  Bakterien  des  Gasbrandes, 
(der  Schaumorgane)  und  namentlich  des  Rauschbrandes.  Die 
ereteren  sind  zuerst  von  Welch,  E.  Fränkel  u.  a.  beschrieben 
worden  als  imbewegliche,  sporenfreie  Bazillen,  Graßberger  und 
Schattenfroh  2)  erkannten  ihre  Übereinstimmung  mit  den  un- 
beweglichen Buttersäurebazillen  in  morphologischer,  kultureller  und 
biochemischer  Beziehung.  Selbst  die  Tierpathogenität  findet  sich 
gelegentlich  bei  den  Buttersäurebazillen,  wie  sie  umgekehrt  bei  den 
Uasbrandbazillen  manchmal  fehlt.  Die  letzteren  wurden  dann  von 
Graßberger  und  Schattenfroh,  sowie  von  Passini*) 
durch  Züchtung  z.  B.  auf  Eiern,  unter  Symbiose  mit  B.  coli,  in 
schlanke,  endständige  Sporen  bildende  Bazillen  oder  andererseits  auf 
Kohlehydratnährböden  in  Clostridiumformen  umgewandelt.    Dabei 


1 )  Bac.  dimorphobutyricus  Lehmann  und  N  e  u  in  a  n  n.  Eine 
andere  Art  Dimorphismus  glaubte  schon  Beijerinck  bei  seinem  Ciranu- 
lobacter  butylicum  beobachtet  zu  haben  (s.  u.  §  115).  Die  kokkoiden 
Formen  Bredemanns   (S.  355)  sind  wieder  andere  Erscheinungen. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  48.  58  u.  95;  60.  50. 

3)  Wien.  klin.  Woch.   1906.  21. 


358  Kap.  VI,   §  113  u.  114. 

ändert  sich  auch  das  Zerse  tzungs  ver  mög  e  n  ,  in- 
dem die  endständige  Sporen  bildenden  Bakte- 
rien jetzt  mehr  dem  oben  b  es  chri  ebenen  Typus 
der  fäulnis  erregenden  Buttersäurebazillen  ent- 
sprechen. 

Unter  natürlichen  Bedingungen,  z.  B.  in  Erde  oder  auch  im  er- 
krankten Menschen,  begegnet  man  ebenfalls  öfter  den  beweglichen 
und  sporenbildenden,  also  noch  nicht  denaturierten  Abarten  des  Gas- 
brandbazillus und  zwar  entsprechen  sie  durch  Sporenform  und  Chemis- 
mus teils  den  „fäulniserregenden",  teils  den  „beweglichen"  Buttersäure- 
bazillen. —  Am  stärksten  entwickelt  scheint  die  Wandlungsfähigkeit 
beim  Rauschbrandbazillus  zu  sein^).  Man  bekonmit  hier 
mehr  oder  weniger  rein,  aber  nie  als  beständige  Zustände,  bald  als 
Erzeugnisse  der  künstlichen  Züchtimg,  bald  als  natürliche  Vorkomm- 
nisse, einerseits  die  beschriebenen  beiden  beweglichen  und  sporen- 
bildenden, andererseits  die  unbeweglichen  denaturierten  Formen  und 
die  dazu  passenden  chemischen  Leistungen  zu  Gesicht.  Beim  Rausch- 
brand wurden  auch  mehrfach  clostridiumbildende  Rassen  beobachtet, 
die  Milchsäure  in  Butter-,  Propionsäure  und  Gase 
vergoren^).  Diese  Fähigkeit  macht  sich  zunächst  dadurch  bemerkbar, 
daß  der  Zuckervergärung  eine  Nachgärung  folgt,  in  der  die  vorher 
gebildete  Milchsäure  gespalten  wird,  dann  aber  auch  darin,  daß  der 
zur  zuckerhaltigen  und  selbst  zuckerfreien  Peptonbouillon  zugesetzte 
milchsaure  Kalk  vollständig  und  ziemlich  stürmisch  zersetzt  wird. 
Das  erinnert  an  ähnliche  Befunde  Beijerincks  bei  der  Butter- 
säuregärung (s.  o.)  Ausnahmsweise  wurde  vom  Rauschbrandbazillus 
statt  der  Milchsäure  und  neben  der  Buttersäure  auch  Bernstein- 
säure gebildet.  Die  Möglichkeit  der  Überführung  des  Rauschbrand- 
bazillus zur  Aerobiose  wurde  schon  früher  erwähnt. 

Die  hier  vorgetragenen  Auff assimgen  von  Graßberger  und  S  c  h  a  t  - 
tenf  roh  haben,  wie  schon  bemerkt,  nicht  überall  Zustimmung  gefunden. 
So  weicht  namentlich  v.  H  i  b  1  e  r  ®)  gerade  in  einem  der  wichtigsten 
Punkte,  der  die  Denaturierbarkeit  der  Anaeroben  betrifft,  erheblich 


1)  Arch.  Hyg.   48;  53  u.  60. 

2)  Per  d  rix,  Grimbert,  Botkin,  Klecki,  Beije- 
rinck,  Winogradsky,  Tissier  und  Gasching  spreclien 
ihren  Buttersäurebakterien  die  Fähigkeit,  Laktate  zu  vergären,  ab,  nur 
Kerry  tuid  F  r  ä  n  k  o  1  fanden  sie  sehwach  entwickelt  bei  den  Ödeui- 
bazillen.  Man  nahm  deswegen  allgemein  besondere  Erreger  für  die  Butter- 
säiu'egärung  aus  railchsauren  Salzen  an.  Bredemann  widerspricht 
dem  (s.  o.   S.   364  und   §  142). 

3)  a.  a.  O.   S.  227  ff. 


Wandlungen  der  Kolüenhydrate.  359 

von  ihr  ab,  indem  er  den  Übergang  des  Bauschbrandes  in  unbeweg- 
liche Formen  bestimmt  leugnet  und  die  Befunde  der  Wiener  Forscher 
durch  Verunreinigungen  ihrer  Kulturen  mit  Gas- 
biandbazillen,  die  aus  den  zum  besseren  Wachstum  beigegebenen 
Fleischstückchen  stammen  sollen,  erklärt.  Leider  hat  v.  H  i  b  1  e  r 
sein  großes  Material  nicht  nach  der  chemischen  Seite  hin  genügend 
verarbeitet.  Die  Bestimmungen  von  Graßberger  und  S c h a t  - 
t  e  n  f  r  o  h  lassen  darüber  aber,  wenn  wir  auch  die  Frage  nach  den 
Ursachen  der  Variabilität  noch  als  unentschieden  betrachten  müssen, 
keinen  Zweifel,  daß  man  vom  chemischen  Standpunkte  mindestens 
drei  Abarten  der  Buttersäuregärung,  die  man  zu 
den  beweglichen,  unbeweglichen  und  fäulniserregenden  Buttersäure- 
bazillen in  Beziehung  setzen  darf,  zu  unterscheiden  hat. 

In  dem  von  Graßberger  imd  Schattenfroh  von  der 
Buttersäuregärung  entworfenen  Bilde  findet  vorläufig  keinen  rechten 
Platz  die  Butylalkoholgärung.  Femer  weichen  der  Bac.  amylozyma 
P  e  r  d  r  i  X  '  und  das  Clostridium  pastorianum  Winogradskys 
von  dem  chemischen  Verhalten  der  gewöhnlichen  Buttersäurebazillen 
dadurch  ab,  daß  sie  Mil<3hsäure  überhaupt  nicht  oder 
nur  in  Spuren,  dagegen  hauptsächlich  Essigsäure  neben  der  Butter- 
säure bilden.  Aus  der  Arbeit  Bredemanns  erhellt,  daß  die  Grenzen 
zwischen  den  verschiedenen  Formen  nicht  in  dieser  Schärfe  bestehen, 
ja,  die  Unterschiede  vielleicht  nur  zufälliger  Art  sind.  Wir  werden 
aber  im  folgenden  auf  manche  der  älteren  Beobachtungen  zurück- 
kommen, weil  sie  in  chemischer  Beziehung  besonders  gründlich  ge- 
wesen sind,  imd  sich  die  Tragweite  der  Bredemann sehen  Fest- 
stellungen noch  nicht  vollständig  übersehen  läßt. 

Der  Bac.  botulinus  wurde  von  Graßberger  und  S  c  h  a  t  - 
t e n f r o h  nicht  studiert.  Nach  van  Ermenghem^)  wird 
Traubenzucker  von  ihm  imter  Bildung  von  Buttersäure,  Wasserstoff 
und  Sumpfgas^)  zersetzt,  Milchzucker  und  Rohrzucker  nicht  ange- 
griffen. 

§114.  Chemismus  der  Buttersäuregärung  3).  Nach  der  syste- 
matischen Darstellung  der  Buttersäuregärung  und  ihrer  Erreger  bleibt 


1)  Kolle-Wassermann,  Handb.  2.  67.  Nach  v.  Hibler 
(a.  a.  0.  S.  103)  soll  Milchzucker  doch  angegriffen  und  Milch  daher  trotz 
der  Peptonisiening  ziemlich  regelmäßig  gesäuert  werden. 

2)  Stammt  vielleicht  aus  dem  Eiweiß  (Essigsäure),  de«  unter  Peptoni- 
siening, aber  ohne  Fäulnisgeruch  angegriffen  wird.  Sonst  fehlt  Sumpfgas 
bei  der  Buttersäuregärung. 

3)  Literatur  §  113. 


360  Kap.  VI,   §  114. 

es  noch  übrig,  diese  Gärung  nach  ihrer  chemischen  Bedeutung  hin  zu 
würdigen. 

Eine  reine  Buttersäuregärung,  etwa  an  die  Seite  zu  stellen  der 
reinen  Milchsäuregärung,  ist  bisher  —  selbst  wenn  man  nur  die  nicht 
gasförmigen  Erzeugnisse  berücksichtigt,  nur  ausnahmsweise  beobachtet 
worden.  So  haben  ja  Graßberger  und  Schattenfroh  in 
manchen  Fällen  (S.  354)  neben  der  Buttersäure  weder  andere  flüchtige 
Säuren,  noch  nicht  flüchtige  und  auch  keine  Alkohole  auffinden  können. 
Weil  dabei  aber  die  Gase  nicht  quantitativ  bestimmt  worden  sind,  bleibt 
es  zweifelhaft,  ob  in  diesem  Falle  der  Zucker  einfach  in  Buttersäure 
und  die  dazu  gehörigen  Gase  nach  der  bekannten  Formel  (s.  u.)  ge- 
spalten worden  ist.  Im  allgemeinen  entstehen  aber  (vgl.  B  r  e  d  e  - 
mann)  neben  Buttersäure  noch  mindestens  Milchsäure,  häufig 
auch  Essigsäure  und  Alkohol,  um  von  der  Propion- 
säure, die  aus  dem  Zerfall  der  Milchsäure  hervorzugehen  scheint, 
und  Spuren  von  Ameisensäure,  die  gerade  bei  den  reinsten 
Gärimgen  gefunden  werden,  gar  nicht  zu  reden.  Es  handelt  sich  also 
um  Mischgärungen  verwickelter  Art.  Klarheit  da  hineinzubringen, 
so  daß  man  die  Prozesse  in  Formeln  kleiden  kann,  ist  bisher  nur  in 
wenigen  Fällen  gelungen,  wird  auch  dadurch  noch  erschwert,  daß  viele 
Buttersäurebakterien  außer  den  Kohlehydraten  auch  die  Eiweißstoffe 
sehr  kräftig  spalten. 

Das  Verständnis  der  Gärungen  wird  aber  erleichtert,  wenn  wir, 
wie  es  schon  im  §  98  ff.  geschehen  ist,  nach  dem  Vorgange  von  D  u  - 
c  1  a  u  X  die  Bildung  der  einzelnen  Produkte  auf  möglichst  einfache 
Gleichungen  zurückführen,  mit  anderen  Worten,  die  Gesamtgärung 
in  Teilgärungen  auflösen.  Das  erscheint  zunächst  willkürlich,  der  Erfolg 
gibt  uns  aber  in  vielen  Fällen  recht.  Vor  allem  spricht  die  oft  gemachte 
Erfahrung,  daß  die  Mischung  der  Gärprodukte,  je  nach 
dem  Stadium,  in  dem  man  sie  untersucht,  eine 
wechselnde  ist,  für  die  Unabhängigkeit  der  ein- 
zelnen chemischen  Reaktionen. 

Wir  sprechen  zunächst  von  der  Gärung  ohne  Butylalkohol.  Ein 
vortreffliches  Beispiel  bietet  uns  die  Arbeit  von  P  e  r  d  r  i  x  (S.  351) 
über  den  Bac.  amylozyma.  Bei  der  Vergärimg  des  Rohrzuckers  durch 
diesen  Bazillus  in  einer  kreidehaltigen  Nährlösung  erhielt  er  nach 
5  Tagen  Buttersäure,  Essigsäure,  Wasserstoff  und  Kohlensäure  in  Ver- 
hältnissen, die  der  folgenden  Gleichung  (a)  recht  genau  entsprachen: 

a)    39C12H22O11  +  59H2O  =  344H+  I52CO2+  26C2H4O2+  eeCAOg. 

Die  Abweichungen  der  berechneten  von  den  gefundenen  Werten  waren 
sehr  gering,  wie  die  Taf.  A  zeigt: 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


361 


Tafel  A. 


Nach  5  Tagen 


berechnet 


gefunden 


Nach  11  Tagen 


berechnet 


gefunden 


Verschwundener  Zucker  i 

Wasserstoff '    0,0304  g 

Kohlensaure      .     .     .     .  ,    0,591    g 


g 


Essigsaure 
Buttersäure 


0,138    g 
0,514    g 


1,18 
0,031  g 
0,610  g 
0,139  g 
0,526  g 


0,0575  g 
1,22  g 
0,U2  g 
1,172    g 


2,44  g 
0,059  g 
1,24  g 
0,142  g 
1,180  g 


Eine  unter  gleichen  Bedingungen  11  Tage  lang  durchgeführte  Gärung 
ergab  die  Gleichung  (b): 

b)   3OC12H12OU  +  34H2O  =  240H+  II6CO2  +  IOC2H4O2  +  56C4H8O2. 

Zieht  man  die  bei  den  beiden  Analysen  erhaltenen  Zahlen  (Spalte  2 
und  4)  voneinander  ab,  so  sieht  man,  daß  die  Essigsäure  fast  ver- 
schwindet und  sich  für  die  übrigen  Stoffe,  wie  die  Taf.  B  zeigt,  an- 
nähernd die  Formel  c  ergibt: 

c)   Ci^H^gOn  +  H2O  =  2C4H8O2  +  4CO2  +  4H2. 

Tafel  B. 


Berechnet       Gefunden 


Verschwundener  Zucker 

Wasserstoff 

Kohlensäure     .     .     .     . 

Essigsäure 

Buttersäure 


0,0295  g 
0,65      g 

0,65      g 


1,26  g 
0,0285  g 
0,631  g 
0,003  g 
0,654    g 


Die  Formel  c  wird  gewöhnlich  geschrieben: 

1)    CeHi^Oe  =  C^H^O^  +  2  CO^  +  2  H^. 

Das  ist  die  einfachste  Gleichung,  nach  der  man  sich  die  Entstehung 
der  Buttersäure  aus  Zucker  vorstellen  kann.  Man  kann  also  sagen, 
daß  zwischendem  5.  und  11.  Tagedie  Gärungin  der 
Weise  erfolgt,  daß  nur  Buttersäure  und  die  ent- 
sprechenden Mengen  Kohlensäure  und  Wasser- 
stoff (beide  Gase  zu  gleichen  Teilen)  gebildet 
werden.  Für  diesen  Zeitraum  kann  man  also  von  einer  reinen 
Bttttersäuregärung  sprechen.  Nimmt  man  an,  daß  auch  in 
den  ersten   5  Tagen  die  Buttersäure  nach  Gleichung  c  entstehe,   so 


362 


Kap.  VI,   §  114. 


vnirde  sich  für  die  übrigen  Produkte,  indem  man  c  33  mal  nimmt 
und  von  a  abzieht,  ergeben: 

d)    6C12H22O11  +  26H2O  =  80H  +  2OCO2  +  26C2H4O2 

oder  etwas  anders  geschrieben: 

e)    eCgHigO^  +  IOH2O  =  I3C2H4O2  +  lOCOg  +  20  Hg. 

Ist  nim  värklich  der  Prozeß  so  verwickelt,  wie  es  hiernach  erscheint? 
Ist  es  nicht  möglich,  die  Bildung  der  Essigsäure  auf  die  einfache  Spaltimg 

2)   C^HijO^  =  3  C2H4O2 , 

die  wir  schon  früher  (§  98  u.  103)  kennen  gelernt  haben,  zurückzu- 
führen und  die  Entstehung  der  Gase  nach  der  Formel 

3)    CeHigOe  +  6H2O  =  6CO2  +  I2H2, 

die  wir  ebenfalls  schon  als  Gleichung  der  „Wasserstoffgärung''  kennen 
( §  98  u.  105)  zu  erklären  ?  Die  theoretische  Möglichkeit  leuchtet  ohne 
weiteres  ein :  wenn  wir  Gleichung  e  3  mal  nehmen 

.    f)    18CeHi2Oe+30H2O  =  39C2H4Oa+30CO2+60H2, 
ferner  die  Gleichung  2  mit  13  multiplizieren 

g)    13CeH,20e=39C2H402 
und  g  von  f  abziehen,  so  erhalten  wir 

h)   5  C^HiaOe  +  30  Rfi  =  30  COg  +  60  Hg , 

das  ist  nichts  anders  als  die  Gleichung  3  fünfmal  genommen.  Es  fragt 
sich  nur,  ob  die  Essigsäure,  und  die  Wasserstoffbildimg  wirklich  u  n  - 
abhängig  voneinander  verlaufen.  Auch  das  läßt  sich  aus 
den  Analysen  von  P  e  r  d  r  i  x  erweisen. 

Nach   ihm  gelten  für  die  Zeit  vom  3.  bis  11.  Tage  der  Gärung  die 
folgenden  Zahlen  (Taf.  C). 

Tafel  C. 


Volumen  der  aus  der 
Zuckervergärung  ent- 
wickelten   Gase 

I 
Wasserstoff  i  Kohlensäure 


175  ccm 
275 
350 
670 


»♦ 


♦» 


95  ccm 
220 
310 
630 


»» 


»» 


3.  Tag 

4.  Tag 

5.  Tag 
11.  Tag 

Zunächst   folgt  aus  vorstehender  Tabelle,  daß  das  Mengenverhältnis  der 
bei    der   Gärung  entwickelten   beiden   Gase   H,  :  CO 2  von  ungefalir  2  :  1 


Verhältnis 

Verhältnis 
der 

Kohlensäure 
die  aus  der 

der  Gär- 
volumina 

Äquivalente 
der  Butter- 

Zerlegung d. 
kohlen- 

H, :  CO, 

säure:  der 
Kssigsäure 

sauren  Kalks 
stammt 

65  :  35 

26  :  74 

10  ccm 

55  :  45 

60  :  40 

75    „ 

53  :  47 

72  :  28 

90    ., 

52  :  48 

85  :  15 

180    „ 

Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


363 


allmählich  abnimmt  auf  1  :  1  und  sich  der  Gleichheit  nähert.  Leider  gibt 
P  e  r  d  r  i  X  die  Menge  der  Buttersäure  und  Essigsäure  nur  für  den  5.  und 
11.  Tag  in  absoluten  Zahlen  (s.  o.  Taf.  Ä  und  B);  doch  finden  wir  in  der 
Spalte  4  der  Tabelle  C  das  Verhältnis  beider  Säuren  für  jeden  Tag  und  in 
Spalte  5  die  gesamte  Kohlensäuremenge,  die  durch  die  Säuren  aus  der 
der  Nährlösung  zugesetzten  Kreide  entbunden  wurde.  Daraus  haben  wir 
die  Kohlensäuremenge,  die  durch  jede  einzelne  Säure  freigemacht  wurde, 
in  Spalte  1  und  2  der  Tafel  D  berechnet. 

Tafel  D. 


3.  Tag 

4.  Tag 

5.  Tag 
11.  Tag 


Volumen  der  aus  der  Kreide 
von  der 

Buttersäure  Essigsäure 

entwickelten  Kohlensäure 


2,6  ccm 
45 
64,8 
153 


»» 


»» 


»* 


7,4  ccm 
30 
25,2 
27 


9* 
»» 


Man  sieht,  daß  die  Buttersäure  am  3.  Tage  noch  in  sehr  geringer  Menge 
gebildet  war  und  von  da  an  erst  schnell  luid  stetig  bis  zum  Schlüsse  der 
(räning  am  11.  Tage  zunahm,  während  die  Essigsäure  am  3.  Tage  die  Butter- 
säure  an  Menge  ziemlich  erheblich  übertrekf,  am  4.  Tage  ihr  Maximum 
erreichte  und  sich  dann  auf  dieser  mäßigen  Höhe  hielt,  so  daß  sie  schließ- 
lich nur  einen  kleinen  Bruchteil  der  gesamten  Säuremenge  ausmachte. 
Da  wir  wissen,  daß  vom  5.  bis  11.  Tage  nur  Buttersäure  gebildet  wurde, 
so  entspricht  die  Buttersäuremenge,  die  153 — 64,8  =  88,2  ccm  CO,  aus 
dem  Kalk  der  Nälirlösung  entwickelte  (Taf.  D)  670—350  =  320  ccm  Wasser- 
stoff und  630 — 310  =  320  ccm  Kohlensäure,  die  gleichzeitig  bei  der  Ver- 
gärung des  Zuckers  entstanden  (Taf.  C);  oder  1  ccm  der  Kohlensäure  aus 

320 


dein  Kalk   entspricht 


88,2 


=  3,6  ccm  Gärungs  Wasserstoff  und  ebensoviel 


Gämngskohlensäure.  Durch  Multiplizieren  der  Zahlen  aus  Spalte  1  der 
Tafel  D  mit  3,6  erhalten  wir  also  die  Ge^mengen,  die  auf  Rechnung  der 
Buttersäurebildung  nach  Formel  1  fällt,  und  zwar  sind  sie  gleich  groß 
für  Kohlensäure  und  Wasserstoff.  Wir  geben  sie  in  der  1.  Spalte  der 
Tabelle  E.    Durch  Subtraktion  dieser  Ziffern 

Tafel  E. 


3.  Tag 

4.  Tag 
6.  Tag 

11.  Tag 


Menge  der  bei  der 

Buttersäure- 

bildimg  erzeugten 

Gase 

(H,  oder  CO^) 


Menge  der  bei  der 

Essigsäurebildung 

erzeugten  Gase 


H, 


CO, 


9  ccm 
162 
232 
551 


f » 


166 

86 

113 

58 

118 

78 

119 

79 

364  Kap.  VI.   §  114. 

von  denjenigen,  die  in  Taf.  C  (Spalte  1  und  2)  für  die  gesamten  bei 
der  Gärung  entwickelten  Gasmengen  angegeben  sind,  bekommen  wir  die 
Gasmengen,  die  neben  der  Essigsäure  gebildet  worden  sind  (Spalte  2  und  3 
der  Taf.  E). 

Wenn  man  aus  diesen  letzten  Zahlen  irgendeinen  Schluä  ziehen 
solF),  so  kann  es  nur  der  sein,  daß  schon  am  3.  Tage  die  Gase  fertig 
gebildet  waren,  während  Taf.  D  uns  lehrt,  daß  höchstens  ein  Drittel 
der  überhaupt  erzeugten  Essigsäure  an  diesem  Tage  vorhanden  war. 
Mit  anderen  Worten:  die  Wasserstoffgärung  ist  unab- 
hängig von  der  Essigsäuregärung.  Wir  haben  also 
bei  der  Gärung  des  Bacillus  amylozyma  auf  Grund 
der  Analysen  von  Perdrix  drei  Teilgärungen,  die 
zeitlich  verschieden  verlaufen,  feststellen  kön- 
nen. Zuerst  er  folgt  die  Wasser  s  t  off  gärun  g  *)  nach 
Formel  3.  Während  diese  sich  ihrem  Ende  nähert, 
setzt  die  Essigsäuregärung  nach  2  ein,  sie  dauert  auch 
nur  kurze  Zeit.  Den  Schluß  machtdie  Buttersäure- 
gärung  nach  1,  die  das  Feld  dauernd  behauptet. 
Man  könnte  sich  vorstellen,  daß  drei  verschiedene  Enzyme  bei  dieser 
Gärung  nacheinander  in  Tätigkeit  treten.  Der  Nachweis  fehlt  aber 
bis  jetzt,  ist  auch  bei  den  Buttersäurebakterien  gar  nicht  versucht 
worden. 

Für  diese  experimentell  begründete  Deutung  ergibt  sich  eine  Schwierig- 
keit, die  auf  dem  Gebiet  der  Thermochemie  liegt.  Allerdinga  geht 
der  Prozeß  der  Buttersäurebildung  unter  Entwicklung  von  Wärme  vor 
sich.    Es  gilt  nämlich 

1)    673,7  =  522,7  +  136,8  +  U,2  Kai. 


1)  Die  Übereinstimmung  der  Zahlen  läßt  freilich  zu  wünschen  übrig, 
besonders  groß  ist  der  Abfall  der  Gasmenge  vom  3.  zum  4.  Tage.  Dabei 
ist  aber  gerade  an  diesem  Tage  das  Verhältnis  des  Wasserstoffs  zur  Kohlen- 
säure daa  durch  die  Theorie  geforderte,  während  es  am  6.  oder  11.  Tage 
erheblich  davon  abweicht.  Die  Ursache  für  die  erste  Unregelmäßigkeit 
kann  wohl  kaum  allein  in  Fehlern  der  Analyse  gelegen  sein,  eher  in  dem 
ungleichen  Fortschreiten  der  Gärimg,  in  den  einzelnen  Kulturgefäßen, 
die  zur  Gärung  benutzt  wiu'den.  Maßgebend  ist  aber  für  unser  Urteil, 
daß  am  3.  Tage  die  Menge  der  Essigsäure  zu  der  des  gleichzeitig  gebildeten 
Gases  in  einem  ganz  anderen  Verhältnis  steht,  als  am  4.  Tage.    Der  Unter- 

7,4  30  .     , 

schied  zwischen  —  -  und  -  -   ist  so  groß,   daß  er  nicht  zufällig  sem  kann. 

2)  Ob  dabei  als  Zwischenerzeugnis  Ameisensäure  gebildet  wird,  wie 
es  von  Frankland  und  H  a  r  d  e  n  für  gemischte  Milchsäuregäningeu 
angenommen  wird  (§  108),  ist  zweifelhaft.  Jedenfalls  müßte  die  Ameisen- 
säure diu*ch  den  Bac.  amylozjrma  schnell  wieder  in  Kohlensäure  und  Wasser- 
stoff zerlegt  werden. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  365 

Ebenso  ist  die  Spaltung  des  Zuckers  in  3  Moleküle  Essigsäure  ein  exothermer 
Vorgang: 

2)  673,7  =  639,9  +  33,8  Kai. 

Aber  die  Wasserstoffgärung  läßt  eine  beträchtliche  Menge  von  Wärme 
verschwinden : 

3)  673,7  =  820,8  —  147,1  Kai. 

Wodurch  wird  dieser  Energieaufwand  bestritten  ?  Die  Wärme,  die  bei  der 
Rssigsäurebildung  frei  wird,  reicht  dazu  selbst  am  5.  Tage  noch  nicht  aus. 
Denn  aus  Gleichung  e  folgt: 

e)    4042,2  =  2772,9  +  1368  —  98,7  Kai. 

Erst  das  Hinzutreten  der  eigentlichen  Buttersäuregärung  macht  den  Prozeß 
am  5.  Tage  zu  einem  exothermen.    Ncujh   Gleichmig  a  gilt  nämlich: 
a)  52755,3  =  11764,8  +  5545,8  +  34498,2  +  946,5  Kai. 

Da  nun  aber  cun  3.  Tage  die  Menge  der  Buttersäure  verschwindend  klein 
und  die  der  Elssigsäure  dreimal  geringer  ist  als  am  5.  Tage,  während  die 
Wasserstoffgärung  schon  abgelaufen  ist,  so  ergibt  sich  ein  bedeutendes 
Wännedefizit.  Aus  sonstigen  Zerfallsprozessen  im  Zuckermolekül  kann 
der  Verlust  nicht  beglichen  werden,  da  die  zersetzte  Zuckermenge  nach 
P  e  r  d  r  i  X  sich  deckt  mit  der  Summe  der  Gärprodukte  (vgl.  Taf .  A). 
Kaum  ist  daran  zu  denken,  daß  die  Verwandlung  des  Rohrzuckers  in 
Traubenzucker  durch  ein  hydrolytisches  Enzym  die  nötige  Wärme  lieferte. 
Ebensowenig  berichtet  P  e  r  d  r  i  x  von  einer  besonders  energischen  Zer- 
setzung der  Eiweißsubstanzen  des  Nährbodens.  Die  Gelatine  wird  von 
dem  Bazillus  nicht  einmal  verflüssigt.  Es  bleibt  also  eine  Lücke  in  unserer 
Beweisführung,  die  um  so  bedauerlicher  ist,  als  die  Gärung  des  Bac.  amy- 
lozj-ma  die  einzige  Buttersäuregärung  ist,  die  gründlich,  d.  h.  mit  Berück- 
j^ichtigung  aller  Gärprodukte,  untersucht  worden  ist. 

Unser  Interesse  an  dieser  Gärung  steigt  noch  dadurch,  daß  P  e  r  - 
d  r  i  X  das  Verhalten  seines  Bazillus  auch  gegenüber  anderen  Kohlen- 
hydraten, wenn  auch  nicht  in  derselben  umfassenden  Weise,  geprüft 
liat.  Von  den  Zuckerarten  wurden  Glykose  und  Laktose  anscheinend 
in  ähnlicher  Weise  zerlegt  wie  Saccharose,  ganz  anders  dagegen  die 
Stärke.  Er  bildet  zunächst  ein  hydrolytisches  Enzym,  das  die  Stärke 
spaltet  in  einen  durch  Hefe  vergärbaren,  glykoseähnlichen  Zucker 
und  etwas  Dextrin,  bei  der  Gärung  aber  viel  Äthylalkohol, 
Buttersäure,  Kohlensäure  und  Wasserstoff, 
weniger  Essigsäure  und  Amylalkohol.  Wir  finden 
also  hier  außer  den  Stoffen,  die  auch  bei  der  Vergärung  der  Zucker- 
arten entstehen,  noch  in  beträchtlicher  Menge  zwei  Alkohole.  Liegt 
«las  daran,  daß  die  letzteren  direkt  aus  der  Stärke  hervorgehen,  oder 
an  der  verschiedenen  Natur  des  Zuckers,  der  aus  diesem  entsteht? 
P  e  r  d  r  i  X  bleibt  uns  die  Antwort  darauf  schuldig.  Er  macht  aber 
<lie  Bemerkung,  daß  der  Amylalkohol^),  der  bekanntlich  bei  der  alkoho- 

1)  Pringsheim,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  15.  307  hält  den  Nachweis 
dt*«  Amylalkohols  durch  P  e  r  d  r  i  x  gar  nicht  für  erbracht  (s.  u.  Butyl- 
alkoholgärung  §  116). 


366  Kap.  VI,   §  114  u.   115. 

tischen  Vergärung  des  Stärkezuckers  entsteht,  wahrscheinlich  fremden 
Mikroorganismen,  von  der  Art  des  Bac.  amylozyma,  seinen  Ursprung 
verdanke,  denn  die  Hefe  sei  nicht  imstande,  aus  dem  Zucker  der  Ear- 
toffelkulturen  dieses  Bazillus  einen  anderen  Alkohol  als  den  gewöhn- 
lichen zweiatomigen  zu  erzeugen.  Wie  wir  gesehen  haben,  ist  neuer- 
dings die  Entstehung  des  Amylalkohols  bei  der  Hefegärung  in  anderer 
Weise  (aus  dem  Leuzin)  erklärt  worden  (S.  261). 

Die  Bildung  des  Aethylalkohols  wird  wohl  in  der  gewöhnlichen  Weise 
zu  deuten  sein,  nur  daß  hier  ein  besonderes,  von  der  Zymase  etwas 
verschiedenes  Enzym  in  Frage  käme  (s.  u.). 

Wie  es  scheint,  werden  Essigsäure  und  Gase  allein  neben  Butter- 
säure nicht  allzu  oft  gebildet,  so  z.  B.  außer  von  den  P  e  r  d  r  i  x  sehen 
Bazillen  von  dem  Clostridium  Pastorianum,  dem  bekannten  stickstoff- 
fixierenden Bakterium  Winogradskys^)  (§  203).  Bei  ihm  sollen 
sich  wenigstens  (aus  Glykose)  Milchsäure  und  Äthyl-,  Propyl-  oder 
Butylalkohol  nur  in  kleinen  Mengen  und  nicht  stets  nachweisen  lassen. 
Stärke  imd  Milchzucker  werden  von  ihm  übrigens  nicht  angegriffen. 
Bredemanns  zahlreiche  Analysen  sprechen  auch  für  das  verhältnis- 
mäßig seltene  Vorkommen  der  Essigsäure  (a.  a.  0.  Tab.  II — ^IV  auf 
S.  527  ff.).  Immerhin  bestinamte  er  einige  Male  den  Bariumgehalt 
seiner  Fettsäuresalze  auf  51 — 53,7%,  was  der  Essigsäure  entsprechen 
würde.  Meist  wurde  bei  der  Buttersäuregärung  die 
Essigsäure  überhaupt  nicht  oder  in  geringer 
Menge,  statt  ihrer  aber  Milchsäure  und  Äthyl- 
alkohol gebildet.  Schon  die  älteren  Forscher  erwähnen  die 
Bildung  beider  Stoffe,  so  K  e  r  r  y  und  F  r  ä  n  k  e  1  beim  Odembazillus; 
N  e  n  c  k  i  fand  beim  Bauschbrandba^illus  Milchsäure  neben  Essig- 
säure, B  o  t  k  i  n  bei  seinem  Bac.  butyricus  Milchsäure  neben  Butyl- 
alkohol (s.  u.).  Aber  erst  Graßberger  und  Schattenfroh 
haben  den  wichtigen  Anteil,  den  die  Milchsäure  an  der  Buttersäure- 
gärung hat,  betont.  Wir  verweisen  in  dieser  Beziehung  auf  das  früher 
Gesagte.  Die  Bildung  der  Milchsäure  stellen  wir  uns  nun  in  der  Weise 
vor,  daß  sie  durch  ein  besonderes  Enzym  oder  Teilenzym  erfolgt  nach 
der  bekannten  Gleichung  der  Milchsäuregärung  (§  98  u.  99) 

4)   CgHi,0,=  2C3H,03. 

Bei  denunbeweglichen  (denaturierten)  Butter- 
säur e  b  akteri  e  n  und  ihren  verwandten  Abarten, 
den  Gasbrand-  und  ßauschbrandbazillen,  würde 
das    Milchsäureferment    gegenüber    dem    eigent- 

1)  Pringsheim,  Zentr.  Bakt.   2.  Abt.  9,   1902. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  367 

liehen  Bu  tt  e  r  säure  fe  rm  e  nt  überwiegen,  bei  den 
beweglichen  sporenbildenden  hinter  ihm  mehr 
zurücktreten  ;  fürdie  Spaltungdes  Milchzuckers 
käme  es  weniger  in  Betracht,  als  für  die  übrigen 
Zuckerarten. 

Ebenso  haben  Graßberger  und  Schattenfroh  die 
Alkoholbildung  für  die  Odembazillen  und  ihre  „fäulniserregenden 
Butteisäurebazillen"'  bestätigt.  Sie  könnte  gleichfalls  durch  ein  von 
dem  Buttersäureferment  unabhängiges  zymaseähnUches  Enzym  er- 
folgen und  den  Zucker  nach  der  bekannten  Gleichung  (§  98  u.  104) 

5)    CeHi A  =  2C2HeO  +  2CO2 

zersetzen.  Wie  man  sieht,  würde  die  Zusammensetzung  der  bei  diesen 
Arten  der  Buttersäuregärung  entstehenden  Gase  durch  die  Bildung 
von  Kohlensäure  neben  Alkohol  beeinflußt  werden.  Im  übrigen  kommen 
aber  dafür  die  früher  besprochenen  Vorgänge  der  reinen  Buttersäure- 
und  der  Wasserstoffgärung  in  Frage.  Daß  die  letztere  in  der  Tat  auch 
hier  mitwirkt,  ist  nicht  zu  bezweifeln,  denn  Graßberger  imd 
Schattenfroh  haben  meist  ein  erhebliches  Übergewicht 
des  Wasserstoffs  über  die  Kohlensäure  gefunden. 
Gleichzeitige  Mengenbestimmimgen  der  gasförmigen  und  nicht  gas- 
förmigen Gärungserzeugnisse  sind  von  ihnen  nicht  gemacht  worden, 
80  daß  wir  genaue  Gärungsgleichungen  nicht  aufstellen  imd  die  Be- 
rechnung der  Wärmeverhältnisse  nicht  ausführen  können. 

Bredemann  gibt  keine  Zahlen  für  Milchsäure  an,  bestätigt 
aber  ihr  Vorkonmien  bei  seinen  beweglichen  Buttersäurebazillen.  Von 
Alkoholen  fand  er  dabei  nur  höher  siedende  (s.  u.). 

§  115.  Buttersäure-  und  Butylalkoholgärung^).  Nach  der 
Literatur  sind  weniger  als  die  bisher  besprochenen  verbreitet  solche 
Bakterien,  die  regelmäßig  außer  Buttersäure  usw.  noch 
Butylalkohol  bilden.  Dahin  gehören  der  Bac.  orthobutylicus 
Grimberts,  das  Granulobacter  saccharobutyricum  B  e  i  j  e  - 
rincks,  das  Amylobacter  butylicimi  Duclauxs  u.  a.  m.  Der  sog. 
Bac.  butylicus  von  Fitz  erzeugt  dagegen  aus  Rohrzucker  nur  Spuren 
von  Butylalkohol  und  nach  Emmerling^)  aus  Glykose  über- 
haupt keinen  Butyl-,  sondern  nur  Äthylalkohol^).  Er  verdient  also 
seinen  Namen,  soweit  die  Zuckerarten  in  Betracht  kommen,  nicht, 
sondern  wäre  hier  besser  als  Buttersäurebazillus  zu  bezeichnen.    Doch 


1)  Literatur  s.  o.   §  113. 

2)  Ber.  ehem.  Ges.   1897.  451. 

3)  Weitere  Angaben  über  dessen  Vorkommen  im  vorigen  Paragraplien. 


368  Kap.  VI.   §  116. 

ändert  er  seinen  Charakter,  wenn  ihm  höhere  Alkohole  (Mannit,  Gly- 
zerin) geboten  werden  (vgl.  §  131). 

Weitere  Angaben  über  Butylalkoholbindung  sind  gemacht  worden 
von  N  e  n  0  k  i  für  die  Vergärung  des  Milchzuckers  durch  das  Zu- 
sammenwirken des  Odembazillus  mit  einem  echten  Milchsäurebakterium 
(Micr.  acidi  paralactici)  und  von  B  o  t  k  i  n  für  seinen  Bac.  butjnricus. 
Nimmt  man  mit  Graßberger  und  Schattenfroh  (s.  o.  S.  352) 
an,  daß  B  o  t  k  i  n  keine  Reinkultur  in  Händen  gehabt  hat,  so  hätten 
wir  vielleicht  in  beiden  Fällen  die  merkwürdige  Tatsache  zu  verzeichnen, 
daß  zwei  Bakterienarten  in  Symbiose  miteinander  neue  Stoffe  erzeugt 
hätten,  zu  deren  Bildung  sie  allein  nicht  imstande  gewesen  wären  (S.  170). 

Reine  Butylalkoholgärung  veranlaßt  nach  Beijerincks  ersten 
Mitteilungen  das  Granulobacter  butylicum.  Schließlich  hatten  Graß- 
berger und  Schattenfroh,  Winogradsky,  Pringsheim, 
Bredemann   wechselnde   Befunde    bei    ihren   Buttersäurebakterien. 

Am  besten  studiert  ist  der  Bac.  orthobutylicus^),  den  wir  deshalb 
etwas  näher  besprechen  wollen.  Leider  hat  Grimbert  die  Gas- 
produktion seines  Bazillus  nicht  gleichzeitig  mit  den  übrigen  Stoffen 
untersucht.  Nur  eine  Gasanalyse  liegt  vor,  sie  ergibt  andere  Verhält- 
nisse, als  P  e  r  d  r  i  X  beim  Amylozyma  gefimden.  In  Glykosebouillon 
ohne  Kreidezusatz  wurden  bis  zum  4.  Tage  Wasserstoff  und 
Kohlensäure  ungefähr  zu  gleichen  Teilen  mit  geringem  Überschuß  der 
ersteren  entwickelt,  dann  sank  aber  das  Verhältnis  Hg  :  COj  bis 
zum  13.  Tage  auf  y^  und  bis  zum  22.  fast  auf  y^.  Die  genauen  Zahlen 
waren  folgende: 

Tafel  A, 


Gasentwicklung  '  H,  CO,         I     H, :  CO 


bis  zum  4.  Tage 11,7  ccm    !    10,0  ccm 


vom  4.— 13.  Tage ,    11,2 

vom  12.— 32.  Tage 1,9 


32,8    „ 
6,9    „ 


im  ganzen >   24,8  ccm       49,7  ccm 


1,16 
0,34 
0,28 


0,50  ccm 


Wenn  man  zu  der  schon  bekannten  Formel  für  die  Butteisäure  ( S.  36 1 ) 
1)    CeHijO,  =  C,HA  +  2C0,  +  2H,  (+  14  Kai.) 
eine  neue  möglichst  einfache  für  den  Butylalkohol 

6)   C,H,20j  =  C4H10O  +  2  COj  +  H2O  (+  37  Kai.) 
hinzufügt,  so  erhält  man 

a)  2C,Hi30,  =  C^HgO,  +  C^HioO  +  400«  +  2H,  +  Bfi. 

1)  Vgl.  auch  I)  u  c  1  a  u  X  ,  Microbiol.   4.   61. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


369 


Hier  stehen  Wasserstoff  und  Kohlensäure  in  dem  Verhältnis  1  :  2, 
wie  es  dem  Endresultat  in  der  obigen  Tafel  A  entspricht.  Das  Auftreten 
von  Essigsäure  ändert  nichts  an  dem  Verhältnis  der  Gase,  denn  es 
erfolgt,  wie  wir  wissen  (S.  362)  ohne  Entwicklung  von  Gasen  durch 
Spaltung   des  Zuckermoleküls   nach   Formel  2)  CgHijOg  =  3  C2H4O2. 

Die  Gärung  verläuft  aber  nicht  inmier  so  einfach,  wie  es  obige 
Gleichungen  andeuten,  denn  in  einem  ähnlichen  Versuch  mit  Glykose- 
lösmig  undKreide,in  dem  leider  nur  die  nicht  gasförmigen  Stoffe 
bestimmt  wurden,  ergab  sich  (Taf.  B),  daß  Buttersäure  und  Essigsäure 
am  2.  Tage  schon  in  der  Menge  gebildet  waren,  die  sie  überhaupt  er- 
reichten, von  diesem  Tage  an  aber  die  Buttersäure  beständig  abnahm 
und  der  Butjlalkohol,  der  vorher  schon  stark  überwog,  noch  etwas 
zunahm. 

Tafel  B. 


Butylalkohol    i  Buttersäure 


nach   2  Tagen 
nach  4 
nach  20 


>> 


yy 


254Voo 
308yoo 
3I6V00 


74Voo 
4OV00 

2OV00 


Essigsäure 


39yoo 
4OV00 
4OV00 


in  Voo  des 


verschw. 
Zuckers 


Aaders  fiel  ein  zweiter  Versuch  mit  Glykoselösung  aus,  in  dem 
die  gebildete  Säure  durch  Kreide  neutralisiert  wurde.  Auch  hier  war 
am  2.  Tage  schon 

Tafel  C. 


Butylalkohol 


nach   2  Tagen 
nach   4      „ 
nach  20      „ 


148Voo 
135Voo 
155Voo 


Buttersäure 


331  Voo 
345V„o 

322  Voo 


Essigsäure 


91  Voo 
78Voo 
^^  Voo 


die  Gärung  wesentlich  abgeschlossen;  die  Buttersäure  herrschte  dieses 
Mal  aber  bei  weitem  vor  und  blieb  ebenso  wie  der  Butylalkohol  erhalten, 
während  die  Essigsäure  abnahm.  Offenbar  wird  die  Gärung 
durch  die  Reaktion  stark  beeinflußt  und  die 
?>äuren  unterliegen  nachträglichen  Veränderun- 
gen. Da  es  sich  um  Wirkung  des  freien  Sauerstoffs  bei  dieser  streng 
anaeroben  Gärung  nicht  handeln  kann,  so  werden  wir  intramolekulare 
Umsetzungen  annehmen  müssen,  die  wohl  imter  Einwirkung  der 
Elemente  des  Wassers  verlaufen,  wie  wir  sie  schon  bei  der  Wasser- 
stof^änmg  (3  auf  S.  362)  kennen  gelernt  haben,  nur  daß  hier  das 

Kruse«  Mikrobiologie.  24 


370  Kap.  VI,   §  116. 

Butter-  und  Essigsäuremolekül  angegriffen  wird,  etwa  in  der  Art  der 
Formeln : 

la)    C4H8O2  +  6H2O  =  4CO2  +  löHr 

2a)    C2H4O2  +  2  H^O  =  2  CO2  +  4  H^. 

Beide  Gärungen  sind  allerdings  bisher  noch  nicht  allein  für  sich  nach- 
gewiesen worden  (vgl.  §  145  u.  141),  vielleicht  nur  aus  dem  Grunde, 
weil  sie  wegen  ihrer  endothermen  Natur  allein  nicht  vorkommen  können. 

Es  ist  leicht  zu  sehen,  daß  mit  den  Formeln  1  bis  6  nicht  aUe 
Möglichkeiten  erschöpft  sind;  so  kann  die  Bildung  der  Buttersaure 
und  Essigsäure  aus  dem  Zuckermolekül  auch  unter  Beteiligung  des 
Wassers  erfolgen,  etwa  in  der  Weise 

2b)    CeHi^Oe  +  2  H^O  =  2  C^H ^  +  2  CO«  +  4  H^. 

Im  Grunde  wäre  das  aber  nichts  anderes,  als  eine  Verbindung  der 
Essigsäuregleichung  mit  der  Wasserstoffgleichung. 

Welche  von  diesen  Möglichkeiten  in  Wirklichkeit  bei  der  Gärung  des 
Bac.  orthobutylicus  in  Betracht  kommt,  ist  mit  Sicherheit  nicht  an- 
zugeben, da  zu  wenig  Gasanalysen  vorliegen. 

Nicht  allein  die  Reaktion  der  Nährlösung  hat  einen  Einfluß  auf 
den  Verlauf  der  Gärung,  sondern,  wie  Grimbert  nachgewiesen, 
auch  die  Veränderlichkeit  des  Bazillus  selbst.  Wird 
zur  Einsaat  eine  ältere  Kultur  benutzt,  so  ist  das  Verhältnis  der  Gär- 
produkte ein  anderes,  als  bei  Impfung  mit  einer  jüngeren.  Ein  Bazillus, 
der  längere  Zeit  in  Inulinlösungen  gezüchtet  ist,  erzeugt  darauf  wenig 
oder  keinen  Butylalkohol,  von  da  auf  Glykose  übertragen  aber  mehr 
als^  gewöhnlich;  umgekehrt  ist  er,  längere  Zeit  auf  Glykose  gezüchtet, 
imstande,  auch   in  Inulinlösungen  viel  Butylalkohol  zu  bilden. 

Wie  man  sieht,  verhält  sich  auch  das  Gärmaterial  verschieden, 
Grimbert  hat  das  für  die  echten  Kohlehydrate  näher  festgestellt. 
Vergärbar  sind  von  den  Hexosen  außer  Glykose  Galaktose,  schwieriger 
Fruktose.  Die  Disaccharide  werden  vergoren,  aber  in  ungleichem 
Verhältnis,  am  schwierigsten  die  Laktose.  Dabei  findet  an- 
scheinend vorher  keine  hydrolytische  Spaltung 
zu  Hexosen  statt.  Auch  aus  den  zerriebenen  Bak- 
terienzellen läßt  sich  keine  Invertase  gewinnen. 
Die  Arabinose,  eine  Pentose,  gibt  bei  der  Gärung  nur  Butter-  und  Essig- 
säure, keinen  Butylalkohol.  Von  dem  veränderlichen  Verhalten  des 
Inulins"' wurde  schon  gesprochen,  es  vergärt,  ohne  vorher 
in  einen  reduzierenden  Zucker  gespalten  zu  sein. 
Diastatische  Leistungen  scheint  der  Bazillus  dagegen  zu  besitzen, 
denn  Dextrin  und  Stärke  werden  vor  der  Vergänmg  verzuckert,  doch 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  371 

werden  auch  hier  wieder  die  Gärprodukte  in  sehr  wechsehider  Mischung 
erzeugt,  je  nachdem  man  Eartoffehi,  reine  Stärke  oder  Dextrin  be- 
nutzt. Auch  Glyzerin  und  Mannit  werden  in  ähnlicher  Weise  vergoren. 
Können  wir  bei  dem  Bac.  orthobutylicus  eine  große  Mannigfaltig- 
keit der  Gärungserscheinimgen  beobachten,  so  soll  die  durch  dasGranu- 
lobacter  butylicum  hervorgerufene  Gärung  eine  einfachere  sein.   Nach 
Beijerinck  wäre  das  Hauptprodukt  der  Gärung^)  von  gewissen 
Mehlsorten    (nackter    Sommergerste)    Butylalkohol.     Daneben    würde 
noch  etwas  Propylalkohol,  viel  Wasserstoff  und  Kohlensäure, 
kein  Sumpfgas  gebildet.    Diese  Angaben  Beijerincks  sind  aber 
bisher  von  keiner  Seite  bestätigt  worden.    Beijerinck  selbst  hat 
in  einer  späteren  Mitteilung  bemerkt,  sein  Bazillus  erzeuge  mehr  Propyl- 
alkohol als  Butylalkohol.    Bredemann,  der  mit  einer  Beije- 
rinck sehen  Kultur  arbeitete,  fand  erhebliche  Mengen  von  Alkoholen 
überhaupt  nur  auf  Weizenkleie,  und  zwar  weit  weniger  Butyl-  als  nied- 
riger  siedenden    Alkohol    (darunter    Isopropylalkohol),    daneben 
aber  hier  wie  in  Glykose  erhebliche  Mengen  flüch- 
tigerSäuren.   Auch  die  sonstigen  Angaben  über  die  Butylalkohol- 
bildung  deuten  auf  große  Schwankungen  in  seiner  Bildung.   W  i  n  o  - 
gradskys  Clostridium  Pastorianum  erzeugt  (aus  Glykose)  entweder 
überhaupt  nur  Spuren  von  Alkohol  oder  bald  Äthyl-,  bald  Butyl-. 
bald  Isobutylalkohol.    Das  Pringsheim sehe  Clostridixmi  ameri- 
canum  bildete    in  den  Händen    seines    ersten   Untersuchers    1   Teil 
Isopropyl-  auf  4  Teile  Normalbutylalkohol,  in  Bredemanns  Ver- 
suchen dagegen  verhältnismäßig  viel  Isobutylalkohol.    Daß  G  r  a  ß  - 
b e r g e r  und  Schattenfroh  bei  ihren  beweglichen  Buttersäure- 
bazillen nur  ausnahmsweise  Butylalkohol  gewinnen  konnten,  wurde 
schon  früher  erwähnt  (S.  354).    Wahrscheinlich  liegt  das  zum  großen 
Teil  an  dem  gewählten  Nährboden,  denn  auch  Bredemann  sah, 
wie  wir  bemerkten  (S.  355)  Alkoholbildung  bei  den  zahlreichen  von 
ihm  geprüften  Stänmien  des  Bac.  amylobacter  auch  nicht  in  wesent- 
lichem Umfange  in  Glykoselösungen  oder  Milch  eintreten,  sondern  nur 
in  Aufgüssen  von  Weizenmehl  bzw.  Weizenkleie  oder  Kartoffelbrei. 
Die  gewonnenen  Mengen  schwankten  dabei  auch  noch  sehr,  ohne  daß 
sich  dafür  eine  Ursache  auffinden  ließ.    Ob  es  Zufall  ist,  daß  von  den 
einzeben  Stänmien  gerade  das  Granulobacter  butylicum  am  meisten 
Alkohol  bildete  (25  ccm  aus  1000  g),  mag  dahingestellt  bleiben.  Ebenso 


1)  Man  erhält  sie  am  besten,  wenn  man  in  50 — 100  ccm  luftfreies 
k'X'hendes  Wasser  in  einem  engen  Bechergltis  nach  und  nach  so  viel  grob 
ffemahlenes  nicht  gesiebtes  frisches  Mehl  einführt,  bis  das  Ganze  dick- 
h^iig  wird;  die  letzte  Mehlportion  darf  dabei  nur  wenige  Sekunden  100** 
aiLsgesetzt  werden.    Dann  sofort  Übertragung  in  eine  Temperatur  von  36**. 

24* 


372  Kap.  VI,   §  116  u.  116. 

ließ  sich  für  die  Zusammensetzung  der  Alkohole  keine  andere  Regel  auf- 
stellen, als  daß  der  Äthylalkohol  kaum  einen  Anteil  daran  hatte.  Zu  be- 
dauern ist,  daß  Bredemann  seine  positiven  Resultate  nicht  in 
reinen  Kohlehydratnährböden  erzielt  hat,  weil  durch  die  Bei- 
mischung von  Aminosäuren  im  Weizenmehl  und  in  den 
Kartoffeln  nach  F.  Ehrlich  eine  andere  Quelle  für  die  Alkohol- 
bildung gegeben  ist  (§  90  u.  173).  Man  kann  also  vorläufig  noch  nicht 
entscheiden,  ob  Pringsheim  Recht  hat,  wenn  er  betont,  daß  bei 
der  Buttersäuregärung  vorwiegend  normaler,  bei  der  Hefegärung  (§  90) 
Isobutylalkohol  und  umgekehrt  bei  der  letzten  normaler,  bei  der  ersteren 
Isopropylalkohol  entstünde.  Nur  das  ist  nach  den  Befunden  N  a  w  i  a  s  - 
k  y  s  bei  der  Zersetzung  des  Leuzins  durch  Proteusbazillen  sicher  (§  169), 
daß  die  weitere  Annahme  Pringsheims,  Amylalkohol 
werde  von  Bakterien  höchstens  in  Spuren,  von  der  Hefe  aber  gerade 
in  größerer  Menge  als  die  übrigen  Bestandteile  des  Fuselöls  (aus  Amino- 
säuren) erzeugt,  nicht  begründet  ist.  Wenn  die  Angaben  P  e  r  d  r  i  x ' 
richtig  sind  (S.  365),  würde  der  Satz  nicht  einmal  gelten,  wenn  man 
ihn  auf  die  Buttersäurebakterien  beschränkte. 

Nach  alledem  würde  man  weitere  Untersuchungen  über  die  Butyl- 
alkoholgärung  gerne  sehen.  Genaue  Angaben  über  die  erzeugten  Mengen 
und  über  das  Verhalten  der  einzelnen  Kohlenhydrate  bei  der  Gärung 
fehlen  bei  B  e  i  j  e  r  i  n  c  k.   Auffällig  ist  die  Bemerkung,  daß  das  Ver- 
hältnis von  COg  :  Hg  im  Laufe  der  Gärung  sehr  bedeutend  schwankt; 
es  beträgt  zuerst,  wo  der  Butylalkohol  noch  fehlt,  1 :  4,  später,  während 
der  Hauptgährung,  d.  h.  zur  Zeit  des  schnellsten  Bakterienwachßtums 
und   der  reichlichsten  Butylalkoholbildung,    1  :  1   xmd   steigt  zuletzt 
auf  5:1.    Offenbar  erschöpft  die  Formel  6  (s.  o.  S.  368)  nicht  die 
Gärungserscheinungen.    Daneben  müssen  wir  mindestens  am  Anfang 
noch  eine  Wasserstoffgärung  nach  Formel  3  voraussetzen. 
Der  Überschuß  des  Wasserstoffs  wird  aber  auch  dadurch  noch  nicht 
erklärt.    Es  müßten  also  nebenher  noch  aus  dem  Zucker  kohlenstoff- 
und  sauerstoffreiche  und  wasserstoffarme  Körper  entstehen,  wie  z.  B. 
Bernsteinsäure  (vgl.  §  107)  oder  Ameisensäure  (§  108),  bei  deren  Bil- 
dung Kohlensäure  verschwindet.   Beijerinck  bestreitet  allerdings, 
daß  aus  Maltose  von  dem  echten  Butylbazillus  außer  Kohlensäure 
Säuren  überhaupt  gebildet  würden,  nur  die  schwächlichen  Abarten 
desselben  erzeugten  aus  Glyzerin  etwas  Buttersäure  und  stellten  somit 
einen  Übergang  zu  dem  Granulobacter  saccharobutyricum  dar  (s.  u.). 
Wie  die  meisten  Buttersäurebakterien  bildet  das  Granulobacter 
butylicum  auch  nach  Beijerinck  diastatische  Enzyme,  mit  denen 
es  Stärke  verzuckert,  und  erzeugt  in  seinem  eigenen  Leibe  gleichzeitig 
wieder  Stärke  aus  Zucker  unter  Clostridiumbildung.    Am  Ende  der 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  373 

Gämng  verschwindet  aber  auch  diese  wieder  aus  den  Bakterien,  letz- 
tere scheinen  sich  dabei,  teilweise  aufzulösen.  Zellulose  wird  nicht 
aDgegriffen. 

Eigentümliche  Angaben  macht  Beijerinck  noch  über  das 
Sauerstoffbedürfnis  und  die  Variabilität  seines  Bakteriums.  Im  An- 
fange der  Gärung,  so  lange  Sauerstoff  vorhanden  ist  und  der  Butyl- 
alkohol  noch  fehlt,  sind  die  Stäbchen  schlank,  sehr  beweglich  und  teil- 
weise zu  Ketten  verbunden,  granulosefrei,  während  der  Hauptgärung, 
bei  der  die  letzten  Spuren  des  Sauerstoffs  verbraucht  sind,  werden  sie 
plumper,  weniger  beweglich,  nehmen  Clostridienform  an,  bilden  reich- 
lich Granulöse  imd  Sporen.  Auch  die  daraus  hervorgehenden  Kolonien 
sind  verschieden  und  erzeugen  im  Gärmaterial  nicht  die  gleichen  Stoffe, 
so  daß  es  sich  um  Abänderungen  handelt,  die  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
vererbüch  sind. 

Auch  sonst  ist  der  Butylalkohol  nach  Beijerinck  kein  seltenes 
Gärprodukt.  In  wechselnder,  aber  kleiner  Menge  wird  er  z.  B.  von  dem 
Granulobacter  saccharobutyricum,  das  nach  dem  Verfasser  der  Haupt- 
erreger der  Buttersäuregärung  sein  soll  und  wahrscheinlich  identisch 
ist  mit  den  beweglichen  Buttersäurebazillen  von  Schattenfroh 
und  G  r  a  ß  b  e  r  g  e  r  (s.  o.  S.  353),  aus  Glykose  und  Maltose  erzeugt. 
Auch  das  Granulobacter  Polymyxa,  ein  fakultativ  anaerobes  Clostri- 
dium, bildet  nach  Beijerinck  aus  Malzwürze  etwas  Butylalkohol 
und  viel  Kohlensäure,  dagegen  keinen  Wasserstoff  und  keine  Butter- 
säure. 

§  116.  Bedeutung  der  Bnttersäuregärung.  So  wichtig  die 
Milchsäuregärung  für  die  Gewerbe  ist,  so  wenig  Bedeutung  besitzt  die 
Buttersäuregärung.  Im  allgemeinen  kommen  die  Buttersäurebakterien 
nur  als  Schädlinge  in  Betracht,  so  z.  B.  in  dem  Brennereigewerbe^). 
Offenbar  ist  die  Buttersäure  ein  starkes  Gift  für  die  Hefe.  Man  be- 
kämpft die  falsche  Gärung  zweckmäßig  durch  Milchsäure,  sei  es,  daß 
man  sie  als  solche  zusetzt,  sei  es,  daß  man  sie  durch  (lange)  Milch- 
säurebakterien erzeugen  läßt  (§  96  u.  111).  Zunächst  erscheint  es 
merkwürdig,  daß  die  Buttersäurebazillen  die  Milchsäure,  die  sie  doch 
selber  ebenfalls  produzieren,  nicht  vertragen.  Das  liegt  aber  daran, 
daß  sie  selber  nur  schwachen  Säuregraden  angepaßt  sind:  1 — ^2yQQ 
bildet  gewöhnlich  schon  die  Grenze,  die  ihnen  ein  Ziel  setzt.  Die  echten 
Milchsäurebakterien  vertragen  bekanntlich  viel  mehr  (§  101). 

Die  Buttersäure  wird  nur  wenig  zu  gewerblichen  Zwecken  benutzt 
—  z.  B.  zur  Darstellung  von  Fruchtäthem.   Man  gewinnt  sie  aus  der 


1)  Nur  ausnahmsweise  freilich  durch  Bildung  von  höherem  Alkohol 
(Butylalkohol,  nicht  Amylalkohol,   Pringsheim  s.   o.    S.    372.). 


374  Kap.  VI,   §  116  u.  117. 

früher  beschriebenen  durch  die  beweglichen  Butteisänrebazillen  verur- 
sachten  Gärung  (S.  354). 

§  117.  VergäriiBg  der  Zellulose  und  des  Gummis.  Sumpf - 
gasgärung.  Während  wir  gesehen  haben,  daß  alle  anderen  natürlich 
vorkommenden  Kohlenhydrate  den  in  den  vorhergehenden  Abschnitten 
beschriebenen  Zersetzimgen  verfallen  können,  haben  wir,  außer  Schim- 
melpilzen, die  durch  ihr  hydrolytisches  Enzym  wirken  (§  76),  bisher 
noch  keinen  Mikroorganismus  kennen  gelernt,  der  auch  die  25ellulose 
angriffe.  Doch  gibt  es  solche.  Schon  Mitscherlich^)  hatte  1850 
die  Beobachtung  gemacht,  daß  in  Wasser  faulende  Kartoffelscheiben 
allmählich  sich  auflösten  und  hatte  die  Ursache  dafür  sogar  „Vibrionen", 
zugeschrieben,  P  o  p  o  f  f  ^)  imd  Hoppe-Seyler^)  studierten 
dann  die  sich  dabei  abspielenden  chemischen  Vorgänge  genauer  und 
identifizierten  sie  mit  der  schon  länger  bekannten  „Sumpfgasgärung", 
die  im  Schlamme  von  Flüssen  imd  Teichen  und  im  Darme  von  Tieren 
vorkommt.  Sie  verfuhren  dabei  in  der  Art,  daß  sie  zellulosehaltige 
Pflanzenteile  oder  auch  schwedisches  Filtrierpapier,  d,  h.  reine  Zellu- 
lose, mit  etwas  Schlamm  imter  Luftabschluß  gären  ließen  und  die 
dabei  erhaltenen  Gase  untersuchten.  Während  P  o  p  o  f  f  Kohlensäure, 
Sumpfgas  und  Wasserstoff  in  wechselnden  Verhältnissen  fand,  fehlt 
nach  Hoppe-Seyler  der  Wasserstoff  ganz,  und  das  Sumpfgas 
überwiegt  zunächst  gegenüber  der  Kohlensäure  sehr  erheblich,  bis  sieh 
schließlich  das  Gleichgewicht  zwischen  beiden  Gasen  herstellt.  Da 
andere  Produkte  nicht  festgestellt  werden  konnten,  würde  die  Gärung 
dem  Zerfall  des  Kohlenhydrats  in  gleiche  Teile  Kohlensäure  und  Sumpf- 
gas nach  der  Formel 

1)   CeHigOe  =  3  CO^  +  3  CH4  (-f  33  Kai.) 

entsprechen.  Vorausgesetzt  ist  dabei,  daß  die  Zellulose  vorher  hydroly- 
siert  wird: 

(CeHioOß)  X  +  xHgO  =  xCJä^fi^  (+  3  Kai.  ?) 

Das  Gasverhältnis  änderte  sich  in  dem  Falle,  daß  reduzierbare  Stoffe, 
wie  Sulfate,  Eisen-  oder  Manganoxyd  in  der  Gärflüssigkeit  vorhanden 
waren;  dann  bildete  sich  durch  Einwirkung  des  Sumpfgases  Schwefel- 
wasserstoff 

Ca  SO4  +  CH4  =  Ca  CO3  +  H2S  +  HgO. 

Für  die  Zellulosevergärung  im  Darme  der  Pflanzenfresser  fand 
Tappeiner*)   in   seinen   gründlichen   Untersuchungen  'sehr  ver- 

1)  Monatsh.  Akad.  Wissensch.  Berlin  104,   1850. 

2)  Pflügera  Archiv  10,   1875. 

3)  ZeitBchr.  physiol.  Chem.   10,   1886. 

4)  Zeitschr.  f.  Biol.  20,  1884  und  24,   1887. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  375 

wickelte  Verhältnisse,  auf  die  ^r  bei  Besprechung  der  Darmgärung 
zurückkommen  werden  (Infektionslehre).  Seine  Versuche  führten  ihn 
dazu,  zwei  Arten  von  Zellulosegärung  anzunehmen:  die  Sump^as- 
und  die  Wasserstoffgärung.  Die  erstere,  die  er  bei  der  nachträglichen 
Gärung  von  unfiltriertem  Pansen-  oder  Dickdarminhalt  des  Rindes  vor 
sich  gesehen  hatte,  konnte  er  künstUch  nachahmen,  wenn  er  neutrali- 
sierte einprozentige  Fleischextraktlösung  mit  Zellulose  (Papier,  Watte) 
unter  Sauerstoffabschluß  zusammen  untersuchte  und  mit  Pansen- 
inhalt impfte.  Die  daraus  bei  37®  entwickelten  Gase  waren  in  den 
ersten  Tagen  spärlich  und  bestanden  aus  wechsehiden  Mengen  von 
Kohlensäure,  Wasserstoff  und  Sumpfgas.  Kontrollversuche  mit  Fleisch- 
extraktlösungen ohne  Zellulose  zeigten,  daß  es  sich  hier  um  eine  reine 
Gärung  des  Extraktes  handelte  (a.  a.  0.  24.  109).  Erst  vom  5.  oder 
6.  Tage  an  zeigte  sich  in  den  Kulturen  mit  Zellulose  eine  reichlichere 
Ent¥ricklung  von  Gasen,  die  wesentlich  aus  Kohlensäure  imd  Sumpf- 
gas (33 — 50%)  bestanden  und  höchstens  Spuren  von  Wasserstoff  ent- 
hielten. In  den  einzehien  Versuchen  schwankte  das  Verhältnis  zwischen 
Sump%aB  imd  vergorener  Zellulose  zwischen  4,7  und  6,2%.  Etwa 
60%  der  Zersetzungsprodukte  der  Zellulose  kommen  auf  flüchtige 
Säuren  und  zwar  in  erster  Linie  auf  Essigsäure,  dann  auf  kleine 
Mengen  von  Buttersäure  (Normal-  und  Isobuttersäure?).  Da- 
neben wurden  Spuren  von  einem  Aldehyd  und  Alkohol  beobachtet,  deren 
Herkunft  aber  zweifelhaft  war.  Die  Kontrollflasche  mit  Fleischextrakt 
ohne  Zellulose  blieb  einige  weitere  Wochen  ohne  Gärung,  entwickelte 
dann  aber  auch  noch  Gase,  die  ebenfalls  aus  Kohlensäure  imd  Methan 
bestanden.  An  dem  Vorkommen  einer  Sumpfgasgärung  aus  stickstoff- 
haltigem Material  ist  danach  nicht  zu  zweifeln  (§  192).  Mit  anderen 
Nährlösungen  als  mit  Fleischextrakt  gelang  es  Tappeiner  nicht, 
aus  Zellulose  Sumpfgas  zu  erhalten,  wohl  aber  Wasserstoff  in 
entsprechender  Menge  neben  Kohlensäure  und  denselben  flüchtigen 
Fettsäuren.  Merkwürdigerweise  trat  die  „Wasserstoffgärung"  auf,  wenn 
Zellulose  zu  Pansen-  oder  Dickdarminhalt,  die  durch  Papier  filtriert 
waren,  gesetzt  wurde.  Auch  in  Zellulose-Fleischextraktlösungen 
zeigte  sich  manchmal  die  abweichende  Zersetzung,  imd  zwar  regel- 
mäßig dann,  wenn  die  Reaktion  alkalisch  gemacht,  oder  der  Fleisch- 
extrakt teilweise  durch  künstliche  Salzlösungen  ersetzt  war.  Auch 
Asparagin-,  Azetamid-  oder  Anmioniumazetatlösungen  eigneten  sich 
zur  Hervorrufung  der  Wasserstoffgärung  aus  Zellulose,  nur  darf  das 
Asparagin  nicht  zu  stark  konzentriert  (z.  B.  zu  2 — 314%)  angewendet 
werden,  weil  es  dann  selbst  vergoren  wird  (§169)  und  die  Zellulose  vor  der 
Zersetzung  schützt.  Immerhin  macht  sich  auch  in  diesem  Falle  nach 
Tappeiners  Beobachtung  ein  Einfluß  des  Zellulosezusatzes  be- 


376  Kap.  VI,  S  117. 

merkbar,  der  noch  der  Erklärung  harrt,  er  beschleunigt  nämlich  die 
Gärung. 

Auch  in  dem  Dünger  findet  eine  Vergärung  der  Zellulose  statt. 
Alle  Forscher,  Deh6rain^),  Gayon*),  Schlösing®)  u.  a. 
sahen  dabei  nur  Kohlensäure  und  Sumpfgas  entstehen,  der  letzt- 
genannte annähernd  in  gleichen  Mengen,  wie  sie  der  Gleichung  1 
entsprechen. 

Die  Mikroorganismen  der  Zellulosegänmg  sind  zuerst  von  van 
Tieghem*)  unter  dem  T  r  e  c  u  1  sehen  Namen  des  „Amylobacter" 
beschrieben  worden.  Hoppe-Seyler  identifiziert  die  von  ihm 
gefundenen  Bakterien  mit  ihm,  ohne  weitere  Studien  darüber  zu  machen. 
Van  Senus^)  kam  zu  einem  anderen  Schluß :  das  Amylobacter  soll 
rein  gezüchtet  nicht  imstande  sein,  die  Zellulose  anzugreifen,  wohl  im 
Verein  mit  einer  anderen  viel  kleineren  Bakterienform,  die  ihrerseits 
ebenfalls  allein  für  sich  die  Zellulose  nicht  vergärt.  Der  chemische 
Prozeß  der  Zellulosegärung  wird  von  diesem  Autor  anders  aufgefaßt 
als  von  den  übrigen.  Zunächst  würde  das  Kohlenhydrat  durch  ein 
Enzym,  dessen  Isolierung  aus  faulenden  Rüben  ihm  einmal  gelang 
(vgl.  S.  230),  verzuckert,  doch  immer  nur  in  so  geringer  Menge,  daß 
zuckerartige  Stoffe  in  den  Gärmischungen  nicht  nachweisbar  wären. 
Die  verflüssigte  Substanz  soll  sofort  zu  Wasserstoff,  Kohlensäure 
und  Essigsäure,  vielleicht  auch  zu  Isobuttersäure  vergoren  werden 
und  das  Sumpfgas  erst  nachträglich  durch  Einwirkung  des  Wasser- 
stoffs auf  die  Essigsäure  entstehen,  wobei  letztere  vollständig  ver- 
braucht würde  (§  141).  Nur  wo,  wie  im  Darmkanal,  andere  reduzierbare 
Stoffe  daneben  noch  zur  Verfügung  ständen,  bliebe  ein  Teil  der 
Essigsäure  unzersetzt.  So  erklärten  sich  die  verschiedenen  Angaben 
der  Autoren. 

Man  kann  aus  dieser  Übersicht  der  Literatur  schon  den  Schluß 
ziehen,  daß  der  Prozeß  der  Zellulosevergärung  nicht  einheitlich  ver- 
läuft, daß  also  wohl  verschiedene  Mikroorganismen  dabei  ins  Spiel 
kommen.  Das  haben  denn  auch  die  neueren  Arbeiten  Omelians- 
k  y  s  *)  bestätigt.  Er  unterscheidet  wie  Tappeiner  die  Sumpf- 
gas-   (Methan-)    und   die   Wasserstoff gärung,    deren   Erreger 


1)  Compt.  rend.  acad.  sc.  98.   377  und  99.  45,   1884. 

2)  Ebenda  98.  528. 

3)  Ebenda  109.  835. 

4)  Ebenda  88.  205  und  89.  5. 

5)  Bejdrag  tot  de  keimis  de  cellulosegisting  (Proefsclirift)  Leiden  1890, 
ref.  Kochs  Jahresber.   1890.   136. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8,  1902  und  11  und  12,  1904;  vgl.  auch  Compt. 
rend.   121.   653,   1895. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  377 

schlanke  Bazillen  mit  runden  Köpfchensporen^)  sind,  verschieden 
von  dem  Amylobacter  van  Tieghems,  imtereinander  sich  aber 
nahestehend.  Die  Reinkultur  auf  festen  Nährböden  ist  zwar  bisher 
noch  nicht  mit  Sicherheit  gelungen,  doch  lassen  sich  die  Bakterien 
auch  in  flüssigen  Nährlösungen  von  fremden  Beimengungen  und  von- 
einander so  weit  trennen,  daß  über  die  Richtigkeit  der  Ergebnisse 
Omelianskys  kaum  ein  Zweifel  möglich  ist. 

Als  Nährlösimg  diente  gewöhnlich  die  folgende: 

Kai.  phosphor.  1 

Magn.  sulfur.  0,5 

Ammon.  sulf.  oder  phosph.  1 

Natr.  chlor.  in  Spuren 

Aqu.  dest.  1000 

Hin  und  wieder  wurden  ohne  Änderung  des  Resultates  statt  des  Ammon- 
salzes  0,5%  Asparagin  oder  0,1%  Pepton  benutzt  und  statt  der  Mineral- 
lösung ein  0,5  prozentiger  Fleischextrakt  oder  eine  Mistabkochung. 
In  die  Lösung  wurde  Filtrierpapier  oder  ein  anderes  Zellulosepräparat 
und  Kreide  gebracht,  die  Impfung  mit  Pferdemist  oder  Flußschlamm 
vollzogen  und  dann  für  anaerobe  Versuchsbedingungen  gesorgt.  Nach 
einer  Inkubation  von  1  bis  4  Wochen  beginnt  bei  35®  die  Sumpfgas- 
gärung mit  Entwicklung  von  Methan  und  Kohlensäure  in  sehr  wechseln- 
den Verhältnissen  mit  Überschuß  des  einen  oder  anderen  Gases.  Neben 
den  Gasen  wurden  größere  Mengen  von  Essig-  und  Butter- 
säure,   und  zwar  die  erstere  in  bedeutendem  Überschuß,  gebildet. 

In  einem  Monate  lang  durchgeführten  Versuche  ergab  sich  ein 
Verlust  von  2,0065  g  Zellulose,  die  sich  auf 

0,1372  g  Methan, 
0,8678  g  Kohlensäure, 
1,0223  g  flüchtige  Fettsäure 


2,0273  g 
verteilte. 

Diese  Gärung  konnte  beliebig  oft  durch  Überimpfung  auf  neue 
Nährlösung  wiederholt  werden,  ohne  ihren  Charakter  zu  ändern.  D  a  - 
gegen  trat  gewöhnlich  ein  Wechsel  ein,  wenn  das 
Impfmaterial  vorher  15  Minuten  bei  75"  erhitzt 
worden  war:  es  entwickelte  sich  dann  die  Wasserstoffgärimg  mit 
wechselnden  Mengen  von  Kohlensäure  und  Wasserstoff.  In  den  ersten 
Tagen  überwog  der  Wasserstoff,   später  die  Kohlensäure.    Daneben 

1)  Auch  Tappeiner  scheint  diese  gesehen  zu  haben. 


378  Kap.  VI,  §  117. 

wurden,  wie  bei  der  Sumpfgasgärung,  große  Mengen  von  Essigsäuie 
iLnd  Buttersäure  erzeugt,  und  zwar  überwog  bald  die  erstere,  bald  die 
letztere.  In  einem  Yersucb,  in  dem  3,3471  g  Zellulose  verschwunden 
waren,  fanden  sich  davon  wieder 

0,9722  g  Kohlensäure, 
0,0138  g  Wasserstoff, 
2,2402  g  Fettsäure 


3,2262  g 

Spuren  von  höheren  Alkoholen  konnten  außerdem  nachgewiesen 
werden.  Diese  Zahlen  Omelianskys  ermöglichen  es  noch  nicht, 
die  Zellulosevergärung  in  Gleichungen  zu  fassen,  vielleicht  handelt  es 
sich  aber  bei  der  Methangärung  um  drei  Prozesse,  die  nebeneinander 
hergehen,  den  Zerfall  des  Eohlenhydrates  in  Methan  und  Kohlensäure 
nach  Formel  1,  die  uns  schon  bekannte  Essigsäuregärung 

2)    CgH^gOß  =  3  C2H4O2 
und  die  gleichfalls  bekannte  Buttersäuregärung 

3)  CeHiA  =  C4H3O2  +  2CO2  +  2  Hg. 

Der  Überschuß  der  Kohlensäure  würde  aus  letzterer  Sfersetzung  her- 
vorgehen. 

Bei  der  Wasserstoffgärung  der  Zellulose  würden  die  Essigsäure-  und 
Buttersäuregärung,  Formel  2  imd  3,  sich  vielleicht  verbinden  mit 
dem  Prozeß,  den  wir  schon  früher  als  Wasserstoffgärung  des  Zuckers 
bezeichnet  haben  {§  98  u.  105)  und  der  nach  der  Gleichung 

4)  CeH^A  +  6H2O  =  6CO2  +  12  Hg 
verläuft. 

Ein  Zellulose  lösendes  Enzym  konnte  auch  Omeliansky  bei 
seinen  Mikroorganismen  nicht  nachweisen.  Diese  scheinen  sich,  nach 
dem  Ausfall  der  mikroskopischen  Untersuchung  zu  urteilen,  förmlich 
in  die  Zellulose  hineinzufressen,  bedürfen  also  wohl,  wie  van  Senus 
schon  vermutet,  nur  kleinster  Spuren  von  hydrolytischen  Enzymen 
und  vergären  die  gelöste  Zellulose  sofort. 

Bei  weitem  das  kräftigere  Gärvermögen  besitzt  der  Sumpfgas- 
bazillus, daher  erklärt  es  sich  wohl  auch,  daß  er  im  allgemeinen  den 
Wasserstoffbazillus  überwuchert.  In  Kulturen,  die  mit  gleichen  Teilen 
des  einen  und  des  anderen  Mikroben  geimpft  worden  sind,  entwickelt 
sich  nur  die  Sumpfgasgärung.  Nur  die  Erhitzung  verträgt  der  Erreger 
der  letzteren  schlechter  als  der  Wasserstoffbazillus,  dem  dadurch  freie 
Bahn  geschaffen  wird.  Auch  unter  natürUchen  Verhältnissen  wird  die 
Sumpfgasgärung  der  häufigere  Vorgang  sein,  was  ja  mit  den  Angaben 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  379 

in  der  literator  übereinstimint.  Wie  sich  der  Befund  Hoppe- 
S  e  7 1  e  r  8  erklärt  (s.  o.),  ist  noch  nicht  ausgemacht.  Vielleicht  hat  er 
deshalb  keine  Fettsäure  nachweisen  können,  weil  diese  in  seinen  Misch- 
kulturen mitvergoren  wurde.  Eine  Sumpfgasgärung  des  essigsauren 
Kalziums  kommt  wenigstens  vor  (§  141).  Da  hierbei  mehr  Sumpfgas 
als  Kohlensäure  erzeugt  wird: 

Ca(C2H30,),  +  H^O  =  CaCOg  +  CO^  +  2CH, 

und  bei  der  Sumpfgasgärung  der  2^11ulose  nach  Omeliansky  um- 
gekehrt mehr  Kohlensäure  als  Simipfgas  entsteht,  so  würde  es  ver- 
ständhch  werden,  daß  bei  einer  Vereinigung  beider  Prozesse  die  Gase 
zu  gleichen  Teilen  auftreten,  wie  es  Hoppe^Seyler  gefunden 
hat.  Es  würde  freilich  dazu  ein  besonderer  Mikrobe  gehören,  der  das 
essigsaure  Salz  zersetzt,  denn  der  Sumpfgasbazillus  Omelianskys 
ist  dazu  nicht  imstande. 

Obgleich  der  russische  Forscher  die  weite  Verbreitung  seiner 
beiden  Mikroorganismen  hat  nachweisen  können,  ist  damit  noch  nicht 
gesagt,  daß  es  daneben  nicht  noch  andere  Zellulose  vergärende  Spalt- 
pike geben  könnte.  Maz^^)  will  neuerdings  in  der  Tat  eine  andere 
Art  von  Sumpfgasgärung  entdeckt  haben.  Er  fand,  daß  sich  aus 
trockenen  Blättern,  die  er  mit  einer  Salzlösung  übergössen  hatte, 
große  Mengen  des  Gases  neben  Butter-  und  Essigsäure  entwickelten. 
Die  aus  diesem  Bakteriengemisch  rein  gezüchteten  Arten  vermochten 
allerdings  sämtlich  nicht,  Simipfgas  zu  bilden.  Wenn  jedoch  zwei  dieser 
Bakterien  mit  einem  dritten,  einer  großen  „Pseudosarzine",  zusammen- 
geimpft  wurden,  trat  die  Gänmg  ein;  sie  blieb  aus,  wenn  der  letztere 
Mikrobe  auf  Filtraten  der  Begleitbakterien  gezüchtet  wurde.  Es  würde 
sich  danach  um  eine  Symbiose  handeln,  ähnlich  der  von  N  e  n  c  k  i 
beschriebenen  zwischen  dem  Rauschbrandbazillus  und  dem  Micrococcus 
acidi  paralactici  (S.  170). 

Eine  andere  Zersetzung  der  Zellulose  (und  übrigen  unlöslichen 
oder  schwer  löslichen  Kohlenhydrate),  die  wohl  als  Oxydations- 
prozeß aufzufassen  ist,  werden  wir  bei  der  Stickstoffgärung  be- 
sprechen (s.  u.  §  198).  Vanlterson^)  sah  nämlich  eine  Auflösung 
von  Zellulose  in  anaerob  gehaltenen  Nährlösungen,  die  Nitrate  ent- 
hielten. Auch  bei  unbeschränktem  Luftgehalt  sollen  gewisse  Bak- 
terien (Bac.  ferrogineus  und  ein  gelber  Mikrokokkus)  die  Zellulose  kräftig 
angreifen.  Die  Auflösung  der  Zellulose  durch  Schimmelpilze  wurde 
schon  früher  besprochen  (§  76). 


1)  Compt.  rend.   137.  887. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  II.  689,  1904. 


380  Kap.  VI,   §  117  u.  118. 

Außer  der  2ieIlulose  gibt  es  noch  andere  Kohlenhydrate,  die  den 
Angriffen  der  Mikroorganismen  zähen  Widerstand  entgegenzusetzen 
pflegen.  Dahin  gehören  die  Gummiarten,  imd  zwar  sowohl  die- 
jenigen, die  durch  Hydrolyse  in  Hexosen  zerfallen,  die  Hexosane  als 
die  Pentosane.  P o p o f f  hat  aber  schon  Gummi  arabicum, 
das  zu  der  ersteren  Gruppe  gehört,  durch  denselben  Schlamm,  mit 
dem  er  die  Zellulosevergärung  erhielt,  in  lebhafte  Gärung  versetzt; 
es  entwickelte  sich  in  2  Versuchen: 

I.   76,2%  II.    91,1%  Kohlensäure 

6,0%  6,5%  Sumpfgas 

17,8%  2,4%  Wasserstoff. 

Es  handelte  sich  also  um  eine  gemischte  Sump%as-Wasserstof%ärung, 
wie  sie  übrigens  P  o  p  o  f  f  (s.  o.)  auch  aus  der  Zellulose  erhielt.  Hoppe- 
S  e  y  1  e  r  ^)  sah  ebenfalls  bei  einem  Pentosan,  dem  Holzgummi, 
eine  ähnliche  Sumpfgasgärung  eintreten,  wie  bei  der  Zellulose, 
und  Omeliansky^)  beobachtete  auch  beim  Gummi  arabicum 
eine  reine  Sumpfgasgärung.  Auch  das  Xylan,  ein  verwandter 
Körper,  verfällt  nach  Hebert*)  gemeinschaftlich  mit  echter 
Zellulose  imd  „Vasculose",  einem  Umwandlungsprodukt  des  Holz- 
stoffs, einer  Zersetzung,  deren  Produkte  allerdings  nicht  näher 
studiert  worden  sind,  die  aber  wohl  der  Sumpfgasgärung  ent- 
spricht. Von  diesen  Bestandteilen  des  Strohs  fanden  sieh, 
nachdem  sie  in  einer  öprozentigen  Lösung  von  kohlensaurem 
Kalium  und  Ammonium  aufgeschwemmt  und  mit  Jauche  geimpft 
einer  dreimonatlichen  Gärung  bei  55"  unterworfen  worden  waren, 
bei  der  Analyse  wieder: 

von  14,12  g  Zellulose  6,18  g 
„  14,1  g  Vasculose  11,75  g 
„     10,00  g  Xylan  4,67  g. 

Man  sieht  daraus  gleichzeitig,  daß  die  Sumpfgasgärung 
auch  bei  höheren  Temperaturen  möglich  ist, 
eine  Beobachtung,  die  mit  der  lange  bekannten  Tatsache  über- 
einstimmt, daß  die  Temperatur  in  gärenden  Düngerhaufen  sehr 
hoch  ansteigen  kann.  Nach  den  beiden  Schlösings*)  würden 
60"  C  ungefähr  die  Grenze  für  die  Entwicklung  der  Sump^as- 
gärung  bezeichnen. 


1)  Zeitschr.  f.  physiol.  Cliem.   13. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   15.   678. 

3)  Compt.  rend.  acfwi.  sc.   110.  969  und  115.   1321. 

4)  Annal.  agronom.   18,   1893;  nach  D  u  c  1  a  u  x  4.  465. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  381 

Leichter  angreifbar  für  die  Mikroorganismen  als  die  Zellulose  und 
die  Gummiarten  sind  die  Pektinstoffe  ^),  deren  hydrolytische 
Spaltung  und  weitere  Vergärung  wir  schon  früher  besprochen  haben 
(§  75).  Wahrscheinlich  spielen  die  hier  besprochenen  Zersetzungen 
eine  gewisse  Holle  auch  bei  dem  Faulkammerverfahren 
ZOT  Reinigung  der  Abwässer,  denn  es  scheint  nach  den  Erfahrungen 
Dunbars  ^) ,  daß  auch  dieZellulose  in  der  Faulkammer  angegriffen  wird. 

§  118.  Entstehung  des  Humus,  der  Kohle,  des  Gruben- 
gases. Über  die  Entwicklungsweise  der  Humusstoffe,  des  Torfes,  der 
Braun-  und  Steinkohle  ist  noch  wenig  Sicheres  bekannt.   Es  fragt  sich, 
ob  man  es  auch  hier  mit  Wirkungen  von  Mikroorganismen  zu  tun  hat. 
Der  Umstand,  daß  die  genannten  Stoffe  wesentlich  pflanzlichen  Ur- 
sprungs sind,  und  die  lange  bekannte  Tatsache,  daß  man  aus  Zucker 
und  anderen  Kohlenhydraten  durch  Behandlung  mit  Alkalien  oder 
Säuren  humusähnliche  Stoffe  erhalten  kann,  läßt  die  Annahme  mög- 
lich erscheinen,  daß  die  Humusstoffe  auch  imter  natürUchen 
Bedingungen  im  Erdboden  aus  denselben  Quellen  hervorgehen.    Das 
Vorhandensein  von  Filzen  und  Bakterien  in  ihnen  ist  ebenfalls  ge- 
sichert.   So  hat  man  denn  schon  seit  Nägeli  Fadenpilze  ^) 
für  die  Bildung  namentlich  des  sauren  Humus,  des  Moorbodens,  ver- 
antwortlich gemacht.    Bakterien  treten  in  letzterem  sehr  zurück, 
finden  sich  aber  um  so  reichlicher  in  mildem  Humus*).   Nach  B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k  *)  u.  a.  spielen  Strahlenpilze  eine  wichtige  Rolle  bei 
der  Humifizierung  des  Garten-  und  Waldbodens.    Besonders  ist  die 
Streptothrix  (Actinomyces)  chromogena*)  nicht  nur  allenthalben  ver- 
breitet, sondern  zeichnet  sich  auch  durch  ihren  Erdgeruch  und  die 
Braunfärbung  in  (tyrosinhaltigem)  Nährboden  aus. 

Aber  auch  die  fossilen  Hölzer  enthalten  Mikroorganismen. 
So  hat  schon  vanTieghenj^)in  verschiedenen  Pflanzenteilen  den 
Erreger  der  Sumpfgasgärung,  seinen  Bac.  amylobacter  (S.  376)  wieder- 


1)  t*ber  die  Verschiedenheit  der  histologischen  Bilder  und  der 
Analysenergebnisse  bei  der  Pektin-  und  Cellulosevergärung  des  Leins 
s.  Omeliansky,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.    12.    1. 

2)  Leitfaden  für  die  Abwässerreinigungsfrage,  1907,  S.   133. 

3)  P.  E.  M  ü  1 1  e  r  ,  Die  natürlichen  Humusformen.  1887 ;  K  o  n  i  n  g  , 
Kochs  Jahresber.   1904.  97. 

4)  Hamann,  Kemel^,  Schellhorn  und  Krause,  ref . 
Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6.  296  ;Fabriciu8  und  vonFeilitzen,  ebenda 
U.  161,  1905. 

5)  Ebenda  6.  2,   1900. 

6)  Wohl  identisch  mit  der  Cladotlirix  odorifera  Rullmanns 
f*benda  2  und  5. 

7)  Compt.  rend.  89.   1102,   1879. 


382  Kap.  VI,   §  118. 

finden  und  Renault^)  später  in  Torf-,  Braun-  und  Stein- 
kohle sowohl  große  Bazillen  als  Kokken  in  hellen  Haufen  feststellen 
wollen.  Selbst  wenn  man  alle  diese  Befunde  anerkennen  dürfte,  wäre 
dadurch  natürlich  noch  nicht  der  ursächliche  Zusammenhang  zwischen 
den  Mikrobien  und  der  Humifizerung  und  Verkohlung  bewiesen.  Wir 
brauchten  dazu  erst  Experimente.  Und  gerade  hieran  fehlt  es  bisher. 
Obwohl  man  die  unter  dem  EinfluB  von  Bakterien  und  Pilzen  statt- 
findenden anaeroben  und  aeroben  Zersetzungen  der  Zellulose  und  des 
Holzes  nach  allen  Richtungen  studiert  hat,  auch  die  Versuche  jahrelang 
fortgesetzt  hat,  hat  man  mit  Ausnahme  der  später  zu  erwähnenden 
kümmerlichen  Ergebnisse  van  Itersons^)  keine  Erfolge  gehabt. 
Man  wird  sich  dadurch  aber  nicht  abschrecken  lassen  dürfen  und 
namentlich  die  Bedingungen  ins  Auge  fassen  müssen,  unter  denen  eine 
Verkohlimg,  z.  B.  von  Grubenhölzern,  im  Laufe  weniger  Jahre  erfolgen 
soll'*).  Inzwischen  lohnt  es  sich,  den  Vorgang  der  Humifizierung  rein 
vom  chemischen  Standpunkte  aus  zu  betrachten*).  Wir  geben 
zu  dem  Zweck  einige,  zum  Teil  nur  angenäherte  empirische 
Formeln,  die  die  Zusammensetzung  der  hier  in  Betracht  kommenden 
Stoffe  pflanzlicher  Herkimft  im  Verhältnis  zu  einander  veranschau- 
lichen soUen. 

Steinkohle  (Renault):   C^^K^fi^  (oder  C,H,0) 

Huminsäure   (Mulder):   CigKuO«   (genauer:   C^oH^iO,,) 

Gerbstoffrot  (Hoppe-  Seyler):  CigHuOg  (genauer:  Cj,H„0,,) 

Zellulose:  CjgHaoOu 

Hydroehinon:  CigHigO« 

Suberinsäure  (G  i  1  s  o  n):  CißH^O,  (genauer  Ci7H,oO,) 

Ölsäure:  CiaHj^Oj. 

Hieraus  ist  erstens  zu  ersehen,  daß  die  aromatische  Substanz  (Hydro- 
ehinon) und  der  Gerbstoff  in  ihrer  Zusammensetzung  dem  Humus 
am  nächsten,  zum  Teil  sehr  nahe  kommen,  imd  allenfalls  durch  Oxy- 
dation oder  Austritt  weniger  Wassermoleküle  zu  ihm  führen  könnten. 
Bei  der  Zellulose  wäre  ein  sehr  reichlicher  Austritt  von  Wasser  nötig, 
bei  dem  Fett  und  der  ihm  nahestehenden  Kutikular-  und  Korksubstanz 
(Suberinsäure)  eine  sehr  starke  Oxydation.  Umgekehrt  ist  der  Über- 
gang von  dem  Humus  zur  Kohle  nur  möglich  durch  starke  Reduktion. 


1)  Annal.  scionc.  naturell,  (botan.)  8.  s<^r.  2.  275,  1896  und  zahlreiche 
andere  Arbeiten.  Abbildungen  bei  Z  o  i  1 1  e  r  ,  Elements  de  pal6obotanique 
1900.   39.    Vgl.  auch  Duclaux,  Mikrobiol.   4.   489. 

2)  Vgl.    §  123  am  Schluß. 

3)  S.  bei  Solms-Laubach,  Einf.  in  die  Paläophytologie  1887, 
S.    18. 

4)  Vgl.  Duclaux,  Mikrobiol.  4.  486  und  707. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  383 

In  der  Tat  gibt  Renault  für  die  Entstehung  der  Kohle  aus  der 
Zellulose  folgende  Formel: 

2C1Ä0O10  =  CeHeO  +  TCH^  +  SCO^  +  SH^O 

und  durch  eine  ähnliche  Formel  kämen  wir  von  der  Humussäure  zur 
Kohle: 

•  TCieHiA  =  eCißHiA  +  3CH4  +  15  CO,. 

Omeliansky^)  stellt  dagegen  folgende  einfache  Gleichung  auf, 
die  sofort  den  Übergang  zu  reiner  Kohle  bewerkstelligen  würde: 

2CeHio05  =  5CO2  +  5CH4  +  2C. 

Alles  das  wären  anaerobe  (Sumpfgas-)Gärungen,  für  die  wir  aber  in 
der  Erfahrung  keinen  Anhalt  haben.  Allerdings  haben  wir  allen  Grund, 
anzonehmen,  daß  die  Bildimg  der  Kohle  wie  die  des  Torfs  im  Wasser 
vor  sich  geht,  und  daß  unter  Wasser  die  Zellulose  zu  Sumpfgas  und 
Kohlensäure  vergärt,  haben  wir  eben  (§  117)  gesehen.  Der  „Gruben- 
gas^^-Gehalt  der  Kohlengruben  spricht  außerdem  dafür,  daß  vielleicht 
etwas  derartiges  bei  der  Kohlenbildung  vorkommt.  Da  uns  aber  vor- 
läufig nichts  zu  der  Voraussetzung  berechtigt,  die  Sumpfgasgärungen 
seien  früher  anders  verlaufen  als  jetzt,  d.  h.  wo  sie  unter  völUgem 
Ansehen  der  Zellulose  in  Gas,  oder  wenigstens  ohne  Zurückbleiben 
von  Kohle  vor  sich  gehen,  könnten  wir  mit  Duclauxzu  dem  Schlüsse 
kommen,  daß  die  Zellulose  zur  Zeit  der  Kohlenformation  zwar  auch 
der  Sumpfgasgärung  verfallen,  aber  gar  nicht  die  Quelle  der  Kohle 
selbst  wäre,  sondern  daß  andere  sie  begleitende  Pflanzenstoffe  dafür 
in  Anspruch  genommen  werden  müßten.  Als  solche  bieten  sich  dar 
in  erster  linie  die  Fett-,  Kork-  und  Kutikularsubstanzen.  Wie  die 
obigen  Formeln  zeigen,  würde  die  Kohle  durch  Wasserstoffentziehung, 
also  durch  Oxydation  aus  diesen  Stoffen  hervorgehen  können.  Wirk- 
lich hat  Duclaux  bituminöse  Stoffe  aus  Käse  dar- 
stellenj  können,  die  er  auf  Umwandlung  der  Fette  durch  langsame 
Oxydation  zurückführt.  Grundsätzlich  wird  man  zwar  damit  einver- 
standen sein  können,  daß  Oxydation  und  Reduktion  neben  oder  nach- 
einander bei  der  Humifizierung  und  Verkohlung  mitwirken.  Der  Ur- 
sprung der  bituminösen  Stoffe  aus  dem  Fett  bedürfte  nur  noch  einer 
gründlichen  experimentellen  Prüfung. 

Daneben  bietet  sich  nach  Duclaux  aber  noch  eine  zweite  Mög- 
lichkeit der  Erklärung  in  den  Veränderungen  der  aromatischen  Be- 
standteile der  Pflanzen,  zu  denen  ja  auch  die  weit  verbreiteten  Gerb- 
stoffe gehören.    Auch  diese  können  nachweislich  durch  Oxydation  in 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   15. 


384  Kap.  VI.  §  118  u.  119. 

schwärzliche  Produkte  („Melanine")  verwandelt  werden  (Kap.  VIII). 
Bekanntlich  ist  auch  der  aromatische  Kern  in  der  Kohle  reichlich 
vertreten.  Man  kann  dem  zwar  insofern  zustimmen,  als  voraussichtlich 
auch  die  aromatischen  Stoffe  von  Bedeutung  für  die  Kohlenbildung 
sind,  sieht  aber  nicht  ein,  was  die  sehr  sauerstoffreichen  Melanine  mit 
der  sauerstoffarmen  Kohle  außer  der  Farbe  zu  tun  haben  sollten.  Auch 
hier  tappt  man  also  noch  völlig  im  Dunklen. 

Für  die  Entstehung  des  Sumpfgases,  das  sich  in  der  Kohle  so 
häufig  als  Grubengas,  imd  zwar  als  einziges  brennbares  6as^)  ein- 
geschlossen findet,  hätte  man  allenfalls  eine  genügende  Erklärung  in 
den  oben  erwähnten  biologischen  Vorgängen.  Das  ebenfalls  reichUche 
Vorkommen  in  manchen  heißen  Q  u  e  1 1  e  n  und  namentlich  in  n  a  p  h  - 
t  h  a  haltigen  ^)  Erdschichten  ist  aber  wohl  besser  auf  rein  chemischem 
Wege,  z.  B.  durch  die  Wechselwirkung  von  Karbonaten,  Schwefel- 
wasserstoff und  schwefliger  Säure,  zu  erklären  (Roche  ')). 

CaCOg  +  SO2  +  3H2S  =  CaSO^  +  H^O  +  3  S  +  CH4. 

Schwefel  ist  ja  ebenfalls  ein  gewöhnliches  Produkt  vulkanischer  Tätig- 
keit. Auch  Wasser  könnte  mit  Kohlenstoffverbindimgen  des  Eisens 
und  Aluminiums  zusammen  Kohlenwasserstoffe  erzeugen  (M  e  n  d  e  1  e  - 
j  e  w  ,  Arm.   G  a  u  t  i  e  r). 

In  der  Luft  ist,  wie  schon  V  o  1 1  a  gefunden,  ebenfalls  Sumpfgas 
enthalten.  Nach  Armand  Gautier*)  ist  dabei  die  Verteilung 
eine  ganz  eigentümliche,  indem 

Stadtluft      in  je  100  Litern  22       ccm, 

Waldluft        „  „  100       „       11,3 

Gebirgsluft    „  „  100      „         2,19 

Seeluft  „  „  100       „         0,10 

enthält.  Das  spricht  für  die  Entstehung  des  Gases  aus  der  Zersetzung 
organischer  Stoffe.  Solche  Vorgänge  haben  wir  in  der  Vergärung  der 
Zellulose,  der  Gummiarten  schon  kennen  gelernt,  und  ähnlichen  werden 
wir  weiter  bei  der  Vergärung  der  Essig-,  Milch-  imd  Buttersäure  sowie 
der  Eiweißstoffe  begegnen. 

§  119.  Oxydation  der  Kohlehydrate.  Nachdem  wir  in  den 
vorhergehenden   Abschnitten  die   Spaltungen  der  Kohlehydrate,  die 


1)  Schlösing,  Compt.  rend.   122.  398,   1896,  vgl.  auch  Zeiteclir. 
phys.  Chem.   10.  203. 

2)  Das  gilt  wohl  auch  für  die  Entstehung  des  Xaphthas  und  Erdöls 
selbst,  vgl.    §   151. 

3)  Vgl.  Omeliansky,  a.  a.  O. 

4)  Compt.  rend.   130  und  131,   1900. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  385 

ohne  Beteiligung  des  freien  Sauerstoffs  der  Luft  verlaufen,  besprochen 
haben,  wenden  wir  uns  jetzt  den  Oxydationen  zu.  Je  nach  der  Zahl  der 
Sauerstoffatome,  die  in  das  Molekül  des  Kohlehydrats  eintreten,  ändern 
sich  die  Verbrennungsprodukte.  Die  vollständige  Oxydation  des 
Zackermoleküls  zu  Kohlensäure  und  Wasser  verlangt  12  Atome  Sauer- 
stoff nach  der  Gleichung 

CeHjgOe  +  120  =  öCOg  +  6H2O. 

Verbindet  sich  nur  ein  Atom  Sauerstoff  mit  dem  Zucker,  so  entsteht 
Glykonsäure: 

C^jHjgOg  +  0  =  CßHigO,. 

Dazwischen  liegen  die  Oxalsäure  (mit  9  Atomen  Sauerstoff),  Glyze- 
rose  (6),  Essigsäure  (4),  Zitronensäure  (3),  Zuckersäure  (3),  Glykuron- 
saure  (2)  als  Erzeugnisse  mehr  oder  weniger  weitgehender  Verbrennung 
der  Kohlehydrate.  Die  Art,  wie  alle  diese  Körper  sich  bilden,  ist  noch 
keineswegs  aufgeklärt.  Zunächst  wissen  wir  häufig  schon  nicht,  ob  die 
Polysaccharide  und  Disaccharide  vor  ihrer  Oxydation  hydrolytisch  zu 
Monosacchariden  gespalten  werden.  Nur  in  einzelnen  Fällen  ist  das 
nachgewiesen.  Dann  wissen  wir  nicht,  warum  in  dem  einen  Falle 
dieses,  in  dem  anderen  jenes  Oxydationsprodukt,  in  dem  einen  hoch- 
oxydierte, in  dem  anderen  schwachoxydierte  Körper  entstehen.  Die 
Annahme,  daß  spezifische  Sekretionsprodukte  der  Mikroorganismen, 
oder  besser  gesagt,  bestimmte  Bestandteile  (Seitenketten)  ihres  Proto- 
plasmas das  besorgen,  die  Oxydationsenzyme  oder  „Oxydasen",  liegt 
nach  der  Entwicklung  unserer  Kenntnisse  in  den  letzten  Jahren  nahe, 
der  Beweis  dafür  fehlt  aber  bisher  noch  fast  überall.  Sicher  ist  daneben 
das  Maß  des  Sauerstoffzutritts  von  einer  gewissen  Bedeutung  für  den 
Verlauf  der  Oxydation.  Wir  werden  einige  Beispiele  kennen  lernen, 
wo  bei  Sauerstoffmangel  niedrig  oxydierte  Produkte  entstehen,  die 
dann  bei  reichlichem  Zutritt  von  Sauerstoff  weiter  verbrannt  werden. 
Man  könnte  daraus  den  Schluß  ziehen,  daß  die  Verbrennung  in  j  e  d  e  m 
Falle  schrittweise  von  der  niederen  zu  der  höheren  Oxydationsstufe 
erfolge,  doch  fehlen  gewöhnhch  die  Ubergangsprodukte. 

Nirgends  zeigt  sich  der  Mangel  an  Folgerichtigkeit  mehr  als  in  der 
Bezeichnungsweise  der  hier  zu  erörternden  Prozesse.  Allgemein  spricht 
man  von  Oxydationsgärungen,  wenn  das  Produkt  der  Verbrennung 
die  Zitronen-  oder  die  Oxalsäure  ist,  die  vollständige  Verbrennung  hat 
dagegen  niemand  bisher  „Kohlensäuregärung'*  genannt  und  doch  wäre 
diese  Benennimg  durchaus  berechtigt.  In  dem  einen  wie  dem  anderen 
Falle  handelt  es  sich  nicht  um  einfache  chemische  Prozesse,  die  „von 
selbst"  verlaufen,  es  bedarf  dazu  eines  Anstoßes,  eines  organischen 
Katalysators,  d.  h.  Ferments  oder  Enzyms.  Gleichgültig  für  den  Prozeß 

Kruse,  Mikrobiologie.  25 


386  Kap.  VI,   §  119—121. 

selbst  ist  es,  ob  man  sich  dieses  Enzym  als  von  der  Zelle  trennbar 
vorstellt  oder  als  ,, Seitenkette''  des  Protoplasmas,  die  mit  dem  Tode 
des  letzteren  oder  nach  ihrer  Abtrennung  ihre  kataljrtische  Wirksam- 
keit verliert. 

Das  wenige,  was  bisher  bekannt  ist  über  oxydierende  Fermente 
der  Kohlehydrate,  bringen  wir  später  (§  222  u.  226). 

§  120.  Glykonsäore-^Glykuronsänre-^Zackersftaregftrung. 

Die  beiden  ersten  Gänmgen  sind  von  Boutroux^)  entdeckt  worden. 
Der  Micrococcus  (besser  Bac.)  oblongus,  der  in  saurem  Bier  gefunden 
wurde  und  offenbar  in  allen  Eigenschaften  den  Essigbakterien 
nächstverwändt  ist,  wächst  auf  Glykose  und  Invertzucker,  aber 
auch  auf  Saccharoselösimgen,  nicht  auf  solchen  von  Milchzucker, 
in  Gestalt  eines  Bakterienschleims  und  bildet  dabei  neben  wenig 
Kohlensäure  ausschließlich  reichliche  Mengen  von  Glykonsäure  nach 
der  Gleichung 

1)    CeH^^Oe  +  0  =  C^Hi^O,. 

Findet  das  Wachstum  in  Gregenwart  von  kohlensaurem  Kalk  statt, 
so  scheidet  sich  der  glykonsäure  Kalk  in  Form  von  charakteristischen 
Krystallen  ab.  Aus  Alkohol  bildet  der  Bazillus  wie  andere  Essigbak- 
terien Essigsäure  (§  135). 

Auch  der  Bac.  aceti  ist  nach  B  r  o  w  n  ^) ,  der  Bac.  Pastorianus 
und  Kützingianus  nach  Seifert^),  das  Bact.  industrium  nach 
Henneberg*)  zu  der  gleichen  Umsetzung  imstande.  Das  einzige 
Essig-Bakterium,  das  Glykose  nicht  oxydiert,  ist  nach  Henneberg 
das  Bact.  ascendens. 

Wie  der  Bac.  oblongus  verhält  sich  ein  ähnlicher  Mikrobe,  den  wir 
Bac.  glycuronicus  nennen  wollen,  aber  nur  in  Zuckerlösimgen  ohne 
Kreidezusatz.  Wird  die  Säure  durch  diesen  Zusatz  neutralisiert,  so 
oxydiert  sie  sich  weiter  zu  einem  Körper,  der  wie  die  Glykuronsaure 
zusammengesetzt  ist,  aber  das  polarisierte  Licht  nicht  nach  rechts, 
sondern  nach  links  dreht.  Die  Reaktion  verläuft  wohl  in  folgender 
Weise : 

2)    CeOi2  He  +  20  =  C,ll,fi,  +  0  =  CeHioO,  +  H,0. 

Nach  Beijerinck^)  sollen  die  Essigbakterien  zur  Bildung  von 
„Zuckersäure^'   aus   Glykose,   Maltose,   Saccharose  oder  Laktose  be- 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  86.  605  und  91.  236.     Annal.  Pasteur  1888. 

2)  Joiirn.  ehem.  sog.  49.  172  und  432,  1886. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3.  337,  1897. 

4)  Zeitschr.  f.  Essigind.    1898  und  Zentr.  Bakt.  2.  Abt,   4.   14. 

5)  Zentr.  Bakt.  11.  72,  1892. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  387 

fähigt  sein.    Ob  damit  die  vorgenannten  Säuren  gemeint  sind  oder 
eigentliche  Zuckersanre,  die  durch  Oxydation  nach  der  Formel 

3)   C,H^O,  +  30  =  C,HioO,  +  H^O 

entstehen  würde,  muß  dahingestellt  bleiben. 

Bertrands ^)  „Sorbosebakterium",  das  dem  Bact.  xylinum, 
einem  anderen  Essigbildner,  nahe  steht,  verwandelt  verschiedene  Hexo- 
sen,  wie  Glykose  und  Galaktose,  aber  auch  Pentosen,  wie  Xylose  und 
Aiabinose,  durch  Anlagenmg  eines  Atoms  Sauerstoff  in  G 1  y  k  o  n  - 
s  ä  u  r  e  und  die  ihr  entsprechenden  Galaktonsäure,  Xylonsäure 
und  Arabinonsäure.  Allerdings  geht  die  Oxydation  langasm  vor  sich. 
Der  Sauerstoff  tritt  dabei  immer  an  die  Aldehydgruppe.  Daraus  erklärt 
es  sich,  daB  nur  die  Aldohexosen  oder  -pentosen  angegriffen  werden,  nicht 
die  Eetohexosen  Fruktose  und  Sorbose.  Wie  sich  das  Bakterium  zu 
den  höheren  Alkoholen  verhält,  werden  wir  später  sehen  (§  132). 

Noch  vielseitiger  ist  das  von  Henneberg  beschriebene  Essig- 
bakterium  Bact.  industrium  (s.  o.),  indem  es  außer  den  genannten 
Hexosen  nock  Fruktose,  femer  die  Disaccharide  Saccharose,  Maltose 
und  Laktose  rmd  die  Poljrsaccharide  Dextrin  und  Stärke  angreift  und 
nur  Sorbose,  Inulin  imd  Glykogen  unberührt  läßt.  Der  Verfasser  hat 
allerdings  nur  festgestellt,  daß  bei  der  Oxydation  des  Zuckers  eine 
Säure  entsteht.  Ob  das  die  Glykon-  oder  Glykuronsäure  oder  eine 
andere  ist,  bleibt  unbestimmt. 

§  121.  Zitronensäuregärung.  Diese  merkwürdige  Gärung 
kommt  nach  Wehmer*)  zwei  Schimmelpilzen,  dem  Citromyces  Pfeffe- 
rianus  und  glaber  zu.  Glykose  eignet  sich  am  besten,  aber  auch  andere 
Zuckerarten,  schlecht  die  Polysaccharide.    Die  Formel 

4)    CßHiaOe  +  30  =  CJtlfi,  +  211  fi  (+  199  Kai.) 

gibt  die  Reaktion  wieder,  drückt  aber  nicht  den  Vorgang  genau  genug 
aus,  denn  neben  der  Oxydation  findet  auch  noch  eine  Umstellung 
eines  der  Eohlenstoffmoleküle  statt,  da  die  Zitronensäure  einen  Kohlen- 
stoff seithch  angelagert  zeigt,  während  der  Zucker  nur  eine  einfache 
Kohlenstoffkette  darstellt. 

GOjjH  COH 

CHjj  CHOH 

CHOH  CHOH 

CH.CO2H  CHOH 

COgH  CHOH 

CHgOH 

Zitronensäure  Glykose. 


1)  Compt.  rend.   127,  124  und  128. 

2)  Zentr.  Bakt.   15.  427,    1894,  vgl.  Kochs  Jahresber.   1893.  268. 

25* 


388  Kap  VI,   §  121  u.   122. 

• 

Die  Zitronensäure  ist  übrigens  nur  das  Endprodukt  der  Verbrennung, 
wenn  die  Säure  durch  Kalk  gebunden  und  dadurch  aus  dem  Stoff- 
wechsel ausgeschaltet  wird.  Sonst  wird  sie  weiter  oxydiert  bis  zu 
Kohlensäure  und  Wasser.  Das  Maß  des  Sauerstoffzutritts,  die  Tem- 
peratur und  die  übrigen  Nährstoffe  haben  auch  einen  Einfluß  auf  den 
Verlauf  der  Gärung.  Findet  das  Wachstum  ohne  Kreide  in  der  Nähr- 
lösung statt,  so  steigt  die  Säuremenge  bis  auf  4%  und  verschwindet 
dann  im  Laufe  von  2  bis  3  Monaten  vollständig.  Andere  Säuren  wirken 
schon  in  sehr  viel  geringeren  Konzentrationen  hemmend  auf  die  Ent- 
Wicklung  ein,  so  z.  B.  P/oo  Salz-  und  Schwefelsäure.  Ähnlichen  Ver- 
hältnissen werden  wir  bei  der  EssigbUdung  (§  135)  begegnen. 

Die  günstigste  Temperatur  liegt  in  der  Nähe  von  20^.  D  i  e  G  ä  • 
rung  ist  aber  nicht  streng  an  das  Wachstum  ge- 
bunden: bei  30 — 35°  hört  letzteres  auf,  während 
erstere  noch  fortschreitet,  ein  Hinweis  auf  die 
enzymatische  Natur  des  Vorgangs.  Unter  günstigen 
Bedingungen  werden  bis  zu  55%  des  Zuckers  in  Zitronensäure  ver- 
wandelt. Man  hat  deswegen  den  Versuch  gemacht,  die  Gänmg  tech- 
nisch zur  Darstellung  der  Säure  zu  verwerten. 

Neuerdings  haben  M  a  z  6  und  P  e  r  r  i  n  ^)  für  die  Zitronensäure- 
gärung andere  Formeln  aufgestellt.  Es  soll  der  Zucker  zimächst  ge- 
spalten werden  wie  bei  der  alkoholischen  Gärung  in  Alkohol  und 
Kohlensäure : 

a)    CeHi20e  =  2C2HeO  +  2CO^. 

Der  Alkohol  soll  dann  unter  Mitwirkung  des  Sauerstoffes  in  Zitronen- 
säure und  Wasser  verwandelt  werden: 

b)   3C2HeO  +  90  =  C^HgO,  +  ^K^O. 

Durch  Kombination  beider  Gleichungen  hätte  man  schließlich  die 
Umsetzung: 

c)  3C6Hi20fl  +  180  =  2CeH807  +  lOH^O  +  GCOj. 

Diese  Formel  läßt  sich  aber  auch  in  folgende  zerlegen: 

a)  2CeHi20e  +  60  =  2CeH807  +  iU^O  (identisch  mit  Formel  4  s.  o.). 

ß)  CeH^20e+  120  =  6H2O  +  6CO2  (identisch  mit  Formel  6  s.  u.§  123). 

Mit  anderen  Worten :  die  von  M  a  z  e  und  P  e  r  r  i  n  vorgeschlagene 
Formel  würde  sich  auch  mit  der  Vorstellung  vertragen,  daß  der  größere 
Teil  des  Zuckers  nach  der  Formel  4  zu  Zitronensäure  oxydiert,  ein 
anderer  Teil  aber  vollständig  zu  Kohlensäure  und  Wasser  verbrannt 


1)  Annal.   Pasteur  1904.   9. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  389 

würde.  In  der  Tat  scheint  die  Sache  so  zu  liegen :  M  a  z  e  und  P  e  r  - 
r  i  n  haben  sogar  gefunden,  daß  in  der  ersten  Periode  des  Wachstums 
der  Citromyces  überhaupt  keine  Zitronensäure  bildet,  sondern  den 
Zucker  vollständig  verbrennt;  erst  wenn  die  Stickstoff emährung  eine 
spärliche  zu  werden  beginnt,  erscheint  die  Zitronensäure,  und  zwar 
in  einer  Menge  von  50  bis  55  g  auf  je  100  g  verschwindenden  Zuckers. 
Dabei  läßt  sich  durch  Gasanalyse  feststellen,  daß  in  der  zweiten  Periode 
viel  mehr  Sauerstoff  aufgenommen  als  Kohlensäure  ausgestoßen  wird. 
Tngefähr  könnte  also  die  Gleichung  c  den  Tatsachen  entsprechen. 
Man  darf  auch  den  französischen  Forschern  zugeben,  daß  die  Zitronen- 
säure ein  Produkt  ist,  daß  erst  in  halberschöpften  Kulturen  auftritt 
(s.  u.  Oxalsäuregärung  §  122).  Nur  liegt  kein  genügender  Grund  vor, 
die  Umsetzimg  auf  dem  Umwege  über  Formel  a  und  b  verlaufen 
zu  lassen.  M  a  z  e  ist  hierzu  wohl  verführt  worden  durch  die  von  ihm 
verfochtene  Theorie,  daß  der  erste  Schritt  bei  allen  Oxydationspro- 
zessen, denen  der  Zucker  imterliegt,  der  Zerfall  in  Alkohol  und  Kohlen- 
säure sei,  der  durch  die  allgegenwärtige  Zymase  bewirkt  werde  (vgl, 
§  123).  Um  von  dem  Alkohol  zur  Zitronensäure  zu  gelangen,  bedarf 
es  der  eigentümlichen  Synthese  b,  die  nach  M  a  z  e  und  P  e  r  r  i  n  nur 
vom  Protoplasma  bewerkstelligt  werden  kann.  Zur  Stütze  dieser 
Auffassung  geben  die  Autoren  an,  Zitronensäure  werde  auch  gebildet, 
wenn  man  das  gut  entwickelte  Mycel  des  Citromyces  bei  Sauerstoff- 
abschluß halte.  Freilich  soll  dieser  Versuch  nicht  immer  gelingen. 
Ein  weiterer  Beweis  für  ihre  Theorie  sei  die  Tatsache,  daß  bei  anaerober 
Entwicklung  der  Kulturen  wirklich  etwas  Alkohol  nachweisbar  werde. 
Das  wird  ja  aber  auch  bei  anderen  Pilzen  beobachtet,  die  keine  Zitronen- 
säuregärung hervorrufen  (§  85). 

Schließlich  soll  Zitronensäure  auch  bei  Darreichung  von  Glyzerin 
oder  Alkohol  gebildet  werden,  im  letzteren  Fall  allerdings  nur  in  ge- 
ringer Menge.  Man  kann  dafür  aber  wohl  andere  Möglichkeiten  gelten 
lassen:  die  Pilze  bauen  aus  dem  Glyzerin  leicht  Zucker  auf  imd  haben 
auch  in  ihrem  Körper  Kohlehydrate  genug  zur  Verfügung,  um  daraus 
den  für  die  geringfügige  Zitronensäurebildimg  nötigen  Zucker  abzu- 
spalten. Alles  in  allem  genommen  sind  die  Darlegungen  von  M  a  z  e 
und  P  e  r  r  i  n  durchaus  nicht  geeignet,  die  einfache  Auffassung  des 
Oxydationsvorganges  zu  widerlegen.  Fraglich  bleibt  es  natürlich,  ob 
es  sich  um  die  Wirkimg  einer  isolierbaren  „Oxydase"  handelt. 

§  122.  Oxalsäuregärnng.  Diese  Gärung  schließt  sich  eng  an  die 
vorige  an.  Oxalsäure  als  Produkt  von  Mikroorganismen,  namentlich 
von  echten  Pilzen,  ist  schon  lange  bekannt:  sie  erscheint,  gewöhnlich 
an  Kalzium   gebunden,   in   Form   der   charakteristischen    Krystalle. 


390  Kap.  VI,   §  122. 

Z  o  p  f  ^)  sah  sie  in  reichlicher  Weise  entstehen  in  Zuckerkulturen  einer 
Hefe,  des  Saccharomyces  Hansenü,  ferner  bei  zahlreichen  Eissigbak- 
terien^).  Banning^)  vervollständigte  die  Liste  dieser  Bakterien. 
Alle  sind  strenge  Aerobier.  Nach  ihm  ist  am  besten  zum  Nachweis 
der  Oxalsäure  geeignet  ein  fester  Nährboden,  der  2%  Glykose,  1% 
Fleischextrakt  mit  1%  Pepton  und  7%  Gelatine  enthält.  Aaßer  der 
Glykose  wird  von  den  meisten  dieser  Bakterien  auch  die  Arabinose 
vergoren,  die  übrigen  Zuckerarten  ungleichmäßig,  in  keinem  Falle 
Stärke,  Inulin,  Glykogen  und  Gummi  arabicum.  Die  höheren  Alkohole, 
Essig-  und  Milchsäure,  verhalten  sich  verschieden  gegenüber  den 
einzelnen  Arten.  Doch  gelten  diese  Unterschiede  nur  für  die  Bakterien, 
denn  den  Schimmelpilzen  können  fast  alle  Kohlen- 
stoff Verbindungen  als  Material  zur  Oxalsäure- 
bildung dienen.  Nicht  unwichtig  scheint  die  Oxalsäurebildimg 
zu  sein  für  einige  Erreger  von  Fflanzenkrankheiten, 
so  die  Pseudomonas  destructans  P  o  1 1  e  r  s  ^) ,  da  die  Säure  auf  die 
Zellen  der  Wirtspflanzen  als  Gift  wirkt  (vgl.  §  51  u.  258).  Die  Gärung 
ist  eine  Oxydation  von  der  Form: 

5)  CeHigOe  +  90  =  3Cfifi^  +  SHgO  (+  493  Kai.). 

Ihre  Bedingungen  sind  besonders  bei  Schinmielpilzen  näher  studiert 
worden.  Nach  D  u  c  1  a  u  x  ^)  ist  die  Oxalsäure  beim  Aspergillus  niger 
ein  Zwischenerzeugnis  der  Oxydation,  das  sich  dann  besonders  anhäuft, 
wenn  die  Emährungsbedingungen  ungünstig,  die  Lüftung  ungenügend 
ist.  Unter  günstigeren  Umständen  wird  es  vollständig  zu  Kohlensäure 
und  Wasser  verbraucht,  wie  der  übrige  Teil  des  Zuckers,  der  durch 
diesen  Zwischenzustand  gar  nicht  hindurchgeht,  sondern  unmittelbar 
der  Verbrennung  verfällt.  Nur  wenn  die  Oxalsäure  bei  Vorhandensein 
von  kohlensaurem  Kalk  zum  Nährboden  sofort  nach  ihrem  Entstehen 
ausgefällt  wird,  bleibt  sie  unberührt.  W  e  h  m  e  r  *) ,  der  eine  größere 
Reihe  von  Schimmelpilzen  untersucht  hat,  kommt  nicht  zu  so  klaren 
Schlüssen.  Einige  wichtige  Ergebnisse  lassen  sich  aber  doch  aus  der 
W  e  h  m  e  r  sehen  Arbeit  herausschälen :  zunächst  das  verschie- 
dene Verhalten  der  einzelnen  Pilze:  während  z.  B. 
Aspergillus  niger  bei  Kalkzusatz  in  Traubenzuckerlösimgen  sehr  große 
Mengen  von  Oxalsäure  anhäufte,  war  davon  bei  Penicillum  glaucuni 
keine  Rede.   Beim  Vergleich  der  verschiedenen  Stickstoffquellen  erwies 

1)  Ber.  botan.   Ues.    1889.   94. 

2)  Ebenda  1900.  300. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8.   13—19. 

4)  Ebenda  7,   354. 

5)  Mikrobiologie  4.   291,   1901. 

6)  Bot.   Zeitg.    1891;  vgl.  D  u  c  1  a  ii  x  a.  a.  O. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  391 

sich  Salmiak  und  Ammonsulfat  als  ungeeignet  zur  Ansammlung  von 
Oxalsäure,  die  übrigen  Ammonsalze,  Nitrate  und  Peptone  als  gleich 
geeignet.  Von  den  Kohlenstoffverbindungen  ergaben  Pepton  oder 
weinsaures  oder  zitronensaures  Salz  mehr  Oxalsäure  als  Dextrose  oder 
Glyzerin,  freie  organische  Säuren  überhaupt  keine  Oxalsäure.  Noch 
größer  werden  die  Unterschiede,  wenn  man  gleichzeitig  die  Pilzemte 
berücksichtigt:  Aus  1,5  g  der  nachstehenden  Verbindungen  wurden 
beim  Aspei^Uus  niger  in  einer  kalkfreien  Mineralsalzlösung,  die  0,5  g 
salpeteisaures  Ammon  als  Stickstotf quelle  enthielt,  gewonnen: 

Oxalat  Pilzemte      Verhältnis  beider 


Gijkose 

0,278 

0,228 

1,2 

Glyzerin 

0,240 

0,475 

0,5 

Olivenöl 

0,194 

0,810 

0,24 

Chinasäure 

0 

0,226 

0,00 

Weinsäure 

0 

0,155 

0,00 

Zitronensäure 

0 

0,240 

0,00 

Milchsäure 

0 

0,260 

0,00 

Weinsaures 

Kalium 

0,550 

0,032 

17,1 

»> 

Ammon 

0,767 

0,030 

25,6 

Pepton 

0,530 

0,162 

3,3 

In  der  letzten  Spalte  vorstehender  Tafel  haben  wir  das  Gewichts- 
verhältnis zwischen  Oxalat  und  Pilzernte  ausgerechnet:  man  sieht, 
wie  gewaltig  es  schwankt,  von  0  bis  25 !  Im  ganzen  scheint  umso 
mehr  Oxalsäure  gespeichert  zu  werden,  je  mangel- 
hafter das  Wachstum  des  Pilzes  ist.  Nur  die  Kulturen 
mit  freien  Säuren  machen  von  der  Regel  eine  Ausnahme.  Es  liegt 
das  wohl  allein  an  der  Reaktion  des  Nährbodens,  denn  in  den  übrigen 
Nährstoffen  wurde  bei  saurer  Reaktion  ebenfalls  keine  Oxalsäure  ge- 
funden. Umgekehrt  veranlaßte  der  Zusatz  von  säureabsorbierenden 
Salzen,  z.  B.  sekundären  und  tertiären  Alkaliphosphaten  und  den 
meisten  Kalksalzen  selbst  bei  Penicillium  Oxalsäureanhäufung.  An- 
sammlung und  Bildung  der  Oxalsäure  ist  aber 
keineswegs  gleichbedeutend,  denn  die  Säure  kann 
bereits  im  freien  Zustand  von  den  Pilzen  zerstört  werden.  Lösliche  oxal- 
sanre  Salze  werden  vom  Aspergillus  schwer,  vom  Penicillum  viel  leichter 
angegriffen.  Man  könnte  deswegen  daran  denken,  den  Unterschied, 
den  man  zwischen  den  beiden  Pilzen  findet,  daraus  zu  erklären,  daß 
Penicillium  die  von  ihm  gebildete  Oxalsäure, 
wenn  sie  nicht  in  bestimmter  Weise  fixiert  wird, 
auch  in  neutralen  Lösungen  verbraucht,  während 


392  Kap.  VI,   §  122  u.   123. 

Aspergillus    dazu    nur    bei    saurer    Keaktion    im- 
.stande  ist. 

Für  die  Anhäufung  der  Oxalsäure  durch  Aspergillus  niger  sind 
nach  W  e  h  m  e  r  die  Temperaturverhältnisse  ^)  von  großer  Bedeutung. 
In  Kulturen  mit  salpetersaurem  Ammon  als  Stickstoff  quelle  wird  bei 
8 — 10**  reichlich  freie  Oxalsäure  gebildet,  und  diese  nicht  weiter  zer- 
setzt. Bei  15 — ^20®  nimmt  die  Oxalsäuremenge  bis  zu  einem  Maximum 
zu,  wird  aber  dann  wieder  zerstört.  Bei  34®  tritt  dagegen  freie  Oxal- 
säure in  irgend  erheblicher  Menge  nicht  auf,  weil  sie  sofort  oxydiert 
wird.  Das  wird  dadurch  bewiesen,  daß  bei  Gegenwart  von  Kreide 
sich  Kalziumoxalat  ansammelt.  Ebenso  wie  Temperaturerhöhung  wirkt 
Ersatz  der  genannten  Stickstoffquelle  durch  Salmiak  oder  Ammon- 
sulfat,  während  Ammonphosphat  und  -Oxalat  sich  wie  Ammonnitrat 
verhalten.  Es  scheint  das  dadurch  verursacht  zu  sein,  daß  das  Wachs- 
tum durch  das  salzsaure  und  schwefelsaure  Ammon  ebenso  begünstigt, 
wird,  wie  durch  die  höhere  Temperatur.  W  e  h  m  e  r  selbst  versucht 
allerdings  eine  andere  Erklärung  dafür  zu  geben. 

Im  ganzen  genommen  entsprechen  also  die  Resultate  W  e  h  m  e  r  s 
denjenigen  Duclaux'.  Die  Oxalsäure  ist  ein  „produit  de  souf- 
france",  ein  Erzeugnis  mangelhafter  Ernährung. 

Die  Anhäufung  dieses  Stoffes  kann  eine  sehr  erhebliche  werden. 
So  fand  Wehmer  in  einem  Falle  auf  1,5  g  verbrauchten  Zuckers 

20%  im  Trockengewicht  der  Pilze 
55%  als  Oxalsäure, 
25%  als  Kohlensäure 

wieder.  Die  gewöhnliche  Kohlensäureatmung  zeigt  sich  also  im  wesent- 
lichen ersetzt  durch  eine  Oxalsäureatmung. 

Emmerling^)  hat  die  Oxalsäurebildung  des  Aspergillus  niger 
neuerdings  untersucht.  Er  fand  überhaupt  keine  bei  Züchtung  des 
Pilzes  auf  Kohlehydraten,  wohl  nur  deshalb,  weil  er  unter  möglichst 
günstigen  Wachstumsbedingungen  imtersuchte. 

In  welcher  Weise  die  Eiweißspaltung  durch  die  Fähigkeit  der 
Pilze,  Oxalsäure  anzuhäufen,  beeinflußt  wird,  werden  wir  §  172  sehen. 

§  123.  Vollständige  Verbrennung  der  Kohlehydrate,  Die 

Oxydation  der  Kohlenhydrate  zu  Kohlensäure  und  Wasser  nach  der 
Formel 

6)    CeHigOß  +  12  0  =  6  CO2  +  6  Bfi  (+  674  Kai.) 

kann  man  als  die  normale  Verbrennung  bezeichnen.   Sie  ist  es  bekannt- 


1)  Vgl.  auch  Ber.  bot.   Gesellsch.   1891.   163. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  274,   1903. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  393 

lieh  auch  bei  den  höheren  Organismen.  Unter  günstigen  Bedingungen 
finden  wir  sie  bei  den  allermeisten  aerob  lebenden  Mikroorganismen 
wieder.  Wie  sich  von  selbst  versteht,  wird  bei  dieser  vollständigen 
Verbrennung  mehr  Wärme  gebildet  als  bei  der  unvollständigen,  die  wir 
bisher  besprochen  haben.  Das  drückt  sich  darin  aus,  daß  die  Mikro- 
organismen mehr  Leibessubstanz  im  ersten  Falle 
aufbauen  können  als  im  letzteren.  So  fand  Weh  mer 
bei  dem  Aspergillus  niger  ein  Trockengewicht  von  28%  des  verbrauchten 
Zuckers,  wenn  er  den  Pilz  auf  Zuckerlösung  mit  Salmiakbeigabe 
züchtete,  ein  solches  von  20%  (s.  o.  S.  392),  wenn  er  das  salzsaure 
Ammon  durch  salpetersaures  ersetzte.  Hier  wurde  der  Zucker  wesent- 
lich zu  Oxalsäure  verbrannt,  dort  zu  Kohlensäure  und  Wasser.  Die 
bei  der  Oxydation  entwickelten  Wärmemengen  (674  und  493  Kai.) 
stehen  in  einem  ähnlichen  Verhältnis. 

Ungewiß  ist,  wie  der  Zerfall  des  Zuckermoleküls  vor  sich  geht. 
In  manchen  Fällen  entstehen,  wie  wir  gesehen,  als  Zwischenprodukte 
z.  B.  Oxalsäure  und  Zitronensäure.  Bei  Mikroorganismen,  die  imstande 
sind,  Spaltungsgärungen  des  Zuckers  zu  bewirken,  könnte  man  daran 
denken,  daß  die  Oxydation  erst  an  den  Spaltungsprodukten  einsetzt, 
z.  B.  bei  der  Hefe  am  Alkohol,  bei  Milchsäurebakterien  an  der  Milch- 
säure. Doch  fehlt  es  an  strengen  Beweisen  für  diese  Annahme.  Der 
Gegenbeweis  kann  sogar  hier  und  da  dadurch  geliefert  werden,  daß  die 
betreffenden  Mikroorganismen  nicht  imstande  sind,  ihre  Spaltungs- 
produkte zu  verbrennen.  Für  die  obigen  Beispiele  trifft  das  z.  B.  ge- 
wöhnlich zu.  Doch  braucht  es  kein  allgemein  gültiges  Gesetz  zu  sein. 
Ein  Beweis  dafür  ist  freilich  noch  nicht  die  Tatsache,  daß  auch  die 
sogenannte  intramolekulare  Atmung  der  höheren  Organismen  im 
wesentlichen  einer  alkoholischen  (oder  milchsauren)  Gärung  entspricht 
(vgl.  §  65  u.  85).  Die  Möglichkeit  ist  aber  deshalb  nicht  zu  leugnen, 
weil  es  ja  Mikroben  genug  gibt,  die  Alkohol  und  Milchsäure,  auch 
Buttersäure,  Bernsteinsäuie,  Ameisensäure  usw.,  wo  sie  als  Gärungs- 
erzeugnisse anderer  Mikroorganismen  erscheinen,  oxydieren  (Kap.  VII). 
So  könnte  sich  wohl  gelegentlich  die  Funktion  der  Spaltung  und  der 
Oxydation  in  ein  imd  demselben  Bakterium  vereinigt  vorfinden.  D  u  - 
c  1  a  u  X  ^)  hat  das  für  seinen  Amylobacter  butylicus  und  K  a  y  s  e  r  2) 
für  einige  seiner  Milchsäurebakterien  wahrscheinlich  gemacht.  Die 
ursprünglich  bei  diesen  Bakterien  durch  anaerobe  Tätigkeit  gebildeten 
Gärprodukte  (Essigsäure,  Buttersäure,  Butylalkohol,  Milchsäure)  neh- 
men später  bei  Zutritt  von  Sauerstoff  an  Menge  ab  und  verschwindei) 


1)  Annal.  Posteiir  18'.)"). 

2)  ElH^nda  1894,  s.  o.  S.    M 


394  Kap.  VI,   §  123. 

manchmal  ganz,  wie  man  wohl  annehmen  darf,  durch  Oxydation. 
Ganz  sicher  bewiesen  ist  die  Fähigkeit  der  Eurotiopis  Gayoni,  eines 
Schimmelpilzes,  den  Zucker  zu  Alkohol  zu  vergären  uind  den  Alkohol 
zu  Kohlensäure  und  Wasser  zu  verbrennen  (Laborde^),Maze  *)). 
Doch  ist  es  M  a  z  6  —  ebensowenig  wie  Stoklasa,  der  ähnliche 
Ansichten  vertritt')  —  trotz  aller  Bemühungen  nicht  gelungen,  nach- 
zuweisen, daß  der  Zucker  nun  stets  diesen  Umweg  über  den  Alkohol 
machen  muß,  bevor  er  oxydiert  oder  assimiliert  wird  (vgl.  auch  S.  389). 
Außer  den  schon  genannten  Stoffen  kommt  als  Zwischenprodukt 
auch  die  Essigsäure  in  Betracht.  Häufig  entsteht  sie  erst  auf 
dem  Umwege  über  den  Alkohol,  den  wir  bei  der  aeroben  Essi^ärung 
kennen  lernen  werden  (§  135),  andere  Male  aus  der  Milchsäure 
(s.  o.  Kays  er).  Aber  auch  der  Weg  über  das  Aldehyd  oder  die 
unmittelbare  Erzeugimg  wäre  denkbar  nach  den  Gleichungen: 

6a)  CeHigOe  +  40  =  2C2H4O  +  2H2O  +  2CO2  +  20  =  2C2H4O, 

+  2H2O+2CO,. 

Es  lohnte  sich  wohl,  bei  Mikroorganismen,  die  sowohl  Zucker  als  Essig- 
säure vollständig  verbrennen,  z.  B.  den  Mycoderma  cerevisiae*)  und 
Schimmelpilzen,  nach  diesen  Zwischenprodukten  zu  fahnden.  Ihre 
weitere  Verbrennung  zu  Kohlensäure  und  Wasser  ist  ohne  weiteres 
verständlich,  ebenso  das  Auftreten  von  Oxalsäure  als  Zwischenprodukt. 
Andere  Zwischenprodukte,  die  Glyzerose,  einen  Zucker  mit 
drei  Kohlenstoff  atomen,  und  den  Formaldehyd  hat  P  e  r  e  ^) 
bei  der  Oxydation  von  Hexosen  durch  mehrere  Arten  von  Heubazillen, 
den  Bac.  subtilis,  mesentericus  vulgatus  und  Tyrothrix  tenuis  entstehen 
sehen.  Um  den  Oxydationsprozeß  zu  studieren,  bediente  sich  Pere 
absichtlich  einer  Nährlösung,  die  nur  ein  wenig  lebhaftes  Wachstum 
gestattete  (10  g  Ammoniumphosphat,  5  g  Ammonsulfat,  2  g  KaUum- 
phosphat  auf  1000  aq  +  10%  Zucker).  Die  Destillation  der  Kulturen 
ergab  außer  fixer  und  flüchtiger  Säure,  auf  die  nicht  weiter  geachtet 
wurde,  eine  stark  reduzierende  und  linksdrehende  flüchtige  Substanz, 
die  als  Aldehyd  des  Glyzerins,  als  Glyzerose  COH .  CHOH .  CH^OH 
aufzufassen  ist.  Leider  fehlten  quantitative  Bestimmungen.  Da  es 
sich  aber  um  strenge  Aerobier  handelte,  dürfte  die  Gleichimg 

CeHigOe  +60=  C^Bfi^  +  3  CO^  +  3  H^O 

1)  Annal.  Pasteur  1897. 

2)  Ebenda  1902. 

3)  Vgl.  Kochs  Jahresber.  1905,  513.  Nach  S.  geht  die  Oxydation 
vom  Alkohol  weiter  über  die  Essigsäure  und  Ameisensäure  durch  Ver- 
mittlung der   „Acetolase*'   (§   135)  und   „Formilase". 

4)  Vgl.  B  e  i  j  e  r  i  n  c  k  ,  Zentr.  Bakt.    11.   68. 

5)  Annal.   Pasteur  1896,  417. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  395 

der  Reaktion  am  besten  entsprechen.  Als  bemerkenswertes  Neben- 
resultat ergab  sich,  daß  der  Bac.  subtilis  vorwiegend  die  Glykose  an- 
griff imd  in  einer  Saccharoselösung  die  Fruktose  ziurückließ,  während 
die  beiden  anderen  Bakterien  gerade  umgekehrt  wirkten  (vgl.  §  58). 
Im  Laufe  der  Kultur  verschwand  der  Zucker  vollständig  aus  der  Lösung 
and  später  auch  die  Glyzerose.  Dabei  trat  zuletzt  eine  Spur  von  Formal- 
dehyd auf,  die  ebenfalls  durch  die  Bakterien  verbrannt  wurde.  Auch 
bei  der  Oxydation  des  Mannits  und  Glyzerins  wurden  von  P  e  r  e 
dieselben  Zwischenprodukte  gefunden.  Wir  werden  später  sehen,  daß 
die  Oxydation  des  Glyzerins  durch  das  Sorbosebacterium  Bertrands 
einen  der  Glyzerose  isomeren  Körper,  das  Dioxyazeton,  ergibt  (§  132). 

Andere  Arbeiten  über  die  Umwandlung  der  Kohlenhydrate  durch 
Heabazillen  stimmen  nicht  ganz  mit  den  Ergebnissen  Peres  überein. 
So  konnte  Kalischer  ^)  als  Produkt  der  Zersetzung  der  Zucker- 
arten durch  ein  „peptonisierendes''  Milchbakterium  nur  Essigsäure 
und  Baldriansäure  ^)  nachweisen,  die  wahrscheinlich  daneben 
gebildete  Kohlensäure  wurde  freilich  nicht  bestimmt.  Milchzucker 
wurde  bei  der  Zersetzung  nicht  hydrolytisch  gespalten,  wohl  Rohr- 
zucker. Ein  bemerkenswerter  Unterschied  zeigte  sich  in  dem  Ver- 
halten des  Bakteriums  gegenüber  Traubenzucker  und  Rohrzucker: 
Während  es  auf  den  übrigen  zuckerhaltigen  Nährböden  nur  oberfläch- 
liche Wucherungen  (Decken)  bildete,  wuchs  es  in  Traubenzucker- 
bouillon  auch  in  der  Tiefe  und  trübte  sie  gleichmäßig.  Das  würde 
dafür  sprechen,  daß  der  Bazillus  bei  (Jegenwart  von  Traubenzucker 
auch  (unter  Gränmg?)  anaerob,  sonst  nur  aerob  zu  gedeihen  vermochte. 
Aus  Glyzerin  und  Milchsäure  entstanden  dieselben  Produkte  wie  aus 
den  Kohlenhydraten. 

In  einer  neueren  Untersuchung  fand  Desmots^),  daß  ver- 
schiedene Arten  von  Kartoffelbazillen  ebenso  wie  der  typische  Heu- 
bazillus und  die  T3rrothrix  tenuis  Zucker,  Stärke,  Mannit  und  Glyzerin 
bei  Gegenwart  von  Kalziumkarbonat  zwar  langsam,  aber  vollständig 
aufzehrten.  Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  Verbrennung,  bei  der 
als  Nebenprodukte  Essigsäure  und  Baldriansäure,  femer  Spuren  von 
Alkohol  und  eine  flüchtige  Substanz,  die  in  Kälte  Fehlingsche  Lösung 
reduzierte,  das  Azetylmethylkarbinol  C4H8O2  auftraten  (vgl.  §  110). 
Ob  der  Oxydation  Spaltungen,  vergleichbar  den  Gärungen,  vorhergehen, 
oder  ob  sie  wenigstens  teilweise  direkt  erfolgt,  muß  dahingestellt  bleiben. 


1)  Areh.  f.  Hyg.  37.   1900. 

2)  Ob  diese  aus  dem  Zucker  stammt,  ist  doch  wohl  noch  zweifelhaft. 
Immerhin  soll  Baldriansäure  auch  aus  einer  Vergärung  der  Milchsäure 
hervorgehen  (§  142).    Über  die  Entstehung  aus  Eiweiß  vgl.   §  168  ff. 

3)  Compt.  rend.  ao.  sc.   138.  581,   1904. 


396  Kap.  VI,   §  123  u.   124. 

Jedenfalls  werden  die  Säuren  so  langsam  gebildet,  daß  sie  durch  das 
gleichzeitig  aus  der  Eiweißzersetzung  hervorgehende  Ammoniak  neu- 
tralisiert werden,  eine  saure  Reaktion  also  in  der  Nährfliissigkeit  höch- 
stens vorübergehend  auftritt. 

Wo  man  hinsieht,  trifft  man  also  auf  spezifische  oxy- 
dierende Eigenschaften  der  einzelnen  auf  den  Luftsauer- 
stoff angewiesenen  Organismen,  ebenso  wie  man  spezifische  Gär- 
funktionen (§  84 — 117)  bei  den  strengen  oder  gelegentlichen  Anaerobiern 
findet.  Mit  einer  gleichen  „oxydierenden  Kraft"  des  lebenden  Proto- 
plasmas ist  es  offenbar  nicht  getan. 

Alle  Kohlenhydrate,  einschließlich  der  Polysaccharide,  die  Hexosen 
sowohl  wie  die  Pentosen,  Tetrosen  usw.  scheinen  der  Oxydation  der 
Mikroorganismen  verfallen  zu  können,  während  sie  den  Spaltungs- 
prozessen, wie  wir  gesehen  haben,  sehr  imgleichmäßig  unterliegen. 
Die  Hexosen  haben  freilich  auch  hier  im  allgemeinen  den  Vorrang. 
Doch  kommen  Ausnahmen  vor.  So  sollen  nach  Krüger  und  Schnei- 
d  e  w  i  n  d  ^)  die  denitrifizierenden  Mikroorganismen  ihre  zerstörende 
Tätigkeit  in  bedeutend  größerem  Maße  ausüben,  wenn  ihnen  Pento- 
s  a  n  e ,  als  wenn  ihnen  Traubenzucker  oder  Mannit  zur  Verfügung 
stehen  (§  198). 

Ebenso  soll  auch  die  Zellulose  nach  vaniterson*)  durch 
denitrifizierende  Bakterien,  deren  Reinkultur  allerdings  nicht  gelang, 
also  durch  den  gebundenen  Sauerstoff  des  Salpeters  zur  Auflösung  ge- 
bracht werden.  Dabei  bilden  sich  große  Mengen  von  Gasen,  die  aus- 
schließlich Stickstoff  und  Kohlensäure,  keine  Spur  von  Wasserstoff 
Sumpfgas  oder  Stickoxydul  enthalten.  Der  Prozeß  stellt  sich  bei 
Sauerstoffabschluß  ein,  wenn  man  Papier,  Flachsfasern,  Watte  oder 
Leinwand  mit  einer  Lösung  von  0,25  prozentigen  Kaliunmitrat  und 
0,05  Kaliumsphosphat  übergießt  und  mit  Kanalwasser  und  etwas 
Moder  impft.  Zunächst  färben  sich  die  Fasern  goldig,  verschwinden 
aber  allmählich  vollständig,  wenn  man  ab  und  zu  für  Ersatz  der  nitrat- 
haltigen  Nährlösung  sorgt.  So  konnte  vanitersonim  Laufe  eines 
Monats  8  g  Zellulose  durch  36  g  Kaliumnitrat  zur  Auflösung  bringen. 
Die  darin  enthaltene  Sauerstoffmenge  genügt  reichlich  zur  voll- 
ständigen Oxydation  der  Zellulose.  Welche  Zwischenprodukte  dabei 
entstehen,  und  ob  eine  Lösung  des  Zellstoffs  durch  ein  hydrolytisches 
Enzym  (§  76)  vorhergeht,  ist  imbekannt.  Holz  und  Torf  wider- 
steht dieser  Zersetzung,  wie  es  scheint,  ebenso 
wieder    Sumpfgasgärung. 


1)  Land\Aartsch.   Jalirb.  28  und  29. 

2)  Verh.  kon.  Akad.  Weetensch.  1903,  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  11.  690. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  397 

Weniger  kräftig  ist  die  Oxydation  der  Zellulose  durch  den  freien 
Sauerstoff  der  Luft.  Daß  sie  aber  stattfindet,  und  zwar  in  schwach 
alkalischen  Nährlösungen  durch  Bakterien,  in  sauren  durch  Schimmel- 
pilze, hat  ebenfalls  van  Iterson  bewiesen.  Man  nimmt  dazu  im 
ersteren  Falle  am  besten  eine  Lösung  von  0,1%  Chloranmionium  (oder 
Ealiumnitrat,  -nitrit,  Magnesiumammoniumphosphat)  und  0,05% 
Ealiumphosphat,  der  man  noch  etwas  Kreide  und  Stückchen  Papier 
oder  Leinwand  beigibt  und  impft  wieder  mit  Grabenmoder  oder  der- 
gleichen. Nach  einigen  Tagen  erscheinen  auf  dem  Papier  gelbbraune 
Flecken,  die  sich  schnell  ausbreiten.  Die  Zellulosefasem  verschwinden 
schließlich  in  einem  Bakterienschleim.  Van  Iterson  sieht  als 
Erreger  des  Prozesses  vornehmlich  einen  Bac.  ferrugineus  an.  Daneben 
finden  sich  in  großer  Menge  Spirillen,  die  aber  die  Zellulose  nicht  an- 
greifen. Eine  ähnliche  Zersetzung  erhält  man  durch  Schimmelpilze, 
wenn  man  das  alkalische  (sekundäre)  Kaliumphosphat  durch  das  saure 
(primäre)  ersetzt.  Van  Iterson  züchtete  15  verschiedene  Arten, 
unter  anderem  Mycogone  puccinioides  imd  Botrytis  vulgaris.  Auch 
sie  bringen  die  Zellulose,  und  zwar,  wie  es  scheint,  durch  Ausscheidung 
eines  Enzyms  (vgl.  §  76)  und  nachfolgende  Oxydation  langsam  zum 
Verschwinden.  Gleichzeitig  entstehen  gewöhnlich  dunkle  humus* 
artige  Pigmente.  Über  deren  eigentUche  Natur  und  Ent- 
stehungsart fehlen  aber  genaue  Untersuchimgen,  so  notwendig  sie  auch 
wären,  um  das  Problem  der  Humusbildung  zu  lösen.  Von  vornherein 
ist  nicht  anzunehmen,  daß  eine  einfache  Oxydation  von  Kohlehydraten 
dabei  eine  Rolle  spiele,  denn  die  chemische  Zusammensetzung  der 
Hiuninsubstanzen  unterscheidet  sich  von  der  der  Kohlehydrate  im  wesent- 
lichen dadurch,  daß  die  ersteren  mehr  Kohlenstoff  enthalten  als  die 
letzteren.  Das  Verhältnis  des  Wasserstoffs  und  Sauerstoffs  ist  in  beiden 
annähernd  das  gleiche.  Wir  haben  schon  früher  davon  gesprochen 
(§  118). 

§  124.  Reduktion  der  Kohlenhydrate :  Mannitgärung.  Nach 
den  Oxydationen  der  Kohlenhydrate  kommen  wir  zu  den  Reduktions- 
prozessen, denen  sie  verfallen.  Die  teilweisen  Reduktionen,  die  aller- 
dings mit  Oxydationen  zugleich  bei  der  Spaltung  des  Zuckermoleküls 
eintreten,  haben  wir  schon  bei  der  Alkohol-,  Glyzerin-,  Wasserstoff-, 
Buttersäure-  und  Sumpfgasgärung  kennen  gelernt;  die  genannten 
Körper  enthalten  in  der  Tat  im  Verhältnis  mehr  Wasserstoff  und 
weniger  Sauerstoff  als  der  Zucker  und  sind  aus  diesem  teils  durch 
einfache  Abspaltung  von  Kohlensäure,  teils  durch  Aufnahme  von 
Wasserstoff  aus  dem  Molekül  HgO  und  nachfolgender  Abspaltung  von 
Kohlensäure  usw.  entstanden  zu  denken.  Scheinbar  aus  dem  Rahmen 
dieser  Reaktionen  heraus  fällt  die  Bildung  des  Mannits  0^11^40«  aus 


398  Kap.  VI,   §  124. 

Zucker  C^HijO^.  Sie  macht  den  Eindruck  einer  einfachen  Reduktion, 
d.  h.  einer  Wasserstoffaufnahme  in  das  Zuckermolekül.  Bekannt  ist 
die  Entstehung  von  Mannit  durch  Gärung  schon  sehr  lange.  Fe- 
lo u  z  e  ^)  hat  im  Jahre  1833  gezeigt,  daß  der  Bunkelrübensaft,  in  wel- 
chem frisch  ausgepreßt  kein  Mannit,  sondern  nichts  als  Rohrzucker 
enthalten  ist,  umgekehrt  außer  Schleim  nichts  als  Mannit  und  Milch- 
säure enthält,  sobald  er  die  schleimige  Gärung  erlitten  hat.  Von  dieser 
schleimigen  Mannitgärung,  die  auch  im  Weine  vorkommt,  werden 
wir  später  sprechen  (§  125).  Die  reine  Mannitgärung  ist  ebenfalls 
aus  dem  Wein  bekannt.  Grefimden  wurde  der  Mannit  zuerst  von  C  a  r  - 
1  e  s  ^)  vor  allem  in  algerischen  Weinen  und  sein  Auftreten  durch  das 
Verschneiden  des  Mostes  mit  Feigensaft,  in  dem  er  inmier  reichlich 
vorkommt,  erklärt.  J  e  g  o  u  ^)  und  R  o  o  s  ^)  deuteten  dann  die 
Bildung  als  krankhaft  und  führten  sie  auf  Bakterien  zurück.  In  süd- 
lichen Gegenden  scheint  die  Gärung  deshalb  besonders  häufig  zu  sein, 
weil  hohe  Temperaturen  und  starker  Zuckergehalt  des  Weins  das 
Überwuchern  ihres  Erregers  begünstigen.  Die  genaue  Beschreibung, 
die  G  a  7  o  n  und  Dubourg^)  von  dem  „Bac.  manniticus^'  lieferten, 
läßt  keinen  Zweifel  an  seiner  ursächlichen  Bedeutung  zu. 

Die  mustergültige  Arbeit  dieser  Forscher,  deren  Hauptergebnisse 
Laborde^)  für  ähnliche  ketten-  bzw.  fadenbildende  Bazillen  aus 
,, umgeschlagenem''  Wein  bestätigte,  haben  wir  schon  bei  der  Milch- 
säuregänmg  erwähnt.  Die  Tabelle  auf  S.  291  zeigte  uns,  daß  bei  der 
Vergärimg  der  Glykose,  Galaktose  und  Saccharose  viel  Alkohol, 
Kohlensäure  und  Milchsäure,  beträchtliche  Mengen  von  Glyzerin 
und  Essigsäure,  und  Spuren  von  Bemsteinsäure  entstehen.  Mannose, 
Sorbose,  Maltose  und  Laktose  und  das  Trisaccharid  Raffinose  vergären 
ähnlich,  ein  anderes  Disaccharid  die  Trehalose  gar  nicht;  Xylose,  eine 
Pentose,  gibt  fast  ausschließlich  Milch-  und  Essigsäure,  nur  Spuren 
von  Alkohol  und  Kohlensäure.  Andere  Fentosen  (Arabinose), 
Polysaccharide  (Dextrine,  Stärke,  Glykogen,  Gummi)  femer  die 
Alkohole  (Mannit,  Dulzit,  Sorbit,  Erythrit,  Glyzerin,  Äthylalkohol), 
Säuren  (Milchsäure,  Bernstein-,  Äpfel-,  Wein-  und  Zitronensäure)  und 
Glykoside  werden  gar  nicht  angegriffen. 

1)  Annal.  chim.  phys.  52. 

2)  Compt.  rend.   112.   811,   1891. 

3)  Kochs  Jahresber.   1893.   152. 

4)  Ebenda. 

5)  Annal.  Pasteur  1894  und  1901. 

6)  Compt.  rend.  ac.  sc.  138.  228,  1904.  Die  Bezeichnung  „umge- 
schlagener" Wein  (vin  tournö  oder  pouss6)  wird  übrigens  auf  sehr  ver- 
schiedene Zustände  angewendet  (vgl.  §  95).  Nach  L  a  b  o  r  d  e  sollen  die 
Mannitbildner  aber  identisch  sein  mit  den  Weinsäure  vergärenden  (§  147). 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate. 


399 


Eine  Ausnahme  unter  den  Zuckern  macht  nur  die  Fruktose. 
Sic  vergärt  unter  Bildung  von 


58—72%  Mannit, 
13—16%  Essigsäure, 
10—15%  Milchsäure, 
6 — 12%  Kohlensäure, 
etwa  0,6%  Bemsteinsäure, 
0,9—1,5%  Glyzerin. 


Alkohol,  der  bei  der  Vergärung  der  übrigen  Zucker  durch  den  Bac. 
manniticus  ein  Haupterzeugnis  ausmacht,  fehlt  hier  vollständig,  Kohlen- 
saare und  Glyzerin,  aber  auch  Milchsäure  werden  viel  weniger  gebildet, 
Wasserstoff  fehlt  in  beiden  Fällen.  Man  sieht,  welchen  bedeu- 
tenden Einfluß  wieder  die  Konfiguration  des 
Zuckermoleküls  auf  den  Verlauf  der  Gärung  hat: 
nur  die  Ketohexose  Fruktose  wird  zu  Mannit  reduziert,  die  nah- 
verwandten  Aldohexosen  Glykose  und  Mannose  nicht. 


COH 

CHjOH 

CHjOH 

COH 

HCOH 

HOCH 

CO 

HOCH 

HOCH 

HOCH 

HOCH 

HOCH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

CHjOH 

CHjOH 

CHjjOH 

CHjjOH 

d-Glykose 

d-Mannit 

d-Fniktose 

d-Mannose 

Aber  aach  eine  zweite  Ketohexose,  die  Sorbose,  wird  nicht  etwa  zu 
Sorbit  verwandelt,  wie  man  bei  ihrem  ähnlichen  Bau  denken  könnte: 


CHgOH 
CO 
HOCH 

HCOH 
HOCH 
CHjOH 
d- Sorbose 


CHjOH 
HOCH 
HOCH 

HCOH 
HOCH 
CHjOH 
d-Sorbit. 


Selbstverständlich  gibt  der  Invertzucker,  der  aus  einem  Ge- 
misch von  Glykose  und  Fruktose  besteht,  bei  der  Vergärung  ebenfalls 
Mannit  und  daneben  Alkohol,  aber  die  Saccharose,  aus  der  er  durch 
Inversion  hervoi^ht,  und  die  Baffinose,  die  bei  der  vollständigen 
Hydrolyse  in  Fruktose,  Glykose  und  Galaktose  zerfällt,  geben^beide 
keinen  Mannit,  sondern  Alkohol.  Der  Schluß  ist  also  unabweisbar,  daß 
der  Bac.  manniticus  die  genannten  Zuckerarten  nicht  erst  hydrolysiert. 


400  Kap.  VI,   §  124. 

also  keine  Enzyme,  die  der  Invertase  und  Raffi- 
nase  entsprechen,  e  rz  e  ugt,  sondern  sie  unmittel- 
bar vergärt. 

Die  Essig-  und  Milchsäure  entstehen  bei  der  Mannitgärung  wahr- 
scheinlich durch  einfache  Spaltung  nach  den  bekannten  Gleichungen 
(vgl.  §  98) 

CeHiA  =  3C2H4O2  (+  34  Kai.) 

CeHi20e=2C3He03(+15Kal.) 

Die  Bildung  des  Mannits  und  der  Kohlensäure  wird  durch  die  empirische 
Gleichung 

1)    ISCeHigO«  +  6H2O  =  12CeHi40e  +  öCOg  (+  141  Kai.) 

wiedergegeben.  Statt  dieser  sehr  verwickelten  Formel  kann  man  auch 
die  folgenden  benutzen,  die  die  Reaktion  in  zwei  Absätzen  verlaufen 
lassen:  zuerst  entsteht  durch  Spaltung  des  Zuckermoleküls  Kohlen- 
säure und  Wasserstoff  nach  der  ims  schon  bekannten  Gleichung  der 
Wasserstoffgärung : 

la)    CeHjgOe  +  GHgO  =  öCOg  +  12  H^  (—  145  Kai). 

Dann  wird  der  Wasserstoff  zur  Reduktion  des  Zuckers  verbraucht: 

Ib)    12  (CeHiA  +  H2)  =  12  CeHi^Oe  {+  286  Kai.). 

Sollte  die  Reaktion  wirklich  in  dieser  Weise  erfolgen,  so  müßte  man 
sich  vorstellen,  daß  sämtlicher  Wasserstoff,  der  aus  der  Spaltung 
la  entstünde,  sofort  von  dem  reduzierenden  Enzym  in  Beschlag  ge- 
nommen und  an  Zuckermoleküle  festgelegt  würde,  da  ja  Wasserstoff 
nicht  unter  den  frei  werdenden  Gasen  erscheint. 

Wie  man  aus  den  beigefügten  Reaktionswärmen  sieht,  ver- 
läuft dieMannitbildung  aus  Zucker  mit  kräftiger 
Wärmeentwicklung  ungleich  anderen  Reduktionen  und  Syn- 
thesen, bei  denen  Wärme  gebunden  zu  werden  pflegt. 

Auf  die  Ähnlichkeit  der  Mannit-  mit  der  Glyzerinbildung  durch  den 
Bac.  manniticus  wurde  schon  S.  328  hingewiesen.  Die  für  die  letztere 
aufgestellte  Gleichung 

2)    7  CeHigOg  +  6  Rfi  =  12  CgH^Og  +  6  COg  (—  50  Kai.) 

läßt  sich  ebenfalls  in  zwei 

2a)    CeHigOe  +  GHgO  =  6CO2  +  12  H^  (—  147  Kal.^)) 

2b)    6  (CeH^^Oe  +  2 H^)  =  6  (2  C3H3O3)  (+  97  Kai.) 


1)  Die  Kalorienzahl  ist  hier  etwas  verschieden  von  der  bei  la,  weil 
die  Glykose  eine  andere  Verbrennungswärnie  hat,  als  die  Fruktose. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  401 

zerlegen.  Die  Gesamtzersetzung  erfolgt  hier  freilich  unter  Wärme- 
bindung. Da  aber  nebenher  kräftige  exotherme  Zersetzungen  —  die 
Essig-,  Milchsäure-  und  Alkoholgärung  —  verlaufen,  bleibt  schließlich 
doch  noch  ein  großer  Wärmeüberschuß. 

Wie  haben  wir  uns  nun  den  Unterschied  in  dem  Verhalten  des  Bac. 
manniticns  gegenüber  der  Fruktose  einerseits  imd  den  übrigen  Zucker- 
arten  andererseits  zu  erklären?  Ist  es  ein  und  dasselbe  £nz}mi,  das 
dort  Mannit,  hier  Alkohol  und  Glyzerin  erzeugt  ?  Hängt  Alkohol-  und 
Glyzerinentstehung  überhaupt  zusammen?  Ist  das  Alkoholenzym  mit 
der  Zymase  der  Hefe  identisch  ?  Nur  die  letzteren  beiden  Fragen  lassen 
sich  mit  einiger  Wahrscheinlichkeit  beantworten.  Auch  bei  der  Ver- 
gärung der  Fruktose  entsteht  Glyzerin,  wenn  auch  in  kleinen  Mengen, 
dagegen  kein  Alkohol.  Auch  sonst  wechselt  das  Mengenverhältnis 
zwischen  Alkohol  und  Glyzerin  zu  sehr,  als  daß  man  an  einen  Zu- 
sammenhang beider  denken  könnte  (vgL  S.  291).  Das  Alkoholferment 
des  Bac,  manniticus  kann  auch  nicht  mit  der  Zymase  identisch  sein, 
denn  durch  die  Zymase  wird  Fruktose  fast  gleich  leicht  in  Alkohol 
und  Kohlensäure  gespalten,  wie  die  Glykose,  während  bei  der  Ver- 
gärung der  Fruktose  durch  den  Bac.  manniticus  überhaupt  kein  Alkohol 
gebildet  wird.  Am  einfachsten  ist  immer  noch  die  Annahme,  daß  die 
Zellen  unseres  Bazillus  mit  verschiedenen  für  die  ein- 
zelnen Prozesse  spezifischen  Enzymen  ausge- 
rüstet sind.  Je  nach  der  Beschaffenheit  des  Gärmaterials  tritt  das 
eine  oder  andere  in  Wirksamkeit. 

Von  anderen  Bakterien  kommen  als  kräftige  Mannitbildner  — 
abgesehen  von  den  schleimbildenden,  die  wir  gleich  besprechen  werden 
—  noch  gewisse  Milchsäurebakterien  in  Betracht,  die  Beijerinck^) 
als  „Laktobazillen"  bezeichnet  und  in  die  Nähe  des  Bac.  Delbrückii 
stellt  (§  97).  Auch  diese  bilden  Mannit  nur  aus  Fruktose.  Wahrschein- 
lich ist  auch  der  Bac.  manniticus  von  G  a  y  o  n  und  D  u  b  o  u  r  g  ein 
Verwandter  derselben.  Vielleicht  gehören  auch  die  Milchsäurebakterien 
des  kranken  Obstweins  hierher,  die  nach  Müller-Thur- 
g  a  u  2)  ebenfalls  aus  dem  Fruchtzucker  Mannit  hervorbringen.  Gewisse 
Mengen  von  Mannit  werden  übrigens  nach  Beijerinck  und  K  a  y  - 
5  e  r ')  auch  von  manchen  Milchsäurestreptokokken  (Beijerincks 
Laktokokken  §  97),  imd  zwar  aus  Fruktose,  Invertzucker  und  Saccha- 
rose gebildet:  Anscheinend  wird  hier  ein  invertierendes  Enzym  ge- 
bildet, denn  die  Rohrzuckerkulturen  wirken  stark  reduzierend. 


1)  Arch.  n^^rland.   1901   und  Zeitschr.  f.  Spiritusind.   1901. 

2)  Landwirtsch.  Jahrb.  Schweiz  1907,  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.  155. 

3)  Kochs  Jahresber.   1904.  320. 

Krage,  Mikrobiologie.  26 


402  Kap.  VI.   §  125  —   127. 

§  125.  Schleimige  Mannitgärung.  Erwähnt  wurde  schon 
S.  398,  daß  bei  der  „schleimigen  Gärung''  des  Runkelrübensaftes 
zuerst  P  e  1  o  u  z  e  Mannit,  Milchsäure  und  Schleim  gefunden  hat. 
K  i  r  c  h  e  r  1)  studierte  bald  darauf  denselben  Vorgang  und  Bt«llte 
aus  38  Pfund  Rimkelrüben  46  g  Mannit  nebst  einem  Schleim  von  der 
Zusammensetzung  des  arabischen  Gummis  dar  (vgl.  §  128).  P  a  s  t  e  u  r^) 
sah  einen  ähnlichen  Prozeß  in  krankem  Wein  und  führte  auch  diese 
Gärung  auf  Bakterien  (eine  Art  von  Streptokokken?)  zurück.  Durch 
ihre  Übertragung  sollte  sich  die  Krankheit  im  Wein  künstlich  hervor- 
rufen lassen.  Der  Traubenzucker  würde  dabei  in  Wasser,  Kohlensäure, 
Mannit  und  Gummi  übergeführt,  etwa  entsprechend  der  Formel: 

25CeHi20e  =  12CeHio05  +  12CeHi,0e  +  6C0,  +  GH^O 

Gummi  Mannit 

Diese  Gleichung  ist  leicht  auf  die  früher  (in  §  124)  besprochene  zurück- 
zuführen. Etwas  Mannit  bildet  auch  der  Bac.  viscosus  vini  Krämers^) 
der  aber  zu  den  fadenbildenden  Stäbchen  gehört.  Neuere  Unter- 
suchungen und  Beinkulturen  aller  dieser  Bakterien  fehlen.  Indessen 
isolierte  H  a  p  p  ^)  aus  Digitalis-  und  Senegaabkochungen  einen  B  a  - 
cillus  gummosus  und  Micrococcus  gummosus,  die 
ß,us  Rohrzucker  oder  auch  aus  Maltose  Schleim  neben  Mannit,  Milch- 
säure, Buttersäure  und  Kohlensäure  erzeugen.  Peglion*)  beschrieb 
femer  aus  kranken  Weinen  einen  Bazillus,  der  aus  Most  mit  Bouillon- 
zusatz  bei  Sauerstoffabschluß  Mannit,  Gas,  Butter-,  Essig-,  Propion- 
und  Milchsäure  und  etwas  Schleim  bilden,  bei  Sauerstoffzutritt  aber 
auch  den  Alkohol  zu  Essigsäure  oxydieren  soll.  Für  manche  Fälle 
scheint  es  also  bewiesen,  daß  Schleim-,  Mannit-  und  andere  Gänmgen 
demselben  Bakterium  zukommen  können. 

Ob  in  allen  Fällen  der  Mannit  nur  aus  der  Fruktose  hervorgeht 
(§  124),  wäre  nach  diesen  Angaben  zu  bezweifeln. 

§  126.  Mannitbildimg  durch  Schimmelpilze.  W^ie  bei  höhe- 
ren Pflanzen,  so  ist  auch  in  den  Zellen  von  Pilzen  der  Mannit  sehr  ver- 
breitet®), so  bei  vielen  eßbaren  Pilzen,  ferner  im  Sklerotium  des  Mutter- 
korns.   Nach  M  ü  n  t  z  ')  kommt  er  auch  im  Penicillium  glaucum  vor 

1)  Annal.  Chem.  Pharm.  31.  337,   1839. 

2)  Bull.  soc.  chim.  61.  30  (nach  E  m  m  e  r  1  i  n  g),  vgl.  auch  Etudes 
8ur  le  vin,  1866. 

3)  Zentr.  Bakt.  8.  77,   1890. 

4)  Bakt.  u.  ehem.  Untersuchg.  über  schleimige  Gärung.  Basel  1893 
(Arbeiten  d.  bakteriol.  Inst.  Karlsruhe). 

5)  Vgl.  Zopf,  Pilze  S.   125. 

6)  Ebenda. 

7)  Compt.  rend.   79.   1182  Arch.  chim.  phys.  5.  s^r.  8.  61. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrat«.  403 

und  zwar  bei  Emährnng  mit  Stärke,  Traubenzucker  und  Weinsäure. 
Es  muß  also  eine  Sjmthese  des  Mannits  aus  Zucker  oder  letzterem 
Stoffe  stattfinden.  Man  hat  kaum  Grund  für  die  Annahme,  daß  der 
Aufbau  aus  dem  Zucker  auf  einem  anderen  Wege  erfolge  als  bei  der 
Mannitgärung,  die  wir  eben  besprachen.  Derselbe  Autor  vermißte 
Mannit  im  Körper  von  Mucorarten  und  fand  statt  dessen  Trehalose, 
ein  Disaccharid.  Es  scheint  also  Mannit  Zucker  vertreten  zu  können 
(vgl.  S.  83). 

§  127.  Aufbau  von  Disacchariden  und  Polysacchariden 
aus  Hexosen  und  Pentosen.  Wie  die  Mikroorganismen  imstande 
sind,  die  Polysaccharide  Zellulose,  Stärke,  Gummi  zu  verflüssigen  und  zu 
verzuckern,  so  können  sie  umgekehrt  Zucker  zu  Poljrsacchariden  ver- 
dichten. Dort  haben  wir  es  mit  Depolymerisierung  und  hydrolytischer 
Spaltung,  kurz,  mit  dem  Abbau  komplizierter  Moleküle,  hier  mit 
Anhydridbildung,  Polymerisierung,  wenn  man  will  mit  Synthesen 
einfachster  Art  zu  tun  (S.  204).  Der  Energieaufwand,  der  dazu 
gehört,  ist  freilich  ein  recht  geringer,  kaum  meßbarer.  So  würden 
nach  Stohmann  und  Langbein^)  beim  Aufbau  der  Maltose 
aus  Glykose  nur  3,3  Kai.  verschwinden : 

2  CeHi^Oe  -  H^O  =  C^^H^gO,!  (-  3,3  Kai.). 

Etwas  weniger  (3,1  Kai.)  erfordert  die  Entstehung  des  Bohrzuckers 
aus  Glykose  undLaevidose^),  etwas  mehr  (7,8  Kai.)  die  des  Milchzuckers 
aus  Glykose  und  Galaktose. 

Beim  Aufbau  der  Stärke  aus  Maltose  für  jedes  Zuckermolekül 
werden  4,3  Kai. 

|-  (CieH^^Oa  -  H^O)  =  (C^HioOs),  (-4,3  Kai.)  ^ 

beim  Aufbau  der  Zellulose  aus  Glykose  ebenfalls  4,3  Kai.  gebunden 

y  (CgHiA  -HjO)  =  (C,HioOs)y  (-  4,3  Kai.)  y. 

Merkwürdigerweise  findet  Stohmann,  daß  bei  der  Synthese  des 
Dextrans,  einer  Gummiart,  Wärme  frei  wird: 

z  (CeHiA  -  H^O)  =  (CeHioOs),  (+  7,7  Kai.)  z. 

Alle  diese  Wärmebestimmimgen  sind  freilich  mit  Vorsicht  aufzunehmen, 
da  die  Ausschläge  teilweise  innerhalb  der  Fehlergrenze  liegen. 

In  manchen  Fällen  erscheint  das  Umwandlungsprodukt  des  Zuckers 
nur  innerhalb  der  Zelle,  in  anderen  als  Bestandteil  der  M  e  m  - 


1)  Joum.  prakt.  Chem.  45.  322  ff . 

2)  Unmittelbar  —  im  Kalorimeter  —  bestimmte  R  u  b  n  e  r  die  Tn- 
vmionBwärme  zu  3,1  Kai.  (vgl.   §  237). 

26* 


404  Kap.  VI.   §  127  u.   128. 

b  r  a  n  (Zellulose),  in  wieder  anderen  als  Ausscheidung  der 
Zellen,  sie  entweder  hüllenartig  umgebend  oder  frei  in  der  Nährflüssig- 
keit. Im  letzteren  Falle  spricht  man  häufig  von  „Gärung".  Doch  liegt, 
keine  Veranlassung  vor,  alle  diese  Vorgänge  für  wesentlich  verschieden 
zu  halten.  Gärung  und  Neubildung  von  Zellsubstanz 
gehen  ineinander  über.  Beides  sind  wahrscheinlich  enzyma- 
tische  Prozesse,  wenn  das  auch  bisher  nur  ausnahmsweise  (§  130)  nach- 
gewiesen ist.  Man  darf  sich  nicht  dadurch  täuschen  lassen,  daß  andere 
Stoffe,  wie  Milchsäure,  Essigsäure,  Buttersäure,  Bemsteinsäure,  Alkohol, 
Wasserstoff  und  Kohlensäure  nebenher  entstehen.  Sie  verdanken  ihren 
Ursprung,  wie  wir  in  den  vorhergehenden  Abschnitten  gesehen  haben, 
anderen  Gärungen,  die  wohl  nur  indirekt  mit  der  Bildung  von  Zellu- 
lose, Stärke  und  Gummi  zusammenhängen,  indem  sie  unter  anaeroben 
Wachstumsbedingungen  die  für  den  Aufbau  dieser  Substanzen  nötige 
Energie  liefern,  also  nur  dieselbe  Aufgabe  erfüllen,  die  den  Oxydationen, 
der  sogenannten  Atmimg,  unter  aeroben  Bedingungen  zufällt. 

Ein  praktisch  wichtiger,  aber  für  die  Auffassung  der  Dinge  gleich- 
gültiger Unterschied  besteht  darin,  daß  die  Stoffumwandlungen  in 
sehr  imgleichem  Umfange  auftreten.  So  kann  Schleim  oder  Zellulose 
in  solcher  Menge  gebildet  werden,  daß  die  Kulturflüssigkeit  zu  einer 
Gallerte  erstarrt,  der  Sprachgebrauch  heißt  das  gerade  Gärung.  Kann 
man  den  Schleim  nur  mikroskopisch,  die  Zellulose  nur  mikrochemisch 
nachweisen,  so  fällt  es  niemandem  ein,  diese  Stoffe  als  Gärprodukte 
zu  bezeichnen,  xmd  doch  haben  sie  denselben  Ursprung.  Wir  werden 
im  folgenden  die  extrazellular  oder  in  Gestalt  von  Hüllen  auftretenden 
Bakterienschleime  besprechen  und  erst  später  (§  130)  die  intra-  und 
extrazellularen  Anhäufungen   von  Zellulose   und  Stärke   behandeln. 

§  128.  Gummi-  oder  Schleimgärungen.  Reichliche  Schleim- 
bildung wird  bei  sehr  vielen  Bakterien  beobachtet.  Wir  geben  im 
folgenden  eine  Liste  der  hauptsächlichsten  Formen.  Genauere  chemische 
Untersuchungen  über  die  Zusammensetzimg  und  den  Ursprung  des 
Schleims  liegen  nicht  wenige  vor,  wir  besprechen  sie  nachher  im 
Zusammenhang  (§129). 

Auf  fast  allen  in  der  Natur  oder  im  Gewerbe  vorkommenden 
zuckerhaltigen  Stoffen  tritt  gelegentlich  Schleimbildung  im  Gefolge 
von  Bakterienwucherung  auf. 

Im  Wein  (vgl.  §  95),  besonders  im  weißen,  ist  eine  Krankheit 
schon  lange  bekannt,  bei  der  der  Wein  zu  einer  öligen,  f^enziehenden 
Flüssigkeit  wird.  P  a  s  t  e  u  r  ^)  beschrieb  einen  streptokokkenähnlichen 
Organismus  als  Erreger,  den  späteren  sogenannten  Micrococcus 


1)  Etudes  sur  le  vin  1866.  62. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  405 

vi  SCO  SU  8.  Bei  der  Mannitgärung  (S.  402)  war  schon  von  ihm  die 
Rede.  N  e  ß  1  e  r  ^)  fand  andere  Kokken  als  Erreger,  ohne  sie  weiter 
zu  untersuchen.  Auch  Krämers^)  Bac.  viscosus  vini  ist 
noch  keine  sichere  Reinkultur. 

Würze  und  Bier  unterliegen  nicht  selten  der  Verschleimung 
(vgl.  §  94).  Nach  Pasteur^)  wäre  auch  hier  ein  Streptokokkus 
die  Ursache.  Van  Laer*)  beschrieb  aus  belgischem  Bier  einen 
Bac.  viscosus  I  xmd  II,  V  a n d  a m  ^)  einen  B.  viscosus  III, 
H  e  r  o  n  *)  aus  englischen  Bieren  einen  Kokkus,  der  die  Eigentümlich- 
keit hat,  nur  mit  Hefe  zusammen  das  Bier  schleimig  zu  machen,  L  i  n  d  - 
ner')  einen  Pediococcus  (Sarcina)  viscosus  aus  Weißbier.  Nach 
B  e  i  j  e  r  i  n  c  k  (vgl.  S.  352)  verwandelt  das  Granulobacter  butylicus 
und  G.  polymyxa  Würze  in  einen  zähen  Schleim,  nach  Lindner  ^) 
der  hefeähnliche  Schimmelpilz  Dematium  puUulans.  Das  Ingwerbier 
entwickelt  sich  nach  Ward  aus  wurmförmigen  Zoogloen,  die  aus 
einer  Vereinigung  der  Hefe  mit  dem  schleimbildenden  Bact.  vermiforme 
bestehen  (vgl.  §  111). 

Runkelrübensaft  ist,  wie  wir  schon  bei  der  Mannitgärung  (S.  402) 
gesehen  haben,  auch  der  schleimigen  Gärung  unterworfen.  Wahr- 
scheinUch  handelt  es  sich  dabei  um  eine  ganze  Reihe  verschiedener 
Erreger.  Am  längsten  bekannt  ist  der  sogenannte  Leuconostoc  mesen- 
terioides,  oder  besser  gesagt,  ein  Streptokokkus*),  der  den  sogenannten 
Froschlaich  der  Zuckerfabriken,  d.  h.  gallertartige  Massen,  die 
zur  Betriebsstörung  werden  können,  erzeugt. 

Andere  Arten  von  Gallertbildnem  aus  Rübensaft  sind  der  merk- 
würdige Bac.  pediculatus  von  Koch  und  Hosaeus^®),  der  schleimige 
Substanz  einseitig  in  Form  von  Stielen,  auf  denen  er  sitzt,  bildet  (s.  u.). 
Ein  bewegliches  Bacterium  gelatinosumbetae  beschreibt 
Glaser  ^^)  als  Erzeuger  des  Froschlaichs,  das  Clostridium  gelatinosum 


1)  Bereitung,  Pflege  und  Untersuchung  des  Weins  1898  (nach 
L  a  f  a  r). 

2)  Zentr.  Bakt.  8.  77. 

3)  Etudes  sur  la  bidre  1876.  S.  5. 

4)  Memoir.  acad.  roy.  Belgique  43,    1889. 

5)  Woch.  f.  Brauerei   1896.  31. 

6)  Kochs  Jahresber.   1899.   152. 

7)  Woch.  Brauerei  1889.  181. 

8)  Mikroskop.  Betriebskontrolle  1901,  S.  289. 

9)  Liesenberg  und  Zopf,  Beitr.  Physiol.  u.  Morph,  nied.  Organis- 
men, 1892.  Mehrere  Arten  von  Froschlaichstreptokokken  züchtete  neuer- 
dings Z  e  1 1  n  o  w  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  57. 

10)  Zentr.  Bakt.  16.  225»    1894. 

11)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   1.  879,   1895. 


406  Kap.  VI,   §  128. 

L  a  X  a^) ,  das  Semiclostridium  commune,  rubrum  usw.  M  a  a  ß  e  n^). 
Vielleicht  gehören  diese  beweglichen  Bakterien  alle  zu  einer  Gruppe, 
die  den  Heubazillen  (s.  u.)  verwandt  ist. 

Pflanzeninfuse  verschiedener  Art  verfallen  häufig  einer 
schleimigen  Veränderung,  wie  schon  Kützing')  feststellte,  durch 
Bakterienwirkimg.  Aus  Digitalisabkochung  isolierte  Bräutigam') 
einen  Micrococcus  gelatinogenes,  der  auch  andere  Infuse  in  steife 
Gallerte  verwandelte,  in  zuckerfreien  Nährböden  aber  keinen  Schleim 
bildet,  Ritserts^)  Bact.  gummosum  und  H a p p s •)  Bac.  gum- 
mosus  gehören  ebenfalls  hierher,  desgleichen  der  Micr.  gummosus  H  a  p  p  s 
aus  Senegainfus.  Die  Schleimbildung  der  Essigbakterien  be- 
trachten wir  weiter  unten  (§  130  u.  135). 

In  Gerbbrühen  wird  eine  ähnliche  Verschleimung  beob- 
achtet, an  der  die  Crenothrix  Kühniana  beteiligt  sein  solF). 

Die  destillierten  Wässer  der  Apotheker,  z.  B.  Orangen- 
blütenwasser,  erleiden  häufig  schleimige  Zersetzungen;  selbst  reines 
destilliertes  Wasser  kann  schleimig  werden,  wenn  es  aus  Holzfasern 
organische  Stoffe  aufnimmt'^). 

Tinte  aus  Campecheholz  wird  nach  H  e  r  y  '')  durch  einen  Kapsel- 
bazillus verschleimt. 

Die  schleimige  Gärimg  der  M  i  1  c  h  ist  von  zahlreichen  Forschem 
untersucht  worden.  Sie  wird  anscheinend  von  Bakterien  hervorgerufen, 
die  den  gewöhnlichen  Milchsäurebakterien  nahe  stehen  (§111).  Es  ist 
aber  dabei  zu  unterscheiden,  ob  der  Schleim  aus  dem  Milchzucker 
oder  aus  dem  Kasein  entsteht,  wie  das  für  den  Streptococcus  hollandicus 
der  „langen  Wei",  der  fadenziehenden  Molke,  die  zur  Bereitung  des 
Eidamer  Käses  verwendet  wird  (Goethart®)),  behauptet  wird. 
Nachweislich  auf  Kosten  des  Zuckers  wird  Schleim  durch  das  L  e  i  c  h  - 
mann  sehe®)  und  Emmerling  sche^®)  Kapselbakterium  und  die 
Kokken  Schmidt-Mülheims^^)  erzeugt.  Wahrscheinhch  ist 
das  auch  der  Ursprung  des  Schleims  in  der  schwedischen  „Langmilch'', 


1)  Kochs  Jahresber.   1901,  127. 

2)  Arb.  biol.  Abteil.  Gesundheitsamt.  5,  1905. 

3)  Journ.  prakt.  Chem.   11.  386,  1837. 

4)  Kochs  Jahreeber.   1891.  222. 

5)  Zentr.  Bakt.   11.  730. 

6)  Vgl.   S.  402. 

7)  Bei   Eitner  in  Lafars  Handb.  5.  29. 

8)  Kochs  Jahresber.   1897.   194. 

9)  Landwirtschaft!.  Versuchsstation  43.  373. 

10)  Ber.  chem.  Ges.  33.  2478. 

11)  Pflügers  Arch.  27.  490. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  407 

die  durch  Troili-Pettersons^)  Bact.  (Strept.)  lactis  longi, 
einen  nahen  Verwandten  des  Str.  lacticus,  erzeugt  wird,  und  (min- 
destens zum  Teil)  der  ähnlichen  Schleimgärungen,  die  nach  G  u  i  1  - 
1  e  b  e  a  u  *)  ohne  oder  mit  Zusammenhang  mit  Eutererkrankungen 
durch  Hicroco<3cus  Freudenreichii,  Bact.  Hessii  und  einen  pathogenen 
Bacillus,  nach.  A  d  a  m  e  t  z  durch  den  Bac.  lactis  viscosus^),  nach 
L  ö  f  f  1  e  r  ^)  durch  den  Bac.  lactis  pituitosi,  nach  H  ü  p  p  e  ^)  und 
Flügge^)  durch  Heubazillen,  nach  Duclaux^)  durch  den  „Actino- 
bacter",  nach  B  u  r  r  i  ®)  wieder  durch  eine  Abart  des  Streptococcus 
lacticus  hervorgerufen  werden.  Dazu  kommt  noch  der  Bacillus  der 
„seifigen  Milch"  (Pseudomonas  Weigmanni  Mig.)  von  W e i g  - 
mann  und  Z  i  r  n  ^). 

Auch  andere  Nahrungsmittel,  z.  B.  B  r  o  t ,  unterliegen  der  schleimi- 
gen Veränderung.  Es  scheint  sich  dabei  stets  um  sporenbildende  Bak- 
terien aus  der  Heu-  und  Kartoffelbazillengruppe  zu  handeln,  die  als 
Bac.  mesentericus  panis  viscosi,  mesentericus  fuscus  panis  viscosi  be- 
schrieben worden  sind  (Vogel  i®),Juckenack^*),Svoboda^^), 
V.  Czadek  und  Kornauth^^),  König,  Spieckermann 
und  Tillmanns  ^^)).  Die  Sporen  dieser  Bakterien  kommen  in  jedem 
Mehl,  aber  in  verschiedener  Menge,  vor.  Durch  Lagern  in  feuchten 
Ränmen  vermehren  sich  die  Bazillen  und  können  dann  später,  da  ihre 
Sporen  der  Backhitze  widerstehen,  im  fertigen  Brot  die  Verschleimung 
hervorrufen. 

Die  schleimige  Beschaffenheit  des  Harns,  die  M  a  1  e  r  b  a  und 
Sanna-Salaris^^)  unter  dem  Einfluß  des  Bact.  gliscrogenum 
beobachtet  haben,  scheint  durch  einen  Muzinstoff,  nicht  durch  echten 
Gumnii  bedingt  zu  sein. 

Bei  dem  häufigen  Vorkommen  der  schleimigen  Gänmgen  kann  es 
nicht  Wunder  nehmen,  daß  gelegentlich  zufällig  in  der  Luft,  im  Wasser 

1)  Zeitflchr.  f.  Hyg.  32. 

2)  Kochs  Jahresber.   1891.   185. 

3)  Landwirtsch.  Jahrb.  1891  und  Zentr.  Bakt.  9.  689. 

4)  Berl.  klin.  W.  1887.  631. 

5)  Mitt.  Gesundheitsamt  2,  1884. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.   17. 

7)  Annal.  agronom.   1883. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12,  1904. 

9)  Zentr.  Bakt.  15.  466,  1894. 

10)  Zeitschr.  f.  Hyg.  26. 

11)  Ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  7.  109. 

12)  Ebenda  8.  121. 

13)  Ebenda  9.  683. 

14)  Ebenda  11.  61. 

15)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   15.  539. 


408  Kap.  VI,   §  128  u.   129. 

und  an  anderen  Orten  Bakterien  gefunden  woiden  sind,  die  imstande 
waren,  derartige  Prozesse  zu  bewirken.  Dahin  gehört  der  von  Schar- 
d  i  n  g  e  r  ^)  aus  unreinem  Trinkwasser  isolierte  Bazillus  und  der  Strepto- 
coccus hornensis,  den  Boekhout*)  aus  mit  Rohrzucker  versetzter 
Milch  gezüchtet  hat. 

Schließlich  ist  auch  die  Gummibildung,  die  an  manchen  Pflanzen 
auftritt  und  unter  dem  Namen  Gummosis  der  Akazien,  des  Zucker- 
rohrs (G.  Smith*)),  der  Zuckerrüben,  des  Feigenbaums,  Weinstocks  U8w. 
bekannt  ist,  durch  Bakterien  verursacht.  Den  Gummi  hielt  man  früher 
ganz  allgemein  für  ein  physiologisches  Erzeugnis  der  Pflanzen  selbst. 
Der  Bac.  radicicola  der  Leguminosenknöllchen  (§  201)  bildet  eben- 
falls in  künstlichen  Nährböden  Schleim  (B  u  c  h  a  n  a  n  ^)) ,  in  der 
Pflanze  selbst  „Infektionsfäden",  die  man  früher  für  Bestandteile 
eines  Pilzes  gehalten  hat  (s.  u.  Myxobakterien). 

Andere  Schleimbildner  kennt  man  unter  der  Bezeichnung  der 
Kapselbakterien  (Bac.  pneumoniae,  Strept.  lanceolatus),  des 
„Ascococcus",  ,,Ascobacterium**  und  der  sich  in  allerhand  vegetabilischen 
Aufgüssen  bildenden  mannigfach  geformten  „Zooglöen"  (F.  C  o  h  n  ^)). 
Im  Tierkörper  und  in  gewissen  tierischen  Flüssigkeiten  (Blutserum) 
werden  auch  viele  andere  Bakterien  (Milzbrand,  Pest,  Streptokokken) 
zur  Kapselbildung  befähigt.  Man  darf  sich  wohl  vorstellen,  daß  die 
Schleimhüllen  ihnen  zum  Schutz  dienen,  jedenfalls  bestehen  deutliche 
Beziehungen  derselben  zur  Virulenz  dieser  Bakterien.  Für  diejenigen 
Bakterien,  z.  B.  Streptokokken,  die  in  toten  Nährböden  bei  bestimmter 
Zusammensetzung  derselben  (z.  B.  hohem  Rohrzuckergehalt  §  129) 
Kapseln  bilden,  wäre  an  eine  ähnliche  Vorstellung  zu  denken.  Trotz- 
dem wird  man  gut  tun,  sie  nicht  zu  sehr  zu  verallgemeinem,  und  die 
Kapselbildung  zimächst  einfach  als  Wirkimg  bestimmter  Reize  be- 
trachten (§  4).  Die  eigentümlichen  Kapseln  bzw.  Zooglöen  des  Bao. 
pediculatus  wurden  schon  oben  erwähnt,  ihnen  ähneln  außerordentlich 
die  von  F  a  m  i  n  t  z  i  n  ®)  bei  seiner  Nevskia  ramosa  beobachteten 
Formen  und  ebenso,  wenigstens  äußerlich,  die  von  Metschnikoff) 


1)  Zentr.  Bakt.   2.  Abt.  8.  5. 

2)  Ebenda  6.   161. 

3)  Ebenda  8.  596;  9.  21;   10.  2  und  11.  23. 

4)  Ebenda  22.  371,  1909,  mit  Literatur. 

5)  Vgl.  über  Zooglöenbildung  des  Bac.  allantoides  L.  Klein,  Zentr. 
Bakt.  6.  377,  1889.  Auch  die  Gallertklumpen  des  Ingwerbiers  usw.  gehören 
zu  den  Zooglöen. 

6)  Kochs  Jahresb.   1891.   42. 

7)  Annal.  Fast.  1888.  Die  Pasteuria  würde  ganz  genau  den  „ge- 
stielten Bakterien'*  entsjirechen,  wenn  die  von  Metschnikoff  als 
„Sporen"   betrachteten   Ciebilde  die  Bakterien  selbst  darstellten. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  409 

als  Pastenria  ramosa  beschriebenen,  parasitiscli  auf  Daphnien  in  finger- 
förmig gelappten  Verbänden  lebenden  Mikroorganismen.  Auch  die 
merkwürdigen  von  T  h  a  x  t  e  r  sog.  ,,Myxobakterien",  die  namentlich 
auf  Kot  leben,  aber  nach  B  a  u  r  s  und  Q  u  e  h  1  s  ^)  neuesten  Fest- 
stellungen auf  künstlichen  Nährböden  reingezüchtet  werden  können, 
erzeugen  gleichfalls  durch  einseitige  Ausscheidung  eines 
mehr  oder  weniger  festen  Schleims  einen  zum  Teil  verästelten  selbst 
Hunderte  von  Mikromillimetem  langen  Stiel  („Zystophor"),  auf  dem 
dann  erst  die  mannigfach  gefärbten  und  geformten  aus  dichten  Bak- 
terienmassen bestehenden  Fruchtkörper  („Zysten")  pilzartig  aufsitzen. 
Nach  Z  u  k  a  1  und  Stefan*)  würde  man  femer  die  Bildung  der 
schon  oben  erwähnten  ,, Infektionsfäden**  in  den  Wurzelknöllchen  der 
I^guminosen  am  besten  verstehen,  wenn  man  die  Knöllchenbakterien 
(Bac.  radicicola)  als  Myxobakterien  auffaßte.  Die  schlauchförmigen 
Fortsätze  der  „Bakterienblasen"  Müller-Thurgaus^)  haben 
aber  wohl  eine  andere  Bedeutung  (vgl.   §  129  am  Schluß). 

Vielen  Forschem  ist  die  Unbeständigkeit  der  Schleimbildung  auf- 
gefallen. Die  Fähigkeit  dazu  kann  gewonnen  und  verloren  werden 
(§  351).  Auch  darin  drückt  sich  die  Ähnlichkeit  mit  anderen  enzyma- 
tischen  Vorgängen  aus. 

§  129.  Zusammensetzung  und  Entstehung  des  Bakterien- 
sehleimes  *).  Am  frühesten  und  eingehendsten  ist  der  Schleim  des 
Leuconostoc  mesenterioides  studiert  worden  (s.  o.). 
Scheibler  ^)  hat  ihn  schon  als  Dextran  bezeichnet.  Reinkul- 
turen hatten  wohl  erst  Zopf  imd  Liesenberg  zur  Verfügung. 
Nach  ihnen  wächst  der  Spaltpilz  in  zuckerfreien  Nährböden  wie  andere 
Streptokokken^)  ohne  Schleimhülle.  Letztere  bildet  sich  erst  neben  Milch- 
saure  und  Gasen  (Kohlensäure?)  aus  Rohr-  und  Traubenzucker,  und 
zwar  wird  ersterer  dabei  invertiert.  Laktose,  Maltose,  Dextrin  werden 
zwar  angegriffen,  aber  nicht  zur  Gallertbildimg  benutzt.  Ein  Gehalt 
des  Nährbodens  an  Chlorkalzium  (3 — 5%)  oder  Chlornatrium  (1—3%) 
oder  Salpeter  (1%)  befördert  die  Verschleimung,  die  unter  günstigen 
Bedingungen  —  bei  einer  Temperatur  von  30  bis  37°  —  ganz  gewaltige 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   16.  mit  Lit.  und  Tafeln. 

2)  Ebenda  16  mit  Taf. 

3)  Ebenda  20.  353  u.  21.  384,  1908. 

4)  Vgl.  §  27  und  T  o  1 1  e  n  s  ,  Handb.  der  Kohlenhydrate  2.  Aufl., 
1898.    Die  Lit.  ist  meist  in  §  128  angegeben. 

5)  Zeitsehr.  d.  Vereins  f.  Rübenzuckerindustrie  1874.  309. 

6)  Umgekehrt  bilden  n«*ch  H 1  a  v  a  ( §  4)  die  gemeinen  pathogenen 
Streptokokken  in  starken  Rohrzuckerlösungen  Kapseln,  die  denen  des 
Leuconostoc  ähneln. 


410  Kap.  VI,   §  129. 

AuBdehnung  annimmt.  Luftzutritt  ist  nicht  nötig.  Leider  fehlen  An- 
gaben darüber,  wie  sich  Leuconostoc  gegenüber  der  Galaktose  imd 
Fruktose  verhält.  Auch  die  Zusammensetzung  des  Schleims  verdient 
nochmals  geprüft  zu  werden. 

Nach  Scheibler  wird  er  dargestellt,  indem  man  den  ,,Frosch- 
laich**  mit  Alkohol  auszieht  (um  die  fettartigen  Substanzen  zu  entfernen), 
mit  Kalkmilch  wiederholt  kocht,  filtriert,  den  überschüssigen  Kalk  durch 
Einleiten  von  Kohlensäure  entfernt,  eindampft,  in  der  Kühe  klärt,  dann 
nüt  Salzsäure  ansäuert  und  unter  starkem  Umrühren  mit  Alkohol  nieder- 
schlägt. Der  Niederschlag  wird  gereinigt  dadurch,  daß  mcm  ihn  abfiltriert, 
in  kaltem  Wasser  löst,  mit  Alkohol  bis  zur  Trübmig  versetzt  und  von  den 
Abscheidungen,  die  sich  in  der  Ruhe  absetzen,  abgießt.  Weiterer  Alkohol- 
zusatz fällt  jetzt  den  Gummi,  der  dann  diurch  wiederholte  Lösung  in  Wasser 
und  Alkoholfällung  noch  von  den  letzten  Unreinigkeiten  befreit  werden 
kann.  Seine  Zusanunensetzung  ist  CeH^oOc,  er  zeichnet  sich  durch  seine 
starke  Rechtsdrehung  vor  allen  anderen  Körpern  aus  (-{-  223),  verwandelt 
sich  femer  durch  verdünnte  Schwefelsäure  in  Dextrose,  nicht  wie  die 
meisten  anderen  Gummiarten  in  Galaktose  (oder  Arabinose)  und  bildet 
dementsprechend,  mit  Salpetersäiure  oxydiert,  keine  Schleimsäure,  sondern 
Oxalsäure.  Die  wässerige  Lösung  reagiert  neutral,  reduziert  kochende 
Fehlingsche  Lösung  nicht,  wird  durch  neutrales  essigsaures  Blei  überhaupt 
nicht,  durch  basisches  Salz  nur  in  starker  Konzentration  gefällt. 

Mit  dem  Dextran  identisch  zu  sein  scheint  der  Schleim  des  Bact. 
gelatinosum  Glasers,  der  ebenfalls  aus  Rohrzucker  nach  dessen 
Inversion  gebildet  wird.  Der  Bazillus  entwickelt  sich  freilich  nicht 
ohne  weiteres  in  der  Melasse,  wohl  nach  Zusatz  von  Phosphaten  der 
Erdalkalien.  Er  erzeugt  nebenher  Alkohol,  etwas  Gas  und  Säure,  die 
aber  keine  Milchsäure  ist.  Auf  Bierwürze  entwickelt  er  nur  wenig 
Schleim. 

Dextran  bildet  nach  Boekhout  auch  der  Streptococcus  hor- 
nensis  auf  Rohrzuckerlösungen  von  4  bis  40%,  aber  nur,  wenn  ihm 
daneben  Pepton  als  Stickstoffnahrung  geboten  wird.  Die  flüssigen 
Nährböden  werden  dabei  gallertig,  die  festen  zeigen  mächtige  Schleim- 
wülste. Aus  100  g  Rohrzucker  in  20  prozentiger  Lösung  ließ  sich  durch 
Zusatz  des  2 — ^3  fachen  Volumens  Alkohol  imd  nachfolgendes  Aus- 
waschen mit  50  prozentigem  Alkohol  20 — 25  g  des  Gummis  in  ziem- 
lich reinem  Zustand  gewinnen.  Bei  seiner  Hydrolyse  mit  Schwefel- 
säure lieferte  er  einen  rechtsdrehenden  reduzierenden  Zucker.  Die 
übriggebliebene  alkoholische  Flüssigkeit  enthielt  linksdrehenden  Zucker 
und  reduzierte  ebenfalls.  Nach  Hydrolyse  mit  Salzsäure  erhält  man 
noch  stärkere  Reduktion  und  Linksdrehimg.  Vielleicht  war  also  bei  der 
Schleimbildung  Fruktose  entstanden  und  noch  ein  Rest  Rohrzucker 
zurückgeblieben.  Eine  genauere  Bestimmimg  gelang  Boekhout 
nicht,  auch  nicht  bei  Verwendung  von  Hefen  mit  beschränktem  Gärungs- 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  411 

vermögen.    Die  Zerlegung  des  Rohrzuckers  würde  sich  nach  ihm  in 
folgender  Weise  ausdrücken  lassen: 

Gummi      Fruktose 

JDaneben  bilden  sich  nur  immeßbare  Mengen  von  Gas  und  Säure. 

Ein  Lävulan  ist  dagegen  die  von  dem  Clostridium  gelatinosum 
L  a  X  a  s  und  dem  Semiclostridium  Maaßens  ebenfalls  aus  Rohrzucker 
gebildete  Gallerte,  da  sie  mit  Säuren  gekocht  die  linksdrehende 
Fruktose,  nicht  Dextrose  liefert.  Als  Nebenprodukte  entstehen  aus 
dem  invertierten  Rohrzucker  neben  Hexosen  Kohlensäure  und  Alkohol, 
Ameisen-,  Essig-  imd  Milchsäure. 

Ein  Galaktan  ist  nach  Emmerling  der  Schleim,  den  der 
Bac.  aerogenes  aus  Milchzucker  oder  Galaktose,  nicht  aber  aus  Glykose 
erzeugt  (vgl.  u.  Schardinger).  Er  unterscheidet  sich  dadurch 
von  Dextran,  daß  er  viel  weniger  stark  rechts  dreht,  mit  verdünnter 
Schwefelsäure  Galaktose  imd  mit  Salpetersäure  Schleimsäure  gibt. 

Krämers  Bazillen  aus  Wein  bilden  aus  Rohrzucker,  Milchzucker, 
Glykoee,  Fruktose  und  auch  aus  Stärke  Schleim  von  der  Formel  CgHjoOß. 
Ob  die  „Viskose"  Bechamps^)  und  der  Gummi  Pasteurs 
damit  identisch  sind,  muß  zweifelhaft  bleiben,  da  diese  Forscher  noch 
nicht  mit  Reinkulturen  gearbeitet  haben.  Während  wohl  alle  übrigen 
Schleimbildner  auch  bei  saurer  Reaktion  gedeihen,  wächst  der  Bac. 
viscosus  sacchari  K  r  a  m  e  r  s  nur  auf  neutralen  oder  alkalischen 
Nährboden. 

Verschieden  ist  jedenfalls  wieder  das  Produkt  des  Ritsert  sehen 
Bact.  gummosum.  Es  entsteht  nur  aus  Rohrzucker,  nicht  aus  Glykose 
und  Milchzucker.  Von  dem  Dextran  Scheiblers  unterscheidet  es 
sich  auch  dadurch,  daß  es  optisch  inaktiv  ist.  Die  Schleim- 
bildung  findet  noch  statt  in  Zuckerlösung  von  40%,  und  ist  am  ener- 
gischsten in  einer  30  prozentigen  Lösung,  in  der  6,5%  Schleim  ent- 
steht. Auch  hier  begünstigt  Zusatz  von  Aschenbestandteilen  die 
Gänmg. 

Man  kann  überhaupt  sagen,  daß  bei  genauer  Unter- 
suchung sich  die  Schleimgärungen  als  ebenso 
spezifisch  erweisen,  wie  die  anderen  Gärungen, 
die  wir  früher  behandelt  haben.  Weitere  Beispiele  dafür  haben  H  a  p  p 
und  G.  Smith  geliefert:  der  Bac.  gummosus  vermag  nur  Saccharose, 
der  Micrococcus  gummosus  auch  Maltose  zu  Schleim  zu  verarbeiten. 
Neben  dem  Schleim,  dem  die  Formel  CgHioOg  zukommt,  entstehen 


1)  Compt.  rend.  93.  78. 


412  Kap.  VI,   §  129. 

geringe  Mengen  von  Mannit,  Milcht-,  Butter-  und  Kohlensäure.  Die 
Saccharose  wird  dabei  invertiert,  denn  freie  Glykose  läßt  sich  in  der 
Kultur  nachweisen. 

Sehr  mannigfaltige  Verhältnisse  hat  Smith  bei  den  Schleim- 
gärungen aufgedeckt,  die  als  Bakterienkrankheiten  an  vielerlei  Bäumea 
auftreten.  Das  Bacterium  acaciae  erzeugt  A  r  a  b  i  n  ,  das  Bact.  metara* 
bicum  Metarabin,  das  Bact.  pararabicum  Fararabin,  das 
Bact.  Persicae  eine  vierte  Gummiart,  die  dem  Fararabin  nahesteht. 
Daneben  entwickelt  die  Gärung  bei  den  beiden  ersten  Bakterien  etwas 
Alkohol  und  Kohlensäure,  ziemlich  viel  Linksmilchsäure  und  wenig 
Bernsteinsäure,  Essigsäure  und  Ameisensäure;  bei  dem  Bact.  metara- 
bicum  wird  die  Milchsäure  durch  Buttersäure  ersetzt;  beim  Bact.  persicae 
finden  sich  beide  Säuren  nebeneinander.  Das  Verhalten  der  genannten 
Mikroorganismen  zu  den  einzelnen  Kohlenhydraten  ist  ein  ebenso  un- 
gleiches. Das  Bact.  pararabicum  invertiert  den  Rohrzucker  nicht, 
obwohl  es  ihn  in  schleimige  Gärung  versetzt. 

Das  Arabin  zeigt  die  Reaktionen  des  arabischen  Gununis,  d.  h.  es 
gibt  bei  der  Hydrolyse  mit  Schwefelsäure  Arabinose  und  Galaktose  (durch 
ilire  Osazon^  festgestellt),  mit  Salpetersäure  Schleimsäure  und  Oxalsäure, 
bei  Destillation  mit  Salzsäure  Furfurol,  wird  durch  basisch  essigsaures 
Blei,  nicht  durch  neutrales,  gefällt,  reduziert  Fehlingsche  Lösung  nicht. 
Das  Metarabin  ist  ähnlich  zusammengesetzt,  aber  in  Wasser  unlöslich 
und  in  Alkalien  löslich ;  das  Fararabin  zeichnet  sich  dcuiurch  aus,  daß  es  selir 
widerstandsfähig  ist  gegen  verdünnte  Säure,  aber  durch  konzentriert« 
Schwefelsäure  auch  in  Arabinose  und  Galaktose  zerfällt  und  durch  Salpeter- 
säure zu  Schleimsäure  oxydiert  wird.  Der  Gummi  des  Bact.  Persicae  (an 
Pfirsich-,  Mandel-  und  Zederbäumen)  ist  in  verdünnten  Säuren  und 
saxurem  Alkohol  löslich  und  wird  leicht  hydrolysiert  in  Arabinose  und 
Galaktose. 

Auch  die  Bazillen  van  Laers  zeigen  Eigenheiten:  beide  ver- 
schleimen Bierwürze  und  Milch,  d.  h.  Malz-  und  Milchzucker,  bemerkens- 
werterweise auch  milch-  und  weinsaure  Salze.  Nur  der 
Bac.  viscosus  I  vermag  den  Rohrzucker  zu  vergären.  Charakteristisch 
ist  eine  braune  Färbung  und  ein  Geruch,  der  dabei  auftritt.  Von  son- 
stigen Nebenprodukten  wird  Kohlensäure  erwähnt.  Enthalten  die 
Nährlösimgen,  z.  B.  Bier,  zu  viel  Zucker,  so  bilden  die  Mikroorganismen 
keinen  Schleim,  zuviel  Säure  schadet  ebenfalls,  nicht  ein  selbst  hoher 
Alkoholgehalt;  die  Temperatur  kann  dabei  von  7  bis  42®  schwanken. 
Es  sei  hierbei  erwähnt,  daß  manche  pathogenen  Streptokokken  sich 
gegenüber  der  Zuckerkonzentration  gerade  umgekehrt  verhalten. 
Während  sie  in  dünnen  Lösungen  keine  Spur  von  Schleim  erzeugen, 
bilden  sie  dicke  Kapseln  und  Gallerten,  wenn  der  Gehalt  an  Bohr- 
zucker auf  14%  steigt  (Boekhout,  Hlava).  VanLaerhat 
auch  chemische  Untersuchungen  des  Bakterienschleims  vorgenommen. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  413 

Sie  beweisen,  daß  der  wasserlösliche  Gummi  mit  einer 
unlöslichen  stickstoffhaltigen  Substanz  verge- 
sellschaftet ist.  Vielleicht  gilt  das  auch  für  andere  Bakterien- 
schleime, insbesondere  die  „K  a  p  s  e  1  n"  und  Zooglöen. 

V  a  n  d  a  m  8  Bazillus  unterscheidet  sich  von  den  vorgenannten 
dadurch,  daß  er  keine  Kohlensäure  entwickelt  und  des  Luftsauerstoffs 
zur  Bildung  von  Schleim  bedarf.  Außerdem  vermag  er  aus  wein-  und 
milchsauren  Salzen  keinen  Schleim  zu  erzeugen. 

Wenig  wählerisch  in  Bezug  auf  den  Grundstoff  für  die  Schleim- 
produktion ist  der  MUchbazillus  Leichmanns:  Glykose,  Fruktose, 
Galaktose,  Saccharose,  Maltose  und  Laktose  sind  dazu  geeignet,  nicht 
Mamiit,  Gummi  arabicum  und  Stärke.  Nebenher  entstehen  Milchsäure, 
etwas  Äthylalkohol  und  Gase. 

Diesem  Organismus  schließt  sich  die  von  Schardinger  ^) 
studierte  Varietät  des  Bac.  aerogenes  durch  ihre  Eigenschaften  im- 
mittelbaran.  Die  Analyse  des  Bakterienschleims  ergab  ein  Kohlenhydrat 
von  der  Zusammensetzung  CgHjoOß ,  das  bei  Oxydation  mit  Salpeter- 
säure Schleimsäure  (und  Oxalsäure)  ergab,  nach  Hydrolyse  mit  Salz- 
säure reduzierte  und  das  polarisierte  Licht  nach  rechts  drehte,  während 
es  vorher  optisch  unwirksam  gewesen  war.  Der  Gummi  besteht  also 
wenigstens  teilweise  aus  Galaktan.  Schardinger  hält  es  für 
wahrscheinlich,  daß  dem  Gummi,  der  gallertig,  aber  nicht  faden- 
ziehend ist,  in  Kulturen  ein  muzinähnlicher,  d.  h.  eiweiß- 
artiger Schleimstoff  beigemischt  ist,  der  vielleicht  aus  den  Bakterien- 
körpem  gewonnen  werden  kann  und  wohl  die  Ursache  ist,  daß  auch 
zuckerfreie  Kulturen  etwas  schleimig  sind^). 

Der  in  fadenziehendem  Brot  vorkommende  Bakterienschleim  ist 
nach  König,  Spieckermann  und  Tillmanns  kaum  rein 
darzustellen,  er  enthält  aber  größtenteils  dextrinartige  Körper  der 
Glykose-,  nicht  der  Galaktosegruppe. 

Der  letzte  Forscher,  der  sich  mit  der  Schleimbildung  des  Bac. 
radieicola  beschäftigt  hat,  Buchanan,  fand  eine  gewisse  Überein- 
stinmiung  in  der  Zusammensetzung  des  Schleims,  indem  er  stets  die 
Reaktion  des  Dextrans  ergab  und  stickstofffrei  war,  und  eine  ebenso 
große  Mannigfaltigkeit  der  Stoffquellen,  aus  denen  er  herstammte 
Tnter  den  Ammoniaksalzen  der  organischen  Säuren  genügten  die  bern- 
stein-  und  zitronensauren,  nicht  die  milchsauren  (s.  o. 
V  a  n  L  a  e  r)  als  einzige  Kohlenstoff  quelle,  um  (freilich  kleine)  Schleim- 


1)  Über  die  Darstellung  vgl.  die  Original  arbeit  (S.  408). 

2)  Vgl.    auch    die   Schleimbildung    der  Milzbrand-  und  Pyocyaneus- 
bazillen  8.  70/71. 


414  Kap.  VI,   §  129  u.   130. 

mengen  zu  erzeugen.  Glyzerin,  das  anderen  Forscliem  niemals 
Ergebnisse  geliefert  hat,  war  sogar  eine  sehr  brauchbare  Quelle,  ebenso 
alle  möglichen  Kohlenhydrate,  einschließlich  Galaktose,  Fruktose, 
Rhanmose,  Mannose,  Melibiose,  Inosit  und  endlich  Mannit.  Asparagin 
und  Pepton  genügten  zwar  nicht  allein,  steigerten  dagegen  die  Schleim- 
bildung als  Zusatz  zu  oben  genannten  Stoffen  oft  erheblich.  Der  Ver- 
fasser läßt  wohl  mit  Recht  den  Schleim  in  der  Zelle  entstehen  und  sich 
als  äußersten  Teil  der  Bakterienmembran  (Kapsel)  von  ihm  ablösen, 
nicht  durch  Synthese  außerhalb  der  Zelle  sich  bilden. 

Während  nicht  bezweifelt  werden  kann,  daß  es  sich  bei  den  bisher 
besprochenen  Beispielen  im  wesentlichen  um  echte  Gummiarten,  also 
Kohlenhydrate  handelt,  hat  Goethart  nachgewiesen,  daß  der  vom 
Streptococcus  hollandicus  entwickelte  Schleim  der  „langen  Wei"  eine 
Art  von  Muzin  mit  einem  Stickstoffgehalt  von  10 
b  i  s  12  %  ist  (s.  c).  Allerdings  braucht  der  Streptokokkus  Zucker,  um  gut 
zu  wachsen  und  Schleim  zu  bilden,  doch  geht  der  Zucker  nicht  in  Schleim 
über,  sondern  wird  zu  Milchsäure  vergoren.  Auch  das  Bact.  gliscro- 
genum  aus  schleimigem  Harn  gehört  hierher  (s.  o.  M  a  1  e  r  b  a  und 
Sanna-Salaris),  wahrscheinlich  auch  die  Myxobakterien,  die 
nach  Quehl  auf  Mineralsalzpeptonagar  ihre  pilzähnlichen  Fruchtkörper 
bilden  und  durch  Zucker  in  ihrer  Entwicklung  nicht  gefördert  werden. 

Unbekannt  ist  die  Zusammensetzung  und  Bildung  der  sogenannten 
Infektionsfäden  der  KnöUchenbakterien.    Jedenfalls  bestehen  sie  nicht 
aus  Zellulose.    Möglich  wäre  es,  daß  sie,  wie  die  Stiele  der  Myxobak- 
terien, durch  einseitige  Schleimausscheidung  entständen  (S.  409).    Die 
Bildung  von  Schleim  auch  in  Reinkulturen  ist  bei  dem  Bac.  radicicola 
ja  nachgewiesen.    Die   in  den   Knöllchen  selbst  sich  entwickelnden 
Bakterienhaufen    würden   dann   gewissermaßen   den   sich   im   Freien 
entwickelnden  Zysten  der  Myxobakterien  entsprechen.    Einen  anderen 
Ursprung  haben  anscheinend  die  Fäden  und  Schläuche,  die  den  „B&k- 
terienblasen'^    Müller-Thurgaus    aufsitzen.     Man    kann    ihre 
Bildung  zum  Teil  imter  dem  Mikroskop  beobachten,  wenn  man  destil- 
liertes Wasser  zu  den  Blasen  setzt.  Eine  Stelle  der  Wand  dehnt  sich  aus, 
platzt  und  stülpt  sich  röhrchenförmig  unter  beständiger  Verlängerung 
und  Abscheidung  eines  Gerinnsels  in  der  Spitze  vor.    Das  macht  den 
Eindruck,  als  ob  ein  Teil  des  in  der  Zyste  enthaltenen  Bakterienschleims 
bei  seinem  Austreten  unter  dem  Einfluß  eines  in  der  umgebenden 
Flüssigkeit  vorhandenen  Stoffes  (Gerbsäure?)  zu  einer  Röhre  geranne. 
Andere  Male  scheinen  die  Anhängsel  der  Zysten  freilich  fest  imd  nicht 
von   Gerinnseln   umgeben.    Die   Blasenwand  selbst  bildet  sich  nach 
Müller-Thurgau  vielleicht  in  ähnlicher  Weise  als  Niederschlags- 
membran.    Jedenfalls  gestattet  sie  den  Durchtritt  von  Nährstoff  und 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  415 

ist  nicht  nur  dehnbar,  sondern  selbst  wachstumsf ähig,  denn  die  Blasen 
nehmen  in  den  Fruchtsäften,  in  denen  sie  einmal  entstanden  sind,  an 
Inhaltsmasse  und  Größe  zu.  Zu  Anfang  handelt  es  sich  übrigens  um 
einfache,  durch  dicken  Schleim  zusammengehaltene  Zoogloen,  ohne 
Wand.  Erst  später  bildet  sich  die  letztere  unter  Verflüssigung  des 
Schleims.  Die  mikrochemische  Untersuchung  der  Blasenwand  hat 
keinen  Anhaltspunkt  für  ihre  Zusammensetzung  ergeben. 

§130.  Bildung  von  Stärke  und  Zellulose.  Das  Vorkommen 
des  Glykogens,  der  Stärke  und  der  Zellulose  bei  den  Bakterien  und  Pilzen 
wurde  schon  bei  der  chemischen  Zusammensetzung  ihrer  Leiber  be- 
sprochen (§  27).  Dort  wurde  auch  erwähnt,  daß  das  Glykogen  bisher 
nur  innerhalb  der  Zellen  gefunden  worden  ist.  Die  Bildung  der  beiden 
anderen  Stoffe  erfolgt  dagegen  unter  Umständen  in  solchem  Umfange, 
daß  man  wie  von  einer  Schleimgärung  von  einer  Stärke-  und  Zellulose- 
gärong  reden  könnte.  Beispiele  dafür  bieten  namentlich  die  Essig- 
bakterien  (vgl.  §  135).  Einige  von  ihnen,  z.  B.  Bact.  aceti,  bilden 
zwar  schleimige  Massen  (die  gewöhnliche  „Essigmutter"),  die  chemisch 
wohl  dem  Gummi  nahe  stehen.  In  einen  ähnlichen,  doch  festeren, 
ja  lederartigen  und  teils  die  Reaktion  der  Stärke,  teils  die  der  Zellulose 
gebenden  Schleim  eingebettet  erscheinen  aber  Bact.  Pasteurianum, 
Kützingianum  und  xylinum.  Eaimi  zu  bezweifeln  ist  von  vornherein, 
daß  diese  Stoffe  in  den  Bakterienleibem,  bzw.  in  deren  Hülle  gebildet 
und  dann  ausgeschieden  werden.  Es  kommt  aber  auch  vor,  daß  die 
Bakterien  allein  die  Jodreaktion  geben  und  der  Schleim  nicht ^).  Man 
wird,  da  es  sich  in  solchen  Fällen  wn  ältere  Decken  des  Bact.  Pasteu- 
rianum handelt,  daran  denken  müssen,  daß  die  ausgeschiedenen  Stoffe 
sich  nachträglich  verändert  haben.  In  anderen  Fällen  vermißt  man 
umgekehrt  die  Blaufärbung  an  den  Bakterien  selber,  während  die 
Zwischenmasse  sie  zeigt.  Genauere  Untersuchimgen  der  stärkeähn- 
lichen Substanz,  wie  sie  für  die  zelluloseähnliche  des  Bact.  xylinum 
von  Brown  geliefert  sind,  stehen  übrigens  noch  aus,  eine  völlige 
Übereinstimmung  mit  Stärke  ist  schon  dadurch  ausgeschlossen,  daß 
sie  durch  Diastase  nicht  verzuckert  wird.  Über  die  Bildungsweise 
des  einen  wie  des  anderen  Stoffs  ist  wenig  bekannt.  Wahrscheinlich 
tragen  aber  zuckerartige  Stoffe,  die  bei  der  Essiggärung  ja  niemals 
fehlen  xmd  durch  Eondensationsvorgänge  sich  in  Stärke  und  Zellulose 
verwandeln  könnten  (s.  o.  §  127),  in  erster  Linie  dazu  bei^). 

1)  Lafar,   Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   1.   149,   1896. 

2)  Beim  Bact.  xylinum,  dem  Erreger  der  Sorbosegarung  (B.  xylinum), 
scheint  ein  höherer  Alkohol,  das  Sorbit,  die  Quelle  der  Zellulosebildung 
2u  sein  ({  132)^- diese  letztere  also  vielleicht  mit  einer  Oxydation  zu  be- 
ginnen.   Über  die  Beteiligung  von  Stickstoff  vgl.  Emmerling  S.  84. 


416  Kap.  VI,   §  130. 

Zelluloseartige  Hüllsubstanzen  bilden  nach  König, Spiecker- 
m  a  n  n  und  0  1  i  g  ^)  auch  gewisse  Heubakterien.  Sie  veranlassen  in 
Baumwollensaatmehl  zeitweise  eine  Zunahme  der  „Bohfaser"  bis  zu 
20%.  Vielleicht  kommen  Gummistoffe  (Pentosane),  die  gleichzeitig 
verschwinden,  hierfür  in  Betracht.  Zelluloseähnliche  Stoffe  würden 
nach  M  a  z  6  (S.  61)  auch  in  Kulturen  der  Eurotiopis  Gayoni  entstehen, 
wenn  man  sie  im  Hungerzustande  sich  selbst  überläßt.  Nach  dem 
Verfasser  sollen  allerdings  Eiweißstoffe  ihre  Muttersubstanzen  sein. 

Über  die  Entstehungsbedingungen  der  stärkeähnlichen,  durch  Jod 
rotbraun  bis  blauviolett  sich  färbenden  Inhaltskömer  der  Buttersäure- 
bakterien und  Anaerobier  überhaupt  geben  einige  neuere  Untersuchun- 
gen Aufschluß.  Während  die  meisten  Forscher  die  Ablagerungen  der 
Granulöse  (und  des  Glykogens)  in  den  Zellen  als,,  Vorratsstoffe'*  zur  Auf- 
rechterhaltung der  Ernährung  bzw.  der  Gärung  betrachten,  möchte 
Graßberger^)  darin  lieber  eine  Krankheitserscheinung,  eine 
Art  von  „Zuckerkrankheit",  sehen  und  begründet  das  dadurch,  daß 
gleichzeitig  Gestaltsveränderungen,  gewissermaßen  Mißgestaltungen 
entstehen,  und  ein  abnormer  Stoffwechsel  (Buttersäuregärung)  auftrete, 
femer  die  mit  der  Clostridiumbildung  gewöhnlich  verknüpfte  Sporen- 
bildung gelegentlich  ausbleibe,  und  die  ganze  Kultur  öfters  —  ohne 
oder  nait  Sporen  —  wenig  lebensfähig  sei.  Man  wird  dieser  Auffassung 
insofern  wenigstens  nicht  jede  Berechtigung  versagen  können,  als 
allerdings  der  ganze  Vorgang  nicht  selten  den  Eindruck  einer  einseitig 
übertriebenen  Entwicklung  macht.  Indessen  fragt  es  sich  doch,  ob 
nicht  die  ungünstigen  Bedingungen,  in  denen  die  Buttersäurebazillen 
durch  unsere  künstliche  Züchtung  geraten,  an  dieser  verfehlten  Ent- 
wicklung zum  großen  Teil  die  Schuld  tragen.  Insbesondere  denken 
wir  dabei  an  die  Anhäufung  von  schädlichen  Stoffwechselerzeugnissen 
(§  47),  z.  B.  von  Säure,  die  unter  natürlichen  Verhältnissen,  wo  Salze 
oder  alkalische  Erden  eine  zu  starke  Säuerung  verhüten,  nicht  so  leicht 
vorkommt.  Die  wichtige  Bedeutung  der  Alkalinität  der  Nährflüssig- 
keit für  die  Bildung  und  die  Widerstandsfähigkeit  der  Anaerobiersporen 
hat  neuerdings  besonders  von  Hibler^)  hervorgehoben  (vgl.  S.  138). 
Demselben  Forscher  verdanken  wir  Untersuchxmgen  über  die  Be- 
dingungen der  Granuloseablagerung,  Clostridiumbildung*)  und  Beweg- 
lichkeit. Wie  die  letztere,  die  uns  hier  nichts  angeht,  wird  auch  die 
Bildung  von  Granulöse  und  „Blähformen"  durch  saure  Reaktion  ge- 
hemmt, durch  alkalische  gefördert.    So  z.  B.  kam  eine  solche  beim 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  539,   1903. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  48.   35,   1904. 

3)  Untersuchungen  über  pathogene  Anaeroben  usw.,  1008,  S.  184  ff. 

4)  Ebenda  157  ff. 


Wandlungen  der  Kohlenhydrate.  417 

BazilluB  des  Gasbrandes  auf  Kartoffehi^),  die  mit  Sodalösung  über- 
schichtet  waren,  erst  zu  Gesicht,  wenn  der  Sodagebalt  über  0,5% 
hmausging.  Im  Traubenzuckeragar  zeigte  sich  ein  ähnliches  Verhältnis, 
wenn  auch  hier  beide  abnormen  Bildungen  weit  seltener  waren.  Beim 
Rauschbrandbazillus  wurden  am  meisten  Stärke  und  Clostridien  ge- 
bildet in  Traubenzucker-  und  Kartoffelkulturen  mit  0,25 — 0,5%  Soda. 
Der  Bac.  enteritidis  sporogenes  K  1  e  i  n  s  imd  der  bewegliche  Butter- 
säurebazillus (Amylobacter)  entwickelten  beides  am  reichlichsten  in 
Kartoffeln  mit  1,5 — 2,5%  Soda.  Die  Bazillen  des  malignen  Ödems 
(Koch)  und  Tetanus  bildeten  in  Traubenzuckeragar  mit  1,5 — ^2% 
zwar  Blähformen,  aber  keine  Granulöse,  in  Agar  mit  geringerem  Soda- 
gehalt trat  die  letztere  aber  beim  Odembazillus,  und  auf  Kartoffeln 
mit  0,5%  Soda  auch  beim  Tetanusbazillus  ausnahmsweise  in  Spuren 
auf.  Der  Bac.  botulinus  ließ  dagegen  stärkehaltige  Clostridien  in  Kar- 
toffeln mit  0,5%  Soda  entstehen.  Wie  man  sieht,  gelingt  es  unter 
diesen  Umstanden  auch  bei  solchen  Anaeroben,  Bildimg  von  Stärke 
und  Blähformen  hervorzurufen,  bei  denen  eine  solche  im  allgemeinen 
uicht  bekannt  ist^). 

Die  Bildung  der  Stärke,  der  Zellulose,  des  Glykogens,  wie  der  zu- 
sammengesetzten Kohlenhydrate  überhaupt  werden  wir  uns  als  eine 
eozymatische  vorstellen  dürfen,  da  von  verschiedenen  Seiten  die  Mög- 
lichkeit au^|;edeckt  worden  ist^),  die  gelöste  Stärke  im  Reagensglas 
durch  „Amylokoagulase*"  oder  Amidozellulase  in  ungelöste  zurück 
zu  verwandeln,  femer  die  Entstehung  der  Maltose  (Isomaltose)  aus 
Glykose  durch  Hefemaltase  (S.  239),  der  Laktose  (Isolaktose)  aus 
Glykose  und  Gralaktose  durch  Laktose  (S.  241),  die  eines  Polysaccharids 
aus  Zucker  durch  Hefepreßsaft  (S.  263)  festzustehen  scheint. 


1)  Andere  stärke-  oder  glykogenhaltige  Nährböden  (Blutserum  und 
Fleischsaftagar)  ergaben  ungefähr  die  gleichen  Befunde.  Bezüglich  der 
übrigen  Zuckerarten  vgl.  die  Arbeit  selbst. 

2)  Auch  die  Form  der  Sporen  sowie  ihre  Bildung  überhaupt 
unterliegt  nach  von  Hibler  ähnlichen  Schwankungen,  so  daß  durch 
seine  Untersuchungen  die  früher  beliebte  auf  die  morphologischen  Unter- 
schiede gegründete  Abgrenzung  der  Anaerobier  voneinander  endgültig  als 
eine  künstliche  erkannt  worden  ist. 

3)  W o  1  f  und  Fernbach,  Compt.  rend.  ac.  sc.  137.  718 ;  138,  49 ; 
Annal.  Pasteur  1904.  3;  Magnessen,  Compt.  rend.  137.  797  und  1266. 


Kruse,  Mikrobiologie.  27 


Kapitel    VII. 

Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren, 

§  131.    Umwandlungen  der  höheren  Alkohole.  Gärungen. 

Die  höheren  Alkohole  („Zuckeralkohole"),  als  deren  Aldehyde  die 
Zucker  aufgefaßt  werden  können,  kommen  seltener  imd  in  kleineren 
Mengen  in  der  Natur  vor,  als  die  letzteren  und  haben  deshalb  schon 
eine  geringere  Bedeutung  für  den  Stoffwechsel  der  Mikroorganismen. 
Am  weitesten  verbreitet  ist  unter  ihnen  der  Mannit  C^^ß^  und  das 
Glyzerin  CgHgOj,  letzteres  allerdings  meist  in  gebimdener  Form  in 
den  Fetten,  aus  denen  es  aber  leicht  abgespalten  wird  (vgl.  §  137). 
Die  Umwandlungen,  denen  diese  Körper  unter- 
liegen, ähneln  durchaus  denen  der  Kohlenhydrate, 
und  zwar  der  einfachen  Zuckerarten,  die  wir  im  vorhergehenden  Kapitel 
besprochen  haben.  Wir  finden  auch  bei  ihnen  die  Spaltungen,  die  wir 
als  Alkohol-,  Milchsäure-,  Essigsäure-,  Wasserstoff-,  Buttersäure-, 
Butylalkoholgärung  usw.  kennen  gelernt  haben,  ferner  Oxydations- 
prozesse und  Synthesen;  natürlich  erscheint  der  Verlauf  etwas  ver- 
ändert durch  ihre  etwas  abweichende  Zusammensetzimg.  Im  ganzen 
genommen  scheinen  sie  aber  durch  die  Aufnahme  von  Wasserstoff- 
atomen gegenüber  den  Angriffen  der  Mikroorganismen  widerstands- 
fähiger geworden  zu  sein  als  die  entsprechenden  Zucker^).  Auch  hier 
begegnen  wir  bei  den  isomeren  Körpern  je  nach  ihrer  Konfiguration 
sehr  verschiedenen  Prozessen. 

Wir  besprechen  hier  nur  die  Spaltungen  und  Oxydationen  und 
lassen  die  Sjmthesen  unberücksichtigt,  weil  sie  mit  Ausnahme  derjenigen 
der  Fette  (§  152)  wohl  gewöhnlich  jene  Veränderungen  voraussetzen. 
Doch  werden  wir  schon  bei  den  Spaltungen  einige  synthetische  Pro- 
zesse kennen  lernen. 

Die  reine  Alkoholgänmg,  der  die  Hexosen  imterliegen,  finden  wir 
bei  den  höheren  Alkoholen  nicht  wieder.  Die  Hefen  vermögen  sie  über- 

1 )  Die  Angabe  von  Frankland,  Stanley  und  F  r  e  w  (s.  u.) 
dor  Bac.  pneumoniaie  vergäre  leichter  d.  h.  rascher  Mannit  als  Glykoee. 
beruht  vielleicht  nur  auf  Zufälligkeiten. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  419 

haupt  nicht  zu  vergären,  obwohl  sie  z.  B.  Glykol,  Glyzerin,  Erythrit, 
Queizit,  Mannit  assimilieren,  d.  h.  wohl  unter  Oxydation  zum  Wachs- 
tum verbrauchen  können  (Laurent  ^)).  Vielen  Bakterien  gegenüber 
verhalten  sie  sich  anders,  sie  zerfallen  unter  ihrem  Einfluß  gewöhn- 
lich gemischten  Gärungen,  wie  die  Zucker  es  auch  tun. 
Ein  Beispiel  dafür  haben  wir  schon  in  den  Untersuchungen  G  r  i  m  - 
b e r t s  über  den  Bac.  pneumoniae  (Friedländer)  kennen 
gelernt  (S.  292).  Vergoren  werden  durch  ihn  außer  den  Zuckerarten 
Mannit,  der  isomere  Dubdt  und  Glyzerin.  Die  Gärprodukte  sind 
Alkohol,  Essigsäure,  Milchsäure,  Bernstein- 
säure, und  zwar  in  wechselnden  Verhältnissen.  Beim  Dulzit 
überwiegt  die  alkoholische,  beim  Mannit  und  Glyzerin  die  Milchsäure- 
gärong.  Letztere  Säure  fehlt  ganz  beim  Dulzit  und  wird  hier  ersetzt 
durch  die  Bemsteinsäure,  ein  Verhältnis,  das  wir  ja  auch  sonst  bei 
Vergärung  der  verschiedenen  Zucker  gefunden  haben  (S.  302).  Leider 
hat  Grimbert  keine  gleichzeitigen  Gasanalysen  vorgenommen. 
Wahrscheinlich  werden  Kohlensäure  und  Wasserstoff  entwickelt,  und 
zwar  letzteres  in  überwiegender  Menge.  Der  Bacillus  formicicus  0  m  e  - 
lianskys  (§140),  der  sonst  völlig  verschieden  ist  von  dem  Bac. 
pneumoniae,  vergärt  Mannit  und  Dulzit  in  gleicher  Weise.  Auch  durch 
ihre  übrigen  Eigenschaften  gehören  hierher  femer  die  von  T  a  t  e  ^) , 
Grimbert  und  L  e  g  r  o  s  ^)  untersuchten  Bazillen. 

Dagegen  imterscheiden  sich  die  von  Frankland,  Stanley 
und  Frew*)  sehr  gründlich  studierten  „Pneumoniekokken"  (=  Bazillen 
Priedländers)  schon  dadurch,  daß  sie  zwar  Mannit,  aber  nicht 
Dulzit  und  Glyzerin  vergären,  außerdem  bei  der  Vergänmg  des  ersteren 
die  Milchsäure  vermissen  lassen  und,  neben  viel  Wasserstoff  imd  Kohlen- 
saure  in  bestimmten  Verhältnissen,  etwas  Ameisen-  und  Bernsteinsäure 
erzeugen.  Bei  dem  Bac.  aerogenes,  der  von  den  Pneumonie- 
bazillen  kaum  scharf  zu  trennen  ist,  sah  Emmerling^)  ebenfalls 
Milchsäure  fehlen,  und  statt  ihrer  traten  Bernsteinsäure  und  Alkohol  in 
den  Vordergrund,  während  flüchtige  Säuren  spärlich  entwickelt  wurden. 
Auch  Frankland  und  F  r  e  w  *)  studierten  einen  ähnlichen  Bazillus 
(B.  ethacetosuccinicus),  der  nicht  nur  aus  Dulzit,  sondern  auch  aus 
Mannit  viel   Bemsteinsäure  neben   Alkohol,   Essigsäure,   Wasserstoff 


1)  Annal.  Fasteur  1889.  114. 

2)  Transact.  ehem.  soc.  (Kochs  JeJxresber.   1893.   191). 

3)  Compt.  rend.  soc.  biol.   1900.   1424. 

4)  Transact.  ehem.  soc.   (Kochs  Jahresber.   1891.   134). 

5)  Ber.  ehem.  Gee.  33.  2477,  1900,  vgl.  auch '  Zersetzung  stickstoff- 
freier org.   Sahst,  durch  Bakterien,   1902.  Lit. 

6)  Transact.  ehem.  soc.  (Kochs  Jahresber.  1892.  229). 

27* 


420  Kap.  VII,   i  131. 

und  Kohlensäure  und  etwas  Ameisensäure  bildete.  Bemsteinsäuie 
und  Milchsäure  fehlten  dagegen  nach  Frankland  und  L u m s - 
d e n ^) ,  wenn  sie  die  beiden  Alkohole*)  durch  ihren  Bac.  ethace- 
t  i  c  u  8 ,  der  freilich  auch  in  den  übrigen  Eigenschaften  von  der  Aero- 
genesgruppe  abzuweichen  scheint,  vergären  Ueßen.  Äthylalkohol  über- 
wog unter  den  Produkten,  daneben  entstanden  Essigsäure,  AmeisenBaure 
und  wieder  viel  Wasserstoff  und  Kohlensäure. 

Der  dem  Bac.  pneumoniae  und  aerogenes  zunächst  stehende 
Bac.  coli  communis  bildet  nach  H  a  r  d  e  n  aus  dem  Mannit  wie  aus 
der  Glykose  (S.  318)  neben  Milchsäure  etwas  Ameisensäure  und  Bem- 
steinsäure  und  erhebliche  Mengen  Wasserstoff  imd  Kohlensäure,  aber 
statt  der  Essigsäure,  die  ganz  fehlt,  viel  mehr  Alkohol,  aus  dem  Glyzerin 
sogar  nur  Alkohol  neben  den  Gasen  (und  Ameisensäure).  Auch  die 
Paratyphus-  und  Fleisch  Vergiftungsbazillen*)  scheinen  nach  Potte - 
V  i  n  aus  Mannit  mehr  Alkohol  zu  entwickeln  als  aus  Glykose  (S.  326). 
Die  Dysenteriebazillen  vergären  nur  Glyzerin,  nicht  Mannit, 
die  Pseudodysenteriebazillen  beides,  erzeugen  aber,  wie 
aus  der  Glykose,  kein  Gas  und  nach  Sera  (S.  318)  überhaupt 
keinen  Alkohol,  wohl  aber  große  Mengen  Ameisen-  und 
Essigsäure  imd  vielleicht  noch  etwas  Propionsäure.  Wenn 
man  nach  dem  Verhalten  der  Typhusbazillen  zur  Glykose 
urteilen  könnte,  würden  sie  dieselben  Produkte  aus  Mannit  bzw. 
Glyzerin  bilden,  wie  die  Ruhrbazillen. 

Die  ¥ächtig8ten  Milchsäurebakterien,  Streptokokken  wie  „lange 
Bazillen",  die  aus  Glykose  ebensowenig  wie  Tj^hus-  und  Ruhrbazillen 
Gase  oder  höchstens  etwas  Kohlensäure  entwickeln  (S.  316),  tun  das 
auch  wohl  nicht  aus  den  Zuckeralkoholen,  sofern  sie  die  letzteren  über- 
haupt angreifen,  was  durchaus  nicht  regelmäßig  geschieht  (S.  298  u.  348). 
Über  ihre  sonstigen  Gärprodukte  ist  kaum  etwas  bekannt.  Doch  er- 
wähnt P  o  1 1  e  V  i  n  ,  sein  Milchsäurebakterium,  das  Glykose  ziemlich 
glatt  in  Milchsäure  zerlegt  (S.  296),  habe  eine  viel  schwächere  Wirkung 
auf  Mannit,  Dulzit  und  Glyzerin  und  bilde  daraus  zwar  auch  viel  Milch- 
säure, aber  doch  noch  30—40%  anderer  Stoffe,  wie  Alkohol,  Essig-  und 
Ameisensäure.  Einige  lange  Bazillen,  wie  der  Bac.  manniticus  Gayons, 
sind  nicht  nur  unfähig,  die  Zuckeralkohole  zu  zersetzen,  sondern  er- 


1)  Ebenda  231. 

2)  Nach  Frankland  tmd  Fox  (Roy.  soc.  Prooeed.  46.  346,  1889) 
wird  auch  Glyzerin  zu  Alkohol  und  Essigsäure  vergoren. 

3)  Den  einzelnen  Alkoholen  gegenüber  verhalten  sie  sich,  wie  die 
Säure-  und  Gasprobe  ergibt  ( §  1 12),  ebenso  wie  die  ColibaziUen  verschieden. 
Teilweise  wird  auch  Erythris  vergoren. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  421 

zeugen  sogar  neben  andeien  Stoffen  erhebliche  Mengen  von  Glyzerin 
oder  Hannit  (§  106  u.  124). 

Es  fragt  sich  jetzt,  wie  wir  uns  die  Vergärung  der  höheren  Alkohole 
zu  denken  haben.  Die  früheren  Untersucher,  namentlich  Frank- 
1  a  n  d  und  seine  Mitarbeiter,  haben  geglaubt,  verwickelte  Umsetzungs- 
gleichungen  aufstellen  zu  können.  So  soll  das  Mannit  durch  den  Bac. 
pneumoniae  zerfallen  nach  der  Formel 

a)  eCeHi^Oe  +  H,0  =  OC^H^O  +  ^€^^2  +  lOCO^  +  SH^; 

derselbe  Stoff  durch  den  Bac.  ethaceticus,  unter  der  früher  schon  er- 
wähnten Annahme,  daß  die  Gase  hauptsächlich  dem  Zerfall  der  Ameisen- 
saure  entstammen  (S.  320),  wie  folgt: 

b)  SCeHi^Oe  +  H^O  =  C^HA  +  öC^^O  +  öCH^  +  CO^. 

Schließlich  werden  für  die  Vergärung  des  Dulzits  durch  den  Bac. 
ethacetosuccinicus  unter  derselben  Voraussetzung  2  Gleichungen 
aufgestellt: 

c)  CeH^A  =  2C^eO  +  CO^  +  CH^  «nd 

d)  CeHiA  =  CÄH,  +  C^A  +  2H,  . 

Nimmt  man  c  zweimal  und  d  einmal,  so  erhält  man  eine  der  gesamten 
Umsetzung  entsprechende  Gleichimg. 

H  a  r  d  e  n  hat  später  für  die  Vergärung  des  Mannits  durch  den 
Bac.  coli  eine  ebenso  einfache  Formel  angegeben,  wie  für  die  des  Trauben- 
zuckers: auch  hier  sollen  2  Moleküle  zusammentreten,  wie  wir  es  auf 
S.  294  dargestellt  haben,  ohne  daß  aber  eine  Beteiligung  von  Wasser 
nötig  wäre.  Die  Produkte  sind  auch  die  gleichen  bis  auf  die  Essig- 
saure, die  hier  durch  Alkohol  ersetzt  ist: 

e)  2CeH,A  =  2C3He03  +  2C2H,0  +  200^  +  2K^. 

Nebenbei  bemerkt,  nimmt  auch  H  a  r  d  e  n  an,  daß  die  Gase  aus 
der  Zersetzimg  der  Ameisensäure  hervorgehen.  Setzt  man  die  be- 
treffende Formel  in  e  ein  und  teilt  durch  2,  so  erhält  man  eine  ein- 
fache Gleichung: 

f )    CeHi  A  =  CgHeOj  +  C^eO  +  CH  A  • 

Ebenso  einfach  wäre  nach  H  a  r  d  e  n  die  Vergärung  des  Glyzerins 
durch  den  B.  coli: 

g)  CgHA  =  c^o  +  CH A  • 

Wir  können  nur  wiederholen,  was  wir  bei  Gelegenheit  der  Zucker- 
zersetzungen  (§  98  u.  103  ff.)  über  dergleichen  verwickelte  Gärungs- 
gleichungen gesagt  haben:  sie  geben  vielleicht  die  Befunde  ziemlich 
genau  wieder  bei  dem  einen  oder  anderen  Versuch,  reichen  aber 


422  Kap.  VII,  §  131. 

nicht  einmal  für  alle  Versuche  mit  einem  imd  demselben  Bakterium 
aus,  weil  das  Mengenverhältnis, in  de  mdieeinzelnen 
Oärerzeugnisse  zueinander  stehen,  zuerheblicii 
schwankt.  Wir  sind  daher  geneigt,  um  dieser  Mannigfaltigkeit 
der  Analysen  gerecht  zu  werden,  auch  hier  die  einzelnen  Gär- 
produkte unabhängig  voneinander  entstehen  zu  lassen,  müssen 
allerdings  zugeben,  daß  die  Formeln  für  die  milchsaure,  essigsaure, 
alkoholische  und  Wasserstoffgärung  der  Zuckeralkohole  nicht  so  einfach 
lauten  können,  wie  für  die  des  Zuckers  selbst.  Das  zeigt  sich  bei  jedem 
Versuch,  die  bekannten  Formeln  dem  höheren  Wasserstoffgehalt  der 
Alkohole  entsprechend  umzuformen.  Die  Gleichung  der  „Wasserstoff- 
gärung"  zeigt  verhältnismäßig  die  geringsten  Änderungen,  sie  würde 
z.  B.  lauten  für  den  Mannit  und  isomere  Alkohole 

h)    CeHi^Oe  +  6H2O  =  öCOg  +  ISH^ , 

unterschiede  sich  also  nur  durch  den  größeren  Wasserstoffüberschuß 
von  der  Gleichung  6  in  §  98.  Dafür,  daß  sie  die  Verhältnisse  richtig 
wiedergibt,  spricht  der  von  manchen  Forschem,  namentlich  von  Frank - 
land  gemachte  reichlichere  Befimd  von  Wasserstoff  bei  der  Marniit- 
imd  Dulzitvergänmg.  Indessen  haben  wir  gesehen,  daß  gerade  die 
Formel  der  Wasserstoffgärung  am  wenigsten  sicher  gestützt  ist  (§  105). 
Nehmen  wir  freilich  statt  ihrer  die  Gleichung  der  „Ameisensäure- 
gärung", so  würde  sie  sich  auch  noch  in  einfacher  Weise  umgestalten  lassen : 

i)  CeH^Oe  +  GH^O  =  6CHA  +  ^H^. 

Die  Gleichungen  für  die  milchsaure  imd  essigsaure  Gärung  ergäben 
dagegen  niemals  ein  einziges  Produkt,  wie  bei  dem  Zerfall  der  Zucker, 
sondern  stets  entweder  neben  der  Säure  freien  Wasserstoff,  oder  min- 
destens einen  anderen  durch  Reduktion  entstehenden  Stoff*).  Wir  unter- 
lassen es  hier,  solche  Formeln  aufzustellen,  weil  sie  bisher  nicht  genü- 
gend durch  Beobachtungen  gestützt  werden.  Ähnliches  gilt  für  die  alko- 
holische Gärung^)  derZuckeralkohole.  Immerhin  hätten  wir  hier  bei  derOly- 
zerin Vergärung  in  der  obigen  Gleichimg  g  einen  möglichst  einfachen  Ersatz. 
Schon  bei  der  alkoholischen  Mannitvergärung  würden  wir  aber 
statt  zweierlei-  Produkte  drei  erwarten  müssen,  etwa  wie  folgt: 

k)    CeHj^Og  =  2C2H6O  +  CH2O2  +  CO2  oder 

kl)  CeH.^Oe  =  2C2HeO  +  2CO2  +  H^ . 

1)  Z.   B.   Propionsäure,  Alkohol  und  Methylalkohol   (s.   u.). 

2)  Nach  M  ü  n  t  z  (Annal.  chim.  phys.  6.  s6r.  8)  soll  bei  der  „intra- 
molekularen Atmung"  der  Pilze  in  der  Tat  aus  Mannit  neben  Alkohol  und 
Kohlensäiu-e  Wasserstoff  entstehen,  aus  Zucker  nicht.  Die  Gleichung  k, 
beistände  also  zu  recht. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  423 

Vielleiclit  verdienen  diese  Gleichungen  aber  doch  den  Vorzug  vor 
den  aas  Hardens  Analysen  abgeleiteten  obigen  Gleichungen  e  und  f. 

Auch  die  Bemsteinsäure  kann  aus  den  Zuckeralkoholen  nur  durch 
eine  verwickelte  Umsetzung  entstehen  (vgl.  Gleichung  d),  wenn  man 
nicht  etwa  den  bisher  nur  ausnahmsweise  beobachteten  Methylalkohol 
(s.  u.)  dafür  heranziehen  wollte: 

1)   CäA=C4HA  +  2CH,0. 

Vorläufig  erscheint  es  uns  aussichtslos,  genaueres  feststellen  zu 
wollen.  Dazu  reichen  die  vorhandenen  Untersuchungen  nicht  aus. 
Wir  machen  aber  auch  hier  auf  die  besondere  Schwierigkeit  aufmerk- 
sam, die  sich  für  die  Erklärung  der  Gärungen  der  Typhus-  und  Ruhr- 
bazillen ergeben  (S.  318  u.  333). 

Die  höheren  Alkohole  sind  auch  der  Buttersäure-  und 
Butylalkohol gänmg  unterworfen.  Die  Untersuchungen  von 
Fitz  stammen  freilich  aus  einer  Zeit,  die  noch  keine  Gewähr  für  Rein- 
kulturen übernehmen  konnte.  Am  meisten  Vertrauen  erweckt  seine 
Beschreibung  des  Bac.  butylicus^),  der  nicht  nur  Rohrzucker,  sondern 
auch  Mannit  und  Glyzerin  zu  Buttersäure,  Butylalkohol,  etwas  Milch- 
säure und  Spuren  von  Buttersäure  vergärt.    Es  wurden  gebildet  aus 

100  g 
Traubenzucker 

Butylalkohol 0,5 

Buttersäure 42,5 

Milchsäure 0,3 

Bemsteinsäure Spur 

Trimethylenglykol    ....  —  —  3,4 


100  g 

100  g 

Mannit 

Glyzerin 

10,2 

8,1 

35,4 

17,4 

0,4 

1,7 

0,01 

43,3  46,0  30,6 

Die  dabei  entwickelten  Gase  wurden  nicht  analysiert. 

Buttersäure   und   Butylalkohol   entstehen   vielleicht   aus   Mannit 
nach  den  Gleichungen  (vgl.  S.  368): 

m)   CeHiA  =  C4H8O2  +  2CO2  +  3H2  (-  7,4  Kai.) 

n)   CeHiA  =  O4H10O  +  2CO2  +  Hg  +  H^O  (+  15,4  Kai.) . 

Der  Trimethylenglykol  CHgOH  .  CHg  .  CHgOH  könnte  vielleicht  durch 

Reduktion  mittelst  des  Gärungswasserstoffs  aus  Glyzerin  entstehen. 

Der  von  Emmerling^)  in  Reinkulturen  studierte  Bazillus  aus 

Heu  hat  große  Ähnlichkeit  mit  dem  Bac.  butylicus  von  Fitz.    Der 

1)  Ber.  ehem.  Gea.  1876.  1348;    1877,  276;  1878.  42  und  namentlich 
1882.  878. 

2)  Ebenda  1807.  241. 


424  Kap.  Vn,   §  131  u.  132. 

Bac.  boocopricufi  Emmerlings  (S.  316)  zeichnet  sich  dagegen 
durch  ein  seltenes  Gärprodukt  aus,  den  Methylalkohol,  den  er 
neben  Essigsäure  und  Buttersäure  aus  Glyzerin  bildet  (s.  o.).  Auf 
Zuckemährböden  verursachte  er  eine  gemischte  Milchsauregarung.  In 
jedem  Falle  ist  die  Gärung  recht  schwach,  vom  Glyzerin  wird  z.  B. 
kaum  10%  angegriffen.  Dadurch  und  durch  seine  sonstigen  Eigen- 
schaften nähert  er  sich  den  Heubazillen. 

Einer  ziemlich  reinen  Buttersäuregärung  unterliegen  nach  F  i  t  z  ^) 
auch  der  Dulzit  imd  die  beiden  Ringalkohole  der  hydroaromatischen 
Kohlenwasserstoffe  I  n  o  s  i  t  und  Q  u  e  r  z  i  t  von  der  Formel  C^H^gOg 
und  CeHiaOg . 

Der  Erythrit  kann  nach  demselben  Autor  in  doppelter  Weise 
vergären:  erstens  zu  Buttersäure  und  Essigsäure^)  mit  Beimengungen 
von  Ameisensäure,  Bemsteinsäure  und  Alkohol,  zweitens  zu  Butter- 
säure und  Bemsteinsäure^)  mit  Spuren  von  Essig-  und  Kapronsäure. 
Letztere  Gärung  soll  nach  der  Gleichung: 

o)   2  C4H10O4  =  C,Rfi,  +  C^HgO,  +  2  HgO  +  R^ 

verlaufen.  Die  Erreger  dieser  Zersetzungen  sind  nicht  näher  bekannt, 
da  nach  Fitz  sich  niemand  mit  ihnen  beschäftigt  hat. 

Der  Bac.  orthobutylicus  Grimberts  (vgl.  S.  368)  vergärt 
Mannit  und  Glyzerin  etwas  weniger  leicht  wie  die  Zucker,  bildet  aber 
daraus  ähnliche  Produkte.  Die  letztere  Gärung  erfolgt  nach  der 
empirischen  Formel: 

p)  50C3H8O3+39H2O=5C4Hi0O+12C4HgO2+2CH4O2+78CO2+162H2. 

Es  findet  dabei  also  eine  Synthese  der  Buttersäure  und 
des  Butylalkohols  aus  dem  Glyzerin  statt,  vielleicht  nach 
den  Gleichungen 

q)  2C3H3O3  =  C,Rfi^  +  2CO2  +  4H2  (-2,1  Kai.) 

r)  2C3H8O3  =  C,HioO  +  2CO2  +  2H2  +  HgO  (+  20,7  Kai.) 

wozu  dann  noch  die  Gleichung  der  Essigsäure-  und  Wasserstoffgärung 
(s.  o.)  hinzukämen.  Der  vieratomige  Alkohol  Erjrthrit  wird  nach  G  r  i  m  - 
b  e  r  t  nicht  vergoren. 

Diese  Formeln  würden  vielleicht  auch  Gültigkeit  besitzen  für 
Gärungen,  die  durch  andere  Buttersäurebazillen  hervorgerufen  werden, 
z.  B.  den  Amylobacter  butylicus  Duclauxs*),  der  nicht  nur  alle 
möglichen  Kohlehydrate,  sondern  auch  Mannit  und  Glyzerin  vergärt 

1)  Ber.  ehem.  Ges.  1878.  45. 

2)  Ebenda  1878.  474. 

3)  Ebenda  1878.  1890. 

4)  Annal.  Pasteur  1895.  811. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  425 

und  dabei  wechselnde  Mengen  der  gleichen  Stoffe  wie  der  Bac.  ortho* 
butyliciiB  erzeugt.  Glyzerin  soll  dabei  freilich  keine  wesentlichen 
Mengen'  von  Gras  entwickeln. 

§  132.  Oxydationen  der  höheren  Alkohole.  Sorbose- 
garang.  Die  meisten  zum  Leben  an  der  Luft  befähigten  Mikroorganis- 
men, die  Zucker  zu  verbrennen  vermögen,  oxydieren  auch  die  verwandten 
Alkohole  entweder  vollständig  zu  Kohlensäure  und  Wasserstoff  oder 
zu  einem  Zwischenprodukt  wie  Oxalsäure  und  Glyzerose.  D  u  c  1  a  u  x 
hat  das  im  besonderen  für  Schimmelpilze  (S.  390),  P  e  r  e  für  Heu- 
bazillen (S.  394)  nachgewiesen.  Aber  auch  die  Bakterien,  deren  oxy- 
dierende Kraft  nicht  eine  so  energische  oder  besser  gesagt  tiefgehende 
ist,  wie  z.  B.  die  Essigbakterien,  die  den  Zucker  gewöhnlich  nur  bis 
zur  eisten  Oxydationsstufe,  der  Glykon-  oder  Glykuronsäure  ver- 
brennen (§  120),  greifen  die  Alkohole  in  ähnlich  beschränkter  Weise  an. 
So  oxydiert  nach  B  r  o  w  n  ^)  das  Bact.  aceti  den  Mannit  zu  Fruk- 
tose nach  der  Formel 

CÄ  A  +  0  =  C^x  A  +  H,0 . 

Das  Bact.  Pastorianum  ist  nach  Seifert^)  dazu  nicht  imstande. 
Ebensowenig  wird  nach  G.  B  e  r  t  r  a  n  d  (s.  u.)  der  Dulzit  imd  Sorbit 
oxydiert,  und  zwar  durch  keins  der  beiden  Bakterien.  Auch  Glyzerin 
verhält  sich  ähnlich,  während  der  G  1  y  k  o  1  nach  S  e  i  f  e  r  t  zu  Glykol- 
saure  oxydiert  wird: 

CHgOH  .  CHgOH  +  20  =  CH^OH  .  COOH  +  HgO  . 

Sehr  interessant  ist  die  oxydierende  Wirkung  eines  dritten  Essig- 
&äuiebakteriums,  des  Bact.  xylinum,  die  Bertrand ^)  gründ- 
lich studiert  hat.  Der  zweiwertige  Glykol,  der  fünfwertige  Xylit  und 
sechswertige  Dulzit  wird  nicht  von  ihm  angegriffen,  wohl  aber  Gly- 
zerin (dreiwertig),  Erythrit  (vierwertig),  A  r  a  b  i  t  (f  ünfwertig), 
Sorbit,  Mannit,  Perseit  (sechswertig)  und  V  o  1  e  m  i  t 
(siebenwertig).  Alle  diese  Körper  werden  umgewandelt  in  die  verwandten 
Retonzucker,  so  das  Glyzerin  in  das  Dioxyazeton 

CH^OH  .  CHOH  .  CHgOH  +  0=  CHgOH  .  CO  .  CH^OH  +  Hfi  , 

das  sich  von  der  Glyzerose  (S.  394),  einem  anderen  Oxydationsprodukte 
des  Glyzerins,  bloß  durch  seine  Konfiguration  unterscheidet.  Ebenso 
wird  der  Mannit  zu  Fruktose,  der  Sorbit  zu  Sorbose.  Die  schein- 
bare  Unregelmäßigkeit   in    dem   Verhalten   der   einzelnen 

1)  Joum.  ehem.  soc.   1886.   172  und  432. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3.  337. 

3)  Coinpt.  rend.  ac.  sc.  126.  762,  842   u.  984;    127.   124  u.  729,  vgl. 
auch  Annal.  Chim.  Phys.  (8).  3.   181,  1904. 


426  Kap.  VII,  §  132  —  134. 

Alkohole  läßt  sich  nach  Bertrand  auf  die  Regel  zurückfahren, 
daß  diejenigen  von  ihnen  allein  durch  das  Bact.  zylinum  angegriffen 
werden,  die  in  ihrer  Eonfigurationsformel  eine  -Gruppe 
CHOH  enthalten,  deren  Hydroxyl  auf  derselben  Seite  des  Moleküls 
kein  Wasserstoffatom  zum  Nachbar  hat. 

So  bleibt  der  Dulzit  z.  B.  unverändert,  der  Sorbit  wird  oxydiert: 


CHjOH 

CHjOH 

CHjOH 

HOCH 

HOCH 

CO 

HCOH 

HOCH 

HOCH 

HCOH 

HCOH 

HCOH 

HOCH 

HOCH 

HOCH 

CHjOH 

CHjOH 

CHjOH 

d-Dnlzit 

d-Sorbit 

d-Sorbose. 

Die  Bildung  von  Sorbose  erfolgt  in  natürlichen  Flüssigkeiten,  die  Sorbit 
enthalten,  in  charakteristischer  Weise,  so  daß  man  von  einer  „Sorbose- 
gärung"  gesprochen  hat^).  Wenn  man  Saft  von  Vogelbeeren  (Sorbus 
aucuparia)  stehen  läßt,  so  tritt  durch  Entwicklung  von  Hefe  alkoholische 
Gärung  ein,  in  deren  Verlauf  der  Traubenzucker  aus  dem  Saft  ver- 
schwindet. Dann  siedelt  sich  auf  der  Oberfläche  Eahmhefe  (Mycoderma 
cerevisiae)  an,  die  den  Alkohol  und  Extraktstoffe  zerstört.  Auf  die 
Eahmhefe  folgt  Schimmel  (Penicillium  glaucum),  der  das  Zerstörungs- 
werk vollendet,  aber  wie  seine  Vorgänger  den  im  Saft  ursprünglich 
enthaltenen  Sorbit  unberührt  läßt.  Jetzt  erst  entwickelt  sich  das 
,,Sorbosebakterium",  das  Bact.  xylinum,  imd  überzieht  die  Oberfläche 
mit  einer  dicken  Gallerte,  die  schließlich  vertrocknet  imd  grünlich 
wird.  Es  ist  nicht  ursprünglich  im  Safte  vorhanden  gewesen,  sondern 
wird  durch  Essigfliegen  (Drosophila  funebris),  die  mehrere  Generationen 
in  dem  Saft  durchmachen,  hineingebracht.  Aus  dem  Sorbit  bildet  sich 
neben  Sorbose  noch  in  großen  Mengen  die  Gallerte,  die,  wie  wir  schon 
S.  80  und  415  gesehen  haben,  aus  Zellulose  (oder  Chitin  S.  84)  besteht. 
Also  folgt  hier  der  Oxydation  vielleicht  eine  Synthese.  Auch  Eirschen- 
und  Birnensaft  kann  die  Sorbosegärung  durchmachen. 

Dasjenige  Essigbakterium,  das  sich  den  Zuckerarten  gegenüber 
am  vielseitigsten  erwiesen  hat  (S.  387),  das  Bact.  industriiun  Henne- 
b  e  r  g  s ,  ist  es  auch  gegenüber  den  Alkoholen :  es  oxydiert  neben 
Mannit  auch  Glyzerin  nicht  nur  zu  Zucker,  sondern  noch  weiter  zu 
Säuren,  deren  Wesen  der  Verfasser  allerdings  nicht  festgestellt  hat. 

§  133.  Umwandlungen  der  einwertigen  Alkohole.  Die  ein- 
wertigen Alkohole  der  Fettsäurereihe  kommen  in  frischen  pflanzUcfaen 

1)  Bertrand,  Compt.  rend.  ac.  sc.  122.  900  und  Annal.  Pasteur 
1898. 


Wandlungen  der  Alkohole»  Fette  und  Fettsäuren.  427 

und  tieriBchen  Stoffen  höchstens  in  Spuren  vor.  Nicht  gelten  werden  sie 
aber,  wie  wir  gesehen,  durch  intramolekulare  Atmung  derselben  ( S.  246)  und 
femer  durch  Mikroorganismen  erzeugt,  und  zwar  bei  weitem  am  häufig- 
sten der  Äthylalkohol  (§  84  ff.,  §  104),  seltener  der  Butylalkohol  (§  115), 
ausnahmsweise  auch  Methyl-  (S.  424),  Propyl-  (S.  371),  Amylalkohol 
(S.  372).  Abgesehen  von  ihrem  chemischen  Bau  sind  sie  schon  des- 
wegen zur  Ernährung  der  Mikroorganismen  weniger  geeignet,  weil  sie 
giftig  wirken  können.  Allerdings  tritt  dieser  schädliche  Einfluß  erst 
bei  gewisser  Konzentration  zutage,  in  genügender  Verdünnung  sind 
alle  diese  Alkohole  auch  Nährstoffe.  Ohne  weiteres  verständlich  ist 
ihre  Verwertimg  im  Betriebsstoffwechsel;  sie  dienen  bei  Sauerstoff- 
zutritt als  vorzügliches  Brennmaterial.  So  kann  Äthylalkohol  entweder 
zu  Essig-  oder  Oxal-  oder  Kohlensäure  und  Wasser  verbrannt  werden: 

1)  C^HeO  +  20=  C2H4O2  +  H2O  (+  112,4  Kai.) 

2)  CgHeO  +  50  =  C2H2O4  +  2 H^O  (+  265,5  Kai.) 

3)  CgHeO  +  60  =  2C02  +  3H20(+ 325,7  Kai.) 

Diese  Oxydationen  kommen  in  der  Tat  häufig  vor  und  verlaufen,  wie 
obige  Zahlen  zeigen,  mit  gewaltiger  Wärmeentwicklung. 

Spaltimgsprozesse  wären  auch  denkbar,  sind  aber  noch  nicht 
beobachtet  worden. 

Synthesen  aus  den  Alkoholen  kommen  vor,  denn  manche  Mikro- 
organismen können  allein  aus  ihnen  ihre  Lebenssubstanz  aufbauen. 
Sie  werden  aber  wohl  durch  die  oxydierten  Zwischenstufen  hindurch 
erfolgen.  Wie  sie  übrigens  vor  sich  gehen,  ist  gänzlich  unbekannt. 
In  Betracht  kommen  für  unsere  Darstellung  also  nur  die  Oxyda- 
tionen. 

§  134.  Verbrennung  der  Alkohole.  Die  meisten  bei  Sauer- 
ßtoffzutritt  wachsenden  Mikroorganismen  können  wohl  die  Alkohole  ver- 
brennen, ebenso  wie  es  die  höheren  Organismen  tun.  Die  Voraus- 
setzung ist  nur,  daß  sie  ihnen  in  der  nötigen,  d.  h.  nicht  schädlichen 
Verdünnung  dargeboten  werden.  Duclaux*)  hat  z.  B.  gefunden, 
daß  Aspergillus  niger  die  niederen  Alkohole  sämtlich  zu  Oxalsäure 
und  Kohlensäure  (s.  o.  Gleichung  2  und  3)  oxydiert.  Nach  Lau- 
rent^) ist  die  Bierhefe  dazu  nicht  imstande.  Es  ist  ja  auch  sonst 
bekannt,  daß  sie  den  Alkohol,  den  sie  durch  Gärung  aus  dem  Zucker 
erzeugt  hat,  nicht  anrührt.  Wohl  vermögen  das  der  überhaupt  sehr 
vielseitige  Schimmelpilz  Eurotiopsis  Gayoni  nach  Laborde^)  und 


1)  Annal.  Pasteur  1889.   109. 

2)  Ebenda  114. 

3)  Annal.  Pasteur  1897,  vgl.  Maz6  ebenda  1904. 


428  Kap.  VII,   §  134  u.  136. 

einige  Eahmliefen  nach  Beijerinck^)  und  L  a  f  a  r  ^).  D  u  - 
c  1  a  u  X  hat  bei  der  Oxydation  des  Alkohols  die  Essigsäure  stets  ver- 
mißt, sie  dient  hier  also  wohl  nicht  als  Zwischenstufe  der  Oxydation. 
Das  ist  dagegen  bei  Mycoderma  manchmal  (L  a  f  a  r)  und  bei  den 
Bssigbakterien,  zu  denen  wir  gleich  kommen,  regehnäßig  der  Fall  Die 
meisten  von  ihnen  können  nur  den  Äthylalkohol  oxydieren,  einige,  z.  B. 
das  B.oxydansundacetosumHennebergs^),  aber  auch  Methyl-,  Propyl-, 
Butyl-,  Isobutyl-  und  selbst  Amylalkohol  (Seifert*)).  Es  entstehen 
dabei  die  entsprechenden  Säuren,  Ameisen-,  Propion-,  Buttersäure  usw. 
Ad.  M  a  y  e  r  ^)  hat  bei  der  Oxydation  des  Äthylalkohols  durch 
Eahmhefen  nicht  Essigsäure,  aber  Azetaldehyd,  wenn  auch 
nur  spurenweise,  beobachtet.  Vor  der  vollständigen  Verbrennung  tritt 
dieser  Körper  offenbar  als  Zwischenstufe  auf: 

CgHeO  +  0  =  C2H4O  +  ttjO  . 

§  135.  Aerobe  Essigsänregftrnng.  Die  Verwandlung  des 
Äthylalkohols  zu  Essigsäure  wird  gewöhnlich  als  Essigsäuregärung  be- 
zeichnet. Wir  nennen  sie  die  aerobe,  im  Gegensatz  zu  der  anaeroben, 
die  wir  bei  den  Spaltimgsprozessen  der  Kohlehydrate  kennen  gelernt 
haben  (§  103). 

Die  Essiggärung  ist  einer  der  am  längsten  bekannten  natürlichen 
Zersetzungsprozesse.  Ihr  verfallen  alle  alkoholischen  Flüsngkeiten, 
indem  sie  sich  mit  einer  zähen  Haut,  der  sogenannten  Essigmatter, 
überziehen.  Daß  der  Zutritt  von  Luft  dazu  nötig  ist,  merkte  man 
bald,  aber  erst  der  Entdecker  des  Sauerstoffs,  L  a  v  o  i  s  i  e  r  •) ,  er- 
kannte die  ausschlaggebende  Rolle  des  letzteren.  Eine  Möglichkeit, 
die  Umwandlung  des  Alkohols  zu  erklären,  wurde  gegeben  durch  die 
Beobachtung  D  a  v  y  s  (1821)  und  Döbereiners  ^),  daß  Platin- 
m  o  h  r  die  Oxydation  vermittele.  Letzterer  Autor  stellte  schon  die 
Gleichung  der  Reaktion  fest,  die  in  unserer  heutigen  Formelsprache  lautet : 

Berzelius®)  und  namentlich  L  i  e  b  i  g  *)  betrachteten  die  Essig- 

1)  Zentr.  Bakt.  11.  68.  Wahrscheinlich  gehören  diese  Kfüimhefen 
nicht,  wie  Beijerinck  meint,  zu  den  Sacch.  mycoderma,  der  allerdings 
auch  Alkohol  verzehrt,  aber  ihn  nicht  produzieren  kann  (S.  248). 

2)  Ebenda  13.  684. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3.  223  und  4.    14. 

4)  Ebenda  3.  337. 

5)  Poggendorffs  Annal.   142.  293,   1871. 

6)  Traite  de  chim.  2.  6d,   1.   159,   1793. 

7)  Schweiggers  Journal  1823. 

8)  Traite  de  chim.  Bd.  6.    1829. 

9)  Annal.  Chem.  u.  Pharm.  29,   1839  und  153.   144. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  429 

mutier  als  einen  Katalysator,  der  dem  Platinschwarz  vergleichbar  wäre. 
Inzwischen  hatte  allerdings  schon  Persoon^)  1822  die  Zusammen. 
Setzung  der  Essigmutter  und  anderer  „Kahmhäute''  aus  Pilzen  behauptet, 
undEützing^)  1837  die  Essigbakterien  genau  geschildert  imd  auch 
ihrer  Lebenstätigkeit  die  Gärung  zugeschrieben.  Erst  Pasteur^) 
hat  aber  auch  hier  wieder  die  entscheidenden  Beweise  geliefert  und  der 
neuen  Theorie  zum  Siege  verholfen.  Auch  er  glaubte  freilich  noch, 
an  der  Vorstellung  festhalten  zu  können,  die  Essigmutter  verdichte 
ond  übertrage  den  Sauerstoff  ähnlich  wie  das  Platinmohr.  Ad.  Mayer 
und  V.  K  n  i  e  r  i  e  m  ^)  zerstörten  diese  gewissermaßen  mechanische 
Ansicht  gründlich,  indem  sie  nachwiesen,  daß  tote  Kahmhäute  oder 
ähnlich  poröses  Material  wie  FUeßpapier  sich  imfähig  zeigen,  Essig- 
gärung  zu  bewirken,  imd  daß  überhaupt  die  Essigbildung  durch  Platin- 
mohr und  Essigbakterien  unter  ganz  verschiedenen  Bedingungen 
(Temperatur  und  Alkoholkonzentration)  erfolge.  Man  nahm  deshalb 
seitdem  meist  an,  daß  die  Essi^ärung  in  ähnlicher  Weise  als  „Lebens- 
äoBerung'"  der  Essigbakterien  zu  betrachten  sei,  wie  die  Alkoholgärung 
als  solche  der  Hefe.  Die  Entdeckimg  der  Zymase  durch  E.  Buchner 
hat  auch  dieser  Ansicht  den  Todesstoß  versetzt.  B  u  c  h  n  e  r  selbst 
konnte  im  Verein  mit  Meisenheimer^)  und  Gaunt*)  zeigen,  daß 
die  Essigsäure  durch  ein  Enzym,  eine  Alkohol-„Oxydase",  besser  wohl 
einfach  „Alkoholase^"  (Stoklasas  „Azetolase''),  aus  dem  Alkohol  ent- 
stehe. Das  gleiche  Enzym  oxydiert  auch  Propylalkohol  zu  Propionsäure. 

Wie  bei  der  Herstellung  der  Dauerhefe  (S.  255)  wurden  Bieressig- 
bakterien, die  auf  Würze  (mit  4%  Alkohol  und  1%  Essigsäure)  als  Haut 
(nicht  in  Reinkultur)  gewachsen  waren,  durch  Azeton  abgetötet,  mit  Sand 
und  Kieeelguhr  verrieben  und  mit  4  prozentigem  Alkohol  unter  Zuf ügtmg 
von  kohlensaurem  Kalk  und  Toluol  versetzt.  Drei  Tage  lang  wurde  durch 
die  Mischung  von  120  com  Flüssigkeit  und  8,7  g  Daueressigbakterien  bei 
30*  Luft  durchgepreßt  und  nachher  die  Essigsäure  bestimmt«  0,4  g  fcust 
reine  Säure  waren  nachweisbar.  Je  nach  der  Herstellung  der  Bckkterien 
^d  des  Präparats  schwankt  die  Säiu^menge,  woraus  sich  auch  die  geringe 
Ausbeute,  die  Rothenbach  und  Eberlein')  erhalten  haben,  er- 
klart. Am  größten  waren  die  Säuremengen,  wenn  die  Bazillen  vor  der 
Azetonbehandlung  getrocknet  waren.  Der  Preßsaft  der  frischen  Bakterien 
ist  unwirksam  (vgl.  Milchsäurezymase  §  101). 

Die  Koch  sehe  Methode  der  Reinkultur  lehrte   auch  die  Essig- 
bakterien isolieren  und  ihre  Eigenschaften  naher  studieren.   Verdienste 

1)  Mycologia  europaea  1.  96.    Erlangen  1822. 

2)  Joum.  prakt.  Chem.  11.  385. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  54.  265.   und  Etudes  sur  le  vinaigre,  1868. 

4)  Landwirtsch.  Versuchsstation.   16.  305,  1873. 

5)  Ber.  chem.  Ges.   1903.  637. 

6)  Annal.  Chem.  349,  1906. 

7)  Kochs    Jahresber.  1905.  518. 


430  Kap.  VII,   §  135. 

darum  erworben  haben  sich  Chr.  E.  Hansen*)  und  seine  Nach- 
folger. Wir  unterscheiden  jetzt  eine  ganze  Reihe  von  Essigbakterien, 
unter  denen  die  wichtigsten  Bact.  aceti,  Pasteurianum,  xylinum,  in- 
dustrium  schon  öfter  von  uns  genannt  sind.  Nach  L  a  f  a  r  ^)  soll  es 
auch  eine  Kahmhefe  geben,  die  Essiggärung  bewirkt.  Gemeinsam  ist 
allen  Essigbakterien  die  Fähigkeit,  Äthylalkohol  zu  Essigsäure  zu  oxy- 
dieren. Schon  N  ä  g  e  1  i  hat  aber  darauf  aufmerksam  gemacht,  daß 
neben  der  Essigsäure  regelmäßig  Spuren  von  Kohlensäure  entstehen, 
also  der  Alkohol  teilweise  bis  zu  Ende  verbrannt  wird.  Diese  Ver- 
brennung tritt  regelmäßig  ein,  wenn  die  Essigbakterien  nicht  genügend 
Alkohol  zur  Verfügung  haben;  dann  greifen  sie  nämlich  auch  die  von 
ihnen  selbst  gebildete  Essigsäure  an  und  oxydieren  sie  zu  Kohlensäure 
und  Wasser  (L  a  f  a  r  *)). 

Die  Nebenprodukte  der  Essiggärung  sind  bisher  wenig 
studiert  worden.  Nach  H  o  y  e  r  *)  wären  darunter  Bemsteinsäure 
und  Azetaldehyd.  Das  „Aroma"  stammt  wohl  wesentlich  nicht  aus 
dem  Äthylalkohol,  sondern  den  übrigen  Stoffen  des  Gärmaterials,  z.  B. 
des  Weins.  Es  wird  schließlich  durch  die  Essigbakterien  selbst  zer- 
stört, wenn  man  ihr  Wachstum  nicht  früher  unterbricht. 

Bedingungen  für  das  Fortschreiten  der  Essiggärung  sind  genügender 
Sauerstoffzutritt,  mittlere  Temperatur,  saure  Reaktion  des  Nähr- 
bodens und  mittlere  Konzentration  des  Alkohols. 

Der  Sauerstoffverbrauch  der  Essigbakterien  ist  sehr 
bedeutend.  D  u  c  1  a  u  x  ^)  berechnet  aus  Pasteurs  Versuchs- 
ergebnissen,  daß  die  Bakterien  auf  der  Höhe  der  Gärung  binnen  36  Stun- 
den das  165-  oder  gar  das  500  fache  ihres  Körpergewichts  an  Sauerstoff 
verzehren,  d.  h.  also  das  300 — 1000  fache  von  Essigsäure  erzeugen. 
Die  Wärmeentwicklung  muß  nach  dem,  was  wir  oben  (S.  427) 
gesehen,  eine  ganz  gewaltige  sein  und  ist  tatsächlich  auch  in  den  Essig- 
fabriken sehr  zu  spüren. 

Die  günstigste  Temperatur  für  die  Essiggärung  ist  etwa  30— 35*, 
bei  40®  steht  sie  schon  still.  Dadurch  unterscheidet  sich  der  Prozeß 
der  Essigsäurebildung  durch  Platinmohr,  der  um  so  schneller  verläuft, 
je  höher  die  Temperatur  steigt.  Auch  bei  niederen  Temperaturen, 
z.   B.  4 — 5°,  sind  manche  Essigbakterien  (B.  aceti)  noch  imstande. 


1)  Vgl.  Hansen,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  1,  1895;  Lafar  ebenda; 
Henneberg  ebenda  3  und  4;  Beijerinck  ebenda  4;  Hoyer 
ebenda  4;  Über  Weinessigbakterien  s.  Perold  ebenda  24,  1909. 

2)  Zentr,  Bakt.   13.  684. 

3)  Ebenda  2.  Abt.   1     129,   1895. 

4)  Zeitschr.  f.  Essigindustrie  1899. 

5)  Mikrobio].   4.  216 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  431 

langsame  Gärung  zu  erzeugen,  andere  (Bact.  Pasteurianum)  nicht 
(L  a  f  a  r). 

Die  saure  Reaktion  befördert  die  Essiggärung,  wenn  sie 
durch  Essigsäure  hervorgerufen  ist,  Mineralsäuren  können  schon  in 
Mengen  von  0,05  —  0,07%  hinderlich  sein^).  Bei  4 — 5%  Essigsäure- 
gehalt steht  die  Gärung  still.  Wichtig  ist  die  saure  Reaktion  auch 
deswegen,  weil  sie  unter  Verhältnissen,  wo  keine  Reinkulturen  ins 
Spiel  kommen,  die  XTberwucherung  fremder  Mikroorganismen  ver- 
hindert. Nach  W  u  r  m  ^)  erhält  man  bei  0,5 — 1,2%  Essigsäure  noch 
ein  üppiges  Wachstum  der  Eahmhefe,  und  erst  bei  2%  wird  diese 
völlig  durch  die  Essigbakterien  verdrängt.  Übrigens  gelten  alle  diese 
Zahlen  nur  für  die  gewöhnlichen  .  Essigbakterien.  Nach  Henne- 
b  e  r  g  *)  wären  die  Säuremaxima  für  Bact.  industrium  nur  2,7%, 
für  Bact.  ascendens  dagegen  9%. 

Die  günstigste  KonzentrationdesAlkohols  liegt  etwa 
bei  10%,  die  Grenze  des  Alkoholgehalts,  bei  der  die  Gärung  aufhört, 
bei  14%,  Auch  hierin  besteht  ein  Unterschied  gegenüber  der  Essig- 
säurebildung durch  Platinmohr,  die  ebenso  gut  in  konzentriertem  als 
verdünntem  Alkohol  vor  sich  geht. 

Zum  Gedeihen  der  Essigbakterien  sind  natürlich  noch  andere 
Stoffe,  Salze  imd  Stickstoff  nötig,  doch  sind  sie  in  dieser  Beziehung 
viel  weniger  anspruchsvoll  als  z.  B.  die  Milchsäurebakterien.  Die  alko- 
holischen Flüssigkeiten  brauchen  nur  Spuren  von  anorganischen  und 
Ammoniaksalzen  zu  enthalten.  Begreiflich  wird  der  geringe  quantitative 
Bedarf,  wenn  man  bedenkt,  wie  klein  die  Menge  der  während  der  Gärimg 
neugebildeten  Bakteriensubstanz  ist  (s.  o.).  Was  die  Kohlenstoffquelle 
anlangt,  so  unterscheidet  H  o  y  e  r  die  „genetische"  und  „zymotische" 
Nahrung*),  je  nachdem  sie  Wachstum  oder  Gärung  ermöglicht. 
Traubenzucker  dient  z.  B.  ebenso  dem  Wachstum  wie  der  Gärung 
(Glykonsäure-,  nicht  Essigsäuregärung  S.  386),  Alkohol  nur  der  Gärung 
(eigentliche  Essigsäuregärung);  Essigsäure  ist  genetische  Nahrung, 
weil  auf  ihre  Kosten  die  Bakterien  wachsen  können,  aber  auch  zymo- 
tische,  denn  die  Verbrennung  zu  Kohlensäure  und  Wasser  ist  ebenso 
gut  eine  Gärung  wie  die  des  Alkohols  zu  Essigsäure.  Nur  pflegt  die 
erstere  im  größeren  Maßstabe  erst  einzutreten,  wenn  kein  Alkohol 
mehr  zur  Verfügung  steht.  Wichtig  ist  die  Beobachtung  von  H  o  y  e  r  , 
daß  Oxydationen  noch  stattfinden  können,  wenn 
das  Wachstum  schon  aufgehoben  ist.    Das  würde  auch  für 

1)  Hirschfeld,   Kochs  Jahresber.  1890.   139.    Cohn  ebenda  140. 

2)  Zit.  nach  D  u  cl  a  u  x  4.  203. 

3)  Zeitechr.  f.  Essigindustrie  1898. 

4)  Vgl.  dazu  S.  126. 


432  Kap.  vn,  §  135  —  137. 

eine  Unabhängigkeit  der  Oxydation  vom  Wachstum,  d.  h.  für  eine 
Oxydase Wirkung  (s.  o.)  sprechen. 

§  136.  Gewerbliche  Darstellong  des  Essigs.  Sie  erfolgt 
nach  zwei  verschiedenen  Verfahren.  Das  ältere  französische 
oder  nach  der  Stadt  Orleans  benannte  besteht  darin,  daß  in  halb- 
gefüllten Weinfässern,  die  oben  durchlöchert  sind  und  dadurch  der 
Luft  Zutritt  gewähren,  die  alkoholische  Flüssigkeit  (Wein)  unter  Zusatz 
von  Essig  vergoren  wird.  Ist  die  Gärung  einmal  im  Gang,  so  wird  von 
Zeit  zu  Zeit  fertiger  Essig  unten  abgezogen  und  Wein  oben  zugegeben. 
Seit  1823  ist  durch  Schützenbach  das  sogenannte  deutsche 
oder  Schnellessigverfahren  eingeführt  worden,  das  auf  dem  Grund- 
satz beruht,  den  Alkohol  möglichst  vollständig  mit  der  Luft  in  Berührung 
zu  bringen.  Die  alkoholische  Flüssigkeit  rieselt  dabei  beständig  über 
eine  Schicht  von  Buchenholzspänen,  die  zwischen  Sieben  in  einem 
Bottich  so  zusammengepackt  liegen,  daß  sie  der  Luft  überall  Durchlaß 
gewähren.  Beiden  rein  erfahrungsmäßig  entwickelten  Methoden  haften 
manche  Mängel  an.  Es  läge  nahe,  sie  durch  ein  wissenschaftliches 
Verfahren,  das  mit  der  in  der  Brauerei  und  Brennerei  eingeführten 
Reinzuchtmethode  vergleichbar  wäre,  zu  ersetzen.  Bisher  sind  aber 
dazu  kaum  Anfänge  gemacht  worden.  Störungen  des  Betriebes  konamen 
häufig  vor.  Ziemlich  unschuldiger  Natur  scheinen  allerdings  die  so- 
genannten Essigälchen,  die  häufig  die  Oberfläche  der  gärenden 
Flüssigkeit  massenhaft  bevölkern^).  Nach  Pasteurs  Beobachtungen 
würden  sie  jedoch  unter  Umständen  die  Essigbildung  behindern  können, 
indem  eine  Art  von  ,, Kriegszustand"  zwischen  ihnen  und  den  Essig- 
bakterien, der  Essigmutter  besteht.  Soviel  steht  jedenfalls  fest,  daß 
die  Älchen  keineswegs  nötig  sind  zu  einer  guten  Essiggärung,  wie  man 
früher  wohl  angenommen  hat. 

§  137.  Umwandlungen  der  Fette  und  Fettsäuren,  Hydro- 
lyse. Fette  und  Fettsäuren  sind  weitverbreitete  Stoffe,  die  den  niederen 
Organismen  wie  den  höheren  zur  Nahrung  dienen.  Dabei  erleiden  sie 
die  mannigfachsten  Umwandlungen:  Hydrolysen,  tiefere  Spaltungen, 
Oxydationen  und  Synthesen.  Bei  den  Fetten  pflegt,  wie  bei  den  Poly- 
und  Disacchariden,  die  Hydrolyse  den  weiteren  Veränderungen  vorauf- 
zugehen. Doch  ist  das  bei  beiden  Gruppen  von  Körpern  wohl  keine 
allgemein  gültige  Regel.  Daß  die  Prozesse  sämtlich  enzymatischer 
Natur  sind,  ist  wahrscheinlich,  aber  nur  für  die  hydrolytischen  sicher 
bewiesen  (vgl.  §  138  u.   S.  448). 

Die  Zerlegung  der  Fette  in  ihre  beiden  Bestandteile  Glyzerin  und 


1)  Vgl.  über    die  Naturgeschichte   der  Essigälchen  Henneberg, 
Deutsche  Essigindustrie  1899—1900. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  433 

Fettsäure  nach  der  folgenden  Formel  (in  der  B  ein  Fettsäureradikal 
bedeutet)        (.^^^   r^  ^  3  jj^O  _  C^^O^  +  3R  .  OH 

Fett  Glyzerin     Fettsäure 

geschieht  durch  Mikroorganismen  aller  Art^  wie  Müller^),  Gott- 
stein*), Krüger'),  von  Sommaruga*),  H.  Schmidt^), 
Bubner*),  Schreiber'),  Reinmann®),  0.  Jensen*), 
Laxa^),  Spieckermann  und  Bremer^*),  Tissier 
imdMartelly^*),Carriere^'),Ei]kman^*),Achalme^'^), 
Rogers^*),  R  a  h  n  ^') ,  H  u  ß  ^®)  gefunden.     Dazu  gehören  ^•) 

Staphyl.  pyogenes  aureus^*) 

Micr.  tetragenus  *), ') 

Bac.  fluorescens  liquefaciens  ')  —  ^®),  ^') 

Bac.  prodigiosus  •),  ^*) 

Bac.  indicus  ^*) 

Bac.  pyocyaneus  *),  ^*) 

Bac.  fluorescens  non  liquefaciens  ') 

Bac.  lipoljrticus  aus  Milch  (Bactridium  lipolyticum  H  u  ß  ^®)) 

Bac.  tuberculosis  ^') 

Anaerobe  Bazillen  %  ^^)  ?  ^^) 

Spir.  Finkler  *), '') 

Spir.  cholerae  *),  i«)  ?  ^*) 

Spir.  Metschnikoff  ?  i*) 

Saccharomyces  ^%  Torula  i«)  ?  '),  ") 

Aspergillus,  Penicillium,  Mucor,  Oidiumarfcen  *)  —  ^^),  ^'). 

ll^Zeitechr.  f.  klin.  Med.  21,  1887. 

2)  Berl.  klin.  Woch.   1887.  907. 

3)  Zentr.  Bakt.  7.  87,  1890. 

4)  Zeitechr.  f.  Hyg.   18. 

5)  Ebenda  28. 

6)  Arch.  f.  Hyg.  38. 

7)  Ebenda  41. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6.   131. 

9)  Ebenda  8.  1—12. 

10)  Arcb.  f.  Hyg.  41,  1902. 

11)  LandTvirtech.  Jahrb.   1902. 

12)  Annal.  Pasteur  1902. 

13)  Ref.  Zentr.  Bakt.  29.  953. 

14)  Zentr.  Bakt.  29.  22. 

15)  Annal.  Pasteur  1902  und  1903. 

16)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.  388,  1904. 

17)  Ebenda  16.  422. 

18)  Ebenda  20.  474. 

19)  Diejenigen  Autoren,  die  nur  über  den  Fettverbrauch  der  von 
ihneu  gepriiften  Bakterien  berichten,  wie  z.  B.  Escherich,  sind  hier 
Datörlich  nicht  berücksichtigt  (vgl.   §  149). 

Krnse,  Mikrobiologie.  28 


434  Kap.  VII.    §  137  n.  138. 

Die  in  obiger  Liste  beigefügten  Fragezeichen  bezeichnen  die  Fälle, 
über  die  entgegengesetzte  Angaben  voriiegen.  Diese  Widersprüche 
erklären  sich  auf  verschiedene  Weise.  Zunächst  kommt  es  sicher  vor, 
daß  Bakterien  die  Fähigkeit,  Fette  zu  spalten, 
mit  der  Zeit  verlieren.  Schreiber  hat  das  selbst  bei  dem 
kräftig  wirksamen  Bac.  fluorescens  liquefaciens  beobachtet.  Auch  die 
natürlichen  Varietäten  dieses  Bazillus  besitzen  das  Vermögen  der  Fett- 
spaltimg  in  sehr  ungleichem  Grade.  Von  größerer  Bedeutung  auf  das 
Ergebnis  ist  freilich  die  Methode,  deren  man  sich  bedient,  um  die  Hydro- 
lyse der  Fette  nachzuweisen.  Sommaruga  verglich  einfach  die 
Säuremenge,  die  sich  in  den  Nährböden  mit  und  ohne  Fettzusatz  (2%) 
gebildet  hatte  und  schloß  aus  der  Zunahme  der  Säuerung  auf  Fett- 
spaltung. Das  ist  ein  etwas  unsicheres  Verfahren.  Besser  ist  es,  die 
Menge  des  neutralen  Fettes  und  der  freien  Fettsäuren  (oder  Kalk- 
seifen)  getrennt  für  sich  durch  Ausziehen  mit  Äther  zu  bestimmen, 
wie  Rubner,  Schreiber  u.  a.  getan  haben.  Dem  bloßen  Auge 
sichtbar  machen  kann  man  die  Fettspaltung  nach  E  i  j  k  m  a  n  ,  wenn 
man  Rindertalg  in  dünner  Schicht  in  Doppelschalen  erstarren  läßt  und 
darauf  den  geimpften  Nährboden  ausgießt.  Wo  das  Fett  gespalten 
wird,  trübt  sich  die  Talgschicht  durch  Bildung  von  Kalkseife. 

Auf  eine  Fehlerquelle  hat  Achalme  aufmerksam  gemacht: 
durch  sehr  reichliche  Ammoniakbildung  kann  auch  eine 
Verseifung  der  Fette  bewirkt  werden.  So  soll  sich  die  Fettspaltung 
erklären,  die  T  i  s  s  i  e  r  und  Martelly  bei  Anaerobiern  gefunden 
hatten. 

Nach  Rubner  werden  die  Glyzeride  sämtlicher  Fettsäuren 
gleichmäßig  angegriffen.  Ein  Zusatz  von  kohlensaurem  Kalk  zu  den 
Nährböden  begünstigt  die  Fettspaltung  bei  den  Bakterien,  weil  er  die 
schädliche  Wirkung  der  im  Wasser  löslichen  freien  Fettsäuren  aufhebt. 

Ob  der  Sauerstoff  einen  Einfluß  auf  die  Hydrolyse  der  Fette  aus- 
übt, ist  imbekannt.  Soviel  ist  aber  sicher,  daß  es  gerade  strenge 
Aerobier,  in  erster  Linie  die  Schimmelpilze  sind,  die  sich  am 
wirksamsten  zeigen.  Außerdem  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  die 
weitere  Zersetzung  der  Fette  und  höheren  Fettsäuren  viel  schneller 
oder  vielmehr  allein  bei  Sauerstoffzutritt  —  durch  Oicydation  —  er- 
folgt. Nur  die  niederen  Fettsäuren  unterliegen  anaeroben  Spaltungen 
(s.  u.  §  139  ff.). 

Unter  natürlichen  Verhältnissen  spielt  die  Spaltung  der  Fette 
in  den  Abfallstoffen  pflanzlichen  und  vor  allem  tierischen 
Ursprungs,  die  in  den  Boden  gelangen,  wie  namentlich  Rubner 
nachgewiesen  hat,  eine  große  Rolle.  In  den  fetthaltigen  Nahrungs- 
mitteln begleitet  sie  der  Prozeß  des  Ranzigwerdens  (§  150). 


Wandlungen  .der  Alkohole»  Fette  und  Fettsäuren.  435 

§  138.  Lipasen.  Die  fettspaltende  Wirkung  tierischer  Enzyme, 
L  B.  des  Pankreas,  ist  schon  lange  bekannt.  In  jüngster  Zeit  wurde  dann 
nachgewiesen,  daß  in  allen  möglichen  Organen,  im  Blut  usw.  derartige 
Enzyme  vorkommen.  G  e  r  a  r  d  ^)  und  Camus*)  stellten  zuerst 
aus  Penicillium  glaucum  und  Aspergillus  niger 
eine  „lipase"  dar.  B  i  f  f  e  n  ^)  verrieb  das  Myzel  eines  auf  Kokos- 
nüssen lebenden  Pilzes  mit  Eieselguhr  und  gewann  daraus  einen  Preß- 
saft, der  sowohl  Kokosöl  als  Monobutjnrin  (Buttersäureglyzerid)  spaltete 
and  dessen  wirksamer  Bestandteil  durch  Alkohol  gefällt  werden  konnte. 
Ein  solches  Enzym  will  auch  Carriere^)inTuberkelbazillen 
nachgewiesen  haben:  eine  6  Monate  alte  Kultur  gab  mit  Monobutyrin 
verrieben  saure  Reaktion,  wenn  sie  erhitzt  war,  nicht  mehr.  Spiecker- 
mann  und  Bremer  zerrieben  Kulturen  von  Aspergillus  flavus  und 
repens  mit  Glasperlen  und  zogen  sie  dann  mit  Glyzerinwasser  aus. 
Der  Auszug  spaltete  Butyrin  ziemlich  kräftig,  war  aber  auf  Baumwollenöl 
ohne  Wirkung.  L  a  x  a  war  glücklicher,  ihm  gelang  es,  nicht  nur  Mono- 
butyrin, sondern  auch  Butterfett  durch  einen  aus  den  Leibern  von 
Penicillium  und  Mucor  (nicht  aus  Oidien)  gewonnenen  Saft  zu  spalten, 
Die  Sterilisierung  der  Fettenzymmischungen  durch  Antiseptika  ließ 
freilich  etwas  zu  wünschen  übrig. 

In  einer  Torulahefe  versuchte  Rogers  die  Bildung  eines 
lipol3rtischen  Enzyms  dadurch  nachzuweisen,  daß  er  die  einen  Monat 
alte  Kultur  in  zwei  Hälften  teilte,  dann  die  eine  10  Minuten  lang  auf 
80*  erhitzte,  beide  mit  Formaldehyd  im  Verhältnis  von  1  :  1500  mischte 
und  im  Wasserbade  erhitztes  Fett  zusetzte.  Eine  Säurebestimmung, 
die  nach  71  Tagen  vorgenommen  wurde,  zeigte  in  der  nicht  erhitzten 
Hälfte  eine  starke  Säuerung,  in  der  erhitzten  nur  eine  ganz  geringe. 
Beide  waren  steril.  Das  Ergebnis  spricht  anscheinend  dafür,  daß  diese 
Hefe  eine  Lipase  bildet.  Zucker  vergärt  sie  nicht.  Daß  auch  der  ge- 
wöhnKche  Hefepreßsaft  ein  fettspaltendes  Enzym  enthalte,  wird  an- 
genommen, ohne  daß  der  sichere  Beweis  bisher  erbracht  wäre  (S.  263). 

Auf  ähnliche  Weise  bestätigte  übrigens  Rogers  die  schon  von 
Marfan  und  G i  1 1  e t  und  Spolverini  gefundene  Tatsache, 
daß  in  der  frischen  Milch  ein  fettspaltendes  Enzym  enthalten 
ist.  Eine  erhitzte  Probe  frischer  Milch  gab  mit  sterilem  Butterfett 
keine  Säure,  eine  nur  mit  Formaldehyd  versetzte  Probe  wohl,  obgleich 
beide  Proben  sich  als  „fast  steril"  erwiesen. 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  124.  370,  1897. 

2)  Compt.  rend.  soc.  biol.   1897,   192  und  230. 

3)  Ann.  of  botany  1899. 

4)  Lit.  in  §  137. 

28 


436  Kap.  Vn,   §  138  —  140. 

Auch  bei  der  Äutolyse  der  Bakterien  wie  bei  den  höheren  Zellen 
scheinen  Lipasen  neben  anderen  Enzymen  (§  166)  wirksam  zu  sein. 
So  glaubt  Pfersdorff^)  ein  solches  in  autolysierten  Milzbrand- 
bazillen  nachgewiesen  zu  haben,  da  nach  Zusatz  einer  Olemnlsion 
Säure  gebildet  wurde. 

§  139.  Spaltnngsgärungen  der  Fettsäuren.  Wie  schon  oben 
bemerkt,  scheinen  nur  die  niederen  Fettsäuren  bei  Sauer- 
stoffabschluß einer  tieferen  Spaltung  durch  Mikroorganismen  zu  unter- 
liegen^), und  zwar  sind  vergärbar  die  beiden  ersten  Säuren  der  Fett- 
säurereihe, d.  h.  Ameisensäure  und  Essigsäure,  femer  die  (vierte)  Butter- 
säure, nicht  die  Propion-  und  Valeriansäure;  von  den  Oxyfettsäuren 
vergärt  verhältnismäßig  leicht  die  Milchsäure,  nur  schwer  die  Glykol- 
säure,  von  den  Dioxyfettsäuren  allein  die  Glyzerinsäure,  von  den 
zwei-  imd  dreibasischen  Säuren  nur  sehr  schwer  die  Oxalsäure,  Bem- 
steinsäure  und  Methylbemsteinsäure  (Brenzweinsäure),  leicht  dagegen 
die  Oxy-  und  Dioxybemsteinsäure  (Äpfel-  und  Weinsäure),  von  den 
dreibasischen  Säuren  die  Zitronensäure,  von  den  Tetraoxysäuren  die 
Glykuron-,  Zucker-  und  Schleimsäure.  Die  Säuren  mit  mehr  als  2 
Kohlenstoffatomen  werden  also  nur  dann  leicht  zersetzt,  wenn  sie  außer 
dem  Karboxyl  noch  eine  oder  mehrere  Hydroxylgruppen  enthalten. 
Die  Spaltungsprodukte  sind  teilweise  komplizierter  gebaut  als  die  ver- 
gorenen Körper,  werden  also  daraus  durch  eine  Synthese  gebildet,  so 
entsteht  aus  der  Milchsäure  Buttersäure  und  Valeriansäure,  wie  wir 
früher  gesehen  haben,  daß  aus  Glyzerin  Butter-  oder  Bemsteinsäure 
hervorgeht.  Die  meisten  dieser  Gärungen  sind  von  Hoppe-Sey- 
1er  und  F  i  t  z  in  einer  Zeit  studiert  worden,  wo  man  noch  keine  Rein- 
kulturen anzulegen  verstand.  Daher  verdienten  ihre  Angaben  in 
weiterem  Umfange,  als  bisher  geschehen,  nachgeprüft  zu  werden. 
Neuerdings  haben  Jensen  und  B  a  h  r  ®)  die  Vergärung  der  Zitronen-, 
Bernstein-,  Äpfel-,  Glukose-,  Zucker-,  Schleim-  und  Traubensäure 
benutzt,  um  die  Mitglieder  der  Paratyphusgruppe  (S.  344)  voneinander 
zu  trennen.  Genauere  Angaben  über  die  Art  dieser  Zersetzungen 
fehlen  aber. 


1)  Zeitschr.  f.  Tiermediz.  8,  1904. 

2)  Wie  die  Bildung  flüchtiger  Fettsäuren  (Propion-  imd  Buttersäure), 
die  der  Bac.  acidophilus  des  Säuglingsstuhls  nach  S  a  1  g  e  und 
Neuberg  (Jahrb.  f.  Kinderheilkunde  69.  412,  1904)  in  zuckerhaltigen 
Nährböden  mit  höheren  Fettsäuren  (0,1%  oleinsaures  Natron)  bewirkt, 
vor  sich  geht,  müßte  noch  festgestellt  werden.  Es  wäre  dabei  an  eine 
„innere* '  Oxydation  des  Fettes  durch  Sauerstoff  aus  anderer  Nahrung 
zu  denken. 

3)  Zentr.  Bakt.  39.  269,  vgl.  aber  Trommsdorf,  Arch.  f.  Hyg. 
55.  297. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fetteäuren.  437 

§  140.  Vergariing  der  Ameisensänre.  Ameisensauzer  Kalk 
liefert  nach  Hoppe-Seyler^)  mit  Schlamm  versetzt  kohlen- 
saoien  Kalk,  Kohlensäure  und  Sumpfgas.  Fein  verteiltes  Rhodium 
oder  Indium  haben  eine  ähnliche  Wirkung.  Omeliansky^)  hat 
aus  einer  Lösung  mit  2%  KaLüumformiat  imd  0,2%  Pepton,  die  er 
mit  altem  Mist  geimpft  hatte,  ein  Bact.  formicicum  isolieren 
können,  das  auf  Kalziumformiatagar  verkreidete  Kolonien  bildet, 
auf  allen  Nährböden  zum  Wachstum  zu  bringen  ist  und  auch  ohne 
Sauerstoffzutritt  gedeiht  und  Formiat  vergärt*). 

Die  Gärung  des  Natriumformiats  erfolgt  nach  der  Formel: 
2  (NaHCOg  +  HgO)  =  NagCOg  +  HgO  +  CO^  +  2H2. 

Es  wird  also  doppelt  so  viel,  nicht  gleich  viel  Wasserstoff  als  Kohlen- 
saure gebildet,  weil  die  Hälfte  der  Kohlensäure,  die  man  nach  der 
Gleichung  III  (S.  333) 

CH2O2  =200^+2  Ha 

erwarten  sollte,  im  kohlensauren  Salz  erscheint.  Andere  Fettsäuren 
werden  von  dem  Bact.  formicicum  nicht  angegriffen,  dagegen  Glykose, 
Galaktose,  Laktose,  Maltose,  Mannit  und  Arabinose  in  kräftige  Milch- 
und  Bemsteinsäuregärung  versetzt.  Auch  der  Methylalkohol  bleibt 
unberührt,  der  Bazillus  ist  also  von  dem  Bac.  methylicus  L  ö  w  s  ^) , 
der  aufier  dem  ameisensauren  Natron  auch  Methylalkohol  assimiliert 
(S.  116),  verschieden. 

Die  Fähigkeit,  die  Ameisensäure  in  der  obigen  Weise  zu  vergären, 
ist  nach  P  a  k  e  s  und  Jollyman*)  weit  verbreitet,  z.  B.  dem  B.  coli, 
pneumoniae,  enteritidis  eigentümlich.  Diese  Autoren  bemerken,  daß 
bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  von  Zucker  das  Formiat  die  Vergärung 
des  Zuckers  begünstigt,  weil  das  kohlensaure  Alkali  die  aus  dem  letz- 
teren entstehenden  Säuren  bindet.  Ist  nebeneinander  Natriumformiat 
und  Natriumnitrat  (1%)  vorhanden,  so  wird  kein  Gas  entwickelt, 
sondern  neben  Natriumbikarbonat  Nitrit  gebildet.  Bei  einem  Über- 
schuß des  Formiats  wird  Kohlensäure  und  Stickstoff  frei.  Der  Sauer- 
stoff der  Salpetersäure  vermag  also  den  Wasserstoff  der  Ameisensäure 
zu  oxydieren,  nicht  der  freie  Sauerstoff.   Ein  energischer  Vergärer  der 


1)  Zeitschr.  ph3n3iol.  Cham.   11.  561. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  11.  6^11,  1903. 

3)  Nach  Omeliansky  eJlerdings  nur,  wenn  das  Substrat  Bouillon 
enthält,  nicht  in  Pepton-Formiatnährböden.  Doch  tritt  auch  hier  Gärung 
ein,  wenn  die  Kultur  eine  Zeitlang  bei  Sauerstoffzutritt  gewachsen  ist. 
Die  Sache  scheint  nicht  ganz  klar. 

4)  Zentr.  Bakt.  12.  462. 

5)  Joum.  ehem.  soc.  und  Proceed.  ehem.  soc.  1901  (Kochs  Jahresber.) 


438  Kap.  Vn,  §  140—142. 

Ameisensäuie  ist  ferner  nach  F  r  a  n  z  e  n  und  B  r  a  u  n  i)  der  Proteus 
vulgaris.  Danach  macht  es  vorläufig  den  Eindruck,  als  ob  gerade  die 
Gasbildner  imter  den  zuckervergärenden  Bakterien  auch  die  Fähigkeit  be- 
sitzen, die  Ameisensäure  zu  spalten,  während  die  nicht  gasbildendenTyphiis- 
und  Buhrbazillen  dazu  nicht  imstande  seien.  Nimmt  ihan  noch  den 
Umstand  hinzu,  daß  die  letzteren  viel  Ameisensäure  aus  Zucker  erzeugen, 
die  ersteren  nur  wenig,  so  scheinen  diese  Tatsachen  die  Vermutung 
von  Frankland  und  H  a  r  d  e  n  zu  bestätigen,  daß  die  Ameisen- 
säure ein  regelmäßiges  Zwischenprodukt  der 
Z  ucker  s  pa  Itun  g  in  diesen  Fällen  und  ihre  eigene 
Spaltung  die  wesentliche  Quelle  der  Gasbildung 
aus  dem  Zucker,  d.  h  der  sog.  Wa  sse  r  s  t  o  ffgär  ung 
des  Zuckers  (§  105)  darstelle.  Indessen  fehlt,  wie  wir  a.  a.  0. 
sahen,  noch  viel  an  dem  sicheren  Beweise  dieser  Annahme.  Noch  gar 
nicht  festgestellt  ist  übrigens,  wie  sich  die  strengen  Anaerobier, 
bei  denen  die  Wasserstoffgärung  des  Zuckers  ebenfalls  eine  große  Rolle 
spielt  (§  114,  115,  117),  zur  Ameisensäure  verhalten. 

§  141.  Sumpfgasgärung  der  Essigsäure.  Auch  diese  ist  von 
Hoppe-Seyler  erzielt  worden  durch  Zusatz  von  Schlamm  zu  einer 
Lösung  von  essigsaurem  Kalk.  Die  Essigsäure  wird  ohne  Nebenprodukte 
vergoren  zu  Sumpfgas  und  Kohlensäure  nach  der   Gleichung: 

Ca(C2H302)2  +  H2O  =  2CH4  +  CO2  +  CaCOg  (+  3  Kai.) 

oder,  was  dasselbe  ist :  C2H4O2  =  CH4  +  COg  . 

Neuerdings  ist  diese  Gärung  wieder  von  M  a  z  e  und  O  m  e  1  i  a  n  s  - 
k  y  ^)  studiert  worden.  Die  chemischen  Befunde  waren  die  gleichen. 
Vor  allem  scheint  an  dieser  Zersetzung  ebenso  wie  an  der  ähnlichen 
der  Buttersäure  ( §  145)  eine  „Pseudosarzine"  beteiligt  zu  sein  (vgl.  S.  379). 

Sehr  verbreitet  ist  die  Fähigkeit  zur  Essigvergärung  wohl  nicht, 
denn  sonst  würde  bei  den  zahlreichen  Mischgärungen,  bei  denen  Essig- 
säure entsteht,  häufiger  Sumpfgas  nachgewiesen  sein.  Nur  ausnahms- 
weise wird  davon  berichtet.  So  soll  nach  Baginsky*)  bei  der  Spal- 
tung der  Stärke  durch  den  Bac.  aerogenes  neben  Essigsäure  auch  eine 
Spur  CH4  und  bei  der  Buttersäuregärung  nach  v.  K  1  e  c  k  i  *)  ebenfalls 
Sumpfgas  auftreten.  Auch  das  bei  der  Fäulnis  der  Eiweißstoffe  ent- 
stehende Sumpfgas  geht  vielleicht  aus  einer  nachträglichen  Spaltung 
der  Essigsäure  hervor  (§  168,  179). 


1)  Biochem.  Zeitsehr.  8,  ref.  in  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.  156. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   15.  679. 

3)  Zeitsehr.  physiol.  Chem.   12. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.   169. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  439 

§  142.  Vergärung  der  Milchsäure.  Die  Milchsäure  entsteht, 
wie  wir  §  99  u.  114  gesehen,  sehr  häufig  bei  der  Spaltung  der  Kohlen- 
hydrate, scheint  aber  nur  selten  von  den  Bakterien,  die  sie  erzeugen, 
anaerob  weiter  zersetzt  zu  werden.  Nach  B  a  g  i  n  s  k  7  (s.  o.)  soll 
zwar  der  Bac.  aerogenes  aus  milchsauren  Salzen  wesentlich 
Battersaure  bilden,  vielleicht  nach  der  Formel,  die  wir  weiter  unten 
betrachten  werden.  Derselbe  Forscher  gibt  aber  als  Gärungsprodukt 
aus  Zucker  hauptsächlich  Essigsäure  und  sehr  wenig  Milchsäure,  keine 
Buttersäure  an.  Auch  kein  anderer  Forscher  hat  bisher  Buttersäure 
bei  der  Vergärung  der  Kohlenhydrate  durch  Bac.  aerogenes,  imd  zwar 
auch  nicht  durch  milchsäurebildende  Stämme,  auftreten  sehen.  Der 
dem  Bac.  aerogenes  nahestehende  Actinobacter  Duclaux'^) 
vergärt  überhaupt  die  Milchsäure  nicht  unter  anaeroben  Bedingungen, 
sondern  oxydiert  sie  nur  bei  Sauerstoffzutritt  zu  Kohlensäure  und 
Wasser.  Ähnliches  scheint  auch  von  anderen  Milchsäurebakterien 
nach  K  a  y  s  e  r  (S.  313)  und  vom  B.  coli  nach  den  Mitteilungen  P  e  r  6  s  2) 
zu  gelten.  Der  Amylobacter  butylicus  D  u  c  1  a  u  x'  ^)  bildet  zwar  bei 
Saueistoffabschluß  aus  Milchsäure  Buttersäure  und  wenig  Essigsäure, 
dieselben  Stoffe,  die  er  aus  Kohlehydraten  erzeugt.  Da  im  letzteren 
Falle  aber  die  Milchsäure  gänzlich  fehlt,  hat  man  keinen  rechten  Grund 
anzunehmen,  daß  sie  ein  Zwischenprodukt  der  Gärung 
darstelle.  Bei  einem  anderen  Buttersäurebakterium,  und  zwar  dem 
Rauschbrandbazillus,  ist  man  eher  zu  dieser  Annahme  berechtigt. 
Wir  haben  schon  S.  313  gesehen,  daß  eine  Varietät  desselben  nach 
Sehattenfroh  und  Graßberger  den  Zucker  fast  ausschließ- 
lich zu  Milchsäure  spaltet,  eine  zweite  aber  wenigstens  unter  Um- 
ständen die  Milchsäure  weiter  zu  Buttersäure  vergärt.  Die  übrigen 
Erreger  der  Buttersäuregärmig  in  kohlehydrathaltigen  Nährböden 
sollen  nach  den  Angaben  der  meisten  Forscher,  denen  sich  Graß- 
berger und  Schattenfroh  anschließen,  die  Milchsäure,  die  sie 
vielfach  bilden,  nicht  weiter  vergären.  Dem  widerspricht  aber  neuer- 
dings Bredemann*)  in  seiner  großen  Arbeit  über  die  beweglichen 
Buttersäurebazillen  (Bac.  amylobacter  vgl.  S.  354  ff.).  Zunächst  will  er 
schon  aus  dem  Umstand,  daß  die  gleichen  Erdproben,  die  Zucker  ver- 
goren, auch  Laktat  angriffen  und  unter  dem  Mikroskop  die  selben 
Bakterien  zu  enthalten  schienen,  auf  das  Vermögen  der  echten  Butter- 
Baurebakterien,  Laktat  zu  vergären,  schließen.    Nach  Bredemann 


1)  Microbiol.   14.   140. 

2)  Annal.  Paeteür  1892  und  L893.     Auch   nach   H  a  r  d  e  n   vermag 
der  Bac.  coli  Milchsäure  nicht  zu  vergären  (S.  293). 

3)  Annal.  Pasteur  1895. 

4)  Zentr-  Bakt.  2.  Abt.  23.  471,   1909  vgl.  S.  000. 


440  Kap.  VII,   §  142. 

soll  es  aber  auch  oft  mit  Hilfe  von  Beinkultoren,  besondeis  nach  reich- 
licher Einsaat,  gelingen,  den  Widerstand  des  Kalziumlaktats  gegen  die 
Gärung,  der  manchmal  unleugbar  besteht,  zu  brechen.  Welches  die 
Bedingungen  dafür  sind,  scheint  uns  der  näheren  Untersuchung  wert 
zu  sein.  Schon  seit  lange  nicht  zu  bezweifeln  ist  dagegen,  daß  es  Bak- 
terien gibt,  die  den  Buttersäurebakterien  morphologisch  ähnlich  sind 
und  Kalziumlaktat,  und  zwar  anscheinend  sogar  dies  allein,  nicht 
den  Zucker  zu  Buttersäure  vergären. 

Die  Vergärung  von  milchsaurem  Kalzium  durch  „Vibrionen"'  zu 
Buttersäure  ist  nämlich  schon  von  Pasteur^)  beobachtet  und  als 
Muster  eines  anaeroben  Vorgangs  hingestellt  worden.  F  i  t  z  ^)  fand  sie 
durch  Impfung  von  Laktat  mit  Kuhkot  wieder,  allerdings  erhielt  er 
keine  sehr  lebhafte  Gärung;  so  gewann  er  einmal  aus  500  g  Laktat 
neben  34  g  buttersaurem  Kalk  noch  3,6  g  Äthyl-  und  Butylalkohol, 
ein  anderes  Mal  außer  Buttersäure  Spuren  von  Kapron-,  Essig-  und 
Bemsteinsäure.  Vernachlässigt  man  diese  Beimischungen,  so  würde 
die  Gärung  der  Gleichimg 

2  (C3H503)2  Ca  +  H^O  =  (C^H^Og)^  Ca  +  CaCOg  +  300^  +  IH^ 

oder,  was  auf  dasselbe  herauskommt,  der  Reaktion 

1)    2  CgHeOa  =  C^H^  +  2  CO^  +  2  H^  (-  0,5  Kai.) 

entsprechen. 

Das  Granulobacter  lactobutyricum  Beijerincks^),  den  dieser 
Forscher  mit  dem  erwähnten  Buttersäureferment  Fasteurs  identi- 
fiziert, ist  dadurch  bemerkenswert,  daß  er  sehr  leicht  seine  Fähigkeit, 
ohne  Luftzutritt  zu  wachsen,  Buttersäuregärung  zu  erzeugen  und  mit 
Jod  die  Stärkereaktion  zu  geben,  verlieren  und  dann  dem  bekannten 
Heubazillus  (B.  subtilis)  ähneln  soll.  Anfangs  sei  diese  aerobe 
Varietät  noch  imstande,  das  Kalziumlaktat  zu  Karbonat  zu  verbrennen; 
nach  einigen  Überimpfungen  höre  aber  das  Wachstum  sowohl  der  aeroben 
als  anaeroben  Form  ohne  ersichtlichen  Grund  auf.  Diese  Angaben  be- 
dürfen dringend  der  Bestätigung.  Sie  erinnern  daran,  daß  von  ver- 
schiedenen anderen  Forschem  den  weit  verbreiteten  \md  als  Ver- 
unreinigungen sehr  gefürchteten  Heu-  und  Kartoffelbazillen  das  Ver- 
mögen, Milchsäure  zu  Buttersäure  zu  vergären,  zugeschrieben  worden 
ist  (Hüppe,  Löffler  S.  350  u.  351).  Im  allgemeinen  gehören 
diese   Bakterien    zu    den    strengen    Aerobiern,    man  wird 


1)  Ck)mpt.  rend.  ac.  sc.  62,  1861.    £:tude8  sur  la  bi^e,  1876,  S.  282. 

2)  Ber.  ehem.   Ges.   1878.  öl;   1880.   1309. 

3)  Verband,   akad.  Wetensch.  Amsterdam  2.  Sect.  I,  1893,   Nr.  10, 
so  genannt  im  Gegensatz  zu  dem  Gran.  saccharobut3nricum  vgl.   §113. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  441 

also  von  ihnen  wohl  eher  Oxydationen,  als  Spaltungsgärungen  erwarten 
dürfen  (S.  395  u.  §  149). 

Doch  gibt  es  unzweifelhaft  einzelne  Varietäten  oder  Arten  unter 
ihnen,  die  auch  ohne  Luftzutritt  gedeihen  (Flügge).  Außerdem  ist 
die  Möglichkeit  nicht  aus  den  Augen  zu  lassen,  daß  selbst  die  strengen 
Aerobier  ähnlich  den  Hefepilzen  zeitweise  anaerob  wachsen  und  gerade 
dabei  Gärungen  erzeugen  könnten.  Unter  allen  Umständen  wird  man 
wohl  daran  festhalten  müssen,  daß  die  Bildung  der  Buttersäure  aus 
Milchsäure,  ob  sie  nun  nach  der  obigen  Formel  oder  auf  anderem  Wege 
geschieht,  eine  Spaltung  ist,  die  ohne  Eingreifen  des 
Luftsauerstoffs  erfolgt.  Wenn,  wie  es  wohl  geschehen  ist, 
der  Einwand  gemacht  wird,  daß  diese  Spaltung  gar  nicht  als  eigent- 
liche Gärung  zu  betrachten  sei,  sondern  zum  Stoffwechsel  der  Zelle  ge- 
höre, weil  sie  nur  in  geringem  Umfange  imd  langsam  vor  sich  gehe, 
so  haben  wir  schon  öfter  hervorgehoben,  daß  diese  Scheidung  von 
Stoffwechsel  imd  Gärung  eine  willkürliche  ist.  Die  Schwierigkeit,  in 
diesen  Dingen  ganz  klar  zu  sehen,  wird  übrigens  dadurch  vermehrt, 
daß  die  Buttersäure  auch  der  Spaltimg  von  stickstoffhaltigen  Körpern 
entstammen  kann  (§  168 ff.).  Nach  Fitz  kann  der  milchsaure  Kalk 
aber  noch  auf  andere  Weise  gespalten  werden.  So  fand  er  nicht  selten^) 
eine  Propionsäuregärung,   die  streng  nach  der   Gleichung 

2)  aCjHA  =  2CaH,02  +  CgHA  +  CO^  +  H^O  (+  39,4  Kai.) 

verlief.  Nebenprodukte  sind  hier  nur  Essigsäure  und  Kohlensäure, 
wie  bei  der  Propionsänregärmig  der  Äpfel-  und  Weinsäure  (§  146  u.  147). 
In  anderen  Fällen  war  das  Hauptprodukt  der  Gärung  Baldrian- 
säure*)  CjHnjOj,  der  andere  flüchtige  Säuren  (Propionsäure)  und 
Alkohol  beigemischt  waren.  Femer  kommt  auch  die  Baldriansäure- 
mit  der  Propionsäuregärung  zusammen  vor.  — Diese  Gärungen  sind  nach 
P i t z  lange  nicht  mehr  studiert  worden,  erst  v.  Freudenreich 
und  0.  Jensen*)  haben  durch  den  reichlichenBefundvon 
Propionsäure  im  Schweizerkäse  aufmerksam  gemacht, 
die  Umwandlungen  der  milchsauren  Salze  durch  Käsebakterien  näher 
untersucht  und  dabei  Bakterien  gefunden,  die  daraus  Propionsäure 
und  Essigsäure  bilden.  Fixe  Säuren  und  Wasserstoff  fehlen  dabei, 
die  Kohlensäure  wurde  nicht  gemessen.  Das  Verhältnis  der  Propion* 
saure  und  Essigsäure  schwankt:  bald  entspricht  es  der  Fitz  sehen 
Gleichung,  bald  entsteht  mehr  Essigsäure,  wohl  nach  der  Gleichung 

3)   2C^fi^=3C^ß2> 

1)  Ber.  ehem.  Gee.   1878.  479.   1898  imd  1880.   1309. 

2)  Ebenda  1880.  1309. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  17.  528,  1906. 


442  Kap.  VII,   §  142—145. 

bald  aber  auch  mehr  Propionsäure.  Die  Bildung  beider  Säuren  scheint 
also  doch  in  gewisser  Weise  unabhängig  voneinander  zu  sein.  In  der 
Tat  kann  man  auch  die  Propionsäure  herleiten  nach  der  Formel: 

4)   7  Cfifi^  =  6  CaHeO^  +  3  CO,  +  3  H^O . 

Die  Propionsäurebakterien  ähneln  merkwürdigerweise  sehr  den  beiden 
Haupttji^en  der  Milchsäurebakterien,  nämlich  das  Bact.  acidi  propionici 
dem  Strept.  lacticus  und  der  Bac.  acidi  propionici  den  langen  Milch- 
Säurebazillen  (§  97).  Sie  sollen  übrigens  auch  den  Milchzucker  selbst 
zu  Essig-  und  Propionsäure  zersetzen  ( §  109).  Die  Angabe  bei  v.  F  r  e  u  - 
denreich  und  Jensen,  daß  auch  echte  Milchsäurebakterien  die 
Milchsäure  zu  Essigsäure  vergären,  stimmt  nicht  mit  anderen  Angaben 
(§  103).  Wo  eine  solche  Umsetzung  erfolgt,  wird  man  wohl  gewöhnlicb 
einen  Einfluß  des  Luftsauerstoffs  annehmen  dürfen.  Über  die  Bedeu- 
tung der  Propionsäurebakterien  für  die  Lochbildung  im  Käse  vgl.  §  178. 

Schließlich  ist  von  Hoppe-Seyler^)  auch  Sumpfgas 
als  Erzeugnis  der  Milchsäuregärung  gefunden  worden.  WahrscheinUch 
stammt  es  aus  der  Essigsäure  (§  141). 

Nicht  unwichtig  ist  es,  daß  bisher  eine  alkoholische  Vergärung 
der  Milchsäure  nach  der  einfachen  Formel:  CjH^Og  =  CgH^O -f  CO^ 
nicht  bekannt  geworden  ist,  obwohl  man  sie  doch  voraussetzen  müßte, 
wenn  die  Annahme^)  Buchners  richtig  wäre,  daß  die  Milchsäure  das 
regelmäßige  Zwischenprodukt  der  alkoholischen  Vergärung  des  Zuckers 
sei  (S.  252). 

§  143.  Vergärung  der  Glykolsäure,  Oxalsäure,  Bern- 
steinsäure,  Brenzweinsäure.  Darüber  liegen  nur  sehr  spärliche 
Mitteilungen  vor.  Im  allgemeinen  bleiben  diese  Säuren  von  anaeroben 
Spaltungen  unberührt,  während  sie  der  Oxydation  leichter  verfallen, 

F  i  t  z  ^)  gelang  es  trotz  aller  Bemühungen  nicht,  den  glykolsauren 
Kalk  in  Gärung  zu  versetzen.  Glücklicher  war  Hoppe-Seyler*). 
Fäulnisbakterien  erzeugen  nach  ihm  aus  C2H4O3  Kohlensäure,  Wasser- 
stoff und  Sumpfgas. 

Nach  Bechamp^)  soll  oxalsaurer  Kalk  durch  ein  unbekanntes 
Bakterium  in  Ameisensäure  verwandelt  werden.  Man  könnte  sich  vor- 
stellen, daß  der  Prozeß  unter  dem  Einfluß  von  Wasser  wie  folgt 
verläuft :  ^^^^^  +  H^O  =  2  CH  A  +  0 

1)  Zeitschr.  phys.  aiem.   11.  566,  1887. 

2)  Neuerdings  hat  Buchner  diese  Ansicht  zurückgezogen  (Vcrh. 
Gesellsch.  D.  Naturf.  11.  Ärzte,  Salzburg   1909.    II.  1.  51). 

3)  Ber.  ehem.   Ges.   1878.  46. 

4)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  2,  7. 

5)  Ck)mpt.  rend.   70.   999. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  443 

wobei  Oxydationen  nebenher  gehen  würden.  Derselbe  Forscher  sah 
Bernsteinsäure  durch  faules  Fleisch  in  Propionsäure 
und  Kohlensäure  zerfallen: 

C^H^O^  =  Cj^A  +  CO2  (- 11,1  Kai.). 

Auffälligerweise  wird  dabei  Wärme  gebunden.  Nach  Grimbert 
und  F  i  r  q  u  e  t  (s.  u.  §  147)  soll  der  Bac.  tartricus  aus  Bernsteinsäure 
Essigsäure  abspalten.  Auch  die  Aminobemsteinsäure  wird  ähnlich 
zersetzt  (§  169). 

Die  Methylbemstein-  oder  Brenzweinsäure  wird  nach  Bechamp^) 
durch  Fleischwasser  zu  Kohlensäure  und  Sumpfgas  vergoren. 

§  144.  Vergärung  der  Glyzerinsäure.  Fitz^)  beobachtete 
zwei  verschiedene  Gärungen  des  glyzerinsauren  Kalks  bei  Impfungen 
seiner  Lösung  mit  Heuwaschwasser.  Entweder  bildete  sich  vorwiegend 
Essigsäure  mit  Alkohol,  Butter-,  Ameisen-  und  Bernsteinsäure  als  Neben- 
produkten. Der  Zerfall  würde  dann  vielleicht  im  wesentlichen  so  vor 
sich  gehen: 

CsHj04  =  C2H4O2  +  CO2  +  Hg . 

Oder  es  wurde  fast  reine  Ameisensäure  und  nur  Spuren  von 
Alkohol  und  Essigsäure  entwickelt. 

Frankland  und  F  r  e  w  ^)  konnten  durch  die  Reinkulturen 
ihres  Bac.  ethaceticus  die  erste  Gärung  wieder  erzeugen.  Sie  gaben  ihr 
die  Formel: 

5  C^fi^  =  4  C^H  A  +  C^H^O  +  5  CO2  +  3  H2  +  H^O . 

Dabei  machten  die  englischen  Forscher  die  Beobachtujig,  daß  das 
optisch  inaktive  Salz,  das  sie  der  Gärung  unterworfen  hatten,  in  die 
beiden  aktiven  Modifikationen  verwandelt  wurde,  von  denen  nur  das 
rechtsdrehende  Salz  der  Spaltung  verfiel  (vgl.  §  58).  Später*)  machte 
sich  eine  Anpassungserscheinung  bemerkbar:  der  lange  Zeit  in  Lösungen 
von  glyzerinsaurem  Kalk  gezüchtete  Bazillus  vergor  allmählich  auch  die 
linksdrehende  Komponente. 

§145.  Sumpf gasgärung  der  Buttersäure.  Nach  Maze  und 
Omeliansky^)  wird  auch  der  buttersaure  wie  der  essigsaure  Kalk 
(§  141)  durch  eine  „Pseudosarzine^'  zu  Sumpfgas  und  Kohlensäure  ver- 
goren, und  zwar  wahrscheinUch  nach  der  Formel 

Ca(C4H702)2  +  3H2O  =  CaCOg  +  2CO2  +  5CH4. 

1)  Bull.  soc.  chim.  11.  418,  zit.  nach  Emmerling. 

2)  Ber.  ehem.  Ges.   1878.  474  und  1880,  1312. 

3)  Joum.  ehem.  soc.   1801    (Kochs  Jahresber.). 

4)  Ebenda  1893. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  15.  680. 


444  Kap.  Vn,   §  146—149. 

§  146.  Vergftriing  der  Apf elsäure.  Der  äpfelaauie  (ozybem- 
steinsaure)  Kalk  ist  nacli  F  i  t  z  ^)  ebenfalk  veischiedenen  Gärungen 
unterworfen.  Zunächst  kann  er  in  Bemsteinsäure  und  Essigsäure  zer- 
fallen, genau  der  Gleichung  entsprechend: 

1)  3  CJIfi,  =  2  C^Hfi^  +  C^H A  +  2  CO2  +  H,0 . 

Bei  einer  anderen  Gärung  wurde  viel  Propionsäure,  weniger  Essigsaure 
und  eine  Spur  Bemsteinsäure  gebildet,  etwa  nach  der  Gleichung: 

2)  3  C^H^O^  =  2  CjHeO^  +  C^A  +  4  CO^  +  H^O . 
DrittenskonntedieÄpfelsäureauchderButtersäuregärungunterliegen 

3)   2  C^HA  =  C^HaOa  +  4  CO^  +  2  H^O. 

Eine  Milchsäuregärung  beschrieb  S  c  h  ü  t  z  e  n  b  e  r  g  e  r  *).  Die 
einfachste  Gleichung  dafür  lautet: 

4)  CÄO«  =  CgHeO,  +  CO^. 
Ob  hier  wirklich  besondere  Leistungen  einzelner  Mikroorganismen 
vorlagen  oder  Mischgärungen,  ist  unbekannt.  Nur  für  den  Bac.  aero- 
genes  hat  Emmerling')  nachgewiesen,  daß  er  imstande  ist,  die 
Äpfelsäure  ziemUch  genau  der  Gleichung  1  entsprechend  zu  zersetzen. 
§  147.  Vergärung  der  Weinsäure.  Der  weinsaure  {dioxybem- 
steinsaure)  Kalk  liefert  nach  P  a  s  t  e  u  r  ^)  ein  Beispiel  streng  anaerober 
Gärung,  als  deren  Erreger  er  eine  Art  von  „Vibrionen"  mit  einer 
glänzenden  Anschwellung  an  einem  Fol,  wie  wir  heute  sagen  würden, 
Bazillen  mit  Köpfchensporen,  beschreibt.  Schon  früher  war  die  Gärung 
anscheinend  von  Dumas  beobachtet  worden.  F  i  t  z  ^)  fand  sie  wieder 
und  gab  ihr  wie  P  a  s  t  e  u  r  die  Formel: 

3  C,HeOe  =  CgHeO^  +  2  C^H^O^  +  5  CO,  +  2  H^O . 

Es  werden  also  Propionsäure  imd  Essigsäure  gebildet.  Nach 
Duclaux*)  wird  vielleicht  die  sog.  „pousse  du  vin",  bei  der  eben- 
falls die  beiden  Säuren  erzeugt  werden,  durch  diese  Vergärung  der 
Weinsäure  hervorgerufen  (vgl.  Laborde,  Mannitbildner  im  Wein  §124). 
Bei  einer  zweiten  Gärung  entsteht  in  erster  Linie  Essigsäure  mit 
geringen  Mengen  von  Alkohol  und  Buttersäure.  Man  könnte  ihr  die 
Formel  geben: 

C^HeOe  =  C^ß^  +  200^  +  H,. 

Aber  auch  der  Zerfall  zu  Essigsäure  und  Bernsteinsäure  scheint  möglich. 

1)  Ber.  ehem.  Ges.   1878.  479  u.  1896. 

2)  Die  GäningBerscheinungen,  1876. 

3)  Ber.  ehem.  Ges.  1899.  1915. 

4)  Compt.  rend.  ac.  sc.  56.  416  und  Stades  sur  la  biere  274. 

5)  Ber.  ehem.  Ges.  1878.  474. 

6)  Mierobiol.  4.  628. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  445 

Mit  Reinkulturen  ihres  Bac.  tartricus  vergoren  Grimbert  und 
Pirquet^)  den  Weinsäuren  Kalk  zu  Essigsäure,  Bemsteinsäure, 
Kohlensäure  und  Wasserstoff.  Die  Bemsteinsäure  erscheint  hierbei 
nur  als  Übergangsprodukt,  denn  sie  zerfällt  weiter  zu  Essigsäure  (s.  o. 
§  143).  Auch  die  Kohlenhydrate  werden  von  diesem  Bazillus  ange- 
griffen unter  Bildung  der  gleichen  Stoffe,  wozu  aber  noch  kommen 
Linksmilchsäure,  etwas  Äthylalkohol  und  Azetylmethylkarbinol  C4Hg02, 
ein  Kupferlösimg  schon  in  der  Kälte  reduzierender  Körper,  der  neben 
Alkohol  im  Destillat  erscheint  und  sonst  nur  ausnahmsweise  (S.  395) 
noch  in  Bakterienkulturen  gefimden  worden  ist.  Mannit  und  Glyzerin 
bleiben  unberührt. 

§  148.  Vergärung  der  Zitronensäure,  Schleimsäure,  Gly- 
kuronsänre.  Fitz^)  hat  eine  Gärung  des  zitronensauren  Kalks  beob- 
achtet, bei  der  aus  der  Zitronensäure  C^HgO,  wesentlich  Essigsäure 
neben  etwas  Alkohol  und  Bernsteinsäure  entsteht. 

Die  Schleimsäujre  C^HiqOj  wird  nach  Schützenberger 
(a.  a.  0.)  leicht  unter  Bildung  von  Essigsäure,  Kohlensäure  und  Wasser- 
stoff vergoren. 

Die  d-61ykuronsäure  CgH^QO,  soll  nach  älteren  Angaben  nicht, 
nach  Hildebrandt®)  wohl  durch  Hefe  und  Zymin  vergärbar 
sein,  wobei  aber  an  Stelle  des  Alkohols  Essigsäure  imd  unter  Umständen 
Malonsäure  CH2(C02H)2  entstehe;  nach  Thierfelder*)  wird  sie 
durch  Bakterien  des  Kloakenschlammes  in  eine  Art  Sumpfgas- 
gärung versetzt.  Die  (im  Harn  vorkommenden)  gepaarten  Gly- 
kuronsäuren  (mit  glykosidischem  Charakter)  werden  nach  N  e  u  b  e  r  g 
und  Neimann^)  durch  Emulsin  und  Kefyrlaktase  (§  82)  gespalten 
und  verfallen  nach  Hildebrandt  ebenfalls  der  Fäulnis.  Außer- 
dem bewirken  die  gewöhnlichen  Fäulnisbakterien  nach  E.  S  a  1  - 
k 0 w 8 k i  imd  Neuberg*)  bei  schwach  alkalischer  Reaktion  den 
Zerfall   der  Glykuronsäure  in   l-Xylose    und    Kohlensäure. 

§  149.  Oxydation  der  Fette  und  Fettsäuren.  Der  gewöhn- 
lichste Weg,  auf  dem  die  Fette  durch  die  Mikroorganismen  zersetzt, 
„verbraucht"  werden,  scheint  die  Oxydation  zu  sein.  Den  Fettver- 
brauch verschiedener  Mikroorganismen  in  Milch  hat  schon  Esche- 
rich')  seinem  Grade  nach  bestimmt.  Während  die  nicht  mit  Bak- 
terien geimpfte  Milch  1,340%  Fett  enthielt,  ließen 

1)  Compt.  rend.  biol.  1897. 

2)  Ber.  ehem.  Ges.  1878.  1895. 

3)  Zeitßchr.  physiol.  Chem.  43,  1904  (und  Hofmeisters  Beitr.  7.  1905). 

4)  Ebenda  13,  1889. 

5)  Ebenda  44,  1905. 

6)  Ebenda  36,  1901. 

7)  Darmbakterien  des  Säuglings  1886  S.  115. 


446  Kap.  Vn,   §  149. 

der  Bac.  fluorescens  non  liquefaciens  .     .     .  1,226%  Fett  un^raetzt 

„    Strept.  gracilis 1,020%  „ 

die  Monilia  Candida 0,968%  „ 

der  Micr.  ovalis  (Strept.  lacticus?)      .     .     .  0,923%  „             „ 

der  Bac.  subtilis •  0,855%  „             „ 

„       „     aerogenes 0,881%  „ 

,,      „coli     .... 0,791%  „ 

„       „     fluoresc.  liquefaciens 0,578%  „             „ 

Die  freien  Fettsäuren  sind  in  dem  Fett  einbegriffen. 

R  u  b  n  e  r  ^)  fand  dann,  daß  reine  Fette,  die  mit  Boden- 
proben vermischt  worden  waren,  zum  größeren  Teil  hydrolytisch 
gespalten  wurden,  zum  kleineren  ganz  verschwanden.  Im  sterilisierten 
Boden  beobachtet  man  höchstens  eine  geringfügige  Spaltung.  Der 
Prozeß  verläuft  langsam  im  Laufe  von  Monaten  und  Jahren,  er  wird 
begünstigt  durch  das  Vorhandensein  von  kohlensaurem  Kalk  im  Boden. 
Auch  in  Flüssigkeiten  findet  eine  solche  Fettzehrung  statt.  Voraus- 
setzung ist  aber  immer,  daß  neben  den  Fetten  die  übrigen  Nährstoffe 
für  das  Wachstum  von  Mikroorganismen  vorhanden  sind.  Schrei- 
b  e  r  2)  isolierte  eine  Beihe  von  Erregern  der  Fettzersetzimg  (Peni- 
cillium  glaucimi,  Mucor  mucedo,  Oidium  albicans,  Bac.  fluorescens 
liquefaciens,  Spir.  Finkler,  Micr.  tetragenus)  imd  konstatierte,  daß  sie 
durchaus  an  den  Zutritt  von  Sauerstoff  gebunden  ist.  Die 
in  der  Gartenerde  vorhandenen  Anaeroben  waren  unfähig,  das  Fett 
anzugreifen,  wenn  man  von  einer  unbedeutenden  Spaltung  absieht. 
Das  in  Futterstoffen  wie  Baumwollsaatmehl  vorhandene  Fett  wird 
nach  Spieckermann  und  Bremer  (S.  433)  bei  einem  geringen 
Wassergehalt  (von  12  —  20%)  fast  ausschließlich  durch  Hefe  („Moni- 
lia^'-Arten)  angegriffen  und  verfällt  zum  größten  Teil  der  Verbrennung, 
während  die  gleichzeitig  vorhandenen  Kohlenhydrate  und  Eiweißstoffe 
fast  unberührt  bleiben.  Steigt  der  Wassergehalt  bis  auf  30%,  so  werden 
Fette  und  Kohlehydrate  zerstört,  und  zwar  durch  Schimmelpilze 
(PeniciUien) ;  Eiweißstoffe  imd  Pentosane  werden  nur  wenig  in  Anspruch 
genommen.  Bei  30 — 50%  Feuchtigkeit  überwuchern  Bakterien,  die 
sich  vor  allem  auf  die  stickstoffhaltigen  Bestandteile  und  Kohlenhydrate 
werfen,  auch  die  Pentosane  nicht  verschonen,  aber  verhältnismäßig 
wenig  Fett  verbrauchen.  Es  scheint  danach,  daß  unter  den  Verhält- 
nissen, wie  man  sie  in  der  Natur  gewöhnlich  findet,  die  Fette  in  erster 
Linie  durch  Hefe  und  Schimmelpilze  oxydiert  werden.  Versuche  mit 
Reinkulturen  haben  Spieckermann  und  Bremer  ergeben,  daß 

1)  Vgl.  Lit.  S.  433. 

2)  —  ebenda. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäiu'en.  447 

flüchtige  Säuren  als  Z  wi  sehen  er  Zeugnisse  der 
Oxydation  in  greifbarer  Menge  nicht  auftreten, 
sondern  die  Verbrennung  wohl  im  wesentlichen  eine  vollständige  ist. 
Oxalsäure  wird  freilich,  nach  den  Untersuchungen  von  D  u  - 
c  I  a  u  X  und  W  e  h  m  e  r  (vgl.  S.  390)  zu  urteilen,  wenigstens  zeitweise 
nicht  fehlen.  Nicht  immer  ging  der  Oxydation  eine 
nachweisbare  Spaltung  der  Fette  vorher.  Die  freien 
Fettsäuren  wurden  energischer  angegriffen  als  die  Glyzeride.  Wie  man 
sich  die  Oxydation  zu  denken  hat,  ist  nicht  klar.  Wahrscheinlich  wird 
sie  innerhalb  der  Zellen  erfolgen.  Die  Aufnahme  in  letztere  könnte 
dann,  da  die  Reaktion  regelmäßig  eine  saure  ist,  kaum  anders  als  in 
Form  einer  Emulsion  erfolgen.  Fett  oxydierende  Enzyme  sind  bisher 
noch  nicht  nachgewiesen  worden,  aber  wohl  vorhanden  (s.  u.). 

Die  niederen  Fettsäuren,  sowie  die  Oxyfettsäuren  imd  mehr- 
basischen Säuren,  deren  anaerobe  Spaltungen  wir  soeben  kennen  ge« 
lernt  haben,  teilen  das  Schicksal  der  höheren,  sie  werden  oxydiert, 
und  zwar  anscheinend  viel  leichter  oxydiert,  als  sie  ohne  Sauerstoff 
gespalten  werden.  Darauf  beruht  zimi  größten  Teil  ihre  Eigenschaft 
als  mehr  oder  weniger  gute  Nährstoffe  (vgl.  §  33).  Natürlich  bestehen 
in  dieser  Beziehung  je  nach  der  Mikroorganismenart  und  der  sonstigen 
Zusammensetzung  der  Nahrung  große  Unterschiede.  Wenn  andere 
bessere  Nährstoffe  zur  Verfügung  stehen,  bleiben  die  Säuren  häufig 
unberührt.  So  haben  wir  gesehen,  daß  von  den  Essigsäurebakterien 
zunächst  immer  der  Alkohol  oxydiert  wird,  erst  wenn  dieser  ver- 
schwanden ist,  die  Essigsäure  (S.  430),  von  den  Schimmelpilzen  zunächst 
der  Zucker  und  später  die  Oxalsäure  und  Zitronensäure  (§  121  u.  122). 
Andere  Fälle,  wo  diese  Regel  nicht  zutrifft,  vielmehr  auch  bei  Gegenwart 
besserer  Nährstoffe,  z.  B.  Zucker,  schlechtere,  z.  B.  Essigsäure,  ver- 
zehrt werden,  haben  wir  §  58  besprochen.  Dort  haben  wir  auch  die 
merkwürdige  Auswahl  kennen  gelernt,  welche  die  Mikroorganismen 
treffen,  wenn  ihnen  gleich  zusammengesetzte,  aber  in  ihrem  moleku- 
laren Aufbau  abweichende  Stoffe,  wie  die  Rechts-  und  Linkswein- 
säure, Glyzerinsäure,  Milchsäure  gleichzeitig  dargeboten  werden.  Aus- 
schließlich oder  vorwiegend  die  eine  Komponente  wird  assimiliert  imd 
oxydiert,  und  zwar  kann  es  je  nach  der  Eigenart  der  Mikroorganismen 
bald  die  linksdrehende,  bald  die  rechtsdrehende  sein. 

Eine  damit  zusammenhängende  Tatsache  haben  neuerdings  Her- 
zog und  M  e  i  e  r  ^)  festgestellt.  Sie  fanden  nämlich,  daß  Penicillium 
die  razemischen  Verbindungen  Milch-,  Trauben-,  Äpfel-,  /?-Oxybutter-, 
Mandelsäure  oxydiert,  die  Glykol-,  Zitronen-,  Brenztrauben-,  Oxyiso- 


1)  Zeitechr.  physiol.  Cham.  57,  1008. 


448  Kap.  VII,   §  149  u.  150. 

buttersäure  kaum  angreift,  also  erst  ein  asjrmmetrischer  KoUenstoff 
die  Säuren  zur  Oxydation  geeignet  macht.  Nebenbei  erzielten  die  Ver- 
fasser ein  wichtiges  Ergebnis,  indem  sie  das  gepulverte  Myzel  auch  nach 
Abtötung  durch  Azeton  oder  Methylalkohol  wirken  sahen.  Sie  sprechen 
daher  von  einem  Oxydationsenzym  (vgl.  §  222). 

In  manchen  Fällen  sind  Bakterien  wohl  imstande,  unter  Sauerstoff- 
abschluß eine  Säure  zu  erzeugen,  vermögen  sie  aber  erst  an  der  Luft 
weiter  zu  zersetzen.  So  oxydiert  das  Amylobacter  butylicum  D  u  - 
c  1  a  u  x'  (S.  352)  seine  eigenen  Produkte  Essigsäure  und  Buttersäure 
nachträglich  zu  Kohlensäure  und  Wasser.  An  derartige  Pro- 
zesse muß  man  immer  denken,  wenn  man  Gärungen 
studiert,  ohne  für  sicheren  Abschluß  der  Luft 
gesorgt  zu  haben.  Die  Analysen  der  Gärungsprodukte  werden 
dann  natürlich  ein  falsches  Bild  ergeben.  Besonders  groß  ist  die  (refahr, 
wenn  durch  Zusatz  von  kohlensaurem  Kalk  die  durch  die  Gärung 
anaerob  gebildeten  Säuren  abgesttmipft  werden  und  so  die  Lebens- 
fähigkeit der  Mikroorganismen  länger  erhalten  bleibt. 

Die  „Säureverzehrung"  dieser  und  anderer  (z.  B.  aromatischer) 
organischer  Säuren  spielt  eine  wichtige  Rolle  bei  vielen  verwickelten 
Zersetzungen,  z.  B.  bei  der  Verwesung^)  kohlehydrathaltiger 
Stoffe  und  des  Eiweißes  entstehen  immer  aus  der  Spaltung  mit  oder 
ohne  Sauerstoffzutritt  Säuren,  die  dann  bei  Sauerstoffzutritt  be- 
seitigt werden.  Die  einzelnen  Stadien  dieser  Oxydation  durch  den 
freien  Sauerstoff  der  Luft  sind  nur  ungenügend  bekannt.  Man  weiß 
nur,  daß  neben  der  Kohlensäure  die  Oxalsäure  häufig  auftritt  (s.  o.). 
Theoretisch  bestände  die  Möglichkeit,  daß  aus  jeder  Fettsäure  durch 
Oxydation  nach  und  nach  alle  Fettsäuren  mit  geringerem  Kohlenstoff- 
gehalt hervorgingen.  Allerdings  kann  sich  auch  durch  eine  intramole- 
kulare Oxydation  die  nächst  niedere  aus  der  höheren  Säure  bilden, 
so  z.  B.  die  Valerian-  aus  der  Kapronsäure  bei  der  Fäulnis  des  Leuzins 
(§  168). 

Auch  bei  einem  edleren  Vorgang,  dem  Reifen  des  Weins, 
sehen  wir  eine  Säureverzehrung  (§  95).  Es  handelt  sich  da  wohl  inrnier 
um  ein  Zusammenwirken  verschiedener  Mikroorganismen  (Symbiose) 
oder  vielmehr  um  deren  gegenseitige  Ablösimg  (Metabiose   §  50). 

Die  Säureverzehrer  sind  fast  in  allen  Fällen  die  Aerobier  und  Säure- 
liebhaber ersten  Ranges,  d.  h.  Hefe  und  Schimmel*).  Bakterien  greifen 
die  Säuren  im  allgemeinen  nur  an,  wenn  sie  nicht  frei,  sondern 


1)  Ball,    Zentr.  Bakt.   2,  Abt.   8.    18/19.     Heinze,  Zeitschr.  f. 
Hyg.  46.  324;  vgl.    §    176   u.    182. 

2)  Duclaux,  Annal.  Fasteur  1889. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren. 


449 


Salze  gebunden  erscheinen.  Dann  können  sie  sie,  vorausgesetzt,  daß 
ihnen  Sauerstoff  und  andere,  vor  allem  stickstoffhaltige  Nahrung 
genug  zur  Verfügung  steht,  recht  kräftig  zerstören.  Die  einzelnen 
Säuren  werden  sehr  ungleich  angegriffen.  Nach  M  a  a  ß  e  n  ^)  ergibt 
sich  für  die  Zersetzlichkeit  der  organischen  Säuren  durch  Bakterien 
folgende  Reihenfolge  (vgl.  aber  oben  Herzog  und  Meier). 

Von  45  verschiedenen  Bakterienarten  griffen  die  Säuren  an: 


Äpfelsäure 

.     .     .    41  Arten 

Propionsäure .     .     . 

.     13  Arten 

Zitronensäure 

.     .     .    38 

>) 

Oxyessigsäure     .     . 

.     13      „ 

Fumarsäure   . 

.     .     .    38 

>) 

Chinasäure     .     .     . 

.     10 

Glyzerinsäure 

.     .     .    34 

>j 

Maleinsäure   .     .     . 

.      9 

Benist^insäure 

.     .     .    32 

>> 

Malonsäure    .     .     .     . 

.      8 

Ameisensäure 

.     .    30 

>) 

Akonitsäure  .     .     .     . 

7 

Milchsäure     .     . 

.     .    30 

>> 

Trikarballylsäure    .     . 

5         : 

Schleinisaure . 

.     .     .    23 

)j 

/?-Oxybuttersäure    . 

,      5 

Weinsäure      .     , 

.     .     .    21 

>> 

Mandelsäure  .     .     . 

4 

Essigsäure 

.     .     .     14 

j> 

a-Oxyisobuttersäure    , 

0 

Oxalsäure 

0 

Die  Lösung,  in  der  die  Bakterien  geprüft  wurden,  enthielt  auf  einen 
Liter  10  g  Pepton,  1  g  Chlornatrium,  1,5  g  primären  Kaliumphosphat, 
0,3  g  Magnesiasulfat  und  den  zehnten  Teil  des  Äquivalentgewichts  der 
betreffenden  Säure  in  Form  ihres  Kali-  oder  Natronsalzes.  Neutrale 
Reaktion  wurde  durch  Natronlauge  hergestellt.  Die  Angaben  sind 
natürlich  nur  für  den  angewandten  Nährboden  gültig.  M  a  a  ß  e  n 
macht  selbst  die  Bemerkung,  daß  bei  gewissen  Veränderungen  im 
Nährboden  auch  die  Oxalsäure  von  manchen  Bakterien  angegriffen 
werde. 

§  150.  Das  Ranzigwerden  der  Fette.  Die  natürlichen  Fett- 
gemenge, die  uns  als  Nahrungsmittel  dienen,  insbesondere  die  Butter, 
erleiden  bekanntlich  mit  der  Zeit  eine  eigentümliche  Veränderung, 
die  sich  in  dem  „ranzigen*'  Geruch  und  Geschmack  kundgibt.  Lie- 
big*) schon  führte  diese  Umwandlung  auf  beigemengte  ferment- 
artige Stoffe  zurück,  die  Fettsäure  in  Freiheit  setzten  und  Glyzerin 
zersetzten.  Je  reiner  die  Fette  wären,  desto  weniger  leicht  würden 
sie  ranzig.  Andere  Forscher  schoben  die  allmähliche  Oxydation  des 
Fettes  in  den  Vordergrund.  Mit  dem  Beginn  der  bakteriologischen 
Zeit  wurden  auch  Miloroorganismen  für  die  Veränderung  verantwort- 
lich gemacht.  Diese  Lehre  erhielt  einen  starken  Stoß,  als  D  u  c  1  a  u  x  ^) 

1)  Arb.  K.  Gesundheitsamts  12. 

2)  Handb.  organ.  Chem.   1843. 

3)  Annal.  Pasteur  1888.  352  und  Microbiol.  4731. 
Kruse,  Mikrobiologie.  29 


450  Kap.  VII,   §  150  u.  151. 

nachwies,  daß  die  Fette  allein  unter  der  Einvrirkung  von  Luft,  Lacht 
und  Wärme  der  Zersetzung  verfallen  können.  Nach  ihm  besteht  das 
Ranzigwerden  in  einer  hydrolytischen  Spaltung  —  die  vielleicht  durch 
ein  in  der  Butter  vorhandenes,  aus  der  Milch  in  sie  übergegangenes 
Enzym  (Lipase  s.  o.  §  138)  begünstigt  werde  —  mit  darauf  folgenden 
durch  Licht  und  Wärme  gesteigerten  Oxydationsvorgängen  und  weiteren 
Umsetzungen,  an  denen  sich  auch  Mikroorganismen  beteiligen  könnten. 
Die  Glyzeride  der  flüchtigen  Fettsäuren,  in  erster  Linie  die  Butter- 
säure, zerfallen  besonders  leicht  und  verflüchtigen  sich  schnell,  woher 
es  komme,  daß  die  schon  stark  verdorbene  Butter  nur  eine  geringe 
Säurezunahme  zeige.  Alle  späteren  Forscher  haben  den  bösen  Einfluß, 
den  die  Belichtung  durch  die  Sonne  ausübt,  bestätigen  können. 
H.  Schmidt^)  wies  auch  nach,  daß  Mikroorganismenwirkung  unter 
diesen  Umständen  nicht  in  Frage  kommen  kann,  weil  die  Sonne  die 
Butter  nahezu  sterilisiere.  Doch  macht  neuerdings  Reinmann  ^) 
darauf  aufmerksam,  daß  die  Veränderung,  die  durch  die  Belichtung 
in' der  Butter  eintritt,  nicht  gleichbedeutend  sei  mit  dem  Ranzigwerden. 
Der  Geruch  und  Geschmack  soll  dabei  „talgig"  werden,  nicht  ranzig. 
Mag  das  nun  der  Fall  sein  oder  nicht,  der  gewöhnliche  Vor- 
gang des  Ranzigwerdens  kann,  wie  aus  den  Arbeiten  von 
Schmidt  und  Reinmann  mit  Sicherheit  hervorgeht,  nicht 
als  einfache  chemische  Spaltung  und  Oxydation 
aufgefaßt  werden,  sondern  beruht  auf  der  ver- 
wickelten Tätigkeit  von  Mikroorganismen,  und 
zwar  hauptsächlich  solchen,  die  den  Sauerstoff  lieben.  Denn  bei  Ab- 
schluß der  Luft  wird  die  Butter  viel  langsamer  ranzig.  Die  Belich- 
tung hat,  wenn  sie  nicht  das  übliche  Maß  überschreitet,  keinen  Ein- 
fluß. Höhere  Temperatur  befördert,  niedrige  Temperatur  ver- 
langsamt, Abkühlung  imter  Null  verhindert  das  Ranzigwerden,  wie 
alle  Bakterienwirkungen.  Denselben  Erfolg  hat  der  Zusatz  von  anti- 
septischen  Stoffen,  von  größeren  Mengen  Kochsalz,  das  gründliche 
Auswaschen  der  Butter,  das  die  Bakteriennährstoffe  (Kasein,  Milch- 
zucker) beseitigt,  die  Herstellung  der  Butter  aus  sterilisiertem  Rahm. 
Wird  die  auf  solche  Weise  gewonnene  keimfreie  Butter  mit  einer  Spur 
ranziger  Butter  gemischt,  gewissermaßen  „geimpft",  so  wird  sie  sofort 
selbst  ranzig.  Macht  man  denselben  Versuch  mit  Butter,  die  nach- 
träglich durch  Erhitzen  keimfrei  gemacht  worden  ist,  so  gelingt  er 
nicht,  die  Butter  wird  nicht  ranzig;  aber  nur  aus  dem  Gnmde,  weil 
die  erhitzte  Butter  sich  scheidet  in  reines  Butterfett,   das   den  Bak- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  28  1898,  mit  Lit. 

2)  Zcntr.  Bakt.  2.  Abt.  6.  ö— 7,   1900,  (mit  Lit.) 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  luid  Fett43äuren.  451 

terien  nicht  allein  zur  Nahrung  dienen  kann,  und  die  übrigen  Bestand- 
teile, die  die  nahrhaften  Stoffe  enthalten. 

Bis  hierher  ist  der  Vorgang  des  Ranzigwerdens  aufgeklärt.  Leider 
wissen  wir  schon  über  die  Art  der  Mikroorganismen,  die  ihn  verur- 
sachen, nichts  genaueres.  Reinmann  hat  eine  große  Reihe  von 
Bakterien,  Hefen  und  Schimmelpilze,  die  er  aus  ranziger  Butter  ge- 
züchtet, auf  ihre  Fähigkeit,  Butter  ranzig  zu  machen,  ohne  Erfolg 
geprüft.  Nur  drei  von  ihnen,  der  Bac.  fluorescens  liquefaciens,  das 
Oidium  lactis  und  eine  Hefe  spalteten  die  Butter  unter  Säuenmg  und 
teilweise  unter  Geschmacksveränderung,  erzeugten  aber  nicht  den 
ranzigen  Gleruch.  Man  muß  also  nach  anderen  Erregern  des  Prozesses 
suchen.  Auch  über  die  chemischen  Vorgänge,  die  dabei  stattfinden, 
ist  man  durchaus  noch  nicht  einig.  Wahrscheinlich  werden  sie  auf  die 
schon  von  L  i  e  b  i  g  hervorgehobenen  Erscheinungen  hinauslaufen. 
Der  Versuch  ist  gemacht  worden,  die  Zersetzimgsprodukte  aus  ranziger 
Butter  durch  die  Analyse  zu  erfassen.  So  hat  A.  S  c  h  m  i  d  ^)  daraus 
durch  Destillation  Aldehyde  und  Ketone,  Amthor  ^)  Ester  aus  niederen 
Fettsäuren,  namentlich  Buttersäureäthylester  gewonnen  und  für  den 
Geruch  verantwortlich  gemacht.  Die  ersteren  sollen  aus  der  Zer- 
setzung des  Glyzerins,  die  letzteren  aus  der  Vergärung  des  Milch- 
zuckers zu  Alkohol  und  der  Spaltung  der  Glyzeride  hervorgehen.  Die 
Säuerung  der  Butter,  die  das  Ranzigwerden  stets  begleitet,  ist  doch 
kein  Gradmesser  für  den  Vorgang.  Sie  hat  wahrscheinlich  zwei  Ur- 
sachen, einerseits  die  Hydrolyse  des  Fettes,  andererseits  die  Spaltung 
(1er  Milch  zu  Milchsäure.  Beide  bedingen  an  sich  noch  nicht  das  Ranzig- 
werden. Ja,  die  Milchsäuregärung  ist  sogar  ein  Mittel,  das  Ranzig- 
werden der  Butter  zu  verhindern.  Es  ist  eine  alte  Erfahrung,  daß  But- 
ter, die  aus  saurem  Rahm  hergestellt  ist,  dauerhafter  ist  als 
Süßrahmbutter.  Man  versetzt  deswegen  jetzt  vielfach  in  Groß- 
betrieben den  durch  Zentrifugieren  frischer  Milch  gewonnenen  Rahm 
mit  Reinkulturen  von  Milchsäurebakterien  und  läßt  ihn  säuern,  bevor 
man  ihn  zur  Butter  verarbeitet  (vgl.  §  111). 

§  151.     Reduktion  von  Fetten  und  Fettsäuren.     Bei  den 

anaeroben  Spaltungen  der  niederen  Fettsäuren,  Oxyfettsäuren  usw. 
entstehen,  wie  wir  sahen,  neben  höher  oxydierten  auch  sauerstoff- 
ännere  oder  sauerstofffreie  Körper,  z.  B.  bei  der  Vergärung  der  Essig-, 
Milch-,  Glykol-  und  Bemsteinsäure  Sumpfgas,  Wasserstoff,  Essigsäure, 
Propionsäure.  Das  in  der  Natur  weit  verbreitet  vorkommende  Sumpf- 
oder Grubengas  wird  zum  großen  Teil  aus  solchen  Quellen  stammen 


1)  Zeitochr.  analyt.  Chem.   1898.  277. 

2)  Ebenda  1890.  18.      . 

29* 


452  Kap.  VII,   §  161  —  152. 

(vgl.  §  118).  Aber  auch  andere  Kohlenwasserstoffe  können  durch  die 
Wirkung  von  Mikrobien  aus  organischen  Säuren  entstehen,  so  bilden 
nach  Oliviero  sowie  Herzog  und  R  ö  p  k  e  ^)  Aspergillus  niger 
und  Penicillium  glaucum  aus  Zimtsäure  durch  Kohlensäure- 
abspaltung  S  t  y  r  o  1  CgHßCH  .  CHg,  ganz  in  der  Weise,  wie  aus  Essig- 
säure durch  Kohlensäureabspaltung  Sumpfgas  sich  bildet.  Man  darf 
sich  daher  fragen,  ob  nicht  die  im  Erdöl  enthaltenen  Kohlen- 
wasserstoffe, die  man  gewöhnlich  auf  rein  chemischem  Wege 
(durch  Destillation  von  Fettsäure  unter  Druck  nach  E  n  g  1  e  r)  ent- 
stehen läßt,  vielleicht  ebenfalls  Mikroorganismen  ihren  Ursprung  ver- 
danken^). Die  Tatsache,  daß  es  Bakterien  gibt,  die  Kohlenwasserstoffe 
zur  Ernährung  zu  verwenden  vermögen  (S.  116),  spricht  nicht 
dagegen,  denn  auch  Sumpfgas  imd  Wasserstoff,  die  wir  als  echt« 
Gärungserzeugnisse  kennen,  werden  gelegentlich  wieder  assimiliert. 
Immerhin  ist  wohl  die  Entstehimg  des  Erdöls  auf  rein  chemischem 
Wege,  wenn  wir  dessen  Massenhaftigkeit  bedenken,  vorläufig  wahr- 
scheinlicher. 

§  152.  Synthesen  aus  Fettsäuren.  Daß  die  Fette  und  Fett- 
säuren zum  Aufbau  der  Leibessubstanz  dienen  können,  folgt  aus  der 
Tatsache,  daß  sie  schon  allein  imstande  sind,  den  Kohlenstoffbedarf 
vieler  Mikroorganismen  zu  decken  (S.  115  u.  116).  Das  wenige,  was 
wir  von  den  dazu  nötigen  Synthesen  wissen,  werden  wir  im  Zusammen- 
hang später  (§  229 — 231)  besprechen.  Hier  sei  nur  bemerkt,  daß  wir 
den  Vorgang  der  Fettbildung  aus  Fettsäure  und  Glyzerin  wie  den  um- 
gekehrten der  hydrolytischen  Fettspaltung  wohl  als  enzymatischen  auf- 
fassen dürfen.  In  der  Tat  hat  Pottevin*)  durch  Zusammenbringen 
von  Oleinsäure  mit  Glyzerin  Olein  darstellen  können.  Einige  andere 
in  gewissem  Sinne  synthetische  Vorgänge  haben  wir  schon  bei  den 
Spaltungsgärungen  erwähnt,  so  die  Entstehung  der  Buttersäure  und 
Baldriansäure  aus  Milchsäure  (§  142).  Ihnen  anzuschließen  haben  wir 
hier  noch  die  schleimigen  Gärungen,  die  bei  ausschließlicher 
Ernährung  mit  niederen  Fettsäuren  entstehen  können.  Die  meisten 
Bakterien  können  allerdings  zur  Bildung  von  Schleim  nur  Zucker 
verwenden.  Einige,  z.  B.  der  Bac.  viscosus  I  und  II  von  van  L  a  e  r 
(§  129),  bauen  ihn  aber  auch  aus  Weinsäure  und  Milchsäure  auf.  In 
dieselbe  Kategorie  gehört  das  Bact.  xylinum,  das  seine  mächtigen 
lederartigen,  wesentlich  aus  Zellulose  bestehenden  Gallertmassen  auch 


1)  Zeitschr.  physiol.  Cham.  57.  43,  1908. 

2)  Über  die  Entstehung  bituminöser  Stoffe  aus  Fetten  durch  Oxyda- 
tion vgl.    §  118. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  138.  378,  1904. 


Wandlungen  der  Alkohole,  Fette  und  Fettsäuren.  453 

ans  Essigsäure  aufbauen  kann  (§  130).  Man  könnte  sich  denken,  daß  die 
Gäning  dabei  nach  den  einfachen  Formehi 

2C3He03==CeHiA(-löKal.) 
Milchsäure    Trauben- 
zucker 

3  C^H  A  =  CeHiA  {-  34  Kai.) 
Essigsäure    Trauben- 
zucker 

und  (CeHiA  -H20)x  =  (CeHioO^)^  (-4,3  Kal.)x 
T  raubenzucker  Zellulose 

erfolgte.   Die  nötige  Energie  würde  durch  die  gleichzeitigen  Oxydationen 
oder  Spaltungen  der  Zellen  geliefert  werden  können. 

Daß  die  Unterscheidung  zwischen  diesen  „Gärungen"  und  den 
S)Tithesen,  durch  die  das  Protoplasma  Leibessubstanz  aufbaut,  nur 
eine  künstliehe  ist,  wurde  schon  öfter  von  uns  hervorgehoben. 


Kapitel    VIII. 

Wandlungen  der  Glykoside  und  aromatischen  Körper, 

§  153.  Einleitung.  Die  Glykoside  ähneln  den  zusammengesetzten 
Zuckern,  Di-  und  Trisacchariden,  dadurch,  daß  sie  ätherartige  Verbin- 
dimgen  sind,  die  bei  der  Hydrolyse  durch  Säure  oder  Enzyme  einfachen 
Zucker  abspalten,  andererseits  leiten  sie  zu  den  aromatischen 
Stoffen  über,  weil  sie  —  wenigstens  die  natürlich  vorkonunenden 
Glykoside  —  gewöhnlich  aromatische  Bestandteile  neben  dem  Zucker 
enthalten.  Je  nach  der  Beschaffenheit  des  Zuckers  unterscheidet  man 
die  eigentlichen  Glykoside,  die  Fruktoside,  Galaktoside,  Pentoside  usw. 
Das  erste  Glykosid,  das  Amygdalin,  wurde  von  Robiquet  und 
B  o  u  t  r  o  n  1830  in  den  bitteren  Mandeln  entdeckt  und  seine  Spaltung 
in  Glykose,  Blausäure  und  Benzaldehyd  (Bittermandelöl) 

C2oH,,NOn  +  2Hfi=  2CeHi20e  +  HCN  +  CeH^CHO 

bald  darauf  von  L  i  e  b  i  g  und  W  ö  h  1  e  r  *)  auf  ein  Ferment,  das 
E  m  u  1  s  i  n  (die  Synaptase)  der  Mandel  zurückgeführt.  Andere  glykosid- 
spaltende  pflanzliche  Enzyme  sind  das  Myrosin,  das  Senföl  aus  myron- 
saiirem  Kali,  das  Indigoenzym  und  die  Isatase,  die  Indoxyl  aus  Indikan 
und  Isatan  bilden  u.  a.  m.  Jedes  dieser  Enzyme  spaltet  übrigens  eine 
ganze  Reihe  von  verschiedenen  Glykosiden.  Die  Verbreitung  der 
Glykoside  im  Pflanzenreich  ist  eine  sehr  weite,  Ihrer  Spaltung 
entstammen  zum  großen  Teil  die  Riechstoffe  (z.  B.  Benzaldehyd, 
Vanillin),  die  für  die  Pflanzen  so  charakteristisch  sind.  Tieferen 
Spaltungen  der  (intramolekularen  Atmung)  zugänglich  sind  natür- 
lieh  die  zuckerartigen  Bestandteile  der  Glykoside  (vgl.  Kap.  VI).  Durch 
Oxydation  der  aromatischen  Spaltimgsprodukte  entsteht  dagegen 
der  größte  Teil  der  Pflanzenfarbstoffe,  so  z.  B.  der  Indigo 
aus  dem  Indoxyl,  die  Orseille  aus  dem  Orzin.  Ein  Chromogen  ist  auch 
das  Hydrochinon,  das  aus  dem  Glykosid  Arbutin  hervorgeht.  Denn 
durch   Oxydation  dieses  und  anderer  in  Pflanzen   weit  verbreiteter 


1)  Annal.  der  Chem.  u.  Pharm.  22,  837. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  455 

• 

aromatischer  Stoffe  wie  des  Tyrosins^)  wird  die  dunkleFärbung 
auf  den  Schnittflächen  von  rohem  Obst,  Kartoffebi,  Hutpilzen,  im 
Rübensaft  usw.  bedingt.  Neuerdings  glaubt  man  Grund  zu  haben, 
diese  Veränderung  auf  das  Vorkommen  von  Enzjonen,  „Oxydasen", 
in  den  Pflanzen  zurüokführen  zu  können.  Bertrand  hat  z.  B. 
eine  „Lakkase^'  und  „Tyrosinase"  unterschieden.  Natürlich  sind  auch 
weitergehende  Oxydationen  nicht  ausgeschlossen. 

In  viel  größerer  Menge  als  die  eigentlichen  Glykoside  treten  in 
den  Pflanzen  die  Gerbstoffe  auf,  die  in  chemischer  Hinsicht  ihnen 
nahestehen  imd  ähnlichen  Verändenmgen  unterliegen.  Am  schwierig- 
sten zersetzbar  sind  die  Humusstoffe. 

Auch  die  für  die  Technik  so  bedeutungsvoll  gewordenen  künst- 
lichen Farbstoffe  sind  aromatische  oder  sonstige  ringförmige  Ver- 
bindungen. Als  Nahrungsstoffe  kommen  sie  nicht  in  Betracht,  sind 
vielmehr  Gifte^).  Sie  werden  durch  organische  „Reduktasen"  in  un- 
gefärbte „Leukoprodukte"  verwandelt. 

Alle  diese  Veränderungen  scheinen  auch  unter  dem  Einfluß  von 
Mikroorganismen  zustande  zu  kommen,  die  ja  den  größten  Teil  der 
genannten  Stoffe  zu  ihrer  Existenz  benutzen  können  ( §  33).  Bei  vielen 
in  der  Natur  vorkommenden  fermentartigen  Vorgängen,  die  wir  im 
folgenden  besprechen  werden  (§  156,  157,  162),  kann  man  aber  mit 
Recht  zweifeln,  ob  sie,  wie  man  früher  vielfach  angenommen  hat,  den 
Mikroben  und  nicht  vielmehr  den  Zellen  höherer  Organismen  ihren 
Ursprung  verdanken.  Die  oberflächüchen  Oxydationen  und  Reduk- 
tionen der  Farbstoffe  haben  zwar  für  die  Ernährung  der  Eleinwesen 
kaum  eine  Bedeutung,  sind  aber  abgesehen  von  ihrer  theoretischen 
Wichtigkeit  für  die  Differentialdiagnostik  der  Bakterien  von  einem 
gewissen  Wert. 

§  154.  Hef e-Emulsin.  Nach  Laurent^)  vermag  sich  die 
Bierhefe  mit  Amygdalin,  Salizin,  Äskulin,  Koniferin,  Arbutin  und 
Saponin,  nicht  mit  Tannin,  Gallussäure,  Saligenin,  Phloridzin,  Phenol, 
Chinon,  Hydrochinon,  Pikrinsäure,  Benzoesäure,  Anilin  als  einziger 
Kohlenstoff  quelle  zu  ernähren.  Wenn  man  berücksichtigt,  daß  die 
erstgenannten  Körper  sämtlich  Glykoside  sind  und  mit  Ausnahme 
de«  Saponins  solche  Glykoside,  die  auch  vom  Mandelemulsin  (§  153) 
gespalten  werden,  so  könnte  man  schließen,  daß  die  Hefe  imstande 


1)  Die  tieferen  Spaltungen  und  Oxydationen  des  Tyrosins  und  anderer 
stickstoffhaltiger  aromatischer  Kerne  bzw.  Abkömmlinge  des  Eiweiß 
werden  in  Kap.  IX  und  X  behandelt. 

2)  Auch  die  aromatischen  Spaltungserzeugnisse  der  Glykoside  sind 
übrigens  zum  Teil  Gifte  (s.  u.). 

3)  Annal.  Pasteur  1880. 


456  Kap.  VIII,  §  1Ö4  u.  155. 

sei,  dieses  Enzym  abzusondern.  E.  Fischer^)  hat  aber  mit  Hilfe 
eines  Auszuges  aus  getrockneter  Hefe  nur  das  Amygdalin  spalten  können, 
und  zwar  auch  nicht  so  vollkommen,  wie  durch  das  Mandelemukin, 
sondern  nur  unvollständig  zu  Mandelnitrilglykosid  und  Traubenzucker 

Wir  könnten  daher  annehmen,  daß  die  Hefe  nur  ein  emulsinähnUches 
l&nzym,  das  wir  in  Ermangelung  eines  besseren  Namens  Hefeemulsin 
nennen  wellen,  ausscheidet  und  die  übrigen  Glykoside  unmittelbar 
verarbeitet  (oxydiert).  Indessen  haben  Henry  xmd  A  u  1  d  *)  neuer- 
dings gezeigt,  daß  Hefe  (und  Preßsaft)  auch  Mandelsäurenitrilglykosid, 
femer  Salizin,  Arbutin  u.  a.  spaltet.  E.  Fischer  hat  auch  noch 
lyeitere  Unterschiede  zwischen  dem  gewöhnlichen  und  dem  Hefe- 
emulsin gefunden.  Von  den  synthetisch  dargestellten  optisch  sich 
verschieden  verhaltenden  Alkylhexosiden  spaltet  die  Hefe  nur  die 
a-Form,  das  Mandelemulsin  nur  die  /?-Form. 

HCOCH3  CH3OCH 

HCOH^  --- .  HCOH^ 

HOCH   _-  ^  HOCH  __ 

HC  HC 

HCOH  HCOH 

CHgOH  CHgOH 

a-Methylglykosid  j9-Methylglykosid 

Es  ist  das  wieder  ein  schönes  Beispiel  für  den  Einfluß  der 
Konfiguration  auf  den  Verlauf  der  Zersetzungen.  Die  Sache 
wird  dadurch  noch  interessanter,  daß  die  Hefe  nur  die  Glykoside 
spaltet,  die  einen  ähnlichen  molekularen  Bau 
haben,  wie  die  Zucker,  die  sie  zu  vergären  vermag, 
nämlich  außer  dem  a-Methyl-d- Glykosid  imd  dem  a-Äthyl-d- Glykosid 
(entsprechend  der  d-Glykose)  das  «-Methyl- Galaktosid  (d- Galaktose) 
imd  Methylfruktosid  (Fruktose),  nicht  dagegen  die  Glykoside  der 
1-Glykose,  Xylose,  Arabinose,  Rhamnose,  Sorbose.  Damit  aber  auch 
diese  Regel  eine  Ausnahme  hat,  wurde  festgestellt,  daß  die  Methyl- 
d-Mannose,  also  das  Glykosid  eines  gut  vergärbaren  Zuckers,  weder 
von  der  Hefe  noch  vom  Mandelemulsin  angegriffen  wird. 

1)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  26,   1898. 

2)  Proceed.   Roy.   Soc.   76,   1903. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen- Körper.  457 

Da  derselbe  Hefeauszug,  der  die  Glykoside  spaltet,  auch  die  Mal- 
tose hj^olysiert,  halten  Fischer  und  ebenso  Pottevin^)  die 
Hefemaltase  für  identisch  mitdem  Hefeemulsin^). 
Ein  strenger  Beweis  dafür  ist  nicht  geliefert,  vorläufig  ist  es  wohl  besser, 
die  Trennung  aufrecht  zu  halten.  Vorsicht  lehrt  auch  das  Verhältnis, 
in  dem  das  Mandelemulsin  zur  Laktase  steht.  Man  könnte  glauben, 
daß  das  Emulsin  selbst  die  Laktose  spalte,  weil  der  Mandelauszug  es 
tut.  Bourquelot  und  Herissey^)  haben  aber  gezeigt,  daß  das 
Schimmelpilzemulsin  (§  155)  Laktose  unberührt  läßt.  Im  Mandel- 
auszug wäre  also  wohl  Emulsin  neben  Laktase  vorhanden. 

Der  laktasehaltige  Auszug  der  Milchzuckerhefe  (§  82) 
ist  ohne  Wirkung  auf  die  natürlichen  Glykoside,  greift  aber  /9-Methyl- 
galaktosid  und  -äthyl-  und  -phenylgalaktosid  ebenso  an^)  wie  die 
Laktase  der  Mandel,  man  könnte  sie  also  vielleicht  mit  letzterer  identi- 
fizieren. 

Bemerkenswert  ist,  daß  Hefeemulsin  (vgl.  Maltase  §  79)  nach 
Emmerling^)  imstande  ist,  aus  Mandelnitrilglykosid  und  Glykose 
Amygdalin  aufzubauen.  Es  handelt  sich  also  bei  der  Glykosid- 
spaltung  um  einen  umkehrbaren  Vorgang  (§  163). 

§  155.  Schimmelpilz-Emulsin.  Bourquelot®)  hat  schon 
189.3  eine  Art  Emulsin  im  Aspergillus  niger  und  G  6  r  a  r  d  '')  in  Peni- 
cillium  glaucum  nachgewiesen.  Auch  in  vielen  anderen  Pilzen,  be- 
sonders den  holzbewohnenden,  kommt  es  vor®).  Es  ist  aus  Asper- 
gillus leicht  zu  gewinnen,  wenn  man  den  Pilz  auf  Raulinscher  Lösung 
kultiviert  und  zur  Zeit  der  Sporenreife  die  Nährlösung  durch  destil- 
liertes Wasser  ersetzt.  Zum  Unterschied  von  dem  Mandelemulsin 
(§  153)  spaltet  das  Pilzemukin  auch  Populin  und  Phloridzin,  nicht 
dagegen  die  Laktose  (§  154)  und  das  ^-Methyl-d-Galaktosid.  Auch 
Pottevin  hat  das  bestätigen  können,  doch  fand  er,  daß  der  Asper- 
gillus niger  durch  Kultur  in  Laktose  oder  i9-Methyl-d-Galaktosid  daran 
gewöhnt  werden  kann,  beide  Körper  zu  spalten.  Das  ent- 
sprechende Enzym  finde  sich  jedoch  nur  im  Extrakt  des  Pilzes,  wenn 

1)  Annal.  Pasteur  1903. 

2)  Pottevin  nimmt  dabei  aber  an,  daß  der  gewöhnlichen  Hefe- 
maltase ein  anderes  Enzym  beigemischt  sei,  das  ditö  Methyl-Fruktosid 
s]>alte,  weil  die  Maltase  des  Schizosacch.  octosxjorus  dazu  nicht  imstande 
ist.    Wir  verweisen  auf  seine  theoretischen  Ausführungen. 

3)  Compt.  rend.  biol.   1903.  219. 

4)  E.  Fischer  und  Armstrong,  Ber.  ehem.  Ges.  1902.  3141. 

5)  Ber.  ehem.  Ges.   1904.  3810. 

6)  Compt.  rend.  biol.   1893.  653. 

7)  Ebenda  651. 

8)  Bourquelot    und    Hörissey,    Kochs    Jahresber.    1894.    334. 


458  Kap.  VIII,  §  155  u.  156. 

man  dessen  Zellen  vorher  zerrieben  habe.  Umgekehrt  könne  man 
durch  Züchtmig  in  a-Methyl-d-Galaktosid  den  Pilz  zur  Zersetzung 
dieses  Körpers  erziehen.  Im  letzteren  Fall  bliebe  er  aber  imwirksam 
auf  Laktose  und  das  j9-Galaktosid.  Pottevin  unterscheidet  deshalb 
vier  Enzyme:  das  Aspergillusemulsin,  das  er  mit  dem  der  Mandehi 
identifiziert,  die  Maltase  (=  Hefeemulsin  §  154),  die  /3-Laktase,  die  er 
der  Laktase  der  Milchzuckerhefen  und  der  Mandeln  gleichstellt,  und 
die  a-Laktase.  Je  nachdem  dem  Pilz  dieser  oder  jener 
Nahrungsstoff  geboten  werde,  passe  er  sich  ihm 
an  durch  Erzeugung  dernötigen  Enzyme.  Das  letzte 
Wort  in  dieser  Angelegenheit,  namentlich  was  die  Identifizierung  der 
Enzyme  verschiedener  Organismen  angeht,  ist  noch  nicht  gesprochen, 
da  genauere  Vergleiche  über  ihre  Eigenschaften,  z.  B.  ihre  Widerstands- 
fähigkeit gegenüber  der  Wärme,  fehlen  und  Trennungsversuche  doch 
vielleicht  noch  Erfolg  haben.  Das  Bestreben,  die  Forderungen  einer 
Lieblingstheorie  erfüllt  zu  sehen,  führt  manchmal  auf  Abwege. 

Nach  Brunstein  ^)  und  Schäffer^)  bilden  die  meisten 
Schimmelpilze  außer  emulsinähnlichen  Enzjrmen  auch  solche,  die 
Saponin,  Glykjnrhizin,  vielleicht  auch  mjnronsaures  Kali^)  zersetzen, 
nach  Behrens^)  spalten  sie  auch   Querzitrin. 

Unerwartet,  aber  von  anderen  Forschern  noch  nicht  bestätigt,  ist 
nach  Puriewitsch^)  das  Verhalten  der  Schimmelpilze  gegen  das 
Amygdalin.  Während  die  Auszüge  aus  ihren  Zellen  dieses  Gly- 
kosid wie  das  Mandelemulsin  zu  Glykose,  Benzaldehyd  und  Blausäure 
spalten  (S.  454),  entstehen  diese  Körper  nicht  in  den  lebenden  Pilz- 
kulturen, obwohl  auch  hier  der  Amygdalingehalt  allmählich  abnimmt. 
Vielleicht  entsteht  dabei  zunächst,  wie  durch  Kochen  mit  Alkalien, 
unter  Abspaltung  von  Ammoniak  Amygdalinsäure  und  aus  letzterer 
wieder,  wie  durch  Kochen  mit  Säuren,  Glykose  und  Mandelsäure. 
In  ähnlicher  Weise  verbraucht  nach  demselben  Verfasser*)  der  Asper- 
gillus niger  das  Helizin,  ohne  es,  wie  das  Emulsin,  in  Salizylaldehyd 
und  Zucker  zu  spalten ;  so  kommt  es,  daß  dieser  Pilz  auch  nicht  durch 
hohe  Helizingaben  in  seinem  Wachstum  geschädigt  wird,  während  die 
anderen  Arten,  wie  z.  B.  Penicillium,  die  antiseptische  Wirkung  des 
Salizylaldehyds  erfahren.  In  dünnen  Lösungen  können  auch  sie  freilich 
diesen  Widerstand  überwinden,  indem  sie  das  schädliche  Spaltungs- 


1)  Beiheft  z.  bot.  Zentralbl.   1901.   1. 

2)  Di88ort.  Erlangen  1901. 

3)  S.  aber  unten  S.  461  bei  Senfgärung. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4.  577. 
ö)  Ber.  bot.   Ges.   1898.   368. 

6)  Jahrb.  wiss.  Bot.  40.   1904. 


Wandlangen  der  Glykoside  ii.  curomatischen  Körper.  459 

Produkt  oxydieren.  Dabei  entsteht  in  diesem  Falle  vorübergehend 
Salizylsäure,  ebenso  bei  der  Oxydation  des  schädlichen  Hydrochinons 
(aus  dem  Arbutin)  Chinon.  Wir  kommen  weiter  miten  bei  den  Bakterien 
auf  diese  Oxydationen,  die  zum  Teil  unter  Farbstoffbildung 
verlaufen,  zurück.  Dahin  gehören  auch  die  braunen  Färbungen,  die 
die  Pilze  der  Obstfäulnis  (Oidium  fructigenum,  Botrytis  cinerea)  in  dem 
morschen  Gewebe  erzeugen.  Ob  dabei  isolierbare  Oxydasen  (§  159) 
ms  Spiel  treten,  ist  vorläufig  noch  zweifelhaft  (Behrens). 

§  156.  Zersetzungen  von  Glykosiden  durch  Bakterien^). 
Farbgärungen.  Nachdem  schon  früher  gefunden  war,  daß  Amyg- 
dalin  bei  der  Fäulnis  gespalten  wird,  haben  F  e  r  m  i  und  Monte- 
s  a  n  o  ')  eine  große  Reihe  von  Bakterien  daraufhin  systematisch  unter- 
sucht. Von  den  bekannten  zeigten  sich  nur  einige  Rassen  des  Bact. 
coli  und  der  Vibrio  Metschnikoff  zu  der  Spaltung  befähigt  und  auch  nicht 
auf  allen  N^lhrböden,  z.  B.  nicht  bei  Gegenwart  von  Zucker.  Ein  Enzym 
konnten  sie  nicht  isolieren.  Gonnermann^)  fand  die  von  ihm 
isolierten  Colistämme  ohne  Wirkung  auf  Amygdalin  und  Arbutin,  da- 
gegen zwei  andere  Darmbakterien  wirksam.  Nach  ihm  imd  G  6  r  a  r  d 
würde  sich  die  Giftigkeit  des  Amygdalins  nach  Aufnahme  durch  den 
Mund  durch  die  Wirkung  der  Darmbakterien  erklären.  49  verschiedene 
Glykoside  prüfte  T  w  o  r  t  *)  gegenüber  der  Coligruppe  und  sah  am 
häufigsten  verändert  das  Iridin  und  Senegin,  dann  das  Euonymin, 
Salizin,  Arbutin,  Koniferin,  selten  das  Amygdalin  und  Saponin,  niemals 
Eonvolvulin,  Zyklamin,  Jalapin.  Zur  Differentialdiagnose  ist  das 
Verhalten  wohl  deshalb  nicht  geeignet,  weil  leicht  Anpassungen 
stattfinden  (s.  o.  S.  457).  Zur  Trennimg  verwandter  Bakterien  empfiehlt 
dagegen  van  der  Leck^)  besonders  die  beiden  Glykoside  Äskulin 
und  Indikan.  Sie  werden  z.  B.  von  dem  Coli-  und  Aerogenesbazillus, 
sowie  dem  Bac.  acidoaromaticus  zersetzt,  nicht  von  dem  Bac.  aroma- 
ticus.  Die  Fähigkeit  zur  Zersetzung  des  I  n  d  i  k  a  n  s  durch  Bakterien 
hatte  schon  A 1  v  a  r  e  z  bei  dem  Bac.  indigogenus  und  den  ihm  nahe- 
stehenden Bac.  pneumoniae  und  rhinoscleromatis  gefunden.  Nach 
M  o  1  i  s  c  h  •)  besitzen  sie  sogar  außer  Schimmelpilzen  (Penicillium, 
Mueor)  und  dem  Bact.  coli  der  Bac.  anthracis,  prodigiosus,  die  Sarcina 
lutea  und  Cladothrix  dichotoma.    Beiierinck*^)  schreibt  Indikan- 

1)  Vgl.  auch  §  112. 

2)  Zentr.  Bakt.  15.  722,  1894. 

3)  Pflügers  Arch.  113,  1906. 

4)  Proceed.  Roy.  See.  79.  329. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   17.  486  und  654,   1907. 

6)  Ktzmigsber.  Akad.Wisa.Wien.  Naturw.  Kl.,  1898, 107.  Bd.  1.  Abt.787. 

7)  Akad.  Wetensch.  Amsterdam  31.  3.  1900  und  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
6.  199,  1900. 


460  Kap.  VIII,  §  166. 

Zersetzung  allen  Mitgliedern  seiner  Gruppe  „Aerobacter"  mit  Aus- 
nahme des  B.  coli  zu  und  betrachtet  sie  als  einen  „katabolischen",  d.  h. 
nicht  durch  ein  isolierbares  Enzym  oder  tote  Bakterien  verursachten 
Vorgang.  Ähnlich  sollen  sich  Saccharomyces  Ludwigii  und  Monilia 
Candida  verhalten,  während  gewisse  Rassen  des  Bac.  radicicola,  der 
(lange)  Milchsäurebazillus  der  Brennereimaischen  und  viele  andere 
Hefen  und  Schimmelpilze  Indikan  spaltende  Enzyme  (Indoxylasen, 
Indiemulsin)  bilden.  Wenn  man  die  Fähigkeit  zur  Indikanzersetzung 
nachweisen  will,  darf  man  sich  übrigens  nicht  damit  begnügen,  die 
Bakterien  auf  beliebigen  Nährböden  zu  züchten,  sondern  kultiviert 
am  besten  in  einer  Abkochimg  der  Indigopflanzen  selbst  (M  o  1  i  s  c  h  ^)). 

A 1  V  a  r  e  z  hatte  geglaubt,  seinen  Bazillus  für  die  natürliche  bzw. 
gewerbliche  Indigogärung  verantwortlich  machen  zu  dürfen. 
Das  wurde  aber  zweifelhaft,  als  van  Lookeren-Gampagne^) 
in  den  Indigopflanzen  selbst  ein  Enzjon  nachwies,  das  noch  bei  55^ 
oder  bei  Zusatz  von  2,5%  Karbolsäure  und  1  Voo  Sublimat  die  Spaltung 
des  Indikans  bewirkte.  Breaudat^),  Molisch  und  B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k  bestätigten  das  und  machten  es  wahrscheinlich,  daß  bei  der 
Indigogärung  die  Bakterien  wirklich  keine  wesentliche  Rolle  spielen, 
ja,  sie  durch  nebenher  laufende  andere  Gärungen  geradezu  stören 
können.    Die  Indikanspaltung  erfolgt  in  allen  Fällen  nach  der  Formel: 

C„Hi,NO,  +  H^O  =  CeH,,0,  +  CeH,<^^^VcH 

Indikan  Traubenzucker  Indoxyl. 

Das  lösliche  Indoxyl  (Indigweiß)  oxydiert  sich  dann  an  der  Luft  zu 
zu  dem  unlöslichen  Indigotin  (Indigblau).  Eine  „Oxydase"  scheint 
dazu  nicht  nötig  zu  sein,  obwohl  vanLookerensiein  den  Indigo- 
pflanzen gefimden  haben  wollte.  Im  Waid  (Isatis  tinctoria)  wird  das 
Indikan  nach  Beijerinck*)  durch  Isatan  ersetzt  und  aus  diesem 
letzteren,  ebenfalls  durch  ein  in  der  Pflanze  enthaltenes  (unlösliches) 
Enzym,  die  „Isatase",  Indoxyl  gebildet.  Bakterien  sind  dazu  nicht 
imstande.  Die  Indiemulsine  der  einzelnen  Pflanzen  und  Pilze  unter- 
scheiden sich  nach  Beijerinck  durch  ihre  ungleiche  Widerstands- 
fähigkeit gegen  Erhitzung.  Bei  6P  wird  das  Indigoferaenzym,  bei  44® 
das  des  Saccharom.  sphaericus,  bei  42°  das  des  Polygonum  tinctorium 
vernichtet.  Etwas  saure  Reaktion  begünstigt  die  Spaltung. 


1)  Zur  Technik  vgl.   van  der  Leck. 

2)  Landwirtßch.  Versuchsstation.  48,   1894. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.   127.   769,   1898. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   7.   156. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  461. 

Eine  andere  Farbstoff gämng,  bei  der  das  Erjrthrin  der  Orseille- 
Flechten  (Roccella  tinetoria  u.  a.)  in  Orzellinsäure,  Kohlensäure,  Orzin 
und  den  vierwertigen  Alkohol  Erythrit  gespalten  wird,  kann  nach  Cza- 
pek*) ebenfalls  durch  Bakterien  hervorgerufen  werden.  Ob  hier  wie 
in  anderen  Fällen,  so  bei  der  L  a  k  m  u  s  -  und  Erappgärung, 
die  Bakterien  auch  unter  natürlichen  Verhältnissen  die  wesentliche 
Rolle  spielen,  bleibt  vorläufig  noch  unentschieden. 

Wenig  wahrscheinlich  ist  die  Beteiligung  von  Mikroorganismen 
bei  der  Entstehung  des  S  e  n  f  ö  1  s  aus  Sinigrin  (myronsaurem  Kali), 
weil  das  Senföl  außerordentlich  stark  antiseptisch  wirkt  und  in  dem 
Senfsamen  selbst  genug  Enzym  vorhanden  ist.  Das  hindert  nicht, 
daß  in  der  ersten  Zeit  der  Senfgärung,  d.  h.  vor  der  Entstehung  des 
Senföls,  große  Mengen  von  Pilzen  und  Bakterien  dabei  vorkommen 
und  Nebengärungen  verursachen^). 

Eine  solche  nur  vorbereitende  Tätigkeit  schreibt  L  ö  w  ^)  auch 
den  Hefen  und  Bakterien  zu  bei  der  Kakao-  und  Kaffeegärung. 
Die  durch  sie  hervorgerufene  Alkohol-  und  Essigsäuregärung  soll  nur 
dazu  dienen,  die  schleimige  Hülle  der  Samenkapseln  zu  lockern  und 
zu  zerstören,  Aroma  und  Farbstoff  würden  aber,  um  von  dem  Koffein 
usw.  gar  nicht  zu  reden,  durch  Fermente  der  Pflanze  selbst  geliefert*). 

Dasselbe  gilt  wohl  für  die  Kola-,  Tee-  und  Vanille- 
g  ä  r  u  n  g  ^) ,  sowie  für  die  Entstehung  von  vielen  Riechstoffen  in 
Obstsäften,  Blüten  usw.  Daß  aber  auch  die  Bakterien  und  Pilze  guten 
und  schlechten  Geruch  erzeugen  können,  ist  sicher.  Der  Einfluß  der 
Hefeart  auf  das  Bukett  des  Weins  ist  ein  schon  erwähntes  Beispiel 
dafür  (§  90  u.  95).  Die  Entstehung  dieser  Aromas  ist  freilich  bisher 
nur  wenig  aufgeklärt.  Manche  gehören  überhaupt  nicht  hierher.  Ob- 
wohl es  sich  z.  B.  bei  der  Fäulnis  sicher  um  aromatische  Stoffe  handelt, 
gehen  sie  nicht  aus  Glykosiden  hervor,  sondern  aus  dem  Abbau  des 
Eiweißes.  Femer  sind  die  Fuselöle  und  das  Aroma  des  Bac.  prae- 
pollens  gar  keine  aromatischen,  sondern  aliphatische  Verbindungen. 
Wir  kommen  darauf  an  anderer  Stelle  zurück  (§  173). 

Wenn  wir  nicht  den  geringsten  Anhaltspunkt  dafür  haben,  daß 
die  in  Kakao,  Kaffee,  Tee  usw.  enthaltenen  Purin  basen  durch  bak- 
terielle Spaltung  von  Glykosiden  entstehen,  ja,  deren  Herkimft  aus 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4.  49,  1898. 

2)  Kossowicz»    Zeit«chr.   landwirtsch.   Versuchs wesen  in  Öster- 
reich 1906  und  1906. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.  533,    1908. 

4)  Vgl.   Schweitzer,  Pharmaz.  Zeitg.    1898. 

5)  S.  bei  Behrens  in  Lafars  Handb.   1.  664 ff. 


462  Kap.  VIII,  §  166  ii.  157. 

Glykosiden  überhaupt  zweifelhaft  ist^),  so  kommen  derartige  Beziehun- 
gen bei  den  eigentlichen  Alkaloiden  (Pyridin-  und  Chinolinbasen) 
gar  nicht  in  Betracht.  Allerdings  kennen  wir  auch  eine  Opium- 
g  ä  r  u  n  g.  Sie  dient  aber  nur  zur  Herstellung  des  zum  Rauchen  dienen- 
den Opiums  und  läßt  nach  Calmette^)  die  Alkaloide  unberührt, 
während  sie  die  6erbstoffe(§  158)  angreift.  Hauptsächlich  soll  da- 
bei der  Aspergillus  niger  beteiligt  sein.  Die  Tabakgärung  hat,  wie  wir 
gleich  sehen  werden,  auch  mit  der  Bildung  des  Nikotins  nichts  zu  tun, 
führt  aber  zu  dessen  teilweisem  Verbrauch.  Alkaloidartige  Stoffe  ent- 
stehen dagegen  vielfach  bei  der  Fäulnis  des  Eiweißes  (§  170,  vgl. 
auch  Ptomaine  §  259). 

§  157.  Tabaksfermentation,  Selbsterhitzung  des  Heus 
und  anderer  Pflanzeiistoffe.  Bei  der  Tabakbereitung  werden  die 
getrockneten  Blätter  in  großen  Haufen  zusammengeschichtet  und  unter- 
liegen einer  mit  starker  Temperaturerhöhung  verbundenen  Veränderung, 
die  man  mit  den  Gärungen  auf  eine  Stufe  gestellt  hat.  Nach  Beh- 
rens^) findet  dabei  außer  einer  Veredelung  des  Aussehens  und  Aromas 
ein  Verlust  von  4  —  5%  an  Trockensubstanz  statt,  die  in  erster  linie 
Kohlenhydrate  und  nicht  flüchtige  organische  Säuren,  Salpetersäure, 
Asparagin,  dann  aber  auch  das  Nikotin  betrifft.  Der  Gehalt  an 
flüchtigen  Säuren  steigt,  Ammoniak  wird  nicht  gebildet.  Behrens 
selbst  sieht  als  Ursache  der  Gärimg,  wie  schon  vor  ihm  S  u  c  h  s  - 
land^)  und  nach  ihm  Vernhout^)  und  Koning*),  Mikro- 
organismen an.  Die  Versuche  mit  Reinkulturen  hatten  aber  sehr  un- 
gleiche Ergebnisse  und  widerlegten  selbstverständlich  nicht  die  zweite 
Möglichkeit,  daß  die  Gärung  wesentlich  durch  Fermente  der  Pflanzen 
selbst  verursacht  würde.  Nach  L  o  e  w  ")  spräche  sogar  das  Mißver- 
hältnis zwischen  der  Zahl  der  gefundenen  Keime  und  der  Energie  der 
Gärimg,  femer  der  geringe  Wassergehalt  des  fermentierenden  Tabaks 
gegen  die  Keimtheorie.  Einen  unmittelbaren  Beweis  für  die  Fennent- 
theorie sieht  er  darin,  daß  es  ihm  gelang,  aus  Tabaksblättem  eine  Oxy- 
dase,  Peroxydase  und  Katalase  (s.  u.  §  160)  zu  gewinnen.  Behrens®) 
erhob  schon  Bedenken  gegen  deren  Bedeutung.   Neuerdings  verstärkte 

1)  S.  bei  B  e  h  r  e  n  8  a.  a.  O.  und  Czapek,  Biochemie  der  Pflanzen 
2.  Bd.   1905.     Über  Zersetzung  der  Purinbasen  vgl.  §  193. 

2)  Rovue  seientifique  vom  27.  II.   1892  (Kochs  Jahresber.). 

3)  Landwirtsch.  Versuchsstation.  43,   1893. 

4)  Ber.  D.  bot.  Ges.  1891   und  bei  Behrens  in  Lafars  Handb. 
5.  8  sowie  in  Kochs  Jaliresber. 

5)  Ebenda  (Behrens). 

6)  Ebenda. 

7)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6.  108  und  590  und  7.  674,  1901. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  7.  1. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  463 

0.  Jensen^)  diese  durch  die  Beobachtung,  daß  nicht  nur  einfache 
Erhitzung  in  stTÖmendem  Wasserdampf  dem  Tabak  die  Eigenschaften 
des  fermentierten  verleihe,  sondern  auch  die  „Gärung"  durch  Behand- 
lung der  Blätter  mit  Sublimat,  Chloroform  und  Formaldehyd  nicht 
verhindert  werde.  Freilich  sprechen  diese  Tatsachen  auch  gegen  die 
Beteiligung  von  Mikroorganismen.  Wenn  sie  zu  recht  bestehen,  d.  h. 
wenn  wirklich  durch  diese  Bearbeitimg  Leben  und  Enzymwirkung 
ausgeschlossen  ist,  bleibt  jedoch  unklar,  worauf  denn  nun  eigentlich 
der  Vorgang  der  Gärung  zurückzuführen  ist. 

Mehr'  Klarheit  herrscht  über  die  Ursachen  der  imter  ähnlichen 
Erscheinungen  verlaufenden  Gärung,  die  in  zusanmiengepacktem  Heu 
entsteht.  Die  Selbsterhitzung  kann  dabei  Temperaturgrade 
bis  zu  90"  erreichen,  ja,  zur  Selbstentzündung  führen.  Daß 
man  die  Veränderungen  im  gegorenen  Heu  auch  auf  rein  chemischem 
Wege,  d.  h.  bei  Ausschluß  von  Bakterien  und  Enzymen  erzielen  kann, 
zeigten  Boekhout  und  OttdeVries^)  zunächst  durch  längeres 
Erhitzen  des  Heus  auf  100®  unter  Sauerstoffzufuhr,  M  i  e  h  e  ^)  fand 
aber,  daß  imter  natürlichen  Bedingimgen  die  Tätigkeit  der  Keime 
wahrscheinlich  die  Hauptbedeutung  hat,  denn  sterilisiertes  Heu  ist 
zur  Gärung  unfähig,  vergärt  aber  nach  Beimpfung  mit  einer  Mischimg 
von  Bac.  coli,  Oidium  lactis  und  Bac.  calfactor,  einem  neuen  Bakterium, 
das  zwischen  30 — 70®  und  vielleicht  noch  höher  hinauf  gedeiht.  Völliger 
•Sauerabschluß  verhindert  die  Gärung.  Thermophile  Pilze  und 
Strahlenpilze  bilden  einen  Nebenbefund  (§  42). 

Auch  andere  Pflanzenstoffe  unterliegen  bei  Zusammenhäufung  der 
Selbsterhitzung,  z.  B.  frisches  Gerstenmalz*),  BaumwoUabfälle^), 
Hopfen*),  frische  Tabakblätter,  Äpfel,  Zitronen  usw.  Aber  nur  zum 
Teil  ist  es  wahrscheinlich  gemacht  worden,  daß  Pilze  und  Bakterien 
die  Ursache  davon  sind,  zum  Teil  sind  es  wohl  die  in  den  überlebenden 
Pflanzenteilen  sich  noch  fortsetzenden  enzymatischen  Prozesse,  seien 
es  nun  anaerobe  Spaltungen  (§  85  u.  101)  oder  Oxydationen.  Jeden- 
falls lassen  sich  die  höchsten  Temperaturgrade  und  die  gelegent- 
lich beobachtete  Selbstentzündung  nicht  allein  durch  die  Tätigkeit 
der  Mikroorganismen  erklären,  führen  sie  doch  häufig  zur  Selbststerili- 
sierung  des  Materials;  man  ist  vielmehr  genötigt,   andere  Vorgänge 


1)  Zentr.  Bakt.  21.  469,  1908. 

2)  Ebenda  12,  15  und  21. 

3)  Selbsterhitzung  des  Heus,  1907,  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  20.  295. 

4)  F.  Cohn,  Kochs  Jahresber.  1890.  40  und  1893.  81. 

5)  Ebenda. 

6)  Behrens,  Woch.  f.   Brauerei   1896    und  Lafars  Handb.    1. 
608  ff. 


464  Kap.  VIII,  §  157— 158a. 

daneben  noch  anzunehmen.  Ranke,  Wohltmann  und  zuletzt 
Hoffmann  ^)  haben  gefunden,  daß  z.  B.  durch  trockene  Destilla- 
tion bei  250 — 300®  Heu,  Kleie  ußw.  sich  in  eine  bei  gewöhnlichen  Tem- 
peraturen an  der  Luft  entzündliche  Masse  verwandeln.  Ähnliche  Ver- 
änderungen werden  wohl  auch  bei  den  genannten  „Gärungen "stattfinden. 

§   158.       Veränderungen   der   Gerb-   und    Knmusstoffo. 

Seitdem  Scheele  1786  beobachtet  hatte,  daß  Galläpfel  bei  der  Fäulnis 
an  offener  Luft  Gallussäure  abschieden,  versuchte  man  ihr  Entstehen 
aus  dem  „Gerbstoff"  auf  verschiedene  Weise,  sei  es  durch  Oxydation, 
sei  es  durch  fermentative  Spaltung  zu  erklären.  Schon  L  a  r  o  q  u  e , 
namentlich  aber  van  Tieghem^)  führten  den  Prozeßjauf  die  Wir- 
kung von  organischen  Fermenten,  und  zwar  von  Schimmelpilzen 
(Aspergillus  niger  und  Penicillium  glaucum)  zurück,  Fernbach') 
zog  dann  aus  Pilzrasen,  die  er  auf  Tanninlösung  gezüchtet  hatte,  ein 
Enzym,  die  „Tannase**,  aus,  das  durch  Niederschlagen  mit  Alkohol  ge- 
reinigt werden  konnte  und  die  Spaltimg  des  Gerbstoffs  wie  der  lebende 
Pilz  vollzog.  Der  letztere  sollte  ein  Glykosid  sein,  das  Traubenzucker 
und  Gallussäure  in  verschiedenem  Verhältnis  gebunden  enthält  und 
durch  Einführung  von  Wasser  in  beide  Körper  zerfällt^).  Z.  B.  würde 
sich  nach  der  ältesten  von  P  e  1  o  u  z  e  und  L  i  e  b  i  g  gegebenen  Formel 
des  Tannins  die  Spaltung  wie  folgt  vollziehen: 

3Ci«HieOi2  +  6H2O  =  6C7HA  +  2CeHi20e. 

Faßte  man  dagegen  das  gereinigte  Tannin  des  Handels  als  Digallus- 
säure^) auf,  so  verliefe  nach  Pottevin®)  die  Spaltung  durch  das 
Enzym  nach  der  Gleichung: 

^14^1009  +  HgO  =  2C7Hg05. 

Das  stimmt  aber  wieder  nicht  mit  dem  von  M  a  n  e  a  ^)  gelieferten 
Nachweis,  daß  die  synthetisch  dargestellte  Digallussäure  durch  die 
Schimmelpilze  nicht  gespalten  wird,  vielmehr  für  sie  ein  Antisepti- 
kum ist.  Wie  die  Dinge  wirklich  liegen,  ist  also  vorläufig  nicht  zu  sagen. 
Die  günstigste  Temperatur  für  die  Wirkung  des  Enzyms  liegt  sehr  hoch, 
nämlich  bei  67°  C.    Es  wird  nur  bei  Kultur  auf  Tannin  gebildet. 

1)  Woch.  Brauerei  1897.  437  (bei  Behrens). 

2)  Annal.  scienc.  natur.  Botanique,   1868. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.   131.   1214,   1900. 

4)  Strecker,  Liebigs  Annal.  81  und  90;  Kunz-Krause, 
Pharmazeut.  Zentralhalle  1898  und  Chem.  Zeitung  1904.  942. 

5)  S.  z.  B.  N  i  e  r  e  n  8  t  e  i  n  ,  Ber.  ehem.  Ges.  1905.  3641 ;  1907.  916. 

6)  Compt.  rend.   131.   1215  und  132.   704,   1901. 

7)  These  de  G  e  n  e  v  o  ,    1904  bei  Behrens  in  Lafars  Handb. 
1.   662. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  465 

Nicht  nur  der  Zucker,  sondern  ebenso  die  Gallussäure  dienen  den 
Schimmelpilzen  nach  vollzogener  Spaltung  zur  Nahrung,  und  zwar 
so  vollständig,  daß  die  Klzemte  25 — 30%  des  Tanningewichts  erreichen 
kann.  Vielleicht  spielt  die  Tannase  auch  eine  Bolle  bei  der  Opium- 
gärung (s.  o.  S.  462). 

Die  Grerbstoffe  sind  im  Pflanzenreich  allgemein  verbreitet  und 
werden  in  weit  beträchtlicheren  Mengen  gebildet  als  die  Glykoside. 
8ie  sind  in  der  Regel  viel  weniger  zersetzlich  als  das  Tannin  der  Gall- 
äpfel, ja  sie  gehören  z.  T.  geradezu  zu  denjenigen  organischen  Körpern, 
die  von  den  Mikroorganismen  sowohl  wie  von  atmosphärischen  Kräften 
am  schwierigsten  angegriffen  werden.  Wahrscheinlich  liegt  das  daran, 
daß  die  ursprünglichen  Gerbsäuren  durch  Wasserentziehung  in  die 
sogenannten  „Grerbstoffrote"  oder  „Phlobaphene"  übergehen.  Ebenso 
widerstandsfähig  sind  die  aus  aromatischen  Substanzen  durch  Oxyda- 
tion hervorgehenden,  in  §  153  erwähnten  dunklen  Farbstoffe  („Mela- 
nine**) und  die  beiden  Gruppen  vielleicht  verwandten  Huminsub- 
stanzen,  die  bei  der  Verwesung  pflanzlicher  Stoffe  im  Boden  ent- 
stehen (§  118).  Nach  Reinitzer  und  Nikitinsky  vermögen 
Mikroorganismen  zwar  den  spärlichen  Stickstoff  der  letzteren  zu  ihrer 
Ernährung  zu  benutzen  (S.  112),  aber  nicht  den  Kohlenstoff  (S.  118). 
Immerhin  steigern  sie  nach  Nikitinsky  die  schon  ohne  Mitwirkung 
von  Keimen  unter  Kohlensäureabspaltung  stattfindende  Oxydation  der 
Huminstoffe  in  erheblichem  Grade,  so  daß  man  eine  sehr  langsame 
Zersetzung  durch  sie  annehmen  darf.  Unter  Umständen,  wie  z.  B. 
im  Torf,  wird  die  Zersetzung  aber  durch  die  Gegenwart  antiseptischer 
Stoffe  bzw.  Säuren  noch  behindert  werden. 

§  158  a.  Veränderungen  von  aromatischen  Holzbestand- 
teilen durch  Pilze.  Der  Zersetzung  besonders  durch  Pilze  zugäng- 
lich sind  gewisse,  wie  die  Gerbstoffe  den  aromatischen  Substanzen  mehr 
oder  weniger  nahestehende  Bestandteile  des  Holzes,  das  Hadromal  und 
Lignin.  Das  erstere  ist  nach  Czapek^)  ein  aromatischer  Aldehyd,  der 
mit  Zellulose  zu  einem  Äther  verbunden  ist  und  aus  ihm  durch  ein  Enzym 
holzzerstörender  Pilze  (Merulius  lacrymans,  Pleurotus  pulmonarius), 
die  „Hadromase'^  abgespalten  wird.  Das  Hadromal  selbst  wird 
dabei  nicht  angegriffen,  aber  die  Zellulose  durch  das  entsprechende 
Enzym,  die  Zellulase  (Zytase  §  76),  imd  auch  das  Lignin  (Lignin- 
säure^)),  zersetzt.  Andere  Pilze,  z.  B.  Trametes  pini,  lassen  wieder 
die  Zellulose  mindestens  zum  Teil  unberührt  und  verbrauchen  bloß 
den  letztgenannten  kohlenstoff-  und  sauerstoffreichen  „inkrustieren- 


1)  Ber.  deutsch,  bot.  Ges.  1899.  166. 

2)  Empirische  Formel  CtoHnOg  vgl.  Czapek,  Biochemie  1.  566. 
Kr  ose,  Mikrobiologie.  30 


466  Kap.  VIII,  §  158a  u.  159. 

den''  Bestandteil  des  Holzes,  so  daß  das  Bild  des  zerfressenen  Holzes 
an  künstlich  durch  die  Schulze  sehe  Mazerationsflüssigkeit  vom 
Lignin  befreites  Holz  erinnert  (H  a  r  t  i  g  ^)).  Wieder  andere  zerstören 
nur  die  wenig  verholzte,  nicht  mit  Lignin  imprägnierte  Zellulose. 

§  159.  Oxydasen.  Sind  die  eben  beschriebenen  Veränderungen, 
soweit  sie  überhaupt  auf  Wirkungen  von  Kleinwesen  zurückführen, 
verwickelter  Art,  so  gehören  andere  in  das  Gebiet  der  Oxydationen. 
Daß  Glykoside  und  aromatische  Stoffe  von  lebenden  Pilzen  und  Bak- 
terien mit  oder  auch  ohne  vorhergehende  Spaltung  vollständig  ver- 
braucht werden  können,  folgt  aus  den  Ernährungsversuchen  mit  ihnen 
(§  33).  Daneben  kennt  man  aber  eine  Reihe  von  Oxydationen,  die 
unvollständig  bleiben.  Sie  zeichnen  sich  gewöhnlich  dadurch  aus, 
daß  dunkle  Farbstoffe  dabei  gebildet  werden,  und  werden,  seit 
der  Entdeckimg  der  pflanzlichen  und  tierischen  „Oxydasen",  gern  auf 
solche  Enzyme  zurückgeführt^).  Man  unterscheidet  die  direkten  oder 
eigentlichen  Oxydasen,  die  freien  Sauerstoff  zur  Oxydation  benutzen 
können,  von  den  indirekten  oder  „Peroxydasen",  die  den  Sauerstoff 
Peroxyden,  wie  z.  B.  HgOg  entnehmen.  C  h  o  d  a  t  und  Bach') 
nehmen  an,  daß  die  Oxydasen  zusammengesetzt  seien  aus  „Oxy- 
genasen",  die  selbst  eine  Art  organischer  Peroxyde*)  seien  und  „Per- 
oxydasen", die  aus  ihnen  den  Sauerstoff  übertragen  sollen.  Sie  wären 
durch  fraktionierte  Fällung  mit  Alkohol  zu  trennen,  aber  wirkten  allein 
fast  gar  nicht.  Die  Peroxydase  könnte  dabei  durch  Mangansalze  er- 
setzt werden.  Deren  Bedeutung  für  die  Oxydation  war  schon  durch 
Bertrand  erkannt  worden.  Nach  anderen  sollen  auch  Eisen- 
und  andere  Salze  als  „Kofermente"  eine  Rolle  spielen.  Manche  Stoffe, 
die  „Ozonide"  Bourquelots,  wie  z.  B.  das  Chinon,  sollen  schließ- 
lich noch  durch  ihren  Ozongehalt  Sauerstoff  übertragen. 

Die  enzymatische  Natur  der  Oxydasen  wird  übrigens  von  ver- 
schiedenen Seiten  bestritten.  In  der  Tat  trifft  für  sie  nach  Bach 
und  C  h  o  d  a  t  ^)  selbst  die  sonst  gültige  Regel  nicht  zu,  daß  kleine 
Mengen  Enzym  große  Stoffmengen  verändern,  vielmehr  werden  die 
Peroxydasen  schnell  verbraucht. 


1)  Zersetzungserscheinungen  des  Holzes  usw.  1878,  vgl.  über  diese 
und  andere  Holzzerstörungen  auch  Tubeuf  in  Lafars  Handb.  3.  392 
oder  „Pflanzenkrankheiten",  1895. 

2)  Vgl.  Literatur  bei  Oppenheimer,  Fermente,  2.  Aufl.,  1903, 
S.  346,  Czapek,  Biochemie  der  Pflanzen  2.  464,  Behrens  in  Lafars 
Handb.   1,  668. 

3)  Ber.  d.  ehem.  Ges.  1903.  606  und  1904.  Biochem.  Zentr.  1903. 
11/12. 

4)  Ber.  ehem.   Ges.   1904.   1342  und  2434. 

5)  Vgl.  Amn.  2. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  467 

Nichts  wesentliches  mit  den  oxydierenden  Enzymen  zu  tun  hat  die 
..Katalase'^  die  Wasserstoffsuperoxyd  in  Wasserstoff  und  molekularen 
Sauerstoff  spaltet,  also  nicht  auf  andere  Körper  oxydierend  wirkt 
(s.  u.  §  160). 

Die  Zahl  der  beschriebenen  Oxydasen  ist  sehr  groß  und  würde 
wohl  noch  größer  sein,  wenn  man  nicht  hauptsächlich  bestimmte  Farb- 
reaktionen als  Kennzeichen  der  oxydierenden  Kraft  benutzt  hätte. 

Mikroorganismen  sind  bisher  noch  nicht  systematisch  genug  auf 
Oxydasen  geprüft  worden.  Für  die  meisten  Reaktionen  liegen  nur  ver- 
einzelte Angaben  vor.  So  gibt  die  Hefe  nach  G  r  ü  ß  ^)  nicht  die 
Schönbein  sehe  Guajakreaktion,  enthält  also  nicht  die  von  Ber- 
trand*) genauer  studierte,  im  Pflanzenreich  und  bei  den  Hutpilzen 
weit  verbreitete  „Lakkase'*.  Wohl  bläut  sie  Tetramethylparaphenyl- 
endiamin  (W  u  r  s  t  e  r  ).  Auch  I  s  s  a  j  e  w  ^)  sah  in  Glyzerinauszügen 
von  Hefe  die  gleiche  Reaktion  wie  Grüß  und  außerdem  die  I  n  d  o  - 
phenolreaktion,  glaubt  aber  auch  das  Ausbleiben  der  Guajak- 
reaktion wie  die  beobachteten  Unregelmäßigkeiten  auf  das  gleichzeitige 
Vorhandensein  eines  „Reduktionskörpers"*)  beziehen  zu  müssen.  Der 
Oxydationsvorgang  wurde  auch  durch  Feststellung  der  Sauerstoff- 
absorption und  Abgabe  von  Kohlensäure  nachgewiesen.  Schon  in  den 
Auszügen  allein  ließ  er  sich  verfolgen,  in  der  Tat  spricht  schon  die 
Bräunung  des  Hefepreßsaftes  (E.  B  u  c  h  n  e  r)  für  die  Gegenwart 
autooxydabler  Körper  und  einer  Oxydase.  Zusätze  von  Hydrochinon, 
Pyrogallussäure,  Amidophenol  verstärkten  die  Oxydation.  Die  Oxydase 
ließ  sich  durch  Alkohol  ausfällen. 

Viele  daraufhin  geprüfte  Schimmelpilze  reagieren  nach 
Schäffer^)  nicht  auf  Guajakol  allein,  wohl  mit  Wasserstoffsuper- 
oxyd zusammen,  enthalten  also  wohl  nur  eine  Peroxydase  (s.  o.). 
Mittelst  Neutralrots  gelang  allerdings  P 1  a  t  o  und  G  u  t  h  ^)  eine 
intravitale  Färbung  von  Körnern  bei  saprophytischen  und  parasitischen 
»Schimmelpilzen.  Auch  lebende  Bakterien  der  verschiedensten  Art 
gaben  mit  diesem  Farbstoff  sowie  nach  Dietrich  und  Lieber- 
m  e  i  8 1  e  r  ')  mit  einer  Mischung  von  Dimethylparaphenylendiamin 
und  a-Naphthol  eine  Kömchenfärbung.  Diese  ist  aber  als  Fettreaktion 
erkannt  worden  (§  22). 


1)  Wochenschr.  Brauerei  1901.  310  ff. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  118—123,  1894—1897.    Vgl.  oben  §  153. 

3)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  42.   137,   1904. 

4)  Vgl.  unt«r  Reduktasen  §  161. 

5)  Erlanger  phil.  Dissert.  1901. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  38,  1901. 

7)  Zentr.  Bakt.  32.  858,  1902. 

30* 


468  Kap.  VIII,   §  159. 

Eine  kochfeste,  also  von  der  Lakkase  verschiedene  Oxydase  fanden 
Henneberg  und  W  i  1  k  e  ^)  mittelst  der  Blaufärbung  durch  Guajak- 
tinktur  bei  Essigbakterien.  Wie  die  Lakkase  färbt  nach 
G.  R  o  u  X  2)  das  Bact.  coli  Hydrochinon  braun  und  einen  in  den 
Artischocken  enthaltenen  farblosen  Körper  grün.  Eine  Identifizierung 
mit  der  Lakkase  des  Lackbaumes  und  der  Hutpilze  (s.  o.)  wäre  natür- 
lich erst  möglich,  wenn  auch  deren  übrige  Reaktionen,  d.  h.  die 
Oxydation  des  Anilins  und  Toluidins,  Besorzins,  Pyrogallols,  der 
Kresole,  des  Guajakols  und  Guajakharzes,  Eugenols,  a-Naphthols 
usw.  zuträfen.  Besser  unterrichtet  ist  man  über  das  Vorkommen 
der  ebenfalls  von  Bertrand  zunächst  aus  Hutpilzen  dargestellten 
Tyrosinase.  Allerdings  hat  man  auch  hier  nur  wieder  die  Reak- 
tion auf  Tyrosin,  nicht  auf  die  übrigen  oxydierbaren  Stoffe  (Kresole, 
Phenole  usw.^))  studiert.  Vereinzelte  Angaben  über  die  Braunfärbnng 
von  tyrosinhaltigen  Nährböden  finden  wir  bei  Beijerinck*), 
Gessard^),  van  der  Lee  k®)  betreffend  die  Streptothrix  (Actino- 
myces)  chromogena,  eine  „melanogene"  Varietät  des  Pyocyanens 
(§  253),  den  Bac.  tyrosinaticus  und  acido-aromaticus.  Mit  fast  voll- 
ständig negativen  Ergebnissen  untersuchte  Carbone'')  daraufhin 
eine  große  Reihe  von  Bakterien,  K.  B.  Lehmann  und  S  a  n  o  ^) 
fanden  aber  wenigstens  drei  Arten:  außer  der  Actinomyces  chromo- 
genes  das  Bact.  (fluorescens)  putidum  imd  phosjporescens.  Alle  drei 
färbten  die  Nährböden  zuerst  braun,  dann  schwarz,  und  zwar  gleich- 
gültig, ob  Zucker  neben  dem  Tyrosin  vorhanden  war  oder  nicht.  Die 
ersten  beiden  Mikroben  taten  das  auch  in  eiweißhaltigen  Nährböden 
ohne  Tyrosinzusatz;  offenbar  vermögen  sie  selbst  Tyrosin  zu  bilden. 
Der  Phosphorescens  war  dazu  nicht  imstande,  obwohl  er  die  Platten 
verflüssigte,  andere  phosphoreszierende  Bakterien  gaben  überhaupt 
keine  Färbung.  Die  Versuche,  Tyrosinase  aus  den  Kulturen  zu  ge- 
winnen, schlugen  ebenso  wie  bei  Gessard  fehl®).  Auch  bei  Chloro- 
formzusatz zu  den  Kulturen  blieb  die  Pärbimg  aus.  Versuche  mit 
Preßsaft  wurden   allerdings  nicht  gemacht,   dagegen   gelang  es  mit 


1)  Ebenda  2.  Abt.  9.  726,  1902. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   128.  289,  1899. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.   146.   1362,  1907. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6  und  7,  1900. 

5)  Annal.  Pasteur  1901. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   17.  489  und  654. 

7)  Ebenda  19.  687. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  67,  1908. 

9)  Ob  die  Chinonbildung,  die  Beijerinck  für  den  Actinomyces 
chromogenes  nachgewiesen  hat,  für  den  Oxydationsvorgang  in  Betracht 
kommt,  wäre  noch  zu  ent8cheiden][^(s.  o.  S.  466). 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  469 

Glyzerin  und  Wasser,  in  geringem  Grade  auch  mit  den  aus  wässerigen 
Auszügen  gewonnenen  Alkoholniederschlägen^),  eine  Botfärbung  von 
Aloe  und  eine  Blaufärbung  von  Guajaktinktur  (bei  Gegenwart 
von  H2O2)  hervorzurufen,  also  eine  „Guajakase"'  und  „Aloinase^'  bei 
den  drei  Stämmen  nachzuweisen.  Wahrscheinlich  ist,  daß  auch  andere 
Bakterien,  außer  den  genannten,  unter  Umständen  „intrazellulare^' 
Tyrosinase  bilden:  die  Braunfärbung,  die  in  alten  Kulturen, 
z.  B.  der  Friedländers  chen  Fneumoniebazillen  imd  der  echten 
Dysenteriebazillen  (K  r  u  s  e),  auftritt,  spricht  dafür. 

Der  dunkle  Farbstoff  selbst,  der  aus  dem  Tyxosin  und  anderen 
aromatischen  Produkten  gebildet  wird,  ist  seiner  Natur  nach  noch 
nicht  bekannt.  Man  hat  ihn  mit  den  tierischen  „Melaninen"'  auf  gleiche 
Stnie  stellen  wollen,  aber  es  scheint  sehr  fraglich,  ob  das  Zwischen- 
produkt, dasbeider„Alkaptonurie''aus  demTyrosin  entsteht,  dieHomo- 
gentisinsäure,  durch  die  pflanzliche  und  mikrobische  Tyrosinase  ge- 
bildet wird^).  Man  wird  übrigens  nicht  an  einfache  Oxydationen  zu 
denken  haben,  sondern  wie  bei  den  Erzeugnissen  der  Lakkase  an  Stoffe, 
die  durch  gleichzeitige  Kondensation  und  Oxydation 
entstehen'). 

Auch  die  Farbveränderungen,  die  der  Wein  erleidet 
und  die  manchmal  zur  Krankheit  ausarten,  gehören  wahrscheinlich 
hierher.  P  a  s  t  e  u  r  hatte  schon  die  grundlegende  Beobachtung  ge- 
macht, daß  bei  reichlichem  Sauerstoffzutritt,  z.  B.  in  halbgefüllten 
Flaschen,  der  weiße  Wein  in  wenigen  Wochen  schon  eine  dunklere 
Farbe  bekommt,  während  der  Farbstoff  des  Rotweins  sich  nieder- 
schlägt und  beide  gleichzeitig  einen  anderen  Geschmack  annehmen 
—  alles  Veränderungen,  wie  sie  im  Fasse  erst  im  Laufe  von  Jahren  ein- 
treten und  den  Charakter  des  alten  Weins  bedingen.  Im  Jahre  1894 
machte  man  in  Frankreich  vielfach  die  Beobachtung,  daß  ein  ähn- 
licher Prozeß  den  in  gewöhnlicher  Weise  behandelten  Wein  des  Jahres 
1893  ergriff  und  ihn  schnell  verdarb.  Mikroorganismen  waren  bei  dieser 
Zersetzung,  die  man  von  früher  her,  wo  sie  gelegentlich  auftrat,  unter 
dem  Namen  „casse  du  vin",  in  Deutschland  als  „Rahnwerden"  kannte, 
nicht  nachweisbar.  Die  Bedeutung  des  Sauerstoffs  für  die  Verände- 
ning  war  schon   längst  erkannt  worden,   aber  erst   Gouiraud*) 

1)  Nicht  mit  den  Tonfiltraten. 

2)  Vgl.  £.  Schulze  und  C  a  s  t  o  r  o  ,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  48 , 
IÖO6.  E.  Schulze  ebenda  60.  Nach  Gonnermann  (Pflügers  Arch. 
123,  1908)  entsteht  durch  Einwirkung  der  Tyrosinase  (aus  Rübensäften) 
*as  Tyroßin  Brenzkatechin  und  aus  diesem  unter  Mitwirkung  von  Ferro- 
salz  und  Tyrosinase  die  Farbe. 

3)  Bertrand,    Compt.  rend.   137.   1271. 

4)  Compt.  rend.  ac.  sc.   120.  887,  1895. 


470  Kap.  Vin,   §  169  u.  160. 

führte  den  Nachweis,  daß  der  veränderte  Wein  durch  Chamberknd- 
filter  filtriert  und  mit  Alkohol  versetzt  einen  Niederschlag  liefert,  der 
in  gesundem  Wein  dieselbe  Veränderung  bewirkt.  Es  handelt  sich  also 
um  einen  enzymatischen  Prozeß,  um  die  Wirkung  einer  „Oenoxydase" 
(Cazeneuve  ^)).  Marchand  ^)  zeigte,  daß  dieses  Enzym  auch 
in  gesimdem  Traubensaft  vorkommt,  aber  in  geringerer  Menge;  die 
reichliche  Ansammlung  des  Enzyms  ist  sehr  wahrscheinlich  auf  Mikro- 
organismen zurückzuführen;  nach  li  a  b  o  r  d  e  ^)  erzeugt  sie  ausschließ- 
lich die  Botrytis  cinerea,  derselbe  Klz,  der  durch  sein  Wachs- 
tum auf  der  Traube  die  Edelfäulnis  des  Weins  verursacht  (S.  281). 
Aspergillus  niger,  glaucus,  Penicillium  imd  andere  Pilze  bilden  dies 
Enzym  nicht.  Peglion*)  fand  es  aber  auch  bei  der  M  o  n  i  1  i  a 
fructigena,  die  der  Botrytis  sehr  nahe  steht,  wieder.  Die  Tat- 
sache, daß  nach  der  Ernte  des  Jahres  1900,  die  sehr  unter  der  Botrytis 
zu  leiden  hatte,  die  Casse  du  vin  im  weitesten  Umfange  wieder  auftrat, 
lieferte  eine  Bestätigung  des  L  a  b  o  r  d  e  sehen  Fundes.  Caze- 
neuve studierte  die  Eigenschaften  der  Oenoxydase  genauer.  Sie 
entspricht  in  ihrer  Wirkung  auf  die  verschiedenen  aromatischen  Körper 
der  Lakkase  Bertrands  (s.  o.).  Die  Oenoxydase  unterscheidet 
sich  aber  von  der  Lakkase  dadurch,  daß  sie  außer  den  aromatischen 
Körpern  auch  Alkohol,  Äther,  ätherische  öle  und  Säuren  oxydiert^). 
Ein  vorzügliches  Mittel  gegen  den  Einfluß  der  Oenoxydase  ist  die 
schweflige  Säure,  die  den  Wein  ebenso  wie  Pasteurisierung 
schützt. 

Das  Rahn werden  tritt  auch  in  Begleitung  einer  anderen  Krankheit 
des  Weines,  beim  „Bitterwerden"  der  Rotweine  (S.  280)  als  Begleit- 
erscheinung auf.  Ob  die  Erreger  dieses  Zustandes  die  schon  von 
P  a  s  t  e  u  r  angeschuldigten  Bazillen,  die  sich  im  Bodensatz  solcher 
Weine  finden,  sind,  ist  mehr  als  zweifelhaft.  Nach  den  neuen  Unter- 
suchungen Wortmanns*)  wäre  es  vielmehr  wieder  die  Botrytis 
cinerea  oder  andere  von  den  faulen  Beeren  auf  den  Most  über- 
tragene Schimmelpilze,  die  durch  Oxydation  der  in  den  Beeren- 
häuten enthaltenen  Gerbsäuren  die  Bitterstoffe  erzeugten.  Nicht 
ausgeschlossen  ist  es  übrigens,  daß  das  Bitterwerden  verschiedene 
Ursachen  hat. 

Die  Bedeutung  der  Oxydasen  für  das  Leben  der  Kleinwesen  ist 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.   124.  406  und  781,   1897. 

2)  Ebenda  120.   1426  und  121.  502. 

3)  Ebenda  122.   1074  und  125.  248. 

4)  Zitiert  nach  D  u  c  1  a  u  x  ,  Microbiol.  4.  581. 

5)  Die  Monilia  sitophila  Wents  (S.    128)  erzeugt  Tyrosinase. 

6)  Landwirtsch.  Jahrb.   1900. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  471 

dunkel,  da  sie  für  die  Eraftlieferung  und  das  Wachstum  kaum  in  Be- 
tracht kommen.    Vielleicht  dienen  sie  als  Schutzmittel^). 

§  IGO.  Katalase.  Die  S.  467  erwähnte  Katalase  (Low «))  oder 
„Superoxydase"  (R  a  u  d  n  i  t  z  ^)) ,  d.  h.  das  Enzym,  das  den  Wasser- 
stoffsuperoxyd und  nur  diesen  —  vermuthch  nach  der  Formel 
2  H202=  2  HgO  +  Og  —  zersetzt,  ohne  wie  die  Peroxydasen  dabei  aktiven 
Sauerstoff  oder  wie  die  Reduktasen  (§  161)  aktiven  Wasserstoff  (?) 
zu  entwickeln,  bildet  eine  Art  Übergang  von  den  Oxydasen  zu  den 
Reduktasen,  weswegen  sie  hier  besprochen  werden  soll.  Früher  schrieb 
man  die  Fähigkeit  zu  dieser  Zersetzung  allen  Fermenten  zu.  Die  Kata- 
lasen sind  im  Pflanzen-  und  Tiergewebe  weit  verbreitet*).  Angaben 
über  das  Vorkommen  der  Katalase  bei  Bakterien  finden  wir  bei  6  o  1 1  - 
stein^),  Löwenstein •),  und  namentlich  bei  D.  imd  M.  Ry- 
w  o  s  c  h  und  Jörns.  Die  Rywoschs')  bestimmten  die  enzyma- 
tische  Kraft  der  Bakterien  dadurch,  daß  sie  ihre  Rasen  von  Agar- 
platten  abgewogen  (ca.  22 — 66  mg)  in  eine  mit  HgOg-Lösimg  gefüllte 
Flasche  brachten,  diese  mit  einem  Eudiometer  verbanden  und  nach 
6 — 8  Stunden  die  entwickelte  Sauerstoffmenge  feststellten.  Sie  schwankte 
je  nach  der  Bakterienart  von  7  ccm  (auf  1  mg  frische  Bakterienmasse 
berechnet)  bis  0,1  ccm  und  weniger.  Bei  Anaerobiern  (Tetanus,  Botu- 
linus)  war  die  Zersetzung  nur  in  Spuren  nachweisbar,  bei  den  Vibrionen 
blieb  sie  ebenfalls  sehr  gering,  desgleichen  bei  Typhus-,  Paratyphus- 
und  Pfeiffer  sehen  Kapselbazillen.  Am  stärksten  war  sie  bei  Orange- 
Sarzine  und  weißer  Hefe,  von  mittlerer  Stärke  bei  Pneumonie-,  Ozaena-, 
Milzbrand-,  Prodigiosus-,  Colibazillen,  Streptokokken.  Meist  war  schon 
in  den  ersten  Stunden  die  Höhe  der  Gasentwicklung  erreicht.  Jörns®) 
fand  die  Katalase  auch  bei  fast  allen  daraufhin  geprüften  Bakterien 
und  Strahlenpilzarten.    Unter  90  Arten  fehlte  sie  vollständig  nur  bei 


1)  Raeiborski  fand  in  Kulturversuchen  mit  verschiedenartigen 

Keimen  keinen  Einfluß  der  Oxydasen  (Behrens  in  Lafars  Handb.  1.  ' 

671).    Sieber  beobachtete  allerdings  eine  sehr  kräftige  Wirkung  der  | 

Oxydasen  tierischer  Organe  auf  Diphtherie-  und  Tetanusgift  (s.  §  274). 
Nach  E  f  f  r  o  n  t  soll  sich  Hefe  durch  Oxydasebildimg  gegen  zugesetzten 
Formaldehyd  schützen,  nach  G  i  m  el  gegen  schweflige  Säure  (vgl.  S.  188). 

2)  Bull.    Departm.    Agricult.    Wctöhington  1900,     vgl.    Zentr.    Bakt. 
2.  Abt.   10.   177,  1903. 

3)  Zeitschr.  f.  Biol.  42.  | 

4)  Vgl.  C  h  o  d  a  t  und  Bach,  Ber.  ehem.  Ges.  1902  ff.    S  e  n  t  e  r  ,  i 
Zeitschr.  physik.  Chem.  44,   1903. 

5)  Virchows  Arch.   133,   1893. 

6)  Wien.  klin.  Woch.   1903.  50. 

7)  Zentr.  Bakt.  44.  295,  1907. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  67,   1908. 


472  Kap.  Vm,  §  160  u.  161. 

den  Bact.  mallei,  alcaligenes,  indigoferum  und  Bac.  genicnlatos;  dem 
Grade  nach  —  gemessen  an  der  Gasentwicklung  nach  Mischung  von 
wenigen  Kubikzentimetern  Bouillonkultur  und  1  prozentiger  Wasser- 
stoffsuperoxydlösung oder  durch  Rücktitration  des  unzersetzten  HgOg 
mit  Permanganatlösung  — ist  sie  allerdings  sehr  verschieden,  spärlich 
z.  B.  beim  Micr.  intracellularis  meningitidis,  Bac.  mycoides,  Milz- 
brand-, Typhus-,  Paratyphus-  und  Tuberkelbazillus,  den  meisten 
Vibrionen  und  Strahlenpilzen,  besser  entwickelt  bei  Strept.  lacticus, 
Coli-  und  Diphtheriebazillus,  Actinomyces  chromogenes,  reichlich  bei 
Strept.  pyogenes,  dem  Schweineseuche-  und  Schweinepest-,  Proteus-, 
Pyocyaneus-  und  Heubazillus,  sehr  reichlich  beim  Prodigiosus  und 
Pseudotuberkelbazillus.  Die  Reaktion  der  Kultur  schien  keinen  Einfluß 
zu  haben,  das  Alter  der  lebenden  Kultur  auch  nicht.  Das  letztere  beeio- 
flußt  jedoch  den  Übertritt  der  Katalase  in  die  Kulturflüssigkeit:  in 
Filtraten  ganz  junger  Prodigiosuskulturen  war  die  Wirkung  gleich  Null, 
stieg  mit  dem  Alter  der  Kultur  und  der  Abnahme  der  lebenden  Keime 
in  ihr,  blieb  aber  auch  bei  ganz  alten  Kulturen  noch  wesentlich  hinter 
der  ganzen  Kultur  zurück.  Jörns  spricht  daher  von  einer  „Ekto-" 
und  „Endokatalase".  Ähnlich  wie  Prodigiosus  verhält  sich  der  Pyo- 
cyaneus, während  der  Bazillus  der  Pseudotuberkulose  schon  nach  3  Tagen 
nur  Ektokatalase  gab.  Erhitzimg  der  ganzen  Kultur  selbst  auf  70" 
schien  die  Katalasewirkung  nicht  herabzusetzen,  wohl  wurde  die  Filtrat- 
wirkimg  dadurch  geschädigt  und  nach  30  Minuten  aufgehoben.  Die 
Schnelligkeit  der  Zersetzung  ist  größer  bei  17  als  bei  0",  aber  auch  hier 
noch  erheblich.  Alkohol  fallt  das  Enzym  und  schädigt  es  in  gewissem 
Grade. 

Die  Bestimmung  der  Katalase  in  roher  Milch  kann  dazu 
benutzt  werden,  über  ihren  Bakteriengehalt  zu  entscheiden,  denn  nach 
S  e  1  i  g  m  a  n  n  und  S  m  i  d  t  verdankt  die  Milch  ihre  Katalase  zum 
größten  oder  wenigstens  zum  großen  Teil  Bakterien  (vgl.  §  162).  —  Über 
das  Vorkommen  der  Katalase  bei  Pilzen^)  ist  noch  wenig  bekannt, 
wahrscheinlich  ist  sie  auch  bei  ihnen  ebenso  verbreitet  wie  bei  den 
Bakterien.  So  fanden  sie  Bach  und  C  h  o  d  a  t  *)  im  Aspergillus 
niger,  Saito  im  Aspergillus  oryzae,  Loew  (s.  o.),  Issajew') 
u.  a.  in  wässerigen  und  glyzerinigen  Auszügen  aus  Hefe,  E.  Buchner*) 
im  Hefepreßsaft.  Bei  I  s  s  a  j  e  w  finden  sich  auch  nähere  Angaben 
über  die  Abhängigkeit  der  Reaktionsgeschwindigkeit  der  Katalase  von 


1)  Vgl.  Wehmer  in  Lafars  Handb.  4.  269. 

2)  Zeitschr.  f.  Biol.  42. 

3)  Zeitschr.  f.  physiol.  Cham.  42,  1904  und  44,  1905. 

4)  Zymasegäning  S.  77. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  473 

der  Eonzentration  des  HgOg  und  des  Enzyms,  von  Salz-,  Säure-  und 
Alkalizusätzen.    Säure  und  Jod  zerstören  die  Hefekatalase. 

Die  Bedeutung  der  Katalasen  für  das  Leben  ist  dunkel.  Nach 
Low  sollen  sie  dazu  dienen,  das  im  Stoffwechsel  entstehende  schäd- 
liche Wasserstof&uperoxyd  immer  sofort  zu  zerstören.  Jedoch  ge- 
deihen Schimmelpilze  bei  0,68%  dieses  Stoffes.  Oxydasen  und  Kata- 
lasen hemmen  sich  gegenseitig  nicht. 

§  161.  Reduktion  TOn  Farbstoffen.  Reduktasen.  Die  Farb- 
stoffe, die  fast  sämtlich  in  die  Gruppe  der  aromatischen  (bzw.  zyklischen) 
Substanzen  gehören,  besitzen  für  die  Mikroorganismen  selbst  wohl 
keine  Bedeutung,  eine  um  so  größere  aber  für  unsere  Kenntnis  von  ihnen, 
und  zwar  in  erster  Linie,  weil  die  Bindungen,  die  sie  mit  ihnen  eingehen, 
uns  bekanntlich  ihren  Nachweis  bedeutend  erleichtern,  ja,  vielfach 
erst  ermöglichen.  Über  diese  Farbreaktionen  haben  wir  schon  im 
Kap.  I  gesprochen.  Hier  interessieren  uns  gewisse  Veränderungen 
der  Farbstoffe  durch  die  Mikroben,  die  zwar  auch  für  die  Diagnostik 
Wert  haben,  vor  allem  aber  auf  die  Stoffwechselvorgänge  ein  Licht 
zu  werfen  scheinen.  Es  sind  keine  tieferen  Zersetzungen,  sondern 
nnr  oberflächliche  Umwandlungen,  sie  haben  aber  deswegen  schon 
früh  die  Aufmerksamkeit  erregt,  weil  sie  mit  einer  Entfärbung 
einhergehen.  Schon  Helmholtz  erklärte  1843  in  seinen  Unter- 
suchungen über  Fäulnis  die  Entfärbimg  des  Lackmus  durch  Reduk- 
tion des  Farbstoi^es.  Umfangreiche  Untersuchmigen  über  das  Verhalten 
der  Bakterien  gegen  diesen  selben  Farbstoff  stellte  zuerst  C  a  h  e  n  ^) 
an,  mit  der  ausgesprochenen  Absicht,  ihr  Eeduktionsvermögen  zu  er- 
forschen. Es  zeigte  sich  dabei  zunächst,  daß  alle  verflüssigenden  Bakterien 
die  durch  Lackmustinktur  gefärbten  Gelatine -Nährböden  entfärbten. 
Die  Entfärbung  schritt  mit  der  Verflüssigung  fort,  griff  auch  über  die 
Verflüssigungsgrenze  hinaus.  Nach  und  nach  kehrte  an  der  Ober- 
fläche, offenbar  unter  dem  Einfluß  des  Luftsauerstoffs,  die  Farbe 
zurück.  In  Lackmusbouillon  trat  die  Reduktion  bei  höherer  Temperatur, 
meist  viel  schneller  und  auch  bei  vielen  nicht  verflüssigenden  Bak- 
terien ein,  einfaches  Schüttehi  genügte,  um  die  Farbe  wieder  erscheinen 
zu  lassen;  aber  auch  von  selbst  geschah  das  nach  einiger  Zeit,  wenn 
das  Wachstum  zum  Stillstand  gekommen  war.  Nur  wenige  Bakterien, 
wie  die  Spirillen  von  Finkler-Prior  imd  Deneke,  reduzierten  zwar 
bei  niederer,  aber  nicht  bei  höherer  Temperatur,  wahrscheinlich,  weil 
sie  besser  bei  ersterer  wuchsen.  Stark  war  die  Reduktion  des  Lackmus 
durch  Anaerobier.  Doch  stellte  C a h e n  schon  fest,  daß  eine  Be- 
ziehung des  Lebens  ohne  Säuerst  off  zurLackmus- 


1)  Zeitechr.  f.  Hyg.  2,  1887. 


474  Kap.  VIII,   §  161. 

reduktion  nicht  besteht,  da  eineiseits  viele  strenge  Äerobier  den 
Farbstoff  reduzierten  und  andererseits  manche  fakultative  Änaeiobier, 
wie  Bac.  typhi,  Strept.  pyogenes  und  Micr.  tetragenus,  überhaupt  nicht 
reduzierten.  Die  Bedeutung  der  Reduktionsprobe  für 
die  Diagnostik  lag  dagegen  auf  der  Hand.  Die  Arbeiten 
von  Roszaheghyi^),  Spina ^),  Behring^),  Kisatato 
und  Weyl^),  Sommaruga^)  lehrten,  daß  man  mit  Erfolg  auch 
andere  Farbstoffe,  wie  Vesuvin^,  Gentianaviolett,  Methyl  violett,  Methylen- 
blau, Bosolsäure  und  Indigblau  zum  Studium  der  Reduktion  ver- 
wenden kann  und  stellten  eine  Reihe  von  weiteren  Einzelheiten  fest. 
Allerdings  haben  sich  die  daraus  gezogenen  Schlüsse  in  der  Folge  nicht 
immer  bestätigt,  so  z.  B.  nicht  die  am  Milzbrand  gewonnene  Erfahrung 
Behrings,  daß  Reduktionsvermögen  imd Virulenz  im  umgekehrten 
Verhältnis  zueinander  stehen  (Hahn  imd  C  a  t  h  c  a  r  t  s.  u.).  Wich- 
tiger sind  die  Untersuchungen  von  Th.  Smith®),  Rothberger"), 
F.  Müller®)  und  besonders  von  Alfred  Wolff®),  Cath- 
c  a  r  t  und  H  a  h  n  ^®) ,  wozu  neuerdings  noch  Arbeiten  von  C  a  r  a  - 
p  e  1 1  e^^)  und  Wichern^^)  traten.  Man  kann  aus  ihnen  verschiedene 
Sätze  ableiten. 

1.  Alle  Mikroorganismen,  Bakterien,  Schimmelpilze  und  Hefen 
können  Farbstoffe  reduzieren,  wenn  auch  der  Grad  ihres  Reduktions- 
vermögens und  die  Reduzierbarkeit  der  Farbstoffe  eine  sehr  ver- 
schiedene ist. 

2.  Im  allgemeinen  kann  man  sagen,  daß  einige  Farbstoffe  wie  das 
Thionin  und  Methylenblau  besonders  leicht,  andere  wie  Lackmus  schwer 
und  manche,  wie  das  Neutralrot  am  schwersten  reduziert  werden. 
Viele  Farbstoffe  sind  für  die  Reduktionsprobe  ungeeignet,  weil  sie 
zu  stark  entwicklungshemmend  wirken  (Methylviolett),  die  meisten 
müssen  mit  Vorsicht  —  d.  h.  unter  Berücksichtigung  von  Kontrollen  — 
benutzt  werden,  weil  sie  schon  durch  die  Nährböden  angegriffen  werden. 


1)  Zentr.  Bakt.  2,  1887. 

2)  Ebenda. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.   7,  1889. 

4)  Ebenda  8.    1890. 

5)  Ebenda  12,   1892. 

6)  Zentr.  Bakt.   19.  181,   1896. 

7)  Ebenda  24.  513  und  25.   15,   1899. 

8)  Ebenda  26.  51  und  801,   1899. 

9)  Arb.  pathol.  Inst.  Tübingen  3.  294,  1901. 

10)  Arch.    f.  Hyg.  44,  1902    und   „Zymasegäning**   von   Buchner 
und   Hahn,   1903.  341. 

11)  Zentr.  Bakt.  47.  546,   1908. 

12)  Arch.  Hyg.  72,  1910.    Vgl.  auch  Zeitsclu*.  physiol.  Cliem.  67. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  475 

3.  Ebenso  könnte  man  die  Mikroorganismen  nach  ihrem  Reduk- 
tionsvennögen  in  eine  Stufenleiter  ordnen,  an  deren  Spitze  wegen  ihrer 
besonderen  Energie  die  strengen  Anaerobier  und  auch  der  Bac.  coli 
stehen.  Am  anderen  Ende  stehen  die  luftliebenden  Bakterien  wie  der 
Milzbrandbazillus  und  die  Choleraspirillen.  Doch  gilt  diese  Regel  nur 
für  den  Fall,  daß  bei  der  Reduktionsprobe  für  Sauerstoffabschluß  ge- 
sorgt ist,  bei  freiem  Sauerstoffzutritt  beobachtet  man  eine  andere 
Reihenfolge. 

4.  Wenn  die  unter  2  und  3  ausgesprochenen  Sätze  auch  eine  ge- 
wisse praktische  Bedeutung  haben,  so  wird  ihre  Allgemeingültigkeit 
doch  dadurch  beschränkt,  daß  sie  zahlreiche  Ausnahmen  erleiden, 
die  durch  ein  elektivesVerhalten  der  Mikroorganismen  gegen- 
über einzelnen  Farbstoffen  bedingt  sind  (Müller, Wolf  f).  Während 
z.  B.  der  Bacillus  typhi  und  coli  gewöhnlich  ein  gutes  Reduktions- 
vermögen besitzt,  der  letztere  dabei  den  ersteren  meist  übertrifft, 
wird  das  Orzein  vom  Bac.  typhi  stärker  reduziert  als  vom  B.  coli 
(Wolff)  und  das  Neutralrot  vom  Bac.  coli  sehr  kräftig,  vom  Bac. 
typhi  aber  gar  nicht  angegriffen  (Rothberger,  Wolff  imd  viele 
andere  Autoren).  Das  ist  ein  Beweis  dafür,  daß  das  Reduktion  s- 
vermögen  der  Mikroorganismen  nicht  ein  quali- 
tativgleiches, aber  quantitativ  verschiedenes, 
sondern  ein  spezifischesist.  Zu  einem  ähnlichen  Schlüsse 
führen  die  Beobachtungen  über  die  Reduktion  der  Nitrate,  Sulfate, 
Selenite,  Arsenikverbindungen  usw.,  die  wir  später  besprechen  werden, 
und  wohl  auch  die  früher  erwähnten  Erfahrungen  über  die  reduzierenden 
Leistungen  der  Bakterienleiber  (S.  106).  Ein  genauer  Vergleich  dieser 
verschiedenen  Reduktionsprozesse  würde  jedenfalls  manche  interessante 
Einzelheiten  ergeben. 

5.  Die  Beobachtimg,  daß  durch  Porzellan  filtrierte  Colikulturen 
keine  reduzierenden  Wirkungen  entfalteten,  hatte  Smith  zu  dem 
Schlüsse  geführt,  daß  diese  nicht  durch  gelöste  Sekrete  erzeugt  sein 
könnten,  sondern  der  Bakterienzelle  anhafteten.  Hiergegen  kann  mit 
Recht  eingewandt  werden,  daß  schon  der  Augenschein  in  Stich-  und 
Strichkulturen,  die  mit  reduzierbaren  Farbstoffen  versetzt  sind,  die 
allmählich  eintretende  Diffusion  des  reduzierenden  Stoffes  beweist. 
Allerdings  kann  man,  wie  Hahn  und  Cathcart  gezeigt  haben, 
mit  einfachen  Aufechwemmimgen  der  Zellen  die  stärksten  Reduktions- 
wirkungen erhalten,  aber  auch  diese  entstehen  doch  nur  dadurch,  daß 
die  Zellen  eben  die  wirksamen  Stoffe  ausscheiden.  Nach  denselben 
Forschem  ist  die  Reduktion  —  also  wohl  die  Bildung  der  reduzierenden 
Substanz  —  energischer,  wenn  die  betreffenden  Bakterien  unter  Sauer- 
stoffabschluß gewachsen  sind.    Die  Beschaffenheit  der  Flüssigkeit,  in 


476  Kap.  VIII,   §  161. 

der  sie  aufgeschwemmt  werden,  ist  insofern  von  Einfluß,  als  eine  starke 
alkalische  Reaktion,  die  Gegenwart  von  organischen  Stoffen  (milch- 
saurem  Ammon,  Fleischextrakt  oder  Bouillon)  und  in  gewissem  Grade 
auch  der  Salzgehalt  die  Reduktion  begünstigt.    Die  Darstellung  der 
reduzierenden  Substanz  aus  dem  Zellkörper  gelang  Hahn  bei  der 
Hefe  sehr  leicht:  der  Hefepreßsaft  enthält  sie,  ebenso  die  nach  dem 
Albert  sehen  Verfahren  abgetötete  Dauerhefe.    So  reduzieren  z.  B. 
10  ccm  Preßsaft  allmählich  0,14  g  Methylenblau,  das  in  Iproz.  Lösung 
zugesetzt  wurde^).   Die  reduzierende  Wirkung  ging  dem  Safte  ebenso 
schnell  verloren  wie  die  Gärkraft,  d.  h.  in  wenigen  Tagen  bei  niederer 
Temperatur,  und  nach  einer  Stimde  bei  55 — 60®.   Diese  geringe  Wider- 
standsfähigkeit des  reduzierenden  Prinzips  —  vieUeicht  können  wir 
sagen  der  „Reduktase'*  —  zeigt  sich  bei  den  Bakterien  noch  in  höherem 
Grade.   Bisher  gelang  ihre  Darstellung  durch  Zerreiben  und  Auspressen 
der  Zellkörper  noch  nicht.   Die  Verfahren,  die  eine  Abtötung  der  Bak- 
terien bewirken,  vernichten  gewöhnlich  auch  die  Reduktion.   Doch  ge- 
langten Cathcart  und  H a h n ^)  zum  Ziel,  wenn  sie  die  Bakterien- 
körper mit  Azeton  behandelten  und  die  trockene  Masse  im  Vakuum 
allmählich  auf  107®  erhitzten.    Die  Präparate  erwiesen  sich  als  steril 
und   besaßen  doch    noch   eine   gewisse    Reduktionskraft.     Daß   das 
Leben  der  Zellen  zur  Reduktion  nicht  unumgänglich  nötig  ist,  hatte 
schon  früher  Smith  aus  einigen  Erhitzungsversuchen  geschlossen; 
Cathcart  und  Hahn  erwiesen  es  auch  durch  Zusatz  von  Chloro- 
form, Toluol  sowie  von  Salzen  und  Zucker  in  starker  Konzentration. 
50  prozentige  Rohrzuckerlösungen  scheinen  ihre  besondere  Wirksamkeit 
ihrer  Fähigkeit,  die  Bakteriensubstanz  aufzulösen,  zu  verdanken.    Fil- 
trationsversuche   sind    außer   von    Smith    anscheinend   nur  von 
Deutsch  ^)  und  Carapelle,  und  zwar  nur  von  ersterem  mit 
etwas  besserem  Erfolge  untemonmien  worden  als  von  Smith.   Die 
Unwirksamkeit  oder  schwache  Wirksamkeit  des  Filtrats  erklärt  sich 
vielleicht  nach  Müller  durch  den  Einfluß  des  Sauerstoffe  beim  Fil- 
trieren.   Auch  durch  wiederholtes  Schütteln  mit  Luft  kann  man  die 
reduzierenden  Stoffe  der  Kulturen  zerstören.  Keimfrei  ausgeschleuderte 
Kulturflüssigkeiten  besitzen  nach  Carapelle  übrigens  auch  keine 
reduzierende  Kraft.   Dagegen  glaubte  er  aus  Versuchen  mit  Methylen- 
blaulösung,  die  keimfrei  in  Zelloidinröhrchen  eingeschlossen  und  in 
Kulturen  von  Bakterien  eingebracht  worden  war,  auf  ein  schwaches 
Reduktionsvermögen  von  löslichen  Stoffwechselerzeugnissen  schließen 
zu  dürfen.    Ähnliche  Beobachtimgen  machte  Wichern  an  Agar- 

1)  Über  die  Messung  der  Keduktionskraft  von  Bakterien  s.  Cathcart 
und  Hahn  S.  479  und  Wiehern  S.  478. 

2)  Kongreßbericht,  Paris  1900  (nach  Cathcart  imd  Hahn). 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  477 

koltaren  von  Colibazillen,    die   er   durch  eine  keimfreie  Agarschicht 
von  der  zu  reduzierenden  Flüssigkeit  trennte. 

6.  Daß  es  sich  bei  der  Entfärbung  der  Farbstoffe  durch  die  Mikro- 
organismen wirklich  um  eine  Reduktion  handelt,  wird  dadurch  für  die 
gewöhnlichen  Fälle  sehr  wahrscheinlich,  daß  die  Farbe  bei  Berührung 
mit  Luft  wieder  zurückkehrt.  Man  wird  sich,  obwohl  direkte  Analysen 
fehlen,  den  Vorgang  so  vorzustellen  haben,  daß  aus  dem  Farbstoff  das 
sogenannte  Leukoprodukt  entsteht,  so  z.  B.  aus 

Indigblau  C,H,<^ J^C  =  C/^^J\c,H, 
Indigweiß  C,H /^N^^\c_c/^NH  \(.^jj^ 

/C,H3.  -N=(CH3)3 
und  aus      Methylenblau  N.  ^S 

^CgH3/=N=(CH3)2 

I 
Cl. 

/CeH,    -N=(CH3), 
die  entsprechende  Leukobase:    HN\  >S 

\CeH3/-N=(CH3),. 

In  beiden  Fällen  wird  die  Veränderung  bewirkt  durch  Eintreten  von 
Wasserstoffatomen  (nicht  durch  Entziehung  von  Sauerstoff,  wie  bei 
anderen  Reduktionen),  die  bei  Berührung  mit  dem  Luftsauerstoff 
wieder  entfernt  werden.  Woher  der  reduzierende  Wasserstoff  ent- 
nommen wird,  wissen  wir  nicht,  vermutlich  sind  es  aber  organische 
Substanzen,  da  solche  die  Reduktion  begünstigen.  Daß  man  mit  dem 
Dens  ex  machina,  den  man  früher  in  solchen  Fällen  auftreten  ließ, 
dem  „Wasserstoff  in  statu  nascendi",  nichts  beweist,  ist  sicher,  schon 
aus  dem  Grunde,  weil  die  gleichen  Bakterien  in  demselben  Nährboden 
sich  gegenüber  zwei  Farbstoffen  in  ihrer  Reduktionskraft  entgegen- 
gesetzt verhalten  können  (s.  o.).  Wir  werden  uns  vorläufig  mit  der  An- 
nahme begnügen  müssen,  daß  der  Wasserstoff  unter  dem 
Einfluß  spezifischer  Enzyme  aus  der  einen  oder 
anderen  Verbindung  auf  die  Farbstoffe  über- 
tragen wird.  Wäre  die  fragliche  Verbindung  Wasser,  so  würde  bei 
dem  Prozeß  der  Reduktion  Sauerstoff  verwendbar  für  andere  Zwecke 
der  Zelle.  Früher  hat  man  in  der  Tat  die  Reduktion  als  ein  Zeichen 
des  „Sauerstoffhungers"   (Ehrlich^))   der  Zelle  aufgefaßt.    Dann 


1)  Das  Sauerstoffbedürfnis  des  Organismus,  1885. 


478  Kap.  VIII,   §  161. 

müßten  aber  doch  strenge  Aerobier,  die  auf  den  Sauerstoff  angewiesen 
sind,  stärker  reduzieren  als  Anaerobier,  die  andere  Kraftquellen  durch 
die  Qärungen  genügend  zur  Verfügung  haben,  und  für  die  Sauerstoff 
geradezu  ein  Gift  ist.  Viel  eher  würde  man  es  verstehen,  wenn  das 
Reduktionsvermögen,  das  sich  in  den  Versuchen  mit  Farbstofflösungen 
zeigt,  mit  den  normalen  Reduktionen,  die  im  Leben  der  Mikroorganis- 
men so  große  Bedeutung  haben,  indem  sie  z.  B.  den  zum  Aufbau  ihrer 
Leiber  nötigen  Schwefel  und  Stickstoff  aus  schwefelsaurem  und  sal- 
petersaurem Salze  beschaffen,  zusammenhinge,  gewissermaßen  ihr 
Indikator  wäre.  Von  einem  Parallelismus  beider  Arten  von  Reduk- 
tionen ist  aber  nichts  bekannt  (§  197  ff.,   §  211  ff.). 

Die  Prüfung  des  Reduktionsvermögens  der  Mikroorganismen  erfolgte 
wie  aus  dem  Text  ersichtlich,  in  einfacher  Weise  dadurch,  daß  man  eine 
der  genannten  Fcurbstofflösungen  in  kleinen  Mengen  den  verschiedenen 
Nährböden  zusetzt.  Jodes  hat  seine  bestimmten  Vorzüge  und  Nachteile. 
Die  Bouillon  gestattet  vielfach  (bei  37**)  am  schnellsten  den  Nachweis, 
ist  aber  (ohne  Paraffinölüberschichtmig  s.  u.)  bei  schwach  reduzierenden 
Bakterien  nicht  brauchbar,  weil  sie  sich  zu  schnell  wieder  oxydiert.  Agar- 
stichkulturen  bieten  ähnliche  Vorteile,  gestatten  außerdem,  weil  sie  fest 
bleiben,  das  allmähliche  Fort-schreiten  der  Reduktion  zu  beob€bchten, 
reduzieren  aber  selbst  in  ziemlich  kräftigem  Grade  die  Farben,  so  daß  im- 
geimpfte  Kontrollröhrchen  stets  nötig  sind.  Besonders  kräftig  ist  die 
Reduktion  in  den  ,, Schüttelkulturen"  Rothbergers,d.  h.  Agar- 
röhrchen,  die  in  noch  flüssigem  Zustande  geimpft  w^erden.  Da  Gelatine 
gewöhnlich  bei  niedriger  Temperatur  benutzt  wird,  zeigt  es  nur  kräftige 
Reduktionen  an. 

Am  meisten  verwandt  wird  die  Lackmus  tinktur  in  Zusätzen 
von  10%.  Sie  hat  den  Vorzug,  daß  sie  nicht  nur  die  Reduktion  durch  Ent- 
färbung, sondern  auch  Reaktionsveränderungen  dui'ch  Umsclilagen  der 
violetten  Farbe  in  Rot  oder  Blau  anzeigt.  Der  Lackmus  ist  wie  die  Orseille 
aus  Flechten  durch  eine  Art  Gärung  (S.  461)  gewonnen  und  ein  Gemisch 
aus  Farbstoffen,  deren  Konstitution  nicht  genau  bekannt  ist.  Der  färbe- 
rische Hauptbestandteil  ist  das  Orzin,  ein  Dioxytoluol.  Aus  ihm  entsteht 
durch  Oxydation  das  Orzein,  da«  in  1  prozentiger  Lösung  verwandt  werden 
kann  (W  o  1  f  f ). 

Leichtor  reduzierbar  als  Lackmus  ist  Methylenblau,  das  als 
salzsaures  Zinkdoppelsalz  in  den  Handel  kommt,  und  von  dem  1  — 4  Tropfen 
einer  ^/j  prozentigen  Lösung  auf  jedes  ReagensrÖhrchen  zugesetzt  werden. 
Entgegen  der  Angabe  von  Spina  unterliegt  auch  Methylenblauagar 
der  Selbstreduktion.  Nach  W  i  c  h  e  r  n  gestattet  die  Titrierung  mit  Titan- 
lösung eine  genaue  Bestimmung  der  Reduktionsgröße.  Während  der 
Hauptwachstumsperiode  sollen  je  1000  Koli-  und  Typhusbazillen  in  mit 
Paraffinöl  Überschi chteter  Bouillon  28 — 30  Millionstel  Milligranmi  stünd- 
lich reduzieren.  Reduktionsgröße  rnid  Generationsdauer  stehen  im  um- 
gekehrten Verhältnis. 

Indigblau  (Indigotin),  das  Erzeugnis  der  Indigogärung  (S.  460), 
ist  selbst  unlöslich  und  kommt  zur  Verwendung  als  indigodisulfosaures 
Natrium  (Indigokarmin).  */a°/oo  davon  werden  in  Agfiur  gelöst.  Die  Braucli- 
barkeit  dieses  Farbstoffs  als  Indikator  des  Reduktionsvermögens  und  des- 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  479 

halb  auch  zur  Differentialdiagnose  wurde  von  Kitasato  und  W  e  y  1 
(s.  o.)  und  von  G  e  r  m  a  n  o  und  Maurea^)  im  Laboratorium  des  Ver- 
fassers festgestellt.  Es  muß  aber  beachtet  werden,  daß  die  Entfärbiuig 
des  Indigos  auch  durch  Oxydation  bewirkt  werden  kann,  worauf  ja  eine 
Bestimmungsmethode  der  Salpetersäure  beruht.  Die  Entscheidung  darüber, 
ob  Rediiktion  oder  Oxydation  vorliegt,  läßt  sich  aber  leicht  liefern:  wenn 
die  Luft,  wie  es  in  der  Bakterienkultur  die  Regel  ist,  die  Farbe  zurück- 
ruft, handelt  es  sich  vun  erstere.  Wenn  die  Farbnährböden  älter  werden, 
^cheint  sich  der  Farbstoff  durch  Oxydation  allerdings  zu  zersetzen.  Daher 
warnen  wohl  Smith  und  Müller  vor  ihrer  Benutzung  *). 

Neutralrot  (Toluylenrot,  eine  Azinfarbe)  wird  seit  Roth- 
berger  mit  großem  Erfolg  neuerdings  zur  Differentialdiagnose  zwischen 
Bac.  typhi  (dysenteriae  und  pseudysenteriae)  und  coli  (paratyphi)  ver- 
wandt'), weil  die  Unterschiede  in  der  Tat  sehr  ins  Auge  fallen:  Zusatz 
von  1  —  2  Tropfen  einer  2prozentigen  wässerigen  Lösung  auf  ein  Röhrchen 
gibt  dem  Nährboden  eine  dunkelrote  Farbe,  die  durch  Typhus  usw.  nicht 
verändert  wird,  während  B.  coli  eine  grünlich  gelbrote  Fluoreszenz  und 
völlige  Entfärbung  hervorruft.  Ein  starker  Zuckergehalt  beeinträchtigt 
die  Reaktion  nicht.  Man  kann  in  solchen  Nährböden  vielmehr  sehr  schöne 
Reduktion  und  Vergärung  nebeneinander  beobachten. 

Andere  Farbstoffe  sind  wohl  zu  entbehren  (vgl.  namentlich  R  o  t  h  - 
berger).     Über  gefärbte  Nährböden  zum  Säurenachweis  s.  S.  345. 

Für  manche  Zwecke  ist  Luftabschluß  der  Kultvu'en  zu  emp- 
fehlen, die  durch  Überschi chtimg  mit  flüssigem  Paraffin  oder  diu:ch  Kultur 
im  Gärungsröhrchen  zu  erreichen  ist.  Nach  unseren  Erfahrungen  sind  ein- 
fache Stichkulturen  am  geeignetsten.  Die  oberste  Schicht  behält  dabei 
mehr  oder  weniger  ihre  Farbe  oder  gewinnt  sie  wenigstens  bald  wieder, 
wenn  die  Bakterien  den  Nährboden  nicht  mit  einer  fest  schließenden  Decke 
überziehen. 

Zur  genauen  Messung  der  Reduktionskraft  eignet  sich  außer  dem 
W  i  c  h  e  r  n  sehen  (s.  o.  S.  478)  das  von  Cathcart  und  Hahn  emp- 
fohlene Verfahren.  Es  setzt  freilich  die  Verwendung  großer  Bakterien- 
massen voraus.  Diese  werden  auf  Agarplatten  frisch  gewonnen,  davon 
vorsichtig  abgehoben,  feucht  gewogen  und  in  Mengen  von  0,2  g  zu  je  lOccm 
Bouillon  -j-  Methylenblau  gesetzt.  1  ccm  ein  0,1  proz.  Lösung  wurde  z.  B. 
reduziert  von  Staphylocoo.  pyogenes  aureus  in  30  Sekimden,  von  Bac. 
coli  in  140  Sekimden,  von  Bac.  aerogenes  in  70  Sekunden;  1  ccm  einer 
1  proz.  Losung  von  Prodigiosus  in  7  Minuten  3ö  Sekunden,  von  Bac. 
megatherium  noch  nicht  in  einer  halben  Stunde.  Boiüllonkulturen  sind 
viel  weniger  wirksam  als  Aufschwemmungen.  Alte  Kulturen  reduzieren 
viel  schwächer.  Die  günstigste  Temperatur  für  die  Reduktion  ist  im  all- 
gemeinen 37*,  ausnahmsweise  (bei  Staphylokokken)  50 — 55^. 

Es  ist  anzunehmen,  daß  das  Reduktionsvermögen,  wie  andere 
Bakterieneigenschaften  der  Variabilität  unterworfen  ist.  So  er- 
klärt es  sich,    daß  Behring   bei    virulenten  Milzbrandkulturen  andere 


1)  Zieglers  Beiträge  12,  531,  1893. 

2)  Über  Bakterien-Farbstoffe  und  ihr  Verhalten  zum  Sauerstoff  vgl. 
§  253  u.  254. 

3)  Vgl.  auch  Soheffler,  Zentr.  Bakt.   28,    1900. 


480  Kap.  VIU,  f  161—163. 

Ergebnisse  hatte  als  bei  abgeschwächten.  Die  von  ihm  beobachtete 
Beziehung  zwischen  Virulenz  und  Reduktionsvermögen  (s.  o.)  fanden 
aber  Cathcart  und  Hahn  bei  Cholerakulturen  nicht  wieder.  Ebenso- 
wenig konnte  ein  Zusammenhang  zwischen  Giftigkeit  und  Reduktions- 
vermögen festgestellt  werden.  Diphtherie-  und  Tetanusgiftpräparate 
reduzierten  nicht,   wohl  eine  Lösiuig  von  Schlangengift. 

Während  Deutsch  durch  Behandlung  von  Tieren  mit  filtriert^ii 
Kulturen  des  Micrococ.  ureae  ein  Serum  mit  antireduzierenden  Eigen- 
schaften erhalten  haben  wollte,  gelang  das  Cathcart  und  Hahn 
nicht. 

§  162.  Reduktionen  in  Milch  und  Abwasser.  Die  Reduktion 
von  Farbstoffen  in  der  Milch  kann  zur  Bestimmung  des  Bakteriengehalt« 
benutzt  werden  (M.  N  e  i  ß  e  r  und  Wechsberg  ^),  Smidt*), 
P.  Th.  Müller  ^)).  Man  nimmt  dazu  am  besten  reine  Methylenblau- 
lösung, weil  nur  diese  von  frischer,  keimfrei  gewonnener  Milch  nicht 
oder  erst  nach  sehr  langer  Zeit  entfärbt  wird.  Das  Schardinger- 
sche  Reagens^),  das  neben  Methylenblau  (5  ccm  gesättigter  alkoholischer 
Lösung  und  190  ccm  aq.  dest.)  noch  Formalin  (5  ccm)  enthält,  wird 
auch  durch  bakterienfreie  Milch  (bei  Zusatz  von  1  :  20)  in  wenigen 
Minuten  bei  40 — 45®  entfärbt,  sofern  die  Milch  ungekocht  (bzw.  nicht 
auf  80°  erhitzt)  ist  und  ist  deshalb  zur  Unterscheidung  gekochter  und 
ungekochter  Milch  empfohlen  worden^). 

Man  hat  femer  versucht,  die  Reduktionsfähigkeit  eines  Ab- 
wassers für  Farbstoffe  wie  Methylenblau  zur  Beurteilung  seiner 
Fäulnisfähigkeit  zu  benutzen*),  indessen  ist  das  nach  Seligmann') 
auf  Grund  einzelner  Prüfungen  nicht  möglich.  Wiederholte  Unter- 
suchungen eines  und  desselben  Abwassers  zu  verschiedener  Zeit  auf 
seine  Reduktionskraft  gestatten  dagegen  ein  Urteil  darüber,  ob  die 


1)  Münchn.  med.  Wochenschr.  1900.  37. 

2)  Hyg.  Rundschau  1904,  23. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  66,  1906. 

4)  Zeitschr.  f.  Untersuchung  von  Nahrungsmitteln  1902. 

5)  S  m  i  d  t  (vgl.  auch  Arch.  f.  Hyg.  58)  nimmt  deswegen  in  der 
Milch  selbst  ein  auf  da«  Formalin  katalytisch  wirkendes  Ferment  („Aldehyd- 
katalase")  an,  das  den  Bakterien  der  Milch  fehlen  soll,  während  diese  selbst 
Reduktasen  bilden.  Über  die  entgegenstehenden  Ansichten  Seligmanns 
(Zeitschr.  f.  Hyg.  50  u.  52)  und  die  übrige  Literatur  über  Reduktion  in 
der  Milch  s.  bei  S  m  i  d  t ,  femer  bei  Brand  (Münchn.  med.  Wochenschr. 
1907,  17).  S  e  1  i  g  m  a  n  n  (Zeitschr.  f.  Hyg.  58,  1908)  hält  aber  neuerdings 
wieder  seinen  Satz,  daß  die  bisher  bekannten  Reduktionsvorgänge  in  frischer 
wie  in  älterer  Milch  bakterieller  Natur  seien,  aufrecht. 

6)  S  p  i  1 1  a  und  W  e  1  d  e  r  t ,  Mitteil,  aus  der  kÖnigl.  Priifungs- 
anstalt  für  Wasserversorgung  und  Abwasserbeseitigung   1906,  H.   6. 

7)  Zeitschr.  f.  Hyg.  66,  1907. 


Wandlungen  der  Glykoside  u.  aromatischen  Körper.  4Si 

bakteriellen  Zersetzungen  im  Wasser  zu-  oder  abnehmen:  im  ersteren 
Falle  erhält  man  eine  ansteigende,  im  letzteren  eine  abfallende  „Re- 
cluktionskurve' '. 

§  163.  Synthesen  von  Glykosiden  nnd  aromatischen  Stoffen. 
Das  durch  dieselben  Enzyme,  die  Glykoside  spalten,  auch  solche 
aus  den  Spaltungsprodukten  gebildet  werden  können,  mit  anderen 
Worten,  daß  diese  wie  andere  Fermentreaktionen  umkehrbar  sind, 
haben  Emmerling^)  für  das  Amygdalin  und  die  Hefenmaltase 
(§  154),  Wisser^)  für  das  Salizin  und  das  Emulsin  nachgewiesen. 
Ob  derartige  Vorgänge  aber  bei  den  Mikroorganismen  häufig  vor- 
kommen, ißt  unbestimmt,  da  wir  über  die  Bildung  von  Glykosiden 
durch  sie  unter  natürlichen  Bedingungen  nur  wenig  wissen.  Nach 
Gabrilowitsch^)  soll  der  Giftstoff  des  „tnmkenen"  Getreides 
ein  stickstoffhaltiges  Glykosid  sein,  das  von  dem  Pilz  Fusarium 
r  0  s  e  u  m  auch  in  Reinkulturen  entwickelt  werde.  Zweifelhaft  ist  die 
Angabe  W  e  i  1  s  *) ,  das  S  o  1  a  n  i  n  der  Kartoffeln  werde  von  seinem 
Bacterium  solaniferum  colorabile  und  non  colorabile  erzeugt,  denn 
W i n t g e n  ^)  konnte  sie  nicht  bestätigen  und  von  Morgen- 
stern*) findet  gesunde  Kartoffeln  ebenso  reich  an  Solanin  wie  kranke, 
schreibt  auch  dem  Solanin  eine  große  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Bakterienwirkungen  zu.  Die  Möglichkeit  der  Bildung  von  Glykosiden 
durch  Bakterien  wird  aber  auch  dadurch  nahe  gelegt,  daß  sie  auf  ge- 
wöhnlichen Nährböden  manche  Riechstoffe  bilden,  die  aus 
Glykosiden  zu  entstehen  pflegen  (s.  o.  §  153).  Die  gleiche  Bildungsart 
wäre  für  die  wohl  mindestens  teilweise  zu  den  aromatischen  Stoffen 
gehörenden  Farbstoffe  der  Bakterien  denkbar  (§253). 

Für  die  aromatischen  Stoffe,  ob  sie  nim  Bestandteile  von  Glyko- 
siden sind  oder  nicht,  ist  die  einzige  Quelle,  die  wir  bisher  sicher  kennen, 
der  Abbau  des  Eiweißes  (Kap.  IX).  Da  Eiweiß  auch  aus  einfachsten 
Verbindungen  aufgebaut  werden  kann,  gilt  dasselbe  von  seinen  aroma- 
tischen Kernen.  Über  die  Art  und  Weise,  wie  sie  entstehen,  ist  aber 
nichts  bekannt. 

Von  der  Bildung  der  Humusstoffe  haben  wir  schon  früher  ge- 
sprochen (§  118). 

1)  Ber.  deutsch,  ehem.  Ges.  34.  3810,  1901. 

2)  Zeitschr.  physikal.  Chem.  52,  257,   1905. 

3)  Ref.  Chem.  Zeitg.  Repert.    1907.   156  (nach  Behrens  in  La- 
fars  Handb.   1.  645). 

4)  Arch.  f.  Hyg.   38,    1900,  Arch.  f.   Pharmazie  245,   1906. 

5)  Zeitschr.  f.   Unterschg.   v.  Nahrungsmitteln,    1906. 

6)  Landwirtschaft!.  Versuchsstation.  65,   1907. 


Kruse,  Mikrobiologie.  31 


Kapitel    IX. 

Wandlungen  der  Eiweißkörper. 

§  164.  Einleitung.  Wenn  wir  uns  jetzt  den  Umwandlungen  zu- 
wenden, die  die  stickstoffhaltigen  Substanzen,  und  zwar  in  erster  Linie 
die  Eiweißkörper,  im  Stoffwechsel  der  Mikroorganismen  erfahren,  so 
dürfen  wir  uns  nicht  verhehlen,  daß  die  Aufgabe,  diese  Umwandlungen 
erschöpfend  darzustellen,  eine  sehr  viel  schwierigere  ist,  als  diejenige 
war,  die  wir  in  den  vorstehenden  Kapiteln  zu  erledigen  hatten.  Handelt 
es  sich  doch  um  sehr  verwickelt  gebaute  Stoffe,  über  deren  Zusammen- 
setzung wir  zudem  trotz  den  Arbeiten  E.  Fischers  u.  a.  vorläufig 
noch  ziemlich  mangelhaft  imterrichtet  sind.  Das  ist  um  so  bedauer- 
licher, als  die  Eiweißkörper  den  wichtigsten  Bestandteil  der  gesamten 
organischen  Substanz  und  den  größten  Teil  der  tierischen  Substanz 
ausmachen  und  als  Nahrungsstoffe  für  die  allermeisten  Mikroorganismen 
von  Bedeutung,  für  viele,  wie  wir  §  32  gesehen  haben,  unentbehrlich  sind. 

Daß  manche  lösliche  Eiweißstoffe,  so  wie  sie  sind,  von  den  Mikro- 
organismen aufgenommen  werden,  haben  wir  keinen  Grund  zu  be- 
zweifeln, ob  es  aber  solche  gibt,  die  nachträglich  keine  weitere  Ver- 
änderung erfahren,  ist  mehr  als  zweifelhaft.  Denn  wenn  auch  das 
Protoplasma  im  wesentlichen  aus  „Eiweiß"  besteht,  so  ist  doch  „leben- 
des" Eiweiß  nicht  dasselbe  wie  totes,  ja  das  Eiweiß  jeder  Spezies  von 
Organismen  scheint  besondere  Eigentümlichkeiten,  die  sog.  „Spezi- 
fizität",  zu  besitzen,  die  es  durch  die  „Assimilation"  erhält  (vgl.  §  61* 
221  u.  334).  Einen  klaren  chemischen  Ausdruck  dafür  besitzen  wir 
aber  noch  nicht. 

Feste  Eiweißkörper  können  nicht  als  solche  der  Ernährung  dienen, 
sondern  müssen  durch  einen  Verflüssigungsprozeß  dazu  vorbereitet 
werden,  ebenso  viele  der  löslichen,  aber  schwer  diffimdierbaren  Eiweiß- 
stoffe. Bekanntlich  besorgen  dieses  Geschäft  bei  den  höheren  Organis- 
men die  proteolytischen  (oder  peptonisierenden)  Verdauungs- 
fermente. Bei  den  Mikroorganismen  (§  165  u.  166)  finden  wir  sie, 
und  zwar  teils  außerhalb,  teils  innerhalb  der  Zellen  wieder.  Seit  langem 
wird  die  Proteolyse  der  Verflüssigimg  und  Hydrolyse  der  Polysaccharide 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  483 

an  die  Seite  gestellt  (§  60,  §  69 — 83a).  Man  nahm  also  zunächst 
an,  daß  das  komplizierte  Eiweißmolekül  unter  Wasseraufnahme  in  ein- 
fachere Moleküle,  die  sogenannten  Albumosen  und  Peptone  gespalten 
werde,  ebenso  wie  die  Starke  durch  Diastase  in  Dextrin'  und  Maltose 
zerfaUe.  Die  Vergleichung  wurde  noch  weiter  geführt:  wie  die  Disaccha- 
ride  durch  Invertase,  Maltase  und  andere  hydrolytische  Enzyme  in  die 
einfachen  Zucker  gespalten  werden,  so  zerlegen  Trypsin,  Erepsin, 
Endotryptase  die  Albumosen  und  Peptone  in  Aminosäuren  und  die 
übrigen  einfachen  Körper,  aus  denen  das  Eiweißmolekül  zusammen- 
gesetzt ist.  Daß  hier  wirklich  im  wesentlichen  Hydrolysen  vorliegen, 
ist  aber  erst  durch  E.  Fischers  Arbeiten^)  über  den  Auf-  und  Ab- 
bau des  Eiweißes  bewiesen  oder  besser  gesagt  sehr  wahrscheinlich  ge- 
macht worden.  Es  ist  nämlich  nicht  nur  gelungen,  die  einzelnen  Amino- 
säuren miteinander  in  säureamidartige  Verbindungen,  die  sogenannten 
Di-,  Tri-  und  Polj^eptide  zu  vereinigen  und  diese  durch  Säuren,  Tryp- 
sin usw.  unter  Wassereintritt  wieder  in  die  betreffenden  Aminosäuren 
zu  zerlegen,  sondern  auch  nachgewiesen,  daß  diese  in  ihren  Reaktionen 
auch  sonst  Peptonen  und  Albumosen  ähneln.  Schließlich  sind  die 
Peptide  auch  aus  den  durch  Verdauung  von  Eiweiß  erhaltenen  Ge- 
mischen zu  isolieren.  Man  könnte  daraus  fast  den  Schluß  ziehen,  daß 
die  sogenannten  Albumosen  und  Peptone  der  Hauptsache  nach  nichts 
weiter  wären  als  solche  Polypeptide,  und  daß  die  Eiweißkörper  selbst 
aus  sehr  langen,  durch  ihre  Amid-  und  Säuregruppen  verbundenen 
Ketten  von  Aminosäuren  beständen,  die  durch  fortschreitende  Hydro- 
lyse in  Polypeptide  und  endlich  in  Aminosäuren  zerfallen.  Bisher  sind 
Polypeptide  zwar  noch  nicht  aus  Kulturen  von  Mikroorganismen  dar- 
gestellt worden,  wohl  aber  oft  Aminosäuren,  und  es  liegt  kein  Grund 
vor,  zu  bezweifeln,  daß  die  Lösung  der  Eiweißkörper  durch  sie  in  ähn- 
licher Weise  erfolgt,  wie  durch  die  tierischen  und  pflanzlichen  Fer- 
mente, Sauren  usw. 

Mit  der  hydrolytischen  Spaltung  des  Eiweißes  ist  es  aber  nicht 
getan.  Bei  der  sogenannten  Fäulnis  und  auch  bei  anderen  nicht 
unter  Bildung  stinkender  Erzeugnisse  erfolgenden  Zersetzungen  durch 
Raicterien  und  Pilze  begegnen  wir  tieferen  Spaltungen  des 
Eiweißmoleküls  (§  167 — 175)  mit  Bildung  von  Ammoniak  und  Aminen, 
Kohlensäure,  Fettsäuren  und  aromatischen  Säuren,  Schwefelwasser- 
stcrff  imd  Sumpfgas,  Phenol,  Skatol,  Indol  u.  a.  m.  Man  ist  berechtigt. 


1)  Vgl.  E.  Fischer,  Untersuchungen  über  Aminosäuren,  Poly- 
I>eptide  und  Proteine,  zusammengestellt  aus  dem  Ber.  ehem.  Ges.  1899 — 1906 
Berlin  1906,  Cohnheim,  Chemie  der  Eiweißkörper  2.  Aufl.,  1904, 
Abderhalden,  Neuere  Ergebnisse  auf  dem  Gebiet  der  speziellen 
Eiweißchemie  1909. 

31* 


484  Kap.  IX,   §  164. 

diese  Stoffe  von  Zerlegungen  der  Aminosäuren,  die  ohne  Beteiligung 
des  liuftsauerstoffs  erfolgen,  herzuleiten,  die  Prozesse,  aus  denen  sie  ent- 
stehen, den  früher  besprochenen  Spaltungsgärungen  der  Kohlenhydrate 
(§  84—117),  Fettsäuren  (§  139—148)  usw.  an  die  Seite  zu  stellen,  und 
daher  von  Ammoniak-,  Fettsäure-  und  anderen  Gärungen  des 
Eiweißes  zu  sprechen.  Die  Zurückführung  derselben  auf  Enzyme 
(„Aminazidasen'')  scheint  sogar  nach  neueren  Erfahrungen  möglich 
zu  sein  (§  166  u.  169).  Wie  bei  anderen  Spaltungsgärungen  wird  man 
daran  denken  dürfen,  daß  sie  im  allgemeinen  nicht  der  Assimilation, 
sondern  der  Lieferung  von  Betriebskraft  dienen.  Doch  zeigt  das  Studium 
der  Wärmeverhältnisse,  daß  die  Sache  gerade  bei  den  Spaltungs- 
gärungen der  Eiweißkörper  nicht  so  einfach  liegt,  wie  bei  denen  der 
Kohlenhydrate  (§  231). 

Zwei  Arten  von  Spaltungen,  bei  denen  Anmioniak  entsteht,  er- 
fordern eine  besondere  Betrachtung.  Erstens  geht  schon  die  hydro- 
lytische Spaltung  des  Eiweißes  durch  Trypsin  usw.  mit  der  Bildung 
von  wechselnden  Mengen  (0,4 — 4,0%)  Anmioniak  einher.  Da  die 
Hydrolyse  der  Aminosäuren  und  Peptide  dergleichen  nicht  fertig 
bringt,  muß  der  „Amidstickstoff"  einer  anderen  Quelle  entstammen. 
Man  könnte  annehmen,  daß  er  aus  Säureamiden,  wie  das  Asparagin 
eines  ist,  abgespalten  würde,  in  der  Tat  steht  die  Menge  des  Amid- 
stickstoffs  in  einer  gewissen  Beziehung  zu  dem  Gehalt  der  Eiweiß- 
körper an  Aminodikarbonsäuren  (Asparagin-  imd  Glutaminsäure),  und 
die  Spaltung  des  Asparagins  in  Ammoniak  und  Asparaginsäure  gelingt 
nicht  nur  leicht  durch  Hydrolyse  mit  Säuren,  sondern  auch  durch  ein 
Enzym  des  Proteus  und  Pyocyaneus  (§  169).  In  jedem  Falle  wird  man 
also  nachzuforschen  haben,  ob  die  Quelle  der  Ammoniakbildung  durch 
Mikroorganismen  in  einem  ähnlichen  Vorgange  oder  in  der  Abspaltung 
des  fester  gebundenen   Stickstoffes  gesucht  werden  muß. 

Eine  von  der  Fäulnis  abweichende  Zersetzung  der  Aminosäuren 
ist  von  F.  Ehrlich  entdeckt  worden.  Wir  haben  schon  früher 
die  Bildung  des  Amylalkohols  und  anderer  Alkohole  durch  Hefe  aus 
dem  Ijeuzin  und  anderen  Aminosäuren  erwähnt  (§  90).  Bei  ihr  ent- 
steht nebenher  Kohlensäure  und  Ammoniak,  der  letztere  wird  aber 
nicht  frei,  sondern  von  der  Hefe  als  Stickstoffnahrung  verbraucht. 
Wir  haben  hier  also,  wenn  man  will,  zwar  eine  Gärung,  aber  eine  solche, 
die  nicht  nur  Kraft,  sondern  auch  Baustoffe  zu  liefern  bestimmt  ist. 
Man  könnte  sie  daher  der  Spaltung  gewisser  Glykoside  an  die  Seite 
stellen,  wenn  es  auch  noch  nicht  geglückt  ist,  das  entsprechende  Enzyni 
darzustellen  (§  173).  t^brigens  wird  auch  sonst  wohl  nicht  selten  die 
Spaltung  der  Aminosäuren  dem  Stof fersatz  dienen,  da  ja  die  zahlreichen 
Aminosäuren  des  Eiweißes  bei  Ernährung  der  Mikroben  z.  B.  mit  einer 


Wandliingen  der  Eiweißkörper.  485 

einzigen  Aminosäure  nicht  gut  ohne  tiefere  Spaltung  der  letzteren 
aufgebaut  werden  können  (§231). 

Dasselbe  Ziel  wie  die  Spaltungsgärungen,  die  Lieferung  von  Betriebs- 
energie, erreichen  auf  einem  anderen  ergiebigeren  Wege  die  0  x  y  d  a  - 
t  i  0  n  e  n  ,  d.  h.  die  Zersetzimgen  der  Eiweißkörper,  bei  denen  sich  der 
Sauerstoff  der  Luft  beteiligt  (§  176).  Bisher  sind  diese  Prozesse,  die  auf 
luftliebende  Kleinwesen  zurückzuführen  sind  und  die  man  unter  dem 
bekannten  Namen  der  „Verwesung''  zusammengefaßt  hat,  noch  nicht 
ausreichend  studiert  worden.  Sie  scheinen  sich  regelmäßig  mit  Spal- 
tungen zu  verbinden.  Daß  unvollständige,  aber  umfangreiche  Oxyda- 
dationsvorgänge  hier  mit  unterlaufen,  die  den  Namen  von  Oxyda- 
tionsgärungen verdienen,  ist  bekannt,  ja  es  wiederholt  sich  hier 
sogar  die  Oxalsäuregärung,  die  wir  schon  früher  kennen  gelernt  haben 
(§  122). 

Reduktionsprozesse  kommen  zwar  im  Verlaufe  der  Fäul- 
nis vielfach  vor,  aber  sie  sind  wie  bei  allen  Spaltungsgärungen  stets 
verbunden  mit  Oxydationen^). 

Kondensationen,  Ester-  und  Anhydridbil- 
düng  von  Aminosäuren  und  Peptiden  sind  im  Stoffwechsel 
der  Mikroorganismen  wohl  ebenso  verbreitet  wie  in  dem  der  höheren 
Oigamsmen.  Sie  stellen  die  einfachsten  Synthesen  (s.  u.)  vor.  Daß 
dabei  dieselben  Enzyme,  die  der  Hydrolyse  dienen,  eine  Rolle  spielen, 
kann  man  bisher  nur  vermuten. 

Sicher  nachgewiesen  sind  Enzyme  bei  einem  Koagulations- 
vorgange, dessen  eigentliche  Bedeutung  man  freilich  noch  nicht 
genügend  kennt,  nämlich  bei  der  Labgerinnung  (§  177).  Man 
hat  versucht,  auch  diesen  Prozeß  als  eine  Kondensation  zu  betrachten, 
doch  spricht  außer  anderem  der  Umstand  dagegen,  daß  die  Lab- 
gerinnung stets  von  der  Proteolyse  gefolgt  ist.  Sie  scheint  also  nichts 
anderes  zu  sein  als  ein  Vorgang,  der  die  Verdauung  vorbereitet. 

Synthesen  kommen  für  die  eigentlichen  Eiweißkörper  kaum  in 
Frage,  weil  sie  selbst  schon  den  Höhepunkt  der  organischen  Synthese 
bedeuten,  um  so  mehr  aber  für  die  Abkömmlinge  der  Eiweißkörper, 
die  Aminosäuren  und  Peptide.  Sie  gehören  wohl  in  das  Gebiet  der  schon 
erwähnten  Anhydridbildungen  usw. 

Der  Aufbau  der  Aminosäuren  selbst,  aus  denen  wahrscheinlich  doch 
alles  Eiweiß  hervorgeht,  beschäftigt  uns  an  anderer  Stelle.  Dort  werden 
wir  auch  das  wenige,  was  man  über  die  Umwandlung  der  Eiweißkörper 
in  Fette  und  Kohlehydrate  weiß,  mitteilen  (§  229—231). 


1)  Über  die  Schwefelwasserstoff-  und  Merkaptanbildung  aus  Eiweiß- 
körpem  vgl.    §  205  u.  206. 


486  Kap.  IX,  §  165. 

§  165.  Proteolytische  (Verdauuiig8-)Enzyme.   Das  Vorkom- 
men  proteolytischer  Enzyme  bei  Mikroorganismen  war  von  vornherein 
durch  die  Beobachtung  sehr  wahrscheinlich  gemacht,  daß  viele  von  ihnen 
imstande  sind,  Gelatine  und  andere  feste  Eiweißkörper  zu  verflüssigen 
und   Spaltungsprodukte  zu  bilden,   die  denen  der  Eiweißverdauung 
mehr  oder  weniger  nahestehen.  Der  sichere  Beweis  wurde  aber  erst  durch 
Bitter^)  geliefert.    Er  fand,  daß  Kulturen  des  Spirill.  cholerae,  die 
durch  halbstündige  Erhitzimg  auf  60®  abgetötet  waren,  Gelatine  ver- 
flüssigten.   Senger,  Jerosch,  Rietsch  und  Sternberg ^) 
bewiesen  das  gleiche  für  verschiedene  andere  sogenannte  „verflüssigende^' 
Bakterien  und  stellten  teilweise  schon  das  Ferment  durch  Fällung  mit 
Alkohol   dar.     Am   ausführlichsten   waren   die    Untersuchungen   von 
F  e  r  m  i  ^) ,  dem  die  Ausschaltung  der  lebenden  Bakterien  nicht  nur 
durch  Erhitzung  auf  56 — 60*^,  sondern  auch  durch  Zusatz  von  Sublimat, 
Karbol-  und  Salizylsäure  oder  Filtrieren  durch  Porzellan  gelang.   Aus 
Gelatinekulturen  erhielt  F  e  r  m  i  dann  die  Enzyme,  nachdem  er  durch 
verdünnten  Spiritus  den  Hauptteil  der  beigemengten  Stoffe  beseitigt 
hatte,  durch  Fällung  mit  absolutem  Alkohol.    Auch  durch  Ausziehen 
von   Kartoffelkulturen   ließen   sich   bemerkenswerterweise   wenigstens 
in  einem  Teil  der  Fälle  ziemlich  kräftige  Enzjone  gewinnen.  Dargestellt 
wurden  die  Enzyme  von  F  e  r  m  i  bei  Microc.  ascifonms,  Bac.  prodi- 
giosus,  anthracis,  subtilis,  ramosus,  megatherium,  pyocyaneus,  Spirillum 
cholerae,  Finkler-Prior,  Miller,  Deneke  und  einem  Schimmelpilz,  dem 
Trichophyton  tonsurans.    Zur  Prüfung  der  proteolytischen  Kraft  be- 
nutzte Permi  im  allgemeinen  eine  Tprozentige  Lösung  von  Gelatine 
in  gesättigtem  Thymolwasser.    Die  Enzyme  des  Spir.  cholerae,  und 
Miller,  des  Bac.  prodigiosus  und  namentlich  des  Spir.  Finkler-Prior 
wirkten  auch  lösend  auf  Fibrin,  die  übrigen  nicht.   Dem  gegenüber  ist 
die  Angabe  von  Bienstock*)  nicht  recht  zu  verstehen,  daß  kein 
einziges  der  von  ihm  geprüften  zahlreichen  aeroben  oder  fakultativ 
anaeroben  Bakterien  imstande  gewesen  sei,  das  Fibrin  selbst  durch 
ihre  Lebenstätigkeit  anzugreifen.   Die  lösende  Wirkung  der  Bakterien- 
enzyme auf  das  Fibrin  wird  übrigens  gestört  durch  die  Gegenwart 
von  5Voo  Salzsäure,  5Vo  Karbol,  P/o  Sublimat  oder  IVoo  Salizyl- 
säure, nicht  die  auf  Gelatine^).    Beim  Trypsin  kann  man  ähnUches 


1)  Arch.  f.  Hyg.  5,   1886. 

2)  Baumgartens  Jahresber.   1887.   104  und  362  ff . 

3)  Arch.  f.  Hyg.   10,  12  und  14. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  36.  346. 

5)  Daraufi  erklärt  sich,  daß  viele  Bakterien  die  von  G  o  r  i  n  i  so- 
genannten Milchsäure-Labbakterien  (§  97)  bei  saurer  Reckktion  Gelatine 
verflüssigen. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  487 

beobachten,  beim  Pepsin  bleibt  Salz-  und  Salizylsäure  ohne  Einfluß. 
Umgekehrt  ist  die  Gegenwart  starker  Sodalösung  für  die  Proteo- 
lyse durch  Trypsin  und  Bakterien  ohne  Belang.  Durch  die  Reak- 
tion, bei  der  sie  lösen,  erscheinen  also  die  £n- 
zymederBakteriendemTrypsinähnlich.  In  anderer 
Beziehung  sind  sie  ihm  aber  wieder  unähnlich;  so  vertragen  die  Bak- 
terienfermente  eine  12tägige  Behandlung  mit  Iprozentiger  Salzsäure, 
während  das  Trypsin  und  Papayotin  dadurch  wirkungslos  werden.  Auch 
gegen  Erhitzung  ist  das  Trypsin  weniger  widerstandsfähig,  es  wird  schon 
durch  Temperaturen  von  50®  in  kurzer  Zeit  und  selbst  von  37®  binnen 
24  Stunden  geschädigt,  während  die  Bakterienenzyme  ihre  proteo- 
lytische Kraft  erst  bei  50 — ^70®  verlieren^).  Im  trockenen  Zustand  auf 
140®  erhitzt,  scheint  umgekehrt  das  Trypsin  länger  zu  widerstehen  als 
das  Enzym  des  Spirill.  Finkler-Prior  (F  e  r  m  i  und  P  e  r  n  o  s  s  i  ^)). 
Das  Sonnenlicht  zerstört  sowohl  das  eine  wie  das  andere  Ferment  auf 
die  Dauer. 

Zwischen  den  Enzymen  der  einzehien  Bakterien  zeigen  sich  übrigens 
auch  beträchtliche  Unterschiede  in  der  Empfindlichkeit  gegenüber 
schädigenden  Einflüssen,  wie  hohen  Temperaturen,  Säuren,  Giften^).  So 
wird  z.  B.  durch  Schwefelwasserstoffdurchleitung  von  einer  Stunde 
Dauer  das  Ferment  des  Bac.  pyocyaneus,  des  Tetanus-  und  Milzbrand- 
bazilhis,  des  Spir.  Metschnikoff  und  Miller  fast  gar  nicht  geschwächt, 
das  des  Bac.  prodigiosus,  proteus  vulgaris  und  indicus  völlig  vernichtet. 
Trypsin  ist  demselben  Mittel  gegenüber  ziemlich  widerstandsfähig. 

Wichtiger  zur  Kennzeichnung  der  Enzyme  als  ihre  Widerstands- 
fähigkeit scheint  die  Wirkungsweise  auf  die  Eiweißkörper.  In  dieser 
Beziehung  sollen  die  Bakterienenzyme  nach  Fermi^)  eher  dem 
Pepsin  als  dem  Trjrpsin  gleichen,  ja  sie  sollen  die  Eiweißkörper 
sogar  noch  nicht  einmal,  wie  es  das  Pepsin  nach  längerer  Einwirkung 
tut,  zu  Pepton  spalten,  sondern  sie  nur  eben  in  den  löslichen  Zustand 
überführen.  Das  Fibrin  wird  dabei  so  verwandelt,  daß  es  zwar  durch 
Kochen  unfällbar,  aber  durch  Salpetersäure  in  der  Kälte  teilweise, 
und  in  der  Wärme  vollständig  gefällt  wird.  Frisches  Eieralbumin 
wird  zwar  von  den  Spir.  cholerae  und  Finkler-Prior  sowie  besonders 
vom  Bac.  prodigiosus  und  pyocyaneus,  nicht  vom  Bac.  anthracis  ver- 
flüssigt, verliert  aber  selbst  nach  zweimonatlicher  Einwirkung  nicht 
die  Eigenschaft,  durch  Kochen  zu  gerinnen.  Ähnlich  verhält  sich 
koaguliertes    Blutserum.     Lebende    Kulturen    des    Milzbrand- 

1)  Vgl.  Fermi,  Areh.  f.  Hyg.   12. 

2)  Zeitechr.  f.  Hyg.   18.   1894. 

3)  Vgl.  Permi,  Areh.  f.  Hyg.  12. 

4)  Ebenda  12.  27  ff. 


488  Kap.  IX,   §  165. 

bazillus,  Spir.  cholerae  und  Finkler-Prior,  Bac.  prodigiosus  und  pyo- 
cyaneus  und  Trichophyton  tonsurans  verflüssigten  das  Serum,  die 
Lösung  wurde  aber  durch  Kochen  und  Salpetersäure  in  der  Kälte  fast 
vollständig  flockig  gefällt.  Die  bakterienfreien  Enzyme  der  beiden 
Spirillen  lösten  das  Blutserum  gleichfalls,  die  der  übrigen  Mikroorganis- 
men nicht.  Die  Gerinnbarkeit  durch  Hitze  blieb  auch  hier  selbst  nach 
zweimonatlicher  Einwirkung  erhalten.  Allerdings  wül  Fermi  das- 
selbe  für  Trypsin  beobachtet  haben.  In  späteren  Versuchen^)  konnte 
derselbe  Autor  in  Eiweißgemischen,  die  mit  zahlreichen  Reinkulturen 
oder  Fäulnisbaktericn  geimpft  waren,  nach  mehrwöchentlicher  Ein- 
wirkung mittelst  die  Biuretprobe  niemals  Pepton  als  Bak- 
terienprodukt nachweisen. 

Man  muß  nach  diesen  Erfahrungen  F  e  r  m  i  s  wohl  zugeben,  daß 
in  vielen  Fällen  die  Enzyme  der  Mikroorganismen  die  Proteolyse  noch 
nicht  einmal  bis  zur  Stufe  des  Peptons  durchführen.  Daß  das  aber  ein 
allgemeines  Gesetz  sein  sollte,  ist  selbst,  wenn  wir  von  einzelnen  Bei- 
spielen, auf  die  wir  gleich  kommen  werden,  absehen,  ganz  und  gar 
unwahrscheinlich.  Wir  werden  bei  Besprechung  der  Fäulnis  (§  167  ff.) 
feststellen,  daß  viele  Bakterien  das  Eiweiß  noch  weiter  spalten  als  das 
Trypsin  und  sich  wahrscheinlich  zum  größten  Teil  dazu  echter  Enzyme 
bedienen.  Leider  ist  deren  Nachweis  freilich  noch  nicht  in  größerem 
Umfange  geliefert  worden,  aber  wohl  nur  deshalb,  weil  man  bei  den 
zahlreichen  in  Betracht  kommenden  Untersuchungen  nur  ausnahms- 
weise das  Augenmerk  auf  die  Enzyme  gerichtet  hat.  Diejenigen  Forscher, 
die  sich  nach  Fermi  mit  den  proteolytischen  Enzymen  der  Mikro- 
organismen beschäftigt  haben,  sahen  mehr  darauf,  ob  eine  Lösung 
stattfand  oder  nicht,  ließen  aber  meist  die  Produkte  der  Lösung  un- 
beachtet. So  hat  Eijkmann*)  durch  seine  Plattenmethode  uns  ein 
einfaches  Mittel  an  die  Hand  gegeben,  uns  von  dem  Vorhandensein 
eiweißlösender  Enzyme  zu  überzeugen.  Sämtliche  gelatineverflüssigende 
Mikroorganismen  hellen  z.  B.  auf  Platten,  die  mit  Kasein-  oder  Mileh- 
agar  hergestellt  sind,  den  Nährboden  im  Umkreise  der  Kolonien  auf 
einige  wenige  von  ihnen'),  wie  der  Bac.  pyocyaneus,  fluorescens  lique- 
faciens,  in  geringerem  Maße  auch  der  Bac.  anthracis  und  anthracoides, 
erzeugen  solche  „Höfe"  auf  Agarplatten,  die  mit  fein  zerhackten  elasti- 
schen Geweben  gemischt  sind.  Das  kann  nur  durch  die  Wirkung  von 
Enzymen  erklärt  werden.  In  der  Tat  hat  E  i  j  k  m  a  n  n  die  Losung 
des  E  1  a  s  t  i  n  s  auch  in  keimfreien  Filtraten  von  Bouillonkulturen 
des  Pyocyaneus  festgestellt. 

1)  Zentr.   Bakt.   20.   387. 

2)  Ebenda  29.  22,   1901. 

3)  Ebenda  35.   l,   1903. 


Wandlungen  d^  Eiweißkörper.  489 

Eine  genauere  Untersuchung  der  en^ymatischen  Spaltungsprodukte 
des  Eiweißes,  die  zu  anderen  Ergebnissen  als  die  F  e  r  m  i  sehe  Arbeit 
führte,  hat  u.  a.  Emmerling^)  vorgenommen.  Er  vermischte 
-^Jg  Bakteriensubstanz  des  Bac.  fluorescens  liquefaciens 
mit  1000  g  Fibrin  und  ließ  die  wässerige  Aufschwemmung  mit  Toluol- 
zusatz  wochenlang  bei  37^  stehen.  Allmählich  ging  sämtliches  Fibrin 
in  Lösimg.  Pepton  war  lange  nachweisbar.  Dazu  traten  dann 
Tyrosin,  Arginin,  Leuzin,  Asparaginsäure,  alles 
Produkte,  die  bei  der  Trypsin-  und  durch  Emmerling  selbst  bei 
der  Papayotinverdauung  nachgewiesen  worden  sind.  Dieser  Versuch 
ist  insofern  nicht  einwandfrei,  als  nicht  die  nach  außen  abgesonderten 
Enzyme  der  Bakterien,  sondern  deren  Endoenzyme  (s.  u.  §  166)  geprüft 
wurden.  Wir  glauben  sie  aber  schon  hier  wiedergeben  zu  sollen,  weil  der 
Fluorescens  zu  den  Bakterien  gehört,  die  Eiweiß  besonders  energisch  lösen: 

Einwandfrei  ist  dagegen  die  Untersuchung  Ealischers^) 
über  die  Verdauung  des  Kaseins  durch  Milchbakterien  aus  der  Gruppe 
der  Heubazillen.  Er  benutzte  zu  seinen  Versuchen  durch  Chamber- 
landfilter  filtrierte  alte  Bouillonkulturen  oder  durch  gewöhnliches 
Filtrierpapier  hindurchgegangene  Bouillon  mit  Zusatz  von  Thymol 
oder  ToluoL  Natürliche  Milch  oder  künstliche  Easeinlösung  wurden 
zunächst  durch  diese  Filtrate  zur  Gerinnung  gebracht  (s.  u.  Labferment 
§  177),  dann  aber  allmählich  gelöst.  In  einem  Versuch  hörte  die  Enzym- 
räkung  mit  der  Peptonisierung  auf,  in  einem  anderen,  in  dem 
größere  Mengen  von  kräftiger  wirkender  Enzymlösung  zur  Verwen- 
dung gelangten,  wurde  nicht  nur  alles  Kasein  binnen  zwei  Tagen  in 
Pepton  übergeführt,  sondern  das  Pepton  noch  weiter  gespalten. 
Leuzin  und  Tyrosin  wurden  isoliert,  die  Tryptophan- 
r  e  a  k  t  i  o  n  fiel  positiv  aus,  und  in  dem  Ätherextrakt  wurde  durch 
die  M  i  1 1  o  n  sehe  Beaktion  die  Anwesenheit  einer  aromatischen  Oxy- 
saure  festgestellt.  Durch  diese  letztere  Reaktion  geht  die  Ferment- 
wirkung also  sogar  über  die  des  T  r  y  p  s  i  n  s  hinaus  (vgl.  §  166).  Spuren 
von  Ammoniak  wurden,  wie  so  häufig  bei  der  Trypsinverdauung,  eben- 
falls entwickelt.  Das  proteolytische  Enzym  ließ  sich  durch  Alkohol 
aus  der  Fermentbouillon  ausfällen,  meist  in  Gesellschaft  des  Lab- 
enzyms; aus  6  Wochen  alter  Bouillon  wurde  nur  das  erstere  gewonnen. 

Bei  einigen  Anaerobiem  hat  Achalme^)  folgendes  festgestellt. 
Zunächst  gelang  es  ihm  nicht,  wie  anderen  Forschern^),  mittelst  Filtra- 


1)  Ber.  ehem.  Ges.   1902.  700. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  37.  48,   1900. 

3)  Annal.  Pasteur  1902,  649. 

4)  Passini  (Zeitschr.  f.  Hyg.  49.  153)  erhielt  z.  B.  in  Pukallfiltraten 
des  Bac.  putrificus  ein  peptonisierendes  Ferment. 


490  Kap.  IX,   §  165. 

tion  durch  Tonfilter  das  Enzym  nachzuweisen,  sondern  nur  dadurch, 
daß  er  die  Kulturen  zentrifugierte  und  die  klare  Flüssigkeit  mit  Zusatz 
von  Chloroform  oder  besser  von  Senföl  bei  48®  verwandte.  Durch 
diese  Lösung  wurde  nicht  nur  Gelatine,  sondern  auch  Kasein,  Fibrin, 
iSvntonin  imd  Eiereiweiß  peptonisiert,  die  weitere  Spaltung  bis  zum 
Leuzin  und  Tyrosin  ging  aber  nur  sehr  langsam  von  statten, 
während  die  lebenden  Bakterien  so  schnell  über  die  Stufe  des 
Peptons  hinausgelangen,  daß  es  in  lebenden  Kulturen  nur  schwer  nach- 
gewiesen werden  kann.  Mit  dem  Trypsin  des  Pankreas  stimmt  das 
Enzym  dadurch  überein,  daß  es  nur  bei  deutlich  alkalischer  Reaktion 
kräftig  wirkt  und  durch  Zusatz  von  Blutserum  in  seiner  Wirkimg  ge- 
hemmt wird.  Die  Ähnlichkeit  geht  sogar  so  weit,  daß  das  „Antitrypsin'*, 
das  Achalme^)  durch  Einspritzung  von  Pankreatin  im  Tiere  erzeugen 
konnte,  auch  das  Bakterientrypsin  fast  ebenso  stark  beeinflußte.  Die 
Ausscheidung  des  Enzyms  durch  die  Bakterien  ist  in  den  ersten  Tagen 
sehr  gering,  sie  wird  erst  energischer,  wenn  die  Sporulation  und  damit 
die  Auflösung  des  Bakterienkörpers  beginnt.  Es  läßt  sich  nicht  leugnen, 
daß  das  Verdaumigsenzym  der  Anaerobier  durch  diese  Eigenschaft 
sich  wieder  den  intrazellulären  Enzymen  (§  166)  nähert. 

Von  anderen  Arbeiten  über  Bakterien  seien  noch  erwähnt  die  von 
C  a  c  a  c  e  ^)  imd  Mavrojannis^),  obwohl  beide  Verfasser  nicht 
mit  Enzymen,  sondern  mit  lebenden  Kulturen  gearbeitet  haben.  Ca- 
c  a  c  e  wies  durch  Züchtung  der  Sarcina  aurantiaca  des  Bac.  anthracis 
imd  Staphyloc.  pyogenes  aureus  in  Gelatine  und  koaguliertem  Rinder- 
blutserum nach,  daß  diese  Bakterien  das  Eiweiß  in  ähnlicher  Weise 
spalten  wie  Verdauungsfermente,  unter  Bildung  von  Proto-  und 
Deuteroalbumosen  und  Spuren  von  Pepton.  Um  diese  Pro- 
dukte nachzuweisen,  muß  man  aber  nicht  so  spät,  wie  es  Fermi 
getan,  sondern  in  einem  früheren  Zeitpunkt  untersuchen,  weil  sonst 
die  Spaltung  zu  einfacheren  Körpern  fortschreitet.  Letztere  wurden 
leider  nicht  geprüft.  Mavrojannis  benutzte  die  Erfahrung,  daß 
Formaldehyd  die  Lösimgen  der  ersten  Produkte  der  Eiweiß- 
und  Leimverdauung,  der  Albumosen  (Gelatosen)  zur  Erstarrung  bringt, 
die  Peptone  schon  nicht  mehr,  um  das  proteolytische  Vermögen  der 
Mikroorganismen  zu  studieren.  Er  fand  dabei,  daß  der  Staphyloc. 
pyog.  aureus  und  albus,  Bac.  anthracis,  pyocyaneus  imd  das  Spir. 
cholerae  zur  ersten,  Spir.  Deneke,  Finkler-Prior  imd  Metschnikoff 
zur  zweiten   Gruppe  gehören.    Aus  einer  alten  Denekekultur  gelang 


1)  Aniifal.  Pasteur  1901,  737. 

2)  Zentr.  Bakt.   30.  244,   1901. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  45,   1903. 


Wandlungen  der  Eiweißstoffe.  491 

es  dem  Verfasser  auch  in  gewisser  Menge  Gelatinepepton  auszuziehen. 
Es  liegt  auf  der  Hand,  daß  diese  Formalinhärtungsmethode  nur  gröbere 
Unterschiede  in  dem  Peptonisierungsvermögen  der  Bakterien  enthüllen 
k&nn. 

über  die  proteoljrtischen  Enzyme  der  Fadenpilze  liegen 
auch  einige  Untersuchungen  vor.  F  e  r  m  i  (s.  o.)  hatte  ihre  Existenz 
schon  für  Trichophyton  tonsurans  bewiesen,  D  u  c  I  a  u  x  ^)  imd  Han- 
sen^) für  Penicillium  glaucum  und  andere  Schimmelpilze.  B  o  - 
k  0  r  n  y  ^)  fand  bei  Yerdauungsversuchen  mit  Blutalbumin,  Hühnereiweiß, 
Milchkasein,  Ijegumin  und  Fleisch,  daß  durch  Schimmelpilze  bei  saurer 
Reaktion  nur  1—^%,  und  zwar  am  meisten  vom  Fleisch  gelöst  wurden. 
Er  betont  die  Ähnlichkeit  mit  der  Fepsinwirkung.  Genauer 
wurden  die  proteolytischen  Enzjrme  von  Malfiti^no^),  Butke- 
witsch^)  und  W  e  n  t  •)  studiert.  Die  Angaben  lauten  verschieden. 
Xach  Malfitano  geht  das  proteolytische  Enzym  des  Aspergillus 
oiger  nur  aus  absterbenden  oder  toten  Myzelien  in  die  Nährböden 
über  (s.  u.  §  166),  daher  entwickelt  es  sich  bei  Kultur  des  Filzes  in  Rau- 
linscher  Lösung  bei  25^,  wo  das  Absterben  früher  erfolgt,  viel  schneller. 
Die  Art  der  Stickstoffemährung  soll  dabei  keinen  Einfluß  auf  den 
Enzymgehalt  der  Flüssigkeit  haben.  Am  reichlichsten  ist  die  „Protease" 
durch  Zerreiben  des  Pilzkörpers  selbst  zu  erhalten.  Sie  wirkt  am  besten 
bei  schwach  saurer  Reaktion,  wie  sie  durch  saure  Phosphate  er- 
halten wird,  aber  auch  noch  bei  neutraler  Reaktion,  während  alkalische 
ihre  Wirksamkeit  aufhebt.  Die  Proteolyse  steht  nicht  still  bei  dem 
Pepton,  sondern  geht  noch  weiter.  Die  Zersetzungsprodukte  stellte 
Malfitano  aber  nicht  näher  fest.  Gelatine  und  Kasein  wird  stärker 
angegriffen  als  Albumin,  durch  Hitze  koaguliertes  Albumin  widersteht 
überhaupt.  Butkewitschs  Versuchsanordnung  unterschied  sich 
insofern,  als  er  nicht  von  der  Raulinschen  Nährflüssigkeit,  sondern 
von  einer  Peptonzuckerlösung,  die  mit  Phosphorsäure  nur  wenig  an- 
gesäuert war,  ausging.  Es  zeigte  sich,  daß  sowohl  die  sterile  Kultur- 
flüssigkeit von  Aspergillus,  die  sauer  reagierte,  als  die  von  Peni- 
cillium glaucum  und  Mucor,  die  alkalisch  reagierte,  Gelatine 
verflüssigten.  Wurde  Pepton  durch  ein  Ammoniaksalz  ersetzt,  so  ent- 
hielt die  Kultur  kein  Enzym.  Innerhalb  des  Pilzkörpers  ließ  sich 
dagegen  stets  ein  solches  nachweisen,   allerdings  in  größerer  Menge 


1)  Le  lait,  1894. 

2)  Flora  89.  88. 

3)  Chemikerzeitung  26,  Kochs  Jahresber.   1902.  579. 

4)  Annal.  Paeteur  1900.  60  und  420. 

5)  Jahrb.  wiss.  Botanik  38,  1903. 

6)  Ebd.  36,  1901. 


492  Kap.  IX,   §  165. 

bei  Ernährung  mit  Pepton.  Von  den  Enzymen  wurde  auch  Fibrin 
und  Pepton  gespalten,  und  zwar  entstanden  dabei  L  e  u  z  i  n  imd 
T 7 r o s i n  neben  Ammoniak. 

W  e  n  t  s  Arbeit  endlich  ist  deshalb  bemerkenswert,  weil  sie  die 
Ausscheidung  von  proteolytischen  Enzymen  unter  verschiedenen  Er- 
nährungsbedingungen festzustellen  suchte:  unähnlich  den  Kohlehydrate 
spaltenden  Enz3mien  (vgl.  Kap.  VI)  bildet  die  Monilia  sitophila  proteo- 
lytische nur  auf  Nährböden,  die  Protein,  nicht  auf  solchen,  die  Kohle- 
hydrate, Glyzerin,  Fette  usw.  enthalten.  W  e  n  t  hält  es  für  eine  Art 
Trypsin,  weil  sich  unter  den  Spaltungsprodukten  Ammoniak  nach- 
weisen ließ. 

Eine  ,,Kasea8e"  (Duclaux)  fanden  femer  Bodin  und  Le- 
normand*)  in  den  Kulturfiltraten  eines  auf  der  Haut  schmarotzen- 
den Strahlenpilzes  (Oospora  oder  Mikrosporon).  Sie  löste 
nicht  bloß  Kasein,  sondern  ebenfalls  Gelatine,  Serum  und  Eier- 
eiweiß.  Eine  15  Minuten  dauernde  Erhitzung  auf  70°  schädigte 
sie  nur  wenig,  80**  zerstörte  sie  vollständig.  Das  Enzym  entwickelt 
sich  sehr  allmählich  imd  ist  am  kräftigsten  in  alten  Kulturen,  in  denen 
der  Pilzrasen  schon  stark  im  Schwinden  begriffen  ist  (vgl.  §  166). 

Die  Bildung  der  proteolytischen  Enzyme  durch  die  Mikro- 
organismen wird  durch  verschiedene  Umstände  beeinflußt.  Viele  von 
ihnen  büßen  nach  Liborius^)  das  Verflüssigungsvermögen  ein, 
wenn  ihnen  die  Sauerstoff  zufuhr  beschränkt  wird;  eine  allgemeine 
Regel  ist  das  aber  nicht,  denn  unter  den  strengen  Anaerobiem  gibt  es 
bekanntlich  eine  Anzahl,  die  mit  besonders  kräftigen  eiweißlösenden 
Enzymen  begabt  sind.  Daß  zu  der  Proteolyse  selbst  der  Sauerstoff 
der  Luft  nötig  wäre,  ist  also  nicht  anzimehmen,  die  einmal  gebildeten 
Enzyme  werden  wohl  auch  bei  den  luftliebenden  Klein wesen  bei  Sauer- 
stoffabschluß ihre  Tätigkeit  ausüben,  und  nur  ihre  Erzeugung  sinkt. 
Ebenso  verschieden  wie  der  Einfluß  der  Luft  ist  der  der  Zusammen- 
setzung des  Nährbodens.  Wir  haben  schon  gesehen,  daß  von  vielen, 
aber  nicht  allen  Bakterien  proteolytische  Enzyme  auch  auf  Kartoffeln 
gebildet  werden,  also  auf  Stoffen,  die  kaum  eine  Verwendung  der 
Enzyme  gestatten  und  dabei  besonders  reich  an  Kohlehydraten  sind, 
während  umgekehrt  die  Monilia  sitophila  W  e  n  t  s  ihr  Enzym  nur 
auf  Proteinnährböden   ausscheidet. 

Etwas  zweifelhaft  ist  die  Deutung  folgender  Erfahrungen.  Die 
Gegenwart  von  Zucker  hemmt  nach  Liboriusu.  a.  die  Verflüssigung 
der  Gelatine  durch  den  Bac.  anthracis  und  die  Spirillen  völlig,  die  durch 


1)  Annal.  Pasteur  1901. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1,   1886. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  493 

den  Staphyloc.  pyogenes  aureus,  den  Bac.  prodigiosus  und  proteus 
vulgaris^nur  teilweise.  Andere,  wie  der  Bac.  subtilis,  aerophilus,  fluores- 
cens  liquefaciens  und  pyocyaneus  werden  gar  nicht  beeinflußt.  Im 
ersteren  Falle  kcmn  man  entweder  daran  denken,  daß  die  Bildung  des 
Enzyms  unterbleibt,  weil  die  Bakterien  bei  Gegenwart  des  Zuckers 
es  vorziehen,  aus  ihm  ihren  Nahrungsbedarf  zu  befriedigen,  also  die 
proteolytischen  Enzyme  nicht  produzieren,  weil  sie  ihrer  nicht  mehr 
bedürfen  (s.  o.  und  §  58),  oder  aber  die  saure  Reaktion  der  Spaltungs- 
produkte des  Zuckers  für  die  fehlende  Proteolyse  verantwortlich  machen. 

Die  Wirkung  von  Alkaloiden  auf  die  Fermentabsonderung 
hat  F  e  r  m  i  ^)  studiert.  Ein  Zusatz  von  Antip3nin  imd  Strychnin 
soll  sie  beim  Bac.  prodigiosus,  ein  solcher  von  Chinin  beim  Bac.  pyo- 
cyaneus aufheben,  ohne  das  Wachstum  der  Bakterien  deutlich  zu  be- 
einfluasen.  Die  Ursachen  sind  nicht  klar.  Wenn  das  Wachstum  be- 
einträchtigt würde,  wäre  das  Ausbleiben  der  Enzymbildung  natürlich 
nicht  weiter  verwunderlich. 

Aus  unserer  Darstellung  ergibt  sich,  daß  unsere  Kenntnisse  über 
die  proteolytischen  Enzyme  der  Mikroorganismen  noch  ziemlich  lücken- 
haft sind.  Soviel  ist  jedenfalls  klar,  daß  zwischen  den  einzelnen  Arten 
große  Unterschiede  bestehen,  die  wohl  nicht  bloß  darauf  beruhen, 
daß  die  Menge  des  gebildeten  EnzjmMi  wechselt,  sondern  ihre  Wirkungs- 
weise eine  imgleiche  und  mehr  oder  weniger  tiefgreifende  ist.  In  dieser 
Beziehung  haben  sie  bald  mehr  Ähnlichkeit  mit  dem  Pepsin,  bald  mit 
dem  Trjrpsin,  ohne  aber  sonst  mit  diesen  völlig  übereinzustimmen. 
Dem  Trypsin  stehen  sie  wohl  im  allgemeinen  insofern  näher,  als  alka- 
lische Reaktion  ihre  Wirksamkeit  meist  begünstigt,  doch  kommen 
besonders  bei  Pilzen,  aber  auch  bei  Bakterien  Ausnahmen  vor,  die  wahr- 
scheinlich in  manchen  Fällen,  z.  B.  bei  der  Reifung  des  Käses  (§  178), 
praktisch  bedeutsam  sind,  und  sich  vielleicht  durch  die  vorwiegende 
Beteiligung  von  Endoenzymen  (§  160)  an  der  Proteolyse  erklären. 

Daß  auch  den  Mikroorganismen  Fermente  zukommen,  die  bloß 
itnstande  sind,  Albumosen,  Pepton  mid  von  den  eigentlichen  Eiweiß- 
körpem  nur  Kasein  zu  spalten,  wie  das  E  r  e  p  s  i  n  der  Darmschleim- 
haut (C  0  h  n  h  e  i  m) ,  wird  von  V  i  n  e  s  behauptet.  Wir  kommen 
darauf  ebenfalls  bei  den  Endofermenten  (§  166)  zurück.  Neuerdings 
kaben  de  W  a  a  1  e  und  Vandevelde^)  angegeben,  auch  nicht 
verflüssigende  Bakterien  wie  Typhus-,  Paratyphus-  und  Colibazillen 
verflüssigten  bzw.  spalteten  die  Gelatine  und  Kasein  zu  Pepton.  Sie 
hestimmten  das  unveränderte  Kasein  (in  Milch  oder  Kaseinbouillon) 


1)  Arch.  f.  Hyg.   14. 

2)  Zentr.  Bakt.  39.  353,  1905. 


494  Kap.  IX,   §  165  u.  166. 

durch  Niederschlagen  mit  Essigsäure  und  die  Gelatine  durch  Fällei 
mit  TOprozentigem  Alkohol,  der  Albumosen  mid  Pepton  nicht  fallt 
Ob  es  sich  hier  um  eine  besondere  Enzymart  oder  um  Endotrypta& 
handelt,  steht  dahin.  Die  Fähigkeit,  Pepton  zu  spalten ,  besitze) 
alle  diese  Bakterien  (§  174). 

Nach  einigen  Beobachtungen  von  Delezenne  und  Breton* 
sollen  dieselben  und  andere  Mikroorganismen,  die  nicht  verflüssigende] 
Bac.  aerogenes,  coli,  typhi  imd  die  verflüssigenden  Bac.  mesentericu 
mid  Spirillum  Finkler-Prior  in  ihren  Kulturfiltraten  eine  Substan; 
enthalten,  die  der  Enterokinase  des  Darmsafts  (P  a  w  1  o  w 
entspricht,  d.  h.  die  Fähigkeit  besitzt,  die  verdauende  Tätigkeit  de.« 
Pankreassaftes  in  Gang  zu  bringen  oder,  wie  man  sagt,  das  Tiypsir 
zu  „aktivieren".  Nach  Breton  würden  die  Darmbakterien  durch 
diese  Eigenschaft  befähigt  sein,  die  Verdauimg  zu  unterstützen  (vgl. 
Infektionslehre). 

Auf  „Nukleasen",  wie  man  sie  auch  im  Pankreas  findet,  zurück- 
geführt werden  die  verflüssigenden  Wirkungen,  die  gewisse  Bakterien 
auf  nukleinsaures  Natron  ausüben^).  Die  Verschiedenheit  der  Nukleasen 
von  den  tryptischen  Fermenten  wurde  dadurch  erwiesen,  daß  Gelatine- 
auflösung  dabei  fehlen  kann.  Die  Spaltung  der  Nukleinsäure  bleibt 
übrigens  bei  der  Verflüssigung  nicht  immer  stehen,  sondern  es  werden 
wahrscheinlich  auch  wieder  durch  dieselben  oder  andere  Fermente 
Nuklein-(Purin-)basen  abgespalten,  und  diese  wieder  teilweise  (Guanin, 
Adenin?)  zersetzt  (s.  u.). 

Zu  den  hydrolytischen  sind  ebenfalls  zu  rechnen  die  Spaltungen 
des  Asparagins  (Glutamins)  und  A  r  g  i  n  i  n  s ,  und  beide  auch 
enzymatischer  Natur.  Die  Zersetzung  des  Asparagins  in  Asparaginsaun^ 
und  Ammoniak  werden  wir  später  bei  der  Vergärung  des  Eiweißes  durch 
den  Proteusbazillus  (§  169)  und  Pyozyaneus  (§  171)  zu  erwähnen  haben. 
Das  Vorkommen  von  Arginase,d.  h.  eines  das  Arginin  (Guanidiii- 
a-aminovaleriansäure)  unter  Wasseraufnahme  in  Harnstoff  und  Ornithin 
spaltenden  Ferments,  neben  „Guanasen"  im  Hefepreßsaft  machte 
S  h  i  g  a  ^)  wahrscheinlich.  Damit  kommen  wir  zu  den  intrazellularen 
VerdauungseDzymen  (§  166).  Man  kann  übrigens  von  vornherein  an- 
nehmen, daß  mit  den  bisher  bekannten  Arten  der  proteolytischen  Fer- 
mente die  Zahl  der  vorhandenen  noch  nicht  erschöpft  ist. 


1)  Coinpt.  rend.  soc.  biol.   1904.  35. 

2)  P  1  e  n  g  e  ,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  39,  1903;  1  w  a  n  o  £  f  ebenda, 
Nakayama  ebenda  41,  1904 ;  Schittenhelm  und  Schröter 
ebenda  39—41. 

3)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  42,  502,   1904. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  495 

Das  Verhältnis  des  Labferments  zu  den  proteoljrtischen  wird  uns 
später  beschäftigen  (§  177). 

§  166.    Selbstverdaunng  der  Kleinwesen.    Endotryptase. 

Vott  der  Bierhefe  ist  seit  ihrer  Eeinzüchtung  bekannt,  daß  sie,  wenn 
überhaupt,  nur  ein  sehr  geringes  Verflüssigungsvermögen  für  Gelatine 
und  andere  Eiweißköiper^)  besitzt.  Ebenso  und  noch  länger  bekannt 
ist  aber  ein  Sjcrsetzungsvorgang,  der  die  Eiweißstoffe  der  Hefe*)  selbst 
ergreift,  wenn  sie  in  größeren  Mengen  aufbewahrt  wird,  ohne  daß 
ihr  Gelegenheit  zur  Gänmg  und  zum  Wachstum  gegeben  ist,  die  von 
Salkowßki^)  zuerst  sogenannte  „Autodigestion",  Selbstverdauung, 
Autolyse  der  Hefe*).  Seitdem  unterscheidet  man  sie  auch  dem  Namen 
nach  von  der  sogenannten  Selbstvergärung  der  Hefe  (S.  267).  Nach 
der  Herstellung  des  Hefepreßsaftes  durch  E.  Buchner  wies  dann 
Hahn*)  das  Vorkommen  eines  proteol)rtischen  Enzyms  („Endo- 
tryptase") neben  der  Zymase  in  diesem  Preßsaft  nach  und  studierte 
dessen  Wirkungen  zugleich  mit  G  e  r  e  t  •).  Zunächst  machen  sich  diese 
schon  dadurch  bemerkbar,  daß  der  Preßsaft  allein,  wenn  er  mit  Chloro- 
form oder  Toluol,  z.  B.  im  Eisschrank  3  Wochen  lang,  im  Zimmer 
10—14  Tage,  bei  37°  wenige  Tage  steht,  nicht  mehr  durch  Hitze  ge- 
rinnt. 

Aber  auch  zugesetzte  Eiweißkörper,  wie  Gelatine,  Kasein,  Gluten- 
kasein,  Liegumin,  Eieralbumin,  Fibrin,  Nuklein  werden  von  dem  Preß- 
saft verdaut.  Die  Verdauungsprodukte  verteilen  sich  zum  Schluß 
ungefähr  zu  30%  auf  die  durch  Phosphorwolframsäure  zu  fällenden 
Basen  (die  sogenannten  Hexonbasen  —  Diarninosäuren  —  Histidin, 
Arginin,  Lysin  und  Ammoniak),  zu  70%  auf  Aminosäuren 
(licuzin,  Asparaginsäure,  Tyrosin,  Tryptophan).  Daneben  entstehen 
in  geringerer  Menge  Nukleinbasen  wie  Guanin,  Adenin,  Xanthin, 
Hypoxanthin.  Femer  wird  der  organisch  gebimdene  Phosphor  schnell 
in  Form  von  Phosphorsäure  abgespalten,  während  bezüglich 
des  Schwefels  nur  erwähnt  wird,  daß  der  gebundene  Schwefel  zum 


1)  Vgl.  darüber  namentlich  Boullanger,  Aimal.  Pasteur  1897 ; 
Beijerinck,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3.  449;  Will  ebenda  4.  753,  1898. 

2)  Th^nard,  Ann.  chim.  phys.  46.  294 ;  P  a  s  t  e  u  r  ebenda 
3.  8^r.  58.  401,  1860;  L  i  e  b  i  g  ,  Annal.  d.  Chemie  153,  1870;  B  e  c  h  a  m  p  , 
(ompt.  rend.  ac.  sc.  61.  74.  78  u.  88,  1865—79;  Schützenberger, 
<iäning8erscheinungen,   1875. 

3)  Zeitschr.  phisiol.  Chem.   13,  1889. 

4)  Später  namentlich  studiert  von  Kutscher  ebenda  32.    1901. 

5)  Ber.  chem.  Ges.  1898.  200. 

6)  Ebenda  202  und  2335,  vgl.  auch  die  Darstellung  bei  E.  B  u  c  h  - 
ner  und  Hahn,  Zymasegärung   1903. 


496  Kap.  IX,   §  166. 

geringen    Teil    in    Schwefelsäure    übergeht.     Albumosen 
treten  während  der  Spaltung  nur  vorübergehend  und  in  geringer  Menge 
auf,  Pepton  überhaupt  nicht.    Die  Wirksamkeit  des  Ferments 
ist  am  größten  bei  40 — 45**,  sie  wird  vernichtet  bei  60®.    Bei  37®  hält 
sich  die  Wirkung  9 — 15  Tage.    Sauerstoff  hat  vielleicht  einen  geringen 
fördernden  Einfluß.   Von  den  Antisepticis  sind  schädlich  nur  Sublimat 
und  Phenol  durch  die  Fällung,  die  sie  hervorrufen,  und  in  größerer 
Menge   angewandt  Formaldehyd,   Blausäure  und  Chinin^).    Neutral- 
salze wirken  selbst  in  konzentrierter  Lösung  günstig,  Alkalien  schon  bei 
Neutralisierung  des  schwach   sauren  Preßsaftes   imgünstig,   während 
Säuren  bis  zu  einem  gewissen  Grade  (2^00  Salzsäure)  die  Proteolyse 
beschleunigen.   Glyzerin,  Mannit  und  alle  Zuckerarten  hemmen,  ebenso 
wie  Konzentrierung  des  Preßsaftes,  die  verdauende  Wirkung,  größere 
Mengen  von  Alkohol  (über  5%)  ebenso,  nicht  dagegen  GlykokolP). 
Das  Enzym,  das  von  Hahn  „Endotryptase"  genannt  wird,  wahrschein- 
lich aber  mit  einer  „Endonuklease"  und  anderen  Fermenten  (s.  u.) 
gemischt  ist,  läßt  sich  durch  wiederholte  Alkoholfällung  reinigen,  meist, 
aber  nicht  vollständig  von  der  Invertase  der  Hefe  trennen,  gibt  noch 
die  meisten  Eiweißreaktionen  imd  ist  nicht  dialysierfähig.    Selbst  aus 
jungen  Hefekulturen  läßt  sich  das  Enzym  durch  Verreiben  mit  Kiesel- 
guhr  und  Sand  sofort  gewinnen,  es  scheint  aber  in  der  lebenden  Zelle 
in  Form  eines  Zymogens  vorhanden  zu  sein,  aus  dem  es  in  größerer 
Menge  erst  durch  schädigende  Einflüsse  der  verschiedensten  Art  frei 
wird  und  dann  auch  unter  Umständen  nach  außen  tritt.    So  erklärt 
sich  gleichzeitig  mit  der  Selbstverdauung  der  lebenden  Hefe  wohl  auch 
die  proteolytische  Wirkung  älterer,   im  Absterben  begriffener  Hefe- 
kulturen.   Möglich  wäre  es  freilich,  daß  wie  V  i  n  e  s  *)  es  behauptet, 
die   Endotryptase    noch  von  anderen  proteolytischen  Enzymen,   die 
sich    leichter    von    der    Zelle    trennen    lassen,    begleitet    wäre.     So 
erhielt    er    durch     rasches    Ausziehen    von    Hefe    ein    pepton-    und 
kaseinlösendes  ,,Erep8in". 

Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,  daß  sich  die  Endotrj^ptase 
nicht  nur  im  Preßsaft.,  sondern  auch  in  der  Dauerhefe  nach- 
weisen läßt. 

Zur  Ergänzung  dieser  Mitteilimgen  über  die  Wirkung  der  Endo- 
tryptase mag  noch  die  Erfahrung  von  Schütz^)  dienen,  daß  bei 


1)  O  r  o  in  o  w  ,  Zeitschr.  physiol.  Cham.  42.  300,  1904,  vgl.  über  die 
zum  Teil  entgegengesetzten  Wirkungen  von  Giften  und  anderen  Zusätzen 
auf  die  Zymase  und  die  Endotryptase  auch  S.  269  u.  270. 

2)  Annal.  of  botany  1904  u.  1905  (Kochs  Jahresber.). 

3)  Hofmeisters  Beitr.  3,   1903. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  497 

der  Selbstveidauimg  der  Hefe  etwa  6%  des  Gesamtstickstoffs  in  Form 
von  Ammoniak  erscheint^).  Na<$li  Schütz  zeigt  sich  ferner,  daß 
Euglobulin  mid  Semmalbumin,  die  der  in  Selbstverdauung  begriffenen 
Hefe  zugesetzt  werden,  weniger  angegriffen  werden  als  das  eigene 
Eiweiß  der  Hefezelle,  am  wenigsten  aber  Pseudoglobulin.  Letzteres 
schien  sogar  die  Selbstverdauung  zu  hemmen.  Dagegen  wurde  Gelatine 
sehr  reichlich  zersetzt.  Die  Mitteilungen  von  Hahn  und  G  e  r  e  t 
sowie  die  früheren  Erfahrungen  über  die  tryptischen  Fermente  lassen 
noch  die  Gregenwart  einer  die  Nukleinsäure  zersetzenden  „Nuklease'* 
(8.  o.  S.  494)  vermuten.  Die  dabei  entstehenden  oder  künstlich  zu- 
gesetzten Nukleinbasen  werden  chemisch  noch  weiter  verändert.  So 
kann  man  nach  den  Versuchen  S  h  i  g  a  s  ^)  im  Hefepreßsaft  mindestens 
noch  eine  „Guanase^'  annehmen.  Außerdem  wird  nach  demselben 
Forscher  Arginin  durch  eine  „Arginase''  des  Preßsaftes  in  Ornithin 
und  Harnstoff  gespalten.  Nach  I  w  a  n  o  f  f  ist  im  Hefepreßsaft  auch 
noch  ein  synthetisches  Enzym  enthalten,  das  die  Phosphorsäure  in 
organische  Bindung  überführt  (Triosephosphorsäure  vgl.  S.  263).  Wie 
diese  sich  zu  dem  Phosphorsäure  abspaltenden  von  Hahn  und 
6  e  r  e  t  verhält,  wäre  noch  auszumachen. 

Intrazellulare  Enzyme  ähnlicher  Art  haben  Hahn  und  6  e  r  e  t 
auch  aus  Typhus-,  Tuberkelbazillen  und  S  a  r  c  i  n  a 
r  o  8  e  a  *)  mittelst  der  Preßsaftmethode  dargestellt.  Es  sind  das  Mikro- 
organismen, bei  denen  man  bis  dahin  überhaupt  keine  proteolytischen 
Eigenschaften  gekannt  hatte.  Die  von  Hahn  und  G  e  r  e  t  befolgte 
Technik  ist  zwar  sonst  nur  noch  selten  angewandt  worden,  trotzdem 


1)  Bei  der  Selbstverdauung  der  Organe  und  Bakterien  (s.  u.)  wurden 
Öfters  ähnliche,  bei  der  Trypsinverdauung  meist  niedrigere  Zahlen  erhalten. 
Daraus  wie  aus  den  übrigen  Zersetzungsprodukten  der  Endotryptase  mit 
Hahn  (in  Lafars  Handb.  3.  127)  zu  schließen,  daß  die  letztere  sich 
zu  den  proteolytischen  Ektoenzymen  verhalte  wie  Zymase  zu  Invertewe, 
geht  nicht  an.  Wenn  die  Endotryptase  die  Aminosäuren  spaltete,  wie  etwa 
die  Fäulnis,  wäre  es  eben  kein  tryptisches  (hydrolytisches)  Ferment  mehr, 
sondern  eine  „Aminazidase**.  In  der  Tat  spricht  viel  dafür,  daß  solche 
bei  der  Selbstverdauung  der  Organe,  der  Hefe  und  namentlich  der  Bakterien 
neben  tryptischen  Enzymen  mitwirken  (s.  u.  im  Text). 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  42,  1904.     Vgl.  §  193. 

3)  Kutscher  (Sitziuigsber.  Gesellsch.  z.  Beförd.  Naturw.  Marburg 
Mai  1901)  findet  bei  elftägiger  Selbstverdauimg  frischer  Tuberkelbazillen 
unter  Ohloroformzusatz,  daß  beträchtliche  Mengen  der  Bazillen  in  Lösung 
gehen,  die  gelösten  Stoffe  aber  wegen  ihres  geringen  Stickstoffgehalts 
nur  etwa  zum  dritten  Teil  aus  Eiweiß  bestehen  könnten.  Propepton  und 
Pepton  fehlten  gänzlich  (keine  Bim-etreaktion),  eine  leuzinähnlich  kristalli- 
sierende Substanz  und  geringe  Mengen  von  Alloxur-  ( Nuklein- )Basen 
waren  nachweisbar. 

Kruse,  Mikrobiologie.  32 


498  Kap.  IX,   §  166. 

sprechen  viele  Tatsachen  dafür,  daß  intrazellulare  Verdauungsenzyme 
in  den  Mikroorganismen  weit  verbreitet,  ja  allgemein  vorkommen. 
Die  Ergebnisse,  dieEmmerling  mit  den  Leibern  des  B  a  c.  f  1  u  o  - 
rescens  liquefaciens  erhalten  hat,  wurden  schon  früher 
besprochen  (S.  489).  Besonders  häufig,  allerdings  nicht  immer  mit 
genügender  Sicherstellung  der  intrazellularen  und  enzymatischen 
Natur  seines  Leistungsvermögens  wurde  der  mit  dem  Fluorescens  nahe 
verwandte  Pyocyaneus  studiert.  Sehr  bedeutend  ist  die  lösende 
Kraft,  welche  die  „Pyocyanase"^)  nach  Emmerich  und  Low  auf 
die  Bakterienleiber  der  eigenen  und  auch  fremder  Arten  ausübt.  Sie 
arbeiteten  meist  mit  eingedickten  Filtraten  alter  Kulturen.  Aber  der 
Freßsaft  des  Bac.  pyocyaneus  wirkt  nach  P.  Krause^)  ebenfalls 
sehr  kräftig.  Nach  Breymann')  haben  schon  die  zerriebenen 
—  nur  mit  Chloroform  abgetöteten  imd  getrockneten  —  Bazillen  ver- 
dauende Wirkung  auf  Gelatine.  Sera  hat  jüngst  in  meinem  Labora- 
torium den  Versuch  gemacht,  den  Qrad  der  Selbstzersetzung  von 
Pyocyaneusbazillen  unter  Chloroform  an  der  Hand  von  Ammoniak- 
bestimmungen festzustellen.  Er  fand  etwa  13%  des  Stickstoffs  der 
Bazillenleiber  als  Ammoniak  wieder.  Wir  schließen  daraus  auf  das 
Vorhandensein  von  „Aminazidasen'^  neben  Endotryptase  (s.  u.).  Auf- 
lösungserscheinungen sind  übrigens  schon  früher  vielfach 
in  Bakterienkulturen  beobachtet  worden,  so  besonders  bei  P  n  e  u  - 
moniekokken,  Gono-  und  Meningokokken,  Cho- 
lera -  mid  Milzbrandbazillen*).  Allem  Anschein  nach  ge- 
hört auch  ein  Teil  der  „Entartungsformen",  die  man  ganz  allgemein 
in  alten  Bakterienkulturen  gefunden  hat  in  den  Bereich  der  Selbstver- 
dauung. Wir  haben  die  mikroskopischen  Veränderungen,  die  dabei 
auftreten,  schon  früher  ausführlich  besprochen  und  verweisen  auf  die 
dort  gegebene  Literatur  (§9).  Die  chemischen  Vorgänge  sind  aber  bisher 
nur  ausnahmsw^eise  näher  verfolgt  worden.  Von  vornherein  wird  man 
erwarten  dürfen,  daß  morphologische  und  chemische  Veränderungen 
einigermaßen  parallel  gehen.  Wenn  daher  M  o  u  t  o  n  ^)  erklärt,  die 
Colibazillen  unterschieden  sich  durch  den  Mangel  der  autolyfcischen 
Fähigkeit  von  anderen  Bakterien,  so  ist  uns  das  nach  unseren  eigenen 
Erfahnmgen  verständlich  (S.  22).  Doch  kommen  Stämme  mit  anderen 

1 )  Wahrscheinlich  enthält  die  Pyoeyanase  neben  VerdauimgsenzjTnen 
noch  einen  eigentümlichen  hitzebeständigen  bakteriziden  Stoff  (Lipoid  ?), 
über  den  an  anderer  Stelle  berichtet  wurde  (§  7  u.  8).    Dort  Lit. 

2)  Zentr.  Bakt.  31.   14,  1902. 

3)  Ebenda  31.  498,   1902. 

4)  Pfersdorff  (Zeitechr.  Tiermediz.  8,  1904)  fand  darin  ein  gela- 
tinelösendes Ferment  (vgl.  u,). 

5)  Annal.  Fast.   1902.  498. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  499 

Eigenschaften  vor.  Rettger  ^)  hat  z.  B.  die  A.utoIyse  ebensowohl  bei 
^*olibazillen  wie  beim  Pyocyaneus  und  Prodigiosus  gefunden;  nach  ihm 
ist  sie  am  besten  zu  beobachten  und  mit  Hilfe  der  Biuretreak- 
t  i  o  n  zu  verfolgen  in  dicken  Aufschwemmimgen  der  Bazillen  in  neutraler 
oder  leicht  alkalischer  physiologischer  Kochsalzlösung  mit  5%  Toluol- 
zasatz.  10%  des  Antiseptikums  hoben  die  Autolyse  völlig  auf,  ebenso 
■A)  Minuten  dauernde  Erhitzung  auf  58 — 60®. 

Am  weitesten  gehen  die  autolytischen  Wirkungen  anscheinend 
beim  Proteus  vulgaris').  Nawiasky^)  hat  nämlich  gefunden,  daß 
H,5— 7  g  Proteusbazillen  in  100  ccm  einer  Mineralsalzlösung  in  4 — 15 
Tagen  21 — ^99  mg  Ammoniak  abspalteten.  Berechnet  man  den 
Stickstof^ehalt  von  1  g  Proteus  auf  27  mg,  so  würden  durch  die  Selbst- 
verdauung 16 — 50%  der  Eiweißstoffe  des  Bazillus  nicht  nur  gelöst, 
sondern  sogar  tiefer  gespalten  worden  sein.  Wir  kommen  gleich  auf 
diese  Tatsache  zurück,  die  dafür  spricht,  daß  bei  der  Selbstverdauung 
neben  den  eigentlichen  (hydrolytischen)  Yerdauungsenzymen  auch 
solche,  die  Aminosäuren  spalten,  vorhanden  sind.  In  der  Tat  hat 
Nawiasky  auch  auf  immittelbarem  Wege  die  Entstehung  solcher 
Enzyme  („Aminazidasen")  nachgewiesen  (§  169). —  Die  Angaben  M  a  1  - 
fit  an  OS  und  Butkewitschs  über  die  Möglichkeit,  proteolytische 
Enzyme  aus  den  Leibern  von  Schimmelpilzen  zu  gewinnen, 
wurden  schon  erwähnt  (S.  491).  Sie  ähneln  offenbar  in  ihren  Eigen- 
schaften und  Leistungen  der  Endotryptase,  doch  bleibt  es  unbestinmit, 
ob  nicht  noch  daneben  die  gewöhnlichen  nach  außen  abgesonderten 
Verdauungsenzyme  in  Frage  kommen.  Durch  Zerreiben  der  endo- 
trophen  Mykorrhizen  (Wurzelpilze)  von  Podocarpus  (vgl.  §  202)  hat 
auch  Shibata^)  nach  dem  Vorgange  von  F  e  r  m  i  und  B  u  s  - 
caglioni^)  ein  proteolytisches  Enzym  dargestellt,  d$w  Fibrin  in 
schwach  saurer  Lösung  in  Albumosen  und  Peptone  spaltet.  Er  führt 
es  freilich  nicht  auf  die  Pilze  der  Mykorrhizen,  sondern  auf  die  Wirts- 
zellen zurück,  die  durch  Vermittelung  dieses  Enzyms  in  der  Lage  seien, 
die  Eiweißsubstanzen  der  mit  ihnen  in  Symbiose  lebenden  Pilze  aus- 
zunutzen. Daß  die  in  den  Schimmelpilzen  enthaltenen  Endoenzyme 
auch  zur  Selbstverdauung  führen,  ist  von  vornherein  wahrscheinlich. 
^  erklären  sich  wohl  die  großen  Stickstoffverluste,  die  in  ausgewachse- 
nen, aber  hungernden  Kulturen  der  Eurotiopsis  Gayoni  nach  M  a  z  e 


1)  Joum.  med.  research.  1905. 

2)  In  unseren  Beobachtungen  neigte  dagegen  gerade  dieser  Bazillus 
wenig  zur  Selbstauflösung  (S.  22). 

3)  Arch.  f.  Hyg.  66.  222. 

4)  Jahrb.  wiss.  Bot.  37.  673,  1902. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5,  1899. 

32* 


500  Kap.  IX,   i  166. 

(S.  61)  bei  Sauerstoffzutritt  oder  -abschluß  eintreten.  Daß  in  diesem 
Fall  mit  dem  Stickstoffverlust  ein  Crewinn  an  Kohlenhydraten  (Zellu- 
lose?) und  ein  Fettverlust  unter  aeroben  Bedingungen  Hand  in  Hand 
geht,  haben  wir  schon  a.  a.  0.  erwähnt.  Sicher  sind  dabei  nicht  nur 
tryptische  Fermente  im  Spiel  (vgl.  §  229). 

Auch  die  Protozoen  entbehren  nicht  der  intrazellularen 
Enzjone,  ja  sie  bedürfen  ihrer  zur  Verdauung  der  durch  amöboide  Be- 
wegimgen  oder  Mundöffnungen  aufgenommenen  Nahrungskörper  (Bak- 
terien, Algen  usw.).  Die  Verdauimg  erfolgt  bei  schwach  saurer  Reak- 
tion, wie  sich  durch  Zusatz  von  Lackmustinktur  oder  besser  Neutralrot- 
lösung feststellen  läßt.  M  o  u  t  o  n  (a.  a.  0.)  ist  es  gelungen,  durch 
Glyzerin  aus  Amöbenkulturen  ein  Enzym  zu  gewinnen,  das  bei  neutraler 
oder  schwach  saurer  oder  schwach  alkalischer  Reaktion  Fibrin,  Grelatine, 
aber  auch  tote  Bakterien  verdaut.  Lebende  werden  nicht  angegriffen. 
Offenbar  muß  der  intrazellularen  Verdauimg  also  die  Tötung  der  Bak- 
terien durch  andere  Kräfte  der  „Phagozjrten"  vorhergehen  (vgL  S.  24). 

Die  besprochenen  intrazellularen  Enzyme  der  Mikroorganismen 
ähneln  in  ihren  Produkten  am  meisten  den  autolytischen  Fermenten 
der  tierischen  Zellen,  die  wir  durch  die  Arbeiten  von  Salkowsky^), 
J  8  c  o  b  y  ^) ,  Friedr.  Müller^)  u.  a.  kennen  gelernt  haben.  Die 
Eiweißspaltung  geht  im  allgemeinen  auch  hier  etwas  weiter  als  bei 
der  Trypsinverdauung,  ebenso  wie  eher  eine  saure  als  eine  alkalische 
Reaktion  den  Zerfall  befördert. —  Zweifelhaft  ist  noch,  ob  es  sich  im  ein- 
zelnen Falle  um  eine  Einheit  oder  um  eine  Vielheit  von  Enzymen  handelt. 
Wir  sehen  dabei  ganz  ab  von  den  Fett-,  Lezithin-,  zuckerspaltenden, 
reduzierenden,  oxydierenden  imd  synthetischen  Enzymen,  die,  wie  das 
Beispiel  des  Hefepreßsaftes  zeigt,  wohl  mehr  oder  weniger  regelmäßig  mit 
den  proteolytischen  vergesellschaftet,  aber  bisher  sonst  nur  ausnahms- 
weise studiert  worden  sind*).  Bedeutsamer  ist  hier  für  uns  das  Vor- 
kommen von  solchen  hydrolytischen  Enzymen,  die  wie  das  E  r  e  p  s  i  n, 
die  Nuklease,  Arginase,  Guanase  ebenfalls  gewisse 
Eiweißkörper  oder  deren  Abkömmlinge  spalten.  Am  allerwichtigsten 
aber  ist  die  Frage,  ob  imd  wie  häufig  neben  den  Enzymen,  die  die  mehr 
oder  weniger  verwickelten  Stickstoffverbindungen  nur  durch  Hydrolyse 


1)  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  17.  Suppl.  und  „Autolyse"  in  Deutsch.  Klin. 
1903/04. 

2)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  30  und  33  und  Ergebnisse  der  PhjTäiol. 
1,  1902  Lit. 

3)  20.  Kongreß  f.  innere  Med.   1902. 

4)  So  hat  P  f  e  r  ß  d  o  r  f  f  (Zeitschr.  f.  Tiermed.  8,  1904)  in  autoly- 
Bierten  Milzbrandbazillen  nicht  nur  ein  gelatinelösendes  Enzym  und  Lab, 
sondern  eine  Lipe^o  und  manchmal  Diastase  gefunden. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  501 

spalten,  solche  vorkommen,  die  Aminosäuren  vollständig 
in  ihre  Bestandteile  zerlegen,  also  den  eigentlichen  Gärungsenzymen 
entsprechen  würden.  In  allen  Fällen  von  Selbstverdauung,  wo  man 
wegen  des  übe^ewöhnlich  reichlichen  Vorkommens  von  Ammoniak 
diesen  nicht  mehr  als  Amidstickstoff  betrachten  kann,  wird  man  in 
der  Tat  nicht  mehr  von  tryptischen  Fermenten  oder  Endotrjrptasen, 
sondern  von  neben  ihnen  vorhandenen  „Aminazidasen"  sprechen 
müssen.  Daß  alle  Freßsäfte,  Azetonpräparate  usw.,  z.  B.  auch  die  der 
Hefen  solche  Aminazidasen  enthielten,  ist  bisher  nicht  klar  bewiesen.  Im 
Gegenteil  zeigen  gerade  die  mit  letzteren  am  Leuzin,  Tyrosin  u.  a. 
gemachten  Erfahrungen,  daß  sie  diese  Aminosäuren  nicht  zu  spalten 
veraiögen,  während  die  lebende  Hefe  bis  zu  einem  gewissen  Grade  dazu 
imstande  ist  (§  173).  Wohl  scheinen  dagegen  bei  der  Selbstverdauung 
der  Proteus-  und  Pyocyaneusbazillen  (Nawiasky,  Sera)  tiefere 
Spaltungen  zu  erfolgen^).  Daß  die  erstgenannten  Bakterien  wirklich 
Ammazidasen  bilden,  werden  wir  später  erörtern  (§  169). 

Eine  offene  Frage  ist  femer,  in  welchem  Verhältnis  die  intrazellu- 
laren Verdauungsenzyme  stehen  zu  den  im  §  165  besprochenen,  nach 
außen  abgesonderten  proteolytischen  Enzymen  der  Mikroorganismen. 
Ist  die  scharfe  Scheidung  beider,  wenigstens  in  der  Theorie,  berechtigt, 
wirken  die  ersteren  z.  B.  nur  bei  saurer,  die  letzteren  nur  bei  alkalischer 
Reaktion?  Dann  würde  man  annehmen  müssen,  daß  die  Proteolyse, 
die  wir  bei  den  in  saurer  Lösung  wachsenden  Schimmelpilzen  beob- 
achten, wie  bei  den  Hefepilzen  allein  auf  die  durch  den  Zerfall  von 
Zellen  frei  werdenden  Enzyme  zurückzuführen  wäre,  während  sie  in 
alkalischer  Lösung  auch  durch  ein  Verdauungsenzym  bedingt  wäre. 
Aber  auch  bei  den  Bakterien  wird  man,  wenn  man  die  Proteolyse  in 
alten  Kulturen  untersucht,  wohl  stets  erwarten  müssen,  mindestens 
eine  Mischung  der  durch  beide  Arten  von  Enzymen  bedingten  Spal- 
tungsprodukte zu  erhalten,  da  in  solchen  Kulturen  immer  der  größte 
Teil  der  Mikroorganismen  zugrimde  gegangen  sein  und  die  intrazellu- 
laren Enzyme  entbunden  haben  wird.  In  jüngeren  Kulturen  wird  das 
überall  da  wohl  ebenfalls  in  mehr  oder  minder  großer  Ausdehnimg 
eintreten,  wo  die  Lebensdauer  der  Individuen  eine  kurze  ist  (§  36). 
l  mgekehrt  besteht  auch  die  Möglichkeit,  daß  die  ursprünglich  natür- 


1 )  Bei  der  Autolyse  von  Organen  hat  schon  J  a  c  o  b  y  die  Aminoniak- 
bildiing  auf  eine  tiefere  Spaltung  zurückgeführt,  weil  sie  nicht  auf  Kosten 
*if*s  (durch  Säuren  abzuspaltenden)  Amidstickstoff s  erfolgte,  sondern  auch 
^ii<^«er  vermehrt  war.  Auch  die  Abspaltung  von  Kohlensäure,  Schwefel- 
wasserstoff, Bemsteinsäure,  Pentamethylendiamin,  hat  man  bei  der  Auto- 
Jyse  gelegentlich  beobachtet.  Wieweit  hier  eine  mangelhafte  Antisepsis 
(lie  Schuld  trägt,  wäre  natürlich  noch  auszumachen. 


502  Kap.  IX,   i  166  u.  167. 

lieh  in  den  Zellen  gebildeten  Ektoenzyme  von  ihnen  längere  Zeit  fest- 
gehalten werden,  also  auch  intrazellular  wirken.  Wir  erinnern  daran, 
daß  ja  auch  manche  andere  hydrolytische  Enzyme,  die  als  Ektoenzyme 
bezeichnet  werden,  weil  sie  leicht  aus  Filtraten  zu  gewinnen  sind,  in 
diesen  erst  erscheinen,  wenn  die  Zellen  älter  bzw.  in  Auflösung  be- 
griffen sind  (S.  234,  238,  241).  Die  Unterschiede  zwischen  Ekto-  und 
Endoenzyme  sind  also  keine  scharfen. 

Schließlich  sind  noch  die  Fragen  zu  beantworten,  welche  B  e  - 
deutung  die  Endotryptase  für  die  Zellen  selbst  hat,  aus  denen 
sie  sich  darstellen  läßt,  und  wie  es  sich  erklärt,  daß  die  Selbstverdauung 
nicht  schon  die  wachsenden  Zellen  ergreift.  Was  den  ersten  Punkt 
anlangt,  so  liegt  der  Nutzen  der  intrazellularen  Yerdauungsenzyme 
für  die  Ernährung  mit  diffusiblen  und  daher  wohl  ohne  weiteres  in  die 
Zellen  aufgenommenen  Eiweißstoffen  auf  der  Hand.  Entweder  werden 
diese  durch  die  Endoenzyme  zur  ABsimUation  oder  zur  Kraftüeferung 
(durch  tiefere  Spaltungen,  die  ebenfalls  im  Protoplasma  vor  sich  gehen) 
vorbereitet.  Bei  den  nicht  mit  Ektoenzymen  versehenen  Mi- 
kroben werden  sie  vielfach  geradezu  unentbehrlich  sein.  Was  das 
Ausbleiben  der  Selbstverdauimg  bei  wachsenden  bzw.  lebenskräftigen 
Zellen  betrifft,  so  verweisen  wir  auf  früher  Gesagtes  (S.  209  u.  268). 

§  167.  Tiefe  Spaltung  der  Eiweißkörper.  Fäulnis^).  Tief- 
gehende, bei  Sauerstoffabschluß  vor  sich  gehende  Spal- 
tungen der  Eiweißkörper  sind  von  Alters  her  unter  dem  Namen  der 
Fäulnis  bekannt.  Wenn  man  die  letztere  so  begrenzen  wollte,  so 
würde  man  sich  allerdings  vielfach  zu  dem  volkstümlichen  Sprach- 
gebrauch in  Widerspruch  setzen.  Es  gibt  sehr  tiefgehende  Spaltungen 
der  Eiweißkörper,  die  nicht  als  Fäulniserscheinungen  bezeichnet  werden, 
weil  ihnen  ein  Merkmal  fehlt:  der  faulige  Geruch.  I^eider  ist 
dieser  chemisch  bisher  nur  schlecht  gekennzeichnet.  Andererseits  kann 
ein  Fäulnisgestank  auch  da  auftreten,  wo  wir  kaum  von  tiefgehenden 
Spaltungen  des  Eiweißes  in  erheblichem  Umfange  sprechen  dürfen. 
Ebensowenig  glücklich  ist  man  bisher  gewesen,  wenn  man  versucht 
hat,  die  Fäulnis  durch  bestimmte  chemische  Erzeugnisse  zu  charakteri- 
sieren. Als  solche  wurde  z.  B.  der  Schwefelwasserstoff,  das  Ammoniak 
und  besonders  das  Indol  imd  andere  aromatische  Körper  angesehen. 
Die  ersten  beiden  Stoffe  werden  aber  bei  allen  oder  fast  allen  Eiweiß- 
zersetzungen gebildet  und  die  letzteren  können  dort  fehlen,  wo  man 

1)  Bezüglich  der  Untersuchungs verfahren,  namentlich  soweit  sie  die 
Aminosäuren  und  aromatischen  Körper  betreffen,  muß  auf  die  Lehrbücher 
und  die  einzelnen  Arbeiten  verwiesen  werden  (vgl.  Anm.  1  auf  S.  483). 
Zur  Darstellung  der  flüchtigen  Fettsäuren  vgl.  S.  312  Anm.  1,  der  fixen 
Säuren  S.  331,  der  Gase  §  221. 


WandluRgen  der  Eiweißkörper.  5  0  3' 

keinen  Augenblick  zweifeln  würde,  wegen  der  übrigen  Spaltungsprodukte 
und  des  faulen  Geruchs  von  Fäulnis  zu  sprechen.  Auch  die  b  i  o  I  o  -> 
g  i  8  c  h  e  Erklärung  der  Fäulnis  als  einer  „Gärung  der  Eiweißkörper'', 
die  nicht  durch  isoUerbare  Enzyme,  sondern  durch  lebende  Mikro- 
Organismen  hervorgerufen  würde,  ist  nur  in  ihrem  ersten  Teile 
hftltbar.  Der  Vergleich  mit  den  Gärungen  (Spaltungsgärungen)  der 
Kohlehydrate  ist  sehr  berechtigt,  gerade  ihr  Beispiel  lehrt  uns  aber, 
recht  vorsichtig  zu  sein  mit  der  Behauptung,  daß  wir  es  bei  bestimmten 
chemischen  Vorgängen  nur  mit  sogenannten  LebensäuOerungen,  nicht 
mit  enzymatischen  Vorgängen  zu  tun  haben.  Im  Gregenteil  ist  es  u.  £. 
durch  die  Entdeckimg  der  Zymase  und  des  Milchsäureenzyms  wahr- 
scheinhch  gemacht,  daß  auch  alle  übrigen  enzymatischer  Natur  sind. 
So  hat  ims  denn  auch  schon  das  Studium  der  „Selbstverdauung''  im 
§  166  gezeigt,  daß  die  Zersetzxmg  des  Eiweißes  dabei  nicht  unerheb-» 
lieh  weiter  getrieben  wird,  als  durch  die  bis  dahin  ausschließlich  be- 
kannten hydrolytischen  Verdauungsfermente,  daß  die  sogenannte 
„Endotryptase"  manchmal  wohl  schon  kräftiger  spaltende  Enzyme, 
die  wir,  weil  die  Zersetzung  die  Aminosäuren  berührt,  „Aminazidasen'' 
nannten,  beigemengt  enthält.  Dazu  sind  schließlich  die  Feststellungen 
Berghaus'  und  Nawiaskys  gekommen,  daß  man  wirklich 
tiefere  Spaltimgen  des  Eiweißes  bzw.  der  Aminosäuren,  wie  sie  sonst 
nur  die  Fäulnis  zuwege  bringt,  auch  mit  Hilfe  abgetöteter  Proteus- 
bakterien (§  169)  erhalten  kann.  Es  wird  sich  also  jetzt  nur  darum 
handeln  können,  zu  bestimmen,  ob  das  auch  in  anderen  Fällen  zutrifft. 
Weit  schlimmer  als  die  Schwierigkeit  der  Bezeichnung  ist  der 
Mangel  an  ausreichenden  tatsächlichen  Unter- 
lagen für  eine  gründliche  Kenntnis  der  hierhergehörigen  Zersetzungen. 
Die  Fäulnis  ist  zwar  von  vielen  hervorragenden  Chemikern  studiert 
worden,  zum  großen  Teil  aber  noch  zu  einer  Zeit,  wo  die  Chemie  der 
Eiweißkörper  noch  wenig  entwickelt  war.  Gewöhnlich  wurden  zudem 
nicht  die  Wirkungen  einzelner  rein  kultivierter  Organismen,  sondern 
diejenigen  unbekannter  Gemenge  studiert.  Etwas  besser  ist  es  in 
den  letzten  Jahren  damit  geworden.  Doch  bieten  leider  gerade  die 
gründlichsten  Untersuchungen  Anlaß  zu  Zweifeln,  weil  ihre  Resultate 
nicht  selten  im  Widerspruch  miteinander  stehen.  Zum  Teil  würden  sich 
diese  Widersprüche  lösen,  wenn  die  Ansicht  Rettgers  richtig  wäre 
(8.  u.),  daß  man  trotz  des  besten  Willens  oft  nicht  mit  Reinkulturen, 
sondern  nodt  nachträglich  verunreinigten  gearbeitet  hat.  Diese  Be- 
merkung wird  jedem,  der  sich  mit  ähnlichen  Untersuchungen  befaßt 
hat,  nur  zu  berechtigt  vorkommen.  Es  ist  gar  nicht  leicht,  Massen- 
kulturen in  flüssigen  Nährböden  viele  Tage  oder  Wochen  hindurch 
rein  zu  erhalten.   Ist  dem  aber  so,  dann  ist  ein  Teil  der  vorliegenden 


504  Kap.  IX,   §  167  u.  168. 

Arbeiten  —  man  weiä  leider  nur  nicht  immer  welche  —  wenigstens 
für  die  Entscheidung  der  Frage  nach  den  Leistungen  der  einzehien 
Mikrobenarten  imbrauchbar  geworden. 

Ein  Mangel  besteht  femer  darin,  daß  gewöhnlich  nur  wenige, 
und  zwar  gerade  die  verwickelten  Eiweißsubstanzen  dem  Studium 
unterworfen  wurden,  während  es  doch  so  notwendig  wäre,  zu  wissen, 
wie  sich  die  einfacheren  Spaltungsprodukte  der  Eiweißkörper,  die 
Aminosäuren,  zu  den  Mikroorganismen  verhalten.  Auch  den  Einfluß 
des  Sauerstoffs,  der  doch  für  unsere  Auffassung  von  der  chemischen 
Natur  der  Zersetzungsprozesse  von  maßgebender  Wichtigkeit  ist, 
hat  man  nicht  genügend  berücksichtigt.  Das  Bild,  das  wir  hier  ent^ 
werfen  können,  ist  daher  ein  recht  lückenhaftes.  Um  Klarheit  zu 
gewinnen,  halten  wir  uns  hier  zunächst  im  wesentlichen  nur  an  R  e  i  n  - 
kulturen  (§  168 — 175)  und  werden  die  Erscheinungen  der  in  der 
Natur  vorkommenden  gemischten  Fäulnis  später  besprechen  (§  178  ff.). 

§  168.  Fäulnis  durch  Anaerobier.  I.  Wir  beginnen  mit  den 
Anaerobiem,  die  nach  Sanfelice,  Bienstock,  Rettger  u.a.  (§  180) 
die  Haupterreger  der  Fäulnis  sind.  Zu  ihnen  gehören  einige  pathogene 
Anaerobier  wie  ödem-,  Emphysem-,  aber  auch  manche  Rassen  von 
Rauschbrandbazillen^).  Die  ersten  Forscher,  die  mit  Reinkulturen 
arbeiteten,  waren  N  e  n  c  k  i  2)  und  seine  Schüler  Sieber,  Bovet, 
Kerry  und  Selitrenny.  Geprüft  wurde  zunächst  die  Zersetzung 
des  Serumeiweißes  durch  Rauschbrand-,  Odembazillen  und  zwei  Sapro- 
phyten  (B.  liquefaciens  magnus  und  spinosus).  Sie  verlief  im  wesent- 
lichen gleichartig.  Besonders  genau  wurden  die  Gase  und  aromatischen 
Stoffe  untersucht.  In  erster  Linie  wird  Kohlensäure  (97%), 
daneben  etwas  Wasserstoff,  nur  vorübergehend  Sumpf- 
gas, femer  Schwefelwasserstoff  und  Methylmer- 
k  a  p  t  a  n  (beide  aus  Zystin  ^)),  aber  kein  freier  Stickstoff 
abgeschieden.  Durch  Schütteln  mit  Äther  wurden  erhalten  die  aroma- 
tischen Säuren,  die  Phenylpropionsäuren,  die  P a r a - 
oxyphenylpropionsäure  (Parakumarsäure)  und  die  S k a - 
tolessigsäure,  die  später  von  Ellinger  als  Indolpro- 


1 )  Vgl.  die  auf  S.  3ö2  ff.  angezogene  Literatur  über  Anaerobier,  die 
auch  in  dieser  Beziehung  Widersprüche  aufweist.  Nenckis  Rauschbrand- 
bazillen waren  a\dnilent,  also  vielleicht  nicht  echt.  Auch  ( SpieUbazillen 
und)  Spirochaeten,  einschl.  der  Sp.  pallida  (?)  sind  anaerobe  Fäulniserreger. 
Mühlens  u.  Hartmann,  Zeitschr.  Hyg.  55;  Mühlens  klin.  Jahrb.  1910. 

2)  Sitzungsber.  Wien.  Akad.  95.  II  b,  1889,  Monatsschr.  f.  Chemie 
9  u.  10, 1889;  Annal.  microgr.  1890;  Baumgartens  Jahresber.  1889.  480ff. 

3)  Vgl.  über  die  schwefelhaltigen  Abkömmlinge  des  Eiweißes  §  205 
u.  206,  über  das  Taurin   §  190. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  505 

pionsäure  erkannt  wurde.  Essinddas  die  drei  Säuren, 
die  durch  Reduktion  der  aromatischen  Amino- 
säuren des  Eiweißes,  des  Phenylalanins,  Tyro- 
sins  und  Tryptophans  unter  Abspaltung  von  Am- 
moniak gebildet  werden.  Allgemein  würde  folgende  Formel 
dafür  gelten  können: 

R  .  CHNHj  .  COOH  +  H2  =  R  .  CH^ .  COOK  +  NH3  , 

oder,  wenn  wir  den  Wasserstoff  vom  Wasser  herleiten: 

1)  R .  CHNH2 .  COOH  +  H2O  =  R  .  CH2 .  COOH  +  NH3  +  0 , 

wobei  der  abgeschiedene  Sauerstoff  nicht  frei,  sondern  zur  Oxydation 
anderer  Stoffe  verwendet  würde.  Bei  der  Zersetzung  der  Gelatine, 
die  ja  des  Tjnroeins  und  Tryptophans  ermangelt,  fehlten  nach  S  e  1  i  - 
trenn y  die  letzten  beiden  Säuren,  und  trat  neben  der  Phenylpro- 
pionsäure  die  Phenylessigsäure  auf,  die  unter  Abspaltung  von  Kohlen- 
saure durch  Oxydation  aus  ihr  entsteht,  d.  h. 

2)   R  .  CHg .  COOH  +  2H2O  =  R  .  COOH  +  CO^  +  SH^ . 

Wollte  man  die  niedere  Säure  unmittelbar  von  der  Aminosäure  ableiten, 
so  hätte  man 

Ja)   R  .  CHNH2 .  COOH  +  2H2O  =  R  .  COOH  +  COg  +  SH^  +  NH3 . 

Das  würde  die  Entbindung  viel  freien  Wasserstoffs  voraussetzen,  die 
nicht  beobachtet  wird.  Nehmen  wir  aber  an,  daß  die  beiden  Säuren 
gleichzeitig  und  un  abhängig  von  anderen  Stoffen 
aus  den  Phenylalanin  hervorgingen,  so  würde  durch  die  Bildung  von 
drei  Molekülen  der  Phenylpropionsäure  der  zur  Entstehimg  von  einem 
Molekül  Phenylessigsäure  nötige  Sauerstoff  frei  werden,  oder  allgemein 
ausgedrückt  hätten  wir: 

3)    3R.CH.NH2.COOH  +  2H20  =  2R.CH2. COOH  +  R. COOH  + 

COjj+SNHg, 

Die  höhere  und  die  nächst  niedere  Säure  ständen 
also  im  Mengenverhältnis  von  2:1;  den  drei  Mole- 
külen Säure  würden  ebensoviel  Ammoniak  und 
außerdem  noch  ein  Molekül  Kohlensäure  ent- 
sprechen. Die  gesamte  Umwandlung  machte  den 
Eintritt  von  zwei  Wassermolekülen  nötig.  So  nahe 
es  liegt,  eine  solche  Zersetzimg  der  aromatischen  Aminosäuren  anzu- 
nehmen, so  sehr  fehlt  es  noch  an  analytischen  Belegen  dafür,  obwohl 
gerade  die  aromatischen  Bestandteile  neben  der  Menge  der  übrigen 
Zerfallsstoffe    des    Eiweißes    verhältnismäßig   leicht    erkennbar   sind. 


506  Kap.  IX,  §  168. 

Versuclie,  die  mit  reinen  Aminosäuren  angestellt  wurden  (s.  u.  Na- 
w  i  a  s  k  7  §  169),  lieferten  die  Beweise  auch  noch  nicht.  Denkbar 
wäre  freilich  noch  die  Bildung  von  Ameisensäure  an  Stelle  der  Kohlen* 
säure.    Dann  hätten  wir  statt  2): 

2a)  R  .  CH2COOH  +  2H2O  =  R  .  OOOH  +  HCOOH  +  211^ 

und  statt  3): 

3a)  2R.CHNH2.COOH  +  2H2O  =  R.CH2COOH  +  R.COOH  + 

HCOOH  +  2NH3. 

An  Stelle  der  Ameisensäure  könnte  aber  auch  Essigsäure  auftreten, 
wenn  die  Säure  R  .  CO  OH  durch  die  nächstniedere  Säure  ersetzt  würde. 
Wir  könnten  das  durch  die  Formel  ausdrücken: 

2b)  R'.CHg.CHg.COOH  +  2H2O  =  R'.COOH  +  CH3.COOH+  2Hj 

3b)  2R'.CH2.CHNH2.COOH  +  2H2O  =  R'.CHjj.CHa.COOH  + 

R' .  COOK  +  CH3 .  (X)OH  +  NH3 . 

Bei  der  Zersetzung  des  Leuzins  durch  den  Proteus  (§  169)  werden  wir 
auf  diese  Formeln  zurückkommen.  Daß  sie  für  die  aromatischen 
Aminosäuren  Bedeutung  haben  sollten,  ist  kaum  anzunehmen. 

Kerry  fand  weiter  bei  der  Fäulnis  des  Eiweißes  durch  den 
Odembazillus  neben  Sumpfgas  noch  ein  übelriechendes  0 1 
von  der  Zusammensetzimg  CgH^^O«,  „das  nach  seiner  Reaktion  und 
seinem  Verhalten   bei  der  Oxydation  in  die  Reihe  der  Ketone  oder 
Aldehyde  zu  gehören  scheint.^'  Bei  der  Fäulnis  des  Elastins  durch 
den    Rauschbrandbazillus    beobachtete    Z  o  j  a  ^)    neben    Kohlen- 
säure, Wasserstoff  und  Merkaptan  ebenfalls  Sumpfgas, 
femer  von  flüchtigen   Säuren   Butter-   und  Baldriansäure 
zu   annähernd   gleichen   Teilen,    Phenylpropionsäure,  eine 
aromatische  Oxysäure  und  Ammoniak.    Auf  die  flüchtigen 
Säuren  kommen  wir  gleich  zurück;  das  was  über  die  Entstehung  von 
Aldehyden  bekannt  ist,  bringen  wir  später  (§  173)»   Das  Sumpfgas 
sei  an  dieser  Stelle  besonders  hervorgehoben,  weil  es  sonst  als  Erzeugnis 
von  Reinkulturen  kaum  gefunden  worden  ist,  aber  bei  einer  besonderen 
Form  der  gemischten  Fäulnis  nach  Oraeliansky  (§  179)  eine  große 
Rolle  spielt.   Es  (wie  es  wohl  versucht  ist)  aus  dem  Glykokoll  (Amino- 
essigsäure)  herzuleiten,  geht  nicht  wohl  an,  weil  Eiereiweiß,  das  davon 
nichts  enthält,  auch  Sumpfgas  gibt.    Aber  Essigsäure,  die  der  Sumpf- 
gasgärung fähig  ist  (§  141),  kommt  ja  auch  sonst  bei  der  Spaltung 
von  Aminosäuren  vor,    z.  B.  bei  der  Vergärung  der  Bemsteinsäure 


I)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  23,   1897. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  507 

and  des  Leuzins  durch  Proteus  (§  169),  ebenso  Buttersäure,  für  die 
wir  übrigens  auch  eine  Sumpf gasgärung  kennen  (§  145). 

Die  Zersetzung  des  Fibrins  durch  den  tjrpischen  Veitreter 
der  Fäuhiisbazillen,  den  Bac.  putrificus,  wurde  von  B  i  e  n  - 
s  t  o  c  k  ^)  untersucht.  100  g  Fibrin  in  500  g  eiweiäfreier  Salznährlösung 
aufgeschwemmt,  wurde  unter  Entwicklung  übelriechender  Gase  zur 
völligen  Auflösimg  gebracht.  Daß  dabei  hydrolytische  Enzyme  mit- 
wirken, ist  sicher  (s.  o.  P  a  s  s  i  n  i  S.  489),  so  wurden  denn  auch  nach 
8—14  Tagen  nachgewiesen  Pepton,  Leuzin,  Tyrosin,  da- 
neben aber  traten  tiefere  Spaltungen  ein  mit  Bildung  von  Baldrian* 
and  Buttersäure,  Paraoxyphenylpropionsäure, 
Skatolkarbonsäure  (Indolessigsäure  nach  E  1 1  i  n  - 
g  e  r) ,  femer  reichlich  Ammoniak  und  Schwefelwasser- 
st o  f  f ,  sowie  außerdem  (primäre)  Aminbasen.  Den  Aminbasen 
werden  wir  auch  sonst,  z.  B.  bei  der  Eiweißzersetzung  durch  Cholera« 
bazillen,  begegnen  und  dort  ihre  vermutliche  Bildungsweise  behandeln 
(§  170). 

Auch  andere  Anaerobier,  wie  das  Clostridium  foetidum,  die  Ba- 
zillen des  Odems  und  Rauschbrandcs  erzeugen  nach  B  i  e  n  - 
stock,  der  Bac.  perfringens  nach  T i s s i e r  und  M a r - 
t  e  1 1  y  ^)  eine  ähnUche  Fäulnis  des  Fibrins.  Bettger  ^)  bestätigt 
diese  Ergebnisse  am  Putrificus  usw.  für  seine  Fleisch-Eiemährböden. 
Alle  drei  Forscher  stimmten  darin  überein,  daß 
bei  der  reinen  Anaer  o  hier  fäulnis  Indol,  Skatol 
und  Phenol,  die  Endprodukte  der  Zersetzung  des 
Tryptophans  und  Tyrosins*)  fehlten.  Indessen  gibt 
es  offenbar  Ausnahmen  von  dieser  Regel.  So  hatte  schon  E  i  t  a  - 
s  a  t  o  ^)  sowohl  bei  dem  Tetanusbazillus,  der  nicht  als  echter 
Fäulniserreger  bezeichnet  werden  kann,  als  bei  Odem-  imd  Bausch- 
brandbazillen  starkelndolreaktion  erhalten.  Femer  erzeugte 
nach  S  a  1  u  s  ^)  der  Bac.  saprogenes  camis,  der  dem  Putrificus  nicht 
fernsteht,  aus  Fibrin  neben  Pepton, Leuzin, Tyrosin,  Ska- 
tolkarbonsäure (Indolessigsäure), Oxysäure, But- 
tersäure,Kohlensäure,  Ammoniak,  Wasserstoff, 
Schwefelwasserstoff  sowohl  Indol  ak  Skatol  und 
Phenol,  während  ein  zweiter  Anaerobier,  das  Clostridium  foetidum 


1)  Arch.  f.  Hyg.  36,  1899. 

2)  Annal.  Pasteur  1902.  892. 

3)  Stud.  Rockefell.  Institute  f.  med.  research.   7.  Nr.  4,   1907. 

4)  S.  über  deren  Bildung  beim  Bac.  proteus   §   169. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.  7.  619. 

6)  Arch.  f.  Hyg.  61,  1904. 


508  Kap.  IX,   §  168. 

cariÜB,  allerdings  nur  Spuren  von  Indol  und  Skatol  bildet.  Ein  Enegei 
der  Gasphlegmone,  wie  es  scheint  ein  regelmäßiger  Darm- 
bewohner  und  Fäulniserreger  (Bac.  perfringens?),  entwickelt  ferner 
nach  P  a  8  s  i  n  i  ^)   in  Blutserumkulturen  viel  Indol. 

Nach  den  meisten  Analysen  sind  die  flüchtigen  Fettsäuren  der 
Anaerobierfäulnis   gemischter  Art.     Indessen  fand   R  o  d  e  1 1  a  ^)  bei 
der  Zersetzung  von  Milch  durch  verschiedene  Stämme  des  Putrificus 
(aus   Milch   oder    Gasphlegmone)   entweder   nur   Kapron-    oder 
Baldrian-  oder  B  utt  e  r  s  äur  e.    Das  Kasein  soll  dabei  fast 
völlig  zerstört,  der  Milchzucker  imberührt  geblieben  sein.  Am  häufigsten 
begegnen  wir  sonst  einer  Mischimg  von  Baldrian-  und  Buttersäure- 
gärung^).    Abweichend  sind  aber  die  Befunde,  die  Graßberger 
und     Schattenfroh  ^)    mit    ihrem    fäulniserregenden 
Buttersäurebazillus  (S.  356)  in  Wittes  Pepton  erhielten: 
es  wurden  nämlich  Milchsäure^)  und  daneben  nur  in  geringer 
Menge  flüchtige   Säuren,   namentlich  K  a  p  r  o  n  -   und  Propion- 
säure (Buttersäure?)  entwickelt.    Alle  diese  Angaben  setzen  einem 
Erklärungsversuch  große   Schwierigkeiten   entgegen.    Niemals  finden 
wir  das  in  Gleichung  3  ausgedrückte  Verhältnis  wieder,  welche  Amino- 
säure wir  auch  als  hauptsächlich  angegriffen  betrachten.    Gkhen  wir 
z.  B.  vom  Leuzin  aus,  als  dem  quantitativ  wichtigsten  Bestandteil 
des  Eiweißes,  so  treffen  wir  nicht  in  einem  einzigen  Fall  die  Verbindung 
2  Moleküle  Kapronsäure  +  1  Molekül  Baldriansäure.    Die  erstere  fehlt 
sogar  meist  in  der  Analyse,  damit  also  die  einzige  Säure,  deren  Bildung 
aus    dem    Leuzin    (Aminoisokapron-    oder    Aminoisobutylessigsäure) 
durch  Reduktion  (und  Atomverschiebung)  erfolgen  könnte,  während 
die  aus  ihr  durch  Oxydation  entstehende  Baldriansäure  am  häufig- 
sten vorkommt,  und  diese  sogar  meist  mit  der  Buttersäure  vergesell- 
schaftet ist,  die  aus  der  letzteren  oder  dem  Leuzin  selbst  nur  durch 
weitere   Oxydation   abzuleiten  ist.    Andere  genügend  reich- 
liche  Quellen  für  die  beiden  Säuren  liegen  aber  neben  dem  Leuzin 
kaum  vor.    Erwägt  man  nun  ferner,  daß  regelmäßig  außerdem  noch 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  49,  190ö. 

2)  Annal.  Pasteur  1905.  809. 

3)  Bei  der  gemischten  anaeroben  Fäulnis  des  Blutes  fanden  Ber- 
thelot und  A  n  d  r  6  Butter-,  Propion-  und  Kapronsäure  (vgl.  §  179), 
bei  der  des  Leuzins  allein  N  e  n  c  k  i  Baldriansäure.  Bei  den  Aerobiem 
(s.  u.  §  169  ff.)  wiegt  Buttersäure  vor,  daneben  findet  sich  aber  auch  oft 
Baldriansäure,  in  anderen  Fällen  Essigsäure;  nur  in  kleineren  Mengen 
Ameisen-  imd  Propionsäure  und  die  höhere  Fettsäure. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  60.  55,   1907. 

5)  Über  sonstige  Milchsäurebildung  aus  Eiweiß  s.  u.  §  174.  Über 
Propionsäure  s.   o.   Anm.    3. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper .  509 

viel  Kohlensäure  gebildet  wird,  so  können  wir  die  Säurebildung 
nicht  mehr  als  einen  von  anderen  Vorgängen  unabhängigen  Prozeß 
betrachten,  sondern  miissennach  anderen  durch  Reduk- 
tion entstandenen  Körpern  suchen,  um  einen  Aus- 
gleich für  die  zahlreichen  Oxydationsprodukte  zu  haben.  Als  solche 
könnten  Schwefelwasserstoff  und  Merkaptan,  Wasserstoff  und  Sumpf- 
gas, Amine,  Alkohole  und  Aldehyde  in  Betracht  kommen.  Die  letzteren 
drei  Arten  von  Stoffen  entstehen  zwar  wahrscheinlich  meist  mit  oder 
ohne  Wasseraufnahme  unabhängig  von  anderen  Körpern  unter  Ab- 
spaltung von  Kohlensäure  aus  den  Aminosäuren,  wir  werden  aber  später 
sehen,  daß  allerdings  auch  ihre  Bildung  denkbar  ist  unter  Freiwerden 
von  Sauerstoff  (Gleichung  10  und  11  auf  S.  536).  Wasserstoff  und 
Sumpfgas  sind  zu  unbeständig  in  ihrem  Vorkommen,  um  in  Frage 
zu  kommen,  und  das  Sumpfgas  bildet  sich  zudem  nach  der  gewöhnlichen 
Annahme  ebenfalls,  ohne  daß  dabei  Sauerstoff  für  andere  Oxydationen 
frei  würde,  nämlich  aus  der  selbst  durch  Oxydation  entstehenden  Essig- 
oder Buttersäure.  Die  schwefelhaltigen  Körper  endlich,  deren  Bildung 
am  ehesten  verständüch  wäre  als  eine  Reduktion,  die  durch  den  Wasser- 
stoff des  Wassers  vermittelt,  und  bei  der  Sauerstoff  für  andere  Prozesse 
verfügbar  würde,  werden  ebenfalls  in  zu  kleinen  Mengen  erzeugt.  Es 
bleibt  danach  vorläufig  unklar,  woher  der  Sauerstoff  kommt,  der  zur 
Bildung  der  Baldrian-  und  Buttersäure  nötig  ist.  Eher  verständüch 
wären  die  Fälle,  in  denen  Propionsäure  imd  Kapronsäure  als  Haupt- 
produkt der  Spaltimg  gebildet  würden,  denn  sie  könnten  durch  Re- 
duktion nach  Gleichung  1  aus  Leuzin  (Rodella,  Graßberger 
und  Schattenfroh,  Berthelot  und  Andre)  und  Alanin 
i'Aminopropionsäure)  hervorgehen.  Das  Fehlen  von  flüchtigen  Fett- 
säuren als  entsprechender  Oxydationsprodukte  in  diesem  Falle  könnte 
man  noch  hinnehmen,  da  man  in  der  Kohlensäure,  die  durch  völlige 
Verbrennung  der  betreffenden  Aminosäure  oder  anderer  Körper  ent- 
standen sein  könnte,  einen  Ersatz  dafür  hätte.  Daß  solche  Verbren- 
nungen wirklich  in  gewissem  Umfange  bei  der  Fäulnis  vorkommen, 
wird  durch  die  Erfahrungen,  die  N  a  w  i  a  s  k  y  z.  B.  an  der  Asparagin- 
saure  gemacht  hat,  wahrscheinlich  (§  169).  Das  sonst  ungewöhnliche 
Erscheinen  von  Milchsäure  (Graßberger  imd  Schattenfroh) 
ließe  sich  theoretisch  am  einfachsten  erklären.  Entsteht  doch  aus  dem 
AI  an  in  durch  Wasseraufnahme  Ammoniak  und  Milchsäure  nach 
der  Gleichung 

4)  CH3CHNH2 .  COOK  +  HgO  =  CH3CH .  OH .  COOK  +  NH3 . 

Übersieht  man  die  hier  mitgeteilten  Ergebnisse,  so  erscheinen  sie 
offenbar  in  vielen  Beziehungen  recht  unbefriedigend.  Von  allem  übrigen 


510  Kap.  IX,    §  168  u.  169. 

abgesehen,  fällt  schon  die  ziemlich  beschränkte  Anzahl  der  Fäulnis- 
prdoukte  auf.  Müßte  sie  nicht  viel  größer  sein  in  Anbetracht  der  zahl- 
reichen Arten  von  Aminosäuren?  Werden  bei  der  Anaerobierfäulnis 
nur  einzelne  von  ihnen  angegriffen?  Oder  sind  die  Analysen  sämtlich 
als  recht  unvollkommen  zu  betrachten?  Wir  neigen  zu  der  letzteren 
Ansicht.  Natürlich  ist  die  Schwierigkeit  der  Aufgabe  nicht  zu  verkennen. 
Sie  kann  unseres  Erachtens  nur  dadurch  schrittweise  überwunden 
werden,  daß  man  die  einzelnen  Aminosäuren  der  Anaero- 
bierfäulnis unterwirft,  dann  zu  Mischungen  von  Amino- 
säuren fortschreitet  usw.  Bisher  sind  keine  Versuche  dazu  gemacht 
worden. 

Nach  Achalme^)  geben  alle  Anaerobier,  die  Eiweiß  zersetzen, 
außer  den  erwähnten  Stoffen,  besonders  in  konzentrierter  Pepton- 
lösung,  ein  schwärzliches  Pigment,  das  den  Melaninen  (und  Humus- 
stoff envgl.  §  118  u.  158)  ähnlich  zu  sein  scheint  (s.  auch  R  o  d  e  1 1  a). 

§  169.  Fäulnis  durch  Protensbazillen.  II.  Den  Anaerobiern 
durch  seine  fäulniserregenden  Eigenschaften  am  nächsten  konmit  der 
bei  Luftabschluß  und  -zutritt  gedeihende  Bac.  proteus  vulgaris  imd 
seine  teils  schlechter  verflüssigenden,  teils  grün  fluoreszierenden  Ab- 
arten. Weil  er  sich  leichter  züchten  läßt,  ist  er  von  allen  Forschem, 
die  sich  mit  der  Ursache  der  Fäulnis  beschäftigt  haben,  seit  Rosen- 
b  a  c  h  imd  H  a  u  s  e  r  immer  wieder  gefunden  worden  und  sogar  viel- 
fach als  alleiniger  oder  wesentlicher  Erreger  derselben  betrachtet  worden 
(§  180).  Das  trifft  allerdings  nach  Sanfelice,  Bienstock, 
R  e  1 1  g  e  r  u.  a.  (s.  o.  §  168),  die  das  regelmäßige  Vorkommen  der 
Anaerobier  in  faulen  Gemischen  festgestellt  haben,  nicht  zu.  Nach 
den  beiden  letzten  Autoren  wäre  der  Proteus  vulgaris  sogar  nicht 
einmal  imstande,  Eiweißkörper,  wie  das  Fibrin,  Fleisch-  und  Eieralbumin 
in  Fäulnis  zu  versetzen.  Trotzdem  ist  nach  unseren  eigenen  und  fremden 
Beobachtungen  nicht  zu  leugnen,  daß  er  Blutserum,  Kasein  usw.  unter 
Bildung  von  Fäulnisgestank  löst.  Emmerling^)  konnte  auch 
Weizenkleber  durch  Proteus  \Tilgaris  in  stinkende  Fäulnis  versetzen. 
Die  dabei  entwickelten  Gase  bestanden  zu  46%  aus  Kohlensäure, 
zu  38%  aus  W  a  s  8  e  r  s  t  o  f  f  »)  und  zu  16%  aus  S  t  i  c  k  s  t  o f  f  (?). 
Nach  14tägiger  Fäulnis  wurden  aus  600  g  Kleber  durch  Destillation 
erhalten  1 5,5 g  Chlorammonium,  entsprechend  10 g  Ammoniak, 
1,05  salzsaure  Basen,  vor  allem  Trimethylamin  und  B e t a i n 
und  0,65  g  Phenol,   femer  flüchtige  Fettsäuren,  deren  Menge  an 


1)  Annal.  Pasteur  1902,  652. 

2)  Ber.  ehem.  Ges.   1896.  2711. 

3)  Stammt  wohl  aus  den  beigemischten  Kohlehydraten. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  511 

Kalk  gebunden  36,5  g  betrug.  Unter  ihnen  herrschte  Buttersäure 
vor,  daneben  fand  sich  Essigsäure  in  beträchtlicher,  höhere 
Fettsäuren  und  Ameisensäure  in  geringerer  Menge.  Tay- 
lor^) wies  femer  bei  der  Fäulnis  des  Kaseins  durch  Proteus  vulgaris 
Deuteroalbumosen  und  Pepton,  Monoaminosäu- 
ren,  Diaminosäuren  (Histidin  und  Lysin),  Tyrosin,  In- 
d  0 1  und  S  k  a  t  o  I  nach.  Harnstoff,  Harnsäure  und  Purinbasen  wur- 
den nicht  gefunden.  T  i  s  s  i  e  r  und  Martelly^)  erhielten  aus  der 
Zersetzung  von  Eiweiß  und  Peptonen  Leuzin,  Amine,  Indol, 
Phenol  imd  flüchtige  Fettsäuren. 

Soll  man  nun  alle  diese  Angaben,  wie  Bienstock  und  R  e  1 1  - 
ger  es  zu  tun  scheinen,  durch  unabsichtliche  Verunreinigungen  der 
Proteuskultur  durch  Anaeroben  erklären,  oder  liegen  die  Unterschiede 
in  den  Angaben  darin,  daß  die  einzelnen  Forscher  mit  verschiedenen 
Eiweißstoffen,  mit  Beimischungen  von  Kohlenhydraten  oder  gar  mit 
anderen  Bakterien  gearbeitet  haben?  Eine  Wiederholung  der  Ver- 
suche wäre  von  diesen  Gresichtspimkten  aus  sehr  erwünscht.  Jedenfalls 
steht  fest,  daß  vom  Proteus  die  aromatischen  und 
namentlich  der  Indolkern  des  Eiweißes  tiefer 
gespaltenwerden, alsvondenmeistenAnaeroben. 

Die  Indolreaktion  wird  von  allen  Autoren  beim  Bac.  proteus  an- 
gegeben. Sie  tritt  nicht  auf,  wenn  in  der  Kultur  Zucker  vorhanden 
ist,  der  durch  den  Bazillus  in  saure  Gärung  versetzt  wird,  wie  z.  B. 
Traubenzucker.  Die  Gegenwart  von  Milchzucker  hindert  die  Indol- 
bildung  beim  Proteus  nicht,  weil  er  ihn  nicht  angreift,  wohl  beim  Bac. 
coli,  der  dazu  imstande  ist.  Es  handelt  sich  offenbar  um  eine  schäd- 
liche Wirkung  der  Säure,  die  vielleicht  vergleichbar  ist  mit  dem  hem- 
menden Einfluß  der  sauren  Reaktion  auf  die  Trypsinverdauung.  Auch 
die  Bildung  stinkender  Fäulnisprodukte  wird  durch  die  saure  Ver- 
gärung des  Zuckers  verhindert  (§  186).  Nach  F  e  1 1  z  ^)  fehlt  die  Indol- 
reaktion femer  bei  Kulturen  in  Abkochungen  von  frischem  Eiweiß 
und  Fleisch,  vielleicht  weil  hier  die  Stammkörper,  aus  denen  das  Indol 
hervorgeht,  fehlen.  Sauerstoffzutritt  soll  die  Reak- 
tion begünstigen.  Diese  Bemerkung,  die  auch  bei  anderen 
Indolbildnem  gemacht  worden  ist*),  und  die  Beobachtung,  daß  Indol 
überhaupt  mit  Vorliebe  von  Aerobiem  gebildet  wird  (Bienstock), 
konnte  dahin  gedeutet  werden,  daß  der  Sauerstoff  der  Luft  bei  der 


1)  Zeitfichr.  physiol.  Chem.  36,  1902. 

2)  Annal.  Pasteur  1902.   12. 

3)  Archiv.  m6d.  exp^r.  1899. 

4)  Th.   Smith,  Joum.  exper.  med.    1897  (B.  coli). 


512  Kap.  IX,   f  169. 

Bildung  des  Indols  mitwirke.   In  der  Tat  neigt  N  e  n  c  k  i  ^)  zu  dieser 
Auffassung.    Nach  ihm  wird  die  Skatolaminoessigsäure  (Indolamino- 
propionsäure  oder  Tryptophan)  durch  Reduktion  mittelst  H2  zu  Skatol- 
essigsäure  (Indolpropionsäure)  und  Ammoniak  (s.  o.),  die  Skatolessig- 
säure  durch  Oxydation  mit  30  zu  Skatolkarbonsaure  (Indolessigsaure), 
Kohlensäure  und  Walser,  die  Skatolkarbonsaure  durch  Spaltung  zu 
Skatol  (Methylindol)  und  Kohlensäure'),  das  Skatol  durch  Oxydation 
mit  3  0  zu  Indol,  Kohlensäure  und  Wasser.    Es  wechseln  also 
Reduktion,   Oxydation   und   Spaltung  miteinander 
a b.    In  ganz  ähnlicher  Weise  soll  sich  die  Phenylaminopro- 
pionsäure     in     Phenylpropionsäure,     Phenylessigsäure,     Benzoe- 
säure und  das  Tyrosin  in  Paraoxyphenylpropionsäure,  Paraoxy- 
phenylessigsäure,    Parakresol,    Paraoxybenzoesäure   und   Phenol    ver- 
wandeln. Die  meisten  dieser  Körper  sind  bei  der  gewöhnlichen  gemisch- 
ten Fäulnis,  ein  großer  Teil  bei  der  Fäulnis  durch  Anaerobier  (§  168) 
wirklich  erhalten  worden,  zwei  der  Endprodukte  (Indol  und  Phenol) 
namentlich  bei  der  Fäulnis  durch  unseren  Bac.  proteus  vulgaris  und  den 
Bac.  coli  (§  174).   Daß  die  Beteiligung  freien  Sauerstoffs  bei  der  hier 
in  Betracht  kommenden  Oxydation  notwendig  sei,  ist  aber  nicht  be- 
wiesen.   Im   Gegenteil  haben  Nencki^)  selbst  und  seine   Schüler 
Jeanneret^)  und  B  r  i  e  g  e  r  ^)  Skatol  imd  Indol  auch  bei  voll- 
ständigem Luftabschluß   aus  faulendem   Eiweiß  erhalten,   und  zwar 
in  ziemlich  gleicher   Quantität,  wie  es  bei  Luftzutritt  der  Fall  war. 
Die  oben  erwähnte  Tatsache,  daß  Kitasato  u.  a.  in  Kulturen  ver- 
schiedener echter  Anaerobier  Indol  gefunden  haben,   läßt  sich  auch 
nicht  wegleugnen.    Bilden  kann  es  sich  dabei  nur  durch  eine  innere 
Oxydation,  wie  sie  bei  allen  Spaltungsgärungen  vorkommt.    Es 
liegt  nahe,  an  die  Vorstellung  zu  erinnern,  die  N  e  n  c  k  i  •)  selber  bei 
anderer  Gelegenheit  über  den  „chemischen  Mechanismus  der  Fäulnis^' 
entwickelt  hat.  Er  macht  darauf  aufmerksam,  daß  die  Fäulnisprodukte 
wesentlich  dieselben  sind  wie  diejenigen,  die  man  erhält  beim  Schmel- 
zen  von  Eiweiß  mit  Ätzkali.   Wie  man  sich  die  Bildung  der 
letzteren  am  besten  erklären  könne,  indem  man  einen  Zerfall  der  KHO 


1)  Sitzungsber.  Wien.  Akad.  98  IIb  S.  412,   1889. 

2)  Damit  stimmt  freilich  nicht  überein,  daß  die  Skatolkarbonsaure 
nach  Salkowsky  (Zeitschr.  phys.  Chem.  9,  8)  durch  die  Fäulnis  über- 
haupt nicht,  oder  fast  nicht  angegriffen  wird.  Eine  Wiederholung  dieser 
Versuche,  sowie  überhaupt  die  Prüfung  der  einzelnen  in  Betracht  kommen- 
den Körper  auf  ihre  Zersetzungen  wäre  sehr  erwünscht. 

3)  a.  a.  O.   145. 

4)  Journ.  prakt.  Chem.  N.  F.   15.  388. 

5)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   3,   1879. 

6)  Ebenda  17.   105. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  513 

in  H  und  KO  annehme,  von  denen  die  erstere  die  Reduktion,  die  letztere 
die  Oxydation  veranlaßte,  so  würde  vielleicht  die  Fäulnis  ähnUch  wirken 
durch  eine  Spaltung  des  Wassers  in  H  und  HO.  Der  Wasserstoff  be- 
wirkt z.  B.  die  Reduktion  der  Indolaminopropionsäure  zu  Indolpro- 
pionsaure  und  Ammoniak,  das  Hvdroxyl  die  Oxydation  der  Indol- 
Propionsäure  zu  Indolessigsäure,  und  des  Skatols  zu  Indol.  Diese 
Abwechselung  von  Reduktion  und  Oxydation  ist  ja  bei  der  Fäulnis 
nichts  Neues,  wir  haben  sie  schon  bei  der  Zersetzimg  der  aromatischen 
Aminosäuren  durch  die  Änaeroben,  die  freilich  meist  nicht  bis  zu  Skatol, 
Indol  und  Phenol  fortschreitet,  angetroffen  und  ebenso  bei  den  ao  aeroben 
Zersetzungen  der  übrigen  Aminosäuren.  Wir  fragen  auch  hier  wieder, 
wie  wir  die  Reduktion  und  Oxydation  quantitativ  miteinander  ver- 
einigen sollen.  Setzen  wir  als  den  einfachsten  Fall,  daß  die  Zersetzung 
der  aromatischen  Aminosäure  auf  ihre  eigenen  Kosten,  d.  h.  unabhängig 
von  anderen  Stoffen  erfolge,  so  haben  wir  schon  früher  festgestellt, 
daß  nach  Gleichung  3  auf  S.  505  drei  Moleküle  Indolaminopropionsäure 
(Tryptophan)  mit  zwei  Molekülen  Wasser  zwei  Moleküle  Indolpropion- 
saure,  je  ein  Molekül  Indolessigsäure  und  Kohlensäure  und  drei  Moleküle 
Ammoniak  ergeben  würden.  Die  Indolessigsäure  würde  weiter  sich 
umlagern  zu  je  einem  Molekül  Skatol  und  Kohlensäure. 

C  .  CHj  .  COOK        C  .  CH3 

5)   C,k/       )>CH  =  C,h/       ^CH  +  COg 
HN  NH 

Bis  zum  Skatol  würde  also  die  Zersetzung  unabhängig  von  anderen 
Stoffen  vor  sich  gehen  können  unter  den  angegebenen  Mengenverhält- 
nissen der  beiden  Indolfettsäuren. 

Woher  kommt  nun  aber  der  Sauerstoff,  der  zur  Bildung  des  Indols 
nötig  ist? 

C .  CH3  CH 

6)  CeH,<^       ^CH  +  30  =  CeH,<(       ^CH  +  CO^  +  H^O . 
NH  NH 

Skatol  Indol 

Steht  er  zur  Verfügung  durch  Reduktion  von  weiteren  drei  Molekülen 
Indolaminopropionsäure  zu  Indolpropionsäure  nach  Gleichung  1  auf 
S.  505 ?  Dann  würden  6  Moleküle  Tryptophan  5  Mole- 
küle Indolpropionsäure  und  1  Molekül  Indol; 
außerdem  6  Moleküle  Ammoniak  und  3  Moleküle 
Kohlensäure  ergeben.  Oder  wird  der  nötige  Sauerstoff  un- 
mittelbar aus  dem  Wasser  entnommen  ?  Dann  würden  auf  jedes  Molekül 

Kruse,  Mikrobiologie.  33 


514  Kap.  IX,   §  169. 

Indol  3  Moleküle  Wasserstoff  frei  werden.  Oder  endlich  wird 
die  Oxydation  des  Skatols  zu  Indol  gar  nicht  aus  der  Zersetzung  des 
Tryptophans  allein  bestritten,  sondern  aus  anderen  Quellen?^)  Die 
Antwort  auf  diese  Fragen,  wie  auf  die  entsprechenden,  welche  die 
Phenolbildung  betreffen,  steht  noch  aus.  Sie  würde  wohl  nur 
durch  Züchtung  von  Reinkulturen  indol-  und  phenolbildender  Bak- 
terien, z.  B.  des  Proteus  auf  den  betreffenden  aromatischen  Amino- 
säuren geliefert  werden  können.  Kawiasky,  der,  wie  wir  gleich 
sehen  werden,  mit  Proteus  einen  solchen  Versuch  angestellt  hat,  ist 
auf  die  Frage  überhaupt  nicht  eingegangen.  Leider  ist  es  uns  bisher 
bei  der  verwickelten  Natur  der  EiweiDkörper  unmöglich,  in  jedem 
einzelnen  Falle  zu  sagen,  welcher  Beduktionskörper  dem  gefundenen 
Oxydationskörper  entspricht  und  umgekehrt.  Da  die  Unabhängig- 
keit der  Indolbildung  vom  Luftzutritt  erwiesen  ist,  so  könnte  man  das 
reichlichere  Auftreten  von  Lidol  bei  manchen  Aerobiem  daraus  erklären, 
daß  der  Luftsauerstoff  die  Bildung  des  „Lidolfermentes"'  wie  die  der 
Zymase  (§91)  befördert. 

Einige   neuere  Arbeiten    Berghaus'   und   Nawiaskys-) 
aus  dem  Institute  B  u  b  n  e  r  s  bringen  uns  willkommene  Mitteilungen 
über  das  Verhalten  des  Proteus  zu  Albumosen,  Peptonen, 
Aminosäuren  usw.    In  seiner  ersten  Arbeit^),  die  übrigens  auch 
entsprechende  Untersuchungen   über  einige   strenge  Aerobier   (Vibrio 
Finkler,  Bac.  mesentericus,  alcaligenes)  bringt  (§  170  ff.)  sucht  Na- 
w  i  a  s  k  y  festzustellen,  in  welcher  Weise  der  Gehalt  einer  Pepton- 
bouillon  an  Albumosen,  Peptonen,  Aminosäuren,  Kreatin,  Kreatinin, 
flüchtigen    Basen    (einschl.   Ammoniak)    und    ,, Beststickstoff '^  durch 
das  Wachstum  der  Bakterien  verändert  wird.   Auf  die  Methodik  gehen 
wir  hier  nicht  ein.   In  der  ersten  Wachstumsperiode,  die  10  Tage  um- 
faßt, verschwinden  die  Albumosen*)  schon  fast  vollständig  und  werden 
dabei  offenbar  nur  zum  kleinsten  Teil  in  Leibesbestandteile,  zum  größten 
vielmehr  in  Peptone,  flüchtige  Basen  xmd  Beststickstoff  verwandelt; 
Kreatin  und  Kreatinin,  sowie  die  Aminosäuren  nehmen  dagegen  ab. 
Das  läßt  sich  wohl  nur  so  erklären,  daß  die  bei  der  Spaltung  der  Albu- 
mosen gebildeten  Aminosäuren  schnell  weiter  gespalten  werden.    In 
der  zweiten  Wachstumsperiode  (weitere   10  Tage)  schreitet  die  Ab- 


1)  Ein  Indoläthylamin,  das  etwa  wie  das  Phenyl-  und  Oxyphenyl- 
Äthylamin  aus  der  aromatischen  Aminosäure  gebildet  werden  könnte, 
kommt  dafür  nicht  in  Betracht,  weil  alle  diese  Amine  Reduktionsprodukt« 
sind,  die  durch  einfache  Abspaltung  von  Kohlensäure  entstehen  (s.  u. 
beim  Cholerabazillus  §  170). 

2)  Arch.  f.  Hyg.  64,  1908. 

3)  Der  wesentlichste  Bestandteil  des  ,, Peptons". 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  515 

nähme  der  Albumosen,  von  denen  fireilicli  nicht  allzuviel  mehr  übrig 
geblieben  ist,  nur  noch  sehr  langsam  fort,  dasjenige  der  Peptone  da- 
gegen um  so  schneller,  hauptsächlich  wieder  zugunsten  des  Beststick- 
stoffs  und  der  Basen;  aber  auch  die  Aminosäuren  nehmen  jetzt  etwas 
zu.  In  der  dritten  Periode,  in  der,  nach  der  Eisenfällung  zu  urteilen^), 
die  Bakterienemte  noch  in  geringem  Maße  zuninmit,  bleiben  die  Ver- 
hältnisse ähnlich.  Nur  verlangsamt  sich  die  Abnahme  der  Peptone, 
und  der  Beststickstoff  sowie  die  Fleischbasen  beteiligen  sich  jetzt  an 
der  Zersetzung.  Nawiasky  schließt  aus  seinen  Zahlen,  daß  der 
Prote  US  b  azill  US  in  weit  erheblicherem  Maße  als 
die  gleichzeitig  geprüften  Aerobier  das  Eiweiß 
zu  Zwecken  der  Er af tlief erung  verbrauche,  d.h. 
tief  spalte.  In  der  Tat  wird  fast  die  Hälfte  des 
vorhandenen  Stickstoffs  in  Basenstickstoff  ver- 
wandelt*). Auch  Bergbaus^),  der  die  tägliche  Ammoniak- 
bildung  (Basen)  des  Proteus  in  Peptonbouillon  mit  der  des  Cholera- 
vibrio, Prodigiosus,  Coli-  und  Typhusbazillus  verglich,  kam  zu  ähn- 
lichen Ergebnissen,  wenn  auch  hier  selbst  vom  Proteus  mir  24,5% 
des  Stickstoffs  in  flüchtige  Basen  übergeführt  wurden.  Nachdem  hierbei 
duich  fortlaufende  Keimzählungen  wahrscheinlich  gemacht  worden 
war,  daß  an  der  Ammoniakbildung  auch  die  nicht 
weiter  wachsenden  Zellen  beteiligt  seien,  wurde 
auch  versucht,  festzustellen,  ob  enzymatische  Vorgänge 
dabei  mitwirkten.  Es  zeigte  sich  in  der  Tat,  daß  eine  Proteuskultur, 
die  nach  24  Stunden  Wachstums  4,25  mg  Ammoniak  (auf  50  ccm) 
eizeagt  hatte,  nach  Abtötung  durch  Toluol  in  der  folgenden  Woche 
etwa  noch  ebensoviel  und  mehr,  ja,  wenn  man  die  letzte  Bestimmung 
am  21.  Tage,  bei  welcher  der  Bodensatz  mit  verarbeitet  wurde,  berück- 
sichtigt, mehr  als  doppelt  soviel  Ammoniak  neu  bildete.  Es  machte 
dabei  keinen  Unterschied,  wenn  Bouillon  mit  Traubenzucker,  die  durch 
Vergärung  desselben  sauer  geworden  war,  benutzt  wurde.  In  einem 
weiteren  Versuch,  in  dem  (mit  Azeton)  abgetötete  Proteusbazillen 
(93  mg  Trockengewicht)  in  800  ccm  Bouillon  eingebracht  wurden, 
sah  Berghaus  ebenfalls  eine  wenn  auch  geringere  Ammoniakbildung. 
In  seiner  zweiten  Arbeit  *)  studierte  Nawiasky  die  Zersetzimgen 
des  Asparagins,  der  Aminosäuren  tmd  einiger  anderer  Eiweiß- 

1)  Vgl.  über   die  Bestimmung  der  Bakterienemte   durch   dies  Ver- 
fahren §  234. 

2)  Ähnliche  Zahlen  für  Proteus  geben  M  a  r  c  h  a  1  und  Stoklasa, 
aber  auch  für  Ärobier  zum  Teil  noch  höhere  (§  171). 

3)  Arch.  f.  Hyg.  64,  1908.    Der  Stickstoff  wurde  hier  zum  Teil  auch 
nach  der  H  ü  f  n  e  r  sehen  Methode  der  Harnstoff bestimmung  festgestellt. 

4)  Ebenda  66,  1908. 

33* 


516  Kap.  IX.   i  169. 

abkömmlinge  durch  den  Proteus.    Der  erstere  Stoff,  das  Aminobem- 
steinsäureamid,  wird,  wie  sich  bei  seiner  leichten  Hydrolysierbarkeit 
und  den  früher  von  A  r  n  a  u  d  und  C  h  a  r  r  i  n  bei  der  Züchtung  des 
Pyocyaneus  in  Asparagin  erhaltenen  Ergebnissen  (§171)  fast  erwarten 
ließ,  glatt  unter  Wasseraufnahnie  in  asparaginsaures  Ammoniak  ver- 
wandelt (vgl.  auch  §  191).   Dabei  bleibt  es  aber  nicht,  sondern  die  As- 
paraginsäure  wird  weiter  in  Bemsteinsäure  und  Ammoniak  als  Haupt- 
erzeugnisse sowie  Essigsäure  und  Kohlensäure  gespalten^).    Die  Bem- 
steinsäure,  deren   Bildung  bei  der   „Fäulnis*'  des  Asparagins  schon 
Hoppe-Seyler^)  und  Tappeiner')  gesehen,   muß  aus  der 
Asparaginsäure   (Aminobemsteinsäure)   durch  Reduktion   —  Eintritt 
von  2  Wasserstoff atomen  nach  Formel  1   auf  S.  505  entstehen;  die 
Essigsäure,  die  auch  Tappeiner  neben  Propionsäure  ( ?)  gefunden, 
kann  entweder  ebenfalls  aus  der  Asparaginsäure  durch  Eintritt  von 
4  Wasserstoffatomen  oder,  wie  es  ein  Versuch  mit  Bemsteinsäure  wahr- 
scheinlich machte  (vgl.  S.443),  aus  der  Bemsteinsäure  durch  Eintritt  von 
2  Wasserstoffatomen  hervorgehen.    Wenn  man  sich  vorstellte,  daß  der 
dazu  nötige  Wasserstoff  aus  dem  Wasser  stammte,  so  bliebe  Sauerstoff 
übrig,  um  die  Asparaginsäure,  Bemsteinsäure  oder  Essigsäure  zu  oxy- 
dieren und  so  die  Bildung  von  Kohlensäure  zu  erklären.    Da  die  Menge 
der  reichlich  vorhandenen  Kohlensäure  weder  von  Tappeiner  noch  von 
Nawiasky  genau  bestimmt,  femer  auf  etwaige  Zwischenerzeug- 
nisse  und  Beste  von  Asparaginsäure  nicht  gefahndet  wurde,  auch  ein 
kleiner   Fehlbetrag   von   Ammoniakstickstoff   (3%  des    Gesamtstick- 
stoffes) sich  ergab,  war  eine  genaue  Stoffbilanz  nicht  möglich,  inmierhin 
zeigte  sich,  daß  schon  24  Stunden  nach  Impfimg  von  je  250  ccm  die 
Nährflüssigkeit^)  mit  5  g  Proteusbazillen  die  Verwandlung  des  Aspara- 
gins zu  Asparaginsäure  vollendet  und  ein  Teil  davon  weiter  zerlegt, 
nach  4  mal  24  Stunden  fast  95%  der  Asparaginsäure  gespalten  sein 
mußte.    Auf  einen  etwaigen  Stoffansatz  brauchte  nach  N  a  w  i  a  s  k  v 
—  indiesen  Versxichen  —  nichts  verrechnet  zu  werden,  da  ein  Kon-  , 
trollversuch  ergab,  daß  der  Proteus  in  dieser  Nährlösung  nur  ein  ganz 
schwaches  Wachstum   entfaltete^).    Es  handelt   sich   also   um  reine 


1)  Nach  96  Stunden  wurden  aus  4,34  Aspeuragin  gefunden  2,84  Bem- 
steinsäure, 0,28  Essigsäure,  0,872  Anunoniakstoff,  0,33  Kohlensäure.  D&s 
entwickelte  Gas  bestand  zu  94,3%  aus  Kohlensäure,  die  übrigens  allein 
bestimmt  wurde. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  2.   13. 

3)  Zeitschr.  f.  Biol.  24.   116. 

4)  Außer  5%  Asparagin  nur  Mineralsalze. 

5)  Es  scheint  das  doch  bei  der  guten  Wachstumsfähigkeit  des  Proteus 
etwas  wunderbar.  An  den  Schlüssen  Nawiaskys  ändert  sich  freilich 
nichts,  da  im  Hauptversuch  bei  der  gewaltigen  Einsaat  sowieso  ein  Wachs- 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  517 

Zeisetzungen,  bei  denen  man  nur  noch  festzustellen  hatte,  ob  sie  auf 
Enzyme  zurückzuführen  wären.  Das  gelang  Nawiasky  in  einigen 
Versuchen,  in  denen  mit  Azeton  abgetötete  Proteusbazillen  (je  8  g 
friache  Bazillen)  nach  dem  Trocknen  mit  Glaspulver  und  Toluol  ver- 
rieben in  100 — ^300  ccm  öprozentige  Asparaginlösung  gebracht 
worden  waren.  Im  ersten  Versuche  wurden  nach  4*/^  Tagen  bei  37® 
49,3%  des  Asparaginstickstoffes  in  Ammoniak  übergeführt,  aber  nur 
Spuren  von  Bemsteinsaure  gebildet,  also  zwar  die  Hydrolyse  des  Aspara- 
gins  zu  Asparaginsäure  durch  die  in  den  toten  Leibern  enthaltenen 
Enzyme  glatt  vollzogen,  nicht  aber  die  weitere  Spaltung  der  Asparagin- 
säure. Soweit  waren  übrigens  schon  A  r  n  a  u  d  und  Charrin  in 
ihrer  Arbeit  über  den  Bac.  pyocyaneus  gekommen  (§  71).  Ähnlich  fielen 
einige  weitere  Versuche  aus.  In  einem  letzten  Versuch  wurden  aber 
aus  13  g  Asparagin  binnen  24  Stunden  gebildet  0,47  Bemsteinsaure, 
0,063  g  Essigsäure  und  1,344  g  Ammoniakstickstoff^).  Nawiasky 
berechnet  daraus,  daß  auf  enzymatischem  Wege  nicht 
nur  92%  des  Asparagins  in  Asparaginsäure  ver- 
wandelt, sondern  auch  noch  6%  der  letzteren  ge- 
spalten, d.  h.  teils  zu  Bernstein-  und  Essigsäure 
reduziert,  teils  verbrannt  wurden.  Damit  wäre  zum 
ersten  Male  die  Existenz  einer  „Aminazidase'^  wie  wir  die  Aminosäure 
spaltenden  Enzyme  nennen  können,  durch  den  Versuch  unmittelbar 
bewiesen^).  Über  die  dabei  beobachtete  Wärmeentwicklung,  die  Na- 
wiasky ebenfalls  bestimmte,  vgl.  §  237. 

tum  kaum  stattfinden  konnte  (s.  o.  S.  135  Davids  Versuch).  Man 
hätte  nur  argwöhnen  dürfen,  daß  unter  diesen  Umständen  eine  Selbst- 
verdauung  der  Keime  stattfände,  und  ein  Teil  der  gefundenen  Stoffe, 
namentlich  des  Ammoniaks,  aus  den  verdauten  Bakterien  selbst  stammte. 
Nawiasky  hat  an  diese  Fehlerquelle  gedacht,  aber  in  einem  Versuch 
mit  Einsaat  von  6,75  Proteus  in  100  ccm  einer  Lösung,  die  nur  Mineral- 
s^alze  enthielt,  nach  15  Tagen  nur  99  mg  Animoniakstickstoff,  in  einem 
ähnlichen  mit  5  g  Proteus  nach  4  Tagen  nur  21  mg  Ammoniakstoff  ge- 
funden. Danach  vermutet  er,  daß  1  g  Proteus  mit  27  mg  Stickstoff  durch 
Selbstverdauung  täglich  nur  etwa  1  mg  Ammoniakstickstoff  erzeuge,  eine 
Menge,  die  für  den  obigen  Hauptversuch  kaum  ins  Gewicht  fiele,  vor- 
ausgesetzt, daß  die  Selbstverdauung  hier  nicht 
Kroßeren  Umfang  besessen  hat.  Eine  Bestimmung  der  Bak- 
terienraenge  wäre  jedenfalls  möglich  gewesen  und  in  künftigen  Versuchen 
nicht  zu  vergessen.  Wir  selbst  schließen  übrigens  aus  diesem  Versuche 
^'awiaskys,  daß  dadurch  die  Existenz  von  ,,Aminazidasen"  neben 
der  Endotr3rpta8e  im  Proteus  nachgewiesen  worden  ist  (S.  499),  daß  also 
nicht  bloß  die  Zersetzung  von  Asparaginsäure,  sondern  auch  die  anderer 
Aminosäuren   des  Eiweißes  ein   enzymati scher   Prozeß   ist. 

1)  Kohlensäure  wurde  nicht  bestimmt. 

2)  Vgl.  übrigens  das  in  der  vorletzten  Anmerkung  Gesagte  und  §  166. 


518  Kap.  IX,  i  169. 

In  anderen  Versuchen,  die  ebenfalls  mit  sehr  großer,  kaum  wachs- 
tiimsfähiger  Einsaat  von  lebenden  Proteusbazillen  angestellt  wurden, 
prüfte  derselbe  Forscher  die  Zersetzung  der  Aminosäuren  und  einiger 
Basen  und  erhielt  zunächst  aus  4,4  g  Asparaginsäure  nach 
49  Stunden  2,7 g  Bernsteinsäure ^),  d.  h.  56,6% der  möglicheD 
Menge  und  0,302  g  Ammoniakstickstoff,  d.  h.  65,9%.  Die  übrigen 
Stoffe  folgen  hier  in  der  Reihenfolge,  in  der  sie  sich  zur  Spaltung  be- 
währten. Am  nächsten  kam  der  Asparaginsäure  das  L  e  u  z  i  n  (Amino- 
isobutylessigsäure).  Aus  ihm  wurden  nach  7  bzw.  14  Tagen  54,1  bzw. 
58,7%  der  möglichen  Menge  Ammoniak,  27,3  bzw.  63,2%  der  flüchtigen 
Säure  (Essig-,  Butter-,  Baldrian-  und  Kapronsäure),  38,4  bzw.  3,3% 
Amylalkohol  (daneben  Butylalkohol)  entwickelt.  Die  Baldriansäure 
war,  wie  wir  früher  sahen  (§  168)  schon  vielfach  bei  der  Fäulnis  des 
Eiweißes  und  von  N  e  n  c  k  i  durch  Fäulnis  des  Leuzins  erhalten  worden, 
hier  werden  nur  in  der  späteren  Zeit  die  höheren,  in  den  ersten  Tagen 
nur  die  niederen  Säuren  gefunden.  Nawiasky  macht  dafür  die 
Mitwirkung  des  Luftsauerstoffe  verantwortlich,  durch  die  man  freilich 
—  aber  auch  doch  nur  wieder  unter  Annahme  besonderer  oxydativer 
Kräfte  (Oxydasen?)  der  Zellen  —  die  Bildung  der  niederen  aus  den 
höheren  Fettsäuren  erklären  könnte.  Wir  glauben  aber,  daß  auch  die 
Essigsäure  und  Buttersäure  (Isobuttersäure?)  durch  anaeroben  Zer- 
fall des  Leuzins  entstehen  könnten.  Die  Formel  3b  auf  S.  506  gibt 
uns  den  Weg  dazu  an.    Wir  hätten  nämlich 

2 cH^'^H .  CHg .  CHNHgCOOH  +  2 H^O  =^8^CH  .  CH^ .  CH^ 
Leuzin  Isobutylessig- 

.  COOK  +^JJV^H.C00H  +  CH3.COOH  +  2NHs 
säure  Isobuttersäure     Essigsäure   Anmioniak. 

An  die  Stelle  der  Isobutylessigsäure  (Isokapronsäure)  könnte  in  dieser 
Gleichung  aber  nach  einer  später  zu  erörternden  Umsetzimg  (IIa  in 
§  173)  Isobutylalkohol  und  Essigsäure  treten.  Ein  ähnlicher  Alkohol 
wurde  ja  auch  von  Nawiasky  erhalten. 

Eher  kommt  neben  der  Verdunstung  der  Luftsauerstoff  in  Frage 
für  das  allmähliche  Verschwinden  des  Amylalkohols.  Auf  dessen  sonst 
hauptsächlich  bei  Pilzen  beobachtete  Bildimg  kommen  wir  weiter  unten 
noch  zurück.  (§  173).  Nawiasky  möchte  für  das  spätere  Stadium 
der  Zersetzung  annehmen,  daß  4  Moleküle  Leuzin  unter  abwechselnder 

1)  Vgl.  dazu  die  Befunde  Blumenthals  u.  a.  von  Bemsteinsäure 
in  Milchkulturen  des  Proteus  S.   329. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  519 

Aufnahme  (SHgO)  und  Abspaltang  (2H2O)  von  Wasser  in  4  Moleküle 
Ammoniak  je  2  Moleküle  Eapronsaure  (Isokapronsäure?)  und  Kohlen- 
säoie  und  je  ein  Molekül  Baldriansaure  (Isovaleriansaure?)  und  Amyl- 
alkohol (Isoamylakohol?)  zerfallen.  Die  Umsetzung  entspricht  in  der 
Tat  einer  Addition  unserer  Formeln  3  auf  S.  505  and  8  auf  S.  534. 

Nach  dem  bisherigen  Ausfall  der  Analysen  würden  also  für  den 
Zerfall  des  Leuzins  eine  ganze  Reihe  von  Spaltangsmöglichkeiten  —  oder 
vielleicht  besser  gesagt  verschiedene  Fermente  —  in  Betracht  kommen, 
die  je  nach  dem  Stadium  der  Kulturentwicklung  in  wechselnden  Ver- 
hältnissen wirken.  Bei  den  Milch-  und  Buttersäuregärungen  der  Kohle- 
hydrate haben  wir  ähnliches  erlebt  (§  98  u.  114). 

Aus  Aminovaleriansäure  entsteht  nach  7  Tagen  durch 
Proteus  neben  Anmioniak  Buttersäure,  außerdem  vielleicht  Essigsäure 
(Ameisensäure?)  und  Butylalkohol  und  sehr  wahrscheinlich  die  nicht 
vom  Verfasser  bestimmte  Kohlensäure.  Die  flüchtigen  Säuren  betragen 
29,5%  der  zu  erwartenden  Mengen,  falls  aus*  jedem  Molekül  nur  ein 
Molekül  Säure  entstände. 

Phenylalanin  gibt  ähnliche  Mengen  (24,3%)  flüchtiger 
Säure,  28,1%  Ammoniak  und  außerdem  intensive  Gelbfärbung  (durch 
Benzil  ?)  und  Geruch  nach  Benzaldehyd.  Bei  der  Besprechung  der  Fusel- 
ölbildung  kommen  wir  darauf  zurück  (§  173). 

T  y  r  o  s  i  n  (Paraoxyphenylalanin)  verhält  sich  fast  gleich  dem 
vorhergehenden.   Von  Phenolen  wird  nicht  gesprochen. 

Arginin  ergab  mit  Proteus  20%  Ammoniak  und  einen  sperma- 
ähnlichen Geruch  (Kadaverin  oder  Aminovaleriansäure  s.  u.  §  170). 

Aus  K  r  e  a  t  i  n  wurden  nur  3,7%  des  Stickstoffs  als  Ammoniak 
entbunden.  Da  aber  vom  Kreatin  selbst  8,64%  nicht  wiedergefunden 
worden,  ist  die  B  r  i  e  g  e  r  sehe  Annahme  vielleicht  gestattet,  daß 
Kreatin  teilweise  in  Methylguanidin  und  Essigsäure  gespalten  wird. 
Der  Umsatz  zu  Kreatinin  (s.  u.  §  170)  wurde  nicht  verfolgt. 

G  1  y  k  o  k  o  1 1 1)  ( Aminoessigsäure)  wird  noch  weniger  angegriffen : 
2,8%  Anmioniakstickstoff.  Von  der  zu  erwartenden  Essigsäure  wurden 
nur  0,6  wiedergefunden. 

A 1  a  n  i  n  (Aminoproprionsäure)  ergab  in  einem  Versuch  (4  Tage) 
ähnliche  Verhältnisse,  in  einem  zweiten  22  Tage  fortgeführten  wurden 
allerdings  18,5%  fast  reiner  Essigsäure  gefunden.  Die  übrigen  Er- 
zeugnisse wurden  leider  nicht  untersucht.  Ohne  erhebliche  innere 
oxydative  Vorgänge  ist  die  anaerobe  Entstehung  der  Essigsäure  aus 
Alanin  wie  die  der  Buttersäure  aus  Aminovaleriansäure  und  der  Valerian- 


1)  Vgl.  Hippursäurezersetzung  §  191. 


520  Kap.  IX,  §  169  u.  170. 

säure  aus  Leuzin  natürlich  nicht  denkbar,  immer  wieder  unter  der 
Voraussetzung,  daß  kein  Wasserstoff  frei  wird. 

Glutaminsäure,  die  zweite  Aminodikarbonsäure  (mit  fünf 
Kohlenstoff atomen),  entwickelte  in  15  Tagen  52,94%  des  Stickstoffs  als 
Ammoniak.  Unter  den  nur  in  geringer  Menge  gefundenen  Sauren  waren 
teils  ätherlösliche  kristallisierbare,  die  jedenfalls  u.  a.  Bemstein&äure 
enthielten,  teils  flüchtige  mit  Essigsäuregeruch.  Daß  hierbei  Oxyda- 
tionen durch  den  Luftsauerstoff  eine  Bolle  spielten,  wurde  durch  das 
hautartige  Wachstum  auf  der  Oberfläche  nahegelegt. 

Die  Pyrrolidinkarbonsäure  (mit  5  Kohlenstoffatomen) 
gestattete  ein  ähnliches  Wachstum.  Es  wurde  dabei  durch  Sprengung 
des  durch  Stickstoff  gebildeten  Ringes  Ammoniak  frei  (als  Platindoppel- 
salz  bestimmt),  daneben  Spuren  anderer  Basen,  im  ganzen  in  1 1  Tagen 
43,7  des  Stickstoffs.  Die  beim  Abdestillieren  zurückbleibenden  Massen 
hatten  Spermageruch,  wie  in  der  theoretisch  zu  erwartenden  Amino- 
valeriansäure.  Da  niedere  kohlenstoffhaltige  Abbauprodukte  nur  wenig 
gebildet  zu  werden  scheinen,  wird  die  der  kräftigen  zur  Abspalttmg 
des  Ammoniaks  nötigen  Reduktionswirkung  entsprechende  Oxydation 
wohl  zur  völligen  Verbrennung  führen. 

T  a  u  r  i  n  ,  die  Aminoäthansulfosäure,  die  als  Verwandte  des 
Z  y  s  t  i  n  s  untersucht  wurde,  gestattete  wegen  der  bald  eintretenden 
Säuerung  nur  ein  reichliches  W^achstum  des  Proteus,  wenn  Kreide 
zugesetzt  wurde.  Dabei  wurde  in  10  Tagen  11,3%  des  Stickstoffe  in 
Form  von  Ammoniak  abgegeben.  Die  übrigen  Erzeugnisse  wurden  nicht 
untersucht  (vgl.  §  190). 

Die  Diaminosäuren   wurden    leider  nicht    geprüft    (vgl.    §   170). 

Schließlich  untersuchte  Nawiasky  noch  das  Verhalten  des  Proteus 
gegen  Harnstoff  und  Harnsäure  (vgl.  §  195  u.  193).  3  g  Harn- 
stoff wurden  von  2  g  Proteus  in  2  Tagen  zu  81%  hydrolysiert,  aus  der 
Harnsäure  aber  wohl  wegen  ihrer  sauren  Reaktion  in  6  Tagen  nur  7,74% 
des  Stickstoffs  abgespalten. 

Es  wäre  sehr  erwünscht,  wenn  diese  Untersuchungen  auch  mit 
anderen  Bakterien  wie  mit  dem  Proteus  angestellt  imd  weiter  auch  nach 
der   Seite  der  Enzymforschung  hin  vervollständigt  würden. 

Während  der  Staphylococcus  pyogenes  aureus 
nach  Liborius,  Bienstock,  Rettger  (§  68)  bei  Sauerstoff- 
abschluß imd  Fehlen  von  Kohlehydraten  nicht  zu  wachsen  vermag, 
oder  mindestens  nicht  als  Fäulniserreger  bekannt  ist,  gibt  E  m  m  e  r  - 
1  i  n  g  ^)  an,  mit  diesem  Mikroorganismus  bei  Sauerstoffabschluß 
stinkende  Fäulnis  des  Eieralbumins  mit  Bildimg  von  Phenol,  Indol, 


1)  Ber.  ehem.  Ges.   1896.  2721. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  521 

Skatol  erzeugt  zu  haben.  Außerdem  wurde  Ammoniak  in  großer  Menge, 
reichliche  Mengen  von  Buttersäure,  geringe  von  Ameisen-,  Propion- 
imd  höheren  Fettsäuren,  viel  Oxalsäure  und  wenig  Bemsteinsäure, 
Trimethylamin,  aber  kein  Betain  (S.  510)  gefunden.  Auch  Tissier 
und  Martelly^)  sahen  durch  den  Staphyl.  pyogenes,  den  sie  aller* 
dings  aus  Fäulnismischungen  isoliert  hatten,  Zerfall  des  Fibrins  unter 
Bildung  übelriechender  Produkte  eintreten.  Indol  fanden  sie  aber  nur 
in  Spuren,  Phenol  überhaupt  nicht.  Lewandowski*)  u.  a.  ver- 
mißten auch  Indol  imd  überhaupt  die  faulige  Zersetzung  des  Fibrins. 
Entweder  haben  diese  Forscher  verschiedene  Bakterien  in  der  Hand 
gehabt,  oder,  was  wahrscheinlicher,  der  Verdacht,  den  R  e  1 1  g  e  r 
ausspricht,  trifft  zu,  d.  h.  man  hat  sich  zum  Teil  durch  Anaerobier, 
die  die  Kulturen  verunreinigt  hatten,  täuschen  lassen.  Es  fehlt  dem- 
nach vorläufig  eine  unanfechtbare  Arbeit  über  die  Eiweißzersetzung 
durch  die  Eiterstaphylokokken.  Neuerdings  hat  allerdings  Riemer^) 
die  Zersetzung  der  Peptonbouillon  durch  sie  studiert,  aber  wesentlich 
nur  in  bezug  auf  die  Eohlensäurebildung  (§  220).  Nur  in  zwei  Parallel- 
vereuchen,  die  je  74  Tage  dauerten,  wurde  auch  die  Ammoniakbildimg, 
und  zwar  auf  22,9  bzw.  39,5%  des  Eiweißstickstoffs  bestimmt.  Die 
Kulturen  waren  dabei  übrigens  regelmäßig  durchlüftet  worden. 
Sind  die  Zahlen  richtig,  dann  kann  es  kaum  der  Wirklichkeit  entsprechen, 
wenn  Riemer  auf  Grund  seiner  fortlaufenden  Kohlensäurebestim- 
mungen angibt,  42 — 47%  der  Albumosen  seien  dabei  zu  Kohlensäure 
verbrannt  worden,  sondern  ein  Teil  des  Gases  muß  aus  anderen  Quellen 
stanmien. 

§  170.  Eiweißspaltangen  durch  Vibrionen  und  andere 
Aerobier.  Ptomaine.  III.  Wir  kommen  jetzt  zu  den  mehr  oder 
weniger  streng  aeroben  und  schon  darum  nicht  eigentlich  als  Fäulnis- 
erreger  zu  betrachtenden,  aber  Eiweiß  doch  energisch  angreifenden,  zum 
mindesten  es  durch  hydrolytische  Enzyme  verflüssigenden  Mikroben. 
Zuerst  wollen  wir  hier  dieCholeraspirillen  und  ihre  Verwandten 
herausgreifen,  weil  sie  den  Proteusbakterien  wenigstens  durch  ihr 
Vermögen,  Indol  zu  bilden,  nahestehen.  Bekanntlich  zeichnen  sie 
sich  gleichzeitig  dadurch  aus,  daß  sie  Nitrate  zu  Nitriten  reduzieren. 
^  erklärt  sich  nach  Brieger^),  Salkowski^)  und  P  e  t  r  i  *) 
die  gerade  für  diese  Bakterien  recht  charakteristische,  durch  Zufügen 

1)  Annal.  Pasteur  1902.  877. 

2)  Deutsch,  med.  Wochenschr.   1890.  51. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  71,  1909. 

4)  Deutsch,  med.  Wochenschr.   1887.   15  und  22. 

5)  Virchows  Arch.   110,   1887. 

6)  Zentr.  Bakt.  5,  1889. 


522  Kap.  IX,   §  170. 

von  Mineralsäure  zur  Kultur  zu  erhaltende  Nitrosoindol-  oder 
Gholerarotreaktion  (vgl.  S.  539).  Von  sonstigen  Zersetzungspro- 
dukten sind  namentlich  studiert  worden  der  Schwefelwasserstoff, 
dessen  Bildung  wir  an  anderer  Stelle  erörtern  (§  205),  und  die  basischen 
Stoffe,  die  man  mit  BriegeralsPtomaine  (vgl.  §  259)  bezeichnet 
hat.  Nach  diesem  Forscher^)  werden  in  Cholerakulturen  gefunden: 
Putreszin,  Methylguanidin,  Cholin  und  namentlich 
Kadaverin. 

Kunz"")  isoUerte  femer  aus  einem  Infus  von  Serumeiweiß  und 
Ochsenpankreas,  das  mit  Gholerabazillen  geimpft  war,  eine  Base  von 
der  Zusammensetzimg  C2H5N,  die  höchst  wahrscheinlich  mit  dem 
Spermin  identisch  war.  Wir  werden  bei  Besprechung  der  Bakterien- 
gifte auf  diese  und  andere  Ptomaine  zurückkommen.  Hier  interessiert 
uns  ihre  Entstehungsweise  aus  dem  Eiweiß,  die  wenigstens  teilweise 
bekannt  ist.  Das  Putreszin  oder  Tetramethylendiamin,  das  von 
Brieger^)  wie  das  Kadaverin  auch  aus  Fäulnisgemischen  erhalten 
wurde,  bildet  sich  nach  E  1 1  i  n  g  e  r  ^)  bei  der  Fäulnis  aus  Ornithin 
(Diaminovaleriansäure),  einem  hydrolytischen  Spaltungsprodukt  des 
im  Eiweiß  vorgebildeten  Arginins  CeHi4N402'*),  und  zwar  durch  ein- 
fache Abspaltung  von  Kohlensäure  (vgl.  Formel  5  S.  513): 

7)   C^Hi^N A  =  C4H12N2  +  CO2  . 

Ob  gleichzeitig  das  Methylguanidin  C2H7N3  aus  dem 
zweiten  Spaltungsprodukt  des  Arginins,  dem  Guanidinrest,  etwa  durch 
Reduktion  mit  Wasserstoff  hervorgeht,  muß  dahingestellt  bleiben. 
Eine  andere  Möglichkeit,  die  Entstehung  durch  Oxydation  aus  dem 
Kreatin  oder  Kreatinin  des  Fleisches,  ist  experimentell  bewiesen  und 
bei  dem  Luftbedürfnis  des  Cholerabazillus  auch  nicht  von  vornherein 
abzulehnen. 

Wie  das  Putreszin  entsteht  auch  das  Kadaverin  oder  Penta- 
methylendiamin  nach  Ellinger®)  durch  Kohlensäurespaltung  aus 
der  Diaminokapronsäure. 

Das  C  h  o  1  i  n  ist  schließlich  ein  Zerfallsprodukt  des  Lezithins 

{§  189). 

Wie  die  übrigen  Basen,  die  bei  Eiweißzersetzungen  gefunden 
worden  sind,  sich  bilden,  ist  unbekannt.    Es  ist  aber  wahrscheinlich. 


1)  Bari.  klin.  Wochenschr.  1887.  44. 

2)  Monatsh.  Chem.   1888.  361. 

3)  Untersuchungen  über  Ptomaine  1885  und  1886. 

4)  Ber.  chem.   Ges.   1898.   318. 

5)  Das  Arginin  zerfällt,  wie  wir  sahen,  im  Preßsaft  der  Hefe  durch 
Hydrolyse  in  Ornithin  mid  Harnstoff  (§  166). 

6)  Her.  chem.  Ges.   1899.  3542. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  523 

daß  auch  das  Phenyläthylamin^),  das  zuerst  von  N e n c k i 
und  J e a n n e i e t ')  bei  der  Fäulnis  des  Leims,  das  Oxyphenyl- 
äthylamin,  das  bei  der  Eäsereifung  (§  178)  gefunden  worden  ist, 
nach  Art  der  Gleichung  7  aus  den  aromatischen  Aminosäuren  sich 
abspalten.  Das  Methylamin  und  Äthylamin  aus  Fäulnis- 
gemischen  bzw.  Beinkulturen  (s.  Ptomaine  §  259)  würde  vielleicht 
ebenso  aus  dem  GlykokoU  imd  Alanin  entstehen.  Manche  andere 
Basen  werden  sich  möglicherweise  aus  dem  Cholin  ableiten  lassen. 

Neuerdings  hat  Nawiasky')  in  der  beim  Proteus  (§  169)  be- 
richteten Weise  auch  die  Eiweißzersetzung  des  Vibrio  Finkler- 
Prior  imtersucht.  Es  zeigten  sich  in  der  ersten  Wachstumsperiode 
(in  Peptonbouillon)  vermehrt  die  Aminosäuren,  flüchtigen  Basen*)  und 
Kreatin^),  vermindert  die  Albumosen,  Peptone  und  der  „Reststickstoff", 
anverändert  das  Kreatinin.  Beim  weiteren  Wachstum  blieben  ähnliche 
Verhältnisse  bestehen,  in  der  Absterbeperiode  ninmit  dagegen  das 
Pepton  und  das  Kreatin  erheblich  zu,  während  die  Albumosen  stark 
abnehmen.  Fermente,  die  aus  den  Bakterienleibem  austreten,  werden 
daran  schuld  sein.  Auffällig  ist  die  dauernd  geringe  Bildung 
flüchtiger  Basen,  die  im  Gegensatz  steht  zu  den  sonstigen 
Funden  Nawiaskys  beim  Proteus  und  bei  zwei  anderen  streng 
aeroben  Bakterien  (Bac.  mesentericus  und  alcaligenes),  und  übrigens 
auch  zahlreicher  anderer  Forscher^),  und  beweist,  daß  die  tieferen 
Spaltungen  der  Aminosäuren,  wenn  sie  überhaupt  vorkommen,  bei 
diesem  Vibrio  keinen  bedeutenden  Umfang  haben,  von  einer  Deckimg 
des  Betriebsstoffwechsels  durch  die  Eiweißzersetzung  also  hier  kaum 
die  Rede  sein  kann,  während  umgekehrt  die  Ausnutzung  der  Eiweiß- 
stoffe zum  Wachstum  hier  viel  größer  ist,  als  bei  den  übrigen  Bakterien 
(vgl.  §  234). 

Weiter  ist  bemerkenswert  die  Bildung  von  Kreatin,  die 
nicht  nur  während  des  Wachstums  erfolgt,  sondern  auch  beim  Zell- 
zerfall (enzymatisch ?)  weiter  fortschreitet.  Beim  Bac.  alcali- 
genes wird,  um  das  hier  gleich  anzugeben,  Kreatin  nur  im  letzten 
Stadium  gebildet,   im  ersten   zersetzt,   beim   Bac.   mesentericus  nur 


1)  Vgl.   Spiro,  Hofmeisters  Beitr.   1.   1901. 

2)  Joum.  prakt.  Chem.  15,  1877. 

3)  Arch,  f.  Hyg.  64,  1908. 

4)  Nur  um  4  mg. 
6)  28  gegen  15  mg. 

6)  Z.  B.  Mar  chal  und  Stoklasa  §  171.  Berghaus  (Arch. 
f.  Hyg.  64  8.  o.  beim  Proteus  S.  515)  hat  übrigens  auch  beim  Choleraspirillvim 
keine  erheblichere  Ammoniakbildimg  beobachtet,  ebensowenig  beim  Typhus- 
bazillus (vgl.  aber  Stoklasa). 


524  Kap.  IX,  §  170  u.  171. 

während  des  Wachstums  gebildet.  Kreatinin,  dessen  Menge 
beim  Vibrio  unverändert  bleibt,  nimmt  beim  Alcaligenes  (durch  Wasser- 
entziehung aus  dem  Kreatin?)  während  des  Wachstums  zu,  bei  dessen 
Zerfall  (durch  Wasseraufnahme  imd  Umbildung  in  Kreatin?)  wieder 
ab;  beim  Bac.  mesentericus  nimmt  es  gleichzeitig  mit  dem  Kreatin 
während  des  Wachstums  zu.  Ob  man  bei  den  inmierhin  kleinen  Mengen 
auf  diese  Analysen  entscheidenden  Wert  legen  darf,  steht  freilich  dahin. 
Sonst  ist  über  die  Bildimg  der  Fleischbasen  wenig  bekannt  (s.  o.  Proteus 
S.  514).  Neuerdings  hat  aber  Antonoff  ^)  wie  schon  früher  Z  i  n  n  o 
die  W  e  y  1  sehe  Reaktion  benutzt,  um  die  Bildung  von  Kreatinin  bei 
Bakterien  zu  studieren.  Nach  ihm  erzeugen  diesen  Stoff  aus  Pepton 
die  Vibrionen,  Hühnercholerabazillen,  Proteus,  Bac.  coli,  pseudo- 
dysenteriae,  auch  Diphtheriebazillen,  Staphylo-  und  Streptokokken, 
nicht  Typhus-,  Paratyphus-,  Dysenteriebazillen  usw.  Manche  der 
letzteren  geben  eine  positiv^e  Reaktion  bei  Traubenzuckerzusatz;  viel- 
leicht hat  also  die  Säureentwicklung  einen  gewissen  Einfluß. 

§  171.     Fortsetzung.  Ammoniakbildung  durch  Aerobier. 

IV.  Energische  Zersetzungen  des  Eiweißes,  bei  denen  gewöhnlich  weder 
übelriechende  Produkte  noch  Indol  gebildet  werden,  erzeugt  eine 
ganze  Reihe  verflüssigender  Bakterien,  die  wie  die  Spirillen  strenge 
x\erobier  sind.  Als  Vertreter  der  großen  Gruppe  der  Heubazillen 
sei  zuerst  ein  aus  Milch  isoliertes  Bakterium  erwähnt,  das  von  Ka- 
lischer*) auf  Milch  und  Kaseinlösung  studiert  worden  ist.  Durch 
Enzymwirkung  allein  (S.  489)  entstehen  aus  dem  Kasein  Pepton, 
Leuzin,  Tyrosin,  Tryptophan,  eine  aromatische  Oxysäure  und  etwas 
Ammoniak.  Dieselben  Stoffe  werden  in  den  lebenden  Kulturen  nach- 
gewiesen, Ammoniak  aber  in  sehr  viel  reichlicherer 
Menge.  Offenbar  findet  eine  Spaltung  der  Aminosäuren  durch  die 
Bakterien  statt.  Dafür  spricht  auch  das  Vorhandensein  flüchtiger 
Fettsäuren,  vor  allem  der  Baldriansäure  (s.  o.  S.  508).  Asparagin- 
säure  und  Glutaminsäure,  Skatol,  Phenol  und  Kresol  wurden  nicht 
gefunden,  dagegen  bei  der  Prüfung  auf  Hexonbasen  eine  kristallisier- 
bare Substanz,  die  nicht  näher  bestimmt  werden  konnte. 

Andere  Milchbazillen  aus  der  Gruppe  der  Heubakterien  waren 
schon  früher  mehrfach  als  Eiweißzersetzer  erkannt  worden,  so  der 
Bac.  (pseudo-)butyricus,  der  nach  Hüppe^)  Pepton,  Leuzin, 
Tyrosin  imd  Ammoniak  und  außerdem  Buttersäure,  die  er  aber  auf  die 
Vergärung    von    Milchsäure    zurückführte,    entwickelt.     L  ö  f  f  1  e  r , 


1)  Zentr.  Bakt.  43.  209,   1907. 

2)  Zentr.  Bakt.   37,   1900. 

3)  Mitteilimgen  d.   GesundheitBamts  2,   1884,  vgl.    §  113. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  525 

H  ü  p  p  e  ,  Flügge^)  u.  a.  studierten  dann  die  diesen  Bazillen  sehr 
nahestehenden  Bakterien  der  „bitteren  Milch'\  ohne  aber  auf  die  feinere 
Zosammensetzung  ihrer  Erzeugnisse  mit  Ausnahme  der  nach  ihrer 
Ansicht  den  bitteren  Geschmack  erzeugenden  Peptone  (s.  u.)  näher 
einzugehen.  Lewandowski«)  fand  bei  dem  Bac.  subtilis  zwar 
weder  Indol  noch  Phenol,  beide  Substanzen  aber  bei  dem  nahe  ver- 
wandten Kartoffelbazillus.  Daß  die  Scheidimg  zwischen 
Bakterien,  die  Indol  bilden,  und  solchen,  die  es  nicht  tun,  eine  etwi^ 
künstliche  ist,  zeigen  noch  mehr  die  Untersuchungen  von  König, 
Spieckermann  und  0  1  i  g  ^)  (vgl.  S.  567).  Heubazillen  zersetzen 
einen  v^tabilischen  Nährboden,  der  aber  reich  ist  an  Eiweiß,  das 
Baumwollensaatmehl,  zunächst  ohne  Indol  zu  bilden:  es  fanden  sich 
nach  fünfwöchentlicher  Kultur  nur  Kohlensäure, Ammoniak, 
Schwefelwasserstoff  und  Merkaptan,  primäre  und 
sekundäre  Aminbasen, Buttersäure, Phenylpropion* 
und  Phenylessigsäure,aromatischeOxysäure  neben 
Albumosen  und  Peptonen.  Nach  3  Monaten  waren  aber  auch 
noch  Baldriansäure,  Phenol,  Kresol,  Skatolkar- 
bonsäure  (Indolessigsäure),  S  k  a  t  o  1  und  Indol  nachzuweisen. 
Die  Zersetzung  reiner  Proteinstoffe  verlief  in  ähnlicher  Weise:  bei 
3— 4wöchentlicher  Fäulnis  traten  Skatol  imd  Phenol  nicht  auf,  Indol 
nur  bei  Eiweiß  und  Blutfibrin,  nicht  bei  Pflanzenkonglutin.  Am  stärk- 
sten war  das  Eiweiß  zersetzt:  es  verschwanden  26,5%  der  Trocken- 
substanz xmd  41%  des  Stickstoffes,  und  zwar  20%  als  Ammoniak. 
Da  die  austretenden  Gase  in  Schwefelsäure  aufgefangen  wurden,  hätte 
man  diesen  Verlust  nicht  haben  dürfen,  wenn  es  sich  bloß  um  Ammoniak- 
verdunstung gehandelt  hätte.  Also  muß  nach  der  Ansicht  der  Verfasser 
freier  Stickstoff  entbunden  worden  sein,  ein  Schluß,  der  der 
üblichen  Annahme,  wonach  nur  die  Nitrate  und  unter  dem  Einfluß 
von  salpetriger  Säure  die  Amide  solchen  liefern,  widerspricht  (vgl.  §  179). 
Die  eiweißzersetzende  Fähigkeit  der  Heubazillengruppe  (Tyrothrix 
D u cl a u x)  spielt  auch  anscheinend  eine  große  Rolle  bei  der  Käse- 
reifung (§178).  Chemisch  genauer  untersucht  sind  namentlich  die  Leistun- 
gen des  Bac.  n  o b  i  1  i  s  durch  0.  Jensen*).  Sie  bestehen  darin, 
viel  Pepton,  Ammoniak,  von  flüchtigen  Säuren  Baldrian- 
und  Buttersäure,  also  dieselben,  die  wir  schon  bei  der  Anaeroben- 
fäulnis  vorkommen  sahen,  zu  bilden.  Ähnliches  darf  man  sagen  von 
einem  zweiten  für  die  Käsereifung  wichtigen  Bakterium,  dem  M  i  c  r. 

1)  Zeitschr.  Hyg.  17.  293,  1894. 

2)  Deutsch,  med.  Wochenschr.   1890.  51. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  535»  1903. 

4)  Joum.  Landwirtsch.  Schweiz  1904. 


526  Kap.  IX,  §  171. 

casei  liquef aciens.  Kleine  Mengen  von  Ame^isen-  und 
Essigsäure  erzeugte  es  nebenbei.  Nach  A d a m e t z  und 
Chrzaszcz^)  wäie  femer  für  den  Bac.  nobilis  ein  alkaloid- 
ähnlicherKörper,  der  genau  beschrieben  wird,  charakteristisch. 
Eine  als  Thyrothrix  bezeichnete  Bazillenart,  die  nach  Epstein^) 
die  Reifung  des  Camembertkäses  bewirken  soll,  ist  ein  aerobes  Bak- 
terium, das  wahrscheinlich  den  folgenden  Arten  näher  steht.  Es  er- 
zeugt  in  Kaseinlösung  Albumosen,  Peptone,  Tyrosin, 
Leuzin,  aromatische  Oxysäure,  Essig-,  Butter- 
und Valeriansäure,  Ammoniak,  aber  kein  Tryptophan, 
Indol,  Skatol,  Phenol  und  Kresol.  Der  Bitterstoff,  der  in  Käsen, 
ebenso  wie  in  Milch  nicht  selten  auftritt,  soll  nach  neuen  Untersuchungen 
von  T  r  i  1 1  a  t  und  S  a  u  t  o  n  nicht  Pepton  sein,  sondern  eine  harz- 
ähnliche Substanz,  deren  Bildung  auf  gleichzeitigem  Auftreten  von 
Aldehyden  und  Ammoniak  beruht  (§  173  u.  178). 

Auch  die  grünfluoreszierenden  Bazillen,  die 
eine  ähnliche  Verbreitung  wie  die  Heubakterien  und  der  Proteus  atiI- 
gans  haben,  namentlich  aber  im  Wasser  regelmäßig  vorkommen, 
gehören  hierher.  Emmerling  imd  Reiser^)  haben  allerdings 
nur  die  Wirkung  des  Bac.  fluorescens  liquefaciens  auf  die  Gelatine 
studiert.  Das  Hauptprodukt  ist  Ammoniak,  in  dem  mehr  als 
25^0  ^^  Stickstoffs  erscheinen.  Daneben  treten  Methylamin, 
Trimethylamin,  Gholin  und  B  e  t  a  i  n  auf.  Aminosäuren, 
aus  denen  jedenfalls  das  Anmioniak  stammt,  wurden  nicht  dargestellt, 
wohl  Pepton.  Daß  Indol  und  Skatol  und  Schwefelwasserstoff  sich 
nicht  fanden,  ist  nicht  wunderbar,  da  Tryptophan  und  die  Zystein- 
gruppe  überhaupt  dem  Leim  fehlen.  Aber  auch  die  Abkömmlinge 
desTjnrosins,  die  Phenole,  wurden  vermißt.  Über  das  tryptische  Enzym, 
das  Emmerling  und  Reiser  aus  den  Leibern  derselben  Bazillen 
gewannen,  wurde  schon  S.  489  gesprochen. 

Eine  Ergänzung  zu  dieser  Untersuchung  über  den  Bac.  fluorescens 
liquefaciens  bildet  die  Arbeit  von  A r n a u d  und  Charrin*)  über 
die  Zersetzung,  die  der  naheverwandte  Bac.  pyocyaneus  in 
einer  5  Vqq  Asparaginlösung  verursacht.  Danach  wird  fast  der  gesamte 
Stickstoff  dieses  Amids  der  Aminobemsteinsäure,  nämlich  91  y^,  in  die 
Form  von  Ammoniakverbindungen  übergeführt,  und  zwar  teils  un- 
mittelbar,  teils  auf  dem  Wege  über  die  Asparaginsäure.  Auch 
aus  der  Gelatine  wird  durch  den  Pyocyaneus  TO^q  des  Stickstoffs  als 

1)  Kochs  Jahresber.  1005.  323. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  43,  1902. 

3)  Ber.  ehem.  Ges.  1902.  700. 

4)  Ck)mpt.  rend.  ac.  sc.    112.   766  u.    1167,    1891  vgl.    §  234. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  527 

Ammoniak  abgespalten.  Wir  haben  also  wahrscheinlicli  ähnliche 
Verhältnisse,  wie  wir  sie  oben  vom  Proteus  berichtet  haben  (§  169). 
Ä  r  n  a  u  d  und  C  h  a  r  r  i  n  fanden  auch  schon  die  enzymatische  Natur 
der  Asparaglnsaurebiidung.  Allerdings  gelingt  die  Zerlegung  des  As- 
paragins  nicht  durch  Eulturfiltrate,  wohl  aber  durch  die  Bazillenkörper, 
wenn  Chloroform  zugesetzt  wird.  Neben  dieser  „Asparaginase",  die 
nur  hydrolytisch  wirkt,  gibt  es  nach  dem  Funde  Nawiaskys 
(§  169)  eine  „Aminazi dase",  die  die  Asparaginsäure  weiter  spaltet. 
Leider  fehlen  entsprechende  Untersuchungen  über  die  Zersetzungen 
anderer  Aminosäuren  durch  den  Bac.  pyocyaneus. 

Nur  teilweise  wird  diese  Lücke  ausgefüllt  durch  die  Arbeiten  von 
M  a  r  c  h  a  1  ^)  imd  S  t  o  k  1  a  s  a.  Zunächst  untersuchte  der  erst- 
genannte Forscher,  wieviel  Ammoniak  die  von  ihm  aus  Erde 
gezüchteten  verschiedenartigsten  Mikroorganismen  aus  einer  Eiweiß- 
losung entwickelten,  die  10%  durch  Zusatz  von  0,01%  Ferrisulfat 
ungerinnbar  gemachtes  Eieralbumin  und  darin  1,5%  Stickstoff  ent- 
hielten. Alle  waren  dazu  imstande,  wenn  sie  sich  überhaupt  auf  diesem 
Nährboden  entwickelten.  Die  Bestimmung  ergab  nach  Destillation 
mit  Magnesia  die  folgende  Reihe: 

Es  verwandelten  binnen  20  Tagen  bei  30°  von  dem  Eiweißstick- 
stoff in  Anmioniakstickstoff : 

Bac.  mycoides      ....  46%  Bac.  arborescens  ....     19% 

Proteus  vulgaris  ....  36%  Bac.  fluorescens  liquefaciens  16% 

Bac.mesentericusvulgatus.  36%  Cephalothecium  roseum     .     37% 

Sarcina  lutea 27%  Aspergillus  terricola .    .     .    32% 

Bac.  subtilis 23%  Botryotrichum  piluliferum     24% 

Bac.  janthinus      ....  23%  Stemphylium 5% 


Bac.  fluorescens  putidus     .    22%      Streptothrix  Foersteri  ( ?) .    21% 

Von  den  hier  aufgeführten  Bakterien  und  Schimmelpilzen,  die,  ab- 
gesehen von  Proteus  und  Fluorescens  putidus,  nur  strenge  Aero- 
hier  umfassen,  erwies  sich  also  Bac.  mycoides  als  kräftigster 
Eiweißzersetzer.  Unter  8  Stänmien  dieses  Bazillus  fand  M  a  r  c  h  a  1 
einen,  der  sogar  58%  des  Eiweißstickstoffs  in 
Ammoniak  überführte*).  Weiterhin  ergab  sich  das  inter- 
essante Resultat,  daß  die  Eiweißspaltung  um  so  weiter 


1)  Bull.  acad.  roy.  sc.  bell.  lett.  Bruxelles  3.  s6r.  25,  1893,  S.  727. 

2)  Auch  der  Bac.  megatherium  führt  den  Eiweißstickstoff  (aus  der 
Abfallauge  der  Melasseentzuckerung)  his  zu  62%  in  flüchtige  Basen  über 
( A  n  d  r  1  i  k  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  10.  219,  s.  auch  u.  bei  S  t  o  k  - 
1  a  s  a). 


528  Kap.  IX,   §  171. 

ging,  je  verdünnter  die  Lösung  war.  In  Iprozen- 
tiger  Lösung  erreichte  sie  100%.  Sämtliche  Eiweißkörper 
wurden  in  ähnlicher  Weise  angegriffen,  am  stärksten  sogenanntes 
„Pepton".  Von  den  Aminosäuren  entwickelte  Tyrosinin  0,4prozen- 
tiger  Lösung  mit  etwas  Zucker  und  Salzen  66%  seines  Stickstoffs  in 
Form  von  Anmioniak,  L  e  u  z  i  n  40%  und  Asparaginsäure 
in  Iprozentiger  Lösimg  37%^).  Der  K  re  ati  n  Stickstoff  ging  nur 
zu  ca.  9%  in  Ammoniak  über.  M  a  r  c  h  a  1  faßt  diese  Zersetzung  der 
Eiweißstoffe  durch  den  Bac.  mycoides  als  eine  Oxydation  auf. 
Doch  gibt  er  selbst  an,  daß  sie  nicht  vollständig  ist,  da  er  auf  jedes 
Milligramm  Ammoniak  nur  8,9  mg  Kohlensäure  sich  entwickeln  sah, 
während  von  der  Theorie  10,35  verlangt  werden,  und  außerdem  flüchtige 
Fettsäuren  wie  Ameisen-,  Propion-  und  Buttersäure 
nachgewiesen  wurden.  Uns  scheint  die  Voraussetzung  näher  zu  liegen, 
daß  auch  hier  zunächst  ähnliche  Spaltungen  statt- 
finden wie  bei  den  Anaeroben  —  Peptone,  L^uzin  und 
Tyrosin  fehlten  ebenfalls  nicht  — ,  daß  dann  aber  die  Spal- 
tungsprodukte weiter  durch  den  Sauerstoff  der 
Luft  oxydiert  werden.  Die  Säuren  (Oxalsäure ?  s.  u.),  die 
dabei  sich  bilden,  und  die  Verdunstung  des  Ammoniaks,  die  dabei 
möglich  ist,  erklären  es  wahrscheinlich,  daß  die  Eiweißzer- 
setzung gerade  bei  den  Aeroben  gewöhnlich  viel 
umfangreicher  ist  als  bei  den  An  a  er  ob  en^),  bei  denen 
die  Anhäufung  des  Ammoniaks  den  Spaltungsprozeß  früher  hemmt. 
In  einem  ähnlichen  Versuch  mit  Iprozentiger  Peptonlösung  erhielt 
übrigens  L  ö  h  n  i  s  ^)  nach  10  Tagen  von  verschiedenen  Bakterien 
4 — 20%  Ammoniak,  von  Bac.  mycoides  nur  10 — 12%. 

Ein  anderes  Verfahren,  um  den  Grad  der  Eiweißzersetzung  durch 
verschiedene  Bakterien  festzustellen,  befolgte  Stoklasa*)  in  einer 
Arbeit,  die  wir  hier  anschließen  wollen,  obwohl  sie  außer  verflüssigen- 
den strengen  Aerobiem  auch  fakultativ  anaerobe,  verflüssigende  und 


1)  Auch  Gly kokoll  wird  durch  manche  Bakterien  und  Pilze  kräftig 
gespalten,  vgl.  Hippursäure  §191.  Die  Assimilationsversuche  von  B  i  e  r  e  m  a 
(Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  710,  1909)  lehrten  nichts  über  Zersetzungen 
des  Leuzins,  Tyrosins  und  der  Asparaginsäure,  zeigten  aber,  daß  sie  ohne 
Abscheidung  von  Ammoniak  und  Stickstoff-(  Ammoniak-)  Verlust  assimiliert 
werden. 

2)  Wie  gering  die  Kohlensäurebildung  bei  der  gemischten  anaeroben 
Fäulnis  ist,  sieht  man  aus  den  Angaben  von  Berthelot  und  Andre 
(§  179).  Daß  nur  die  Aerobiose  dabei  entscheidet,  folgt  aus  den  ähnlichen 
Erfahrungen  von  A  r  n  a  u  d  und  C  h  a  r  r  i  n  (s.  u.  S.  545). 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   14.   399.   1905. 

4)  Hofmeisters  Beitr.  3.   1903. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper. 


529 


nichtverfliissigende  Arten  betrifft.  Nach  dem  Vorgänge  Haus- 
manns^) bestimmte  er  zuerst  den  „Amidstickstoff '',  dann  den  „Di- 
amino-*'  und  schließlich  dem  ,,Monaminostickstoff",  der  aus  einem 
eiweißhaltigen,  gut  durchlüfteten*)  Nährboden  —  in  diesem  Falle 
Knochenmehl^  10g  -f  0,1g  Ealiumsulfat  -f  ^fi5  g  Magnesium- 
chlorid +  0,01  g  Eisensulfat  auf  900  Teile  Wasser  —  während  33  Tagen 
bei  32®  erhalten  wurde,  und  verglich  ihn  mit  der  Bindungsform  des 
Stickstoffs  in  dem  ungeimpften  Nährboden. 

Von  der  Nährlösung  wurden  250 — 600  com  klcur  abfiltriert,  auf 
ca.  100  ccm  eingedampft  (unter  Auffangen  des  überdestillierten  Ammoniaks), 
dann  nach  dem  Abkühlen  mit  20  com  konzentrierter  Salzsäure  versetzt 
und  unter  beständigem  Ersatz  des  verdampften  Wassers  5  Stunden  am 
Rückflußkühler  gekocht.  Jetzt  wurde  die  Flüssigkeit  nut  Magnesia  über- 
neutralisiert und  das  Ammoniak  abdestilliert,  —  der  N  im  Ammoniak 
ergibt  den  (lose  gebundenen)  Amidstickstoff.  Der  Rückstand,  in  Salzsäure 
gelöst,  wurde  eingeengt,  mit  Phosphorwolframsäure  ausgefällt,  die  Fällimg 
nach  24  Stunden  abfiltriert  und  mit  stark  verdünnter,  salzsäurehaltiger 
Phosphorwolframsäure  gewaschen,  bis  das  Filtrat  nicht  mehr  gelb  gefärbt 
ablief  —  die  Stickstoffbeetimmung  ergab  den-  Diaminosäurenstickstof f .  Das 
Filtrat  wurde  auf  250  ccm  eingedampft  und  sein  Stickstoff  wurde  (nach 
Kjeldahl)  bestinunt:  Monoaminosäurenstickstoff.  Schließlich  stellt 
man  auch  noch  den  Gesamtstickstoff  in  einem  anderen  abgemessenen  Teil 
der  Nährlösung  fest  und  berechnet  die  Verhältniszahlen. 

Das  Ergebnis  war  folgendes  (abgekürzt): 


nie  Kultur  ergab  den  Stickstoff  in  Fonn  von 


Amid-N 


Dia- 
ralno-N 


Monoa- 
mino-N 


B.  megatherimn  .... 
„  proteus  vuIgariB  .  .  . 
„  pseudobutyricus  (Hüppe) 

„  mycoides 

„  mesentericus  vulgatus    . 

„  subtilis 

„  coli  conununiB  .... 
»  typhi 


61% 

20% 

41% 

30% 

46% 

14% 

62% 

9% 

63% 

41% 

62% 

18% 

53% 

21% 

67% 

10% 

14% 
29% 
36% 
25% 

12% 
20% 
18% 


Von  der 
Phosphor- 
säore  des 
Knochen- 

mehls 
gingen  In 

Lösung 


Absolute 
Menge  des  In 

Lösung') 

befindlichen 

Stickstoffs 


22% 
15% 
16% 
23% 
21% 
23% 

21% 
23% 


0,48  g 
0,47  g 
0,48  g 
0,49  g 
0,49  g 
0.46  g 
0,44  g 
0,46  g 


1)  Zeitflchr.  f.  physiol.  Chem.  27  und  29. 

2)  Dabei  wurde  die  zutretende  Luft  von  Ammoniak  befreit  und  das 
Ammoniak  in  der  austretenden  Luft  in  Schwefelsäure  aufgefangen,  um 
keinen  Verlust  zu  bekommen. 

3)  Das  Knochenmehl  hatte  einen  Stickstoffgehalt  von  5,3%,  es  war 
also  in  dem  ganzen  Nährboden  0,53  g  N  vorhanden. 

Kruse,  Mikrobiologie.  34 


530 


Kap.  IX,   §  171  u.   172. 


Die  Kultur  ergab  den  Stickstoff  In  Form  von 


Amid-K 


DU- 
mlno-N 


B.  fluorescens  liquefaciens  . 
„  pyocyaneus 

Hartlebii 

Statzeri 


>> 


>> 


>> 


filifaciens 


ungeiinpft 


23% 
22% 
20% 

14% 
11% 

4% 


57% 


Monoa- 
mlno'N 


66% 

57% 
63% 

29% 


15% 

17% 

11% 
26% 

18% 
62% 


Von  der 
Phosphor« 
sfture  des 
Knodien- 

mehla 
gingen  in 

liösung 


Absolut« 
Menge  de»  in 

Lösung 
befindlidien 

Stkkstoffs 


12% 
6% 
8% 
4% 

4% 


0,47  g 
0,43  g 
0,46  g 
0,35  g 
0,32  g 

0,37  g 


Leider  wurde  der  von  den  Bakterien  fertiggebildete  Ammoniakstick- 
stoff nicht  getrennt  bestimmt,  er  ist  in  den  Zahlen  der  ersten  Spalte 
mit  einbegriffen.  Die  Methode  ergibt  femer,  wie  man  sieht,  meist  einen 
nicht  mierheblichen  Verlust.  Man  weiß  auch  nicht,  in  welcher  Fonn 
der  Stickstoff  in  dem  unlöslichen  Teil  des  Nährbodens  enthalten  war. 
Immerhin  sind  die  Unterschiede  so  bedeutend,  daß  sie  im  großen  und 
ganzen  kaum  auf  Fehler  zurückgeführt  werden  können.  Es  zeigt  sicli 
gegenüber  den  geimpften  Proben  eine  starke  Abnahme  des  Monoamino- 
stickstoffs,  und  zwar  bei  den  ersten  8  Arten  —  den  „Ammonisations- 
bakterien"  zugunsten  des  Amidstickstoffs,  bei  den  letzten  5  —  den 
Denitrifikationsbakterien  —  zugunsten  des  Diaminostickstoffs.  Die 
erstere  Tatsache  würde  ja  ohne  weiteres  verständlich  sein,  wenn  man 
sich  die  Zersetzung  der  ursprünglich  in  Knochenleim  vorhandenen 
Monoaminosäuren  in  der  gewöhnlichen  Weise  vor  sich  gehend  denkt; 
das  reichliche  Auftreten  des  Diaminostickstoffs 
in  den  Kulturen  der  zweiten  Grappe  setzt  aber  Umwandlungen 
eigentümlicher  Art  voraus,  die  noch  aufgeklärt  werden 
müßten.  Die  Zahlen,  die  in  der  Tabelle  für  die  in  Lösung  gegangene 
Fhosphorsäure  des  Knochenmehls  angegeben  sind,  sprechen  dafür, 
daß  das  Kalziumphosphat  durch  die  Bakterien  der  ersten  Gruppe 
energisch  angegriffen  wird.  Auch  hier  täte  eine  Aufklärung  not.  Wir 
wollen  schon  hier  vorwegnehmen,  daß  die  Bakterien  der  zweiten  Gruppe 
den  Namen  der  Denitrifikationsbakterien  mit  Recht  führen,  weil  sie, 
wie  wir  später  sehen  werden  (§  198),  die  salpetersauren  Salze  sehr  leb- 
haft zersetzen.  S  t  o  k  1  a  s  a  stellte  in  besonderen  Versuchen  fest, 
daß  sie  im  Gegensatz  zu  den  Bakterien  der  ersten  Gruppe,  in  Nähr- 
lösungen, die  neben  Eiweiß  (Leim)  oder  Asparagin  noch  Nitrate  ent- 
halten, die  komplizierten  Stickstoffverbindungen  ziemlich  imberührt 
lassen,  um  so  reichlicher  aber  das  salpetersaure  Salz  angreifen. 


Wandlungen  der  Kiweißkörper.  531 

Hierher  gehören  schließlich  auch  einige  Untersuchungen  B  e  r  g  - 
haus'  und  Nawiaskys,  die  sich  mit  der  Eiweißzersetzung  durch 
Proteus  (S.  514),  Vibrio  Pinkler  (S.  523),  Bac.  alcaligenes  und  Bac. 
mesentericus  befaßten.  Der  letztere  unterschied  sich  wenig  von 
dem  Alcaligenes,  indem  er  den  Stickstoff  der  Albumosen  und  Peptone 
zu  mehr  als  einem  Drittel  in  Basenstickstoff  verwandelte. 

§  172.  Eiweißspaltnng  durch  Schimmelpilze  und  Strahlen- 
pilze. V.  Den  aeroben  Bakterien  treten  die  Schimmelpilze,  die  meist 
proteolytische  Enzyme  bilden  (S.  491 ),  an  die  Seite.  Über  die  Erfahrungen 
Marchals,  die  Schimmelpilze  des  Bodens  betreffend,  haben  wir 
schon  S.  527,  berichtet.  Die  einzelnen  Pilzarten  imterscheiden  sich 
auch  nach  Teichert^)  in  ihrem  Vermögen,  das  Eiweiß  anzugreifen, 
recht  erheblich.  Penicillium  glaucum  macht  aus  den  Proteinstoffen 
der  Milch  77,8%  löslich  und  bildet  dabei  69,7%  „Amidsubstanzen". 
Die  entsprechenden  Zahlen  für  Mucor  mucedo  lauten  48,5  bzw.  33,6%, 
für  Oidinm  lactis  9,1  bzw.  2,4%.  Über  die  Bedeutung  dieser  und  anderer 
Pilze  für  die  Käsereifung  und  das  Käsearoma  werden  wir  an  anderer 
Stelle  handeln  (§  178).  Besonders  Butkewitsch*)  hat  aber  bei 
den  einzelnen  Arten  interessante  Unterschiede  in  ihrem  Verhalten  zu 
den  Eiweißkörpem  aufgefunden.  Der  Aspergillus  niger  ver- 
wandelt den  größten  Teil  derselben  in  Ammoniak  und  Oxal- 
säure, den  kleineren  Teil  in  Aminosäuren  wie  L  e  u  z  i  n  und  T  y  r  o  - 
s i n  und  andere  nicht  bekannte  Stoffe.  Penicillium  glaucum 
und  Mucorarten  bilden  umgekehrt  verhältnismäßig  wenig  Ammo- 
niak und  Oxalsäure,  aber  viel  Aminosäuren.  An  diesem  Verhältnis 
ist  die  saure  Reaktion,  die  durch  die  Anhäufung  der  Oxalsäure  in  den 
Kulturen  des  Aspergillus  niger  entsteht,  schuld.  Sorgt  man  z.  B.  durch 
Bindung  der  Oxalsäure  mit  kohlensaurem  Kalk  für  ihre  Entfernung 
aus  der  Nährlösung,  so  bleibt  auch  beim  Aspergillus  die  Zersetzung 
der  Eiweißstoffe  im  wesentlichen  bei  den  Aminosäuren  stehen,  offenbar 
weil  der  Ammoniak,  der  aus  der  Spaltung  hervorgeht,  die  Reaktion 
des  Nährbodens  bald  so  alkalisch  macht,  daß  dadurch  die  weitere  Tätig- 
keit des  Pilzes  behindert  wird.  Umgekehrt  kann  man  Penicillium 
und  Mucor  durch  Aufrechterhalten  der  sauren  Reaktion  in  der  Kultur 
mittelst  Zufügung  von  Phosphorsäure  dazu  bringen,  daß  sie  das  Eiweiß 
auch  zum  größten  Teil  zum  Ammoniak  spalten.  Oxalsäure  selbst  wird, 
wie  wir  S.  390  ff.  gesehen  haben,  wohl  von  allen  Pilzen  gleichmäßig  ge- 
bildet, aber  von  dem  Aspergillus  nicht  weiter  angegriffen,  während 
es  von  den  anderen  Arten  verbraucht  wird.  Daß  das  Ammoniak  durch 


1)  Milchzeitung  1903. 

2)  Jahrb.  wiss.  Bot.  38,  1903. 

34' 


532  Kap.  IX,   §  172  u.  173. 

Spaltung  der  Aminosäuren  entsteht,  hat  Butkewitsch  durch 
Züchtung  des  Aspergillus  auf  Leuzin,  Ty rosin  und  Aspara- 
g  i  n  nachgewiesen.  Im  Widerspruch  damit  hat  freilich  E  m  m  e  r  - 
1  i  n  g  ^)  auf  L  e  u  z  i  n  überhaupt  kein  Wachstum  des  Aspergillus 
niger  beobachtet,  ein  schwaches  nur  auf  Phenylalanin,  Argi- 
nin,  Histidin,  Lysin.  Die  übrigen  Aminosäuren  (G 1  y k o - 
koll,  Alanin,  Asp  ar  aginsäur  e  ,  Glutaminsäure, 
Pyrrolidinkarbonsäure,  Serin)  ermöglichen  ein  üppiges 
Wachstum.  Oxalsäure  wurde  dabei  stets  als  Stoffwechselprodukt 
gefunden,  auf  andere  nicht  gefahndet.  Leider  hat  Butkewitsch 
ebensowenig  wie  E  m  m  e  r  1  i  n  g  die  Frage  weiter  untersucht,  ob  diese 
Spaltung  auf  enzymatischem  Wege  erfolgt,  und  welche  andere  Stoffe 
dabei  entstehen.  Fehlen  die  Zwischenprodukte  des  Zerfalls,  die  wir  bei  den 
übrigen  Mikroorganismen,  auch  strengen  Aerobiem,  bisher  niemals 
vermißt  haben,  vor  allem  die  niederen  Fettsäuren  imd  der  Schwefel- 
wasserstoff, femer  die  aromatischen  Abkömmlinge  des  Tyrosins, 
Phenylalanins  und  Tryptophans  auch  bei  den  Schinmielpilzen  nicht? 
Oder  werden  etwa  nur  Kohlensäure,  Oxalsäure  und  Schwefelsäure 
neben  dem  Ammoniak  gefunden?  Im  letzteren  Fall  würden  wir  die 
Eiweißzersetzung  durch  die  Schinmielpilze  als  einen  reinen  Oxyda- 
tionsprozeß, eine  echte  „Verwesung"  (§  176)  anzusehen  haben.  Die 
Frage  ist  deswegen  von  ganz  besonderer  Bedeutung,  weil  gerade 
Schimmelpilze  das  Eiweiß  so  vollständig  zeilegen 
können,  wie  wenige  andere  Mikroorganismen. 
Erscheinen  doch  bis  zu  60%  der  Eiweißstickstoffe 
in  den  Kulturen  des  Aspergillus  niger  als  Am- 
moniak 2).    Wir  nähern  uns  damit  den  Verhältnissen  des  Eiweiß- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  274,   1903. 

2)  Sehr  viel  geringer  scheint  nach  Butjagin  (Arch.  f.  Hyg.  52. 
1,  1904)  die  Zersetzung  des  gekochten,  nicht  vom  Fett  befreiten  Muskel- 
fleisches  durch  Penicillium  glaucum  und  besonders  Aspergillus  niger  eu  sein. 
Leider  gibt  der  Verfasser  außer  der  Menge  der  gasförmig  ausgeschiedenen 
Kohlensäure  luid  des  Ammoniaks  nur  die  prozentische  Zusammen- 
setzung des  Fleisches  vor  und  nach  der  116  Tage  dauernden  Schimmelpilz- 
entwicklung an.  Der  Ammoniakstickstoff  betrug  am  Schluß  wohl  kaum 
mehr  als  den  8.  Teil  des  ursprünglich  vorhandenen  Gesamtstickstoffs. 
Der  Stickstoff  der  Aminosäuren  machte  nur  eben  den  8.  Teil  der  Trocken- 
substanz aus.  Die  Menge  der  flüchtigen  Säuren  und  wasserlöslichen  Be- 
standteile war  vermehrt,  der  Ätherextrakt  vermindert.  Sind,  wie  im  Brot, 
Kom  und  in  den  pflanzlichen  Futtermitteln  neben  dem  Eiweiß  reichliche 
Mengen  von  Kohlehydraten  oder  Fetten  vorhanden,  so  ist  die  Zersetzung 
des  Eiweißes  noch  geringfügiger  (W  e  1 1  e ,  Arch.  f.  Hyg.  24;  Hebebrand, 
Hyg.  Rundschau  1892;  Scherpe,  Arbeit.  Gesundheit-samt.  15,  vgl. 
auch   §  180  ff.). 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  533 

Zerfalls  im  Organismus  der  höheren  Tiere,  der  ja  ein  noch  vollstän- 
digerer ist,  wenn  auch  das  Ammoniak  nicht  als  solches,  sondern  als 
Harnstoff  ausgeschieden  wird. 

Bis  zu  dem  Beweis  des  Gegenteils  werden  wir  keine  so  scharfe 
Abgrenzung  der  Schimmelpilze  von  den  übrigen  Mikroorganismen 
vornehmen  dürfen  und  auch  ihnen  Spaltungs-  und  Beduktionsprozesse 
zuschreiben  müssen,  denen  die  Oxydationen  erst  nachfolgen  würden. 
So  würde  z.  B.  das  Leuzin  durch  sie  nicht  unmittelbar  oxydiert  werden 
zu  Kohlensaure,  Wasser  und  Ammoniak,  etwa  nach  der  Formel 

CeHi^NOg  +  150  =  6C0a  +  NH3  +  ÖH^O , 

sondern  zunächst  z.  B.  in  Baldriansäure,  Buttersäure,  Ammoniak 
und  Kohlensäure  gespalten  (S.  518)  und  dann  mehr  oder  weniger  voll- 
ständig weiter  verbrannt  werden.  Andeutimgen  dafür,  daß  durch 
Schimmelpilze  (Penicillium  glaucum)  auch  aromatische  (Karbolsäure) 
und  ptomainartige  Stoffe  gebildet  werden,  finden  wir  übrigens  in  der 
Literatur^). 

Einige  parasitische  Schinmielpilze  vermögen  auch  schwer  an- 
greifbare Eäweißkörper  oder  Abkömmlinge  davon,  wie  Keratin, 
zu  zerlegen,  und  ebenso  stickstoffhaltigen  Körpern,  die  den  Kohle- 
hydraten wohl  näher  stehen,  wie  Chitin  und  Huminstoffen,  ihren 
Stickstoff  zu  entziehen  (S.  112).  Wie  sie  das  machen,  ist  aber  noch 
nicht  untersucht. 

Den  Schimmelpilzen  scheinen  die  Strahlenpilze  in  ihrem 
Stoffwechsel  nahe  zu  stehen  (s.  o.  M  a  r  c  h  a  1).  Streptothrix  (Aktin.) 
chromogena  bildet  aus  aromatischen  EiweiQresten  (Tyrosin)  Farb- 
stoffe (S.  486).  Nach  Beijerinck^)  spielt  als  Sauerstoffüberträger 
das  reichlich  erzeugte  C  h  i  n  o  n  eine  Bolle  (vgl.  S.  466).  Auch  Indol 
wird  gebildet  (s.  u.  S.  538). 

§  173.  Eiweißspaltung  durch  Hefe.  Bildung  von  Alko- 
holen und  Aldehyden,  Geruchs-  und  Geschmacksstoffen. 
VI.  Den  Schimmelpilzen  reihen  sich  die  Hefepilze  an  und  bilden  gleich- 
zeitig durch  ihr  geringes  Verflüssigungsvermögen  einen  Übergang  zu  der 
folgenden  Gruppe  (§  174).  Über  das  Eiweißzersetzungsvermögen  der 
Hefe  ist  wenig  bekannt.  Daß  sie  auch  Ammoniak  aus  Eiweißstoffen 
abzuscheiden  vermögen,  wird  zwar  durch  die  Erfahrungen,  die  bei 
der  Selbstverdauung  der  Hefe  gemacht  worden  sind  (§  166),  bewiesen, 
aber  seine  Menge  ist  nicht  wesentlich  größer,  als  man  auch  bei  der  Tiyp- 
sinverdauung  erhält,  man  ist  daher  vielleicht  zunächst  noch  berechtigt, 

1)  G  o  8  i  o  9  Baumgartens  Jahresber.  1896.  525 ;  I  w  a  n  o  f  f  ebenda 
1898.  635. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6.  2,  1900. 


534  Kap.  IX,  §  173. 

sämtlichen  von  der  Hefe  entwickelten  Ammoniak  als  ,,Aniidstick- 
Stoff  ^^  zu  betrachten,  d.  h.  aus  der  Wirkimg  eines  hydrolytischen  Enzyms 
auf  gewisse  leicht  spaltbare  Bestandteile  des  Eiweißes  (Säureamide) 
zu  erklären.  Versuche  mit  Asparagin  müßten  darüber  Auskunft  geben, 
ob  Hefe  wirklich  imstande  ist,  sie  zu  Asparaginsäure  zu  spalten.  Die 
Tatsache,  daß  Asparagin  zur  Ernährung  der  Hefe  besonders  geeignet 
ist,  spricht  wohl  dafür.  In  ebensolchen  Versuchen  würde  sich  dann  v^eiter 
ergeben,  ob  die  Spaltung  noch  darüber  hinausgeht  und  z.  B.  zur  Bil- 
dung von  Bemsteinsäure  u.  a.  führt.  Bisher  liegen  nur  derartige  Prü- 
fungen vor  für  einige  andere  Aminosäuren,  namentlich  das  Leuzin. 
F.  E  h  r  1  i  c  h  ^)  hat  dabei  die  Entdeckung  gemacht,  daß  die  1  e  b  e  n  d  e 
Hefe  allerdings  nur  bei  Gegenwart  von  viel  Zucker,  d.  h.  wenn  sie 
Gelegenheit  zur  Gärung  erhält,  aus  dem  Leuzin  Amylalkohol 
zu  bilden  vermag.  Man  könnte  sich  die  Umsetzung  am  ein- 
fachsten erklären  durch  die  Gleichung: 

CeHiaNO^  +  H^O  =  C^H^jO  +  CO,  +  NH,  . 

Bei  der  reichlichen  Erzeugung  von  Kohlensäure  durch  die  alkoholische 
Gärung  des  Zuckers  ist  die  neben  dem  Amylalkohol  entstehende  Kohlen- 
säure kaum  nachzuweisen.  Merkwürdigerweise  wird  aber  auch  der 
Ammoniak  vermißt.  Ehrlich  macht  deshalb  die  Annahme,  die 
Hefe  verbrauche  das  abgespaltene  Ammoniak 
zuihrer  Ernährung,  die  Spaltung  die  äußerlich  einer  Gärung 
entspricht,  diene  also  vermutlich  der  Assimilation.  Dazu  paßt,  daß 
ein  Zusatz  von  Ammoniaksalz  oder  Asparagin  zu  der  Zucker-Leuzin- 
mischung  das  Leuzin  vor  der  Spaltung  in  Amyalkohol  usw.  schützt^). 
In  ganz  ähnlicher  Weise  entstehen  vielleicht  die  anderen  höheren 
Alkohole,  die  das  „FuselöP'  ausmachen  (§  90)  aus  anderen  Amino- 
säuren, z.  B.  der  Isobutylalkohol  aus  der  Aminovalerian- 
säure.    Folgende  allgemeine  Formel  würde  den  Vorgang  wiedergeben: 

8)   R  .  CHNHg  .  COOH  +  HgO  =  R  .  CHgOH  +  CO2  +  NH3. 

Wirklich  nachgewiesen  hat  Ehrlich  bisher  noch,  daß  aus  dem  T  y  r  o  - 
8  i  n  (Oxyphenylanin)  durch  die  Hefegärung  Oxyphenyl-Äthyl- 
a  1  k  o  h  o  1 ,  aus  dem  Phenylalanin  Phenyläthylalko- 
h  o  1  (der  Riechstoff  der  Rose !),  aus  der  Phenylaminoessigsäure  Benzyl- 


1)  Zoitschr.  d.  Vereins  für  Rübenzuckerind.  1906.  8;  Ber.  ehem. 
Ges.    1906  u.    1907. 

2)  Aus  dem  hauptsächlich  im  Eiweiß  vorhandenen  Linksleuzin  ent- 
steht lao- Amylalkohol,  aus  dem  wahrscheinlich  auch  vorhandenen  Iso- 
leuzin  normaler  Amylalkohol.  Das  Rechtsleuzin  wird  kaum  angegriffen, 
weshalb  durch  Hefe  inaktives  Leuzin  unter  Freiwerden  von  Rechts- 
leuzin (vgl.    §  58)  gespalten  wird. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper .  535 

alkohol  (und  Benzaldehyd)  entwickelt  weiden.  Wenn  auch  voraus- 
gesetzt weiden  kann,  daß  alle  diese  Yoigänge  enzymatischei  Natui 
sind,  so  gelang  es  doch  E  h  1 1  i  c  h  nicht,  sie  durch  Azetondaueihefe 
hervoizurufen.  Pringsheim^)  bestätigte  auch  füi  a n d e i e 
Pilze,  wie  Mucoi  racemosus,  Rhizopus  tonkinensis,  Monilia  Candida, 
eine  Toiulaart  usw.  die  Fähigkeit,  Leuzin  in  Amylalkohol  umzu- 
wandeln, doch  ist  sie  genngei  entwickelt  als  in  dei  Hefe,  bei  dei  nach 
Ehrlich  bis  zu  3%  entstehen  können.  Auch  nach  Piingsheim 
ist  die  „desamidieiende*'  Eiaft  dei  Hefe  und  Pilze  gegenüber  Amino- 
sauien,  ebenso  wie  die  weiteie  Spaltung  des  Restes  in  Alkohol  und 
Kohlensäuie  an  ein  Feiment  gebunden,  das  sich  bishei  abei  in  den 
PreOsäften  nicht  daistellen  läßt,  die  Auffassung  Ehilichs  aber 
nicht  berechtigt,  daß  die  ErnährungderPilzemitAmino- 
säuren  immer  nur  auf  dem  Umwege  der  Ammoniakabspaltung 
geschähe.  —Während  Pringsheim  der  Meinung  ist,  daß  Bak- 
t  e  r  i  e  n  höchstens  aus  Zucker  und  auch  nur  in  geringer  Menge  Amyl» 
alkohol  bilden  könnten  (S.  372),  hat  Nawiasky  in  seiner  Arbeit  über 
den  Proteus  (S.  518  ff.)  bewiesen,  daß  dieses  gemeine  Fäulnisbakterium 
ebenfalls  aus  Leuzin  große  Mengen  Amylalkohol,  aus  Amino- 
valeriansäure  Butylalkohol  und  aus  Phenylalanin  wahrschein- 
lich B  e  n  z  i  1  imd  Benzaldehyd  entwickelt.  Aber  schon  eine 
ältere  Angabe  über  Amylalkoholbildung  aus  Eiweiß  liegt  bei  M  a  a  s  • 
s  e  n  ^)  vor.  In  seiner  gründlichen  Arbeit  über  den  B  a  c.  p  r  a  e  - 
p  0 1 1  e  n  s  stellte  er  fest,  daß  dieser  alle  Eiweißstoffe  energisch  ver- 
flüssigende Keim,  der  wohl  in  unsere  vierte  Gruppe  (§  171)  gehört, 
neben  Leuzin  und  T  y  r  o  s  i  n  viel  Kohlensäure,  femer 
Propion-,  Valerian-,  Bernsteinsäure,  Spuren  von 
Ameisensäure,  aromatische  Oxysäure  \md  eine  un- 
bekannte Säure  erzeuge.  Schwefelwasserstoff  imd  M  e  r  - 
k  a  p  t  a  n  werden  nur  aus  Pepton,  nicht  aus  andeiem  Eiweiß  eihalten. 
Das  Aioma  schien  durch  v  aleri  ansäuren  Amyl- 
ä  t  h  e  I  gebildet  zu  sein.  Daneben  entsteht  noch  ein  flüchtiger,  jodo- 
formbildender Körper,  während  Indol,  Skatol  imd  Phenol 
fehlen.  Andere  von  M  a  a  s  s  e  n  untersuchte  Aromabildner  sind  dem 
Bac.  praepoUens  teib  ähnlich,  teils  gehören  sie  zu  der  folgenden  nicht- 
verflüssigenden  Gruppe  (§   174). 

Unter  den  Erzeugnissen  dei  Hefegäiung  (§  90),  wie  gelegentlich 
untei  denen  dei  Fäulnis  und  Eiweißzersetzung,  z.  B.  bei  dem  eben 


1)  Biochem.  Zeitschr.  8  und  12,  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.   156; 
22,  119. 

2)  Arb.  k.  Gesundheiteamts  15.  500,  1901. 


536  Kap.  IX,  {  173  u.  174. 

genannten  Bac.  praepoUens,  weiden  Aldehyde  und  Ameisen- 
säure neebneinander  erwähnt.  Die  oben  erwähnten  Mitteüungen 
Ehrlichs  und  Nawiaskys  beweisen,  daß  Aldehyde  auch  bei  der 
Zersetzung  der  Aminosäuren  neben  Alkoholen  entstehen.  Ehrlich^) 
hat  darauf  hingewiesen,  daß,  wenn  man  den  entsprechenden  Aldehyd 
an  die  Stelle  des  Alkohols  und  Ameisensäure  an  die  der  Kohlensäure 
setzt,  die  oben  angegebene  Formel  geeignet  sei,  die  Bildung  beider 
Stoffe  zu  erklären: 

9)   R  .  CHNHa .  COOK  +  H^O  +  R  .  CHO  +  HCOOH  +  NKj. 

Ob  die  Aldehyde,  die  nach  T  r  i  1 1  a  t  und  S  a  u  t  o  n  ^)  von  Milchsäure- 
hefen und  anderen  Mikroben  erzeugt  werden,  auf  Kosten  von  Zucker 
oder  von  Eiweißstoffen  oder  das  einemal  so,  das  anderemal  so  ent> 
stehen,  ist  zweifelhaft.  Sie  haben  dadurch  eine  Bedeutung,  daß  sie 
mit  dem  von  demselben  oder  anderen  Keimen  gebildeten  Ammoniak 
zusammen  eine  harzähnliche  Substanz  mit  bitterem  Geschmack 
ergeben.  Die  Verfasser  führen  darauf  den  Geschmack  dorbit- 
teren  Milch  und  des  bitteren  Käses  zurück  (§  171  u.  17d). 
Wir  wollen  übrigens  hier  bemerken,  daß  auch  noch  andere  Zer- 
setzungen der  Aminosäuren  und  entsprechenden  Fettsäuren  denkbar 
wären,  die  zur  Bildung  von  Alkoholen  führen.   Es  ist  nämlich: 

10)  R.CHNHg.COOH  +  2H2O  =  R.CH2OH  +  H.COOH  +  NH,+  0 

,  R.Alkohol   Ameisensäure 

und 

11)  R'.  CHj .  CHNHjj .  COOH  +  2H2O  =  R'CHjOH  +  CH5 .  COOK  + 

R' .  Alkohol      Essigsäure 
NH3+O. 

Wir  haben  damit  Umsetzungen,  bei  denen,  wie  bei  unserer  Gleichung  1 
auf  S.  505,  Sauerstoff  frei  wird.  Beide  könnten  sich  also  vielleicht 
ersetzen.  Ebenso  erhielten  wir  an  Stelle  von  Formel  2a  und  2b  auf 
S.  506  folgende  einfachere: 

10a)    R .  CHj .  COOH  +  H^O  =  R .  CH^OH  +  HCOOH , 

1  la)   R' .  CHj .  CH2 .  COOH  +  H^O  +  R'CHaOH  +  CH3 .  COOH . 

In  der  Tat  haben  wir  Veranlassung,  bei  der  von  Nawiasky  studierten 

Fäulnis  des  Leuzins  durch  Proteus  (S.  518)  dergleichen  anzunehmen. 

liäßt  man  die  in  den  Formeln  8  und  9  festgelegten  Umsetzungen 

als  Leistungen  der  Hefe  zu,  so  ist  es  vielleicht  erlaubt,  mit  Ehr- 

1)  Zitiert  von  Nawiasky  a.  a.  O.  Der  Ort  ist  falsch  zitiert  und 
hat  von  uns  nicht  festgestellt  werden  können.  Vgl.  aber  Anm.  1  auf  folgender 
Seite. 

2)  Annal.  Pasteur  1908.  3. 


Wandlungen  der  EiwelOkörper.  537 

lich^)  auch  die  Bernsteinsänre  der  alkoholischen 
Hefegärung  (§  90)  aus  einer  Aminosäure,  d.  h.  der  Asparagin- 
sauie  nach  Formel  1,  herzuleiten.  Natürlich  müßten  daneben  Ozyda« 
tionsprodukte  (vgl.  S.  516)  entstehen.  Beweise  für  diese  Annahme  scheinen 
noch  nicht  vorzuliegen.  Selbst  an  eine  Bildung  der  bei  der  Zymase- 
ganmg  gefundenen  (§90)  Milchsäure  aus  dem  Alanin  nach 
Formel  4  auf  S.  509  ließe  sich  denken. 

Daß  durch  diese  Bildungsart  der  Aldehyde  wie  der  Alkohole  die  zur 
Entstehung  der  Geschmaclä-  und  (jeruchsstoffe  führenden  Vorgänge 
erschöpft  wären,  ist  freilich  kaum  anzimehmen.  Auch  aus  dem  Zucker 
bzw.  Kohlehydraten  und  Glykosiden  können  ja,  wie  wir  bei  der  Milch- 
und  Buttersäuregärung  sahen,  mindestens  Alkohole,  vielleicht  auch 
Aldehyde  imd  Ketone  entstehen.  In  sehr  vielen  Fällen  ist  die  Herkimft 
des  Aromas  noch  nicht  aufgeklärt  (s.  Butterherstellung  §  111,  Käsereifung 
§  178),  oder  muß  zum  Teil  auf  in  den  Nährböden  vorgebildete  Stoffe 
wie  Glykoside  zurückgeführt  werden  (s.  S.  261  u,  454  ff.). 

§  174.  Eiweißspaltimg  durch  nicht  peptonisierende  Bak- 
terien. VII.  Den  bisher  besprochenen  vier  Gruppen  von  Bakterien 
(§  168 — 171),  die  das  Eiweiß  tmter  Mitwirkung  proteolytischer  Enzyme 
zerlegen,  stehen  die  übrigen  gegenüber,  die  nicht  mit  solchen  ausgerüstet 
sind  und  dennoch  die  Eiweißstoffe  ihrer  Ernährung  dienstbar  machen,  es 
also  auch  ohne  Ausnahme  mehr  oder  weniger  tief  spalten  müssen,  wenn 
sie  davon  leben  sollen.  Man  könnte  sie  als  „peptolytische''  von  den 
„proteolytischen" unterscheiden  (T i s s i e r  und  Martelly^)).  Doch 
stimmt  der  Name  deswegen  nicht,  weil  nicht  bloß  die  Peptone  und 
Älbumosen,  sondern  auch  lösliche  und  sogar  feste  Eiweißstoffe  von 
ilmen,  wenn  auch  in  abnehmender  Stärke,  angegriffen  werden.  Wie 
das  geschieht,  ist  im  allgemeinen  noch  dunkel.  Die  Möglichkeit,  daß 
bei  der  Peptonspaltimg  Enzyme,  wie  das  E  r  e  p  s  i  n  der  Darmschleim- 
kaut  mitwirken,  ist  im  Auge  zu  behalten  (S.  493).  Daneben  wird  man 
aber  vor  allem  an  die  Beteiligung  von  Endotryptasen,  die  ja  zum  Teil 
bei  ihnen  nachgewiesen  sind  (§  166),  denken.  Eine  wissenschaftliche 
Einteilung  der  nicht  verflüssigenden  Mikroorganismen  zu  geben,  sind 
wir  vorläufig  nicht  imstande.  Ganz  verkehrt  wäre  es  z.  B.,  den  un- 
gleichen Sauerstoffbedarf  dazu  zu  benutzen.  Allerdings  gibt  es  auch 
unter  ihnen  strenge  Anaerobier,  wie  gelegentliche  und  strenge  A§robier, 
aber  die  Art  der  tieferen  Spaltung  scheint  durch  diese  Eigenschaft 
ebensowenig  gekennzeichnet  zu  sein,  wie  bei  den  peptonisierenden 
Mikroben.  Für  den  praktischen  Gebrauch  hat  folgende  Trennung 
ein  gewisses  Interesse. 

1)  Ref.  Chemiker-Zeitung  1907.   1086. 

2)  Annal.  Paeteur  1902.  12. 


538  Kap.  IX,   §  174. 

Nsich  den  Spaltungsprodukten  der  ,, aromatischen"  Eiweißkerne 
könnte  man  die  „niehtverflüssigenden''  Mikroorganismen  mit  Kit a- 
8  a  t  o  ^)  imd  Lewandowski^)  einteilen  in  solche,  die 

a)  Indol  (oder  Skatol)  und  Phenol  bilden,  d.  h.  Tryptophan  und 
Tyrosin  zerlegen  —  hierher  gehören  z.  B.  die  Bakterien  der  hämorrha- 
gischen Septikämie  und  des  Botzes; 

b)  Indol,  aber  kein  Phenol  bilden  —  der  Bac.  coli  communis  und 
Verwandte,  ferner  der  Tuberkelbazillus*)  und  Aktinomycesarten^); 

c)  weder  Indol  noch  Phenol  bilden,  z.  B.  der  Typhus-,  Paratyphus- 
und  Ruhrbazillus,  der  Bac.  aerogenes,  die  Streptokokken,  der  Micro- 
coccus  tetragenus  usw. 

Die  Bedeutung  dieser  Einteilung  für  die  Diagnostik  ist  allerdings, 
wenn  wir  von  den  bei  den  anderen  Bakterien  gemachten  Erfahrungen 
(s.  o.  §  168 — 171)  ganz  absehen,  durch  spätere  Untersuchungen  zweifel- 
haft geworden.  Widersprechende  Angaben  über  den  B.  coli  communis 
(Blumenthal ^),  Tissier  und  Martelly*),  Lehmann 
und  Neumann '^))  lassen  sich  freilich  noch  erklären  durch  den 
Umstand,  daß  unter  diesem  Namen  mehrfach  Bakterien  identifiziert 
worden  sind,  die  voneinander  verschieden  sind.  Es  gibt  ja  viele  Unter- 
arten des  B.  coli  (z.  B.  B.  coli  anindolicus).  Unzweideutig  lehren  dagegen 
die  Versuche  von  Morris®),  daß  scharf  gekennzeichnete  Bakterien, 
wie  der  Bac.  typhi,  murisepticus,  cyanogenes  und  von  verflüssigenden 
der  Bac.  violaceus,  pyocyaneus,  anthracis,  die  man  früher  als  Nicht- 
indolbildner  ausgegeben  hat,  mehr  oder  weniger  starke  Indolreaktion 
liefern,  wenn  man  sie  nicht  wie  gewöhnlich  einige  Tage  in  1  prozentiger, 
sondern  10  Tage  in  öprozentiger  Peptonbouillon  züchtet.  Auch  unter 
diesen  Umständen  bilden  nach  Morris  kein  Indol  der  Streptococcus 
pyogenes,  Micrococcus  tetragenus,  Bac.  phosphorescens,  diphtheriae, 
Zopfii,  enteritidis,  rhusiopathiae  suis;  und  von  verflüssigenden  der 
Staphyl.  pyog.  aureus  und  albus,  der  „Bac.  subtilis"  und  megatherium. 
Es  fragt  sich  nur,  ob  diese  Bestimmungen  denn  nun  endgültige  sind. 
Schon  S.  525  haben  wir  gesehen,  daß  je  nach  der  Wahl  des  Eiweiß- 
körpers, der  durch  Heubazillen  zersetzt  wird,  die  aromatischen  Zerfalls- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  7,  1889. 

2)  Deutsch,  med.  Wochenschr.   1890.  51. 

3)  Kühne,  Zeitschr.  f.  Biol.  29  und  30.  238. 

4)  Lehmann    und    N  e  n  m  a  n  n  ,     Grundriß     d.    Bakteriologie 
1904.    Über  Strahlenpilze  vgl.  das  S.  533  Gesagte. 

5)  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  28.  241,  1895  (Indol  imd  Phenol). 

6)  a.  a.  O,  (ebenso). 

7)  a.  a.  O.  (Spuren  Phenol). 

8)  Arch.  f.  Hyg.  30,   1897. 


Wandlungen  der  Eiweiß körper .  539 

Produkte  verschieden  sind.  Noch  schlimmer  ist  es,  daß  die  Indol- 
bildung  bei  einem  und  demselben  Bakterium  in  den  gleichen  Nähr- 
boden veränderlich  ist.  Versuche,  die  im  Laboratorium  des  Verfassers 
von  S  e  1 1  e  r  ^)  mit  dem  Bazillus  der  Pseudodysenterie  gemacht  worden 
sind,  beweisen  das:  von  einer  Reihe  von  10  Bouillonpeptonröhrchen, 
die  gleichzeitig  mit  einem  und  demselben  Stamm  dieses  Bazillus  ge- 
impft wurden,  gaben  nach  14  Tagen  die  einen  die  Reaktion,  die  anderen 
nicht  oder  schlecht.  liegt  das  an  einer  eigentümlichen  Fehlerquelle 
in  der  kolorimetrischen  Methode  des  Indolnachweises  oder  wirklich 
an  der  Variabilität  der  Bazillen  ?  Es  wäre  interessant  genug,  dieser  Frage 
weiter  nachzugehen. 

Weim  man  somit  der  Indolprobe  auch  nicht  jede  Bedeutung 
namentlich  für  die  Bakteriendiagnostik  absprechen  wird,  so  beweisen 
diese  und  frühere  Erfahrungen  doch,  daß  nicht  nur  ihre  Hand- 
habung gewisse  Vorsichtsmaßregeln  erfordert, 
sondern  auch,  daß  die  Verarbeitung  des  Tryptophankems  zu  Indol 
viel  häufiger  den  Mikroorganismen  gelingt,  als  man  früher  ge- 
glaubt hat. 

Bis  wir  in  der  Lage  sind,  das  reine  Tryptophan  (Aminoindolpropion- 
säure)  als  Reagens  auf  Mikroorganismen  zu  verwenden,  müssen  wir  uns 
mit  der  bisherigen  Methode  des  Indolnetchweises  in  eiweißhaltigen  Nähr- 
böden begnügen.  Am  besten  geeignet  ist  nach  unseren  Erfahrungen  eine 
lOprozentige  Peptonsalzlöeung  oder  im  Notfall  eine  6 — lOprozentige  Pep- 
tonbouillon.  Benutzt  man  die  gewöhnliche  Iprozentige  Peptonbouillon, 
so  ist  auch  ein  kleiner  Zuckergehalt  vom  .Übel,  weil  er  die  Reaktion 
meist  verhindert  (§  186).  Letztere  wird  so  augestellt,  daß  man  zu  etwa 
10  ccm  der  wenigstens  Stägigen  Kultur  je  1  ccm  einer  0,02prozentigen 
Losung  von  salpetrigsaurem  Natrium  und  reiner  Schwefel-,  Salpeter-  oder 
Salzsäure  gibt  (SalkowskiS.  521).  Die  rote  Fällung  geht  beim  Schütteln 
in  reichliche  Mengen  von  Amylalkohol  über.  Dadurch  ist  das  „NitrosoindoP* 
von  anderen  roten  Farbstoffen,  die  gelegentlich  beim  Zusatz  obiger  Reagen- 
tien  auflreten,  zu  unterscheiden  (Milzbrand  nach  M  a  a  ß  e  n).  Die  Le- 
gal sehe  Probe  (Nitroprussidnatriumlösung  bis  zur  Gelbfärbung  und  einig» 
Tropfen  Natronlauge)  gibt  mit  Indol  eine  blauviolette  Färbung,  die  auf 
Zusatz  von  Salzsäure  reinblau  wird.  Am  sichersten  ist  die  Gewinnung 
des  Indols,  Skatols  und  Phenols  durch  Destillation. 

Über  die  neue  imd  anscheinend  recht  brauchbare  Ehrlichs  che 
Indolprobe  vgl.  Böhme*),  Marshall')  und  Crossonini  *). 

1 )  Zentr.  Bakt.  51,1 909.  Über  das  ungleiche  Verhalten  der  verschiedenen 
Abarten  der  Pseudodysenteriebazillen  vgl.  auch  Kruse,  Ritters- 
haus, Kemp  und  Metz,  Zeitschr.  Hyg.  67.  430,   1907. 

2)  Zentr.  Bckkt.  40.  129.  Zu  10  ccm  der  Kultur  werden  je  5  ccm 
einer  Lösung  von  Paradimethylamidobenzaldehyd  (4  in  380  Alkohol  von 
96%  und  80  konz.  Salzsäure)  und  Kaliumpersulfat  (konz.  wässrig)  zugesetzt. 

3)  Joum.  of  hyg.  1907.  581. 

4)  Arch.  Hyg.  72,  1910. 


540  Kap.  IX,  §  174. 

Eine  notweadige  Vorauasetasung  für  die  Bildung  von  Indol  scheint 
die  Abspaltung  des  Tryptophans  aus  den  Eiweißkörpem  zu  sein. 
Eine  Untersuchung  von  E  r  d  m  a  n  n  und  Winternitz  *)  hat  ergeben, 
daß  fast  alle  Bakterien  dazu  befähigt  sind.  Sie  weisen  das  Tryptophan 
(oder  ,,Proteinochrom*S  wie  sie  es  nach  dem  Vorgang  von  Stadel  mann 
nennen)  na^h,  indem  sie  die  Kulturen  in  öprozentiger  Peptonbouillon  mit 
Essigsäure  schwcu^h  ansäuern  und  unter  Umschütteln  tropfenweise  mit 
gesättigtem,  frisch  zubereitetem  Chlorwasser  (besser  als  Bromwasser)  ver- 
setzen. Die  ersten  Tropfen  bringen  gewöhnlich  schon  eine  deutliche  Kot- 
färbung hervor.  Nur  bei  starken  Indolbildnem  wie  Bac.  coli,  pneumoniae  ( ? ), 
acidi  lactici  (aörogenes?),  suisepticus  fehlte  die  Reaktion  stets,  vrährend 
schon  am  ersten  Tage  Indol  nachgewiesen  wurde.  Man  könnte  das  damit 
erklären,  daß  von  diesen  Bakterien  das  aus  dem  Eiweiß  abgespaltene 
Tryptophan  sofort  weiter  umgewandelt  würde.  Allerdings  spräche  dagegen, 
daß  einzelne  Bakterien  (die  Spirillen  der  Cholera  usw.)  erst  die  Indol-, 
dann  die  Tryptophanreaktion  geben.  Vielleicht  liegt  das  aber  an  der  ge- 
ringen Empfindlichkeit  der  letzteren.  —  Bei  einer  Nachprüfung  im  Labora- 
torium des  Verfassers  erhielt  S  e  1 1  e  r  nur  negative  Ergebnisse. 

Grenauere  Untersuchungen  über  die  Eiweißzersetzung  durch  nicht 
verflüssigende  Mikroorganismen  liegen  bisher  nur  wenige  vor,  und 
auch  diese  wenigen  widersprechen  sich. 

Taylor^)  hat  die  Eiweißzersetzung  durch  Bac.  coli  unter- 
sucht, aber  nur  sein  Verhalten  zu  E  a  s  e  i  n  festgestellt.  Die  Spaltung 
dieses  Stoffes  soll  keine  tiefgreifende  sein.  Freilich  wird  der  orgamsch 
gebundene  Phosphor  zu  y4als  Phosphorsäure  abgespalten,  femer 
Spuren  von  Diaminosäuren  (Histidin),  aber  anscheinend  keine 
Monoaminosäuren  gebildet,  und  es  bleibt  viel  koagulierbares  Eiweiß 
zurück. 

Viel  energischere  Wirkungen  fand  dagegen  zunächst  Rettger ^) 
bei  anaerober  Züchtung  des  B.  coli  auf  Pepton,  Eieralbumin  und  nament- 
lich in  einer  Aufschwemmung  von  Fleisch  und  Eieralbumin.  Nach 
2 — 3  Wochen  war  die  Flüssigkeit  faulig  zersetzt  und  enthielt  neben 
sehr  wenig  Albumose  und  Pepton  viel  Leuzin,  Tyrosin,  Indol,  Skatol- 
karbonsäure,  Phenolen,  Schwefelwasserstoff  imd  Merkaptan,  während 
Eadavenn  und  Putreszin  fehlten.  Die  Fäulnis  schritt  dann  weiter, 
die  meisten  Zwischenprodukte  wurden  zu  Kohlensäure,  Sump^as, 
Ammoniak  zersetzt,  Indol,  Leuzin  und  Tyrosin  blieben  unberührt. 
Der  Bac.  aerogenes  brauchte  viel  längere  Zeit,  um  ähnliche  Zersetzungen 
zu  bewiiken. 

Mit  diesen  Angaben  stimmen  aber  nicht  überein  die  Erfahrungen 
Bienstocks,  die  mit  zahkeichen  Anaerobiem  am  Fibrin  gemacht 


1)  Münchn.  med.  Wochenschr.   1903.  23. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  36,  1902. 

3)  Americ.  Joum.  of  physiol.  8.  284,  1903. 


Wandlungen  der  EiweifikÖrper.  541 

worden  sind  (S.  507),  und  Pfaundlers^),  die  dahin  gehen,  daß 
der  CoübaziUus  reine  Proteine  wie  Serumeiweiß  und  Eiweißsalzlösungen 
überhaupt  nicht  anzugreifen  vermöge,  sondern  nur  weiter  abgebaute 
Eiweißstoffe.  So  bilde  er  z.  B.  bei  der  Zersetzung  des  Wittepeptons 
6%  Ammoniak  (aus  Leim  aber  nach  Stoklasa  [s.  o.  S.  529]  ebenso  wie 
der  Typbusbazillus  9 — 11  mal  soviel  Amidstickstoff).  Spätere  Unter- 
suchungen führten  dann  auch  R  e  1 1  g  e  r  (S.  507)  zu  dem  Ergebnis, 
daß  die  Fleischeiermischung  in  wirklichen  Reinkulturen  des  Bac.  coli, 
aerogenes  und  vieler  anderer  daraufhin  geprüfter  verflüssigender  und 
nichtverflüsaigender  Aerobier,  z.  B.  des  B.  faecalis  alcaligenes,  fluores- 
cens,  Streptococcus  pyogenes,  ohne  „sichtbare  Zeichen  der  Zersetzung'* 
blieb,  und  daß  seine  eigenen  früheren  Befunde  wie  die  E  m  m  e  r  - 
I  i  n  g  8  (s.  u.)  sich  durch  nachträgliches  T)berwuchem  von  Anaeroben 
erklärten.  Erst  in  Mischkulturen  von  letzteren  (besonders  des  Putri- 
ficns)  und  Colibazillen  traten  erhebliche  Mengen  Indol,  kleine  von 
Skatol  imd  Skatolkarbonsäure  auf.  Im  übrigen  scheinen  aber  die 
Coli-  und  Aerogenesbazillen  die  Eiweißspaltung  durch  die  Anaeroben 
zu  verlangsamen,  was  man  wohl  auf  Säurebildung  aus  den  Zuckern 
des    Nährbodens  erklären  darf  (§  186). 

Schittenhelm  und  Schrötei  ^)  zeigten,  daß  der  B.  coli 
aas  nukleinsaurem  Natrium  durch  ein  erepsinähnliches 
Enzym  (s.  o.  S.  494),  Phosphorsäure,  Ammoniak  imd  Purinbasen  ab- 
spaltet und  letztere  weiter  zersetzt.  Das  G  u  a  n  i  n  zerfällt  dabei  unter 
Wasseraufnahme  in  Xanthin,  das  Aden  in  in  Hypoxanthin  und 
Ammoniak  (§  193).  Soweit  würde  man  mit  der  Annahme  hydrolytischer 
Enzyme  auskommen.  Außerdem  finden  sich  noch  Stoffe,  die  auf 
tiefere  Abspaltungen  deuten,  aber  nicht,  wie  Schittenhelm  und 
Schröter  ursprünglich  annahmen,  freier  Stickstoff  (Oppen- 
heimer^)). 

Nach  Emmerling*)  wäre  auch  die  Wirkung  des  Strepto- 
coccuspyogenes  auf  Fibrin  eine  sehr  kräftige.  Er  soll  es  bei 
Luftabschluß  allmählich  zu  einer  nichtstinkenden  Flüssigkeit  lösen, 
die  durch  Kochen  nicht  gerinnt,  durch  Alkohol  getrübt  wird,  Biuret- 
leaktion  gibt  und  aus  der  sich  Pepton,  Leuzin,  Tyrosin, 
Ammoniak,  Methylamin,  Propylpyridin  (Kollidin), 
Bernsteinsäure,  Buttersäure  und  andere  flüch- 
tigeFettsäuren,  aber  kein  Phenol  und  Indol  darstellen  lassen. 


1)  Zentr.  Bakt.  31.  113,  1902. 

2)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  40,  1903. 

3)  Ebenda  41. 

4)  Ber.  ehem.  Ges.  18.  97.  1863. 


542  Kap.  IX,   §  174  u.  176. 

Diese  ErgebniBse  widersprechen  aber  denen  Bienstocks^)  und 
Rettgers  (s.  o.).  Sie  konnten  überhaupt  keine  iZersetzung  des 
Fibrins  oder  Fleisches  und  Eiweißes  durch  Streptokokken  feststellen. 
Möglich  wäre  es,  von  Verunreinigungen  abgesehen,  daß  Unterschiede 
zwischen  den  einzelnen  Arten  und  Varietäten  von  Streptokokken 
beständen.  Hat  man  doch  auch  verflüssigende  Stämme  beobachtet. 
Der  Streptococcuslacticus,  sowie  namentlich  die  langen 
Milchsäurebazillen,  d.  h.  die  gewöhnlichen  Milchsäure- 
bakterien (§  97),  greifen  femer  mindestens  das  peptonisierte 
Kasein  an  imd  tragen  dadurch  zur  Käsereifung  bei  (§  178).  Auch 
für  den  Geschmack  und  Geruch  der  Butter  sollen  ihre  aromatischen 
Produkte,  deren  Entstehung  freilich  noch  dimkel  ist,  von  Bedeutung 
sein  (§  111).  Unter  den  fruchtätherbildenden  Bakterien  gibt  es  nach 
M  a  a  s  s  e  n  (s.  o.  S.  535)  auch  einige  nicht  verflüssigende.  Ammo- 
niakderivate sind  gelegentlich  aus  Kulturen  dieser  Gruppe  dar- 
gestellt worden,  wie  wir  bei  Besprechung  der  Gifte  (§  259)  noch  sehen 
werden. 

Daß  alle  Bakterien,  die  sich  von  Eiweiß  nähren,  es  auch  angreifen, 
ist  selbstverständlich.  Von  den  Zersetzungsprodukten  kennen  wir  aber, 
abgesehen  von  den  früher  erwähnten  Fällen,  nur  das  Ammoniak. 
Daß  es  regelmäßig  gebildet  wird,  können  wir  schon  aus  der  bekannten 
Laboratoriumerfahrung  folgern,  daß  stets  in  (zuckerCreien)  Kulturen 
eine  ausgesprochen  alkalische  Reaktion  eintritt  und  daß  selbst  in 
zuckerhaltigen  die  ursprünglich  saure  Reaktion  sich  früher  oder  später 
in  die  alkalische  zu  verwandeln  pflegt,  wenn  die  Säuerung  nicht  zu  stark 
ist^).  Die  Erfahrungen  Pfaundlers,  Stoklasas  und  Berg- 
baus' (S.  515)  an  Coli-  und  T}rphusbazillen  wurden  schon  erwähnt. 

Im  Laboratorium  des  Verfassers  stellte  H  ö  1 1  i  n  g  auch  reich- 
liches Ammoniak  fest  in  Kulturen  von  Ruhr-  und  TyphusbazUlen. 
Neuerdings  haben  dann  Berghaus  und  Nawiasky  (S.  514)  nicht 
nur  beim  Proteus  und  anderen  verflüssigenden  Bakterien,  sondern 
auch  bei  dem  streng  aeroben,  aber  nicht  verflüssigenden  B  a  c.  a  1  c  a  - 
1  i  g  e  n  e  s  den  Abbau  der  Albumosen,  Peptone  und  Aminosäuren  zu 
Ammoniak  bzw.  anderen  flüchtigen  Basen  festgestellt.  Im  ganzen 
wurde  von  dem  ursprünglichen  Stickstoff  der 
Nährlösung  weit  mehr  als  ein  Drittel  in  dieser 
Weise  umgewandelt.  Daß  dabei  enzymatische  Vorgänge  be- 
teiligt sind,  ist  kaum  zu  bezweifeln. 


1)  Arch.  f.  Hyg.  36.  389. 

2)  Vgl.    Kruse,    Rittershaus,    Metz    und    K  e  m  p   über 
Dysenterie-  und  Pseudodysenterie,  Zeitschr.  f.  Hyg.  57,  422,   1907. 


Wandlungen  d er  Eiweißkörper.  543 

Die  bei  der  Zersetzung  des  Peptons  durch  B.  coli  gebildeten  Fett- 
säuren scheinen  nur  von  Blumenthal  ^)  näher  studiert  worden 
za  sein.  Er  fand  außer  Yalerian-  und  Eapronsäure  (s.  o.  Leuzinzer- 
Setzung  S.  518)  namentlich  noch  Bernsteinsäure,  deren  Bildung 
aus  Milcheiweiß,  Äspar^in-  und  Glutaminsäure  durch  Proteus  wir 
schon  S.  516  ff.  kennen  gelernt  haben.  Ausnahmsweise  wird  von  nicht 
verflüssigenden  Bakterien,  und  zwar  von  manchen  echten  Milchsäure- 
bakterien nach  K  a  7  s  e  r  und  R  o  d  e  1 1  a  (S.  298)  auch  Milch- 
säure aus  Eiweiß  und  Fibrin  erzeugt.  Eben  dahin  gehört  die  Er- 
zeugung von  Milchsäure  durch  den  fäulniserregenden  Buttersäure- 
bazillus Graßberger  imd  Schattenfroh  (S.  508).  Vielleicht 
geht  die  Bildung  nach  der  einfachen  Formel  4  auf  S.  509  vor  sich: 

C^H^NOg  +  H^O  =  CgHeOg  +  NH3 
Alanin  Milchsäure. 

§  175.    Zusammenfassendes  Aber  die  Eiweißspaltungen. 

Überschauen  wir  den  zurückgelegten  Weg,  so  sehen  wir  zwar  ein  recht 
mannigfaltiges  Bild,  finden  aber  doch  auch  in  zahlreichen  Zügen  genug 
rbereinstimmungen.  Soviel  ist  sicher,  daß  sich  scharfe  Grenzen  nirgends 
ziehen  lassen,  daß  vor  allem  die  sogenannte  „Fäulnis",  wie  wir  in  der 
Einleitung  dieses  Abschnittes  (§  167)  sagten,  mit  den  übrigen  Arten  der 
Eiweißzersetzung  allenthalben  durch  Übergänge  verbunden  ist.  Die 
eigentliche  2^rsetzung  des  Eiweißmoleküls  scheint  eben  stets  im  wesent- 
lichen die  gleiche  zu  sein,  insofern  die  durch  Hydrolyse  aus  dem  Eiweiß 
hervorgegangenen  Aminosäuren  nach  den  in  unseren  Formeln  1 — 11 
niede^elegten  Möglichkeiten  und  vielleicht  noch  nach  einigen  anderen 
ähnlich  gebildeten  zerfallen.  Wahrscheinlich  beruhen  die  bisher  beob- 
achteten Unterschiede,  wenn  wir  von  den  nur  die  Vorbereitung  des 
Zerfalls  betreffenden  Verschiedenheiten  absehen,  die  durch  das  Vor- 
handensein oder  Fehlen  proteolytischer  (hydrolytischer)  Enzyme  be- 
dingt werden,  darauf,  daß  bald  diese,  bald  jene  Zersetzung  mehr  hervor-, 
manche  vielleicht  ganz  zurücktritt.  Die  vielfach  voneinander  ab- 
weichenden Angaben  in  der  Literatur,  namentlich  über  die  Indol- 
und  Phenolbildung,  lassen  es  aber  als  möglich  erscheinen,  daß  die 
Fähigkeiten  der  einzelnen  Arten  nur  gradweise 
voneinander  verschieden  sind.  Natürlich  könnte  man 
daran  denken,  daß  auch  die  einzelnen  Aminosäuren  in  ungleicher  Art 
und  Stärke  von  den  verschiedenen  Mikroben  angegriffen  würden, 
licider  fehlt  uns  darüber  bisher  aber  jede  Möglichkeit  zu  urteilen,  weil 
die  Zersetzungen  der  Aminosäuren  durch  Reinkulturen  nur  von  wenigen 
Forschem    (Arnaud    imd    Charrin,    Marchai,    Butkewitsch, 

1)  S.  o.  S.  538  und  V  i  r  c  h  o  w  s  Arch.   137. 


544  Kap.  IX,   §  176  u.  176. 

Emmerling,  F.  Ehrlich,  Pringsheim,  Nawiasky)  und  zwar 
auch  noch  nicht  in  genügender  Weise  studiert  worden  sind.  Aus 
demselben  Grunde  können  wir  natürlich  nicht  angeben,  welche 
unserer  Formeln  dabei  nun  in  jedem  Falle  in  Frage  kommt.  Es  folgt 
daraus,  daß  das  Studium  der  tieferen  Eiweißspal- 
tung  durch  Mikroben  erst  in  den  Anfängen  steckt, 
der  Zukunft  also  das  entscheidende  Wort  in  fast  allen  hier  in  Betracht 
kommenden  Fragen  überlassen  bleiben  muß.  Das  gilt  auch  für  die 
Frage  nach  der  enzymatischen  Natur  der  Spaltimgen,  nach  dem  all- 
gemeinen Vorkommen  von  „Aminazidasen*',  und  ganz  besonders  auch 
für  die  Feststellung  der  Energieverhältnisse  (vgl  §  223,  231  u.  237). 

Selbst  darüber  sind  wir  noch  durchaus  nicht  in  allen  Fällen  unter- 
richtet, wie  weit  der  freie  Sauerstoff  der  Luft  bei  den  in  diesem  Ab- 
schnitt beschriebenen  Zersetzungen  eine  Rolle  spielt.  Im  wesentlichen 
wird  es  sich  ja  freilich  nach  imseren  Ausführungen  auf  S.  533  um  die 
Beteiligung  des  Sauerstoffs  bei  den  weiteren  Veränderungen  der  Eiweiß- 
spaltungsprodukte handeln.  Im  nächsten  Abschnitte,  wo  wir  über 
die  Verwesimg  sprechen,  werden  wir  die  wenigen  bisher  über  die  Ver- 
brennung der  Eiweißstoffe  vorliegenden  Erfahrungen  mitteilen. 

§176.  Oxydation  von  Eiweißstoffen.  Verwesung.  Mit  Ver- 
wes u  n  g  bezeichnete  L  i  e  b  i  g  ^)  eine  langsame  Verbrennung  der 
organischen  Stoffe  durch  den  Sauerstoff  der  Luft.  Wir  wissen  jetzt, 
daß  Veränderungen  der  organischen  Stoffe  allein  durch  den  Luft- 
sauerstoff, d.  h.  ohne  Beteiligung  von  Enzymen  oder  lebenden  Mikro- 
organismen, in  meßbaren  Zeiträumen  nur  äußerst  gering  sind*).  Aber 
auch  wenn  wir  die  letzteren  in  die  Definition  mit  aufnehmen,  wird  sie 
noch  keine  brauchbare,  sobald  wir  sie  auf  die  eiweißartigen  Stoffe 
anwenden.  Wir  haben  zwar  gesehen,  daß  Kohlenhydrate,  Alkohole, 
organische  Säuren,  und  wir  werden  bald  davon  sprechen,  daß  Ammoniak- 
und  salpetrige  Säure  solchen  reinen  Oxydationsprozessen  verfallen 
können,  bei  den  Eiweißstoffen  kennen  wir  derartige  Vorgänge  aber 
bisher  nicht.  Anscheinend  müssen  diese  bei  der  Zersetzung  inmier  erst 
Wandlungen  durchmachen,  die  vom  Sauerstoffzutritt  unabhängig 
sind,  und  die  wir  teils  auf  einfache  hydrolytische  Spaltimgen  teils  auf 
Spaltimgsgärungen  enzymatischer  Natur  zurückgeführt  haben*).  Selbst 

1)  Organische  Chemie  1846,  S.  379. 

2)  Bei  P  a  8  t  e  u  r  ,  Etudes  sur  la  biere,  finden  sich  solche  Vereuche, 
weitere  Erfahrungen  sind  gemacht  worden  beim  Studium  der  Selbst- 
reinigung und  Nitrifikation  im  Boden  und  Wasser  (vgl.  §  183  ff.).  Erwähnt 
wurde  schon  die  langsame  Oxydation  der  Humusstoffe  8.   118. 

3)  Auch  bei  der  vollständigen  Oxydation  der  Kohlehydrate  sind 
übrigens  nach  der  Ansicht  mancher  Forscher  derartige  anaörobe  Spaltungen 
Vorbedingungen  der  Oxydation  (§  123). 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  545 

die  Aeiobier,  deren  Leben  ohne  freien  Sauerstoff  auf  die  Dauer  unmög- 
lich ist,  wie  Schimmelpilze,  Hefe,  Heubakterien,  vollziehen  wahr- 
scheinlich die  Spaltung  der  Eiweißkörper  zu  Aminosäuren  und  der 
Aminosäuren  zu  Ammoniak  imd  stickstofffreien  Substanzen  ohne  un- 
mittelbare Beteiligung  des  Luftsauerstoffs.  Erst  bei  den  •  weiteren 
VerÄnderungen  und  anscheinend  auch  für  die  Bildung  ihrer  enzy- 
matischen  Eüräfte  kommt  die  letztere  in  Frage.  Wir  haben  des- 
wegen diese  Mikroorganismen,  die  man  am  ehesten  noch  als  Erreger 
der  Verwesung  bezeichnen  kann,  schon  im  vorigen  Abschnitt  be- 
sprechen müssen. 

In  welchem  Umfange  die  Sauerstoffwirkung  besteht,  wissen  wir 
leider  nur  aus  wenigen  Arbeiten.  Wenn  wir  von  denjenigen  Mar- 
chals (S.  527)  und  Riemers  (S.  521)  absehen,  in  denen  nicht  die 
Sauerstoffaufnahme,  sondern  nur  die  Eohlensäureabgabe  bestimmt, 
also  nicht  mit  voller  Sicherheit  die  Ausdehnung  der  Beteiligung  des 
freien  Sauerstoffs  festgestellt  wurde,  so  bleiben  eigentlich  nur  die 
Versuche  von  A  r  n  a  u  d  und  C  h  a  r  r  i  n  mit  Pyozyaneus  übrig  (S.  526). 
Ans  ihnen  folgt,  daß  dies  Bakterium  in  Asparaginlösung  etwa  das 
Fünffache  seines  Eigengewichts  (d.  h.  der  endgültigen  Ernte)  an  Luft- 
sauerstoff verbraucht  und  dabei  72,5%  des  ursprünglich  im  Nähr- 
boden enthaltenen  oder  84%  des  nicht  in  den  Bakterien  festgelegten 
Kohlenstoffs  zu  Kohlensäure,  den  Rest  zu  nicht  näher  bestimmten 
Verbindungen  verbrennt.  Wir  kommen  am  anderen  Orte  (§  220  u.  234) 
auf  diese  Zahlen  zurück.  Die  Ergebnisse  H  e  s  s  e  s  ,  die  an  einem  ge- 
mischten Nährboden  gewonnen  wurden,  und  diejenigen  von  S  c  h  i  t  - 
t  e  n  h  e  1  m  und  Schröter  betreffend  den  Atemquotienten  von  Coli- 
bazillen,  die  auf  nukleinsaurem  Natron  mit  und  ohne  Glyzerin,  Aspara- 
gin  und  Milchsäure  gezüchtet  waren,  erwähnen  wir  eben  daselbst.  Alle 
diese  Versuche  sind  noch  sehr  der  Nachprüf img  bedürftig.  Vor  allem  wäre 
es  nötig,  mehr  als  bisher  auf  die  bei  der  Oxydation  gebildeten  Zwischen- 
erzeugnisse zu  achten.  Die  Schwierigkeiten  sind  freilich  groß.  Von  vorn- 
herein ist  es  nämlich  klar,  daß  durch  die  freie  Oxydation 
nicht  nur  die  in  ihrem  Ursprung  leicht  erkennbare 
Oxalsäure  (s.  o.  S.  531),  sondern  auch  alle  anderen 
Fettsäuren  und  Oxyfettsäuren  von  der  Baldrian- 
säure bis  zur  Ameisen-  und  Kohlensäure  gebildet 
werden  könnten^),  alles  Stoffe,  die  auch  durch 
^intramolekulare  Oxydatio  n'^,  d.h.  anaerobe  Spal- 
tungen, entstehen.  Man  wird  also  im  einzelnen  Falle  über 
ihren  Ursprung  im  Zweifel  bleiben  können. 


1)  S.  über  die  „Säureverzehning'*  auch  §  149. 
Kr  ose,  Mikrobiologie.  35 


546  Kap.  IX,   §  176  u.  177. 

Das  nach  unserer  Auffassung  ebenfalls  anaerob  entstehende 
Ammoniak  wird  im  allgemeinen  durch  die  Oxydation  nicht  weiter 
verändert.  Immerhin  liegen  einige  Angaben  über  die  Bildung  freien 
Stickstoffs  (s.  o.  S.  525  und  §  179)  und  selbst  über  die  ohne  Beteiligung 
der  echten  „Nitrifikationsbakterien"  (§  196)  vor  sich  gehende  Bildung 
von  salpetriger  und  Salpetersäure  vor.  So  besteht  D  u  n  b  a  r  ^)  auf 
Grund  seiner  beim  Studium  der  Abwasserreinigung  im  Boden  und  in 
den  „biologischen"  Filtern  gemachten  Erfahrungen  darauf,  daß  es 
Bakterien  gibt,  die  den  organischen  Stickstoff  sogar  unter  Ver- 
meidung der  Reduktion  zu  Ammoniak,  d.  h.  also  unmittelbar  zu  Sal- 
petersäure oxydieren.  Nach  H  e  i  n  z  e  ^)  wären  auch  die  gewöhn- 
lichen Schimmelpilze,  z.  B.  Aspergillus  niger,  zu  ähnlichen 
Leistungen  imstande.  In  welchem  Umfange  das  freilich  geschieht, 
ob  solche  Wirkungen  praktisch  neben  der  Tätigkeit  der  Nitrobakterien 
in  Betracht  kommen,  ist  eine  andere  Frage. 

Der  organische  Schwefel  wird  zugegebenermaßen  bei 
der  Verwesung  und  zwar  vollständig  zu  Schwefelsäure  verbrannt, 
ebenso  wohl  der  Phosphor  zu  Phosphorsäure. 

Es  unterliegt,  wie  wir  schon  mehrfach  hervorgehoben,  keinem 
Zweifel,  daß  die  Verwesung  in  dem  bezeichneten  Sinne  aufgefaßt  einen 
bedeutend  größeren  Anteil  an  der  vollständigen  Zerstörung  des  Eiweißes 
hat  als  die  Fäulnis.  Wir  sprechen  davon  noch  mehr  bei  der  gemischten 
oder  „natürlichen"  Fäulnis  und  Verwesung  (§  179  ff.). 

Die  enzymatische  Natur  der  bei  der  Verwesung  wirkenden  Kräfte 
ist  zwar  wahrscheinlich,  aber  bisher,  wenn  wir  von  einigen  später 
zu  berichtenden  Erfahrungen  (§  222)  absehen,  noch  nicht  sicher  genug 
bewiesen. 

Jedenfalls  können  wir  uns  heutzutage  mit  der  einfachen  chemischen 
Erklärung,  die  H  o  p  p  e  -  S  e  y  1  e  r  ^)  für  die  kräftige  Wirkung  des 
atmosphärischen  Sauerstoffs  bei  der  Eiweißzersetzung  gegeben  hat, 
nicht  mehr  begnügen.  Nach  ihm  wird  das  Sauerstoffmolekül  durch 
den  bei  der  Fäulnis  entwickelten  Wasserstoff  in  statu  nas- 
c  e  n  d  i  in  seine  Atome  gespalten  und  diese  sollen  die  Oxydation  be- 
wirken. Dieser  Hjrpothese  widerspricht  schon  das  fast  regelmäßige 
Fehlen  von  Wasserstoff  bei  der  Eiweißzersetzung  und  das  Ausbleiben 
der  Oxydation  bei  der  reinen  Anaerobierfäulnis,  bei  der  am  ehesten 
noch  Wasserstoff  aus  Eiweißstoffen  selbst  oder  wenigstens  aus  beige- 
mischten Kohlehydraten  entsteht. 


1)  Leitfaden  für  die  Abwasserreinigungsfrage,    1907,    S.   219. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   14.   18,   1905. 

3)  Physiol.  Chem.   S.   127  und  983  (1877—81). 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  547 

Neben  den  euzymatischen  Wirkungen  im  engeren  Sinne  scheinen 
übrigens  auch  andere  katal}d)ische  Einflüsse  bei  der  Verwesung  eine 
Rolle  zu  spielen.  Bei  Besprechung  der  Erfahrungen,  die  beim  Studium 
der  Selbstreinigung  im  Boden  und  in  Filtern  gemacht  worden  sind, 
weiden  wir  sehen,  daß  die  Flächenwirkungen  dieser  porösen  Materialien 
und  außerdem  ihre  chemische  Zusammensetzung  (Eisengehalt)  einen 
eigentümlichen  Einfluß  ausüben  (§  183  ff.). 

§  177.  Eiweißgerinnang.  Labenzym.  Daß  es  außer  Mikro- 
organismen, die  durch  saure  Gärung  die  Gerinnimg  der  Milch  bewirken 
(§97  ff.),  auch  solche  gibt,  die  es,  wie  der  „Lab"  der  Magenschleimhaut 
und  anderer  tierischer  und  pflanzlicher  Organe  auch  bei  schwachsauren, 
neutralen  oder  alkalischen  Reaktionen  tun,  haben  schon  H  a  u  b  n  e  r  , 
Pasteur,  Duclaux^),  Hüppe^)  u.  a.  bei  Konservierimgs- 
versuchen  der  Milch,  der  letztere  zuerst  nach  Impfung  mit  Reinkulturen 
seines  Bac.  (pseudo-)butyricus  beobachtet.  Daß  es  sich  auch  hier  um 
ein  Enzym  handeln  müsse,  war  zwar  schon  z.  B.  durch  Versuche  D  u  - 
c  1  a  u  X  ' ,  in  denen  die  schnelle  Wirkung  von  labenthaltenden  Bak- 
terienkulturen gezeigt  wurde,  genügend  sicher  bewiesen.  Das  Enzym 
stellte  aber  erst  C  o  n  n  ^)  aus  solchen  Kulturen  dar.  Dieselben  wurden 
durch  Papier  filtriert,  neutralisiert,  mit  Thymol,  Toluol,  Chloroform, 
Senföl  oder  dgl.  versetzt,  in  verschiedenen  Mengen  —  von  einigen 
Tropfen  bis  zu  einigen  Kubikzentimetern  —  mit  5  ccm  roher  oder  ge- 
kochter Milch  vermischt,  und  die  Mischung  im  Brutofen  stunden-  bis 
tagelang  beobachtet.  Kontrollen  dürfen  dabei  nicht  fehlen.  Auch 
durch  Ton  filtrierte  oder  auf  60°  erhitzte  Kulturen  kann  man  benutzen. 
Am  sichersten  ist  es,  Milchkulturen  zu  verwenden,  doch  wird  das  Lab- 
femient  oft  auch  in  allen  anderen  Nährböden  erzeugt  imd  kann  selbst 
aus  Bakterien,  die  auf  Kartoffeln  gezogen  werden,  durch  destilliertes 
Wasser  ausgezogen  werden  (G  o  r  i  n  i  *)).  Das  Enzym  wird  reichlicher 
bei  20**  als  bei  37®  erzeugt,  die  Lab  Wirkung  selbst  erfolgt  aber  kräf- 
tiger bei  letzterer  Temperatur.  Das  Enzym  des  Bac.  prodigiosus  soll 
nach  G  o  r  i  n  i  im  Gegensatz  zu  fast  allen  anderen  Enzymen,  die  schon 
bei  60 — 75^  zerstört  werden,  erst  durch  halbstündiges 
Erhitzen  auf  100®  ve  r  n  i  c  h  t  e  t  werden*).    Nach  Hata*) 


1)  Le  lait,  1887  und  1894. 

2)  Mitteil.  k.  Gesundheitsamts  2.  253,   1884. 

3)  Zentr.  Bakt.   12.  233,   1892  und  16.  916,   1894. 

4)  Hygien.  Rundschau  1893. 381  und  Rivista  d*igiene  e  saniük  pubblica 
1892  und  1893.  W  e  n  t  (Jahrb.  wiss.  Bot.  36,  1901)  fand  umgekehrt  bei  seiner 
Monilia  sitophila  Lab  nur  auf  Eiweißnährböden. 

5)  Vgl.   auch  Zentr.   Bakt.   2.   Abt.   8.    137,    1902. 

6)  Zentr.   Bakt.   34.   208  Ref.   und  Kochs   Jahresber.    1903.   494. 

85  ♦ 


548  Kap.  IX,  f  177. 

der  die  Enzyme  des  B.  fluorescens  und  prodigiosus  (Lab  und  Trypsin 
gleichzeitig)  durch  wiederholtes  Filtrieren,  Niederschlagen  mit  Alkohol, 
Lösen  in  Wasser,  Niederschlagen  mit  Schwefelanamonium  (schwefel- 
saures Ammon  ?)  von  Eiweiß  reinigte,  wurden  beide  bei  60 — 80®  schon 
stark  geschwächt,  behielten  aber  bei  100®  noch  eine  gewisse  Wirkung. 
R  a  p  p  ^)  fand  auch  im  Hefepreßsaft  Labferment,  obwohl 
lebende  Hefe  die  Milch  nicht  koaguliert.  Breymann*)  wies  Lab 
in  den  Leibern  des  Pyozyaneusbazillus  nach,  die  mit 
Chloroform  abgetötet,  getrocknet  und  gepulvert  waren;  0,1  g  dieses 
Bakterienpulvers  ließ  10  ccm  kuhwarme,  mit  0,5%  Karbolsäure  ver- 
setzte Milch  binnen  4  Stunden  gerinnen. 

Alle  peptonisier enden  Bakterien  und  Schim- 
melpilze scheinen  auch  Lab  zu  bilden,  in  erster  Linie 
die  sogenannten  Heu-  und  Kartoffelbazillen  (D  u  c  1  a  u  x'  Tyrothrix). 
die  auch  als  Bazillen  der  bitteren  Milch  bekannt  sind^),  der  Bac.  pyo- 
cyaneus,  fluorescens  liquefaciens,  Sarcina  aurantiaca  usw.  Man  kann 
die  gleichzeitige  Bildung  beider  Enzyme  sehr  hübsch  nach  der  Methode 
von  Eijkmann^)  zeigen,  indem  man  die  Mikroorganismen  auf  Agar- 
platten,  die  mit  Milch  oder  reinem  Kasein  versetzt  sind,  ausstreicht, 
so  entwickelt  sich  imi  die  Kolonie  eine  helle  Zone,  in  der  offenbar  das 
tryptische  Ferment  wirkt,  und  außerhalb  dieser  eine  dunkle  Zone, 
in  der  das  Kasein  gefällt  ist.  Die  Anwesenheit  des  tryptischen  Ferments 
stört  unter  Umständen  den  Labungsprozeß.  So  zeigten  nach  A. 
Loeb^)  Kulturfiltrate  des  Staphylococcus  quadrigeminus  oder  Proteus, 
wenn  man  sie  nach  der  Morgenroth  sehen  Yersuchsanordnung 
mit  Chlorofornmailch  vermischt,  zunächst  24  Stunden  in  den  Eis- 
schrank und  dann  in  den  Brutschrank  brachte,  einen  imregelmäßigen 
Verlauf  der  Labung :  während  0,01 — 0,025  ccm  Filtrat  gar  nicht,  0,05  ccm 
stark  laben,  sank  die  Wirkung  wieder  bei  0,1  ccm  imd  fehlte  vollkommen 
bei  0,5 — 2,0  ccm.  Eine  nähere  Untersuchung  ergab,  daß  in  der  stärkeren 
Konzentration  der  Gehalt  des  Filtrats  an  tryptischen  Enzymen  störte. 
Die  Störung  blieb  aus,  wenn  man  die  Filtratmilchmischung  gleich  in 
den  Brutofen  brachte.  Dieses  Verfahren  ist  also  für  die  Feststellung 
der  Labwirkimg  vorzuziehen. 

Die  Trennimg  des  proteolytischen  und  liabenzyms  ist  schwierig, 
sie  kann  aber  nach  Blumenthal  und  C o n n  (s.  o.)  folgender- 
maßen versucht  werden :  Milchkulturen,  die  nicht  zu  jung  sein  dürfen, 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  629,  1902. 

2)  Zentr.  Bakt.  31.  498,  1902. 

3)  Vgl.  Flügge,  Zeitschr.  f.  Hyg.   17,  1894. 

4)  Zentr.  Bakt.  29,   1901. 

5)  Zentr.  Bakt.  32.  471,  1902. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  549 

werden  durch  ein  Bakterienfilter  geschickt,  mit  O,lprozentiger  Schwefel- 
säure angesäuert  und  mit  Kochsalz  übersättigt.  Der  dabei  entstehende 
sclmeeweiße  Schaum  soll  fast  reines  Labfemient  enthalten,  während 
aus  der  Flüssigkeit  durch  Fällung  mit  Alkohol  proteolytisches  Enzym 
gewonnen  werden  kann.  Selbst  in  dem  Falle,  daß  die  Milch  durch  das 
Wachstum  der  lebenden  Bakterien  überhaupt  nicht  gerinnt,  sondern 
gleich  aufgehellt  (peptonisiert)  wird,  ist  es  C  o  n  n  gelungen,  das  Vor- 
handensein von  Labenzym  in  der  Kultur  nachzuweisen.  Nach  ihm 
wird  68  langsamer  bzw. 'später  gebildet  als  das  peptonisierende,  nach 
Duclaux  schneller  und  früher.  Bis  in  die  letzte  Zeit  hinein  ist 
übrigens  über  die  Frage,  ob  die  koagulierenden  und  proteol3^ischen 
Fermente  identisch  seien,  gestritten  worden^).  Ein  gewisser  Zusammen- 
hang ist  unleugbar. 

Im  allgemeinen  kann  man  schon  aus  dem  Verhalten  der  Mikro- 
organismen in  der  Milchkultur  auf  die  Bildung  von  Lab  schließen: 
gerinnt  die  Milch  schnell  und  stramm  unter  stark  saurer  Reaktion, 
so  handelt  es  sich  um  Bakterien,  die  Milchzucker  vergären  (§  97  ff.), 
bleibt  die  Milch  amphoter,  oder  wird  sie  alkalisch,  und  erfolgt  die  Ge- 
rinnung erst  allmählich  und  führt  nur  zu  einem  lockeren  Gerinnsel, 
so  ist  Lab  entwickelt.  Es  gibt  freilich  Fälle,  in  denen  man  zweifeln 
kann,  weil  die  Gerinnung  langsam  und  miter  Steigerung  der  sauren 
Reaktion  eintritt.  Das  könnte  durch  Bakterien  bewirkt  werden,  die 
gleichzeitig  Milchzucker  vergären  und  Lab  bilden.  G  o  r  i  n  i  hat, 
wie  wir  sahen  (S.  286  u.  289),  in  der  Tat  eine  solche  Zwischengruppe 
^ on  Säure-Labbildnern  aufgestellt  imd  rechnet  dazu  den 
Bac.  prodigiosus,  indicus,  proteus  mirabilis,  einige  in  der  Milch  regel- 
mäßig vorkommende  Staphylokokken  und  den  „Ascobazillus  vitreus". 
Daß  es  viele  derartige  Bakterien  unter  den  verflüssigenden  gibt,  ist 
auch  nach  unseren  Erfahrungen  unbestreitbar,  aber  ob  die  Gärung  durch 
das  Lahenzym.  oder  die  Säuerung  bewirkt  wird,  muß  doch  erst  in  jedem 
einzelnen  Falle  bewiesen  werden.  Besonders  ausführlich  untersucht 
haben  Boekhout  und  d  e  V  r  i  e  s  2)  ein  die  Gelatine  verflüssigendes 
Bakterium,  das  sie  im  Cheddarkäse  fanden.  Die  Milch  wird  durch 
dieses  mit  stark  saurer  Reaktion  zur  Gerinnung  gebracht  und  dann 
peptonisiert.  Wenn  man  die  gebildete  Säure  von  vornherein  durch 
kohlensauren  Kalk  neutralisierte,  trat  dennoch  Gerinnung  ein  und 
nachher  wieder  Peptonisierung.  Daß  die  Säure  Milchsäure  ist,  zeigten 
die  Verfasser  dadurch,  daß  sie  die  wieder  verflüssigte  Milch  von  der 


1)  Vgl.   Sawitsch,  Zeitschr.  pliysiol.  Cham.  55,   1908;  R  a  u  d  - 
nitz  in  Sommerfelds  Handb.  der  Milchkunde,  1909. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  12.  587,  1904. 


550  Kap.  IX,   §  177  u.  178. 

Kreide  abgössen  und  im  Vakuum  unter  50°  bis  zur  Sirupdicke  ein- 
dampften. Der  auskristallisierte  milchsaure  Kalk  wurde  abfiltriert, 
dann  wieder  in  Wasser  gelöst,  mit  Oxalsäure  gefällt,  wieder  abfiltriert 
und  eingedampft,  mit  Äther  ausgeschüttelt,  und  die  Milchsaure  als 
Zinksalz  in  der  bekannten  Weise  dargestellt.  Um  das  gleichzeitig  vor- 
handene Labferment  zu  erhalten,  imterwarfen  die  Verfasser  die  vom 
Kalklaktat  abfiltrierte  Flüssigkeit  unter  Zusatz  von  Chloroform  der 
Dialyse,  bis  kein  Milchzucker  mehr  vorhanden  war,  engten  den  Inhalt 
des  Dialysators  im  Vakuum  bei  50°  ein  und  setzten  von  der  neutral 
reagierenden  Flüssigkeit  einige  ccm  100  com  Milch  zu.  Bei  40®  gerann 
diese  in  wenigen  Minuten. 

Möglich  wäre  es,  daß  die  Labenzyme  der  einzelnen  Mikroorganismen 
verschieden  wären,  z.  B.  wie  die  proteoljrtischen  Fermente  sich  durch 
Hitzeeinwirkung  (s.  o.  G  o  r  i  n  i)  voneinander  trennen  ließen.  Ein 
anderes  Unterscheidungsverfahren  würde  gegeben  sein,  wenn  es  gelänge, 
auch  mit  den  bakteriellen  Enzymen,  wie  mit  tierischen  und  pflanz- 
lichen Antilabserum  herzustellen^).  Nach  Hata  (s.  o.)  wäre 
das  der  Fall.  Doch  scheinen  die  Antienzyme,  die  auch  schon  im  nor- 
malen Blutserum  vorhanden  sind,  die  Labwirkung  nicht  völlig  aufzuheben. 

Welche  Bedeutung  die  Labgerinmmg  hat,  ist  zweifelhaft. 
Es  ist  wohl  behauptet  worden,  daß  sie  die  Verdauung  des  Kaseins 
erleichtere,  ein  Beweis  dafür  fehlt  aber.  Wie  der  Vorgangselbst 
zu  deuten  ist,  steht  trotz  zahlreicher  Arbeiten  darüber  noch  zur  Er- 
örterung^). Die  Theorie  Hamarstens,  nach  der  das  durch  Säure- 
fällung zu  erhaltende  eigentliche  Kasein  der  Milch  durch  die  Labung 
in  zwei  Körper,  das  in  liösung  bleibende  „Molkeneiweiß"  und  das  durch 
die  Erdalkalisalze  der  Milch  niedergeschlagene  „Parakasein"' 
gespalten  würde,  zählt  freilich  mehr  Anhänger  als  die  Lehre  D  u  - 
c  1  a  u  X ' ,  nach  der  Lab-  wie  Säuregerinnung  nur  ein  physikalischer 
Vorgang  sein  soll,  durch  den  das  Kasein  nicht  chemisch  verändert, 
sondern  seine  Moleküle  nur  zu  großen  Konglomeraten  zusammen- 
geballt werden^).   Von  bakteriologischer  Seite  ist  die  Streitfrage  nicht 


1)  Morgenroth,  Zentr.  Bakt.  26  und  27,  Korschun,  Zeitschr. 
physiol.  Chem.   36,   1902. 

2)  Vgl.  dazu  R  a  u  d  n  i  t  z  a.  a.  O. 

3)  Vgl.  Löwenhart,  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  41,  1904.  Hier 
sei  auch  an  die  ,, Plasteine"  und  ,,Koagulosen"  erinnert,  die  nach  Dani- 
lewsky,  Okunew,  Sawjalow  und  Kurajeff  (Hofmeist. 
Beitr.  1  u.  2)  durch  tierische  und  pflanzliche  Labfermente  aus  Albumosen 
niedergeschlagen  und  mit  der  Eiweißsynthese  in  Verbindung  gebracht 
werden  (vgl.  aber  L  a  w  r  o  w  und  S  a  1  a  s  k  i  n ,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  36, 
1902).    Bei  Mikrobenprodukten  hat  man  ähnliches  noch  nicht  beobachtet. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  551 

behandelt  worden.  Wichtig  ist  für  den  Nachweis  des  Labenzyms  die 
Tatsache,  daß  durch  Kochen  der  Milch  deren  Labungs- 
fähigkeit verringert  wird,  weil  Ealksalze  dabei  aus- 
geschieden werden.  Durch  ein  Zufügen  von  Kalziumchlorid 
zur  sterilisierten  Milch  kann  dem  begegnet  werden. 

Ob  Bakterien  imstande  wären,  außer  der  Kaseinausfällung  auch 
die  Blutgerinnung  zu  beeinflussen,  darüber  war  bis  vor  kurzem 
wenig  bekannt.  L.  L  o  e  b  ^)  wies  einen  solchen  Einfluß  nach,  indem 
er  Gänseblut,  das  nach  dem  Verfahren  von  Delezenne  unter 
strenger  Vermeidung  von  Staub  und  Berührung  von  Gewebssaft  auf- 
gefangen, durch  schnelles  Zentrifugieren  von  den  Blutkörperchen  be- 
freit und  dadurch  gerinnungsunfähig  geworden  war,  mit  Bouillon- 
kulturen versetzte.  Eiterstaphjlokokken  beschleunigten  die  Gerinnung 
sehr  deutlich,  weniger  Bac.  prodigiosus  und  coli,  so  gut  wie  gar  nicht 
Bac.  typhi,  diphtheriae,  tuberculosis  und  Streptokokken.  Die  Reak- 
tion der  Kulturen  war  ohne  Bedeutung,  Sterilisierung  hob  die  Wirkung 
auf.    Die  Frage  verdiente  weiter  studiert  zu  werden. 

Der  Aufklärung  bedarf  die  von  verschiedenen  Seiten^)  und  auch 
von  uns  beobachtete  Erscheinung,  daß  in  Blutserumnähr- 
böden, die  Zucker  enthalten,  durch  Bakterien,  die  den  Zucker 
säuern,  Niederschläge  erfolgen  können. 

§  178.  Käsereifang  3).  Von  manchen  Seiten  ist  der  Versuch 
gemacht  worden,  die  sogenannte  Reifung  des  Käses,  die  in  einer  mehr 
oder  weniger  tiefgreifenden  Veränderung  des  Käsestoffes  besteht, 
im  wesentlichen  als  einen  Vorgang  hinzustellen,  der  durch  die 
in  der  Milch  und  im  Lab  ursprünglich  enthaltenen 
Enzyme  verursacht  würden.  Für  das  dem  Lab  beige- 
mengte Pepsin  wäre  eine  Beteiligung  an  der  Peptonisierung  des  Käse- 
eiweißes von  vornherein  nicht  unwahrscheinlich.  B  a  b  c  o  c  k  und 
Russell*)  haben  aber  nicht  nur  darauf  hingewiesen,  sondern  auch 
behauptet,  daß  in  der  Milch  selbst,  wenn  in  ihr  das  Bakterien  Wachstum 
durch  Chloroform  oder  Äther  verhindert  werde,  eine  Proteolyse  mit 
Bildung  von  Albumosen  und  Peptonen,  Aminosäuren  und  Ammoniak 
Platz  greife.  Sie  führen  das  auf  ein  in  der  Milch  ursprünglich  enthaltenes 
trypsinähnliches  Enzym,  die  „Galaktase'^  zurück,    v.  Freuden- 


1)  Joum.  med.  research.  1903.  407,  ref.  Bull.  Pasteur  1904.  25. 

2)  Vgl.  S  e  g  i  n  ,  Zentr.  Bakt.  34.  212,  1903.  Dort  auch  S.  210  einige 
Angaben  über  die  ungleiche  Fähigkeit  der  Säuren,  Milchkasein  (bzw.  Nu- 
trose) niederzuschlagen. 

3)  Vgl.  dazu  Weigmann  in  Lafars  Handb.  d.  techn.  Mykol. 
2,  1905  und   Sommerfelds  Handb.  d.  Milchkunde   1909. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3,  1897:  6,  1900. 


552  Kap.  IX,   §  178. 

reich^),  0.  Jensen^),   Boekhout  und  Ott  de  Vries^). 
van   Slyke,  Harding  und  Hart*),    Spolverini^)    u.  a. 
haben  zwar  das  Vorkommen  der  Proteolyse  in  derartig  konservierter 
Milch  bestätigt  und  geben  zum  Teil  eine  Mitwirkung  der  Galaktase 
bei  der  Käsereifung  zu,  weichen  aber  doch  meist  in  der  Wertschätzung 
dieses  Enzjnns  und  namentlicli  darin  von  B  a  b  c  o  c  k  und  Russell 
ab,  daß  sie  die  Möglichkeit  des  bakteriellen  Ursprungs  der  Galaktase 
betonen.    In  der  Tat  ist  die  Milch  bekanntlich  schon  in  der  Zit>ze  der 
Kuh  mehr  oder  weniger  keimhaltig,  die  genannten  Antiseptika  töten 
die  Keime  auch  nicht  sämtlich  ab,  ja  verhindern  selbst  nicht  jedes 
nachträgliche  Wachstum.    Auch  wenn  man  das  Vorhandensein  der 
Galaktase  zugibtj  lassen  sich  aber  gewichtige  Bedenken  gegen  ihre 
Bedeutung  erheben.    So  reift  der  Cheddarkäse,  an  dem  B  a  b  c  o  c  k 
und   Russell   ihre    Studien   hauptsächlich   anstellten,    trotz   einer 
stark  sauren  Reaktion,  welche  die  Wirkung  der  Galaktase  aufhebt. 
Der  wichtigste  Einwand  gegen  die  Bedeutung   der  Gralaktase  sowie 
des  Pepsins  ist  aber  die  unleugbare  Tatsache,  daß  sich  Mikroorganismen 
in  jedem  Käse  zu  reichlich  ansiedeln,  als  daß  sie  an  den  Veränderungen, 
die  in  ihm  vor  sich  gehen,  keinen  wesentlichen  Anteil  haben  sollten. 
Meist  geht  auch  die  Zersetzung  im  Käse  viel  weiter,  als  die  durch  proteo- 
lytische Enzyme  verursachte,  d.  h.  es  entstehen  Ammoniak  und  Fett- 
säuren®) in  solcher  Menge,  wie  es  bisher  nur  von  den  lebenden  Organis- 
men geleistet  werden  kann  (vgl.  §  166  u.  167  ff.). 

Die  Angaben  über  die  ZahlderBakterienim  Käse  schwan- 
ken sehr,  von  Himderttausenden  bis  zu  Milliarden.  Zum  größten  Teil 
hängt  das  wahrscheinlich  von  dem  Alter  des  Käses  ab.  Zu  Anfang 
steigt  die  Zahl  gewöhnlich  schnell,  erreicht  nach  Tagen  und  Wochen 
ihre  größte  Höhe  und  sinkt  dann  ziemlich  allmählich  ab  (v.  Freu- 
denreich'), Russell  und  Weinzierl®),  Harrison*), 
Tr  oi  li-Pett  er  sson^**)).    Die  Verteilung  der  Bakterien  ist,  wie 


1)  Landwirtsch.  Jahrb.  Schweiz  1897  und  1900. 

2)  Ebenda  1900  und  1901. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  7,  1901. 

4)  Kochs  Jahresber.   1901.  479. 

5)  Ebenda  1902. 

6)  Über  die  Untersueliung  auf  Fettsäuren,  die  zum  Teil  allerdings 
aus  Zersetzungen  der  Milchsäure  herrühren,  vgl.  Jensen,  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.   13,  1904. 

7)  Landwirtsch.  Jahrb.   Schweiz  1891. 

8)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3,  1897. 

9)  Kochs  Jaliresber.   1901. 

10)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   11,  1903. 


WandlDügen  der  Eiweißkörper.  553 

Troili^Pettersson,  Goiini^)  und  Rodella  ^)  in  Schnitten 
zeigen,  eine  uniegelmäßige,  vielfach  finden  sich  zoogloenartige  An- 
häufungen. 

Was  die  Herkunft  der  Keime  anlangt,  so  sind  Quellen  genug 
in  dem  Bakteriengehalt  der  Milch,  des  Labs,  der  Gefäße  und  Bäume, 
die  der  Käsebereitung  dienen,  vorhanden.  Mehrfach  wird  auch  alter 
Käse  als  Imp&toff  benutzt. 

Unter  den  Mikroben  des  Käses  herrschen  der  Zahl  nach  die 
Milchsäurestreptokokken  (Strept.  lacticus  §  97)  regel- 
mäßig vor.  Ihre  Bedeutung  für  den  Beifungsvorgang  besteht  in  erster 
Linie  wohl  darin,  daß  sie  durch  die  saure  Beaktion,  die  sie  hervor- 
rufen, „gewissermaßen  eine  Auswahl  unter  der  anfangs  reichen  Flora 
des  Käses  treffen  und  damit  den  ganzen  Gärungsvorgang  in  eine  be- 
stimmte Bahn  leiten'^  (W  e  i  g  m  a  n  n).  Vielleicht  unterstützen  sie 
durch  die  saure  Beaktion  auch  die  peptonisierende  Wiikung  des  Pep- 
sins aus  dem  Lab  (0.  J  e  n  s  e  n).  Ein  Teil  von  ihnen  vermag  aber 
außerdem  die  Peptone  weiter  zu  spalten.  Mehr  als  die  Milchsäure- 
streptokokken scheinen  dazu  allerdings  die  nach  v.  Freudenreich 
im  Schweizer  Käse  vorhandenen,  wahrscheinlich  aus  dem  Lab 
stammendenBassenvonlangenMilchsäurebazil- 
I  e  n  (Bac.  casei  a  und  e  S.  288)  befähigt  zu  sein,  ja  sie  zersetzen  auch 
das  Kasein,  obwohl  sie  es  nicht  peptonisieren^).  Trotzdem  ist  es  sehr 
zweifelhaft,  ob  die  ursprünglich  von  v.  Freudenreich*)  ver- 
fochtene  und  auch  neuerdings  noch  festgehaltene  (T  h  ö  n  i  ^) ,  M  a  z  e  •)) 
Ansicht,  nach  der  die  Milchsäurebakterien  für  die  Beifung  verant- 
wortlich zu  machen  seien,  abgesehen  vielleicht  von  gewissen  Fällen 
(z.  B.  im  Schweizerkäse?),  berechtigt  ist.  Es  bedarf  dazu  im  allge- 
meinen wohl  kräftigerer  Eiweißspalter.  Als  solche  haben  schon  D  u  - 
c i a u X  imd  Benecke '')  unabhängig  voneinander  die  in  der 
Milch  inmier  vorhandenen  sporenbildenden  und  und  verflüssigenden, 
„Kasease''  bildenden  Bazillen  aus  der  Gruppe  der  Heubakterien 
(„Tyrothrix")  bezeichnet.  Namentlich  Adametz®)  hat  sich  dem 
angeschlossen  und  betrachtet  vor  allem  den  B  a  c.  n  o  b  i  1  i  s  wegen  des 

1)  Zentr.  Bakt.   12,  1904. 

2)  Ebenda  15,  1905. 

3)  O.  Jensen,  Landwirtsch.  Jahrb.  Schweiz  1904.  Über  die  Bil- 
dung von  Milchsäure  aus  Peptonen  durch  Streptokokken  (K  a  y  s  e  r)  und 
iange  Bazillen  (R  o  d  e  1 1  a)  s.   S.  298  u.  543. 

4)  Landwirtsch.  Jahrb.  Schweiz  1894  ff. 

5)  Ebenda  1906. 

6)  Annal.  Pasteur  1905. 

7)  Zentr.  Bakt.  1.  521,  1887. 

8)  I.Andwirt8ch.  Jahrb.   18,  1889;  österr.  Molkereizeitung  1899. 


554  Kap.  IX,   §  178. 

edlen  an  Emmenthaler  erinnernden  Käsegeschmacks,  den  er  erzeugt, 
als  die  Hauptursache  der  Reifung.  Von  anderen  Forschem  sind  pepto- 
nisierende  Bakterien,  die  nicht  Sporen  bilden,  Bazillen  und  besonders 
auch  Kokken  (Micr.  casei  liquefaciens  §  171)  mehr  in  den  Vordergrund 
gestellt  worden  (Weigmann^),  Gorini*),  v.  Freuden- 
reich^), Laxa*),  Jensen^),  Epstein*)  u.  a.).  Die- 
jenigen von  ihnen,  die  sich  zum  Teil  durch  Erzeugimg  bestinunier 
Käsegerüche  auszeichnen,  werden  von  Weigmann  als  „eigentliche 
Käsebakterien"  von  den  nur  durch  ihre  proteolytische  Fähigkeit  wich- 
tigen „Kaseasebakterien"  unterschieden.  Ein  Teil  von  ihnen,  die 
früher  öfters  erwähnten  Säurelabbakterien  (§171),  eignen 
sich  nach  6  o  r  i  n  i  zur  Reifung  des  Käses  deswegen  besonders,  weil 
sie  auch  bei  saurer  Reaktion  ihre  Tätigkeit  entfalten.  Alle  haben, 
wie  die  Tyrothrixarten,  die  Eigenschaft,  vorzüglich  oder  ausschließ- 
lich bei  Luftzutritt  zu  wachsen.  Das  paßt  vortrefflich  zu  der  bekannten 
Tatsache,  daß  die  Reifung  des  Käses  ja  allermeist  von  außen  beginnt, 
während  in  der  Mitte  ein  quarkartiger  Kern  zurückbleibt.  Mit  Weig- 
mann könnte  man  sich  vorstellen,  daß  die  Milchsäurebildner  in  der 
Rindenschicht  von  den  peptonisierenden  Bakterien  überwuchert 
werden,  die  durch  Bildimg  von  Ammoniak  und  Säureverzehrung  die 
für  die  Wirksamkeit  ihrer  eiweißspaltenden  Fermente  nötige  Reaktion 
herstellen. 

* 

In  manchen  Käsen  vertreten  andere  Aerobier,  namentlich  Schim- 
melpilze, die  peptonisierenden  Bakterien,  so  im  norwegischen  Gam- 
melost ( J  o  h  a  n  -  0  1  s  e  n  ')) ,  im  Briekäse  (Epstein®)),  vor 
allen  Dingen  aber,  wie  der  Augenschein  schon  lehrt,  im  Stil  ton, 
Roquefort,  Gorgonzola  und  Stracchino.  Damit  ist 
aber  der  Kreis  der  für  die  Käserei  wichtigen  Organismen  noch  lange 
nicht  erschöpft.  Teils  durch  Säureverzehrung  (§  149),  teils  durch 
Riechstoffbildung  wirken  nämlich  noch  hier  und  da  andere  Pilze  mit, 
wie  das  0  i  d  i  u  m  lactis  (Weigmann,  Laxa,  Conn*)  und 
seine   Mitarbeiter),    Milchzuckerhefen    (M  a  z  e  ^^)) ,    sowie   nach  R  o  - 


1 
2 
3 
4 
5 
6 
7 
8 
9 
10 


Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2,  1896;  Milchzeitung  1898. 

Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5,  1899  und  8,   1902. 

Ebenda  2,   1896. 

Ebenda  5,  1899. 

Landwirtsch.  Jahrb.  Schweiz  1901. 

Arch.  f.  Hyg.  43,   1902. 

Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4.  1898. 

Arch.  f.  Hyg.  45.   1902. 

Kochs  Jahresber.   1905. 

Annal.  Pasteur  1903. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  555 

d  e  1 1  a  ^)  Anaerobier.  Der  Eäsegeruch  entsteht  vielleicht  auf  ver- 
schiedene Weise,  nämlich  durch  Zersetzung  von  Biweißstoffen,  wozu 
Pilze  und  Bakterien  befähigt  sind  (§  173),  Fetten,  wozu  namentlich 
Pilze  beitragen  (§  137  u.  150),  vielleicht  aber  auch  von  Milchzucker  (§111). 

Wie  man  sieht,  ist  die  Eäsereifung  ein  Vorgang,  der  von  der  Sjrm- 
ond  Metabiose  (§  50)  verschiedener  Mikroorganismen^)  abhängt.  In 
der  Tat  ist  es  mehrfach  gelungen,  durch  künstliche  Zumischung  von 
Reinkulturen  zu  pasteurisierter  Milch  oder  Kasein  Käse  von  der 
Beschaffenheit  der  in  üblicher  Weise  hergestellten  zu  erzeugen.  Man 
beherrscht  aber  das  Verfahren  noch  nicht  so,  daß  die  Verwendung 
von  Reinkulturen  in  der  Käserei  auch  nur  entfernt  in  dem  Maße  Ein- 
gang gefunden  hätte,  wie  in  der  Brauerei  oder  Brennerei  (§  94  u.  96) 
oder  selbst  bei  der  Butterherstellimg  (§111). 

Abweichungen  von  der  normalen  Reifung,  Krankheiten 
des  Käses  werden  ebenfalls  auf  Mikroorganismen  zurückgeführt. 
Am  häufigsten  ist  die  B 1  ä  h  u  n  g  .  In  erster  Linie  sind  für  sie  milch- 
zuckervergärende Bakterien  aus  der  Aerogenes-  und  Coligruppe^),  aber 
auch  andere  Gärungserreger  (Staphylo-  und  Streptokokken,  Hefen, 
manche  Tyrothrixarten*))  verantwortlich  zu  machen,  die  zum  Teil  aus 
dem  entzündeten  Euter  von  Kühen  stammen.  Wahrscheinlich  haben 
sie,  wenigstens  im  Schweizer  Käse,  nichts  zu  tun  mit  den  Erregern 
der  normalen  Lochbildung,  die  entweder  in  den  Klassen 
der  eiweißzersetzenden  Bakterien,  d.  h.  der  eigentlichen  Käsereifer 
zu  suchen  sind®)  oder,  wie  neuerdings  v.  Freudenreich  und 
Jensen  für  den  Schweizer  Käse  wahrscheinlich  gemacht  haben, 
zu  den  Propionsäurebakterien  gehören  (§  109  u.  142). 
Außerdem  sind  noch  Färbungen  durch  Pigmentbakterien 
beobachtet  worden  (§  255),  ferner  Geschmacksveränderungen  durch 
Mikroben  der  bitteren  Milch  und  des  bitteren  Käses, 
die  zu  den  Kokken,  Bazillen,  Hefen  und  Schimmelpilzen  gehören. 
Der  Bitterstoff  soll  nach  T  r  i  1 1  a  t  und  Sauton*)  ein  harzähn- 
licher Stoff  sein,  dessen  Bildung  auf  gleichzeitiger  Entwicklung 
von  Aldehyden  und  Ammoniak  beruht  (vgl.  §  171  u.  173).  Es  gibt 
Fälle,  wo  ein  Bakterium  beides  erzeugt,  und  andere,  wo  eine  Symbiose 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10,   11,  12,  16,  1903—1905. 

2)  Vgl.  auch  H  e  n  r  i  c  i ,  Baseler  Dissert.  1893,  der  zahlreiche  Bak- 
terien aus  Käsen  beschreibt. 

3)  V.  Freudenreich,  Ann.  microgr.   1890  und  1891. 
4)Adanietz,  Kochs  Jahresber.    1893;  Peter,  Landwirtsch. 

Jahrb.  Schweiz  1901. 

5)  Jensen,  Zctnr.  Bakt.  2.  Abt.  4,   1898. 
Annal.  Pasteur  1908.  3. 


556  Kap.  IX,   |  178  u.  179. 

z.  B.  zwischen  Milchzuckerhefen^)  und  gewöhnlichen  Ammoniakbildnem 
vorliegt. 

Über  das  Käsegift  (T3arotoxicon)  Vaughans  vgl.  §  259.  Gre- 
wöhnlich  sind  die  „Käsevergiftungen"  wohl  Infektionen,  deren  Er- 
reger den  sogenannten  Fleischvergiftungen  nahestehen  (§  287). 

§  179.    Gemischte  Fäulnis  und  Verwesung.  Produkte  der- 
selben. Wenn  wir  auch  §  167  u.  176  gesehen  haben,  daß  die  Anwendung 
der  Begriffe  Fäulnis  und  Verwesung  auf  die  Zersetzungen  von  Eiweiß- 
körpem  durch  die  einzelnen  rein  kultivierten  Mikroorganismen  Schwie- 
rigkeiten begegnet,  und  man  hier  besser  Spaltungsvorgänge  und  Oxyda- 
tionen unterscheidet,  so  sind  jene  Bezeiclmungen  kaum  entbehrlich, 
wenn  man  die  in  der  Natur  in  größter  Ausdehnung  vorkommenden 
Zersetzimgsprozesse,  die  durch  eine  Vielheit  von  neben-  und  nach- 
ainander  wirkenden  Mikroorganismen  erzeugt  werden,  zusammenfassen 
will.    Fäulnis  haben  wir  dann  vor  uns,  wenn  die  Zer- 
setzung wesentlich   ohne   Beteiligung  des  Luft- 
sauerstoffs verläuft,  Verwesung,  wenn  sie  maß- 
gebend durch  ihn  beeinflußt  wird  (Liebig).    In  der 
Natur  der  Sache  liegt,  daß  eine  scharfe  Trennung  der  beiden  Be- 
griffe nicht  möglich  ist.  Deshalb  besprechen  wir  die  zugrunde  liegenden 
Vorgänge  auch  gemeinsam.    Im  allgemeinen  macht  man  die  Voraus- 
setzung, daß  Fäulnis  und  Verwesung  stickstoffhaltigeKör- 
per  von  der  komplizierten  Zusammensetzung  der 
Eiweißstoffe  betrifft,  da  man  ja  die  Umwandlungen  der  ein- 
facheren Stoffe  mit  besonderen  Namen,  z.  B.  alkohoUscha,  milchsaure, 
essigsaure,  oxalsaure  Gärung  des  Zuckers,  Sumpfgasgärung  der  Zellu- 
lose, der  Essigsäure,  Verzehrung  der  Fettsäuren,  Spaltung  der  Fette, 
ammoniakalische   Gärung  des  Harnstoffs,    Stickstoffgärung  des  Sal- 
peters,   Salpetergärung    des    Ammoniaks,    Schwefelsäuregärung    des 
Schwefelwasserstoffs  zu  bezeichnen  pflegt.    Doch  fehlen  wegen  der 
Beimischung  der  betreffenden  Stoffe  bei  der  natürlichen  Fäulnis  und 
Verwesung  kaum  jemals  solche  Vorgänge,   manchmal  erreichen  sie 
einen  so  beträchtlichen  Umfang,  daß  der  Verlauf  der  Zersetzung  dadurch 
erheblich  beeinflußt  wird.  Um  so  weniger  sind  aber  diese  begleitenden 
Vorgänge  aus  der  Besprechung  der  Fäulnis  und  Verwesung  auszuschalten, 
als  ein  großer  Teil  der  Zersetzungsprodukte  des  Eiweißes  selbst  ja  zu 
den  genannten  weiterer  Zersetzung  fähigen  Stoffen,  z.  B.  den  Fettsäuren, 
gehört,   ja  die  wichtigsten  Schwefel-  und  stickstoffhaltigen  Produkte 
der  Fäulnis  und  Verwesung  Schwefelwasserstoff  und  Ammoniak  sind, 


1 )  Genaueres   über   Torula   amara  bei   Harrison,   Zentr.   Bakt. 
2.  Abt.  9,  206,   1902. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  557 

die  teils  schon  durch  die  W  rknng  der  sie  erzeugenden  Mikroorganismen 
selbst,  teils  durch  das  Eingreifen  allgemein  verbreiteter  „Salpeter-" 
und  „Schwefelsäurebakterien"  in  die  eigentlichen  „Endprodukte  der 
Verwesimg"  (s.  u.)  verwandelt  werden. 

Ebenso  wichtig  wie  die  Zusammensetzung  sind  die  Konzentration, 
Reaktion  und  Durchlüftung  des  Nährbodens,  die  physikalischen  Ver- 
hältnisse wie  Wärme,  Licht,  Bewegung  und  Oberflächenwirkungen 
(z.  B.  im  Boden).  Die  Art  der  zufällig  hineingeratenen  Organismen 
ist  natürlich  von  ausschlaggebender  Bedeutimg  für  die  Beschaffenheit 
der  Zersetzimgsprodukte,  letztere  ihrerseits  habe  aber  wieder,  ebenso 
wie  die  Zusammensetzung  des  Nährbodens  und  die  äußeren  Bedingungen 
eine  Rückwirkung  auf  die  Ijcbewesen  der  zersetzten  Flüssigkeit.  Durch 
alle  diese  Umstände  erklärt  sich  die  außerordentliche  Mannigfaltigkeit 
der  unter  dem  Namen  der  Fäulnis  und  Verwesung  begriffenen  Vor- 
gänge. Es  braucht  kaum  gesagt  zu  werden,'  daß  die  Zersetzung  nicht 
nur  sehr  verschieden  ist  je  nach  der  Beschaffenheit  des  Ausgangs- 
materials und  den  übrigen  Verhältnissen,  sondern  daß  man  auch  je 
nach  dem  Zeitpunkt,  in  dem  man  untersucht,  einen  mehr  oder 
weniger  vollständigen  Wechsel  in  den  Erscheinungen  findet.  Bisher 
smd  diese  leider  nur  in  beschränktem  Umfange  studiert  worden,  und 
zwar  meist  nicht  gleichzeitig  vom  chemischen  und  vom  mikrobiologischen 
Standpunkt.  Wir  werden  das  darüber  Bekannte  in  den  folgenden 
Abschnitten  besprechen.  Von  vornherein  könnte  man  erwarten,  daß 
die  Fäulnis  bzw.  Verwesung,  wenn  sie  vollständig  wäre,  das  Eiweiß 
in  seine  letzten  Endprodukte  Kohlensäure  und  Wasser,  Ammoniak 
bzw.  Salpetersäure,  Schwefelwasserstoff  bzw.  Schwefelsäure  und 
Phosphorsäure  zerlegte.  Bisher  hat  man  das  aber  niemals  unmittelbar 
beobachtet,  sondern  es  nur  daraus  erschlossen,  daß  man  in  der  Natur 
bei  der  Fäulnis  und  Verwesimg  von  Leichnamen  in  der  Erde  (§  183) 
nach  einer  gewissen  Zeit  an  der  Stelle  und  in  der  Umgebung  des  zer- 
setzten Körpers  nichts  anderes  findet,  als  obige  Endprodukte.  Streng 
genommen  ist  freilich  auch  das  nicht  einmal  richtig.  Denn  wohl  stets 
bleibt  außerdem  noch  ein  gewisser  Best  einer  merkwürdigen  dunklen 
verwickelt  gebauten  Substanz  übrig,  des  sogenannten  H  u  m  u  s  (s.  u.). 
Ferner  wird  wohl  ein  Teil  der  flüchtigen  Zwischenprodukte  der  Fäulnis 
und  Verwesung,  auch  abgesehen  von  Schwefelwasserstoff  und  Ammoniak, 
durch  Verdunstung  in  die  Atmosphäre  oder  durch  Fortspülung  mit 
dem  Wasser  der  weiteren  Zersetzung  entrückt.  Doch  kann  man 
von  diesen  Stoffen  vielleicht  annehmen,  daß  sie  entweder  früher  oder 
später  wieder  auf  einem  Umwege  —  durch  die  Niederschläge  —  auf  die 
Erde  zurückgelangen  oder  im  Wasser  selbst  der  Zersetzung  durch 
Mikroorganismen  doch  schließlich  anheimfallen,  soweit  sie  nicht  schon  vor- 


558  Kap.  IX,   §  179. 

her  durch  andere  Kräfte  wie  Sonne  oder  Luftsauerstoff  zerstört  worden 
sind.   Wichtiger  ist  dagegen  ein  anderer  Einwand,  der  sich  von  selbst 
ergibt,  wenn  man  sich  in  Gedanken  den  Vorgang  des  allmählichen 
Stoffzerfalls  vergegenwärtigt.    Wo  bleiben   die   Mikroorganis- 
men  selbst,   die  diese  verursachen ?    Sie  stellen  doch  auf  jeder 
Stufe  der  Zersetzung  einen  nicht  unbedeutenden  Teil  der  organischen 
Substanz  dar,  und  zwar  stets  verwickelte  Stoffe,  d.  h.  im  wesentlichen 
Eiweiß.  Die  Lösung  des  Rätsels  ergibt  sich  aus  unserer  bakteriologischen 
Erfahrung  vielleicht  in  folgender  Weise.   Die  Tjcbensdauer  der  Mikro- 
organismen ist  eine  beschränkte,  sie  sterben  schließlich  ab  und  zerfallen 
durch  Selbstverdauung  oder  Selbstverbrennung  ( §  36,  37, 166  u.  226).  Da- 
durch werden  teils  Endprodukte  des  Stoffwechsels,  wie  Ammoniak  und 
Kohlensäure,  teils  Nährstoffe  frei  für  andere  Arten  von  Mikroorganis- 
men, die  sie  in  ihrer  zersetzenden  Tätigkeit  ablösen.    Auch  diese  zer- 
fallen wieder  und  werden  durch  andere  ersetzt.   Wir  wissen  nun  aber, 
daß  die  bei  den  einzelnen  Gärungs-  und  Oxydationsprozessen  wirksame 
Mikroorganismensubstanz  nur  einen  Bruchteil  der  Nährsubstanz  aus- 
macht, der  etwa  von  0,5--30%  schwankt  (vgl.  §  232—236).    Nehmen 
wir  an,  daß  er  durchschnittlich   10%  betrüge,  so  würden  wir  nach 
10  sich  abwechselnden  Generationen  von  Organismen  nur  noch  ^/jo"'' 
d.  h.  einen  verschwindend  geringen  Teil  der  ursprüngüch  wirksamen 
Mikrobensubstanz   vorfinden.    Nur  dadurch,   daß  die  Kleinwesen  in 
Dauerformen  übergehen,  können  sie  der  schließlichen  Auflösung  ent- 
gehen  oder  ihr  wenigstens  länger  widerstehen.    Ein  beschränkter,  an 
Masse  freilich  sehr  geringer  Teil  der  bei  der  Fäulnis  und  Verwesung 
wirksamen  Bakterien  erhält  sich  in  der  Tat  in  Sporen  in  den  tiefen 
Erdschichten   (vgl.  C.  Fränkel,  Zeitschrift  f.  Hyg.  2,  1887). 

Doch  nicht  immer,  imd  stets  nur  in  größeren  Zeiträumen  und  unter 
bestimmten  im  Erdboden  gegebenen  Bedingungen  vollzieht  sich  die 
Fäulnis  und  Verwesung  in  dieser  Weise.  Besonders  die  Pflanzen- 
substanz hinterläßt  gewöhnlich  recht  bedeutende  Reste  von  Humus, 
dessen  letzte  Verwandlungsprodukte  aus  geologischen  Zeiten  wir  wohl 
in  den  Kohlen  zu  sehen  haben  (§118).  Von  tierischen  Stoffen  widerstehen 
am  besten  die  Fette,  wie  uns  anscheinend  auch  wieder  die  Ansamm- 
lungen von  Erdöl  in  geologischen  Schichten  beweisen  (§  151).  Überall, 
wo  es  sich  um  nicht  so  alte  Zersetzungen  handelt,  begegnen  wir  den 
zahlreichen  Zwischenprodukten  der  Fäulnis  imd  Verwesung,  deren 
Entstehimg  im  einzelnen  wir  schon  in  den  §  164 — 177  bei  den  durch 
Reinkulturen  verursachten  Veränderungen  des  Eiweißmoleküls  be- 
sprochen haben.  Sie  sind  fast  sämtlich  schon  von  den  älteren  Forschern, 
die  sich  mit  dem  Chemismus  der  gemischten  Fäulnis  und  Verwesung 
beschäftigt  haben,  beobachtet  worden.    Wir  verzichten  hier  auf  die 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  559 

ausführliche  Wiedergabe  dieser  älteren  Literatur^),  weil  sie  nur  noch 
geschichtliche  Bedeutung  besitzt,  und  beschränken  uns,  darauf  hinzu- 
weisen, daß  von  den  Aminosäuren  des  Eiweißes  bisher  anscheinend 
nur  Alanin,  Aminobuttersäure,  Aminobaldriansäure,  Zystein  und 
Pyrrolidinkarbonsäure  noch  nicht  unmittelbar  als  bakterielle  Zer* 
setznngsprodnkte  nachgewiesen  worden  sind;  während  sämtliche  Fett- 
säuren von  der  Eapronsäure  abwärts,  ferner  Bernstein-,  Milch-,  Oxal- 
säure, die  aromatischen  Säuren  (§  168),  Kohlenwasserstoffe  und 
Alkohole  (§  169),  außerdem  Ammoniak,  eine  große  Zahl  von  Basen 
(§  170),  von  Schwefelverbindungen  Schwefelwasserstoff  (§  205),  Methyl- 
merkaptan  (§  206),  Schwefelsäure  (§  207),  von  Phosphorverbindungen 
wahrscheinlich  nur  Phosphorsäure  (s.  u.),  von  Gasen  hauptsächlich 
Kohlensäure,  ausnahmsweise  Wasserstoff,  Sumpfgas  imd  Stickstoff  (s.u.) 
gefunden  wurden.  Dazu  kommen  dann  noch  die  humusähnlichen  Kör- 
per (s.  u.).  Von  den  genannten  Stoffen  sind  durchaus  nicht  alle  gleich 
wichtig.  Viele  sind  sogar  selten  gefunden  worden.  Als  chemisch 
auch  quantitativ  gut  studiertes  Beispiel  einer  imter  strengem  Luft- 
abschluß erst  bei  35^  dann  bei  45^  130  Tage  lang  durchgeführten  Fäuhiis 
nennen  wir  die  des  defibrinierten  Ochsenblutes.  Berthelot  und 
A  n  d  r  e  ^)  fanden  dabei  an  Gasen  nur  Kohlensäure,  aber 
weder  Wasserstoff  noch  Sumpfgas,  noch  Stick- 
oderSauerstoff.  EinZwölfteldesGesamtkohlen- 
stoffsdesBluteswarinKohlensäureverwandelt, 
zwei  Drittel  des  Stickstoffs  in  Ammoniak.  Beide 
standenindemselbenVerhältniswiebeiderHarn- 
stoffgärung  (1  :  2).  Der  Rest  des  Kohlenstoffs  war 
enthalten  zu  einem  Drittel  in  flüchtigen  Fett- 
säuren (Butter-,  Propion-,  Kapronsäure),  zu  zwei 
Dritteln  in  stickstoffhaltigen  Verbindungen 
(Amiden,  Humuskörpern).  Alkohol  oder  Azeton  wurden 
nicht  gefunden,  wohl  Spuren  eines  schwefelhaltigen  Aldehyds.  Die 
Elementarzusammensetzung  des  Blutes  hatte  sich  durch  die  Fäulnis 
derart  verändert,  daß  nur  Wasserstoff  und  Sauerstoff,  im  Verhältnis^ 
wie  sie  in  Wasser  vorhanden  sind,  zugetreten  waren,  und  zwar  traten 
auf  jedes  Molekül  Ammoniak  zwei  Moleküle  Wasser  ein. 
Wenn  hier  und  bei  den  meisten  anderen  Versuchen  mit  gemischter 
Fäulnis  oder  Reinkulturen  Wasserstoff  und  Sumpfgas  ver- 


1)  Vgl.  außer  den  zerstreuten  Angaben  in  den  früheren  Abschnitten 
Cohnheim,  Eiweißkörper,  2.  Aufl.  1904,  Spieckermannin  Lafars 
Handb.  3.   102,  1904. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  114.  514;  Annal.  chim.  phy  .  (6),  27.  Kochs 
Jabresber.   1892.  241. 


560  Kap.  IX,   §  179. 

mißt  wurde,  so  traten  beide  sehr  reichlich  auf  in  Versuchen  0  m  e  - 
1  i  a  n  8  k  y  s  ^).  Diese  waren  darauf  gerichtet,  die  von  Tappeiner-) 
zuerst  an  Fleischextrakt,  dann  an  Pepton  und  Pflanzeneiweiß  studierte 
Sumpfgasgärung  der  Eiweißstoffe  wieder  zu  erhalten.  Nach  einigen 
Fehlschlägen  gelang  es,  in  verfaulter  Wolle  ein  geeignetes  Impfmaterial 
zu  erhalten,  das  gekochtes  Eiereiweiß,  Gelatine,  Tischlerleim,  Wolle 
in  zahlreichen  Generationen  in  Sumpfgasgärung  versetzte. 
Die  Gase  setzten  sich  dabei  zu  12 — 67%  aus  Methan,  zu  88 — 33% 
aus  Kohlensäure  zusammen.  Ausnahmsweise  kam  auch  etwas  Was- 
serstoff (3 — 6%)  vor.  Eine  ähnliche  Gänmg  des  Wittepeptons 
war  schwieriger  zu  erhalten,  zuerst  entstand  bei  der  Impfung  12% 
Wasserstoff  neben  den  beiden  anderen  Gasen,  in  der  dritten  Genera- 
tion war  aber  die  Sumpfgasgärung  auch  hier  eine  reine.  So  reichliche 
Mengen  Methan  wie  hier  sind  bisher  in  Reinkulturen  nicht  erhalten 
worden  (vgl.  §  168).  Es  handelt  sich  offenbar  um  besondere  Erreger, 
die  leider  nicht  rein  gezüchtet  worden  sind. 

Freier  Stickstoff^)  und  Phosphorwasserstoff*),  die  früher  oft  als 
Produkte  der  Fäulnis  und  Verwesung  aufgeführt  wurden,  werden  dabei 
nach  der  jetzt  herrschenden  Ansicht  nicht  gebildet.  Der  Phosphor 
wird  stets  aus  seiner  organischen  Bindung  als  Phosphorsäure 
abgeschieden.  Stickstoff  soll  nur  gefunden  werden,  wenn  Nitrate 
in  den  Fäulnisprodukten  vorhanden  sind,  sein  Auftreten  also  denitrifi- 
zierenden  Bakterien  (vgl.  §  1 98  u.  200)  verdanken.  (Jegen  diese  Lehre  haben 
König,  Spieckermann  imd  Ölig*)  neuerdings  gewichtige 
Bedenken  geltend  gemacht.  Sie  fanden  bei  der  Zersetzung  reiner 
Eiweißstoffe  durch  Heubakterien  einen  erheblichen  Stickstoffverlust, 
der  sich  nicht  durch  Verdunstung  von  Ammoniak  erklären  ließ  (vgl. 
S.  525).  Die  Mitteilimgen  von  Schittenhelm  und  Schröter 
über  Ausscheidung  freien  Stickstoffs  beruhen  wahrscheinlich  auf  Ver- 
suchsfehlem*). Allgemein  anerkannt  als  Enderzeugnis  der  Verwesung 
stickstoffhaltiger  Körper  ist  die  Salpetersäure.  Nur  streitet 
man  noch  darüber,  ob  sie  nur  von  den  „Nitrobakterien"  (§  196)  oder 
gelegentlich  auch  von  echten  Eiweißzersetzem  erzeugt  wird  (§  176). 

Ein   Teil   der   Fäulnisprodukte   hat   bekanntlich   einen   üblen 
Geruch,   so  der   Schwefelwasserstoff,   das  Merkaptan,   Trimethyl- 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   15.  681,  1906. 

2)  Ber.  ehem.  Ges.  1883.  1760  vgl.  Sumpfgasgäning  der  Zellulose  (§117), 
des  Fleisehextrakts  (§  192)  und  Darmgärung  (Infektionslehre). 

3)  Ehrenberg,  Zeitschr.   physiol.   Chem.    11   und   12. 

4)  Hoppe-Seyler,  Physiol.   Chem.    S.   56;   Stich,  Kochs 
Jaliresber.  1900.  305;    Yokote,  Arch.  f.  Hyg.  50,  1904. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  539. 

6)  Vgl.  Oppenheimer,  Zeitechr.  physiol.  Chem.  41,  1903. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  561 

amin.  Indol,  SkatoL  Daneben  wird  eä  aber  noch  eine  Reihe  unbekannter 
Körper  geben,  die  an  dem  „fauligen  Gestank"  beteiligt  sind.  Es  darf 
übrigens  nicht  verschwiegen  werden,  daß  die  letztere  Bezeichnung 
eine  recht  subjektive  und  daher  keineswegs  verläßliche  ist.  Sonst 
würde  man  sich  die  zahlreichen,  einander  widerstreitenden  Angaben 
iii  der  Literatur  nicht  erklären  können.  Daneben  kommt  freilich  in 
Betracht,  daß  das  Auftreten  der  Riechstoffe  nachweislich  von  ver- 
schiedenen Bedingungen,  unter  denen  die  mangelhafte  Ltif- 
t  u  D  g  der  zersetzten  Flüssigkeit  in  erster  Linie  steht,  abhängig  ist 
(§  1B4).  Daraus  folgt  schon,  daß  die  Verwesimg  im  allgemeinen  nicht 
Gestank  erzeugt. 

Nebenprodukte,  die  bei  der  Fäulnis  imd  Verwesung  kaum  jemals 
fehlen,  sind,  wie  wir  sahen,  die  dimkel  gefärbten  humusähnlichen 
Stoffe,  auch  „Melanoidine"  genannt.  Sie  enthalten  noch  ziemlich 
viel  Stickstoff^),  sind  aber  trotz  ihres  verwickelten  Baues  gegenüber 
Eingriffen,  insbesondere  auch  der  Mikroorganismen,  sehr  widerstands- 
fähig (s.  c).  Während  wir  in  ihren  Grundzügen  ferner  die  Bildimgs- 
weise der  üb^fen  von  der  Fäulnis  und  Verwesimg  erzeugten  Stoffe 
kennen,  bleibt /ue  der  Humusstoffe  noch  aufzuklären  (vgl.  §  118). 

Den  oben  aufgeführten  Produkten  kann  man  im  allgemeinen  nicht 
ansehen,  ob  sie  durch  Fäulnis  oder  Verwesung  gebildet  werden  (§  176) 
—  höchstens  wären  die  Oxal-,  Schwefel-  mid  Salpetersäure  als  charak- 
teristische Erzeugnisse  der  Verwesimg,  d.  h.  der  Oxydation  durch 
freien  Sauerstoff  zu  bezeichnen.  Im  übrigen  pflegt  das  Mengen- 
verhältnis der  einzelnen  Produkte  bei  der  Fäulnis  und  Ver- 
wesung ein  anderes  zu  sein,  indem  bei  der  letzteren  Kohlensäure  (und 
Oxalsäure),  bei  der  ersteren  die  Fettsäuren  (und  Riechstoffe,  s.  o.), 
also  Zwischenprodukte  der  Zersetzung,  überwiegen.  Damit  stimmt 
zusammen,  daß  in  der  Natur  derHauptanteil  am  Zer- 
fall der  Eiweißkörper,  wie  die  Erfahrung  lehrt, 
der  Verwesung  zukommt.  Das  Studium  der  Wirkung  von 
Rrinkulturen  hat  uns  ja  ebenfalls  zu  dem  Schlüsse  geführt,  daß  min- 
destens die  stickstofffreien  Produkte  der  Aerobier  das  Gepräge  eines 
fortgeschritteneren  Zerfalls  an  sich  tragen,  als  die  der  Anaerobier.  Die 
Erklärung  für  beide  Reihen  von  Tatsachen  liegt  natürlich  einfach 
darin,  daß  viele  Stoffe,  die  für  die  anaerobe  „Gärung"  nicht  weiter  an- 
greifbar sind,  durch  Oxydation  noch  weiter  verändert  werden  können. 
Von  dem  wichtigsten  stickstoffhaltigen  Produkt  der  Eiweißzersetzung, 
dem  Ammoniak,  kann  man  dagegen  kaum  sagen,  daß  es  reichlicher  von 


1)  Hoppe-Seyler,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  13, 1889 ;  Schmie- 
deberg, Arch.  exx>er.  Path.  39,  1897. 

Kruse,  Mikrobiologie.  36 


562  Kap.  IX,   §  179  u.  180. 

Aerobiem  als  von  Anaerobiern  erzeugt  wird,  nur  seine  Umwandlung  in 
Salpetersäure  ist  ausschließliches  Werk  der  Verwesung. 

Man  könnte  danach  geneigt  sein,  die  Frage,  ob  die  Fäulnis 
denn  für  denKreislaufderStoffeeinnotwendigei 
Prozeß  sei,  zu  verneinen,  würde  dabei  aber  außer  acht  lassen,  daß 
nicht  selten  unter  natürlichen  Bedingungen  die  Möglichkeit  der  Be- 
tätigung für  Aerobier  fehlt,  und  sie  ihnen  erst  später  durch  die  vor- 
bereitenden Leistungen  der  Anaerobier  verschafft  wird. 

§  180.  Erreger  der  Fäulnis  und  Verwesimg,  insbesondere 
des  Fleisches.   Wenn  wir  jetzt  von  den  Erregem  der  Fäulnis  und  Ver- 
wesung sprechen,  so  dürfen  wir  dabei  nicht  vergessen,  daß  es  nicht 
ausschließlich  mikroskopische  Wesen  sind,  die  in  der  Natur  die  Zer- 
setzung der  abgestorbenen  stickstoffhaltigen  Stoffe  besorgen.    Höhere 
Organismen  aus  allen  Oruppen  des  Tierreichs  beteiligen  sich  vielmehr 
daran  in  ganz  erheblicher  Weise:  Säugetiere,  Vögel  und  Fische,  die 
sich  von  „Aas"  nähren,  vor  allem  aber  die  große  Schar  der  Insekten, 
Krebse  und  Würmer  betätigen  sich  in  der  Erde,  in  Schlamm  und 
Wasser  als  Verzehrer  der  toten  tierischen  und  pflanzlichen  Substanz*), 
alle  Tiere,  Fleisch-  und  Pflanzenfresser,  als  Verbraucher  des  lebenden  Ei- 
weißes der  Tiere  und  Pflanzen.  Man  kann  sogar  sagen,  daß  diese  höheren 
Wesen  den  Prozeß  der  Zersetzung  fast  noch  schneller  und  mindestens 
ebenso  gründlich  vollziehen,  als  die  Mikroorganismen  es  können.  Man 
denke  nur  an  die  riesigen  Mengen  von  eiweißartigen  Nahrungsstoffen, 
die  z.  B.  ein  warmblütiges  Tier  im  Laufe  seines  Lebens  zu  Kohlen- 
säure,   Wasser    und    einfachen    Ammoniakverbindungen    verbrennt. 
Doch  sind  die  höheren  Wesen  nicht  überall  und  in  genügender  Zahl 
zur  Stelle,  um  als  Totengräber  der  organischen  Sub- 
stanz zu  dienen,  während  die  Kleinwesen  niemals  fehlen,  und  was 
dem  einzelnen  an  Energie  mangelt,  durch  ihre  mibegrenzte  Vermehrungs- 
fähigkeit   ersetzen.     Diese   Allgegenwart   („Ubiquität")   der   Fäulnis- 
und  Verwesungserreger  ist  freilich  nicht  in  dem  Sinne  zu  verstehen, 
daß  es  überall  genau  dieselben  Formen  seien,  es  herrscht  vielmehr 
darin  eine  große  Mannigfaltigkeit,  weim  auch  einzelne  „Spezies"  fast 
überall  in  der  einen  oder  anderen  „Varietät"  oder  „Rasse"  vertreten 
sind.   Auch  ihre  Wirkungsweise  ist  im  großen  und  ganzen  die  gleiche. 
Bei  der  echten  Fäulnis  stehen,  wie  schon  Pasteur*)  erkannt,  in 
erster  Linie    die    strengen    Anaerobier,    die    merkwürdigen 
Wesen,  die  nur  bei  Sauerstoffabschluß  gedeihen,  also  gewissermaßen  , 
für  die  Fäulnis  und  die  Gärungen  überhaupt  geschaffen  zu  sein  scheinen.  ' 

1)  Vgl.  z.  B.  We  s  e  n  b  e  r  g,  Umformung  des  Erdbodens  im  „Proine- 
theus'*  1905  Nr.  816.  817. 

2)  Compt.  rend.  ca.  sc.  56.   1189,   1863. 


Wandlungen  der  EiweißkÖrper.  563 

Durch  die  Entdeckung  Rosenbachs^)  und  namentlich  H  a  u  - 
sers^),  daß  es  auch  bei  Luftzutritt  wachsende  Bakterien  (fakultative 
Anaeiobier)  gibt,  die  stinkende  Fäubiis  erzeugen  können,  wurden  die 
Anaerobier  eine  Zeitlang  in  den  Hintergrund  gedrängt.  Flügge^) 
erwähnt  zwar  ihr  Vorkommen  und  sein  Schüler  Liborius*)  isolierte 
einige  eiweißzersetzende  Anaerobier.  Aber  erst  S  a  n  f  e  1  i  c  e  ^)  ge- 
bührt das  Verdienst,  wieder  auf  ihre  Bedeutung  für  die  Fäulnis  hin- 
gewiesen und  sie  rein  gezüchtet  zu  haben,  ohne  freilich  näher  auf  die 
chemischen  Verhältnisse  eingegangen  zu  sein.  Er  beschreibt  neun  ver- 
schiedene Arten,  die  sämtUch  Sporen  bilden  und  die  Eigenschaft  haben, 
fauligen  Greruch  zu  entwickeln.  Neben  den  Anaeroben  findet  S  a  n  • 
f e li c e  als  regelmäßigen  Bewohner  von  faulenden  Fleischaufgüssen 
die  Bac.  proteus  vulgaris  und  proteus  mirabilis 
H  a  u  s  e  r  s  (s.  o.)  wieder,  daneben  den  Bac.  fluorescens 
liquefaciens  und  den  Bac.  subtilis  (Heubazillus).  Auch 
außerhalb  von  Faulflüssigkeiten  sind  nach  Sanfelice  alle  diese 
Keime  weit  verbreitet,  besonders  im  Erdboden.  Diese  Arbeit 
geriet  vielfach  in  Vergessenheit,  zumal  da  Santori^)  und  Kuhn') 
die  ausschlaggebende  Wirkung  der  Proteusbazillen  bei  der  Fäulnis 
von  Pflanzenteilen,  Fleisch  und  Leichen  hervorhoben,  wenn  sie  auch 
das  Vorkommen  von  Anaeroben  nicht  leugneten.  Bienstock®) 
machte  dann  wieder  auf  die  letzteren  besonders  aufmerksam.  Als  die 
energischsten  Fäulniserreger,  die  sogar  allein  imstande  seien,  Fibrin 
in  Fäulnis  zu  versetzen,  betrachtet  er  gerade  die  Anaerobier,  in  erster 
linie  den  Bac.  putrificus  coli.  Gleichzeitig  mit  B  i  e  n  - 
stock  führte  E.  Klein®)  die  Leichenfäulnis  auf  den  vielleicht 
identischen  Bac.  cadaveris  sporogenes  zurück.  S  a  1  u  s  ^®) 
schrieb  ähnliche  Eigenschaften  zwei  anderen  Anaeroben,  dem  Clostri- 
diom  foetidum  camis  und  dem  Bac.  saprogenes  camis  zu  (vgl.  §  168). 
T  i  s  s  i  e  r  und  M  a  r  t  e  1 1  y  ^^)  unterwarfen  die  Fäulnis  bzw.  Ver- 
wesung von  Fleisch  von  neuem  einer  gründlichen  Untersuchung. 

1)  Mikroorganismen  bei  der  Wundinfektion,   1884. 

2)  Über  Fäulnisbakterien  usw.,   1885  und  Zentr.   Bakt.    12,   1892. 

3)  Mikroorganismen  2.  Aufl.,   1886,  S.  310. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1,   1886. 

5)  Contributo  alla  biologia  a  morfologia  dei  batteri  saprogeni  eierobi 
<*d  anaerobi.   Ann.  d'ig.  sper.  Roma  1890  (auch  Atti  Acad.  med.  Roma  1890). 

6)  Ebenda  1891. 

7)  Arch.  f.  Hyg.   13,  1891. 

8)  Ebenda  36,   1899. 

9)  Zentr.  Bakt.  25,  Bienstock,  Arch.  f.  Hyg.  39,  382,  vgl.  auch 
Anm.  1  auf  folg.  Seite. 

10)  Ebenda  51,  1904. 

11)  Annal.  Pasteur  1902. 

36* 


564  Kap.  IX,   §  180  u.  181. 

Sie  fanden,  daß  Stücke  Fleisch,  die  sie  unter  einer  Glasglocke,  also 
bei  Luftzutritt  aufbewahrten,  die  folgende  Fäulnisflora  zeigten:  In 
den  ersten  Tagen  konnten  sie  nur  Aerobier  oder  fakultative  Anaerobicr 
nachweisen,  und  zwar  solche,  die  gleichzeitig  Kohlenhydrate  und  Eiweiß 
angreifen.  Zu  diesen  „ferments  mixtes"  gehören  derBac.  proteus  vul- 
garis,  Micrococcus  flavus liquefaciens,  Staphylococcus  pyo- 
genes  albus,  Bac.  coli,  Streptococcus  pyogenes, 
Diplococcus  gxiseus  non  liquefaciens,  Bac.  filifomüs.  Die  Reaktion  des 
Fleisches  wurde  unter  dem  Einfluß  dieser  Bakterien  eine  ausgesprochen 
saure,  weil  das  Glykogen  in  (milchsaure)  Gärung  versetzt  wurde.  Da- 
neben traten  aber  schon  Spaltungsprodukte  des  Eiweißes,  Albumosen, 
Leuzin,  Tyrosin,  Amine  und  Spuren  von  Ammoniak  auf. 

Nach  3 — 4  Tagen  war  der  Nährboden  durch  die  Arbeit  der  ge- 
nannten Aerobier  soweit  von  Sauerstoff  befreit,  daß  jetzt  auch  strenge 
Anaerobier  darin  gedeihen  konnten :  der  Bac.  perfringens  und 
bifermentans  sporogenes^).  Beide  gehören  ebenfalls  noch 
zu  den  ferments  mixtes,  erzeugen  aber  vor  allem  stinkende  Fäulnis. 
Ihr  Auftreten  macht  sich  bemerkbar  durch  den  üblen  Geruch  ihrer 
Produkte.  Die  saure  Reaktion  des  Fleisches  wird  jetzt  durch  die  reich- 
liche Produktion  von  Ammoniak  herabgesetzt. 

Nach  8 — 10  Tagen  ist  der  Zucker  des  Fleisches  verbraucht,  auch 
die  Fette  verseift,  ihr  Glyzerin  verbraucht,  der  Höhepunkt  der  stinkeo- 
den  Fäulnis  erreicht  imd  viel  Pepton,  Indol,  Phenol,  Ammoniak, 
Schwefelwasserstoff  usw.  nachzuweisen.  Die  „ferments  purs"  erscheinen 
jetzt,  imd  zwar  die  „proteolytischen",  die  auch  das  echte  Eiweiß  zu  zer- 
legen vermögen,  Bac.  putrificus  coli  und  putidus  gracilis,  beides 
Anaerobier,  sowie  die  „peptolytischen",  die  nur  Albumosen  und  Peptone 
zerlegen :  der  Diplococcus  magnus  anaerobius  und  der 
Proteus  Zenker i. 

Nach  3 — 4  Wochen  beginnen  die  Peptone  und  Aminosäuren  ab- 
zunehmen, das  aus  ihrer  Spaltung  hervorgehende  Ammoniak  nimmt 
zu  bis  1,5%.  Allmählich  verschwinden  die  ferments  mixtes  und  über- 
lassen den  ferments  purs  allein  das  Feld.  Nach  3 — 4  Monaten  ist  das 
Fleisch  in  eine  schwärzliche,  schleimige  Masse  verwandelt,  es  enthält 
kein  Pepton  mehr,  auch  das  Ammoniak  hat  stark  abgenonmien.  Nur 
der  Bac.  putrificus,  gracilis  putidus  und  der  aerobe  Diploc.  griseus 
non  liquefaciens  sind  noch  herauszuzüchten. 


1)  Sie  stehen  teils  den  fäulniserregenden  Buttersäurebazillen  von 
Graßberger  und  Schattenfroh,  dem  Bac.  paraputrificus  B  i  e  n- 
Stocks,  teils  den  ödem-  und  Geisbrandbazillen  (S.  356  u.  357)  nahe. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  565 

Nicht  immer  waren  bei  der  Fäulnis  des  Fleisches  nach  T  i  s  s  i  e  r 
und  Hartelly  sämtliche  hier  genannten  Spezies  beteiligt,  nur 
der  Bac.  putrificus  fehlte  niemals,  immer  waren  Aerobier 
neben  Anaerobiem  vorhanden. 

§  181.  Fäulnis  und  Verwesung  anderer  tierischer  Stoffe. 
Etwas  abweichende  Ergebnisse  hatten  T i s s i e r  und  Gasching^),  wenn 
sie  M  i  1  c  h  in  oben  mit  Watte  verschlossenen  Flaschen  sich  zersetzen 
ließen.  Wie  sich  von  vornherein  erwarten  läßt,  überwiegen  zunächst 
die  reinen  Milchsäurebakterien,  der  Bac.  acidi  paralactici 
und  der  „Enterokokkus^^  die  wir  beide  als  Varietäten  desselben  Strepto- 
coecos  lacticus  (S.  286)  auffassen,  und  der  Bac.  coli  (aerogenes  S.  289). 
Daneben  vorhandene  Heu-  und  Eartoffelbazillen  und  Staphylokokken, 
die  das  Kasein  der  Milch  angreifen,  kommen  bei  der  fortschreitenden 
Säurebildung  nicht  auf.  Wohl  sind  dagegen  andere  Mikroorganismen 
imstande,  in  der  durch  die  Säure  koagulierten  Milch  zu  wachsen:  auf 
der  Oberfläche  Schimmelpilze  —  und  zwar  regelmäßig  Oidiumlactis, 
seltener  Mukorarten  —  in  der  Tiefe  ein  anaerober  Buttersäure*» 
bazillus,  der  Bac.  lactopropylbutyricus  (S.  352).  Unter  dem 
Einfluß  des  letzteren,  der  vom  Ende  der  zweiten  Woche  an  nachzu- 
weisen ist,  steigt  der  Säuregrad  der  Milch  weiter,  während  der  Milch- 
zucker schnell  verschwindet.  Nach  einem  Monat  wird  die  Wirkung 
der  Schimmelpilze  dadurch  deutlich  bemerkbar,  daß  die  Säure  wieder 
abnimmt,  sie  wird  von  ihnen  verzehrt,  das  Kasein  gleichzeitig  peptoni- 
siert.  An  diesem  Vorgang  beteiligen  sich  auch  proteolytische  und 
peptolytische  Bakterien,  unter  ihnen  an  erster  Stelle  der  Bac.  f  a e  - 
cali  alcaligenes,  Bac.  proteus  Zenkeri,  seltener  der 
Bac.  putrificus  coli  und  Proteus  vulgaris.  Nach  3  Monaten  ist  das 
Kasein  in  eine  schleimige,  leicht  stinkende  Masse  verwandelt,  das  Serum 
gelbbräimlich  geworden.  Die  Pilzdecke  zerfällt  in  dem  jetzt  alkalischen 
Medium.  Nach  10  Monaten  bleibt  nur  ein  gelblicher,  fadenziehender, 
übehiechender  Bodensatz  zurück,  Kasein  und  Pepton  sind  zersetzt; 
Leuzin,  Tyrosin,  Fettsäuren  und  Ammoniak  noch  nachweisbar. 

Man  sieht,  diese  Zersetzung  der  Milch  verdient  wegen  der  aus- 
schlaggebenden Mitwirkung  der  sauerstoffliebenden  Schimmelpilze 
mehr  den  Namen  der  Verwesung  als  der  Fäuhiis.  Gleichzeitig  haben 
wir  hier  ein  schönes  Beispiel  der  Sym-  oder  besser  der  Metabiose  von 
Mikroorganismen:  die  Milchsäurebakterien  ermöglichen  Buttersäure- 
bazillen und  Pilzen  das  Wachstum,  die  Pilze  ebnen  wieder  durch  Ver- 
zehrung der  Säure  eiweißspaltenden  Bakterien  den  Weg  und  die  letz- 
teren verdrängen  durch  die  alkalische  Reaktion,  die  sie  verursachen, 
die  Pike  (§  50). 

1)  Annal.  Pasteur  1903.  540. 


566  Kap.  IX,   §  181  u.  182. 

Die  Fäulnis  der  E  i  e  r  ist  noch  nicht  so  gründlich  untersucht  worden, 
wie  die  des  Fleisches  und  der  Milch.  Man  weiß  nur,  daß  schon  die  Eier 
in  der  Kloake  der  Vögel  mit  Bakterien  infiziert  sein  können,  und  daß 
diese,  nachdem  die  Eier  gelegt  sind,  weiter  darin  wuchern  und  sie  ver- 
derben^).   Hier  anzuführen  sind  auch  die  früher  besprochenen  (S.  507) 
Versuche  R  e  1 1  g  e  r  s  ,  die  die  Fäulnis  in  aus  FleischundEiern 
zusammengesetzten  Nährböden  betreffen,  allerdings  meist  mit  Sein* 
Iculturen  angestellt,  aber  wieder  doch  so  umfanrgeich  sind,   daß  sie 
auch  für  die  Frage  der  natürlichen  Fäulnis  der  tierischen  Nahrungs- 
mittel Bedeutung  haben.    Von  zahlreichen  daraufhin  geprüften  Bak- 
terien waren  nur  gewisse  Anaerobier,  nämUch  der  Bac.  putri- 
ficus,  des  malignen  Odems  und  Rauschbrands  imstande,  ähnliche  Fäulnis 
zu  erregen,  während  die  Bac.  coli,  aerogenes,  faecalis  alcaligenes,  proteus 
vulgaris,   pyocyaneus,   fluorescens  Uquefaciens   und  non  liquefaciens, 
cloacae,  prodigiosus,  Staphylococcus  pyogenes,  Micrococcus  albus  und 
Streptococcus  pyogenes  allein  oder  in  verschiedenen  Mischungen  in  der 
Nährlösung  „keine  sichtbaren  Zeichen  der  Zersetzimg"  hervorriefen*). 
Impfte  R  e  1 1  g  e  r  gleichzeitig  Anaeroben  und  Aeroben  in  eine  Fleisch- 
Eiermischung,  so  waren  die  Ergebnisse  verschieden  je  nach  der  Art 
der  letzteren:  Coli  und  Aerogenes  verlangsamten  die  Fäulnis,  Proteus 
beschleunigte  sie.    Menschliche  Fäzes  verursachten  größtenteils  eben- 
falls mehr  oder  weniger  starke  Zersetzung  des  Nährbodens,  es  gelang 
aber  R  e  1 1  g  e  r  nicht,  die  dafür  verantwortlichen  Bakterien  heraus- 
zuzüchten (s.  u.   S.  570). 

Absichtlich  ruft  man  eine,  freilich  begrenzte  Fäulnis  tierischer 
Stoffe  hervor  in  der  Gerberei,  um  Haare,  Oberhaut  und  gewisse 
Bestandteile  der  Lederhaut  zu  entfernen.  Die  Häute  werden  dazu 
teils  einfach  mit  Wasser  „eingeweicht"  und  „abgeschwitzt",  wobei 
man  auf  die  Tätigkeit  der  überall  vorhandenen  Fäulniserreger  rechnet, 
teils  unter  Zusatz  von  Mist  „gebeizt".  Die  Beize  mit  Kleie  dient 
nur  zur  Lockerung  der  Fasern  durch  die  dabei  stattfindende  Entwick- 
lung von  Gärungsgasen.  In  den  dann  angewandten  eigentlichen  „Gerb- 
brühen" fehlen  zwar  Gärvorgänge  nicht,  sie  sollen  aber  im  wesentlichen 
nicht  zur  Auflösung  der  Hautsubstanzen  dienen,  sondern  nur  Säuren 
hervorbringen,  die  die  Hautfasern  für  die  Gerbung  vorbereiten^). 


1)  Über  die  Flora  der  Eier  vgl.  Z  ö  r  k  e  n  d  o  r  f  e  r  .  A.  16,  1893; 
Abel  und  D  r  ä  e  r  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.    19,   1895. 

2)  Über  die  älteren  Ergebnisse  Rettgers  und  anderer  Foröcher 
(vgl.   S.   540). 

3)  Über  die  bei  der  Gerberei  wirkenden  Bakterien  s.  Andreasch, 
„Der  Gerber"  1895 — 97,  vgl.  auch  bei  Eitner  in  Lafars  Handb. 
5.  21.   1905. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  567 

Über  die  „Käsereifung",  die  ebenfalls  beschränkte  Eiweißspaltung 
im  Käse,  s.   §  178. 

§  182.    Fänlnis  und  Verwesung  von  Pflanzenstoffen.  Der 

Verwesung  der  Milch  an  die  Seite  zu  stellen  ist  die  Zersetzung  gewisser 
stickstofffreicher  vegetabilischer  Futtermittel,  z.  B.  des  B  a  u  m  - 
wollsaatmehls.  Nach  König,  Spieckermann  und 
0 1  i  g  ^)  verläuft  der  Prozeß,  wenn  man  das  feuchte  Mehl  in  dünner 
Schicht  bei  Sauerstoffzutritt  aufbewahrt,  in  folgender  Weise :  zunächst 
treten  auch  hier  Bakterien  (B.  c  o  1  i)  auf,  die  aus  dem  Zucker  des 
Nährbodens  Säure  bilden.  Die  Proteinstoffe  bleiben  dabei  ziemlich 
unberührt.  Die  saure  Reaktion  ruft  dann  eine  starke  Schimmel- 
pilzwucherung hervor,  die  ihrerseits  wieder  durch  die  Verzehrung 
der  Säure  peptonisierenden  Bakterien  aus  der  Gruppe  der  Heu-  und 
Kartoffelbazillen  Raum  schafft.  Das  durch  sie  reichlich 
gebildete  Anmioniak  macht  die  Reaktion  stark  alkalisch.  Das  Mehl 
verfärbt  sich  dabei,  wird  schmierig  und  riecht  widerlich  faulig.  Wird 
das  Mehl  in  hohen  Schichten  zusammengestampft  aufbewahrt,  so  ver- 
ändert sich  nur  seine  Oberfläche  in  der  beschriebenen  Weise,  in  der 
Tiefe  bleibt  der  Prozeß  bei  der  sauren  Gärung  stehen.  Offenbar  können 
die  Kartoffelbakterien  schon  wegen  des  Sauerstoffmangels  dort  nicht 
gedeihen,  aber  wegen  der  sauren  Reaktion  auch  nicht  eiweißspaltende 
Anaerobier.  Die  an  der  Oberfläche  hausenden  Schimmelpilze  würden 
zwar  auch,  wie  in  der  Milch,  allmählich  die  ganze  Säure  des  Nährbodens 
verbrauchen,  wenn  seine  Beschaffenheit  nicht  die  freie  Diffusion 
behinderte. 

Eine  ähnliche  Verwesung,  wenn  auch  im  Sprachgebrauch  gewöhnlich 
als  „Fäulnis"  bezeichnet,  ist  die  bekannte  Zersetzung  des  Obstes, 
bei  der  es  in  eine  matschige,  bräunliche  (vgl.  S.  459)  Masse  verwandelt 
wird.  Die  Ursache  sind  ausschließlich  Aerobier,  und  zwar  Schimmel- 
pilze*): Botrytis  cinerea,  Mucor  stolonifer,  Penicillium  luteum  und 
Oidium  fructigenum.  Die  Zersetzung  der  Kohlenhydrate  (Pektinstoffe, 
Zucker,  Säuren  und  Gerbstoffe)  steht  freilich  dabei  im  Vorder- 
grund, entsprechend  der  Zusammensetzung  der  Früchte. 

Die  Rolle  der  Schimmelpilze  vertreten  nach  den  Feststellungen 
B  a  i  1 8  ')  bei  der  gewöhnliehen  Verwesung  der  Pflanzen- 
teile, die  viel  reicher  an  Kohlehydraten  und  ärmer  an  Stickstoff 
sind,  als  die  eben  besprochenen  Nahrungsmittel,  Hefepilze  aus  der 
Verwandtschaft  der  Kahmhefe  (S.  248  u.  §  149).  Werden  frische  Blätter 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  10.  535.  Vgl.  S.  525. 

2)  Vgl.  B  e  h  r  e  n  a  ,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4,  1898. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8.  567  u.  9.  501  ff. 


568  Kap.  IX,   §  182  u.  183. 

oder  Stengel  z.  B.  von  Rhabarber  in  feuchter  Umgebung  vor  zu  starker 
Belichtung  geschützt  sich  selbst  überlassen,  so  verwandeln  sie  sich 
unter  Umständen  schon  nach  einer  Woche  in  eine  „feuchte,  schmierige, 
dunkle,  eigenartig  modrig  riechende  Masse,  innerhalb  der  nur  gröbere 
Blätter  eine  größere  Widerstandsfähigkeit  zeigen' ^    Die  ursprünglich 
saure  Reaktion  wird   dabei  allmählich  eine  alkalische,  die   Analyse 
zeigt  Abnahme  der  stickstoffhaltigen  Substanzen  und  lösirngsfahigen 
Kohlenhydrate,  während  die  Zellulose  anscheinend  nicht  angegriffen 
wird.    Alis  der  verwirrenden  Masse  von  Mikroorganismen,   die  das 
zersetzte  Gewebe  bevölkern,  gelang  es  B  a  i  1  durch  Übertragung  von 
Proben  auf  sterilisierte  Rhabarberblätter  diejenigen  zu  gewinnen,  die 
augenscheinlich    den    Verwesungsprozeß    bewerkstelligen.      Zunächst 
findet  sich  in  dem  sauren  Nährboden  neben  den  erwähnten  Hefepilzen 
wieder  eine  Art  von  recht  säurebeständigen   Milchsäurebak- 
terien.   Sie  vergären  offenbar  einen  Teil  der  Kohlehydrate  und  ver- 
mehren dadurch  den  Säuregehalt,  die  Hefe  oxydiert  ihrerseits  die  ge- 
bildete Säure.   In  diesem  Wettstreit  siegt  zuletzt  die  Hefe,  die  Milch- 
säurebakterien verschwinden,  die  saure  Reaktion  nimmt  soweit  ab, 
daß  auch  andere  Bakterien  zum  Wachstum  gelangen  können.   Es  sind 
hauptsächlich  zwei  Arten,   in  erster  Linie  kräftige  Eiweißzersetzer, 
Heubazillen.     Unter  ihrem   Einfluß   konmit   die   Verflüssigung 
der  Pflanzengewebe,  die  alkalische  Reaktion,  zustaiide.  Daneben  findet 
sich  recht  regelmäßig  ein  anderer  Bazillus,  der  viel  weniger  energisch 
sich  an  der  Zersetzung  beteiligt,  aber  den  charakteristischen  Moder- 
geruch   erzeugt,    Schimmelpilze   können    merkwürdigerweise   voll- 
ständig fehlen  und  treten  in  jedem  Falle  hinter  den  Hefepilzen  zurück^). 

Wie  sich  die  Zersetzung  pflanzlicher  Reste  gestaltet,  wenn  der 
Sauerstoff  nicht  so  reichlich  zutritt,  hat  B  a  i  1  nicht  untersucht.  Nach 
den  Ergebnissen  Santoris  (S.  563)  dürfen  wir  aber  annehmen, 
daß  dann  die  Flora  sowie  die  äußeren  Erscheinungen  mehr  denjenigen 
bei  der  echten  Fäulnis  ähneln  kann.  Doch  wird  das  nur  vorübergehend 
so  sein,  imd  sich  bald  das  Übergewicht  der  Kohlenhydrate  und  ihrer 
Spaltungsstoffe  durch  ihre  verschiedenen  Qärungen,  insbesondere 
auch  die  verschiedenen  Sump^asvergärungen  bemerkbar  machen').  Im 


1)  Ob  diese  Erfahrungen  allgemein  gültig  sind,  ist  zweifelhaft. 
Beijerinck  hebt  die  Allgegenwart  eines  Strahlenpilzes,  der  Strepto- 
thrix  chromogena,  im  Humus  hervor.  Diese  erzeugt  moderähnlichen  Geruch 
imd  dunkle  Färbungen  (vgl.  S.  381).  Über  Zerstörung  des  Holzes  durch 
zellulasebildende  Schimmelpilze  u.  a.  vgl.   S.  397. 

2)  Vgl.  die  entsprechenden  Abschnitte  in  diesem  Buche,  namentlich 
die  Pektin-  und  Zellulosevergärung,  ferner  die  Sumpfgasgärungen  dw  Fett- 


sauren. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper*  569 

großen  vollzieht  sich  der  anaerobe  Zersetzungsprozeß  der  Pflanzen 
bekanntlich  in  den  Torfmooren.  Die  Bedeckung  mit  Wasser 
bedingt  dabei  den  Sauerstoffabschluß.  Über  die  Mikroorganismen, 
die  bei  dieser  großartigen  Verwesung  oder  Vermoderung  die 
Hauptrolle  spielen,  ist  nichts  bekannt  (vgl.  §  118). 

§  183.  Fäulnis  und  Verwesung  im  Boden  und  Wasser. 
Ebensowenig  ist  die  Fäuhiis  und  Verwesung  der  Leichen  imd  anderer 
tierischer  Stoffe  im  Erdboden  bisher  genügend  bekannt,  wenn  man 
auch  weiß,  daß  in  den  Anfangsstadien,  abgesehen  von  der  Harnstoff-, 
Hippursaure-  usw.  Vergärung  (§  191 — 195)  die  gewöhnlichen  Erreger 
der  stinkenden  Fäulnis  des  Fleisches  (Proteus^),  Putrificus  coU^)  u.  a.), 
femer  auch  Schimmelpilze^)  und  niedere  Tiere  (Fliegenlarven  vgl.  S.  562) 
beteiligt  sind,  imd  in  den  Endstadien  der  organische  Stickstoff  durch  die 
sogenannten  Nitrifikationsbakterien  vollständig  in  Salpetersäure  ver- 
wandelt wird,  und  der  organische  Kohlenstoff  bis  auf  Reste  von  Humus 
2u  Kohlensäure^),  der  organische  Schwefel  zu  Schwefelsäure  verbrannt 
erscheint  (s.  o.  S.  557).  Damit  wird  dann  das  erreicht,  was  man  wohl 
als  „Selbstreinigung  des  Bodens  von  seinen  organischen  Verunreinigun- 
gen'' bezeichnet  hat.  Die  Zwischenstadien  sind  aber  weit  weniger 
gut  bekannt  imd  noch  niemals  ist  z.  B.  die  Leichenverwesung  in  ihrem 
ganzen  Verlaufe  mikrobiologisch  verfolgt  worden. 

So  sicher  die  wesentUche  Bolle  von  Mikroorganismen  bei  diesen 
Yoigangen  ist,  so  wenig  ist  zu  leugnen,  daß  die  Vollständigkeit  der  Zer- 
Setzung,  die  in  Reagensglasversuchen  nicht  entfernt  erreicht  wird, 
erst  durch  die  physikalischen  und  chemischen 
Eigenschaften  des  Bodens  selbst  gewährleistet 
wird.  Wir  konmien  gleich  auf  diese  Verhältnisse  zurück  und  be- 
merken hier  nur,  daß  erfahrungsgemäß  einerseits  eine  gewisse  Wasser- 
haltigkeit des  Bodens,  andererseits  aber  auch  ein  nicht  zu  großer,  die 
Durchlüftung  verhindernder  Wassergehalt  dazu  vonnöten  ist.  Der 
Homusrückstand  selbst  scheint,  wo  es  sich  um  tierische  Reste  handelt, 
gering  zu  sein,  ja,  vielleicht  ganz  fehlen  zu  können,  nimmt  aber  um  so 
mehr  an  Ausdehnung  zu,  je  mehr,  wie  in  gewöhnlichemDünger,  pflanz- 
liche Beste  beigemischt  sind. 

1)  Kuhn  a.  a.  O.  (S.  663). 

2)  Identisch  mit  E.  Kleine  Bac.  cadaveris  sporogenes  (s.  o.  S.  563). 
Weitere  Angaben   über   Leichenbakterien   folgen   in   der   Infektionslehre. 

3)  Die  Zersetzung  des  (gekochten)  Fleisches  durch  Schimmelpilze 
allein  bleibt  nach  den  S.  532  Anm.  2  berichteten  Untersuchungen  B  u  t  - 
j  a  g  i  n  8  sehr  unvollständig. 

4)  Ob  Sumpfgas  regelmäßig  daneben  erzeugt  wird  luid  gasförmig 
in  die  Atmosphäre  entweicht,  ist  zweifelhaft,  auch  eine  Verbrennung  im 
Boden  ja  möglich  (S.   116). 


570  Kap.  IX,  §  183. 

Von  der  Leichenfäulnis  völlig  verschieden  ist  nebenbei  bemerkt 
die  Darmfäulnis,  weil  bei  ihr  diese  gewöhnlichen  Fäulmsbak- 
terien,  nämlich  die  Proteusbazillen  und  auch  die  strengen  Anaerobier, 
obwohl  sie  immer  vorhanden  sind^)  wahrscheinlich  keine  wesentliche 
Rolle  spielen,  vielmehr  das  Geschlecht  des  B.  coli  und  aerogenes 
unter  Mithilfe  von  echten  Milchsäurestreptokokken  und  -basillen  sowie 
Zellulose  vergärenden  Bakterien  die  Zersetzung  zu  bewirken  scheint. 
Erleichtert  wird  ihnen  ihr  Werk  offenbar  durch  die  Verdauungsenzyme 
des  Darms.  Andererseits  wird  das  Endergebnis  wohl  erheblich  durch 
die  Aufsaugung  der  nährenden  Flüssigkeit  seitens  der  Schleimhaut 
beeinflußt,  insofern  sie  eine  starke  Zusammendrängung  der  Bakterien 
und  wahrscheinlich  mittelbar  dadurch  eine  kräftige  Selbstverdauung 
derselben  bedingt  (§  9).  Näheres  darüber  werden  wir  erst  in  der  Fort- 
setzung dieses  Werkes  (Infektionslehre)  bringen.  Hier  nur  die  kurze 
Bemerkung,  daß  es  trotz  dieser  Erkenntnis  bisher  nicht  gelungen  ist, 
die  Darmfäulnis  in  allen  ihren  charakteristischen  Erscheinungen  im 
Reagensglas  nachzuahmen.  R  e  1 1  g  e  r  (s.  o.  S.  566)  hat  zwar  im 
Gegensatz  zu  dieser  unserer  Darstellung  auf  Grund  seiner  Fäulnis- 
versuche mit  Fleisch-Eiermischungen  gefolgert,  daß  Golibazillen  nicht 
imstande  seien,  die  Darmfäulnis  zu  verursachen,  sondern  wahrschein- 
lich nur  Anaeroben,  aber  dabei  unberücksichtigt  gelassen,  daß  die 
Darmfäulnis  sich  von  der  gewöhnlichen  doch  ganz  wesentlich  unter* 
scheidet.  Die  dafür  charakteristischen  Riechstoffe  (Indol  und  Skatol) 
wurden  ja  auch  nach  seinen  eigenen  Versuchen  nicht  von  Anaeroben 
erzeugt  (vgl.  S.  507  u.  541),  sondern  gerade  von  Golibazillen.  Unseres  Er- 
achtens  überschätzt  man  die  Bedeutung  der  fäulniserregenden  Anaeroben 
im  Darme  schon  deswegen  erheblich,  weil  sie  nicht  in  genügend  großen 
Mengen  in  ihm  vorkommen. 

Einen  besonderen  Fall  der  Fäulnis  und  Verwesung  organischer 
Stoffe,  nämlich  die  in  den  Abwässern  des  menschlichen 
Haushaltes  und  den  damit  verunreinigten  natürlichen  Gewässern 
vor  sich  gehenden  „Selbstreinigungsvorgänge"  hat  man  ihrer  prak- 
tischen Bedeutung  halber  viel  untersucht.  Es  hat  sich  dabei  gezeigt, 
daß  zwar  auch  in  den  fließenden  und  stehenden  Wässern  selbst  biolo- 
gische Zersetzungen  vor  sich  gehen,  die  zum  Teil  mit  der  Fäulnis  und 
Verwesung^)  verglichen  werden  können,  daß  indessen  viel  lebhafter 
und  darum  für  den  Enderfolg  viel  wesentlicher 


1)  Passini,  Zeitschr.  f.  Hyg.  49,   1905. 

2 )  Wahrscheinl  ich  ist  die  Verwesung  der  Hauptsache  nach  weniger  durch 
Kleinwesen  als  durch  höhere  und  niedere  Pflanzen,  die  aber  auch  nur  unter 
bestimmten  Bedingungen  zur  Wirkung  gelangen,  bedingt  (a.  u.)«  Daneben 
besteht  ein  gewisser  Einfluß  der  Lüftung  (§  184)  imd  des  Lieh tee  (§187). 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  571 

sind  diejenigenVeiänderungen^diean  den  S  ch  web- 
undSinkstoffen  der  Wässer  vor  sich  gehen,  und  daß  die  Reini- 
gung der  Wässer  selbst  von  den  gelösten  organischen  Stoffen  erst  dann 
deutliche  Portschritte  zu  machen  pflegt,  wenn  die  Schweb-  und 
Sinkstoffe  durch  Absetzen,  Niederschlagen  oder  Fil- 
trieren aus  dem  Wasser  entfernt  und  das  Wasser  selbst 
wie  bei  der  Berieselung  und  intermittierenden  Filtration  mit  natürlichem 
Boden  oder  wie  in  den  biologischen  Filtern  und  bei  dem  D  e  g  e  n  e  r  - 
sehen  Kohlebreiverfahren  mit  bodenähnlichen  Körpern  in  Berührung 
kommt.  Offenbar  treten  auch  hier  wieder  nicht  allein  die  bekannten 
biologischen  Vorgänge,  sondern  physikalisch-chemische  Einflüsse,  die 
man  als  Oberflächenkräfte  bezeichnen  kann,  ms  Spiel.  Wichtige  Auf- 
schlüsse darüber  verdanken  wir  außer  zahlreichen  älteren  Vorarbeiten 
namentlich  den  Untersuchungen  D  u  n  b  a  r  s  ^).  Nach  ihnen  besteht 
die  Wirkung  der  genannten  porösen  Körper  in  erster  Linie  in  einer 
Absorption  der  organischen  (nicht  bloß  kolloi- 
dalen) Stoffe,  die  zwar  von  vornherein  schon  entwickelt,  aber 
durch  die  fortgesetzte  Berührung  mit  Abwasser  sehr  gesteigert  wird. 
Durch  sie  werden  die  fäulnisfähigen  Stoffe  zum  größten  Teil  dem 
Abwasser  fast  augenblicklich  entzogen.  Erst  in  den  auf  den  Boden- 
teilchen sich  bildenden  Niederschlägen  gehen  dann  die  biologischen 
Veränderungen  vor  sich,  die  sehr  verwickelter  Art  sind,  aber  das 
Hauptmerkmal  an  sich  tragen,  daß  sie  unter 
lebhaftester  Beteiligung  des  Sauerstoffs,  d.  h.  nur 
bei  reichlicher  Lüftung  ungestört  verlaufen.  Ein- 
fache chemische  Einflüsse  durch  gewisse  Bodenbestandteile,  z.  B. 
Eisen  und  Mangan'),  wirken  dabei  wahrscheinlich  insofern  mit,  als  sie 
die  Intensität  der  Oxydation  steigern.  Das  Ergebnis  der  Selbstreinigung 
besteht  darin,  daß  der  gesamte  organische  Schwefel  in  dem  Abfluß 
des  Bodenfilters  als  Schwefelsäure  wiedergefunden  wird,  der 
Stickstoff  aber  nur  zu  etwa  60—70%^),  und  zwar  teils  als  organischer 
Stickstoff,  teils  als  Ammoniak,  teils  als  Salpetersäure. 
Von  dem  Rest  bleibt  ein  Teil  alshumöseMasseim  Filter,  ein  anderer 
entweicht    als    elementarer    Stickstoff.     Der    Kohlenstoff 


1)  Leitfaden  für  die  Abwässerreinigungsfrage,  1907,  S.  204  ff . 

2)  Vgl.  hierzu  und  zu  dem  folgenden  auch  König,  Grosse- 
Bohle  und  Roraberg:  Zeitschr.  f.  Untersuchung  v.  Nahrungs-  und 
(Vnußmitteln  1900. 

3)  Kaum  zu  bezweifeln  ist,  daß  der  Prozentsatz  der  veränderten  Stick- 
stoff- wie  Kohlenstoffsubstanz  um  so  höher  steigt,  je  mehr  Zeit  dem  ganzen 
Vorgang  gegönnt  wird,  also  wohl  unter  den  natürlichen  VerhältniHsen  in 
gewachsenem  Boden,  manchmal  auch  schon  auf  Rieselfeldern  und  bei  der 
Leichenverwesong  fast  100%  erreichen  wird. 


572  Kap.  IX,   §  183  vl   184. 

geht,  soweit  er  verwandelt  wird,  zum  größten  Teil  in  Kohlensäure, 
die  gasförmig  oder  gelöst  entweicht,  über,  zum  kleineren  wieder  in  H  u  - 
m  u  s ,  der  im  Filter  zurückbleibt  imd  seine  Poren  in  kürzerer  oder 
längerer  Zeit  je  nach  der  größeren  oder  geringeren  Schnelligkeit  der 
Berieselung  verstopft.  Man  wird  sich  vorstellen  dürfen,  daß  die  Eiweiß- 
körper größtenteils  in  Aminosäuren  und  diese  in  Ammoniak,  Schwefel- 
wasserstoff imd  Fettsäuren  gespalten  werden,  die  letzteren  wie  die 
Kohlenhydrate  durch  den  Sauerstoff  zu  Schwefel-  imd  Kohlensaure, 
das  Ammoniak  zu  Salpetersäure  oxydiert  werden,  und  ein  Teü  der 
Salpetersäure  selbst  wieder  unter  Reduktion  zu  Stickstoff  zur  Oxyda- 
tion von  Zucker,  Fettsäuren  u.  dgl.  dient  (s.  Denitrifikation  §  198). 
An  Bakterien,  die  das  leisten  können,  fehlt  es  in  den  Bodenfiltem 
nicht,  die  eigentlichen  Nitrobakterien  werden  nach  D  u  n  b  a  r  durch 
andere  nitrifizierende  unterstützt  (S.  546).  Die  Entstehung  des  Humus 
bleibt  nach  wie  vor  dunkel,  die  pflanzlichen  Beste  tragen  aber  wahr- 
scheinlich mehr  dazu  bei  als  die  tierischen.  Eine  bakteriologische 
Analyse  der  im  Filter  wirkenden  Keime,  die  es  uns  vielleicht  ermög- 
lichen ^ürde,  den  natürlichen  Beinigungsvorgang  mit  Hilfe  von  Bein- 
kulturen nachzumachen,  fehlt  bisher. 

Ähnliche  Verhältnisse  wie  in  Böden  und  Filtern  bestehen,  wenig- 
stens in  gewisser  Hinsicht,  im  S  c  h  1  a  m  m ,  der  sich  aus  verunreinigten 
Oberflächen  wässern  oder  ungemischtem  Abwasser  absetzt,  weilhierimmer 
bodenähnliche  Bestandteile  den  organischen  Stoffen  beigemischt  sind, 
und  auch  eine  periodische  Lüftung  durch  Auftrieb  des  Schlanmies, 
Trockenlegung  des  Bodens  u.  dgl.  erfolgt.  Bei  der  „Schlamm verzehrung'' 
beteiligen  sich  femer  überall  da,  wo  die  Luft  genügend  Zutritt  hat, 
neben  den  Kleinwesen  (Bakterien  imd  Schimmelpilzen)  niedere  Tiere, 
namentlich  aus  der  Klasse  der  Würmer  in  hervorragender  Weise,  wie 
das  übrigens  auch  nach  Darwins  Untersuchungen  an  Regenwürmem 
in  der  Gartenerde  der  Fall  ist  (S.  562).  Die  Bedeutung  der  Protozoen, 
höheren  Pflanzen,  Algen  und  Abwasserpilze  (Leptomitus,  Sphaerotilus, 
Cladothrix,  Beggiatoa  u.  a.  m.)  für  die  Selbstreinigung  des  Bodens, 
Schlammes  und  Wassers,  und  besonders  der  schwimmenden  Elemente 
(des  „Planktons")  in  letzterem  scheint  uns  dagegen  erheblich  über- 
trieben worden  zu  sein,  die  der  Protozoen,  weil  sie  meist  nicht  in  ge- 
nügendem Maße  auftreten,  um  ähnlich  den  anderen  Tieren  bei  der  Stoff- 
verzehrung  ins  Gewicht  zu  fallen,  die  der  übrigen  drei  Klassen,  weil 
sie  überhaupt  nur  gelöste  Stoffe  verzehren  oder  besser  gesagt  speichern 
und  durch  ihr  früher  oder  später  unvermeidliches  Absterben  den  fäulnis- 
fähigen Schlamm  geradezu  vermehren.  In  der  Praxis  der  Wasser- 
und  Abwasserreinigung  macht  sich  dieser  Übelstand  oft  genug  be- 
merkbar, er  würde  noch  deutlicher  hervortreten,  wenn  man  ihm  nicht 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  573 

durch  periodisches  Herausnehmen  der  pflanzlichen  Wucherungen 
aus  dem  Wasser  zuvorkäme,  und  dadurch  einen  Erfolg  der  Selbstreinigung 
nur  künstlich  vortäuschte.  Aber  auch  die  Verzehrung  der  im  Wasser 
selbst  gelösten  organischen  Siibstanz  durch  die  Pflanzen  ist  nur  unter 
beschränkten  Bedingungen  von  Wert,  wenn  nämlich  das  zu  reinigende 
Wasser  in  dünner  Schickt  und  sehr  langsam  fließt  oder  in  Tümpeln 
und  Teichen  ganz  stillsteht^). 

Ein  auf  den  ersten  Blick  sehr  lehrreiches,  weil  dem  Experiment 
zugängliches  Beispiel  für  die  Wirkungen  der  ohne  Mithilfe  des  Bodens 
oder  bodenähnlicher  Körper  vor  sich  gehenden  Selbstreinigung  bieten 
die  sogenannten  Faulkammern,  die  neuerdings  vielfach  mit 
den  biologischen  Filtern  zur  Abwasserreinigung  benutzt  werden.  In 
ihnen  werden  große  Mengen  von  organischem  Schlamm  verzehrt,  d.  h. 
in  eine  nicht  mehr  fäulnisfähige  humusähnliche  Masse  verwandelt  und 
außerdem  auch  ein  gewisser  Teil  der  gelösten  organischen  Stoffe  des  Ab- 
wassers zersetzt.  Leider  sind  wir  bisher  aber  über  die  dabei  wirkenden 
Kräfte  nur  unvollkommen  unterrichtet.  Nach  Dunbars  ^)  Dar- 
stellung sollen  aerobe  Schimmelpilze  dabei  eine  größere  Rolle  spielen  als 
anaerobe  Bakterien,  aber  die  Stoffzersetzung  durch  eigene  Enzyme 
der  pflanzlichen  oder  tierischen  Abfallstoffe  ganz  bedeutend  unter- 
stützt werden.  Während  bei  dem  Faulverfahren  die  Selbstreinigung 
des  Schlammes  leidliche  Erfolge  zeitigt,  ist  die  des  daraus  hervorgehenden 
Abwassers  selbst  bekanntlich  durchaus  ungenügend  imd  läßt  die  In- 
ansprachnahme  der  reinigenden  Kraft  des  Bodens  oder  der  biologischen 
Filter  nicht  entbehrlich  erscheinen. 

§  184.  Wirknng  des  Luf  tsanerstof  f  s  auf  die  Fäulnis.  Es  ist 

eine  alte  Erfahrung,  daß  Sauerstoffabschluß  die  stinkende  Fäulnis 
begünstigt,   reichliche   Sauerstoffzufuhr  sie   verhindert  oder  hemmt. 

1)  Diese  Andeutungen  über  die  Selbstreinigung  des  Wassers  müsnen 
biep  genügen.  Einige  weitere  Angaben  über  den  Einfluß  physikalischer 
Bwiingimgen,  wie  der  Bewegung,  des  Lichtes  usw.,  folgen  auf  S.  579  ff.  Über 
MSauepstoffzehrung"  in  verunreinigtem  Wasser  vgl.  §  226.  Für  ein  ge- 
naueres Studium  ist  das  Werk  von  D  u  n  b  a  r  sowie  meine  Arbeiten  im 
^ntralbl.  allgemein,  für  Gesundheitspflege  und  in  der  Zeitschrift  für  Hygiene 
•^9  S.  39,  1908,  zu  empfehlen.  Die  Darstellungen  der  neuerdings  sehr  ver- 
weiteten Planktonenthusiasten  sind  nur  mit  Vorsicht  aufzunehmen.  Von 
der  chemischen  Selbstreinigung,  die  wir  hier  allein  im  Auge  haben,  ist 
natürlich  die  bakteriologische,  d.  h.  die  Befreiung  der  Gewässer  von  den 
sie  verunreinigenden  Bakterien  zu  trennen.  Die  dabei  wirksamen  I^äfte 
smd  mannigfacher  Art.  In  erster  Linie  scheint  es  sich  aber  um  freiwilliges 
Absterben  wegen  Nahrungsmangels  zu  handeln;  die  namentlich  von  E  m  - 
°^  e  r  i  c  h  betonte  phagozytäre  Rolle  der  Protozoen  erscheint  mir  neben- 
sächlich (a.  a.  O.  S.  61). 

2)  a.  a.  O.  S.  116. 


574  Kap.  IX,   f  184  u.  185. 

Die  Erklärung  dafür  wird  uns  jetzt  nicht  schwer,  seitdem  wir  wissen, 
daß  es  gerade  die  strengen  oder  fakultativen  Anaerobier  sind,  die 
stinkende  Fäulnis  hervorrufen  (§  168  u.  169).  Man  hat  die  Bedeutung  des 
Sauerstoffs  für  diese  Art  der  Zersetzung  dadurch  abschwächen  wollen, 
daß  man  auf  diejenigen  Bakterien  (B.  proteus  vulgaris  und  mirabilis) 
hinwies,  die  auch  an  der  Luft,  d.  h.  ohne  besondere  Vorsichtsmaßregeb 
gegen  den  Zutritt  des  Sauerstoffs  wachsen  und  die  Eiweißstoffe  trotzdem 
in  stinkende  Fäulnis  versetzen.  Manche  Versuche  (B  r  i  e  g  e  r)  schienen 
auch  zu  lehren,  daß  selbst  die  künstliche  Zuführung  von  Luft  den 
Fäulnisvorgang  eher  beschleunige.  Das  würde  sich  mit  der  Theorie 
des  anaeroben  Wesens  der  Fäulnis  noch  vertragen.  Wir  sehen  ja  das- 
selbe bei  der  alkoholischen  Gärung:  obwohl  auch  diese  ein  Vorgang  ist, 
der  anaerob,  d.  h.  ohne  unmittelbare  Beteiligimg  des  Sauerstoffs  ver- 
läuft, wird  sie  begünstigt  durch  mäßigen  Luftzutritt,  weil  die  Hefezellen 
zu  ihrem  Wachstum  und  zur  reichlichen  Bildung  des  Gärungsferments, 
der  Zymase,  des  Sauerstoffs  bedürfen  (§  91).  Ebenso  wächst  augen- 
scheinlich der  Proteus  vulgaris  bei  ungehindertem  I>uftzutritt  schneller. 
Deswegen  ist  doch  die  Bildung  der  Stinkstoffe  wie  überhaupt  die  tiefere 
Spaltung  der  Eiweißkörper  sehr  wahrscheinlich  ein  wesentlich  anaerobei 
Vorgang.  Ein  mäßiger  Zutritt  von  Luft  zu  einer  faulenden  Masse 
ist  aber  auch  deswegen  der  Fäulnis  noch  nicht  hinderlich,  weil  die  darin 
stets  vorhandenen  luftliebenden  Mikroorganismen  den  zugeführten 
Sauerstoff  an  sich  reißen  und  so  den  strengen  Anaerobiem  doch  ihre 
Tätigkeit  ermöglichen.  Schon  P  a  s  t  e  u  r  hat  diese  Erklärung  gegeben 
(S.  10()).  Nach  ihm  fault  z.  B.  eine  offen  hingestellte  stickstoffreiche 
Flüssigkeit,  weil  die  Aerobier  den  in  der  Flüssigkeit  vorhandenen  Sauer- 
stoff verzehren  und  an  der  Oberfläche  eine  Decke  bilden,  die  gegen 
das  Eindringen  neuen  Luftsauerstoffs  schützt.  Selbst  ein  langsames 
Durchleiten  von  Luft  braucht  die  Anaerobier  noch  nicht  zu  henunen. 
Sobald  dagegen  sehr  reichliche  Luftmengen  durch  die  Flüssigkeit  ge- 
leitet werden,  ist  das  Wachstum  der  Anaeroben  nicht  mehr  gut  mög- 
lich, und  die  stinkende  Fäulnis  tritt  nicht  ein. 

Schwerer  faulende  Flüssigkeiten,  z.  B.  Eanalwasscr,  verunreinigtes 
Flußwasser,  die  weniger  Stickstoff  enthalten,  muß  man  schon  in  hohen 
Schichten  und  womöglich  in  geschlossenen  Gefäßen  aufspeichern,  um 
Fäulnis  zu  erzielen.  Schon  die  schwache  Lüftung,  die  mit  einer  fort- 
schreitenden Strömung  des  Wassers  verbunden  ist,  kann  hier  das 
Auftreten  übler  Gerüche  verhindern.  Stärkere  Lüftung  solcher  Wässer, 
z.  B.  das  Rieseln  über  Drahtnetze,  die  Verteilung  durch  Sprühapparate, 
das  Durchleiten  von  viel  Luft  beseitigt  unter  Umständen^)  nicht  nur 

1)  Vgl.  König,  Verunreinigung  der  Gewässer,  Berlin  1899.    1.  Bd. 
S.  235  (mit  Literatur). 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  575 

die  etwa  vorhandenen  Gerüche,  sondern  macht  sie  überhaupt  fäuhiis- 
unfähig.  Eine  unmittelbare  Oxydation  der  Faulstoffe  durch  den  Sauer- 
stoff der  Luft  tritt  dabei  höchstens  in  unbedeutendem  Grade,  z.  B. 
beim  Schwefelwasserstoff,  oder  in  längeren  Zeiträumen  ein. 
Die  Wirkung  der  Lüftung  hat  man  sich  vielmehr,  wenn  man  von  dem 
für  den  augenblicklichen  Erfolg  maßgebenden  Einfluß,  der  mechanischen 
Beseitigung  der  Riechstoffe  durch  Abdunstung  absieht,  so  zu 
erklären,  daß  die  Ana€robier  durch  den  Sauerstoff  geschwächt  oder 
abgetötet  und  die  Aerobier  unterstützt  werden. 

Auf  die  Tatsache,  daß  die  Zersetzung  der  stickstoffhaltigen  Sub- 
stanzen imter  Sauerstoffabschluß,  die  wir  Fäulnis  nennen,  nicht  eine 
so  vollständige  ist,  ab  die  „Verwesung"  bei  Luftzutritt,  haben  wir  schon 
öfters  hingewiesen  (vgl.  S.  661).  Da  ja  aber  unter  natürlichen  Vrehält- 
nissen,  d.  h.  im  Erdboden  die  Anaerobiose  sich  weniger  umfassend  imd 
nur  vorübergehend  verwirklicht,  ist  das  kein  Nachteil  für  das  Endziel 
der  Zersetzung,  die  Umwandlung  der  toten  organischen  Stoffe  in  ihre 
letzten  Bestandteile. 

§  185.  Einfluß  der  Reaktion  auf  Fäulnis  und  Verwesung. 

Freie  Säure  im  Nährboden  hindert  die  Fäulnis,  sichTzu  entwickeln  und 
unterbricht  den  begonnenen  Prozeß.  Das  ist  eine  alte  Erfahrung,  die 
auch  in  der  Küche  und  in  den  Nahrungsmitt^lge werben  verwertet  wird : 
in  Essig  eingelegt,  „mariniert"',  lassen  sich  Fleisch  und  Fisch  länger 
aufbewahren.  Nach  T  i  s  s  i  e  r  und  M  a  r  t  e  1 1  y  ^)  genügt  z.  B. 
IVoo  Schwefelsäure  oder  eine  äquivalente  Menge  anderer  Säuren,  um 
Fleisch  vor  Fäulnis  zu  bewahren;  0,5^00  verzögert  die  Fäulnis  um 
U  Tage.  Genau  genommen  ist  die  Säurekonzentration  in  diesen  Fällen 
eine  höhere,  weil  der  Säuregehalt  des  Fleisches  selbst  (etwa  1,2^^0) 
hinzugerechnet  werden  muß.  Die  Erklärung  für  diesen  Einfluß  der 
sauren  Reaktion  liegt  darin,  daß  dadurch  nicht  nur  die  proteoljrtischen 
Enzyme  (§  165)  ihre  Wirksamkeit  einbüßen,  sondern  auch  schon  das 
Wachstum  der  Fäulnisbakterien  gehemmt  wird,  oder  diese  so  ge- 
schwächt werden,  daß  sie  kein  Enzym  ausscheiden  (§  41).  Wo  ge- 
nügende Säuremengen  noch  nicht  im  Nährboden  enthalten  sind,  um 
schädUch  zu  wirken,  werden  sie  leicht  entwickelt  durch  saure 
Gärungen  von  Kohlehydraten.  Darauf  beruht  der  hem- 
mende Einfluß  dieser  Stoffe  auf  die  Fäulnis,  dem  wir  schon  öfter  be- 
gegnet sind,  und  auf  den  wir  noch  zurückkommen  werden  (§186).  Milch- 
säure- und  Buttersäurebakterien  sind  in  der  Gesellschaft  der  Fäulnis- 
bakterien überall  verbreitet,  sie  überwuchern  die  letzteren  ohne  Mühe, 
wo  sie  zusagende  Nahrung  finden. 

1)  Annal.  Pasteur  1902.  901. 


576  Kap.  IX,   §  186  u.   186. 

Nicht  gehemmt  selbst  durch  viel  Säure  werden  die  genannten 
Säurebakterien,  femer  Hefe-  und  namentlich  Schimmelpilze.  Da  die 
letzteren  bei  genügendem  Sauerstoffzutritt  auch  das  Eiweiß  stark  an- 
greifen, wird  unter  solchen  Umständen  durch  die  Säure  nicht  jede 
Eiweißzersetzung  gehemmt,  sondern  nur  die  Fäulnis:  die  Verwesung 
kann  dann  um  so  schneller  Fortschritte  machen:  das  Verscliinmieln 
von  sauren  Nahnmgsmitteln,  die  Fäulnis  des  Obstes  ist  weiter  nichts 
als  solche  Verwesung  {§  181  u.  182).  Das  Schimmelpilzwachstum  ist 
allerdings  gewöhnlich  ein  begrenztes,  es  setzt  sich  selbst  ein  Ziel  dadurch, 
daß  die  Pilze  die  organischen  Säuren  verbrennen  und  die  saure  Reak- 
tion auch  durch  Ammoniakbildung  aus  dem  Eiweiß  herabsetzen.  Ist 
das  geschehen,  so  können  die  Bakterien  wieder  aufkommen:  Fäulnis 
löst  dann  die  Verwesung  wieder  ab.  Nur  in  dem  Fall  behalten  die 
Schimmelpilze  länger  das  Feld,  wenn  der  Wassergehalt  des  Nährbodens 
ein  so  geringer  ist,  daß  die  Bakterien  nicht  mehr  dabei  gedeihen  (§  40). 

Die  hemmende  Wirkung  der  Säure  auf  die  Fäulnis  kann  natürlich 
nicht  eintreten,  wenn  sie  nachträglich  oder  gleich  bei  ihrer  Bildung 
neutralisiert  wird,  also  z.  B.  wenn  Kreide  (kohlensaurer  Kalk)  reichlich 
und  genügend  fein  verteilt  im  Nährboden  vorhanden  ist. 

Der  Einfluß  alkalischer  Reaktion  macht  sich  im  entgegengesetzten 
Sinne  bemerkbar  wie  der  der  Säuren.  Die  Fäulnis  von  Fleisch  wird 
z.  B.  befördert  durch  Zusatz  von  Soda,  die  hier  wirkt  wie  kohlensaurer 
Kalk,  indem  die  vorgebildete  oder  aus  den  Flüssigkeiten  erst  ent- 
wickelte Säure  dadurch  neutralisiert  wird.  Auch  wo  keine  Säure  zu 
neutralisieren  ist,  hat  der  Alkaligehalt  des  Nährbodens  eine  ge- 
wisse Bedeutung  für  den  Verlauf  der  Fäulnis,  insofern  nach  Blumen- 
t  h  a  1  ^)  sich  zwar  —  innerhalb  gewisser  Grenzen  —  die  Intensität  der 
Zersetzung  nicht  wesentlich  ändert,  aber  die  Menge  der  einzelnen  Zer- 
setzungsprodukte schwankt:  Ein  Zuviel  von  Alkali  kann 
z.  B.  die  Schwefelwasserstoffbildung  völlig  hin- 
dern und  die  Merkaptan-  und  Indolbildung  sehr 
herabsetzen,  erhöht  aber  andererseits  die  Säure - 
ausbeute. 

Ebenso  wie  Kohlehydrate  die  saure  Reaktion,  so  befördern  Harn- 
stoff und  andere  leicht  in  Ammoniak  zerfallende  Körper  die  alkaKsche 
Reaktion  der  Faulflüssigkeiten.  In  Mist  und  Jauche  ist  das  be- 
sonders der  Fall.  Dadurch  kann  die  Alkalinität  so  hoch  ansteigen, 
daß,  obwohl  immer  ein  Teil  des  Ammoniaks  durch  Verdunstung  ent- 
fernt wird,  die  Fäulnis  früh  zum  Stillstand  kommt.  Beides,  die  Henamung 
der  Zersetzung  wie  die  Verdunstung  des  Ammoniaks,  ist  für  die  land- 


1)  Zeitschr.  f.  klin.  Med.  28.  240,  1895. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  577 

wirtschaftliche  Auanutzimg  der  Dungstoffe  vom  Übel,  ein  Hilfsmittel 
dagegen  aber  in  der  Verwendmig  von  anmioniakbindenden  Stoffen, 
wie  Schwefelflättre,  Superphosphat  imd  namentlich  Gips^)  (dem  schwefel- 
sauren Kalk),  der  sich  mit  dem  Ammoniak  zu  schwefelsaurem  Ammoniak 
und  kohlensaurem  Kalk  umsetzt,  gegeben. 

§  186.  Einfluß  gewisser  Stoffe  auf  die  Fäulnis.  Es  ist  eine 
lange  bekannte  Tatsache,  daß  Milch,  trotz  ihrem  hohen  Eiweißgehalt, 
sehr  wenig  zur  Fäulnis  neigt,  ja,  andere  fäulnisfähige  Stoffe,  wie  Fleisch, 
gegen  Fäulnis  zu  schützen  vermag.  Hirschler  2)  stellte  dann  fest^ 
daß  der  Gehalt  der  Milch  an  Zucker  daran  schuld  wäre,  und  daß  der 
Milchzucker  mit  dem  gleichen  Erfolge  durch  andere  Kohlenhydrate^ 
wie  Dextrin,  Bohrzucker  und  selbst  durch  Glyzerin  ersetzt  werden 
könnte.  Gleichzeitig  glaubte  er  aber  nachweisen  zu  können,  daß  die  bei 
der  Vei^ärung  jener  Substanzen  entstandenen  Säuren  (s.  o.  §  185) 
nicht  schuld  an  der  Hemmimg  der  Fäulnis  sein  könnten,  weil  Zusatz 
von  kohlensaurem  Kalk  die  Wirkung  nicht  aufhöbe.  Auch  Winter- 
n  i  t  z  ^  imd  S  e  e  1  i  g  *)  kamen  zu  demselben  Schluß  und  schrieben 
daher  dem  Zucker,  insbesondere  dem  Milchzucker,  einen  spezifischen 
Einfluß  zu.  Auch  im  Darm  soll  diese  fäulniswidrige  Eigenschaft  des 
Milchzuckers  zu  beobachten  sein,  wie  die  bekannten  Erfahrungen  an 
Säuglingsstühlen  und  Emährungsversuche  von  Erwachsenen  mit 
Milch-  und  Kefyrdiät  lehrten^).  Gegen  diese  Erklärung  sprach  aller- 
dings schon  die  Entdeckung  Flügges*),  daß  es  Anaerobier  gibt, 
die  sterilisierte  Milch  in  stinkende  Fäulnis  versetzen.  Dann  erhielt 
Bienstock')  denselben  Befund  mit  dem  gewöhnlichen  Fäulnis- 
erreger, dem  Bac.  putrificus,  und  den  Bazillen  des  malignen  Odems 
und  Bauschbrandes,  während  die  Fäulnis  durch  diese  Bakterien  nicht 
hervorgerufen  wurde,  wenn  sie  in  unsterilisierte  Milch  übertragen 
wurden.  Ein  näheres  Studium  ergab  weiter,  daß  die  Milchsäurebakterien 
oder  andere  Mikroorganismen,  die  wie  diese  den  Milchzucker  vergären 
(B.  coli  und  aerogenes),  es  sind,  die  das  Aufkommen  der  Fäulnis  ver- 
hindern. Nach  der  Ansicht  Bienstocks  spielen  die  Hauptrolle 
dabei  die  bei  der  Gärung  entwickelten  Säure  mengen.    Zugabe  von 


1)  Severin,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   II,  389,  1904. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   10,  1886. 

3)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.   16,   1892. 

4)  Virch.  Arch,   146,  1896. 

5)  Bovighi,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  16,  1892.  Neuerdings  wird 
von  Metschnikoff  besonders  der  Yoghurt  bzw.  dessen  Säurebildner, 
der  Bac.  bulgaricus  (Lit,  S.  288  Anm.  2),  zur  Bekämpfung  der  Darm- 
fänlnia  empfohlen   (vgl.  auch  Infektionslehre). 

6)  Zeitachr.  f.  Hyg.lV,  1894. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  49,  1901. 

Kro8e,  Mikrobiologie.  37 


578  Kap.  IX,  §  186  u.  187. 

kohlensaurem  Kalk  beseitige  die  Hemmung,  wenn  man  ihn  nur  öfter 
mit  der  Nährflüssigkeit  verrühre.  Es  sollen  aber  daneben  noch  andere 
Stoffwechselprodukte  der  genaimten  Bakterien  in  Betracht  kommen, 
die  deswegen  als  Antagonisten  der  Fäulniserreger  zu  bezeichnen  wären. 
Nach  dem,  was  wir  auf  S.  575  und  565  über  die  Erfahrungen  von 
Tissier,  Martelly  und  6asching  mitgeteilt,  ist  diese  An- 
nahme wohl  überflüssig.  Die  Säurewirkung  allein  erklärt  alle  Er- 
scheinungen  genügend. 

Was  von  der  stinkenden  Fäulnis  gilt,  scheint,  wie  wir  S.  511  und 
539  sahen,  auch  von  der  Bildung  des  Indols  und  anderer  Spaltungspro- 
dukte des  Eiweißes  in  Reinkulturen  des  B.  proteus  imd  coli  zu  gelten. 
Bei  Gregenwart  von  gärfähigem  Zucker  fällt  die  Indolreaktion  aus,  doch 
muß  nach  Tissier  und  Martelly  in  einer  Iprozentigen  Peplonlösung 
mindestens  0,2%  Zucker  vorhanden  sein,  wenn  das  Indol  dauernd  fehlen 
soll.    Das  entspricht  auch  den  eigenen  Erfahrungen  des  Verfassers^). 

Wenn  die  Fäulniserreger  durch  die  Kohlenhydrate  und  Säuren 
in  ihrer  Tätigkeit  beeinträchtigt  werden,  so  werden  die  Verwesungs- 
erreger, wie  Schimmelpilze,  Hefe  usw.,  im  Gegenteil  gefördert.  So  er- 
klärt sich  die  oft  hervorgehobene  Tatsache,  sehr  einfach,  daß  a  n  i  m  a  - 
lisohe  Stoffe  viel  mehr  zur  Fäulnis,  vegetabilische 
zur  Verwesung  neigen. 

Von  dem  Einfluß  des  Harnstoffs  auf  die  Fäulnis  haben  wir 
schon  S.  576  gesprochen.  Dadurch,  daß  viele  Mikroorganismen  ihn  in 
kohlensaures  Ammon  verwandeln,  wird  die  alkaUsche  Reaktion  des 
Nährbodens  erhöht,  die  Zersetzimg  unter  Umständen  gehemmt. 

Die  Anwesenheit  von  salpetersauren  Salzen  in  Faul- 
flüssigkeiten hat  keine  nachweisbare  Wirkung  auf  den  Faulprozeß 
selbst,  wohl  aber  auf  die  Zusanmiensetzung  der  Gase,  die  dabei  ent- 
wickelt werden.  Die  Salpetersäure  verfällt  nämlich  durch  die  Wirkung 
von  zahlreichen  im  Kot,  Erdboden  usw.  vorkommenden  Bakterien 
einer  Beduktion  zu  salpetriger  Säure  und  schließUch  zu  freiem  Stick- 
stoff (§  198).  Wo  aus  Fäulnisgemischen  dieses  Gas  entwickelt  wird, 
hat  man  daher  auf  Salpetersäure  zu  fahnden,  eine  andere  Entstehungs- 
weise ist  wohl  nur  ausnahmsweise  anzunehmen  (S.  525). 

Auf  der  anderen  Seite  können  bei  reichlichem  Sauerstoffzutritt 
aus  dem  Ammoniak  des  verwandelten  Eiweißes  Nitrite  und  Nitrate  ge- 
bildet werden.  Die  Nitrifikation  verlangt  im  allgemeinen  aber  eine 
an  organischen  Substanzeu  so  arme  Nährlösung,  daß  sie  erst  beginnen 
kann,  wenn  die  verwesenden  Stoffe  eine  solche  Verdünnung  erfahren 


1)  Kruse,  Zeitschr.  f.  Hyg.  17.  48,  1894.    Vgl.  auch  das  beim  Coli- 
bazillus  (§  174)  Gesagte. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  579 

haben,  daß  der  Verwesungsprozeß  praktisch  zum  Stillstand  gekommen 
ist.  Im  Erdboden  mid  in  Filtern  scheinen  allerdings  die  Dinge  für  die 
Xitrifikation  günstiger  zu  liegen  als  in  miseren  Nährlösmigen  (§  196). 

Die  Dichtigkeit  der  Nährstoffe  ist  auch  sonst  für  den 
Verlauf  der  Zersetzimg  von  Bedeutimg.  Nach  H  i  1 1  e  r  ^)  bewirkt 
z.  B.  die  einfache  Verdünnimg  im  scheinbar  ganz  ausgefaulten  Fleisch- 
aufguß mit  Wasser  eine  Wiederholung  der  Fäulnis.  Sie  erklärt  sich 
wohl  dadurch,  daß  in  der  verdümiten  Flüssigkeit  die  alten  Mikro- 
organismen teilweise  wieder  bessere  Existenzbedingungen  vorfinden, 
weil  sie  nicht  mehr  durch  ihre  schädlichen  Stoffwechsel  gehemmt 
werden,  teils  neue  Formen  sich  entwickeln,  die  vorher  nicht  aufkonamen 
konnten.  Die  Eindickung  des  Nährbodens  wird  unter  Umständen 
eine  ähnliche  Wirkung  haben.  Es  findet  dabei  einerseits  eine  Ver- 
dunstung schädlicher  Stoffe  (Ammoniak,  Indol)  statt,  andererseits 
wird  der  Wassergehalt  und  dadurch  die  Nährfähigkeit  verändert.  Geht 
er  unter  eine  gewisse  Grenze,  so  ist  das  Wachstum  von  Bakterien 
nicht  mehr  möglich,  und  Schinunelpilze  lösen  jene  ab.  Wird  daher 
künstlich  eine  Substanz  so  weit  vom  Wasser  befreit,  so  wird  sie  dadurch 
gegen  die  Fäulnis  durch  Bakterien  geschützt  und  unterliegt  nur  noch 
der  Gefahr  des  Verschimmeins.  Entfemimg  des  Wassers  bis  auf  10 
bis  15%  oder  oberflächliche  Austrocknung  beseitigt  auch  diese  (§  40). 

Viele  natürliche  Flüssigkeiten,  wie  Blut,  Serum  und  Eiter,  sind 
^hon  so  konzentriert,  daß  sie  nur  langsam  sich  zersetzen.  Werden 
sie  mit  Wasser  verdünnt,  so  geraten  sie  viel  schneller  in  Fäulnis.  Wie 
der  hohe  Eiweißgehalt  für  tierische,  so  wirkt  der  hohe  Zuckergehalt 
für  pflanzliche  Stoffe  als  Schutz  gegen  Fäulnis.  Künstlich  vermehrt 
man  den  letzteren  bei  der  Konservierung  (dem  sog.  Einmachen)  der 
Früchte.  Durch  Einsalzen  (Pökeln)  erreicht  man  dasselbe  Ziel  beim 
Fleisch  (a.  a.  O.). 

§  187.  Einfluß  physikalischer  Bedingungen  auf  Fäulnis 
und  Verwesung.  In  erster  Linie  kommt  von  den  physikalischen  Ein- 
flüssen die  Wärme  in  Betracht.  Wie  für  die  meisten  biologischen 
Erscheinungen  bilden  Temperaturen  von  5 — 40®  C  die  Grenzen,  inner- 
halb deren  die  Fäulnis  regelmäßig  verläuft.  Annäherungen  an  den 
Gefrierpimkt  heben  die  Zersetzung  völlig  auf,  ebenso  Erhitzung  auf 
CO^  und  mehr  (§  42). 

Der  Einfluß  des  Lichtes  ist  insofern  unverkennbar,  als  er 
die  Wucherung  chlorophyllhaltiger  Pflanzen  begünstigt  und  die  der 
nicht  chlorophyllhaltigen  bei  einer  gewissen  Intensität  hemmt  (§  45). 
Mittelbar  werden  dadurch  natürlich  auch  die  chemischen  Vorgänge 


I)  Lehre  von  der  Fäulnis  1879,  S.  455. 

87* 


580  Kap.  IX,   §  187. 

beeinflußt.     Unter  natürliclien  Bedingungen,  wo  höchstens  eine  perio- 
dische oder  sehr  ungleiche  Belichtung  zur  Geltung  kommt,  wird  man 
die   Bedeutung   des  Lichtes  nicht  überschätzen  dürfen.     Die   „bak- 
teriologische   Selbstreinigung"     des    Wassers     ist    daher    nur    zum 
kleinsten  Teil  auf  die  BeUchtung  zurückzuführen,  wenn  letztere  auch 
ebenso  wie   bei   der   chemischen    Selbstreinigung    eine   gewisse  Rolle 
spielt^).    Das  Licht  erzeugt  ja  antiseptische  Stoffe  wie  H2O2  (S.  154). 
Einen   großen  Einfluß  auf  die  Verhütung  der  Fäulnis  hat  man 
auch  der  Bewegung  zuschreiben  wollen.     Ruhende  Flüssigkeiten 
sollen  schneller  faulen  als  strömende,  Fleisch  in  ruhender  Luft  schneller 
als  in  bewegter.    Die  Tatsachen  sind  nicht  zu  bezweifeln,  die  fäulnis- 
hemmende Wirkung  des  Sauerstoffe,  also  die  Lüftung,  hat  aber 
jedenfalls  einen  wesentlichen  Anteil  an  dem  Erfolg  (§  184),  daneben 
kommt  für  das   zweite  Beispiel  Abkühlung  und  Eintrock- 
nung der  Oberfläche  durch  Luftströme  als  ein  der  Zersetzung 
hinderlicher  Vorgang,  für  das  erste  Beispiel  Absetzen   imd  A n - 
h  ä  u  f  u  n  g  der  Sinkstoffe  als  ein  ebenso  förderlicher  in  Betracht. 
Li  unseren  Wasserläufen  läßt  sich  der  üble  Einfluß  der  „Stagnation" 
oft  beobachten.    Da,  wo  die  Strömung  eine  kräftige  ist,  hat  die  Einlei- 
timg von  Schmutzwässem  anscheinend  —  d.  h.  für  den  Geruchssinn  — 
keine  schädlichen  Folgen,  wo  sie  sich  verlangsamt,  setzen  sich  dagegen 
die  in  den   Schmutzwässern  schwebenden  fäulnisfähigen  Körper  als 
Schlamm  zu  Boden,   und  der   Schlanmi  gerät  dann  namentlich  im 
Sommer  in  Fäulnis^).    Eigentümlicher  Art  scheint  zunächst  die  „Fäul- 
nis", die  ein  verhältnismäßig  reines  Wasser,  z.  B.  in  Zisternen,  Be- 
hältern, Talsperren  durchmacht,  wenn  es  in  Ruhe  verharrt.     Wahr- 
scheinlich hängt  aber  auch  sie  zum  Teil  von  der  Anwesenheit  fäubis- 
fähiger  Bodensätze  in  solchen  Wässern  ab,  die  unter  günstigen  Be- 
dingungen, z.  B.  beim  Steigen  der  Temperatur,  in  wirkliche  Fäulnis 
übergehen.     Aber  auch  die  löslichen  Bestandteile  des  Wassers  und 
namentlich  des  Untergrundes  sind  dabei  von  Bedeutimg.     So  tritt 
die  „Wasserverderbnis  des  Hochsommers"  gewöhnlich  nur  in  solchen 
Talsperren  ein,   die  so   flach  sind,   daß  sie  Pflanzen  wuchs  ge- 
statten, oder  deren  Boden  nicht  genügend  von  organischen  Resten 
gereinigt  ist,  oder  die  schmutzige  (nitrathaltige?)  Zuflüsse  empfangen. 
Sie  macht  das  Wasser  gelb  bis  braun,  übelriechend  (nach  Schwefel- 
wasserstoff)   imd    eisenhaltig.      Eine    ausreichende    mikrobiologische 
Untersuchimg  der  Veränderung  fehlt.     Auffallend  ist  aber  der  ver- 


1)  Vgl.  Kruse,  Zeitschr.  Hyg.  17.   30,   1894  u.  59.   60—62,  1908; 
Zentr.  allgem.  Gesundheitspflege  1899.  37. 

2)  Vgl.  darüber  besonders  die  letztgenannte  Arbeit. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  581 

hältnismäßig  geringe  Gehalt  an  züchtbaren  Bakterien^).  Vielleicht 
spielen  nicht  die  gewöhnlichen  (s.  u.),  sondern  eigentümliche  sulfat- 
reduzierende Mikroben,  die  in  der  Tiefe  der  Wasserbecken  unter  Um- 
8täiiden  zur  Wucherung  gelangen,  dabei  die  Hauptrolle  (§  212). 

Auf  der  anderen  Seite  ist  nämlich  die  R  u  h  e  für  die  bakterio- 
logische Selbstreinigung  des  Wassers  von  der  aller- 
größten Bedeutung^).  Sie  bewirkt  z.  B.,  daß  das  Wasser  der  Tal- 
sperren sich  von  züchtbaren  Keimen,  die  es  beim  Eintritt  in  dieselben 
reichlich  enthält,  im  Laufe  von  wenigen  Wochen  fast  völlig  befreit, 
während  die  Keimzahl  in  einem  durch  Kanalwasser  verunreinigten, 
schnell  fließenden  Strome  sich  Hunderte  von  Kilometern  imterhalb 
noch  ziemlich  unverändert  erhält.  Der  Grund  dafür  liegt  wohl  im 
wesentlichen  darin,  daß  der  Nahrungsmangel  im  Wasser  im 
ersten  Falle  die  Keime  abtötet,  weil  er  viel  länger  einwirkt,  als  im 
zweiten.  Daher  fehlt  die  Selbstreinigung  auch  in  eigentlichen  Schmutz- 
wässern, die  genug  Nahrung  für  alle  möglichen  Kleinwesen  enthalten. 
Bemerkwert  ist,  daß  die  Keimarmut,  also  die  bakteriologische  Selbst- 
reinigung namentlich  in  den  oberen  Schichten  eines  Staubeckens  mit 
der  obenerwähnten  chemischen  Wasserverderbnis,  die  in  den  unteren 
Schichten  am  stärksten  ausgesprochen  ist,  Hand  in  Hand  gehen  kann. 
Gerade  das  gibt  uns  ein  Recht,  die  letztere  als  einen  Vorgang  be- 
sonderer Art  zu  betrachten. 

Sehr  wichtig  ist,  wie  wir  schon  früher  bemerkten  (S.  571),  der  Ein- 
fluß des  natürlichen  Bodens  oder  künstlicher  Filter  auf  die  Zer- 
setzungsvorgänge.  Bekanntlich  wird  durch  Yermengung  mit  Erde, 
namentlich  mit  humushaltiger,  stinkende  Fäulnis  schnell  zum  Still- 
stand gebracht.  Der  üble  Greruch  verschwindet  sogar  augenblicklich. 
Diese  Wirkung  hat  man  von  jeher  durch  Flächenanziehung, 
wie  sie  allen  porösen  Körpern  eigen  ist,  die  sog.  Adsorption  oder  Ab- 
sorption der  Gase  und  gelösten  Stoffe  erklärt.  Doch  ist  damit  die 
Wirkung  noch  nicht  abgeschlossen.  Die  absorbierten  Stoffe  werden 
zersetzt,  und  zwar,  wie  es  bei  der  durchlässigen  Natur  der  Unterlage 
nicht  anders  möglich  ist,  in  erster  Linie  unter  Beteiligung  des  Luft- 
»auerstoffa,  also  durch  Oxydation,  oder  wie  man  auch,  dem  Sprach- 
gebrauch folgend,  sagen  kann,  durch  Verwesung. 

Die  poröse  Beschaffenheit  des  Erdbodens  ist  augenscheinlich  nicht 
Woß  von  Wichtigkeit,  weil  sie  die  Absorption  und  Oxydation  der  orga- 


1)  Vgl.    Kruse,   Zentrbl.    allgem.    Gesundheitspfl.    1901.    145  vaid 
Zeitschr.  Hyg.   59,  56,   1908. 

2)  S.  meine  eben  angeführten  Arbeiten.    Die  Bedeutung  der  Pflanzen 
^d  Protozoen  für  die  Selbstreinigung  wird  u.  E.  überschätzt  (vgl.  S.  573). 


582  Kap.  IX,   §  187  u.  188. 

nisclien  Substanzen  durch  Flächenwirkung  und  Luftgehalt  ermöglicht, 
sondern  sie  wirkt  auch  dadurch,  daß  sie  die  zu  den  Zersetzungen  nötige 
Feuchtigkeit  einerseits  festhält,  andererseits  in  gewissen  Grenzen  die  Zir- 
kulation der  Flüssigkeiten  und  damit  eine  Verteilung  der  Nährstoffe, 
Veränderungen  der  Konzentration  imd  Reaktion  und  durch  die  ver- 
schiedene Fällung  mit  Wasser  sogar  einen  periodischen  Wechsel  zwischen 
Aerobiose  und  Anaerobiose  herbeiführt.  Es  ergibt  sich  daraus  eine 
MannigfaltigkeitvonLebensbedingungen  im  Erd- 
b  o  d  e  n ,  welche  wesentlich  die  Vollständigkeit  der  Zersetzung,  die 
Erreichung  des  Endziels,  die  vollständige  Mineralisie- 
rung  der   organisch en   Substanz   bewirkt. 

Nebenbei  bemerkt  sei,  daß  Oberflächenwirkungen  auch 
von  wesentlicher  Bedeutung  sind  für  die  Leistungen  der  sog.  Bakterien- 
filter. Wahrscheinlich  ist  das  schon  für  die  sehr  feinporigen  Kiesel- 
gur-, Porzellanfilter  u.  dgl.,  ganz  sicher  aber  für  die  gewöhnlichen 
zur  Wasserfiltration  benutzten  Sandfilter,  deren  Poren  viel  zu  groß 
sind,  um  Keime  an  sich  zurückzuhalten,  und  die  trotzdem,  besonders 
nach  ihrer  Verschleimung  durch  längere  Benutzmig,  aber  auch  schon 
ohne  diese  dazu  fähig  sind.  Die  Verschleimung  bewirkt  übrigens,  daß 
selbst  große  Wasserleitungsröhren  die  Keimzahl  des  sie  durchfließenden 
Wassers  herabsetzen^). 

§  188.  Fäulnis  und  Krankheit.  Die  Fäulnis  verändert  nicht 
bloß  die  tote  organische  Substanz,  sondern  sie  hat  auch  mannigfache 
Beziehungen  zur  lebenden  Welt,  sie  verursacht  unter  Umständen 
Krankheit  und  Tod.  Die  Uberzeugimg,  daß  dem  so  sei,  ist  eine  sehr 
alte,  ihre  Geschichte  zu  verfolgen  wird  Angabe  der  „Lifektions- 
lehre"  sein.  Wir  wollen  nur  in  Kürze  die  Beziehungen  feststellen, 
die  tatsächlich  zwischen  Fäulnis  und  Krankheit  bestehen. 

Können  Organismen  bei  lebendigem  Leibe  verfaulen?  Für  be- 
stimmte Bedingungen  kann  man  diese  Frage  bejahen.  Man  kann 
zunächst  an  lebenden  Pflanzen  oder  Pflanzenteilen  (Knollen, 
Früchten)  sogar  durch  Einimpfung  gewöhnlicher  „saprophytischer" 
Bakterien  (Bac.  fluorescens  hquefaciens,  mesentericus,  coli)  Zerfallspro- 
zesse erzeugen,  die  der  Fäulnis  abgestorbener  Substanzen  sehr  ähnlich 
sind  (§  356).  Dazu  sind  aber  gewöhnlich  große  Mengen  der  Fäulnis- 
erreger nötig,  femer  müssen  die  Pflanzen  verwundet  werden  und  auch 
durch  andere  schädigende  Einflüsse  in  ihrer  Widerstandskraft  ge- 
schwächt sein.  Doch  konmien  auch  in  der  Natur  derartige  Krank- 
heiten vor.  Auch  bei  niederen  Tieren  gelingen  ähnliche  In- 
fektionen mit  Fäulniserregem  manchmal  ziemlich  leicht.     So  konnte 


1)  Vgl.   Kruse,   Zeitschr.   Hyg.   59.   64  und   70 ff.,    1908. 


Wandlungen  der  EiweiDkörper.  583 

F  i  1  a  t  o  f  f  ^)  Küchenschaben  durch  ^  Einverleibung  aller  möglichen 
Sapiophyten  töten.  Eine  natürliche  Ejrankheit,  die  Faulbrut  der 
Bienen,  soll  nach  Lambotte^)  durch  den  gewöhnlichen  Kartoffel- 
bazUlus  (Bac.  mesenteiicus)  verursacht  werden.  Bei  den  Warm- 
blütern beobachtet  man  echte  und  stinkende  Fäulnis  an  ganzen  Gliedern 
und  Organen  (sog.  Gangrän)  nicht  selten.  Doch  ist  die  gewöhnliche 
Vorbedingung  dafür,  daß  die  betreffenden  Körperteile  schon  vorher 
(z.  6.  durch  Verstopfung  der  Blutgefäße)  abgestorben  oder  zum  min- 
desten  sehr  in  ihrer  Lebensfähigkeit  geschwächt  und  durch  mechanische 
Einflüsse  geschadigt  sind,  wie  bei  dem  Dekubitus  (dem  „Durchliegen'' 
oder  „Druckbrand''),  der  stark  in  ihren  Kräften  herabgekommene 
Kranke  heimsucht.  Das  Zusammenwirken  einer  großen  Zahl  von 
Saprophyten  befördert  derartige  Prozesse,  daher  sie  denn  auch  bei 
unreinlich  gehaltenen  Ejranken  viel  leichter  eintreten.  Die  große  Menge 
von  Keimen  ist  es  auch,  die  von  verunreinigten  Wimden  aus  gelegentlich 
einen  fortschreitenden  Fäulnisprozeß,  den  sog.  Gasbrand,  erzeugt.  Doch 
steht  der  Erreger,  der  Bac.  emphysematicus  (oder  perfringens),  anderen 
anaeroben  spezifischen  Infektionserregern,  dem  Bazillus  des  Rausch- 
brands, malignen  Odems  und  Tetanus  schon  näher  als  den  gewöhn- 
lichen Fäulnisanaeroben  (vgl.  §  113  u.  168).  Nicht  zufällig  ist  es,  daß 
sich  zu  eigentlichen  Infektionsprozessen  häufig  genug  sekundäre  Fäulnis- 
erreger^)  gesellen  und  dadurch  putride  Eiterungen  verursachen:  offen- 
bar wird  das  lebende  Gewebe  erst  durch  die  Infektion  für  die  Wirkung 
der  Saprophyten  vorbereitet.  Soviel  ist  sicher,  daß  die  lebenden 
undgesunden  GewebederhöherenTieredenFäul- 
niserregern  im  allgemeinen  einen  erfolgreichen 
Widerstand  entgegensetzen,  und  daß  diejenigen 
Mikroorganismen,  denen  gegenüber  dieser  Wi- 
derstand versagt  — die  Infektionserreger  — nicht 
eine  Auflösung  der  organischen  Substanz  er- 
zeugen, die  mit  der  Fäulnis  auf  eine  Stufe  zu  stellen 
ist,  sondern  nur  durch  besondere  Stoffe  Verände- 
rungen der  Gewebe  und  so  unter  eigener  Vermeh- 
rung Krankheiten  und   Tod   ihres   Wirtes   verur- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   11.  2025,   1904. 

2)  Annal.  Pasteur  1902.  Nach  Maaßen,  Art.  biol.  Abteil.  Ge- 
Bvindheitaamt  6,  1908,  handelt  es  sich  allerdings  um  eine  besondere  Bakterie, 
den  Bac.  Brandenburgensis.  Andere  Erreger  sind  der  Bac.  alvei  und 
Streptococcus  apis  (auch  von  B  u  r  r  i  gefunden). 

3)  Dazu  gehören  namentlich  die  Anaerobier  von  V  e  i  1 1  o  n  und 
Zuber  (Arch.  m^.  exp^r.  1898)  und  Rist  (Zentr.  Bakt.  30.  7).  Nur 
teilweise  stimmen  sie  mit  den  bekannten  Fäulniserregem  überein. 


584  Kap.  IX,  §  188. 

Bachen^).  Bei  niederen  Tieren  und  namentlich  bei  Pflanzen  ist 
diese  Trennung  zwischen  Infektions-  und  Fäulniserregem  lange  nicht 
so  scharf  ausgesprochen. 

Der  Unterschied  zwischen  den  Erscheinungen  der  Fäulnis  und 
Infektion  war  vor  30 — 40  Jahren  noch  nicht  so  sicher  erkannt.  Man 
glaubte  sogar  sehr  allgemein,  die  Erreger  beider  Prozesse  miteinander 
identifizieren  oder  wenigstens  in  engste  genetische  Beziehung  setzen 
zu  müssen,  ob  man  nufdie  Existenz  4amscher  Erreger  oder  rein 
chemischer  Ursachen  (Miasmen,  Kontaktstoffe)  annahm.  Der  Name 
Sepsis,  Septizämie,  „Faulfieber**,  ist  bezeichnend  genug.  DieEntwicklimg 
der  Bakteriologie  hat  diesen  Irrtum  aufgeklärt.  Wir  wissen  allerdings, 
daß  echte  Infektionserreger,  z.  B.  die  Bazillen  der  Mäuseseptizämie, 
Kaninchenseptizämie  und  auch  pathogene  Kokken  (R.  Koch)  in 
faulendem  Material  vorkommen  können.  Doch  sind  das  mehr  zu- 
fällige Befunde  oder  Ausnahmen.  Das  Feld  ihres  Vorkommens  ist  im 
allgemeinen  ein  durchaus  verschiedenes.  Man  kann  sogar  den  Anta- 
gonismus zwischen  Fäulnis  und  Infektion,  für  den 
besonders  N  ä  g  e  1  i  ^)  stritt,  nicht  leugnen.  In  faulenden 
Stoffen  gehen  Infektionserreger  gewöhnlich 
schnell  zugrunde,  verlieren  z.  B.  in  verwesenden  Kadavern 
bald  ihre  Infektionsfähigkeit^).  Dadurch  wird  die  Abstanmiungs- 
frage  natürlich  nicht  berührt;  es  ist  vielmehr  wahrscheinUch,  daß  die 
Infektionserreger  sich  stammesgeschichtlich  aus  eiweißzersetzenden 
Arten  entwickelt  haben  (§  356  ff.  u.  359),  die  Anpassung  an  eiweißhaltige 
Nährböden  ist  ja  selbstverständliche  Voraussetzung  für  ihre  Fähigkeit, 
im  lebenden  Körper  zu  wachsen.  Bei  den  pathogenen  Anaeroben 
liegt  die  Verwandtschaft  mit  den  nicht  pathogenen  übrigens  auf  der 
Hand. 

Abgesehen  von  den  oben  beschriebenen  Fällen,  in  denen  die  Sapro- 
phyten  im  lebenden  Organismus  wachsen  und  dabei  wie  auf  totem 
Nährboden  Fäulnis  erregen,  könnten  sie  noch,  ohne  im  Körper  zu 
wachsen,  durch  von  ihnen  gebildeten  Stoffe  schädlich  wirken.  Mög- 
lich ist  das  allerdings,  wie  die  zahlreichen  im  vorigen  Jahrhundert 
ausgeführten  Einspritzimgen  von  Faulflüssigkeiten  in  das  Blut  oder 
unter  die  Haut  von  Tieren  beweisen*).    Häufig  genug  kann  man  frei- 


1)  Vgl.    §  61  und  Kap.  XVT  u.  XVII. 

2)  Die  niederen  Pilze  in  ihren  Beziehungen  zu  den  Infektionskrank- 
heiten  und   der    Gesundheitspflege.     München    1877. 

3)  Vgl.  z.  B.  bei  E.  Klein,  Zentr.  Bakt.  25,  L  ö  s  e  n  e  r ,  Arb. 
Gesundheitsamt   12,    1899. 

4)  S.  ausführliche  Besprechung  bei  H  i  1 1  e  r  ,  Lehre  von  der  Fäulnis, 
1879  und   §  259. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  5S5 

lieh  bei  den  Versuchen  im  Zweifel  sein,  ob  die  schädliche  Wirkung 
von  lebenden  Mikroorganismen  oder  von  gelösten  Substanzen  ver- 
ursacht wurde.  In  vielen  Fällen  waren  es  aber  sicher  letztere,  die  Gifte 
der  Fäulnisbakterien.  Über  die  chemische  Beschaffenheit  dieser 
Stoffe,  auf  die  wir  in  Kap.  XVI  genauer  eingehen  werden,  weiß  man 
bisher  trotz  vieler  darauf  gerichteter  Untersuchimgen  recht  wenig. 
Die  von  B  r  i  e  g  e  r  rein  dargestellten  Fäuhüsalkaloide  oder  Ptomaine 
kommen  wohl  für  die  Giftwirkung  nur  nebenher  in  Betracht  (§259). 
Alles  deutet  vielmehr  darauf  hin,  daß  die  Gifte  verwickelter  gebaute 
Stoffe  sind.  Haben  nun  aber  die  Einspritzungsversuche  überhaupt  eine 
praktische  Bedeutung,  beweisen  sie,  daß  die  chemischen  Produkte  der 
Fäulnis  unter  den  natürlichen  Resorptionsbedingimgen  für  Mensch 
und  Tier  schädlich  sind?  Nur  in  beschränktem  Maße  kann  das  zu- 
gegeben werden,  nämlich  für  die  Fälle  von  Wundfäulnis,  Gangrän  usw. 
Man  kann  da  vielleicht  von  „putrider  Intoxikation''  sprechen,  obwohl 
die  Wirkung  der  Fäulnisprodukte  imd  der  gleichzeitig  vorhandenen 
echten  Infektionserreger  schwer  zu  trennen  ist,  und  die  letztere  ge- 
wöhnhch  überwiegt. 

öfter  hat  man  es  mit  der  Aufnahme  von  Fäulnis- 
stoffen durchdenVerdauungskanalzu  tun,  der  freilich 
allem  Anschein  nach  gegen  schädliche  Giftwirkungen  von  dieser  Art 
ziemlich  gefeit  ist.  Auf  die  Aasvögel  imd  Raubtiere,  die  von  faulenden 
Kadavern  sich  nähren,  wird  man  allerdings  zum  Beweis  dieser  Lehre 
kaum  hinweisen  können,  da  sie  sich  möglicherweise  ihre  Widerstands- 
fähigkeit gegen  die  Fäulnisgifte  erst  erworben  haben.  Andererseits  darf 
man  auch  nicht  die  bekannte  Tatsache,  daß  Fische  durch  die  Einleitimg 
von  Schmutzwasser  in  Flüsse  und  Seen  geschädigt  werden,  als  Beweis  für 
eine  giftige  Wirkung  der  Faulstoffe  ansehen,  denn  wenn  man  von  sehr 
hohen  Konzentrationen  der  letzteren  absieht,  ist  der  Sauerstoff- 
m  a  n  g  e  1  in  solchen  Grewässem  die  eigentliche  Ursache  des  Fischster- 
hens^).  Die  Verhältnisse  bei  Fischen  und  Säugetieren  sind  ferner  schon 
deswegen  nicht  vergleichbar,  weil  das  venmreinigte  Wasser  wohl  auf 
die  Kiemen  der  ersteren,  nicht  auf  die  Lungen  der  letzteren  wirkt. 
Beweiskräftig  genug  sind  aber  schon  die  Erfahrungen  des  täglichen 
Lebens:  Nahrungsmittel,  die  in  dem  ersten  Stadium  fauliger  Zersetzung 
begriffen  sind,  werden  häufig  und  ohne  Schaden  aiifgenommen.  Gerade 
diese  erste  Fäulnisperiode  soll  aber  die  schlimmsten  Gifte  erzeugen 
(H  i  1 1  e  r).  Auch  das  Vieh  genießt  häufig  verdünnte  Jauche  an  Stelle 
von  Trinkwasser,   ohne  Nachteil  davon  zu  haben.     Außerdem  sind 


1)  W  e  i  g  e  1 1 ,  Arch.  f.  Hyg.  3,  1885.   Vgl.  König,  Verunreinigung 
der  Gewässer,  2.  Aufl.  1899,  2.  31. 


586  Kap.  IX,   §  188. 

aber  Fütterungs  versuche  mit  allerhand  faulendem  Material 
angestellt  worden.  So  trank  Emmerich^)  große  Mengen  stark 
verunreinigten  Bachwassers  trotz  anfänglich  vorhandenen  Magen- 
katarrhs ohne  Beschwerden.  T  i  s  s  i  e  r  und  Gasching^)  ver- 
fütterten faules  Fleisch  und  stark  zersetzte  Milch  an  junge  Tiere  und 
erwachsene  Menschen  ohne  Erfolg.  Weite ^),  Spieckermann 
und  Bremer*),  König  und  Spieckermann^)  sahen  ebenso- 
wenig Nachteil,  wenn  sie  verschimmeltes  Brot  und  verschimmeltes 
oder  verfaultes  Baumwollensaatmehl  Menschen  oder  Tieren  zur  Nahrung 
gaben.  Auch  der  Hausschwamm  ist  ohne  Einwirkung  auf  die  Ge- 
sundheit der  Menschen  (H  artig,  Gottschlich  *)). 

Nun  wird  man  ja  freilich  den  Wert  solcher  Versuche  nicht  über- 
schätzen dürfen.  Es  wird  wohl  empfänglichere  Individuen  besonders 
in  zartem  Alter  geben,  denen  derartige  verdorbene  Nahrung  nicht 
bekommt.  Das  Ekelgefühl,  das  dadurch  hervorgerufen  wird,  kann  allein 
schon  krankmachen.  Immerhin  kann  man  nicht  leugnen,  daßdemDarme 
eine    starke   Widerstandsfähigkeit    gegenüber   Faulstoffen    zukommt. 

Dieser  Satz  wird  auch  dadurch  bestätigt,  daß  ziemlich  selten 
Krankheitserscheinimgen  nach  dem  Genuß  ursprünglich  gesunden, 
aber  später  verdorbenen  Fleisches  beobachtet  wurden.  VanErmen- 
g  e  m ')  fand  unter  mehr  als  100  Epidemien  an  Nahrungsmittelver- 
giftung mit  mehr  als  6000  Erkrankten  nur  9,  in  denen  der  6e- 
simdheitszustand  der  Schlachttiere  unbekannt  war,  dagegen  103,  wo 
sie  nachgewiesenermaßen  an  Septizämie,  Pyämie,  Enteritis  ubw.  krank 
gewesen  waren.  „Fäulnis"  des  Fleisches  wurde  in  sicherer  Weise  nur 
5  mal  angegeben.  Die  beteiligten  Bakterien  sind  wahrscheinlich  ge- 
wisse Abarten  des  Bac.  proteus,  coli  usw.  Über  die  Gifte  vgl.  §  300 
u.  288. 

Mit  den  gewöhnlichen  Fäulnisgiften  nichts  zu  tun  hat  das  Käse-, 
Fisch-,  Wurst-  und  Fleischgift,  das  vom  Darmkanal  aus 
sogar  epidemische  Krankheiten  verursacht.  Soweit  die  betreffenden 
Gifte  und  ihre  Erzeuger  überhaupt  bekannt  sind,  sind  sie  besonderer 
Art  (vgl.  Bac.  botulinus,  §  282,  paratyphi,  enteritidis  §  287)  und  die 


1)  Zeit  sehr.  f.  Biol.   14,   1878. 

2)  Annal.  Pasteur  1903.  561. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  25,  1896. 

4)  Landwirtsch.  JcJirb.   1902. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  540. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  20. 

7)  Les  intoxications  alimentaires.  Bull.  aead.  ra^d.  de  Belgique 
1895,  vgl.  auch  van  Ermengem  in  Kolle-Wassermanns 
Handb.  path.  Micr.  2.  665,  1903. 


Wandlungen  der  Eiweißkörper.  587 

Erkrankungen  teilweise  den  echten  Infektionen  zuzuweisen,  weil  die 
Keime  sicli  im  erkrankten  Körper  vennehren. 

Grelegenlilich  kommen  aucb.  unter  den  weit  verbreiteten  Mit- 
gliedern der  Heubazillengruppe  giftige  Keime  vor,  die  na- 
mentlicli  Säuglingen  in  der  Milch  gefäbrlich  werden  können  (§  301). 

Ebenso  führen  manche  Forscher  die  sog.  Pellagra  auf  Gifte 
von  Schimmelpilzen  zurück  (§  307).  Eigentlich  faule  Zersetzmigen  wer- 
den aber  diirch  fast  alle  diese  giftigen  Keime  nicht  hervorgerufen. 


Kapitel    X. 

Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper. 

§  189.   Einleitung.    Spaltung  des  Lezithins  und  Cholins. 

Im  folgenden  sollen  die  Wandlungen,  welche  die  nicht  eiweißartigen  und 
nicht  durch  Fäulnis  aus  dem  Eiweiß  zu  erhaltenden  stickstoffhaltigen 
Substanzen,  (z.  B.  Aminosäuren,  die  wir  ja  in  den  vorstehenden  Ab- 
schnitten behandelt  haben),  durch  Mikroorganismen  erfahren,  be- 
sprochen werden^).  Die  einzelnen  Umsetzungen,  die  hier  in  Frage 
kommen,  sind  sehr  imgleich  bekannt.  So  fehlen  z.  B.  Untersuchungen 
über  die  Alkaloide,  die  im  Pflanzenreich  eine  so  große  Rolle  spielen 
(vgl.  S.  462).  Gut  studiert  sind  dagegen  die  Veränderungen  der 
Hippursäure,  Harnsäure,  des  Harnstoffs,  der  Salpetersäure,  des  Am- 
moniaks imd  des  Stickstoffs.  Sie  sind  zugleich  Beispiele  für  hydro- 
lytische Spaltungen,  Gärungen,  Reduktionen,  Oxydationen  und 
Sjoithesen. 

Die  im  Tier-  und  Pflanzenreich  weit  verbreiteten  Lezithine 
werden  nach  R  u  a  t  a  und  C  a  n  e  v  a  2)  durch  verschiedene  Bakterien 
(Bac.  mesentericus,  prodigiosus,  Spir.  Finkler-Prior)  unter  Wasser- 
aufnahme in  Cholin,  Glyzerinphosphorsäure  imd  Fettsäuren  gespalten. 
Der  stickstoffhaltige  Bestandteil,  das  Cholin  (Trimethyloxäthyl- 
ammoniumhydroxyd  CgH^gNOg)  zerfällt  dann  durch  die  Fäulnis  (unter 
Luftabschluß)  in  Kohlensäure,  Sumpfgas,  Ammoniak  und  Methyl- 
amin^). Nicht  immer  geht  aber  die  Spaltung  so  weit,  vielmehr  steht 
sie  nach  Briegers  Feststellungen  für  Fäulnisbakterien  und  J e s e - 
rieh  und  Niemanns*)  Studien  an  Reinkulturen  oft  schon  beim 
N  e  u  r  i  n  C5H13NO,  das  durch  Wasserabspaltung  aus  dem  Cholin 
entsteht,  still.  Die  Bildung  anderer  Basen  aus  dem  ChoUn  durch, 
die  Fäulnis  behandeln  wir  bei  den  giftigen  „Ptomainen"  (§  259). 


1)  Die    stickstoffhaltigen    Glykoside   wurden   schon   im    Kap.    VIII 
erwähnt. 

2)  Annali  d'igiene.     Roma  1901.      Über  Keimtötung  durch  Lezithin 
s.   S.   18. 

3)  Hasebroek,  Zeitschr.  physioL   Chem.    12.    148,    1888. 

4)  Hyg.  Rundschau  1893.  813. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  5S9 

§  190.  Spaltung  der  Gallensäaren  und  des  Taurins.  Durch 
ältere  Untersuchungen  war  wahrscheinlich  gemacht  worden,  daß  freie 
Gallensäuren,  insbesondere  die  Taurocholsäure,  antiseptische  Eigen- 
schaften haben.  Meyerheim ^)  gab  an,  daß  das  für  ihre  Salze 
nicht  oder  wenigstens  nur  ausnahmsweise^)  (gegenüber  Pneumo  - 
kokken,  Tetragenus,  Staphylokokken)  zuträfe.  So  wachsen  z.  E. 
Pyocyaneus-  imd  Proteusbazillen  in  den  reinen  Salzlösimgen  sogar 
ausgezeichnet,  und  Coli-  imd  Typhusbazillen  zwar  nicht  in  1 — 5pro- 
zentigen,  aber  doch  in  lOprozentigen  Lösimgen.  Die  Verwertbarkeit 
der  Gallensalze  zur  Ernährung  ist  dadurch  bewiesen,  imd  die  Wahr- 
scheinlichkeit, daß  sie  dabei  auch  gespalten  werden  können,  gegeben. 
Ob  das  durch  Oxydation  oder  auf  anaerobem  Wege  geschieht,  darüber 
erfahren  wir  von  Meyerheim  nichts.  Immerhin  hat  schon 
Hoppe-Seyler^)  mitgeteilt,  daß  Taurocholsäure  durch  die  Fäulnis 
hydrolytisch  in  Cholsäure  und  T  a  u  r  i  n  imd  dieses,  die  Aminoäthan- 
sulfosäure  C2H7NSO3  weiter  zersetzt  werde.  Dabei  wird  nach  N  a  - 
w  i  a  8  k  y  8  Untersuchungen  mit  Proteus  (S.  250),  sofern  durch  Kreide- 
zusatz für  neutrale  Reaktion  gesorgt  wird,  ziemlich  reichlich  Ammoniak 
abgespalten.     Weitere  Studien  wären  erwünscht. 

Ob  der  Ausfall  des  Cholestearins,  die  „Steinbildung"  in  der  Galle 
eine  Folge  der  Zersetzung  der  Gallensäuren  durch  Bakterien  ist,  bleibt 
zweifelhaft,  weil  auch  durch  Autolyse  oder  Epithelien  die  gleiche 
Wirkung  erzielt  wird*).     Jedenfalls  spricht  das  für  Enzymwirkungen. 

§  191.  Spaltung  der  Säurcamide,  besonders  der  Hippur- 
saure.  Die  Säureamide  sind,  wie  wir  S.  110  u.  116  gesehen,  meist  fast 
ebenso  gute  Nährstoffe  wie  die  Aminosäuren.  Über  ihre  Zersetzungen 
weiß  man  aber  fast  noch  weniger,  als  über  die  der  letzteren  (§  168  ff.).  Zu- 
nächst liegt  es  sehr  nahe,  für  sie  an  die  Möglichkeit  einer  hydrolytischen 
Spaltung  in  Ammoniak  und  Säure  zu  denken.  In  der  Tat  haben 
A  r  n  a  u  d  und  C  h  a  r  r  i  n  (S.  526)  sowie  N  a  w  i  a  s  k  y  (S.  510)  das 
für  das  Asparagin,  das  Amid  der  Aminobemsteinsäure,  gezeigt.  Pyo- 
cyaneus und  Proteus  bewirken  die  Spaltung  schnell  imd  ypllständig. 
Nach  diesen  Forschem  ist  der  Vorgang  ein  enzymatischer,  denn  mit 
den  Chloroform-  oder  Azetonbazillen  erreicht  man  dasselbe  wie  mit 
den  lebenden.      S  h  i  b  a  t  a  ^)    hat    ebenfalls    aus    dem    Basen   des 


1)  Zentr.  Bakt.  44.  434,  1907. 

2)  Über  die  auflösende  Wirkung  der   Galle  und  gallensauren   Salze 
auf  manche  Bakterien  und  Protozoen  vgl.   S.   17  ff. 

3)  Physiol.  Chem.  S.  318. 

4)  E  X  n  e  r  und  Heyrowsky,  Wien.  klin.  Woch.  1908,  7 ;  B  a  c  - 
m  e  i  8 1  e  r  ,  Münch.  med.  Woch.  1908.  5—7. 

5)  Hofmeisters  Beitr.  5,  1004. 


590  Kap.  X,   §  191. 

Aspergillus  niger  ein  Pulver  hergestellt,  das  aus  Azetamid,  Oxamid, 
Biuret  und  Harnstoff  Ammoniak  abspaltete.  Die  Beziehimgen  des 
Enzyms  zu  den  tryptischen  Enzymen  sind  noch  zweifelhaft^).  Die 
weiteren  Spaltungen  werden  natürlich  ähnlich  verlaufen,  wie  die  der  zu- 
gehörigen Säuren,  über  die  Vergärung  der  Asparaginsäure  b7w. 
des  Asparagins  durch  den  Proteus,  Pyocyaneus  usw.  haben  wir 
schon  a.  a.  0.  berichtet. 

Bemerkenswert  sind  die  Assimilationsversuche,  die  Bierema^) 
unter  Zusatz  von  guten  Kohlenstoffquellen  mit  Säureamiden  anstellt«. 
Während  gewöhnlich  weder  Stickstoffverlust  noch  Ammoniakbildung 
eintrat,  sondern  die  Amide  glatt  assimiliert  wurden,  ergab  ein  Bac. 
pumilus  mit  Azetamid  und  Asparagin  einen  erheblichen  Stick- 
Stoffverlust,  den  B  i  e  r  e  m  a  auf  Abspaltung  imd  Verdunstung  des 
an  die  Karboxylgnippe  gebundenen  Ammoniaks  zurückführt. 

Die  Hippursäure  (Benzoylaminoessigsäure)  hat  eine  ähn- 
liche Zusammensetzung  wie  die  Dipeptide  E.  Fischers,  verhält 
sich  aber  zu  dem  Trypsin,  das  jene  durch  Hydrolyse  spaltet,  anscheinend 
verschieden^).  Besonders  wichtig  ist  die  Hippursäure,  weil  sie  bei 
Pflanzenfressern  bekanntlich  ein  wichtiges  Endprodukt  des  Stoff- 
wechsels ist.  Nach  van  Tieghem*)  verschwindet  die  Hippur- 
säure aus  dem  Harn  der  Tiere  oder  künstlichen  Lösungen  von  Hippur- 
säure durch  einen  Kettenkokkus,  den  er  dem  Erreger  der  Harnstoff- 
gärung (§  195)  gleichstellt.  Dabei  tritt  Benzoesäure  auf  nach  der 
Gleichimg 

CeHg .  CO  .  NH  .  CHg .  COgH  +  Bfi  ==  C^HsCOgH  + 
Hippursäure  Benzoesäure 

NH^CHaCOjjHC+CöKal.) 
GlvkokoU. 

Auch  später  wurde  die  Hippursäurezersetzung  gewöhnlich  zusammen 
mit  der  Harnsäure-  und  Harnstoff gärung  studiert.  Burri,Herfeldt 
und  Stu-tzer^)  kamen  dabei  zu  dem  Schluß,  daß  die  in  der  Jauche 
enthaltenen  Bakterien  aus  Harnstoff  am  schnellsten,  aus  Harnsäure  lang- 


1)  Vgl.  Gulewitsch,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  27.  544,  1899;  Her- 
zog ebenda  37.  391,  1902;  Gonnermann,  Pflügers  Arch.  89.  493: 
Lang,   Hofmeisters  Beitr.   5,   1904. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  707  u.  712,  1909. 

3)  N  e  n  c  k  i  und  Blank  (Arch.  exper.  Path.  20)  fanden  eine 
Spaltung,  was   Gulewitsch  (s.   o.)  aber  nicht  bestätigte. 

4)  These  de  la  facult^  des  sciences  de  Paris,  1864  Nr.  256  und  Compt. 
rend.   58.  210,   1864. 

5)  Journ.  f.   Landwirt  seh.    1894. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  591 

samer  und  am  schwierigsten  aus  Hippursäiu^e  Ammoniak  abspalten. 
Die  Art  der  Umsetzung  prüften  sie  nicht  näher,  ebensowenig  wie 
Y  0  8  h  i  m  u  r  a  ^),  der  Bodenproben  aus  verschiedener  Tiefe  in  Hip- 
pursaurelösungen  impfte  und  dabei  fand,  daß  die  Anmioniakbildung 
in  der  Nähe  der  Bodenoberfläche  viel  schneller  vor  sich  geht,  als  in 
der  Tiefe.  Die  ausführUchsten  Untersuchungen  über  Hippursäure- 
zersetzung  verdanken  wir  S  c  h  e  1 1  m  a  n  n  ^).  Er  infizierte  zunächst 
reine  Hippursäure-Mineralsalzlösungen  oder  Menschenham  mit  Jauche 
und  isolierte  aus  den  in  ammoniakalische  Gärung  geratenen  25  Bak- 
terien, die  Hippursäurelösungen  unter  Trübung  und  Ammoniakbildung 
zu  zersetzen  vermochten,  von  denen  aber  nur  vier  daneben  auch  Harn- 
stoff und  Harnsäure  spalteten.  Umgekehrt  fand  Schellmann 
in  einigen  Kölbchen  mit  Mineralsalzlösimgen,  in  denen  Hippursäure 
durch  Harnsäure  ersetzt  war,  und  einigen  anderen  mit  harnstoffhal- 
tiger Feptonlösung  9  Bakterienarten,  die  sämtlich  Harnstoff  und  Ham- 
ßäure,  nur  selten  aber  auch  Hippursäure  zersetzten.  Die  Fähig- 
keit zur  Verwandlung  der  Hippursäure  ist  also 
offenbar  eine  besondere  Eigenschaft  und  hat  mit 
der,  Harnstoff  und  Harnsäure  zu  zersetzen,  nichts 
gemein.  Andererseits  scheint  aber,  wie  fast  vorherzusehen,  und  wie 
Verfasser  aus  weiteren  Versuchen  schließt,  das  Angriffsver- 
mögen für  Hippursäure  mit  dem  für  Glykoll  zu- 
sammenzufallen^). Übrigens  war  die  Wirksamkeit  der  Bak- 
terien eine  ungleich  starke  und  regelmäßig  nur  in  Iprozentiger,  nicht 
immer  in  2 — iprozentiger,  nie  in  öprozentiger  Hippursäurelösung  vor- 
lianden.  Die  5 — 60  Tage  alten  Kidturen  von  fünf  Hippursäure  und 
teilweise  auch  Harnstoff  und  Harnsäure  spaltenden  Arten  in  ipro- 
zentiger Lösimg  wurden  zur  Hälfte  nach  vorsichtigem  Eintrocknen 
auf  Stickstoff-(Ammoniak-)verlust,  zur  anderen  Hälfte  nach  Aus- 
kochen mit  Schwefelsäure  auf  Kohlenstoff-(Kohlensäure-)Verlust  unter- 
sucht. Am  schwächsten  wirkte  ein  Bakterium  mit  einem  Verlust 
von  13,3%  N  und  6,6%  C,  am  stärksten  auf  den  Kohlenstoff  ein  zweites 
mit  53,  8%  N  imd  90,1%  C  und  am  kräftigsten  auf  den  Stickstoff 
ein  drittes  mit  56,9%  N  und  19,6%  C.  Danach  glaubt  Schell- 
mann,  daß  die  Hippursäure  zunächst  in  Benzoesäure  und  GlykokoU 
gespalten,  dann  die  letztere  vornehmlich  zu  Kohlensäure  und  Am- 
moniak verbrannt  und  schließlich  auch  manchmal  die  Benzoesäure  zum 
großen  Teil  oxydiert  wurde.  Die  wichtige  Rolle  des  Sauerstoffs 

1)  Kochs  Jahresber.   1896.  219. 

2)  Göttinger  philos.  Dissert.    1902  (Kochs  Jahresber.). 

3)  Azetylglykokoll     und      Benzoylamidopropionsäure     wurden     von 
einigen  Arten  ähnlich  zersetzt. 


592  Kap.  X,   §  191—193. 

ist  unverkennbar,  denn  unter  Sauerstoffabschluß  kam  es  niemals 
zur  Vergärung  der  Hippursäure.  Ob  nicht  andere  Bakterien  jedoch 
auch  dazu  befähigt  sind,  ist  noch  zweifelhaft^). 

Auch  Pilze  scheinen  die  Hippursäure  angreifen  zu  können.  Wenn 
es  Nikitinsky^)  nicht  gelang,  dabei  Benzoesäure  nachzuweisen, 
so  liegt  das  vielleicht  daran,  daß  der  Benzoylrest  durch  sie  sofort  weiter 
verbrannt  wird. 

Die  Versuche  Bieremas^)  verfolgten  nur  den  Zweck,  die 
Brauchbarkeit  der  Hippursäure  als  Stickstoffnahrung  zu  beweisen. 
Deshalb  wurden  den  Hippursäure-Nährböden  andere  gute  Kohlenstoff- 
quellen beigegeben.  Das  Ergebnis  war,  daß  Schimmelpilze  die  Hippur- 
säure ohne  Ammoniakbildung  bzw.  -verlust  verbrauchten,  während 
ein  Bact.  erythrogenes  sich  ähnlich  verhielt,  aber  etwas  Ammoniak 
abspaltete.  * 

Die  Art  der  Zersetzung  des  Glykokolls  ist  übrigens  durch 
alle  diese  Arbeiten  wie  auch  die  sonstigen  über  Spaltung  von  Amino- 
säuren (S.  519  imd  632)  noch  nicht  genügend  aufgeklärt. 

§  192.  Fleischextraktivstoffe.  Die  vorzügliche  Brauchbarkeit 
des  Fleischextrakts  zur  Ernährung  von  Mikroorganismen  ist  längst  eine 
bekannte  Tatsache.  TTber  die  Art,  in  welcher  die  einzelnen  ihn  zusam- 
mensetzenden Körper  dabei  verändert  werden,  ist  aber  wenig  be- 
kannt. Wir  wissen  nur,  daß  Fleischextrakt  sowohl  zur  Fäulnis,  d.  h. 
zu  anaeroben  Spaltungen,  als  zur  Oxydation  geeignet  ist.  Eine  be- 
sondere Art  der  Fäulnis  mag  hier  erwähnt  werden.  Es  ist  die  Sumpf- 
gasgärung, die  Tappeiner  nach  Impfung  mit  Panseninhalt  in  ihm 
nachwies  (§  117).  Zunächst  wurden  flüchtige  Säuren,  und  zwar  meist 
Essigsäure,  femer  Kohlensäure,  Wasserstoff  und  auch  etwas  Sumpfgas 
entwickelt.  Nach  einigen  Wochen  beginnt  dann  eine  neue  Gärung,  deren 
Gase  vorwiegend  aus  Sumpfgas  neben  Kohlensäure  xmd  Schwefel- 
wasserstoff bestehen.  Welcher  Körper  als  Quelle  dafür  in  Betracht 
kommt,  ist  zweifelhaft.  Bekanntlich  verfällt  aber  sowohl  Essigsäure 
(§  141)  wie  Buttersäure  (§  145)  und  Pepton  der  Sumpfgasgärung 
(§  179).  Man  braucht  also  wohl  nicht  an  seine  unmittelbare  Ent- 
stehimg  aus  den  eigentlichen  Extraktstoffen  des  Fleisches  zu  denken. 
Für  die  Ammoniakbildung,  die  vielfach  in  Fleischextraktkulturen  be- 
obachtet worden  ist*),  kommen  sie  dagegen  wohl  in  Betracht.     Das 


1 )  Vgl.  D  ö  h  6  r  a  i  n  und  D  u  p  o  n  t  ref .  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6.  233, 
1900. 

2)  Jahrb.  wiss.  Bot.  40,  1904. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  709,  1909. 

4)  VandeVelde,  Zeitschr.  physiol.  Cham.  8.   Vgl.  auch  die  Ver- 
suche von  Berghaus  vmd  Nawiasky,    §  169  ff. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  593 

lehren  ausdrücklich  die  Versuche  über  die  Zersetzung  des  Kreatins 
und  Kreatinins,  so  die  NawiaskySjdie  mit  Proteus,  Vibrio 
Finkler  usw.  (S.  519,  523),  die  M  a  r  c  h  a  1  s  ,  die  mit  Bac.  mycoides 
angesteUt  worden  sind  (S.  529).  Allerdings  blieb  die  Ammoniakabspal- 
tung und  die  Verwertung  zur  Assimilation  eine  geringe,  und  die  Zer- 
setzung wurde  nicht  vollständig  aufgeklärt.  Die  Umwandlung  von 
Kreatin  (Methylguanidinessigsäure)  zu  Kreatinin,  die  durch  Wasserab- 
spaltung erfolgt,  scheint  auch  durch  Bakterien  ziemlich  leicht  bewirkt 
zu  werden,  nicht  aber  der  Übergang  zum  Harnstoff. 

§  193.  Harnsäure,  Purinbasen.  Über  die  Zersetzungsfähigkeit 
der  Harnsäure  (Trioxypurin)  ist  nach  den  oben  erwähnten  Arbeiten 
von  Burri,  Stutzer  und  Herfeldt  und  Schellmann 
( §  191)  kein  Zweifel.  Die  Grebriider  S  e  s  t  i  n  i  ^)  hatten  aber  schon  früher 
die  in  Aufschwenamungen  von  Harnsäure  nach  Impfung  mit  faulem 
Harn  auftretende  ammoniakalische  Gärimg  genau  verfolgt  imd  in  acht 
Tagen  eine  vollständige  Umwandlung  zu  kohlensaurem  Ammoniak 
beobachtet.    Man  kann  etwa  die  Gleichung  annehmen: 

C5H4N4O3  +  8H2O  +  O3  =  4NH4HCO3  +  COg. 

Bei  vorzeitiger  Unterbrechung  der  Versuche  fanden  sie  Harnstoff  und 
führen  das  darauf  zurück,  daß  Harnsäure  durch  Oxydation  sich  leicht 
in  Alloxan  und  Harnstoff  verwandele.  Nach  Gerard^)  würde 
der  Prozeß  aber  in  zwei  Stufen  verlaufen,  bei  denen  verschiedene 
Bakterien  beteiligt  sind.  Durch  die  eine  übrigens  nicht  rein- 
gezüchtete Art  wird  die  durch  Dinatriumphosphat  in  Lösung 
gehaltene  Harnsäure  imter  Wasseraufnahme  in  Harnstoff  und  Tar- 
tronsäure  zerlegt: 

C5H4N4O3  +  4H2O  =  2CON2H4  +  C3H4O5  . 

Die  gewöhnlichen  Hamstoffbakterien  zerlegen  dann  den  Harnstoff  in 
der  bekannten  Weise  zu  kohlensaurem  Anmaoniak  und  verbrennen 
die  Tartronsäure.  Immerhin  ist  es  wahrscheinlich,  daß  Bakterien- 
arten weit  verbreitet  sind,  die  die  Spaltimg  in  anderer,  z.  B.  in  der 
von  S  e  s  t  i  n  i  angegebenen  Weise,  allein  für  sich  vollziehen  können 
<s.  o.  S.  591  bei  Schellmann).  Ulpiani^)  hat  dann  noch 
aus  Hühnerkot  einen  Bazillus  isoliert,  der  Harnsäure  ausschließlich 
m  Harnstoff  umwandelt.    Daß  dieser  Vorgang  übrigens  nicht  in  einem 


1)  Landwirtschaft!.    Versuchsstation   38,    1890,    Kochs   Jahresber. 
1890.   100. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   122.   1019  und  123.   185,   1896. 

3)  Rendic.  Acc.  Lincei  12,   1903. 

Kruse,  Mikrobiologie.  38 


594  Kap.  X,   §  193—196. 

Zuge  vor  sich  gehen  wird,  folgt  aus  der  verwickelten  Strukturformel 
der  Harnsäure: 


HN      CO 

NH2             NHj 

/                 / 

OC       C.NH-(-2H20+03- 

OC           +0C 

>C0 

\          \ 

NH      C.NH 

NHj             NHj 

+  3(X)s 


Jedenfalls  haben  wir  aber  schon  nach  den  vorliegenden  Angaben  min- 
destens drei  Möglichkeiten  der  Harnsäurezersetz- 
ung, bei  der  immer  der  Sauerstoff  eine  Rolle  spielt.  Von  bekannten 
Bakterien  ist  der  Proteus  von  Nawiasky  (S.  520)  in  seinem  Ver- 
halten zur  Harnsäure  studiert  worden.  Er  greift  sie  —  wegen  ihrer 
sauren  Reaktion  ?  —  nur  wenig  an.  In  seinen  mehrfach  erwähnten 
Assimilationsversuchen  mit  Beigabe  von  guten  Kohlenstoffquellen 
hat  B  i  e  r  e  m  a  (S.  590)  gefunden,  daß  Bac.  aerogenes  die  Harnsäure 
völlig  ausnutzte  ohne  Ammoniakentwicklung  \md  Stickstoffverlust. 
Bei  Bac.  radiobacter  und  Penicillium  glaucum  wurden  die  beiden 
letzteren  Erscheinungen  aber  in  gewissem  Grade  beobachtet. 

Nach  S  c  h  e  1 1  m  a  n  n  (s.  o.)  wurden  auch  Koffein  (Trimelhyl- 
dioxypurin)  und  Theobromin  (Dimethyldioxypurin)  durch  einige 
Bakterien,  die  Hippursäure  zersetzen,  in  ähnlicher  Weise  gespalten 
(vgl.  S.  461). 

G  u  a  n  i  n  ( Aminooxypurin)  zerfällt  nach  U 1  p  i  a  n  i  und  C  i  n  - 
g  o  1  a  n  i  ^)  durch  ein  Bakterium  aus  Taubenmist  (s.  o.)  in  Harnstoff, 

Guanidin  und  Kohlensäure.    Das  G  u  a  n  i  d  i  n  NHg .  C .  <^aTT^  das  durch 

Barytwasser  und  nach  Ackermann*)  auch  durch  Fäulnis  in  Harn- 
stoff umgewandelt  wird,  wurde  in  Assimilationsversuchen  von  Bie- 
r  e  m  a  fast  ebensogut  wie  der  Harnstoff  assimiliert,  zum  Teil  unter 
Abspaltung  von  Ammoniak. 

Eine  andere  Art  der  Umwandlimg  des  Guanins,  nämlich  die  in 
X  a  n  t  h  i  n  (Dioxypurin)  scheint  häufiger  vorzxdcommen.  Wie  B  a  - 
ginsky,  Schindler,  Schittenhelm  und  Schröter^) 
feststellten,  wird  sie  durch  Fäulnis-  und  Colibakterien  bewerkstelligt. 
Der  Vorgang  ist,  wie  die  Erfahrungen  Shigas  am  Hefepreßsaft 
(S.  497)  lehren,  ein  enzymatischer,  indem  unter  Wasseraufnahme  die 
Amidgruppe  als  Ammoniak  abgespalten  wird.  Ebenso  soll  Adenin 
(Aminopurin)  in  Hypoxanthin  (Oxypurin)  übergehen.    Die  Zersetzungen 

1)  Rendic.   Acc.   Lincei   14,   1905,  ref.   Chem.   Zentr.    1906  I.   694. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  60,   1909. 

3)  Ebenda  41.  285,   1904. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  595 

durch  Fäulnisbakterien  stehen  dabei  wohl  nicht  still,  sind  aber  noch 
aafzoklären. 

§  194.  Zersetzung  des  Ealkstickstoffs.  Der  Ealkstickstoff, 
dasKalziumzyanamid,  ist  bekanntUcb  neuerdings  alsDungmittel  wichtig 
geworden.  Es  war  von  vornherein  wahrscheinlich,  daß  diese  Wirkung 
sich  erklärt  durch  eine  Hydrolyse,  die  zur  Ammoniakabspaltung  führt. 
Denn  durch  Wasser  findet  unter  hohem  Druck  folgende  Umsetzung 
statt: 

CN  .  NCa  +  SHgO  =  2NH3  +  CaCOg . 

Nach  li  ö  h  n  i  s  ^)  und  seinen  Mitarbeitern  spielen  dabei  Bakterien 
eine  große  KoUe,  doch  wohl  nur  bei  einem  Teil  der  Umsetzung,  weil 
schon  in  der  keimfreien  Lösung  unter  Einfluß  kohlensäurehaltigen 
Wassers  die  erste  und  zweit^e  Stufe  der  Hydrolyse,  nämlich 

CN  .  NCa  +  H2O  =  CN  .  NHg  +  CaO 

und  (auf  einem  Umwege  über  das  Anmioniumcyanat) 

CN  .  NH2  +  H2O  =  C0(NH2)2 , 

d.  h.  Harnstoff  entsteht.  Die  dritte  und  letzte  Stufe  der  Hydrolyse 
endüch,  die  Umwandlimg  des  Harnstoffe  zu  kohlensaurem  Ammoniak 
(§  195),  scheint  erst  durch  Bakterien  vollzogen  zu  werden,  wenn  Zucker 
und  auch  leichter  assimilierbare  Stickstoffsubstanz  (Asparagin)  zu« 
gegen  sind.  Nach  Löhnis  wirken  am  kräftigsten  Bac.  Kirchneri, 
Lipsianus  und  erythrogenes,  schwächer  das  Bact.  Zopfii,  am  schwäch- 
sten Bact.  fluorescens,  coli  und  gar  nicht  Bact.  Proteus.  Die  beiden 
ersten  sind,  wie  zu  erwarten,  Hamstoffvergärer.  Umgekehrt  sind  aber 
die  gewöhnlichen  Hamstoffvergärer  durchaus  nicht  regelmäßig  im- 
stande, den  Kalkstickstoff  zu  zersetzen,  wahrscheinlich  deshalb,  weil 
nicht  alle  Arten  der  schädlichen  Einwirkung  des  Zyanamides  genügende 
^Viderstandskraft  entgegensetzen. 

Über  die  Zersetzung  eines  zweiten  bei  der  Auflösung  des  Kalk- 
stickstoffc  im  Wasser  entstehenden  Stoffs,  des  Dizyandiamides,  sind 
die  Gelehrten  noch  nicht  einig.  Nach  den  deutschen  Forschem  wäre 
dieser  Stoff  unzersetzlich,  nach  U 1  p  i  a  n  i  und  Perotti^)  da- 
gegen leicht  assimilierbar,  aber  nicht  der  Ammoniakabspaltung  zu- 
gänglich. 

§  195.  Vergärung  des  Harnstoffs.  Der  größte  Teil  der  Tiere 
scheidet  bekanntlich  als  Endprodukt  seines  Stoffwechsels  Harnstoff 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  14.  87  und  389,  1905;  20,  322,  1908;  22.  254, 
1909;  mit  Lit.  vgl.  aber  auch    Kappen    ebenda  22.  281. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21.  200. 

38* 


596  Kap.  X,   §  195. 

aus.  Die  Pflanzen  und  die  meisten  Mikroorganismen^)  vermögen 
diesen  nicht  mimittelbar  zur  Stickstoffernährung  zu  benutzen,  sondern 
erst  nach  seiner  Umwandlung  in  kohlensaures  Ammoniak.  Diesen 
Prozeß  vollzieht  eine  große  Schaar  weitverbreiteter  Bakterien.  Man 
kann  sich  leicht  davon  überzeugen,  wenn  man  frischen  Harn  olme 
besondere  Vorsichtsmaßregeln  aufl^ewahrt.  Früher  oder  später  sieht 
man,  wie  sich  in  der  ursprünglich  keimfreien  Flüssigkeit  ein  Gewimmel 
von  Bakterien  entwickelt,  die  saure  Reaktion  in  die  alkalische  um- 
schlägt, und  der  Geruch  nach  Ammoniak  auftritt.  Auch  hier  freilich 
hat  es  lange  gedauert,  bis  man  die  anmioniakalische  Gärung  auf  die 
Tätigkeit  von  Mikroorganismen  zurückzuführen  lernte ;  Pasteur^) 
stand  hier  wieder  mit  an  erster  Stelle.  Als  Erreger  der  Gärung  sprach 
van  Tieghem^)  das  Bact.  ureae,  andere  den  Micrococcus  ureae 
und  dergleichen*)  an,  bis  L  e  u  b  e  ^)  und  dann  in  besonders  umfang- 
reichen Studien  M  i  q  u  e  1  ®)  und  Beijerinck')  durch  Reinkulturen 
nachwiesen,  daß  es  in  der  Luft  und  Erde,  im  Fluß-  und  Kanalwasser 
eine  große  Anzahl  von  Bakterien  gibt,  die  den  Harnstoff  vergären. 
Die  beiden  letzteren  Autoren  unterscheiden  sie  als  Urococcus,  Uro- 
sarcina,  Planosarcina  ureae,  Urobacillus,  Streptothrix  urica,  womit 
aber  nicht  gesagt  sein  soll,  daß  diese  Bakterien  nur  auf  Hamnähr- 
böden  zu  wachsen  vermöchten;  im  Gegenteil  sind  die  meisten  nur 
gewöhnliche  Saprophyten,  Auch  der  Bac.  proteus,  putrifi- 
cus  coli  und  perfringens  sind  kräftige,  der  Staphylo- 
coccus  pyogenes  albus  und  der  Bac.  coli  ( ?)  schwache  Ham- 
stoffbakterien  (T  i  s  s  i  e  r  imd  Martelly  ®)).  Beijerinck  fand 
auch  Leuchtbakterien  wirksam.  Eine  gewisse  Wirkung  scheint  danach 
fast  allen  Mikroorganismen  zuzukonmien. 

Am  energischsten  wirkt  der  Urobacillus  Pasteurii,  eine 
Art  Clostridium.  Er  verdrängt  in  lOprozentiger  Hamstoffbouillon,  die 
man  mit  Gartenerde  geimpft  hat,  schließlich  alle  anderen  Bakterien  und 
zersetzt    selbst    noch    eine    Flüssigkeit,    die    ca.    14% 

1)  Vgl.   S.   111. 

2)  Amial.  chim.  phys.  64.  6,  1862;  vgl.  auch  Proust,  Ann.  chim. 
phys.  2.  s^r.   14,  257  und  Müller,  Joum.  prakt.  Chem.  81.  452,  1860. 

3)  Compt.  rend.  58.  210,   1864. 

4)  V.  J  a  k  s  c  h  ,  Zeitschr.  phys.  Chem.  5,  1881. 

5)  V  i  r  c  h  o  w  s  Archiv  100,   1885. 

6)  Annal.  de  micrograph.  1—9,  1889 — 1897  imd  Etudes  sur  la  fer- 
mentation  ammoniacale  etc.    Paris  1898. 

7)  Zentr.  Bakt.  2.  Atb.  7.   1901. 

8)  Annal.  Pasteur  1902.  Beim  Bac.  coli  haben  wir  u.  a.  kein  Resultat 
gehabt,  was  der  sauren  Reaktion  des  Harns  bei  Colizystitis  entspricht, 
wohl  bei  verflüssigenden  und  nicht  verflüssigenden  Staphylokokken  aus 
Zystitis. 


Wandlungen  einfeu;her  Stickstoff körper.  597 

Harnstoff  enthält.  In  der  Stvinde  und  im  Liter  verwandelt  er 
bestenfalls  3  g  Harnstoff  in  Annnoniumkarbonat,  d.  h.  viele  Hundert  mal 
mehr  an  Mctsse,  als  sein  Körpergewicht  beträgt  (vgl.  §  235).  Auf  Fleisch- 
celatine  wächst  er  nur  sehr  langsam  und  nur  bei  Zusatz  von  Ammonium- 
karbonat (0,3%)  und  Harnstoff  (2%).  Harnstoff  genügt  keinem  der  Ham- 
vergärer  als  ausschließliche  Kohlenstoffnahrung  (vgl.  S.  117),  manchen 
von  ihnen  aber  neben  Oxalat  oder  Azetat  als  Stickstoff  quelle.  B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k  schlägt  zur  schnellen  Erkennung  dieser  Mikroorganismen  eine 
Hefewassergelatine  vor,  die  aus  20  g  Preßhefe  auf  100  g  Wasser  hergestellt, 
tind  der  2 — 3%  Harnstoff  zugesetzt  wird.  Schon  in  wenigen  Minuten 
macht  sich  bei  den  Kolonien,  die  Ammoniak  bilden,  eine  „Iriserscheinung" 
bemerkbar,  die  durch  den  Niederschlag  einer  eigentümlichen  Verbindung 
mit  Kalizumphosphat  bewirkt  wird. 

Die  Gärung  erfolgt  nach  der  Gleichung: 

CO  .  (NH2)2  +  2H2O  =  C03(NH4)2  (+  14,3  Kai.) 

und  ißt  als  ein  enzymatischer  Prozeß  aufzufassen,  der  den  Hydro- 
lysen dadurch  nahesteht,  daß  er  durch  Erhitzung  auf  hohe  Tempe- 
raturen und  Einwirkung  von  Säuren  (und  Alkalien)  nachgeahmt  werden 
kann,  aber  wie  die  Gärungen  unter  starker  Wärmeentwicklung^)  er- 
folgt. Schon  Musculus  2)  erhielt  durch  Fällen  eines  schleimigen, 
stark  ammoniakalischen  Zystitishams  mit  Alkohol  das  Enzym 
im  trockenen  Zustande,  hielt  es  aber  für  eine  Ausscheidung  der 
Schleimhaut.  L  e  a  ^)  konnte  es  nur  aus  dem  schleimigen  Boden- 
satze, nicht  aus  dem  filtrierten  Harn  darstellen.  Es  würde  also  von 
den  Bakterien  nicht  in  die  Flüssigkeit  abgeschieden,  sondern  erst 
aus  diesen  frei  und  in  Wasser  löslich,  wenn  sie  mit  Alkohol  abgetötet 
worden  sind.  Beijerinck  bestätigte  die  intrazellulare  Bindung 
des  Enzyms;  es  tritt  nach  ihm  aus  den  Bakterienleibern  aus  nach  Fäl- 
lung mit  Alkohol  oder  in  Kulturen,  die  man  auf  50®  erhitzt  oder  mit 
rhloroform  versetzt  hat.  L  e  u  b  e  fand  dementsprechend  filtrierte 
Kulturen  unwirksam.  Damit  stimmt  freilich  nicht  überein,  daß  M  i  - 
q  u  e  1  *)  eine  Enzymlösung  zu  gewinnen  vermochte,  wenn  er  Rein- 
kulturen durch  Porzellanfilter  hindurchschickte.  Jedoch  sollen  be- 
sondere Vorsichtsmaßregeln,  vor  allem  Sauerstoffabschluß,  dazu  ge- 
hören. Die  Widersprüche  könnten  sich  aber  auch  durch  die  Ver- 
schiedenheit der  benutzten  Bakterien  erklären. 


1)  Herzog,  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  37.  392,  1902.  Direkte 
Wärmeentwicklung  im  R  u  b  n  e  r  sehen  Kalorimeter  §  237.  Die  Stoff- 
und  Kraftbilanz  ist  im  §  235  entwickelt. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   78.    132,   1874  und  Pflügers  Arch.    12. 

3)  Joum.  of  physiol.  6,   1886. 

4)  Ck)mpt.  rend.   111.   397,   1890. 


598  Kap.  X,   §  195  u.   196. 

Von  allen  Forschem^)  wird  die  sehr  empfindlicheNatur 
des  Harnstoffenzyms,  der  U  r  e  a  s  e  ,  angegeben.  Schon 
bei  50*^  wird  es  in  wenigen  Stunden  zerstört,  bei  70°  in  20 — 30  Minuten, 
bei  80°  in  wenigen  Sekunden.  Haltbar  ist  es  einige  Wochen  lang 
bei  0°  Alkohol,  Toluol,  Chloroform  zerstören  es  bald,  weniger  leicht 
Fluomatrium  in  dünner  Lösung.  Durch  diese  labile  Beschaffenheit 
ähnelt  es  dem  Alkoholenzym,  der  Zymase.  Die  Wirkung  des  Enzyms 
ist  am  ausgesprochensten  bei  50°. 

Mo  11^)  hat  durch  Immunisierung  von  Kaninchen  eine  freilich 
ziemlich  schwache  Antiurease  erhalten.  Henmiend  wirkt  schon  nor- 
males Serum  und  sogar  Harn.  Vielleicht  könnte  man  mit  Hilfe  der 
Antiurease   Unterschiede   der  einzelnen   Ureasen  nachweisen. 

In  der  lebenden  Harnblase  scheinen  nur  wenige  Bakterien,  vor 
allem  der  Bac.  proteus  vulgaris,  ammoniakalische  Gärung  hervorrufen 
zu  können  (vgl.  Infektionslehre). 

Die  Beziehungen  der  Harnstoffgärung  zu  der  Gärung  der  Hippur- 
säure,  Harnsäure  des  Kalkstickstoffe  usw.  haben  wir  schon  oben  be- 
sprochen. Alle  hier  in  Betracht  kommenden  Bakterien  spielen  im 
Erdboden  und  namentlich  im  Mist  und  in  der  Düngerjauche  insofern 
eine  ungünstige  Bolle,  als  sie  durch  Ammoniakverdunstung  zum  Teil 
einen  Stickstoffverlust  verursachen  (vgl.  Denitrifikation  S.618).  Diesem 
arbeitet  entgegen  die  sog.  Nitrifikation  durch  die  Salpeterbakterien  ( §  196). 

§  196.  Nitrifikation,  Salpetcrgärung.  Die  Pflanzen  können 
sich  mit  wenigen  Ausnahmen  ebensogut  von  Ammoniak  wie  von  sal- 
petersauren Salzen  nähren.  Tatsächlich  überwiegt  die  letztere  Art 
der  Ernährung,  weil  das  Ammoniak  im  Boden  regelmäßig  in  Salpeter- 
säure übergeführt  wird.  Diesen  Vorgang,  die  „Nitrifikation",  die 
insofern  nützlich  ist,  als  sie  den  Ammoniakstickstoff  im  Boden  fest- 
legt, kannte  man  schon  lange,  benutzte  auch  das  Bekanntwerden  der 
Salpeterlager^)  in  sogenannten  „Salpeterhütten"  zur  Salpeterdar- 
stellung, führte  sie  aber  zunächst  auf  eine  einfache  Oxydation  des 
Anmioniaks  durch  den  Luftsauerstoff,  bei  dem  nach  Dumas  und 
M  i  1 1  o  n  ^)  der  kohlensaure  Kalk  oder  die  Humusstoffe  die  Vermittler 
spielen  sollten,  zurück,  bis  auch  hier  die  biologische  Auffassung  nament- 
lich durch  die  Arbeiten  von  Schlösing  und  M ü n t z  *),  P 1  a t h ^) 

1)  Vgl.   auch  Moll.   Hofmeisters  Beitr.   2.    344,    1902. 

2)  Über  deren  Bildung  vgl.  Müntz,  Annal.  chim.  phys.  6.  11. 
118,  1887. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  20.  1020,  1846  und  51.  548,  1860. 

4)  Ebenda  84.  301;  85.  1018;  89.  891  und  1074,  1877—1879;  vgl. 
auch  P  a  s  t  e  u  r  ebenda  54.  265,  1862  und  Alex.  Müller,  Landwirtsch. 
Versuchsstat.    16.   241,    1873. 

5)  Landwirtsch.   Jahrb.   1887. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoff körper.  599 

und  anderen  über  die  chemische  den  Sieg  davontrug.  Sie  wiesen  nach» 
daß  bei  Ausschluß  aller  Mikroorganismen  durch  Sterilisierung  die 
Ackererde  nicht  imstande  ist,  zu  nitrifizieren,  und  daß  die  Umwand- 
lung  in  den  Temperaturgrenzen,  zwischen  denen  ein  Leben  mögUch 
ist,  vor  sich  geht.  Gleichzeitig  lieferten  die  französischen  Forscher 
auch  den  Beweis,  daß  als  Zwischenprodukt  der  Nitrifikation  salpetrige 
Säure  auftritt.  Die  Reinzüchtung  der  dabei  tätigen  Mikroben  und 
griindUche  Klarlegung  des  ganzen  Vorgangs  gelang  nach  mehr  oder 
weniger  vergeblichen,  wenn  auch  beachtenswerten  Versuchen  von 
H ü p p e  und  H e r a e u s  (vgl.  S.  120),  Adametz,  P.  Frank- 
land ^),  Warington*)  u.  a.  erst  Winogradsky^)  und 
seinem  Mitarbeiter  Omeliansky*).  Nach  Winogradsky 
hat  man  zu  unterscheiden  zwischen  den  Nitrosobakterien 
(Nitrosomonas  und  Nitrosococcus),  die  ausschließlich  befähigt  sind, 
Ammoniak  zu  salpetriger  Säure  zu  oxydieren  und  den  Nitrobak- 
t  e  r  i  e  n  ,  die  nur  salpetrige  Säure  in  Salpetersäure  verwandeln.  Beide 
sind  in  ihren  Spielarten  überall  in  der  Welt  verbreitet,  z.  B.  auch  auf 
den  höchsten  Bergen,  unter  dem  ewigen  Eis^),  doch  nur  im  Erdboden 
und  im  Wasser*),  nicht  in  der  Luft,  und  zwar  stets  nebeneinander, 
woraus  es  sich  erklärt,  daß  das  Zwischenerzeugnis,  die  salpetrige  Säure, 
gewöhnlich  nicht  oder  nur  in  Spuren  nachweisbar  ist. 

Zum   Zweck    der  Isolierung')   der  Nitritbakterien   werden  zunächst 
Vorkulturen  der  Erde  angelegt  in  einer  Lösimg,  die  auf 

1000  g  destilliertes  Wasser, 

2  „  Ammon.  sulf., 

2  „  Natr.  chlorat., 

1  „  Kai.  phosph., 
0,5  „  Magn.  sulf., 
0,4  „  Ferr.  sulf. 

enthält  und  auf  Erlenmeyerkolben  von  12  cm  Durchmesser  zu  je  50  ccm 
mit  Zusatz  von  0,5  g  Magnesiumkarbonat  verteilt  werden.  Die  dritte  oder 
vierte  Überimpfung  in  dieser  Lösung  führt  gewöhnlich  schon  eine  solche 
Anreicherung  der  Nitritbakterien  herbei,  daß  an  die  weitere  Verarbeitvuig 
in  Platten  gegangen  werden  kann.  Am  besten  ist  es,  zur  Überimpfung 
den  Augenblick  zu  wählen,  in  dem  die  Bakterien  aus  dem  Zoogloen-( Haufen-) 


1)  Transactions  Roy.  Soc.   181.   107,  1890. 

2)  Chemical  News  1891. 

3)  Annal.  Pasteur  1890  und  1891;  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  1.  243,  1895 
»ind  2.  415,   1896  und  Laf  ars  Handb.  3.   132,   1904. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5.  329,  473  und  537,   1899. 

5)  Müntz,  Annal.  chim.  phys.  (6)  11.   136,   1887. 

6)  Thomsen,  Ber.  bot.   Ges.   21.  IL   1907  (Golf  von  Neapel). 

7)  Zentr.   Bakt.   2.   Abt.   5.   537. 


600  Kap.  X,   §  196. 

Stadium  in  den  frei  beweglichen  Zustand  übergehen  und  die  Flüssigkeit 
leicht  trüben.  Zur  weiteren  Isolierung  hat  Beijerinck^)  empfohlen, 
Platten  von  gründlich  ausgewaschenem  Agar  zu  benutzen.  Nach  O  m  e  - 
liansky  (a.  a.  O.)  wachsen  die  Nitritbakterien  darauf  aber  \äel  lang- 
samer und  schlechter  als  auf  Kieselsäuregallerte,  die  aller- 
dings schwieriger  zu  bereiten  ist.  Klare  und  reine  Wasserglaslösung  vom 
spezifischen  Gewicht  1,05  wird  allmählich  unter  Umschütteln  mit  gleichen 
Teilen  Salzsäure  vom  spezifischen  Gewicht  1,10  gemischt  und  die  Mischung 
in  gut  schließenden  Pergamentschläuchen  dialysiert  bis  zum  Verschwinden 
des  Chlornatriums.  In  fließendem  Leitungswasser  gelingt  das  binnen 
24  Stunden.  Eine  Trübung  darf  dabei  nicht  eintreten,  weil  sonst  das  Dia- 
lysat  beim  Sterilisieren  gerinnt.  50  ccm  der  sterilisierten  Kieselsäurelösung 
werden  dann  möghchst  schnell  hintereinander  mit  folgender  vorher  steri- 
lisierter Zusatzflüssigkeit  vermischt: 

1.  2,5  ccm  einer  Lösung  von  IVoo  Kai.  phosph., 

3Voo  Ammon.  sulf., 
0,5 Voo  Magn.  sulf., 

2.  1,0  ccm  einer  2  prozentigen  Lösung  von  Ferr.  sulf., 

3.  eine  Platinöse  oder  ein  kleiner  Tropfen  einer  konzentrierten  Koch- 
salzlösung, 

4.  soviel  von  einer  Aufschwemmung  von  kohlensaurer  Magnesia, 
daß  die  Gallerte  milchig  aussieht.  Nach  dem  Ausgießen  in  gewöhnliche 
Doppelschalenplatten  tritt  bald  die  Gerinnung  der  Nährlösung  ein.  Ihre 
Impfung  erfolgt  durch  einen  Tropfen  der  flüssigen  Ausgangskultur,  die 
mit  einem  Glasstabe  ausgebreitet  wird,  oder  durch  Vermischen  mit  einem 
Tropfen  der  Aussaat  vor  dem  Ausgießen  zu  Platten.  L^m  das  Wachstum 
der  Kolonien  zu  beschleunigen,  wird,  sobald  die  Ammoniakreaktion  des  Nähr- 
bodens zu  schwinden  beginnt  (nach  4 — 8  Tagen),  in  seitliche  Ausschnitte 
der  Platte  ein  Tropfen  einer  10  prozentigen  Ammoniumsulfatlösung  ge- 
bracht. Die  fortschreitende  Säurebildung  klärt  allmählich  die  milchige 
Trübung  der  Platte  auf  und  läßt  die  sehr  kleinen  kompakten,  stark  licht- 
brechenden, gleichmäßig  granulierten  Kolonien  binnen  14  Tagen  etwa 
deutlich  hervortreten.  Um  aus  den  Kolonien  Reinkidturen  zu  erhalten, 
müssen  zahlreiche  Abimpf ungen  in  die  erstgenannte  Nährlösung  und 
gleichzeitig  Kontrollimpfungen  in  Bouillon  vorgenommen  werden.  Die 
Kieselsäuregallerte  läßt  sich  auch  in  Reagensgläsern  zu  Strichkulturen 
verwenden.  Auch  hier  empfiehlt  es  sich,  ab  und  zu  Anunonsulfatlösung 
zuzusetzen. 

Die  Nitratbildner  werden  ebenfalls  zunächst  in  einer  Flüssigkeit  vor- 
gezüchtet, die 

1000  g  dest.  Wasser, 

1  ,,  Natr.  nitrosum  (Merck), 
1  „  Natr.  carb.  calc. 
0,5  „  Kai.  phosph., 
0,5  „  Natr.  chlorat., 
0,4  „  Ferr.  sulf., 
0,3  „  Magn.  sulf. 


1)  Zentr.  Bakt.   1.  Abt.   19.  258,   1896. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  601 

enthält.  Die  Betkterien  wachsen  darin  in  zusammenhängenden,  an  den 
(Ilaswänden  haftenden  Häuten.  Ihre  Isolierung  auf  Platten  ist  leichter, 
weil  man  dazu  Agar  benutzen  kann  von  der  Zusammensetzung: 

2  g  Natr.  nitrosum, 
1  „  Natr.  carbon.  calc, 
15  „  Agar, 

1000  „  Leitungswasser. 

• 

Auch  hier  ist  nachträgliches  Zufügen  von  Natriumnitrit  zu  empfehlen. 
Die  ziemlich  großen  Kolonien  können  nach  10 — 30  Tagen  auf  Röhrchen 
mit  Nitritagar  weitergezüchtet  werden  und  geben  recht  ansehnliche  Kul- 
turen. Die  üblichen  Nährböden  bleiben  dagegen  steril.  Die  günstigste 
Temperatur  ist  25— 30<»  C. 

Aus  der  Zusammensetzung  der  Nährböden  erhellt  schon,  daß 
die  Nitrifikation  8  Organismen  ihren  Kohlenstoff 
nicht  aus  organischem  Material,  sondern  aus- 
schließlich aus  der  Kohlensäure  entnehmen  (S.  120). 
Besondere  Versuche  haben  dann  Godlewski^)  gezeigt,  daß  das 
einfach  kohlensaure  Salz  nicht  zur  Ernährung  der  Nitritbakterien 
genügt,  wohl  aber  das  doppeltkohlensaure  Salz  oder  die  freie  Kohlen- 
säure der  Atmosphäre.  Für  die  Nitratbakterien  kamen  W  i  n  o  - 
g r a d s k y  und  Omeliansky^)  zu  einem  ähnlichen  Schluß, 
fanden  allerdings,  daß  das  kohlensaure  Salz  ebenso  unentbehrlich  ist, 
als  die  freie  Kohlensäure,  woraus  zu  folgern  wäre,  daß  die  Bikarbonate 
es  sind,  durch  der  Kohlenstoff  assimiliert  wird.  Doch  müssen  diese 
Versuche  wohl  noch  in  erweiterter  Form  wiederholt  werden.  Der 
Einwand  Elfvings,  daß  es  vielleicht  gar  nicht  die  Kohlensäure 
sei,  die  assimiliert  würde,  sondern  andere  kohlenstoffhaltige  Stoffe 
der  Atmosphäre,  deren  Wert  für  die  Ernährung  mancher  Bakterien 
Beijerinck  festgestellt  hat  (vgl.  S.  122),  ist  nach  G  o  d  1  e  w  s  k  i^) 
nicht  stichhaltig,  denn  die  Nitrifikation  findet  auch  statt,  wenn  die 
Luft,  die  zugeführt  wird,  durch  konzentrierte  Schwefelsäure  vorher 
gereinigt  ist. 

Daher  darf  man  wohl  daran  festhalten,  daß  in  den  Nitri- 
fikationsbakterien die  ersten  Organismen  gefunden  worden  sind,  die 
aus  der  Kohlensäure  ohne  Hilfe  des  Lichts  ihre 
Eiweißkörper  aufbauen  können,  also,  wenn  man  will, 
noch  leistungsfähiger  sind,  als  die  chlorophyllführenden  Pflanzen.  Er- 
möglicht wird  ihnen  diese  Arbeitsleistimg  durch  die  Oxydc^tion  des 
Ammoniaks  und  Nitrits,  die  ja  eine  reiche  Kraftquelle  darstellt. 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2.  458,  1896. 

2)  Ebenda  5.  336. 

3)  Kochs  Jahresber.   1892.  219. 


602  Kap.  X»   §  196. 

Für  die  Nitritbildner  konnte  Winogradsky  feststellen,  daß 
für  je  1  mg  Kohlenstoff,  der  assimiliert  wurde,  oder  2  mg  Bakterien- 
trockensubstanz 35,4  mg  Stickstoff  (43  mg  Ammoniak)  oxydiert  und 
96  mg  salpetrige  Säure  gebildet  wurde.  Das  Wachstum  wurde  in  den 
Kulturen,  wenn  man  durch  Zufügen  von  Ammoniak  das  verbrauchte 
ergänzte,  von  Tag  zu  Tag  energischer,  so  daß  z.  B.  am  5.  Tage  3  mg, 
am  10.  Tage  9  mg,  am  30.  Tage  20  mg  Stickstoff  oxydiert  wurden.  In 
Parellelkulturen  der  Nitratbildner  war  die  Entwicklung  zwar  auch 
eine  au&teigende,  doch  wurden  selbst  am  40.  Tage  erst  10  mg  Stick- 
stoff oxydiert^).  Die  dabei  gebildete  Menge  organischen  Kohlen- 
stoffs war  so  gering,  daß  ihre  Bestimmung  nicht  gelang.  Es  läßt  sich 
das  vorhersehen:  da  bei  der  Verbrennung  der  salpetrigen  Säure  zu 
Salpetersäure  viel  weniger  Wärme  entwickelt  wird,  als  bei  der  Oxy- 
dation des  Ammoniaks  zu  salpetriger  Säure,  wird  um  so  mehr  Salpeter- 
säure gebildet  werden  müssen,  um  den  Aufbau  der  gleichen  Menge 
Bakteriensubstanz  zu  ermöglichen. 

Die   betreffenden  Kalorienzahlen   verhalten  sich   wie    18,3   zu   78.8, 
denn  es  ist*) 

1)  NH,  aq.  +  30  =  HNO,  +  H,0  (+  x  Kai.) 

und  nach  Einsetz\ing  der  Bildungswärmen: 

—  20,4  =  —  30,8   —  68,4  +  x 
oder  X  =  78,8  Kai. 

2)  HNO,  +  O  =  NHO,  (+  y  Kai.) 

—  30,8  =  —49,1  X  y 
y  =  18.3  Kai. 

Dabei  ist  allerdings  zu  bedenken,  daß  die  Oxydation  des  Anunoniaks  die 
Zersetzung  des  Anunoniaksalzes  und  damit  einen  Aufwand  von  Wärme 
erfordert.  Die  dadurch  frei  gewordene  Schwefelsäure  und  die  neu  entstandene 
salpetrige  Säure  entwickeln  aber  ihrerseits  wieder  Wärme  durch  Auflösung 
der  kohlensauren  Magnesia. 

Die  Energieverhältnisse  würden  eine  weitere  Verschiebung  erfahren, 
wenn  es  sich  bewahrheitete,  daß  bei  der  Oxydation  des  Ammoniaks  ein 
Teil  des  Stickstoffs  als  solcher  entweicht  (Godlewski  •)).  Vielleicht 
ist  das  auf  die  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  eintretende  Umsetzung 
N.O,  +  2NH,  =  3H,0  +  2N,  zurückzuführen,  bei  der  viel  Wärme  frei 
A*4rd.  Die  saure  Reaktion,  die  dazu  nötig  ist,  wird  durch  die  Nitritbildner 
herbeigeführt. 

über  die  Art  und  Weise  der  Kohlensäureassimilation  durch  die  Sal- 
peterbakterien ist  nichts  bekannt.  B  o  k  o  r  n  y  hat  neuerdings  (Pflügers 
Archiv)  die  Baeyer-Löw sehe  Theorie,  nach  der  Formaldehyd  CHjO 
das  erste  Umwandlungsprodukt  der  Kohlensäure  sein  soll,  aus  der  durch 

1)  Boullanger    vind    M  a  s  s  o  1    (s.    u.)    arbeiteten    mit   einem 
kräftigeren  Nitratbildner. 

2)  Nach  O  s  t  w  a  1  d  ,  AUgem.  Chem.  2.  Bd.  1.  Abt.   1893  berechnet, 

3)  Ref.  Kochs  Jahresber.   1892.  219. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoff körper.  603 

Kondensation  bzw.  Wasserabspaltung  Zucker  bzw.  Stärke  entstände, 
durch  Versuche  an  Spirogyren  zu  stützen  versucht.  Danach  sollen  diese 
CWorophyllpflanzen  bei  Ernährung  mit  sehr  verdünntem  Formaldehyd 
oder  formeddehydschwefligsaurem  Natron  aruch  bei  Lichtabschluß  Stärke 
bilden.  Licht  wäre  also  nur  nötig  zur  Umwandlung  der  Kohlensäure  in 
Formaldehyd,  nicht  zu  dessen  weiterer  Kondensation.  Vorläufig  kann 
man,  um  einen  Einblick  in  die  Energieverhältnisse  zu  bekommen,  die 
Äsßimilation  der  Kohlensaure  etwa  in  folgende  6leichungen  fassen.  Zu- 
nächst entsteht  Traubenzucker: 

6CO,  +  6H,0  =  C^ijO,  +  0„  (—  695  Kai.). 

Die  zu  dieser  Synthese  nötige  Energie  könnte  von  den  Nitritbakterien 
durch  die  Oxydation  von  9  Molekülen  Ammoniak  (s.  o.)  geliefert  werden. 
Aus  dem  Zucker  und  Anmioniak  kann  man  sich  Eiweiß  gebildet  denken 
(vgl.  $  231).  Die  dabei  gebundene  Wärme  beträgt  nur  etwa  10  Kai.,  käme 
also  gar  nicht  in  Betracht;  durch  die  Oxydation  von  je  9  Molekülen  NH, 
könnte  daher  die  Energie  geliefert  werden,  die  zur  Assimilation  von  6  Mole- 
külen CO«  nötig  ist.  Auf  jedes  Gramm  Kohlenstoff  machte  das  noch  nicht 
2  g  Ammoniak,  während  tatsächlich  43  g  oxydiert  werden.  Der  Prozeß 
verläuft  also  cmscheinend  sehr  wenig  sparsam   (vgl.    §  235). 

Daß  die  Nitrifikation  auf  ein  Enzym,  eine  „Ozydase'*  zurück- 
zuführen ist,  ist  zwar  wahischeinlicli,  aber  vorläufig  noch  nicht  be- 
wiesen. Omeliansky^)  konnte  weder  mit  Kulturfiltraten  noch 
mit  den  Bakterienleibem  Nitrifikation  des  Ammoniaks  bewirken.  Da- 
bei sei  bemerkt,  daß  Moliscb^)  die  Ergebnisse  F r i e d  e  1  s  über 
fennentative  Wirkungendes  Chlorophylls  nicht  bestätigen  konnte. 
Wohl  Ueß  sich  mit  Hilfe  der  Leuchtbakterienmethode  (§  238)  nach- 
weisen, daß  völlig  getrocknete  Blätter,  wenn  sie  zerrieben  mid  schnell 
verwandt  wurden,  Sauerstoff  abschieden. 

Außer  der  Kohlensäure,  dem  Ammoniak  oder  Nitrit  und  den 
anorganischen  Salzen  ist  den  Nitrifikationsbakterien  nur  noch  der 
Sauerstoff  nötig,  und  zwar,  wie  sich  von  selbst  versteht,  in  reichlicher 
Menge.  Mit  anderen  Stickstoff-  oder  Kohlenstoffsubstanzen  können 
sie  dagegen  nicht  ernährt  werden:  Peptone,  Asparagin  und  selbst  die 
dem  Ammoniak  so.  nahestehenden  Amine  (Methyl- und  Dimethylamin) 
smd  dazu  unbrauchbar^).  Ja,  alle  organischen  Stoffe,  die  sonst  als 
vorzügliche  Nährmittel  bekannt  sind,  besitzen  sogar  die  Eigenschaft, 
die  Tätigkeit  und  das  Wachstum  dieser  merkwürdigen  Mikroben  selbst 
in  teilweise  recht  starken  Verdünnimgen  noch  zu  hemmen  oder  ganz 
zu  verhindern,  sie  wirken  wie  Antiseptika.  Winogradsky  und 
Omeliansky  haben  dafür  folgende  Stufenleiter  aufgestellt : 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.   113,  1902. 

2)  Bot.  Zeitg.   1904. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  5.  329  iind  473. 


604  Kap.  X,   §  196. 

Wachstumhemmend  oder  für  das  ^^.^    ^t^  , .    • 

V .  j      j      .  1  xT-x  'xi.  1 X    •  -Nitrat baktenum 

verhindernd  wirken  .Nitntbaktenum 

Glykose 0,025—  0,2%  0,05    —  0,3 

Pepton 0,025—  0,2%  0,8      —  1,25 

Asparagin 0,05  —  0,3  0,05    —  1,0 

Glyzerin 0,2     —    ?  0,5—1,0 

Harnstoff 0,2    —    ?  1,5—1,0 

Essigsaures  Natrium    ...  0,5    —  1,5  1,5      —  3,0 

Buttersaures  Natrium  ...  0,5    —  1,5  0,5      —  1,0 

Fleischbrühe 10       —40  10         —60 

Ammoniak —  0,0005—  0,015 

Besonders  auffällig  ist  hier  der  Umstand,  daß  das  Nitratbakteriimi 
schon  durch  kleine  Spuren  von  Ammoniak  gehemmt  wird;  man 
könnte  also  glauben,  daß  es  erst  die  fast  vollständige  Oxydation  des 
vorhandenen  Ammoniaks  abwaiten  müßte,  ehe  es  in  Tätigkeit  treten 
könnte.  Das  wird  auch  in  künstlichen  Mischkulturen  der  Nitrit-  und 
Nitratmikrobien  gewöhnlich  beobachtet:  zunächst  gelangen  die  ersteren 
zur  Entwicklung  und  verwandeln  alles  Ammoniak  in  Nitrit,  und  ihnen 
folgen  dann  erst  die  Nitratbakterien.  Man  kann  also  hier  nicht  von 
einer  „Symbiose",  sondern  nur  von  einer  „Metabiose"  sprechen  (§  50). 
Doch  haben  Boullanger  und  M  a  s  s  o  1  ^)  gezeigt,  daß  die 
Nitratbakterien,  wenn  sie  einmal  in  kräftiger  Arbeit  begriffen  sind, 
auch  durch  ziemlich  hohe  Gaben  von  Ammoniak  nicht  mebr  geschädigt 
werden,  sondern  daß  dann  eine  wirkliche  Symbiose  zwischen  beiden 
Arten  von  Mikroorganismen  zustande  kommt,  so  daß  das  Zwischen- 
produkt der  Umwandlung,  die  salpetrige  Säure,  nur  in  Spuren  auf- 
tritt. In  der  Natur  ist  dieses  Verhältnis  die  Regel.  Dieselben  Autoren^) 
haben  dann  auch  nachgewiesen,  daß  die  Hemmung  der  Nitratbakterien 
durch  Ammoniaksalze  nur  in  den  künstUchen  Kulturen  eintritt,  die 
IVoo  Natriumkarbonat  enthalten,  weil  dadurch  Ammoniak  in  Frei- 
heit gesetzt  wird.  Nimmt  man  nur  0,2 Vqq,  so  hindern  selbst  1— 2Voo 
Ammonsulfat  nicht  mehr  die  Nitrifikation.  Ebenso  haben  sich  die 
Angaben  Winogradskys  und  Omelianskys  über  die  Schä- 
digung der  Nitrifikation  durch  organische  Stoffe  nicht  aufrecht  erhalten 
lassen.  Sie  selbst  bekamen  schon  recht  ungleiche  Ergebnisse  (s.  o.). 
Löhnis^),    Wimmer*),    Mni  n  t  z    und    Lain6^),    Baza- 


1)  Annal.  Pasteur  1903.  492  und  1904.   181. 

2)  Compt.  rend.   ac.   sc.    140.   688.   1905. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12,   1903. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  48,   1904. 

5)  Compt.  rend.  ac.  sc.   142.  430,   1906. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  605 

rewski^),  Coleman*),  Stevens  und  Withers^)  sahen 
dann  bei  Zusatz  von  organischen  Stoffen,  namentlich  Humus  und 
Zucker  gute,  ja  zum  Teil  kräftigere  Natrifikation  als  ohne  diese 
Zusätze,  zumal  wenn  sie  Boden  als  Unterlage  der  Kultur 
benutzten,  nicht  mit  einfachen  liösungen  arbeiteten,  wie  die  russischen 
Forscher  (vgl.  §  183  u.  187).  Ebenfalls  Verstärkung  der  Nitrifikation 
fand  Bierema*)  neuerdings,  wenn  er  Eiweiß  in  Form  von  Bak- 
terien oder  Pilzleibern  der  Erde  zusetzte.  Dadurch  wird  die  Ansicht 
der  russischen  Forscher,  daß  Nitrifikation  und  Denitrifikation  (s.  u.) 
sich  ausschlössen,  hinfälUg.  In  der  Tat  scheinen  sie  neben- 
einander vorkommen  zu  können,  z.  B.  regelmäßig  in  den  früher  (S.571) 
besprochenen  biologischen  Filtern  (s.  auch  bei  L  ö  h  n  i  s). 

Die  Zusammensetzung  der  Salzlösung  ist  für  die  Nitrifikation 
ebenfalls  von  Belang.  Auf  die  Notwendigkeit  des  Eisens  haben 
ßchon  Winogradsky  und  Omeliansky  hingewiesen.  Nach 
D u m o n t  und  Crochetelle^)  würden  die  Chloride  von 
Kalium  und  Kalzium  die  Nitrifikation  im  Boden  beeinträchtigen,  die 
Karbonate  dieser  Metalle,  sowie  das  Kaliumsulfat  sie  begün- 
stigen. Nach  Low*)  wäre  es  nicht  gleichgültig,  in  welcher  Weise  das 
.Wmoniak  gebunden  ist.  Ameisensaures  Ammoniak  würde  gar  nicht, 
oxalfiaures  nur  sehr  schwierig  von  den  nitrifizierenden  Bakterien  aus- 
genutzt. Nach  Boullanger  und  M  a  s  s  o  1  verfallen  aber  alle 
Ammoniaksalze  der  Nitrifikation,  auch  die  der  organischen  Säuren, 
selbst  in  einer  Konzentration  von  6 — lOVooJ  ^^  ^^®  arsenigsauren, 
Jodwasserstoff-,  zitronen-  und  Oxalsäuren  Ammoniumsalze  müssen  in 
starker  Verdünnimg  (0,5 — 1  Voo)  angewandt  werden.  Ebensowenig  Be- 
deutung für  die  Tätigkeit  der  Nitratbildner  hat  es,  ob  die  ihnen  ge- 
botene salpetrige  Säure  an  dieses  oder  jenes  Metall  gebunden  ist,  so- 
lange die  Konzentration  IVoo  Glicht  überschreitet;  wenn  sie  stärker 
wird,  werden  die  Nitrite  der  Alkalien  und  alkalischen  Erden  vorgezogen. 
Losungen,  die  30— 50  Voo  Ammoniumsulfat  oder  20— 25  Voo  Kalium- 
nitrit enthalten,  werden  nicht  mehr  nitrifiziert. 

Die  günstigste  Temperatur  für  die  Nitrifikation  ist  37°,  und  zwar 
für  beide  Arten  von  Mikroorganismen.  Die  Nitritbildner  sind  aber 
empfindlicher  gegen  Erhitzung,  sie  werden  schon  durch  eine  Tempe- 
ratur von  45°  binnen  5  Minuten,  die  Nitratbildner  erst  durch  eine  solche 
von  55°  getötet  (Boullanger  und  M  a  s  s  o  1). 

1)  Göttinger  phil.  Dissert.   1906. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  20,   1908. 

3)  Ebenda  23,  1909. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  6715,  1909. 

5)  Compt.  rend.  ac.  sc.  117.  670,  1893;  118.  604,  und  119.  92,  1894. 

6)  Chem.  Zentr.   1896.  57. 


606  Kap.  X,   §  196  u.  197. 

Über  die  Bildung  möglichst  großer  Mengen  von  Nitraten  unter 
verschiedenen  für  das  Gewerbe  in  Betracht  kommenden  Bedingungen 
haben  M  ü  n  t  z  und  L  a  i  n  e  ^)  umfangreiche  Versuche  angestellt. 
Die  Nitrifikation  ließ  sich  in  Komposterde  bis  auf  27 — 33  g  Salpeter 
im  Kilogramm  Erde  steigern.  Durch  Auslaugen  mit  Wasser  erhielten 
die  Verfasser  Lösungen  mit  90 — 157  Voo  Salpeter.  Das  Eindampfen 
solcher  Lösungen  zur  Gewinnung  von  Salpeter  würde  sich  vielleicht  lohnen. 

Li  der  Literatur  finden  sich  verschiedene  Angaben,  die  besagen, 
daß  auch  noch  andere  Kleinwesen  imstande  seien,  zu  nitrifizieren,  so 
wollte  Heraeus^)  beim  Bac.  prodigiosus,  typhi,  anthracis,  8pir. 
Finkler-Prior  und  Deneke  u.  a.  eine  geringe  Nitritbildung  aus  Am- 
moniak nachgewiesen  haben.  Wahrscheinlich  sind  diese  Ergebnisse 
irrtümUch  und  daraus  zu  erklären,  daß  den  betreffenden  Nährböden 
Spuren  von  Nitraten  beigemengt  waren,  die  reduziert  werden  konnten 
(§  197),  Auch  ist  eine  Nitritaufnahme  aus  der  Luft  nicht  unmögUch^). 
Die  „Umzüchtung"  der  Salpeterbakterien  in  andere  Bakterien  und 
Schinmielpilze,  die  Stutzer,  Burri  und  Hartleb ^)  ausgeführt 
haben  wollten,  erwies  sich  bei  der  Nachprüfung  durch  Gärtner*), 
C.  F r ä n k e  1^)  und  Winogradsky  ebenfalls  als  trügerisch,  sie 
war  durch  unreine  Kulturen  vorgetäuscht  worden.  In  späteren  Ver- 
öffentlichungen hat  Stutzer  Winogradskys  Darstellung  im 
wesentlichen  bestätigt*).  Auch  Wimmer  (a.  a.  0.)  kommt  zu 
gleichen  Besnltaten.  Neuerdings  wird  aber  wieder  von  Heinze 
und  namentlich  D  u  n  b  a  r  die  Möglichkeit  der  Salpeterbildung  durch 
eiweißersetzende  Pilze  und  Bakterien  betont  (§  176). 

§  197.  Denitrifikation,  Nitritbildung.  Der  Nitrifikation,  die 
durch  die  Salpeterbakterien  bewirkt  wird,  steht  die  Denitrifikation 
oder  Stickstoffgärung  gegenüber.  Sie  verläuft  in  zwei  Zeiten,  der 
Reduktion  der  Salpetersäure  zu  salpetriger  Säure  oder  besser  der  Ni- 
trate zu  Nitriten  und  der  weiteren  iZersetzimg  der  Nitrite  zu  Stickstoff. 
Unter  Umständen  geht  die  Reduktion  bloß  bis  zum  Stickoxyd  (§  200), 
oder  noch  weiter  bis  zum  Ammoniak  (§  199).  Die  Entstehung  des  Nitrits 
aus  Nitrat  wurde  schon  1862  von  Goppelsröder')  im  Erdboden 
beobachtet  und  von  M  e  u  a  e  1®)  auf  Bakterien  Wirkung  zurückgeführt. 
Die  Entbindung  freien  Stickstoffe  aus  Nitraten  bei  der  Fäulnis  und  im 

1)  Compt.  rend.  ac.  sc.   141.  861,  1905. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1.   193,   1886. 

3)  Omeliansky,   Zentr.   Bakt.   2.   Abt.    5.   474. 

4)  Ebenda  1—3,  1895—1897, 

5)  Ebenda  4.   1898. 

6)  Ebenda  7,   1901. 

7)  Poggendorfs   Annalen    195,    125. 

8)  Ber.  ehem.    Gesellsch.    1875.    1214  und   1653. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  607 

Erdboden  stellte  zuerst  Schlösing  fest^).  Gayon  und  duPetit^), 
sowie  D  e li  e r a i n  und  Maquenne^)  machten  dann  bestimmte 
Mikroorganismen  für  die  Gärmigyerantwortlicli,die  letzteren  einen  streng 
anaeioben  Buttersäuiebazillus,  was  übrigens  nicht  bestätigt  worden  ist, 
die  ersteren  luftliebende  Bakterien,  die  Bac.  „denitrificans  a  und  ß'\ 
Die  Zahl  der  später  isolierten  Arten  ist  eine  recht  bedeutende  (§  198). 
Den  meisten  Mikroorganismen  ist  die  Fähig- 
keit eigen,  Nitrat  zu  Nitrit  zu  reduzieren.  So  fand 
Maassen^),  dem  wir  wohl  die  vollständigsten  Untersuchungen  darüber 
verdanken,  miter  107  daraufhin  untersuchten  Bakterien  84,  die  in 
5prozentiger  Peptonlösong  (mit  0,5%  Salpeter)  dazu  imstande  waren. 
Manche  Hefe-  und  Schimmelpilze  besitzen  nach  K.  W  o  1  f  f  ^)  eben- 
falls diese  Eigenschaft.  Sie  ist  freilich  sehr  verschieden  stark  ent- 
wickelt, auch  bei  den  Stämmen  derselben  Art  (z.  B.  Bac.  diphtheriae, 
cyanogenes)  und  bei  nahe  verwandten  Arten,  z.  B.  Heubakterien, 
fluoreszierenden  Bazillen  und  Kommabazillen.  Die  Zusammen- 
setzung des  Nährbodens  hat  Einfluß  auf  das  Ergebnis. 
Einmal  gibt  es  Bakterien,  die  das  Nitrat  nicht  angreifen,  wenn  ihnen 
andere  Stickstoffquellen  daneben  zu  Gebote  stehen,  z.  B.  die  Bac. 
megatherium  und  mesentericus  vulgatus.  Dann  konmit  die  Art  der 
Kohlenstoffnahrung  erheblich  in  Betracht.  Meist  ist  die  Nitratreduk- 
tion eine  sehr  viel  kräftigere  in  Nährböden,  die  neben  Pepton  noch 
Kohlenhydrate,  Glyzerin  oder  organische  Säuren  enthalten.  Anderer- 
seits schwächt  reichlicher  Sauerstoffzutritt  die  Beduktion,  wenn  sie 
sie  auch  nicht  verhindert.  Doch  scheinen  sich  die  einzelnen  Mikro- 
o^anismen  verschieden  zu  verhalten,  ebenso  wie  gegen  den  Zusatz 
von  chlorsaurem  Kali  (0,6 %) ;  nach  M  a a s s  e n  verhindert 
dieser  bei  vielen  Bakterien  die  Nitritbildung  (s.  u.),  bei  dem  Bac.  pyo- 
cyaneus  aber  nicht,  obwohl  er  das  Wachstum  nicht  henmit.  Freilich 
ist  dieses  Bakterium  einer  der  kräftigsten  Nitratzerstörer,  verwandelt 
es  doch  0,5%  Salpeter  binnen  24  Stunden  vollständig  in  salpetrig- 
saures Salz.  Wichtiger  als  dieses  noch  wenig  klare  Verhältnis  ist  die 
Tatsache,  daß  manche  strengeAerobier  unter  den  n  i  t  r  i  t  • 
bildenden  Bakterien  bei  Gegenwart  von  Salpeter 

1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  66.  237,  1868;  77.  203  u.  353,  1873.  Nach 
WaringtonmidH.  Jensen  (Lafars  Handb.  3. 186)hätteA.  Smith 
1867  die  Stickstoff entbindung  entdeckt.    Hier  auch  andere  Lit. 

2)  Ebenda  95.   644,   1882,  und  Annal.  agronom.    1886.   256. 

3)  Compt.  rend.   95.   691,   732  und  854,    1882. 

4)  Arb.   Gesundheitsamt   18.    1,    1901  mit  Literatur. 

5)  Hyg.  Rundschau  1899.  546  nach  Laurent  (Bull.  Ac.  Roy. 
Belgique  1890)  sollen  auch  PeniciUium  glauciim,  Mucor  racemosus  und 
^acharomyces  reduzieren. 


608 


Kap.  X,   §  197  u.   198. 


anaerob  wachsen  (z.  B.  Pyocyaneus,  die  fluoreszierenden 
Bazillen  usw.  vgl.  S.  610).  Sie  benutzen  offenbar  den  gebundenen 
Sauerstoff  der  Nitrate  an  Stelle  des  freien  der  Luft^). 

In  folgender  Liste  ist  das  Verhalten  der  bekannten  Mikroorganismen 
angegeben : 

Nitrat  reduzieren  binnen  4  Wochen  zu  Nitrit*): 


stark 

Bac.  aerogenes 
coli 

enteritidis 
typhi 

rhinoscleromatis 
suipestifer 
typhi  murium 
proteus  vulgaris 
„      mirabilis 
prodigiosus 
phosphorescens 
pyocyaneus 
fluorescens  lique- 

faciens  a 
mycoides 

mesentericus  ruber 
mesentericus  aus 
Milch 

Semiclostridium  com- 
mune 

Staphyl.  pyog.  albus 
„  „      aureus 

Spirillum  Deneke 
,,        Blankenese 

Mucor  mucedo 

Rosahefe 

Orangehefe. 


mittelmäßig  oder  schwach  gar  nicht 

Bac.  anthracis  Bac.murisepticus 


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mallei 
diphtheriae 
pseudotuberculosis 
pestis 

cholerae  gallinarum 
suisepticus 
pneumoniae 
proteus  Zenkeri 
Zopfii 

faecalis  alcaUgenes 
tuberculoidesMöUer 

Petri 
Rabi- 
nowitsch 
fluorescens  non  li- 

quefaciens 
indigonaceus 
cyanogenes 
violaceus 
Kiliensis 
Microc.  candicans 
Sarcina  mobilis 
„       flava  2. 
Spirillum  cholerae 
Massaua 
Metschnikoff 
Berolinensis 
Monilia  Candida. 


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megatherium 

subtilis 

mesentericus 

vulgatus 
fluorescens 

liquefaciens  ,9 
fluor.    non 

liquefaciens  {i 
praepollens 
Sarcina  aurantiaca 
flava  1. 

Finkler-Prior 

Miller 

rubrum 

rugula 

serpens 

volutans 
Oidium  lactis. 


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Spir. 


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1 )  Über  die  Energieverhältnisse  der  Keaktion  und  deren  enzymatische 
Natur  s.  u.    §  198. 

2)  Zum  Nachweis  dienen  außar  der  Gelbfärbung  und  Gasentwicklung 
durch  Säurezusatz  entweder  Jodkaliumstärkekleister  mit  Schwefelsäure 
oder  Sulfanilsäiu-e  und  Naphtylamin.  Über  die  sog.  Nitrosoindolreaktion 
vgl.   §  170. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoff körper.  609 

§  198.  Stickstoffgärnng.  Die  weitere  Reduktion  des  Nitrits 
führt  zu  verschiedenen  Vorgängen,  zur  Bildung  von  Stickoxyd,  freiem 
Stickstoff  und  von  Ammoniak.  Wir  besprechen  zunächst  die  Ent- 
bindung von  Stickstoff,  oder  wie  man  wohl  sagen  darf,  die  Stick- 
Stoffgärung.  Sie  wird  verursacht  durch  verschiedene,  haupt- 
sächlich im  Kot  der  Pflanzenfresser^),  Mist,  Stroh,  in  gedüngter  und 
imgedüngter  Erde*),  ja  selbst  im  Meere^)  lebende  Mikroorganismen, 
deren  Gegenwart  man  leicht  dadurch  feststellen  kann,  daß  man  die  be- 
treffenden Stoffe  in  Salpeterbouillon  einträgt  und  — am  besten  bei  Sauer- 
stoffabschluß —  in  den  Brutofen  stellt.  Schaumbildung  zeigt  die  Gä- 
rung an.  Von  den  bisher  rein  gezüchteten  Bakterien  mögen  die  von 
B u r r i  und  Stutzer^)  beschriebenen  Bac.  denitrificans  I  und  II 
iBact.  Stutzeri^)),  das  Bact.  Hartlebi  Jensens®),  der  Vibrio  denitrifi- 
cans Severins*^),  der  Bac.  praepollens  Maaßens  aus  Fäzes 
(S.  535),  die  Farbstoffbildner  Bac.  pyocyaneus®),  fluorescens  liquefa- 
ciens*)  und  non  liquefaciens^**),  der  Bac.  vulpinus^^)  genannt  sein.  Die 
meisten  sind  streng  aerobe  Bakterien,  einige  zer- 
setzen Eiweiß  kräftig,  alle  sind  unfähig,  Ko  hlenhydrate 
zu  vergären.  Die  Mehrzahl  wächst  auf  salpeterhaltigen  (0,2 — 1,00) 
Nährböden  unter  Gasbildung  und  gleichzeitiger  Bildung  von  Nitrit 
(§  197),  der  Bac.  praepollens  und  denitrificans  I  gären  aber  nur  auf 
solchen,  die  salpetrige  Salze  (0,1 — 1,0)  enthalten.  Die  letzten  beiden 
Bakterien  können  daher  erst  Salpeterlösungen  vergären,  wenn  sie  zu- 
sammen leben  mit  Mikroorganismen,  die  Nitrat  zu  Nitrit  reduzieren  ^^). 
Die  Nitrit  bild  ung  und  S  ti  cks  t  o  f  f  gärung  sind  also 
Prozesse,  die  häufig  nebeneinander  vorkommen, 
die  aber  an  sich  voneinander  unabhängig  sind.    Das 


1)  H.  Jensen,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  3  und  4. 

2)  Vgl.  Höflich,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8.  247  ff.  und  v  a  n  1 1  e  r  - 
son  ebenda  9,  1903. 

3)Baur,    Gran,    Kochs    Jahresber.    1901. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  1.  257  u.  356,   1895,  vgl.  Weißenberg, 
Arck  f.  Hyg.  30,   1900. 

5)  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n ,  Bakteriologie. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  4.  449,   1898. 

7)  Ebenda  1.   162  und  3.  510,   1897;  22.  348,   1909. 

8)  W  e  i  ß  e  n  b  e  r  g  ».  a.  O. 

9)  K.  Wolf,  Hygien.  Rundschau  1899.  539. 

10)  Maaßen  a.  a.  O.  (§  197). 

11)  van  Iterson,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.   106,   1904. 

12)  Ober  die  schleimbildenden  Semiciostridien  (vgl.  §  128),  die  nach 
Maaßen  wahrscheinlich  auch  die  Schaumgärung  in  Zuckerfabriken 
(Salpetersäuregärung  der  Melasse)  verursachen,   vgl.    §  200. 

Km 86,  Mikrobiologie.  39 


610  Kap.  X,   §  198. 

entwickelte  Gas  ist  meist  reiner  Stickstoff  (vgl.  aber  §  200),  die  da- 
neben regelmäßig  gebildete  Koblensäuxe  bleibt  gewöhnlich  im  Nälu- 
boden  gebunden  an  die  AlkaUen,  die  durch  die  Zerlegung  der  Nitrite 
in  Freiheit  gesetzt  werden  imd  eine  stark  alkalische  Keaktion  erzeugen. 
Die  Gärung  beginnt  häufig  schon  am  ersten  Tage  und  ist  gewöhnlich 
bis  zum  zehnten  vollendet. 

Die  Stickstoffgäxung  wird  noch  mehr  als  die  Reduktion  des  Nitrats 
von  der  Zusanmiensetzung  des  Nährbodens  und  den  Arteigenheiten  der 
Mikroorganismen  beeinflußt.  Der  Bac.  praepollens  verursacht  die 
Gärung  nur  in  eiweißhaltigen  Nährböden,  weil  er  in  anderen  überhaupt 
nicht  zur  Entwicklung  gelangt;  der  Bac.  pyocyaneus  vergärt  nach 
M  a  a  ß  e  n  Nitrat  schon  bei  gleichzeitiger  Anwesenheit  von  Pepton, 
das  Bact.  Stutzen  und  Hartlebi  nach  Salzmann  ^)  nur,  wenn  außer 
dem  Pepton  noch  Kohlenhydrate,  Alkohole  und  organische  Säuren  vor- 
handen sind.  Derartige  leicht  oxydierbare  Stoffe 
begünstigen  in  jedem  Falle  die  Gärung,  doch  zeigen 
sich  erhebliche  unterschiede  bei  den  einzelnen  Bakterienarten.  Jen- 
sens denitrifizierende  Bakterien  griffen  den  Salpeter  nicht  an,  wenn 
ihnen  als  einzige  Kohlenstoffquelle  Glyzerin  und  Traubenzucker  ge- 
boten wurde,  die  fluoreszierenden  Bakterien  M  a  a  ß  e  n  s  konnten 
das  dagegen  leisten.  Das  Bact.  Hartlebi  vergor  nach  S  a  1  z  m  a  n  n 
den  Salpeter,  wenn  ihm  außer  dem  Pepton  noch  ein  ameisensaures 
Salz  geboten  wurde,  das  Bact.  Stutzeri  nicht.  Oxalsaures  Salz  als 
Zugabe  reichte  bei  beiden  Bakterien  nicht  aus,  der  Prozeß  blieb  viel- 
mehr bei  der  Nitritbildung  stehen.  Von  den  Kohlehydraten  erwiescD 
sich  Hexosen  und  Pentosen,  Disaccharide  und  Gummiarten  bald  als 
brauchbar,  bald  nicht;  Beispiele  dafür  findet  man  bei  Salzmann 
und  Lemmermann*)  sowie  Krüger  imd  Schneidewind 
(S.  396).  Über  die  Bedeutung  solcher  Nährstoffe  für  die  „indirekte 
Denitrifikation"  durch  Säurebildner  vgl.   S.  616. 

Eine  besondere  Stellung  nehmen  die  denitrifizierenden  Bakterien 
ein,  die  organische  Stoffe  bei  ihrer  Ernährung  entbehren  können  und 
statt  ihrer  Schwefel  als  Kraftquelle  benutzen  (§  210).  Nach  Sto- 
klasa  (§  171)  lassen  die  Denitrifikationsbakterien  bei  gleichzeitigem 
Vorhandensein  von  Eiweiß  (Leim)  oder  Asparagin  und  Salpeter  jene 
verwickelten  Stickstoffverbindimgen  ziemlich  unberührt. 

Über  den  Einfluß  des  Sauerstoffs  auf  die  Stickstoff- 
gärung lauten  die  Angaben  der  einzelnen  Forscher  nicht  gleich.   Bei 

1)  Chemisch-physiologische     Untersuch\ingen     usw.      Phil,     Dißsert. 
Königsberg  1902  (vgl.    §  29  ff.). 

2)  Kritische  Studien  über  Denitrifikationsvorgänge.    Habilitat.    Jena 
1900  mit  Literatur. 


Wandliuigen  einfcK^her  Stickstoff körper.  611 

dem  Bac.  praepollens  soll  starke  Durchlüftimg  nach  M  a  a  ß  e  n 
die  Gärwirkung  nur  wenig  beeinträchtigen,  bei  den  fluoreszierenden 
Bakterien  sie  jedoch  erheblich  schwächen.  Bei  allen  Bakterien  war  sie 
nach  diesem  Autor  unter  völligem  Luftabschluß  weniger  kräftig  als 
bei  mäßigem  Luftzutritt.  Zusatz  von  chlorsaurem  Kali 
hemmte  und  verhinderte  die  Gärung,  nicht  das  Wachstum  (vgl.  o. 
S.  607).  Andererseits  fanden  B  u  r  r  i  und  Stutzer,  daß  in  Kulturen 
ihres  Bac.  denitrificans  die  Stickstoffentbindung  imterblieb,  wenn  be- 
ständig Luft  hindurchgesaugt  wurde.  Ebenso  beobachtete  Weißen- 
berg,  daß  bei  Züchtimg  des  Bac.  pyocyaneus  und  Stutzeri  in 
dümien  Schichten  mit  unbeschränktem  Luftzutritt  die  Denitrifikation 
nicht  bis  zur  Stickstoffgärung  fortschritt,  sondern  bei  der  Nitritbildung 
stillstand.  Vast  alle  Forscher  machten  femer  die  Bemerkung,  daß 
ihre  Bakterien  in  Nährböden,  die  kein  Nitrat  oder  Nitrit  enthielten, 
bei  vollständiger  Anaerobiose  überhaupt  nicht  wuchsen,  in  Gegenwart 
dieser  Körper  aber  sich  gut  entwickelten  und  Gänmg  hervorriefen. 
Mit  anderen  Worten :  das  Leben  ohne  freien  Sauerstoff 
wird  diesen  luftliebenden  Mikroorganismen  erst 
durch  die  Stickstoffgärung  ermöglicht.  Die  Re- 
duktion des  Salpeters  zu  Nitrit  hatte,  wie  wir  sahen,  denselben  Ein- 
fluß auf  diese  Aerobier,  beide  Prozesse  verschieden  aufzufassen,  liegt 
also  wohl  kein  Grund  vor :  beide  liefern  Energie,  die  Ni- 
tratreduktion aber  weniger  als  die  Stickstoff- 
gärung des  Nitrits. 

Die  Reduktion   der    Salpetersäure   zu   salpetriger    Säure   verläuft   in 
wässeriger  Lösung  nach  der  Formel: 

1)    H^jOe  =»  HjNjjO*  +  20  (—  36,6  Kai.). 

Wollen  wir  daraus  die  volle  Energiegleichung  ableiten,  so  müssen  wir 
wiseen,  was  aus  dem  frei  werdenden  Sauerstoff  wird:  Offenbar  wird  er  zur 
Oxydation  organischer  Stoffe  verbraucht,  z.  B.  des  Traubenzuckers,  Gly- 
zerins, Alkohols,  der  Wein-  oder  Essigsäiire,  die  den  Denitrifikations- 
bakterien nebenher  geboten  werden.  Wir  werden  später  (§  227)  sehen, 
daß  durchschnittlich  50 — 60  Kai.  dabei  für  jedes  Sauers toffatom,  das 
verbraucht  wird,  entwickelt  werden.  Nehmen  wir  die  Zahl  für  den  Trauben- 
zucker =  56,  so  haben  wir  nach  Formel  1  einen  Überschuß  von 

X  =  112  —  36,6  =  75,4  Kai. 

als  Wärmewert  für  die  Reduktion  der  Salpetersäure  zu  salpetriger  Säure  und 

dieOxydation  der  Kohlenstoff  Verbindung  durch  den  frei  werdenden  Sauerstoff. 

Ahnlich  haben  wir  bei  der  Vergärung  der  salpetrigen  Säure  zu  Stickstoff: 

2)    HjNjO*  =  N.  -f  30  -{-  HgO  (+  6,8  Kai.). 

Hier  können  wir  wieder  für  3  O  den  durchschnittlichen  Wärmewert  ein- 
setzen, den  wir  oben  für  die  Oxydation  organischer  Substanzen  durch  den 
freien  Sauerstoff  ermittelt  haben,  so  bekommen  wir  einen  tJberschuß  von 

y  =  168  +  6,8  =  174,8  Kai. 

89* 


612  Kap.  X,    §  198  u.   199. 

als  Wärmewert  für  die  Reduktion  der  salpetrigen  Säure  zu  Stickstoff  imd 
die  Oxydation  der  kohlenstoffhaltigen  Verbindung  durch  den  frei  werdenden 
Sauerstoff.  Nun  vergärt  freilich  nicht  die  salpetrige  Säure,  sondern  das 
Nitrit.  Dabei  wird  das  Metall  des  Nitrits  aus  seiner  Verbindung  mit  der 
salpetrigen  Säure  wohl  in  Form  des  Hydroxyds,  z.  B.  KHO  in  Freiheit 
gesetzt,  wodurch  eine  gewisse  Wärmemenge  gebunden  wird.  An  das  freie 
Alkali  tritt  aber  wieder  die  bei  dem  Oxydationsprozeß  entstandene  Kohlen- 
säure oder  organische  Säure  (z.  B.  Oxalsäure,  Zitronensäure)  und  entwickelt 
eine  entsprechende  Wärmemenge.  Der  Wert  für  y  wird  sich  also  durch 
die  Korrektur  nicht  wesentlich  verändern.  Wir  hätten  danach: 
x  :  y  =  75,4  :  174,8,  d.  h.  die  bei  der  Reduktion  der  Nitrite  ent- 
wickelte Energie  verhält  sich  zu  der  bei  der  Vergärung  des  Nitrits  zu  Stick- 
stoff entwickelten  wie  3  :  7.  Direkte  Messungen  der  R«aktionswänne 
liegen  noch  nicht  vor,  ebenso  fehlt  eine  Bestimmung  der  bei  der  Denitri- 
fikation gebildeten  Oxydationsprodukte.  Daß  hauptsächlich  Kohlensäure, 
gebildet  Tidrd ,  weniger  organische  Säure,  ist  aus  der  alkalischen 
Reaktion  zu  schließen ,  die  regelmäßig  so  stark  ist,  daß  sie  der 
Ojärung  ein  Ziel  setzt. 

Die  Reduktion  des  Nitrats  zu  Nitrit  beruht  wahrscheinlich  auf 
einem  Enzym,  das  auch  bei  höheren  Organismen,  besonders  den  Sal- 
petersäure assimilierenden  Pflanzen,  weit  verbreitet  ist  (Laurent  ^)). 
Stepanow*)  gelang  es,  auch  mit  tierischem  Organbrei  bei  Chloro- 
formzusatz, nicht  bei  Blausäureanwesenheit,  Reduktion  von  Nitraten 
nachzuweisen.  Versuche  mit  Bakterien  fehlen  und  die  Erfahrungen,  die 
bei  anderen  Reduktionen  gemacht  worden  sind,  lassen  sich  nicht  ohne 
weiteres  auf  die  hier  in  Frage  stehende  übertragen  (S.  106,  203,  §  161. 
205,  214  ff.). 

Die  enzymatische  Natur  der  Stickstoffgärung  ist  auch  noch  zu 
beweisen.  Daß  aber  die  Stickstoffentwicklung  aus  Nitriten,  die 
Wroblewski,  Buchner  und  Rapp  im  Hefepreßsaft 
und  Grodlewski  imd  Polszenius^)  bei  der  anaeroben  Kultur 
keimender  Erbsensamen  in  Salpeterlösung  beobachtet  haben,  ein 
enzjmatischer  Vorgang  wäre,  ist  zu  bezweifeln.  Wahrscheinlich  ist 
es  eine  einfache  chemische  Reaktion,  bedingt  durch  das  Vorhanden- 
sein von  Amiden  und  Säuren  im  Preßsaft  (s.  u.  S.  617). 

§  199.  Reduktion  der  Salpetersäure  zu  Ammoniak.  Die- 
jenigen Mikroorganismen,  die  keine  Stickstoff- 
gärung hervorrufen,  können  dennoch  das  Nitrit 
zerstören,  indem  sie  es  zu  Ammoniak  reduzieren. 
Es  scheint  das  der  gewöhnliche  Weg  zu  sein,  den 


1)  Annal.   Pasteur  1890.   722. 

2)  Arch.   f.   exper.    Pathologie   47,   411,    1902,   vgl.    Abele  us  und 
G6rard,  Ck)mpt.  rend.  ac.  sc.    129.   56,   1899. 

3)  Anzeiger  Akad.  Krakau,   Juli  1897. 


Wandlungen  einfacher  . Stickstoff körper.  613 

die  Mikroben  einschlagen,  wenn  sie  den  Stick- 
Stoff  der  Nitrate  oder  Nitrite  zur  Assimilation 
verwenden  (vgl.  S.  109  ff.).  M  a  a  ß  e  n  (a.  a.  0.  §  197)  hat  das 
für  eine  größere  Zahl  von  Bakterien  festgestellt,  indem  er  sie  in  Nähr- 
lösimgen  züchtete,  die  Nitrat  oder  Nitrit  allein  als  Stickstoffquelle 
enthielten.  Dazu  eignet  sich  z.  B.  die  G  i  1 1  a  y  sehe  Lösung,  die  auf 
1000  aq.  2  g  Salpeter,  5  g  Zitronensäure,  2  g  schwefelsaures  Magnesium, 
2  g  Monokaliumphosphat,  0,2  g  Ghlorkalzium,  eine  Spur  Eisenchlorid 
lind  2  g  Zucker  oder  Glyzerin  usw.  enthält  imd  natürlich  vor  der  Imp- 
fung neutralisiert  werden  muß.  M  a  a  ß  e  n  verwandte  eine  ähnliche 
Lösung,  in  der  die  Zitronensäure  durch  Apfelsäure  ersetzt  war.  Alle 
27  Bakterienarten,  die  in  dem  Nährboden  überhaupt  wuchsen,  redu- 
zierten das  Nitrat  zu  Nitrit  und  das  Nitrit  zu  Ammoniak. 

Manche  von  diesen  Nitratverzehrem  —  sie  sind  Aerobier,  ver- 
flüssigen Gelatine  imd  bilden  teilweise  fluoreszierenden  Farbstoff  — 
verdienen  nach  Ger  lach  und  VogeP)  den  Namen  „Eiweiß- 
bakterien", weil  sie  das  ihnen  gebotene  Nitrat  wenigstens  bis  zu  0,3  % 
ohne  jeden  Verlust  in  Eiweiß  überführen.  Nitrit  tritt  dabei  vorüber- 
gehend auf,  Ammoniak  fanden  die  Autoren  nicht,  wohl  weil  es  zu 
schnell  verbraucht  wird.  Auffallend  ist  es,  daß  dieselben  Bakterien 
Ammonsulfat  oder  -karbonat,  das  ihnen  statt  des  Nitrats  geboten 
wird,  nicht  so  vollständig,  sondern  nur  zu  12 — 48%  assimiüeren.  Viel- 
leicht liegt  es  daran,  daß  die  Gegenwart  größerer  Mengen  von  Ammon- 
salzen  die  Eiweißbildung  hemmt,  wie  M  a  z  6  *)  für  höhere  Pflanzen 
und  Winogradsky  für  Nitratbakterien  nachgewiesen  haben  (S.  604). 
Ein  besonderes  Gewicht  möchten  \^ir  auf  die  von  G  e  r  1  a  c  h  und 
Vogel  nicht  betonte  Tatsache  legen,  daß  diese  Bakterien  ihr  Eiweiß 
mit  dem  geringsten  Aufwand  von  stickstofffreien  Nährstoffen  auf- 
bauen. So  genügten  5  g  Zucker  im  Liter  der  Nährlösimg,  um  den  Stick- 
stoff von  3  g  Natriimmitrat  in  Eiweißstickstoff  umzuwandeln.  Das 
ist  eine  Leistung,  die  andere  Bakterien  und  selbst  Schimmelpilze  kaum 
fertig  bringen  (§  232  ff.)-  Wir  werden  allerdings  weiter  imten,  wenn 
TO  die  Energiebilanz  dieser  Stoffwechselvorgänge  aufstellen,  sehen, 
daß  sich  dabei  Schwierigkeiten  ergeben. 

Auch  diejenigen  Bakterien,  die  Stickstoffgärung  hervorrufen, 
bilden  nebenher  Ammoniak,  allerdings  nur  spurenweise,  denn  der 
Hauptteil  des  Nitrats  verfällt  hier  der  Gärung.  Ob  dabei  ein  Teil  des 
assimilierten  Stickstoffs  als  organische  Stickstoffverbindung  von  den 
Bakterien  ausgeschieden  wird,  wie  es  B u r r i  und  Stutzer  u.  a. 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  7.   17/18,   1901. 

2)  Annal.  Pasteur  1900.  26. 


614  Kap.  X,   §  199  u.  200. 

wollen,  ist  nach  Maaßen  zweifelhaft.  Einige  Autoren  haben  den 
Versuch  gemacht,  eine  Stickstoffbilanz  aufzustellen.  So  fanden 
Pfeiffer  und  Lemmermann^)  bei  der  Stickstof^ärung  ihres 
Bac.  denitrificans  in  Giltaj^cher  Lösung  89,3%  des  Salpeteistick- 
stoffs  in  freiem  Stickstoff,  11,95%  in  der  Gärflüssigkeit  xmd  den  Bak- 
terienleibem  wieder.  Nach  Salzmann  (S.  610)  assimilierte  das 
Bact.  Hartlebi  in  einer  ähnlichen  Lösung  etwa  13  %  des  Salpeterstick- 
stoffs, während  der  Rest  als  Gas  entbunden  wurde.  In  Nährböden, 
die  außer  dem  Salpeter  noch  andere  Stickstoffquellen,  z.  B.  Pepton 
enthalten,  kann  der  Stickstoff  des  Salpeters  bis  zu  100  %  in  Freiheit 
treten.  Der  Salpeter  dient  daher  in  diesem  Falle  ausschließlich  als 
Earaftquelle,  nicht  zur  Assimilation. 

Ob  auch  die  Ammoniakbildung  bei  denjenigen 
Mikroorganismen,  die  nicht  fähig  sind  zur  Stick- 
stoffgärung, eine  Kraftquelle  darstellen  kann, 
ist  zweifelhaft,  da  nach  M a a ß e n  größere  Mengen  von  Am- 
moniak in  den  Kulturen  nicht  angehäuft  werden,  sondern  anscheinend 
immer  nur  etwa  soviel  aus  dem  Nitrat  entsteht,  wie  zur  Assimilation 
verbraucht  wird.  Doch  haben  M  a  a  ß  e  n  und  schon  vor  ihm  Low-) 
imd  Dieudonne^)  gefunden,  daß  auch  in  eiweißhaltigen  Nähr- 
lösungen das  Nitrit  von  vielen  Bakterien  ohne  Stickstoffentwicklung 
aufgezehrt,  also  wohl  in  Ammoniak  verwandelt  wird.  Von  109  ge- 
prüften Mikroorganismen  ließen  50  in  Peptonlösung  mit  0,01  %  Nitrit 
das  Nitrit  verschwinden,  nur  4  unter  Stickstoffentwicklung.  Die  Fähig- 
keit, das  Nitrit  zu  reduzieren,  war  auch  einzelnen  Bakterien  eigen, 
die  Nitrate  nicht  reduzieren  konnten,  z.  B.  dem  Bac.  praepoUens,  me- 
gatherium  und  mesentericus  vulgatus,  und  umgekehrt  reduzierten 
41  Arten  das  Nitrat  imd  nicht  das  Nitrit.  Da  bei  dieser  Ammoniak- 
bildung,  in  Gegenwart  von  Eiweißstoffen,  eine  nachträgliche  Assimi- 
lation wohl  kaum  in  Betracht  kommt,  so  könnte  man  von  einer  ,.Äm- 
moniakgärung''  des  Nitrats  sprechen.  MögUch  wäre  sie  deswegen, 
weil  bei  der  Reaktion  eine  beträchtliche  Menge  Wärme  frei  würde. 

Die  Reaktion  verläuft  vielleicht  in  folgender  Weise: 

3)    HgNjO*  +  2HsO  =  2NH,  +  60  (—  1Ö8  Kai.) . 

Durch  die  Verbrennung  von  kohlenstoffhaltigen  Verbindungen,  z.  B.  von 
Zucker  mittelst  der  6  Atome  Sauerstoff,  würden  entwickelt  (S.  611)  336  Kai., 
wir  gewännen  also  aus  der  Vergärung  des  Nitrits  zu  Ammoniak: 

z  =  336  —  158  =  178  Kai. 


1)  Landwirtsch.  Vorsuchsstat.  50.   118,   1898. 

2)  Ber.  ehem.   Gesellsch.   1890,  675. 

3)  Arbeit.   Gesimdheitsamt  11.  508,  1895. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  615 

AL<w  wäre  die  Ammoniakbildung  wirklich  eine  gute  Kraftquelle  für  die 
Mikroorganismen,  natürlich  nur  dadurch,  daß  der  bei  der  Reduktion  frei 
werdende  Sauerstoff  energische  Oxydationen  vollbringt. 

Wenn  wir  uns  die  Reduktion  entstanden  denken  durch  Einwirkung 
freien  Wasserstoffs  auf  das  Nitrit,  so  würde  noch  mehr  Wärme  gebildet 
werden.  Der  Prozeß  der  Wasserstoffbildung  führt  aber,  wie  wir  bei  Ge- 
legenheit der  Milchsäure-  und  Buttersäuregärungen  gesehen  haben,  immer 
wieder  auf  die  Spaltung  des  Wassers  zurück,  die  unter  Bindung  von  viel 
Wärme  verläuft.  Es  ist  also  am  einfachsten,  die  Formel  3  zum  Ausgangs- 
punkt zu  nehmen. 

Mit  Hilfe  der  Gleichiuig  3  und  1  auf  S.  611  können  wir  auch  eine  Stoff- 
und  Kraftbilanz  der  oben  genannten  Eiweißbakterien  von  G  e  r  1  a  c  h 
und  Vogel  aufstellen.  Wenn  3  g  Natriunuiitrat  NaNO,  5  g  Traubenzucker 
entsprechen,  kommen  auf  85  g  Natriumnitrat  (=  I  Grammolekül)  142  g 
Zucker.  Aus  85  mgr  NaNO,  werden  durch  Reduktion  17  g  NH,.  Dabei 
werden  16  g  Sauerstoff  (1  Atom  nach  Gleichung  1)  für  die  Reduktion  des 
Nitrats  zu  Nitrit  und  3  x  16  =  48  g  Sauerstoff  (3  Atome  nach  Gleichung  3) 
für  die  des  Nitrits  zu  Ammoniak,  im  ganzen  also  4xl6»64gO  frei  d.  h. 
etwa  soviel,  wie  zur  vollständigen  Verbrennung  von  60  g  Traubenzucker 
(^j  Grammolekül)  nötig  sind.  Es  bleiben  also  übrig  82  g  Zucker  zum 
Aufbau  des  Eiweißes  aus  17  g  Ammonicik.  Diese  genügen  aber  nicht, 
sondern  es  ist  nach  §  231  erheblich  mehr  Zucker  nötig.  Es  müßte  sich 
also  entweder  um  ein  abnorm  zusammengesetztes,  d.  h.  besonders  stick- 
i^toffreiches  Eiweiß  handeln,  oder  um  Fehler  in  den  Berechnungen  von 
(J  e  r  1  a  c  h  und  Vogel.  Den  Nachweis,  daß  wirklich  Eiweiß  gebildet 
und  in  den  Körpern  der  Bakterien  festgelegt  war,  suchten  die  Forscher 
dadurch  zu  führen,  daß  sie  die  Abwesenheit  von  Nitraten,  Nitriten  und 
Ammoniak  in  der  ausgewachsenen  Kultur  feststellten  und  den  Stickstoff 
sowohl  in  der  filtrierten  als  unfiltrierten  Kultur  durch  dEis  Kjeldahlsche 
Verfahren  bestimmten.  Das  Filter  hielt  den  Stickstoff,  der  dem  des  dar- 
frebotenen  Natriumnitrats  entsprach,  bis  auf  Spuren  zurück. 

Eine  Nachprüfung  der  Versuche  von  G  e  r  1  a  c  h  und  Vogel  wäre 
erwünscht. 

§  200.  Entwicklung  von  Stickstoff oxyden.  Bedeutung  der 
Stick  Stoff  entbindung.  Mit  den  bisher  besprochenen  drei  Fällen  de^- 
Reduktion  des  Nitrats  zu  Nitrit,  Stickstoff  und  Ammoniak,  haben  wir 
noch  nicht  alle  Möglichkeiten  der  Umwandlung  der  Oxyde  des  Stick- 
stoffs erschöpft.  Schon  lange  bekannt,  wenn  auch  nicht  richtig  ge- 
deutet, war  die  sogenannte  „Salpetersäuregärung"  der  Melasse,  bei 
der  sich  aus  dieser  rotbraune  Dämpfe  von  Stickstoffdioxyd 
(XOg)  entwickeln^),  femer  sahen  schon  Schlösing,  Deherain 
undMaquenne,Gayon  und  du  P  e  t  i  t  u.  a.  (S.  607)  bei  der  Zer- 
setzung des  Salpeters  gelegentlich  auch  die  niederen  Oxydationsstufen, 
das  Stickoxyd  (NO)  und  Stickoxydul  (NgO)  erscheinen. 
Maaßen  (S.  607)  gelang  es  denn  auch,  durch  viele  Reinkulturen 

1)  Dubrunfaut,  Compt.  rend.  ac.sc.  66.  275, 1868,  vgl.Lafar,Tech- 
nwche  Mykologie  S.  279.    Erreger  sind  wohl  die  „Semiclostridien"  (S.  406). 


616  Kap.  X,   §  200. 

zwar  nicht  das  letzte  Gas,  aber  Stickoxyd  zu  erzeugen,  wenn  er  sie 
in  Peptonlösungen  züchtete,  die  neben  0,2 — 0,5%  Salpeter  noch  0,5 
bis  5%  Glyzerin,  Mannit  oder  Zuckerarten  enthielten. 

Unter  100  Bakterienarten  waren  31  imstande,  nicht  nur  Nitrat 
zu  Nitrit  zu  reduzieren,  sondern  auch  noch  das  Nitrit  zu  Stick- 
stoff und  Stickoxyd  zu  vergären.  Die  Gärung  erfolgte  im 
Gegensatz  zu  der  in  §  198  besprochenen  Stickstoffgärung  langsam, 
die  Gasbildung  begann  im  Gasröhrchen  meist  erst  am  3.  Tage,  manch- 
mal am  10.  Tage  und  noch  später  sichtbar  zu  werden.  Stickoxyd  wurde 
dabei  immer  nur  in  geringer  Menge  gebildet  und  dadurch  nachgewiesen, 
daß  besonders  bei  Säurezusatz  Gelbfärbung  der  Flüssigkeit  und  schwache 
Gasentwicklung  eintrat.  Nach  M  a  a  ß  e  n  wäre  diese  neue  Art  der 
Denitrifikation  nicht  abhängig  von  dem  Sauerstoff  und  auch  nicht 
von  dem  Vermögen  der  Bakterien,  Glyzerin,  Mannit  usw.  zu  vergären, 
wie  es  K.  W  o  1  f  ^)  für  den  Bac.  coli,  gewisse  Heubazillen  u.  a.  m.  an- 
genommen hatte;  doch  meint  der  Autor  hiermit  nur  die  Gärung  mit 
Gasentwicklimg,  denn  er  selbst  schreibt  ebenso  wie  Weißenberg ') 
der  Säurebildung,  oder  wie  man  auch  sagen  kann,  der  „sauren 
Gärung"  die  Hauptrolle  bei  dem  Prozeß  zu.  In  der  Tat  gehören  lauter 
Säurebildner  hierher,  so  der  Bac.  coli,  aerogenes,  Typhus, 
Paratyphus,  der  Bac.  p  r  o  t  e  u  s  vulgaris  und  mirabilis,  der  pro- 
digiosus,  Kiliensis,  mesentericuLS  und  die  ihm  verwandten  Semiclostri- 
dien  (S.  406).  Durch  die  saure  Beaktion  unterscheidet  sich  diese  „indi- 
rekte Denitrifikation"  (Grimbert)  von  der  echten  Stickstoffgärung, 
die,  wie  wir  gesehen,  stets  viel  Alkali  bildet.  Die  Wirkung  der  Säure  ist 
zunächst  die,  daß  die  salpetrige  Säure  aus  dem  Nitrat 
in  Freiheit  gesetzt  wird.  Zeigt  diese  schon  von  selbst  Nei- 
gung zum  Zerfall  in  Stickoxyd  und  Stickstoffdi- 
oxyd, so  wird  eine  andere  Zersetzung  durch  die  Gegenwart  von 
Ammoniak  verursacht:  die  salpetrige  Säure  setzt  sich  mit  ihm  — 
nach  K  e  r  n  ^)  schon  bei  gewöhnlicher  Temperatur  —  um  in  freien 
Stickstoff  und  Wasser  nach  der  Formel: 

N203+2NH3=2N,+  3H20. 

Daß  die  salpetrige  Säure  Ammoniak  in  der  Nährlösung  antrifft,  dafür 
ist  gesorgt,  da  es  sowohl  durch  Reduktion  aus  der  salpetrigen  Säure 
selbst  gebildet  (§199),  als  aus  dem  Pepton  abgespalten  wird  (§171u.l74). 
Weil  die  saure  Reaktion  erst  den  Vorgang  einleitet,  kann  er  durch  die 


1)  Hyg.  Rundschau  1899.  23. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  8.   160,   1902. 

3)  Landwirtschaft!.  Versuchsstat.   24.   368,    1880;  vgl.   auch  Di  et 
Zell,  Ber.  ehem.  Gesellsch.  1882,  551,  mit  Lit. 


Wandlungen  einfcMsher  Stickstoffkörper.  617 

Anwesenheit  von  reichlichen  Mengen  von  Ealziumkarbonat  im  Nähr- 
boden geschwächt  oder  unterdrückt  werden.  Unter  Umständen  soll 
freilich  nach  M  a  a  ß  e  n  die  Stickstoffentwicklung  auch  bei  alkalischer 
Reaktion  weitergehen.  Ein  näheres  Studium  wird  vielleicht  auch  das 
aufklären.  Jedenfalls  läßt  sich  auf  das  Freiwerden  von  salpetriger 
Säure  noch  eine  andere  Tatsache  zurückführen.  Grimbert^) 
hatte  schon  vor  M  a  a  ß  e  n  gefunden,  daß  der  Bac.  coU  und  typhi, 
also  zwei  der  obengenannten  Säurebildner  in  einer  Nährlösung,  die 
nicht  nur  Salpeter  und  Pepton,  sondern  auch  amidartige  Kör- 
per, z.  B.  aus  dem  Fleischextrakt,  enthielt  Stickstoff,  imd 
zwar  mehr  entwickelten,  als  dem  zerstörten  Salpeter  entsprach:  die 
nähere  Untersuchung  machte  es  wahrscheinlich,  daß  die  salpetrige 
Säure  ihn  durch  eine  ähnUche  Reaktion  mit  den  Amiden  erzeugt  hatte, 
wie  mit  dem  Ammoniak.  Bekannt  ist  auch  diese  Umsetzung  den 
(hemikem  schon  seit  lange^).  Da  im  Fleischextrakt  auch  Zucker 
vorhanden  ist,  so  ist  damit  die  MögUchkeit  einer  Säurebildung  und  Ent- 
bindung der  salpetrigen  Säure  aus  dem  Nitrit  gegeben.  In  solcher 
Weise  kommt  auch  vielleicht  die  Bildung  freien  Stickstoffs  bei  der 
Fäulnis  zustande  (vgl.  S.  560). 

Ähnhch  scheint  sich  die  Stickstoffentwicklimg  zu  erklären,  die 
nach  Wroblewski^),  Buchner  und  R  a  p  p  *)  salpetrig- 
saures  Salz  im  Hefepreßsaft  hervorruft.  20  ccm  des  letzteren 
lieferten  mit  1  g  Natriumnitrat  binnen  4  Tagen  bei  20°  75  ccm  reinen 
Stickstoff.  Durch  die  saure  Reaktion  des  Saftes  wird  dabei  NgOj 
entbunden,  der  sich  mit  den  Amiden  (Leuzin,  Tjnrosin)  der  Hefe  in 
Stickstoff  amsetzt. 

Nach  alledem  hat  man  wohl  diese  indirekte  Stickstoffgärmig  oder 
Denitrifikation  als  einen  rein  chemischen  Prozeß  anzusehen,  der  mit 
der  echten  Stickstoffgärung  als  einem  rein  biologischen,  vielleicht 
enzymatischen  Vorgang,  nichts  zu  tun  hat.  Die  Mikroorganismen, 
die  sie  hervorrufen,  können  durch  eigene  Kraft  nur  das  Nitrat  zu  Nitrit 
und  allenfalls  zu  Ammoniak  reduzieren;  nur  wenn  sie  zufällig  neben- 
her noch  aus  anderen  Stoffen  Säure  bilden,  kann  das  Bild  der  Stick- 
stoffgärung vorgetäuscht  werden. 

Auf  die  wirtschaftUche  Bedeutung,  welche  die  Denitrifikation 
haben  könnte,  hat  sich  bald  die  allgemeine  Aufmerksamkeit  gerichtet. 
Liegt  es  doch  anscheinend  auf  der  Hand,  daß  die  denitrifizierenden 


1)  Annal.  Fasteur  1899. 

2)  Vgl.  Anm.  3  auf  S.  616. 

3)  Zentr.  Physiol.   1899.  284. 

4)  Ber.  ehem.  Ges.  1901.   1563. 


618  Kap.  X,   §  200  u.  201. 

Bakterien  im  gedüngten  Erdboden  große  Stickstoffverluste  bedingen 
müssen^).  Die  weitere  Bearbeitung*)  dieser  Frage  hat  diese  Voraus- 
setzung nicht  recht  bestätigt.  So  große  Mengen  Mist,  wie  sie  im 
Laboratoriumsversuch  die  Denitrifikation  einzuleiten  vermögen,  werden 
eben  von  der  Landwirtschaft  kaum  angewandt.  Daran  ändern  wohl 
auch  nichts  die  neuesten  Versuche  S  e  w  e  r  i  n  s  (s.  o.  S.  609).  Eine 
Denitrifikation  im  Mist  selbst  kommt  schon  deswegen  nicht  in  Frage, 
weil  der  Mist  keinen  Salpeter  zu  enthalten  pflegt.  Um  so  bedeutsamer 
ist  hier  der  Stickstoffverbrauch  durch  Ammoniakverdunstung^). 
Übrigens  ist  die  früher  von  Winogradsky  aufgestellte  Theorie, 
nach  der  das  reichliche  Einbringen  von  organischen  Stoffen  in  den 
Boden,  das  für  die  Entwicklung  der  Denitrifikation  Vorbedingung 
ist,  die  Nitrifikation  aufheben  müßte,  also  auch  in  dieser  Beziehung  sich 
ein  Kampfverhältnis  zwischen  Nitrifikation  und  Denitrifikation  ergebe, 
ebenfalls  durch  die  neueren  Arbeiten  nicht  bestätigt  worden  (s.  o. 
S.  605).  Theoretisch  könnten  beide  Prozesse  ganz  gut  nebeneinander 
im  Boden  bestehen. 

§  201.   Bindung  freien  Stickstoffs.   Knöllchenbakterien. 

Daß  viele  Kleinwesen  aus  den  einfachsten  Stickstoffverbindungen, 
wie  aus  Anmioniak,  salpetriger  Säure  und  Salpetersäure  ihi  Eiweiß 
aufzubauen  vermögen,  haben  wir  schon  wiederholt  (§  32,  196  u.  199) 
gesehen.  Ebenso  gibt  es  aber  eine  Ernährung  durch  freien 
Stickstoff.  Hier  interessieren  uns  zunächst  die  Bedingungen, 
die  dafür  gelten.  In  Betracht  kommen  nach  unserer  kurzen  Übersicht 
auf  S.  113  vor  allem  die  Knöllchenbakterien  der  Schmetterlingsblütler, 
die  Wurzelpilze  der  Bäume  (§  202)  und  die  stickstoffixierenden  Erd- 
bodenkeime, namentlich  das  Clostridium  Pastorianum  und  Azotobacter 
chroococcum  (§  203).  Die  Geschichte  der  ersteren*)  ist  ebenso  alt  wie 
interessant.  Schon  bei  römischen  landwirtschaftlichen  Schriftsteilem 
findet  sich  die  Bemerkung,  daß  Lupine  und  Wicke  keines  Düngers 
zu  ihrer  Entwicklung  bedürften  und  ihrerseits,  grün  untergepflügt, 
selbst  als  Dünger  dienen  könnten.  Die  praktische  Erfahrung  hat  das 
auch  immer  wieder  bestätigt,  die  Erklärung  dafür  aber  wurde  erst  in 
den  letzten  Jahrzehnten  erbracht.    Allerdings  hatten  schon  bald  nach 


1)  Wagner,  Deutsch,  landwirtseh.  Presse  1895,  vgl.  aber  such 
Landwirtschaft!.  Versuchsstation  48.   267,   1897. 

2)  S.  bei  Pfeiffer  und  Lemmermann,  ebenda  50,  1898. 

3)  Vgl.  aber  darüber  D6h6rain  in  Kochs  Jahresber.  1898 
und   1899. 

4)  Vgl.  R  e  m  y ,  Stickstoffbindung  durch  Leguminosen.  Verh. 
Ges.  Naturf.  u.  Ärzte  74.  Vers.  Carlsbad  1.  200,  1903.  Hiltner  in 
Lafars    Handb.   3,   1904. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  619 

der  Entdeckung  des  Stickstoffe  verschiedene  Forscher  die  Möglich- 
keit in  Betracht  gezogen,  daß  höherePflanzen  den  fi*eien  Stick- 
stoff assimilieren  könnten,  die  Versuche  Boussingaults  aus  dem 
Jahre  1838^)  hatten  auch  schon  bewiesen,  daß  Erbsen  und  Klee  „den 
Stickstoff  fixierten'^  während  Getreidearten  dazu  nicht  imstande 
wären,  dennoch  gelangte  später  unter  dem  Einfluß  Boussingaults 
selbst,  L  i  e  b  i  g  s  u.  a.  die  Lehre  wieder  zur  Alleinherrschaft,  daß  die 
Pflanzen  ihren  Stickstoffbedarf  nur  aus  Verbindungen  wie  Ammoniak 
oder  Salpetersäure  decken  könnten.  Erst  die  Erfahrungen  Schultz '- 
Lupitz,  eines  praktischen  Landwirts,  lenkten  die  Aufmerksamkeit 
der  Forschung  wieder  auf  das  Problem,  das  dann  in  der  Hauptsache 
dnrch  Hellriegel*)  und  Wilfarth  gelöst  wurde.  Sie  zeigten 
in  mühevollen  Laboratoriumversuchen,  daß  Erbsen  in  sterilisierten 
stickstoffarmen  Boden  eingesät  und  später  vor  Lifektion  bewahrt, 
bald  an  Stickstoffhunger  zugrunde  gingen,  hingegen  gut  gediehen  und 
eine  stickstoffreiche  Ernte  brachten,  wenn  dieselbe  Erde  vorher  mit 
einer  geringen  Menge  einer  Au&chwemmung  von  fruchtbarem  Boden 
geimpft  worden  war.  Daß  diese  „Impfung"  nur  durch  die  lebenden 
Mikroo^amsmen,  die  sie  in  den  Boden  hineinbrachte,  wirkte,  wurde 
dadurch  bewiesen,  daß  der  Erfolg  ausblieb,  wenn  die  Bodenaufschwem- 
mung vorher  sterilisiert  war.  Gleichzeitig  machten  Hellriegel 
und  Wilfarth  die  Beobachtung,  daß  die  Wurzeln  der  gut  entwickelten 
Erbsenpflänzchen  mit  knöllchenförmigen  Auswüchsen 
besetzt  waren  und  daß  deren  Bildung  um  so  reichlicher  war,  je  mehr 
Stickstoff  die  Pflanzen  der  Luft  entnommen  hatten.  Diese  Wurzel- 
knöllchen  waren  allerdings  schon  seit  dem  17.  Jahrhundert  als  eine 
Eigentümlichkeit  der  Schmetterlingsblütler  bekannt  und  seitdem  viel 
studiert  worden.  Ihre  Bedeutung  war  besonders  rätselhaft  geworden, 
seitdem  Woronin^)  nachgewiesen  hatte,  daß  sie  regelmäßig  massen- 
haft lebende  Bakterien  enthielten.  Gerade  zur  Zeit,  als  Hellriegel 
und  Wilfarth  ihre  Versuche  anstellten,  hatte  Brunchorst*) 
zwar  die  Bakterieimatur  dieser  Gebilde  wegen  ihrer  unregelmäßigen, 
oft  verzweigten  Form  bestritten  und  sie  als  geformte  Eiweißkörper 
bezeichnet,  denen  er  den  Namen  der  Bakteroiden  gab.  Das  war 
natürlich  jetzt  sehr  unwahrscheinlich  geworden.  Es  gelang  denn  auch 
bald   danach    Beijerinck^)    die    Knöllchenbakterien,    den    Bac. 


1)  Ann.  chim.  phys.   67.   1  und  69.   353. 

2)  Tagebl.  Naturf.  Vers.    1886,  Beilageheft  zur  Zeitschr.  f.   Rüben- 
zuckerindustrie 1888. 

3)  M^m.  ac.  imp^r.  P^tersbourg  7.  s^r.   10,  1866. 

4)  Ber.  botan.  Gesellsch.   1885.  241. 

5)  Bot.  Zeitg.   1888,  726. 


620  Kap.  X,   §  201. 

radicicola    (Rhizobium   LeguminoBamm   Frank)   in   Beinkultui   zu 
züchten,   und   Prazmowski^),   mit  solchen  Kulturen  die  KnöU- 
chen  experimentell  hervorzurufen.    Trotz  mancher  Widersprüche  in 
Einzelheiten  wurden  die  wesentlichen  Tatsachen  in  der  Folge  allent- 
halben bestätigt^)  und  durch  viele  neue  Beobachtungen,  die  nament- 
lich die  Morphologie  und  Biologie  der  Enöllchen  betrafen,  ergänzt. 
Über  die  wichtigste  Frage,  wie  die  Bindung  des  Stickstoffs  zustande 
käme,  ob  die  Bakterien  selbst  sie,  unabhängig  von  den  Wirtspflanzen, 
besorgten,  oder  ob  sie  diese  dazu  anregten,  oder  sie  selbst  durch  den 
Einfluß  der  Wirte  angeregt  würden,  konnte  man  nur  mehr  oder  weniger 
wahrscheinliche  Vermutungen  hegen,  bis  M  a  z  e  ^)  auch  diese  Frage 
wenigstens   anscheinend   zur  Entscheidung  brachte.    Während  seine 
Vorgänger  in  Reinkulturen  der  KnöUchenbakterien  keinen  ganz  un- 
zweifelhaften Stickstoffgewinn  erzielen  konnten*),  gelangte  der  franzö- 
sische Forscher  dazu,  indem  er  sie  bei  reichlichem  Sauerstoffzutritt 
(Überleitung   eines   Luftstroms)   in   Nährböden   züchtete,    die   außer 
2%  Rohrzucker  und  Salzen  auch  noch  geringe  Mengen  (150 — 300  mg 
im  Liter)  Stickstoff  enthielten.    Bei  völliger  Abwesenheit  von  Stick- 
stoffverbindimgen  und   Sauerstoff  wuchsen  die  Bakterien  überhaupt 
nicht.    Beispielsweise  gewann  M  a  z  e  aus  etwa  200  ccm  Ägarkultur, 
die  vor  der  Entwicklung  der  Bakterien  62  mg  Stickstoff  enthielt,  nach 
Mtägiger  Züchtung  103  mg.    41  mg  oder  200  mg  im  Liter  waren  also 
aus  dem  Stickstoff  der  Luft  fixiert  worden.   Natürlich  war  durch  Vor- 
schaltung von  Waschflüssigkeiten  dafür  Sorge  getragen,  daß  mit  der 
Luft  keine  Stickstoffverbindungen,  wie  Ammoniak  und  salpetrige  Säure 
in  die  Kulturen  gelangen  konnten.   Gleichzeitig  war  der  gesamte  Zucker 
des   Nährbodens   verschwunden,   und   zwar,   wie   sich  in   besonderen 
Versuchen  herausstellte,  zum  größten  Teil  zu  Kohlensäure  und  Wasser 
verbrannt.  Ein  kleiner  Teil  mag  wohl  in  das  stattlicheSchleim- 
1  a  g  e  r  ,  das  die  Bakterien  gebildet  hatten  (S.  408)  übergegangen  sein. 
Das  Gewicht  und  die  Zusammensetzung  dieser  Bakteriensubstanz  hat 
M  a  z  e  leider  nicht  ermittelt,  ebensowenig  die  Form,  in  der  der  Stick- 
stoff  ursprünglich   im  Nährboden   enthalten   war;   daher   kann  eine 
genaue  Stoffwechsel-  imd  Energierechnung  nicht  aufgestellt  werden. 
Er  selbst  berechnet  das  Verhältnis  des  aus  der  Atmosphäre  entnom- 


1)  Landwirtschaft!.  Versiichsatat.   37  und  38,   1890. 

2)  Beijerinck,  Bot.  Zeitg.  1890.  837;  Frank,  Landwirtsch. 
Jahrb.  1890;  Nobbe,  Schmid,  Miltner  und  Hotter.  LAnd- 
wirtsch.  Versuchsstat.  39,  1891:  Schlösing  und  Laurent,  Compt. 
rend.    111.    750,    1890;   Laurent,   Annal.   Pasteur   1891. 

3)  Annal.   Pasteur   1897  und  1898. 

4)  Vgl.   Beijerinck,   Kochs  Jahresber.   1892.   205. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  621 

menen  Stickstoffs  zu  dem  verbrauchten  Zucker  auf  1  :  100.  Wahr- 
scheinlich ist  diese  Zahl  zu  hoch,  immerhin  ist  nicht  zu  bezwcifebi, 
daß  die  Assimilation  des  freien  Stickstoffs  in  diesen  Versuchen  einen 
verhältnismäßig  großen  Aufwand  an  Energie  erforderte.  Da  aber  das 
BÖtige  Brennmaterial  in  Gestalt  von  Kohlenhydraten  in  den  Wirts- 
pflanzen reichlich  zur  Verfügung  steht,  könnte  der  Prozeß  der  Stick- 
stoffixierung  in  den  Eüiöllchen  ähnlich  verlaufen  wie  in  den  Reinkulturen. 
Allerdings  £ragt  es  sich  noch,  ob  die  Stickstoffmenge,  die  im  großen 
durch  den  Anbau  der  Leguminosen  fixiert  wird,  d.  h.  etwa  150  kg 
auf  den  Hektar  von  den  Enöllchenbakterien  geliefert  werden  kann, 
wenn  wir  die  von  M  a  z  e  erhaltenen  Zahlen  zugrunde  legen.  Es  fielen 
danach  auf  den  Quadratdezimeter  Bodenoberfläche  oder  auf  1 — 2  Liter 
Boden  150  mg  Stickstoff.  Die  günstigste  Zahl  von  M  a  z  e  betrug 
200  mg  auf  den  Liter  Reinkultur.  Da  nur  ein  kleiner  Teil  des  Bodens 
von  den  EjiöUchen  eingenommen  wird,  sowürdenalsodieBak- 
terien  innerhalb  der-Knöllchen  eine  viel  ener- 
gischere Tätigkeit  entfalten  müssen  als  in  den 
Kulturen. 

Die  M  a  z  e  sehen  Ergebnisse  sind  später  von  H  i  1 1  n  e  r  ange- 
fochten worden,  da  Verunreinigung  mit  anderen  sicher  stickstoff- 
bindenden Bakterien  (§  203)  vielleicht  nicht  ausgeschlossen  sei  imd 
die  eigenen  Versuche  von  H  i  1 1  n  e  r  und  Störmer^)  keinen  Stick- 
stoffgewinn ergaben.    Es  bleiben  hier  also  noch  Lücken  auszufüllen. 

Über  das  Eindringen  von  Knöllchenbakterien  in  die  Wirtspflanzen, 
die  Entstehung  der  KnöUchen  und  ihre  Verwertung  für  die  Stickstoff- 
ernährung  der  Pflanzen  wird  in  der  Infektionslehre  ausführlicher  zu 
sprechen  sein^).  Hier  sei  nur  vorweggenommen,  daß  das  Eindringen 
mit  Hilfe  eigentümlicher  schleimiger  Bildungen,  die  wir  schon  früher 
erwähnt  (S.  408  u.  414),  der  sogenannten  ,, Infektionsfäden",  erfolgt, 
die  E^öllchen  selbst,  wie  andere  durch  Parasiten  hervorgerufene  Bil- 
dungen (z.  B.  Gallen)  zum  Teil  als  Reaktionsprodukte  der  Pflanzen 
anzusehen  sind,  die  Bindung  des  atmosphärischen  Stickstoffs  durch  die 
Bakterien  nicht  mit  der  Vermehrung  beginnt,  sondern  wahrscheinlich 
eng  zusammenhängt  mit  der  Umbildung  zu  den  Bakteroiden  (N  o  b  b  e 
und  H  i  1 1  n  e  r  ^)).  Gerade  weil  das  übrigens  so  ist,  und  die  Bak- 
terienumbildungen auch  in  Reinkulturen  beobachtet  werden  können 
(s.  u.),  sollte  man  erwarten,  auch  hier  der  Stickstoffbindung  zu  begegnen 
(s.  0.).    Allerdings  machen   H  i  1 1  n  e  r  und  S  t  ö  r  m  e  r  darauf  auf- 


1)  Arbeit,    biol.   Abt.   K.    Gesundheitsamts   3.    lÖl,    1903. 

2)  Vgl.    aber  das  unten  über  Virulenz   Gesagte. 

3)  Landwirtschaft!.  Versuchsstat.  51,  1898. 


622  Kap.  X,   §  201. 

merksam,  daß  das  wesentliche  an  der  BakteroidenbUdung  nicht  die 
Verzweigungen  sind  (vgl.  S.  9),  sondern  Änderungen  im  proto- 
plasmatischen Inhalt,  die  man  erst  mikrochemisch  nach- 
weisen kann.  Es  treten  bei  reichlicher  Gegenwart  von  stickstofffreier 
Nahrung  nämlich  Vakuolen  auf,  und  das  Plasma  sondert  sich  einerseits 
in  einen  Karbolfuchsin  stark  aufnehmenden  und  mit  Jodtinktur  rot- 
braun werdenden,  lichtbrechenden  Teil  (Glykogen),  andererseits  in 
einen  schwach  färbbaren,  mit  Jod  gelb  werdenden  Bestandteil.  Der 
chromatische  Teil  der  Bakteroiden,  der  öfters  förmUche  Sprossen  an 
ihnen  bildet,  soll  es  nun  auch  nach  H  i  1 1  n  e  r  imd  S  t  ö  r  m  e  r  sein, 
der  von  den  Wirtspflanzen  resorbiert  wird  und  in  irgendeiner  bisher 
noch  dunklen  Weise  zu  der  Stickstoffbildung  beiträgt. 

Über  den  Chemismus  der  Stickstoffassimilation  ist  nichts  bekannt. 
Nehmen  wir  als  einfachsten  Fall  an,  daß  Anmioniak  das  erste  Zwischen- 
produkt wäre,  so  hätten  wir  die  Gleichung 

2N,  +  3H,0  =  2NH,  -f  80  (—  164  Kai.) . 

Die  drei  dabei  freiwerdenden  Sauerstoffatome  würden  durch  Verbrennung 
von  Zucker  mehr  Wärme  erzeugen,  als  bei  der  Reaktion  gebunden  wird. 
Zum  weiteren  Aufbau  von  Eiweiß  aus  Ammoniak  ist,  wie  wir  bei  den  Eiweiß- 
bakterien sahen  (S.  615),  auch  keine  erhebliche  Menge  Zucker  nötig.  Der 
riesige  Verbrauch,  den  M  a  z  ö  konstatiert  hat,  kann  sich  also  nur  dadurch 
erklären,  daß  der  Prozeß  der  Stickstofffixierung  viel  weniger  sparsam  ver- 
läuft, als  hier  eingenommen.  —  Wieweit  Enzjnne  dabei  in  Betracht 
kommen,  bleibt  noch  festzustellen. 

Die  Reinkultur  *)  der  Knöllchenbakterien  gelingt  ziemlich 
leicht  auf  Pflcmzenabkochungen,  z.  B.  von  Erbsen  mit  Zuckerzusatz 
(0,4%);  Aspajragin  ist  nicht  nötig,  aber  nützlich.  Auch  sind  Nitrate,  weniger 
gut  Ammoniaksalze,  als  Stickstoffquelle  zulässig  bzw.  nützlich  (M  a  z  e). 
Saure  Reaktion  und  eine  Temperatur  von  35*  begünstigen  nach  Stutzer 
die  Entstehung  von  Bakteroiden,  die  übrigens  auch  schon  von  B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k  auf  festen  Nährböden  gesehen  wurden.  Die  Hauptsache  ist  aber 
wohl,  wie  H  i  1 1  n  e  r  und  S  t  ö  r  m  e  r  angeben,  ein  großer  Überschuß 
an  kohlenstoff reichem  Nährmaterial,  zu  dem  sich  nebenbei  alle  möglichen 
Kohlenhydrate  und  organischen  Säuren  eignen*).  Am  besten  werden  zur 
Aussaat  jiuige,  noch  nicht  zerfallene  KnöUchen  benutzt;  man  st-erilisiert 
sie  durch  SubUmat,  zerquetscht  sie  nach  gründlichem  Abspülen  und  streicht 


1)  Die  Angaben  Gonnermanns  über  den  Bac.  tuberigenee 
(Landwirtsch.  Jahrb.  1894)  haben  vor  der  Kritik  nicht  standgehalten. 
Neuerdings  übt  wieder  de  R  o  s  s  i  (Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  18.  289,  1907) 
an  den  bisherigen  Versuchen  Kritik  \md  will  die  von  ihm  gezüchteten 
Bakterien  als  die  allein  richtigen  anerkannt  wissen.  Insofern  hat  er  wohl 
recht,  als  die  bisherigen  Beschreibungen  keineswegs  ein  einheitliches 
und  ganz  klares  Bild  ergeben.  Die  von  R  o  d  e  1 1  a  (ebenda  18.  455)  als 
Knöllchenbakterien  beschriebenen  Anaeroben  sind  wohl  nur  gelegentliche 
Verunreinigungen. 

2)  Vgl.  auch  N  e  u  m  a  n  n  ,   Landwirtschaf tl.  Versuchsstat.  56,  1901. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoff köri)er.  623 

sie  auf  Platten  aus.  Manche  Forscher  geben  an,  daß  die  Bakterien  all- 
mählich auch  an  die  gewöhnlichen  Fleischnährböden  gewöhnt  werden  können, 
doch  wachsen  sie  ursprünglich  nicht  darauf.  Die  großen  Veränderungen 
der  morphologischen  und  physiologischen  Eigenschaften,  die  M  a  z  ^  den 
Bakterien  zuschreibt,  sind  mit  Mißtrauen  zu  betrachten. 

Was  die  Artenfrage  anlangt,  so  war  es  durch  die  gleich  zu  besprechen- 
den Versuche  von  N  o  b  b  e  mid  H  i  1 1  n  e  r  sehr  wahrscheinlich  geworden, 
daß  die  KnöUchenbakterien  der  einzelnen  Leguminosen  nur  Anpassungen 
einer  und  derselben  Art  an  verschiedene  Wirtspflanzen  sind.  Indessen 
nimmt  Hiltner*)  auf  Grund  des  verschiedenen  Verhaltens  zu  festen 
Nährböden  zwei  Arten  an,  das  Rhizobium  Beijerinckii  (von 
Lupinen,  Serradellen,  Sojabohnen),  das  nur  auf  Agar,  das  Rhizobium 
radicicola,  das  auch  auf  Gelatine  wächst. 

Zu  den  Infektionsversuchen  an  lebenden  Pflan- 
zen gewinnt  man  nach  Buhlert  *)  ein  reines  und  doch  keimfähiges 
Ausgangsmaterial,  indem  man  die  Samen  der  Leguminosen,  z.  B.  Erbsen, 
0  Minuten  lang  mit  0,2prozentigem  Sublimat  imd  einer  Bürste  behandelt, 
dann  in  Alkohol  abwäscht  und  diesen  abbrennt.  Die  Aussaat  erfolgt  in 
Erde  oder  Sand,  die  man  in  hohen  Flaschen  sterilisiert  und  mit  Nährsalz- 
lösungen (z.  B.  aq.  dest.  1000,  Magnesium-,  Kalium-,  Kalziumsulfat,  Kal- 
ziumphosphat und  Chlomatrium  je  0,6,  Eisensulfat  O.Ol)  tränken  kann. 
Man  impft  die  KnöUchenbakterien  entweder  in  die  Nährböden,  oder  man 
benetzt  die  Samen  oder  die  vorher  ausgekeimten  Würzelchen  mit  einer 
Aufschwemmung.  Das  Aiiskeimen  bewirkt  man  in  Reagensröhrchen,  die 
zu  »j  mit  destilliertem  Weiser  gefüllt  und  mit  zwei  Wattepfropfen  ver- 
schlossen sind.  Den  unteren,  lockeren  stößt  man  in  die  Flüssigkeit  hinunter 
und  legt  auf  ihm  die  Samen  aus.  Durch  zahlreiche  solche  Impf  versuche 
ermittelten  N  o  b  b  e  ')  und  seine  Mitarbeiter,  namentlich  H  i  1 1  n  e  r 
zunächst,  daß  die  KnöUchenbakterien,  die  von  einer  Pflanzenart  ab- 
stammten, die  günstigsten  Ernten  erzeugten,  wenn  sie  auf  dieselbe  Art 
\erimpft  wurden,  bei  anderen  Arten  aber  wesentlich  schwächer  oder  gar 
nicht  wirkten.  Allerdings  bestehen  Unterschiede  insofern,  als  sich  einer- 
.'^its  z.  B.  die  Bakterien  der  Pisum-  und  Viciaarten  mehr  oder  weniger 
trut  gegenseitig  vertreten  können,  andererseits  das  nicht  einmal  möglich 
i^t  zwischen  den  Bakterien  der  einzelnen  Trifolium-  und  Lupinusarten. 
Die  Knöllchenbildung  braucht  dabei  nicht  zu  fehlen,  so  erzeugen  die  Pisum- 
bakterien  bei  Phaseolus  stets  Knöllchen,  fördern  ihre  Entwicklung  aber 
nicht,  tmd  entsprechend  verhalten  sich  die  Phaseolusbakterien  gegenüber 
Pisum.  Durch  fortgesetzte  Kultur  gelang  es  aber  gerade  mit  den  Erbsen- 
bakterien nicht  bloß  bei  den  Bohnen  Knöllchen,  sondern  auch  Stickst off- 
ansatz  zu  erzielen.  Da  gleichzeitig  auf  Phaseolus  überpflanzte  Pisum- 
bakterien  auch  ihre  Wirksamkeit  für  die  ursprünglichen  Mutterj)flanzen 
verloren  hatten,  konnten  N  o  b  b  e  und  H  i  1 1  n  e  r  mit  Recht  von  w  e  c  h  - 
igelnden  Anpassungen  der  Pisumbakterien  an  ihre 
Wirtspflanzen    sprechen    imd    mit    Wahrscheinlichkeit    die    beob- 


1)  Arb.    biol.   Abt.    Gesundheitsamt    1,    1900;   vgl.    Hiltner   und 
S  t  ö  r  m  e  r  a.  a.  O. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  234  (mit  Lit.). 

3)  Landwirtsch.    Versuchsstat.    39,    1891;    42,    1893;    45,    1894;    51,. 
1898;  Zentr.  Bakt.  6.  449,  1900. 


624  Kap,  X,   §  201  u.  202. 

achteten  Unterschiede  zwischen  den  einzelnen  Knöllchenbakterien^)  auf 
derartige  Anpassungen  zurückführen.  B  u  h  l  e  r  t  (s.  o. )  bestätigt  diese 
Auffassung  durch  seine  Versuche  und  Hiltner  entwickelte  dann  19(H), 
gestützt  auf  alte  und  neue  Versuche,  zum  Teil  mit  S  t  ö  r  m  e  r  (s.  o. )  seine 
Theorie  der  wechselnden  Virulenz  der  Knöllchenbak- 
t  e  r  i  e  n.  Nach  ihm  kann  man  folgende  Abstufungen  derselben  unter- 
scheiden : 

1.  Die  Bakterien  vermögen  überhaupt  nicht  in  die  Wurzeln  ein- 
zudringen (z.  B.  bei  Impfung  von  Bohnenpflanzen  mit  Rotkleebakterien). 
Nach  Hiltner  mangelt  es  den  Bakterien  dabei  an  einem  enzymatischen 
Stoff,  welcher  der  Membran  der  Wurzelhaeure  der  Bohnen  gallertige  Be- 
schaffenheit verleihe  und  dadurch  den  Bakterien  erst  das  Eindringen 
ermögliche.  Da  Kleebakterien  derselben  Reinkultur  in  Kleewurzeln  sofort 
eindringen,  so  ergibt  sich  daraus,  daß  nicht  das  Enzym,  der  „Angriffsstoff ' 
der  Bakterien,  an  sich  fehlt,  sondern  nur  das  auf  Bohnen  wirkende.  Das 
letztere  kann  aber  durch  Anpassung  erworben  werden. 

2.  Die  Bakterien  dringen  zwar  in  die  Wurzeln  ein  und  erzeugen  kleine 
WurzelknöUchen,  werden  aber  sofort  resorbiert  (Impfiuig  von  Lupinen 
in  Wasserkultur  mit  sehr  schwach  virulenten  Lupinenbakterien). 

3.  Die  Bakterien  dringen  zwar  in  die  Wimseln  ein  imd  erzeugen  aueh 
entwickelte  Knöllchen;  bei  ihrer  mikroskopischen  Untersuchung  zeigt  sieh 
aber,  daß  sie  nur  wenige  Bakteroiden  enthalten  und  meist  aus  einem  bak- 
terienfreien Gewebe  bestehen,  in  dem  die  Zellkerne  eine  auffallende  Größe 
besitzen  und  sich  mit  Jod  rotbraun  färben.  Nach  Hiltner  hat  hier  unter 
Beteiligung  der  Kerne  eine  Resorption  der  Bakterien  stattgefunden  (Bohnen 
mit  Erbsenbakterien  geimpft  s.  o.).  Solche  Knöllchen  kommen  aber  aueh 
unter  natürlichen  Verhältnissen  überall  vor,  wo  die  Pflanzen  an  sich  schon 
im   Boden   genügende    Stickstoffnahrung  finden. 

4.  Die  Bakterien  erzeugen  wirksame,  d.  h.  stickstoffa.8sinülierende,  mit 
Bakteroiden  gefüllte  Knöllchen  (der  gewöhnliche  Fall  in  der  Natur  imd 
in  Versuchen  mit  artgleichen  Bakterien). 

5  und  6.  Die  Knöllchenbakterien  entwickeln  sich  zu  gut  in  der 
Wirtspflanze,  d.  h.  sie  finden  verhältnismäßig  so  reichlichen  Nährboden, 
daß  sie  sich  nicht  in  die  stickstofffixierenden  Bakteroiden  verwandeln  und 
den  Pflanzen  schaden  statt  nützen.  Hier  geht  die  Symbiose  in  schädlichen 
Parfitöitismus  über.  Unter  natürlichen  luid  künstlichen  Bedingungen  in 
Pflanzen,   die    geringe  Widerstandskraft  zeigen,   beobacht<et.    Vgl.  S.  177. 

Ni  tragin.  Es  konnte  nicht  ausbleiben,  daß  die  Hellriegel  sehe 
Entdeckung  auch  von  der  Landwirtschaft  verwertet  wurde.  Das  ge- 
schah zunächst  in  dem  Sinne,  daß  die  Gründüngung  mit  Leguminosen 
immer  mehr  Eingang  fand.  Den  zweiten  Schritt  tat  Sa  Held'), 
indem  er  die  Impfung  mit  Boden,  auf  dem  Leguminosen  gut  gewachsen 
waren,  da  —  z.  B.  auf  Moorböden  —  einführte,  wo  diese  ursprünglich 


1)  Ob  die  Lupinen-,  Serradellen-  luid  Sojabohnenbakterien  (?.  o. 
Rhizobinm  Beijerinckii)  artidentisch  sind  mit  den  übrigen,  ist  vorläufig 
noch  zweifelhaft. 

2)  Deutsch,  landwirtsch.  Presse  1892  und  1894;  Landwirtsch.  Jahrb. 
27,  Ergänzungsband   4,    1898. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  625 

nicht  gediehen.  N  o  b  b  e  und  H  i  1 1  n  e  r  entwickelten  seit  1896  die 
Methode  weiter,  indem  sie  statt  der  Erde  KnöUchenbakterien  enthaltende 
Reinkulturen,  das  sogenannte  Nitragin,  anwandten.  Das  hatte,  wenn 
es  gelang,  den  Vorteil,  daß  man  mit  weit  geringeren  Mengen  Impf- 
material auskam.  Die  Erfahrungen  lauteten  in  der  Tat  mehrfach 
günstig,  doch  waren  Mißerfolge  an  der  Tagesordnung.  H  i  1 1  n  e  r 
führte  das  darauf  zurück,  daß  für  die  Virulenz  der  KnöUchenbakterien 
nicht  genügend  gesorgt  wurde  und  bildete  1903  im  Verein  mit  S  t  ö  r  - 
m  e  r  ein  neues  Impfverfahren  aus,  in  dem  auf  die  Herkunft  und  Züch- 
tungsmethode  der  Eeinkulturen  besser  geachtet  wurde^).  Andere 
Forscher  hielten  aber  vorläufig  an  der  Impfung  mit  Erde  fest^). 

§  202.  Wurzelpilze  3).  Auch  an  den  Wurzeln  anderer  Pflanzen 
kommen  parasitische  Bildungen  vor,  die  man  mit  der  Stickstoffassi- 
milation  in  Verbindung  gebracht  hat.  Am  meisten  den  Leguminosen- 
knöUchen  ähneln  die  der  Alnusarten  imd  Eleaagnaceen,  femer  der 
Myrica  gale,  des  Melampyrum  pratense,  Rhinantus  major  und  ver- 
schiedener anderer  Scrophulariaceen,  sowie  Labiaten  und  Cycadeen. 
Bei  der  Erle  soll  es  sich  nach  der  einen  Ansicht*)  um  einen  sporangien- 
bildenden  Pilz  der  Frankia  subtilis  handeln,  nach  der  anderen^)  um 
einen  strahlenpilzartigen  Organismus,  ebenso  nach  Shibata^)  bei 
Myrica  gale.  In  den  KnöUchen  der  Cycadeen  sind  Bakterien,  Pilze 
und  sogar  Algen  (Nostoc  oder  Anabaena)  gefunden  worden®).  Die  Fähig- 
keit zur  Stickstoffsanmilung  ist  nur  für  die  Erle  durch  H  i  1 1  n  e  r 
sicher  nachgewiesen  worden,  eine  Bedeutung  der  KnöUchen  für  die  Er- 
üähnmg  der  Pflanzen  aber  auch  in  den  übrigen  Fällen  wahrscheinUch. 
Das  letztere  gilt  auch  von  den  lange  bekannten  „Mykorrhizen"  der 
Koniferen,  Kupuliferen,  Orchideen,  Ericaceen  und  anderer  Pflanzen*^), 
mögen  sie  nun  nach  Franks®)  Unterscheidung  ektotroph  sein, 
d.  h.  die  Wurzeln  mantelartig  umgeben,  oder  endotrophim  Inneren 
derselben  sitzen.  Sie  werden  von  zahlreichen  Pilzarten,  namentüch 
aus  der  FamiUe  der  Nectriaceen,  manchmal  auch  von  M u c o  - 


1)  Vgl.  Hiltner,  Naturw.  Zeitschr.  f.  Land-  und  Forstw.    1904. 
Bericht  über  die  Ergebnisse  usw.  mit  Nitragin.    Stuttgart.    Ulmer. 

2)  V.  Feilitzen,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  374,   1909. 

3)  Vgl.  Hiltner,  in  Lafars  Handb.  3.  66,   1904. 

4)  H.  Möller,  Ber.  bot.   Ges.   1885  und  1890;  Brunchorst, 
Tübinger  Dissert.   1886. 

5)  Hiltner,    Landwirtsch.    Versuchsstat.    46,     1895.     Forst-    u. 
naturwiäs.  Zeitschr.    1898.     S  h  i  b  a  t  a  ,   Jahrb.   wiss.   Bot.    37,    1902. 

6)  Brunchorst   a.    a.  O.    Schneider,    Ber.    bot.    Gtesellsch. 
1894.   11. 

7)  Stahl,     Jahrb.   wiss.   Bot.   34,    1900. 

8)  Botan.  Zeitg.   1879. 

Kruse,  Mikrobiologie.  40 


626  Kap.  X,   §  202  u.  203, 

rineen  gebildet.  Ihre  Bedeutung  für  die  Ernährung  ihrer  Wirts- 
pflanzen wird  freilich  verschieden  aufgefaßt.  Nach  Stahl  handelt 
es  sich  nur  um  eine  Erleichterung  der  Nährsalzau&augung  aus  dem 
Boden;  indessen  ist  namentlich  für  die  endotrophen  Mykoirlüzen 
ein  Zusammenhang  mit  der  Stickstoffassimilation  wahrscheinhcher^). 
Die  Ähnlichkeit  der  Verhältnisse  mit  denen  der  Leguminosenknöllcben 
erhellt  schon  daraus,  daß  auch  hier  eine  Auflösung  der  parasitischen 
Elemente  beobachtet  wird   (vgL  S  h  i  b  a  t  a). 

§  203.  Stick  Stoff  bindende  Kleinwesen.  Abgesehen  von  den 
symbiotisch  lebenden  Bakterien  und  Pilzen,  die  in  der  einen  oder 
anderen  Weise  mit  der  Stickstoffassimilation  ia  Verbindimg  gebracht 
werden,  gibt  es  noch  freie  Organismen,  die  Stickstoff  assimiUeren 
können.  Berthelot  ^)  hatte  zuerst  1885  bemerkt,  daß  eine  Stick- 
stoffanreicherung auch  in  imbebautem  Boden  vor  sich  gehe  und  be- 
wiesen,  daß  sie  durch  MikroorganiBmenwirkung  zustande  kommen 
müsse,  denn  in  sterilisiertem  Boden  blieb  sie  aus.  Auf  ein  Kilogramm 
Boden  betrug  die  Anreicherung  binnen  eines  Sommers  20 — 50  mg 
Stickstoff.  Später  isolierte  derselbe  Forscher  mit  Guignard^) 
aus  Erde  einige  übrigens  nicht  näher  beschriebene  Bakterienarten  mid 
Kke  (Aspergillus  niger),  die  auch  in  Remkulturen  Stickstoff  assimi- 
lieren sollten.  Schlösing  und  Laurent*)  glaubten  für  die 
Stickstoffixierung  grüne  Algen  und  Moose,  B.  Frank  ^)  diese 
und  alle  möglichen  grünen  Pflanzen  verantwortHch  machen  zu  können. 
Vor  der -Kritik  von  Hellriegel  und  Wilfarth^),  Kosso- 
witsch'^),  Krüger  und  S  chneid  e  wi  nd®)  u.  a.  ließen  sich 
diese  Behauptungen  aber  nicht  mit  Sicherheit  aufrecht  erhalten;  es 
schien  eher  wahrscheinlich,  daß  in  den  angezogenen  Fällen  auch  wieder 
Bakterien  an  der  Erhöhung  der  Stickstoffausbeute  beteiligt  gewesen 
und  ihrerseits  anderen  Organismen  -den  Boden  vorbereitet  hatten. 
Indessen  sind  die  negativen  Ergebnisse  der  letztgenannten  Forscher 
auch  nicht  völlig  beweisend,  seitdem  wir  wissen,  daß  die  Stickstoff- 
bindung  selbst  bei  den  sicher  dazu  befähigten  Formen  (s.  u.)  eine 


1)  Nobbe  und  Miltner,  Landwirtsch.  Versuchsstat.  51,  1898: 
H  i  1 1  n  e  r  ,  Natiirw.  Zeitschr.  Land-  und  Forstw.  I.  9,  1903;  P.  E.  Mül- 
ler, ebenda  1,  289. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   101.  775,   1885. 

3)  Ebenda  116.  842,  1893. 

4)  Ebenda  111.  750  und  Annal.  Pasteur  1892. 

5)  Ber.  bot.  Gesellsch.   1889.   1  und  5;  Landwirtsch.  Jahrb.  1890. 

6)  Tagebl.  Naturf.  Vers.   1890. 

7)  Botan.  Zeitg.   1894. 

8)  Landwirtsch.   Jalirb.   1900.   801. 


Wandlungen  einfacher  Stickstoff körper.  627 

wechselnde  Eigenschaft  ist.  So  will  denn  auch  Stoklasa^)  später 
beobachtet  haben,  daß  Gramineen  im  sterilisierten  und  steril 
gebliebenen  Boden  Stickstoff  binden.  Vielleicht  machen  auch  gewisse 
Cvanophy ceen,  die  Beijerinck^)  als  „oügonitrophile"  be- 
zeichnet, weil  sie  sich  in  Nährböden  entwickeln,  die  nur  Spuren  von 
Stickstoff  enthalten  (vgl.  S.  113),  eine  Ausnahme  und  bedienen  sich 
des  Stickstoffe  der  Atmosphäre.  Soviel  scheint  jedenfalls  sicher,  daß 
es  unter  den  Schimmelpilzen  solche  gibt,  die  Stickstoff  binden 
können.  So  fanden  außer  Berthelot  auch  Puriewitsch^), 
Saida,  Ternetz*),  Fröhlich*)  eine  Reihe  von  Pilzen,  wie 
.Vspe^Uus  niger,  Penicillium  glaucum,  Mucor-  und  Phomaarten  wirk- 
sam, während  freilich  G  e  r  1  a  c  h  und  Vogel®)  im  allgemeinen 
keine  Ergebnisse  hatten,  und  R  e  m  y  ^)  höchstens  für  den  Aspergillus 
niger  geringe  Stickstoff assimilation  (10  mg  Stickstoff  im  Liter)  zugeben 
vlW.  Winogradsky  (s.  u.)  imd  A,  Koch®)  erhielten  freilich 
auch  bei  diesem  Pilz  keine  Stickstoffausbeute.  Ebensowenig  überein- 
stimmend sind  die  Versuche  mit  den  meisten  Bakterienreinkulturen 
ausgefallen.  So  wird  den  von  C  a  r  o  n  aus  Boden  isolierten  sogenannten 
„Alinitbakterien",  die  sogar  Verwendung  in  der  praktischen  Land- 
wirtschaft gefunden  haben,  von  Jacobitz®)  wieder  jede  Wirksam- 
keit abgesprochen.  L  ö  h  n  i  s  ^*^)  hat  aber  in  mehreren  Arbeiten,  zum 
Teil  mit  P i  1 1  a i  und  Westermann  gemeinsam,  für  mehrere 
Bakterienarten  aus  der  Gruppe  der  Mikrokokken,  des  Bac. 
pneumoniae  (aerogenes),  radiobacter  und  der  Sporen- 
b il d n e r  Stickstoffassimilation  nachgewiesen.  Nach  B  r  e  d  e - 
mann^^)  ist  dazu  auch  der  im  Boden  weit  verbreitete  sporen-  und 
gasbildende  fakultativ  anaerobe  Bac.  asterosporus  imtsande. 
Allgemein  günstig  lauten  aber  die  Angaben  über  zwei  Arten  oder 
Gruppen  von  Bakterien,  das  Clostridium  W^inogradskys, 
(las  streng  anaerob  ist,  und  das  aerobe  Azotobakter  Beije- 
r  i  n  c  k  s. 


u. 


1)  Landwirtschaft!.  Jahrb.   1895. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  7.  561,  1901. 

3)  Ber.  bot.   Gesellsch.   1895,  342. 

4)  Jahrb.  wisss.  Bot.  44,   1907. 

5)  Ebenda  45,  1908. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  20/21,  1903. 

7)  Verh.  Ges.  Naturf.  u.  Ärzte  Carlsbad  1.  221,  1903. 

8)  Bodenbakterien    und    Stickstoff  frage.     Verh.    Gesellsch.    Naturf. 
Ärzte  Carlsbad   1.    182,   1903  und  Laf  ars  Handb.   3,    1904. 

9)  Zeitschr.  f.  Hyg.  45,   1903,  Lit. 

10)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   14.  582,  1905;  19,  87,   1907;  22.  234,  1908. 

11)  Ebenda  22.  79. 

40* 


628  Kap.  X,   §  203. 

Sein  Clostridium  Pasteurianum  hat  Winograds- 
k  y  ^)  regelmäßig  in  Petersburger  Erde  gefunden,  wenn  er  1  g  davon 
in  einer  stickstofffreien  Nährlösung,  die  im  Liter  1  g  sekundäres  Kalium- 
phosphat,  0,5  g  Magnesiumsulfat,  je  0,01 — 0,02  g  Chlomatrium,  Eisen- 
und  Mangansulfat  sowie  20 — 40  g  Traubenzucker  enthielt,  züchtete. 
In  Erde  aus  Südrußland  fand  sich  niemals  derselbe  Mikrobe,  wohl  aber 
ein  anderes  Clostridium  „aus  Wolhynien",  das  ähnliche  Eigenschaften 
besitzt,  aber  noch  nicht  näher  studiert  werden  konnte,  weil  seine  Rein- 
kultur nicht  gelang.  Beide  binden  Stickstoff,  und  zwar  auf  je  1  g  Zucker 
1 — 3  mg^).  Diese  Stickstoffassimilation  findet  nur  statt,  wenn  die 
Nährlösung  ganz  stickstofffrei  ist  oder  höchstens  6  mg  gebimdenen  Stick- 
Stoff  auf  je  1  g  Zucker  enthält.  Wachstum  ist  aber  auch  in  den  übUchen 
Nährböden,  in  Gegenwart  von  Ammoniaksalzen,  Amiden  oder  Peptonen 
möglich.  Die  Clostridien  rufen  Buttersäuregärung  hervor^ 
die  sich  aber  von  anderen  Arten  (§  113)  imterscheiden  soll;  denn  es 
werden  —  in  Peptonlösungen  —  zwar  vergoren:  Dextrose,  Fruktose, 
Galaktose,  Saccharose,  Dextrin  und  InuUn,  aber  nicht  angegriffen: 
Laktose,  Arabinose,  Gummi,  Stärke,  Glyzerin,  Mannit,  Dulzit  und  Kal- 
ziumlaktat. In  Kulturen,  die  Stickstoff  in  Form  von  schwefelsaurem 
Ammoniak  enthalten,  ist  das  Wachstum  ein  kümmerliches,  und  es 
werden  nur  Dextrose,  Saccharose  und  Inulin  vergoren.  Durch  die 
Gärung  werden  entwickelt  flüchtige  Säuren  in  einer  Menge  von  42  bis 
45  %  des  vergorenen  Zuckers,  Spuren  von  Milchsäure,  Äthyl-,  Propyl- 
und  Butylalkohol,  der  Rest  als  Gas.  Die  beiden  flüchtigen  Säuren, 
Essig-  und  Buttersäure,  und  die  beiden  Gase  Wasserstoff  imd  Kohlen- 
säure werden  in  sehr  wechselndem  Verhältnis  erzeugt,  Buttersäure 
herrscht  vor. 

Die  Clostridien  Winogradskys  sind  beide  strenge  Anaero- 
bier, wachsen  aber,  wie  viele  andere  Anaerobier,  in  Begleitung  sauerstoff- 
zehrender Bakterien  der  Erde  auch  in  Kulturen  gut,  die  vor  dem  Zutritt 
von  Sauerstoff  nicht  geschützt  sind.  Da  die  letzteren  ebenfalls  Sporen 
bilden,  z.  T.  fakultativ  anaerob  sind  und  in  Gesellschaft  der  Clostri- 
dien, die  ihnen  offenbar  die  nötigen  Stickstoffverbindungen  liefem^ 
auch  in  Nährböden  wachsen,  die  man  ursprünglich  stickstofffrei  her- 
gestellt hat,  sind  sie  schwer  von  den  Clostridien  zu  trennen.  Es  hat 
den  Anschein,  als  ob  die  Stickstofffixierung  in  solchen  Mischkul- 


1)  Compt.  rend.  ac.  sc.  116.  1385  und  118.  353,  1893  und  1894;  Arcli. 
biol.  Petorsbourg  2,   1895  und  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  43,  1902. 

2)  Der  Stickstoff  findet  sich  zum  größten  Teil  in  dem  Bakterien- 
niederschlag  wieder,  zum  Teil  ist  er,  wie  auch  die  späteren  Untersuchungen 
gelehrt  haben,  in  der  Flüssigkeit  gelöst  (Bredemanu»  Stoklasa 
8.    u.). 


Wandlungen  einfacher  Stickstoffkörper.  629 

t u r e n  etwas  energischer  ist,  als  in  Reinkulturen,  obwohl  die 
Begleitbakterien  selbst  nicht  imstande  sind,  den  freien  Stickstoff  zu 
assimilieren*). 

Das  Clostridium  Pasteurianum  hat  Winogradsky  außer  in 
Rußland  auch  in  der  Pariser  Erde  gefunden.  Daß  ähnliche  Bak- 
terien aber  viel  weiter  verbreitet  sind,  wurde  bald  von  anderer 
Seite  festgestellt.  So  hat  v.  Freudenreich^)  in  Bern  ein  stick- 
stoffbildendes Clostridium  gefunden,  das  aber  auch  denMannit  vergärt, 
und  P  r  i  n  g  8  h  e  i  m  ^)  ein  Clostridium  americanum  isoliert,  das  außer 
Mannit  auch  Stärke  imd  Milchzucker  angreift.  Nach  Beijerinck 
uiid  van  Delden*)  wären  sogar  alle  „Granulobakterien"  imstande, 
den  Stickstoff  zu  fixieren,  am  vollkommensten  freilich  erst  in  der  Sym- 
biose mit  Azotobacter  (s.  u.).  Den  vollen  Beweis  dafür  lieferten  die 
gründlichen  Untersuchungen  Bredemanns^),  die  wir  schon  ge- 
legentlich der  Buttersäuregärung  (§  113)  erwähnt  haben.  Die  aus 
allen  Weltgegenden  stammenden,  von  ihm  aus  allen  möglichen  Erden 
selbst  gezüchteten  oder  von  anderen  Forschem  überlassenen  „beweg- 
lichen Buttersäurebazillen*'  oder,  wie  er  sie  nennt,  Bac.  amylo- 
b  a  c  t  e  r  ,  zeigten  sich  imstande,  auch  in  der  Winogradsky- 
schen  Nährlösung  zu  wachsen  imd  erhebliche  Stickstoff  ernten  zu  liefern. 
Freilich  war  das  Bindungsvermögen  nicht  überall  von  vornherein 
nachweisbar,  sondern  vielfach  erst,  nachdem  die  Kulturen  durch 
vBodenpassage'^  d.  h.  Aufenthalt  in  steriKsiertem  Erdboden,  „regene- 
riert" worden  waren.  In  vielen  Fällen  genügte  sogar  schon  der  Zusatz 
großer  Mengen  keimfreier  Erde  zu  der  stickstofffreien  Nährlösung,  um 
den  gleichen  Erfolg  zu  erzielen  (s.  u.  Krzemieniewski).  Die 
Degeneration  des  Stickstoffbindungsvermögens,  die  anderen  Forschem 
ebenfalls  schon  vorgekommen  war,  erfolgt  nach  Bredemann  sehr 
ungleichmäßig.  Manche  Stämme  neigen  anscheinend  gar  nicht  dazu, 
wenn  man  sie  in  Sporenform  in  stickstofffreier  Lösimg  aufhebt  oder  in 
dieser  Form  regelmäßig  in  gewöhnlichen  Nährböden  fortpflanzt.  Manche 
Stämme  verlieren  das  Bindimgsvermögen  schon  nach  wenigen  Genera- 


1)  Genauere  Angaben  über  die  Züchtung  der  Clostridien  s.  u.  bei 
Bredemann.  Auch  Reinkulturen  wachsen,  wenn  man  große  Kolben 
lind  starke  Einsaaten  benutzt,  ohne  besondere  Vorrichtungen  zur  Anaero- 
biose.  Über  die  Umwandlung  der  streng  anaeroben  Clostridien  in  sporen- 
freie aerobe  Bakterien,  die  Bredemann  beobachtete,  siehe  bei  der 
Buttersäuregärung  S.  355. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  514,  1903. 

3)  Ebenda  16.  300.   1906;  20.  248,   1908. 

4)  Ebenda  9.  3,   1902. 

5)  Zentr.   Bakt.  23.  385,   1909,  Lit. 


630  Kap.  X,   §  203. 

tionen,  ohne  übrigens  andere  Zeichen  der  „Entartung"  zu  bieten. 
Die  Zahlen,  die  Bredemann  für  das  Verhältnis  zwischen  Zucker- 
verbrauch und  Stickstoffgewinn  feststellte,  sind  ähnliche  wie  die 
Winogradskys.  Doch  sind  die  Schwankungen  erheblich,  und 
ihre  Ursachen  keineswegs  genügend  erklärt.  Zum  Teil  stehen  sie  wohl 
in  Zusammenhang  mit  den  aus  dem  Zucker  bzw.  anderen  Kohle- 
hydraten gebildeten  Produkten,  die  ihrerseits  der  Buttersäuregärung 
entsprechen.  Artunterschiede  zwischen  den  einzelnen  stickstofffixieren- 
den Clostridien  bzw.  Buttersäurebazillen  des  Tjrpus  Amylobacter,  will 
Bredemann  nicht  anerkennen.  Bei  genügender  Einsaatgröße 
sollen  alle  Kohlenhydrate  und  die  verwandten  Stoffe  ausgenützt  werden 
können. 

Ganz  allgemein  verbreitet  und  daher  von  vielen  Autoren  wieder- 
gefunden ist  auch  ein  aerober,  durch  seine  Größe  fast  an  Hefe  er- 
innernder Mikroorganismus,  das  zuerst  von  Beijerinck^)  beschrie- 
bene Azotobacterchroococcum.  Es  ist  leicht  in  Misch- 
kulturen zu  erhalten,  wenn  man  Gartenerde  in  eine  fast  stickstofffreie 
Nährlösung  bringt,  die  im  Liter  Leitungswasser  20  g  Mannit  oder  o  g 
Kalziumpropionat  und  0,5  g  Kaliumbiphosphat  enthält  und  in  dünner 
Schicht  bei  23 — ^28°  kultiviert.  Wenn  zuviel  Stickstoff  geboten  wird, 
z.  B.  10  mg  Salpeter  im  Liter,  so  entwickelt  sich  das  Azotobacter  nicht, 
weil  er  von  anderen  Bakterien  überwuchert  wird.  Li  Reinkulturen, 
die  man  nach  Anreicherung  der  Mischkultur  durch  fortgesetzte  t)ber- 
tragung  ohne  Schwierigkeit  auf  ähnlich  zusanmiengesetzten  festen 
Nährböden  gewinnt,  verträgt  das  Azotobacter  Stickstoffverbindungen 
gut  und  läßt  sich  auf  den  übHchen  stickstoffreichen  Nährböden  weiter 
züchten.  Freier  Stickstoff  wird  dabei  aber  nur  fixiert,  wenn  der  Gehalt 
an  gebundenem  Stickstoff  ein  geringer  ist.  Gänzliche  Befreiung  der 
Nährlösimg  von  Stickstoff,  wie  man  sie  nur  durch  sorgfältige  Destilla- 
tion des  zur  Lösung  verwendeten  Wassers  und  gründlichste  Reinigung 
der  Gefäße  erzielen  kann,  hemmt  nach  Beijerinck  die  Entwick- 
lung des  Azotobacter.  So  genügen  denn  auch  die  Spuren  Stickstoff, 
die  bei  der  gewöhnlichen  Zubereitung  der  Nährlösungen  noch  in  diesen 
vorhanden  sind,  um  ein  üppiges  Wachst\mi  zu  gestatten.  Als  Kohlen- 
stoffquelle sind  außer  dem  Mannit  auch  viele  andere  kohlenstoffhaltige 
Körper  geeignet.  Diese  Angaben  Beijerincks  sind  im  wesentlichen 
von  den  späteren  Untersuchen!  (G  e  r  1  a  c  h  und  Vogel  ^) ,  v.  Freu- 


1)  Zentr.  Bakt.    2.    Abt.    7.    566,    1901;   Beijerinck   und  van 
Del  den  ebenda  9.   1,   1902. 

2)  Ebenda  8,   1902. 


Wandliingen  einfc^cher  Stickstoffkörper.  631 

denreich^),  H.  Fischer^),  Krainski'),  Stoklasa*), 
Heinze*),  Löhnis  und  Westermaiin®),  Krzemie- 
n  i  e  w  s  k  i  ')  u.  a.)  bestätigt  und  mehrfack  vervollständigt  worden. 
Auf  die  morphologischen  und  Kulturverhältnisse  des  Azotobacter,  die 
ZOT  Aufstellung  neuer  Arten  geführt  haben,  gehen  wir  hier  nicht  näher 
ein  (vgl.  j?  i  s  c  h  e  r  und  namentlich  Löhnis  und  Westermann). 
Die  wichtigste  Frage,  die  nach  den  Bedingimgen  und  der  Aus- 
dehnung der  Stickstoffassimilation,  ist  nicht  inmier  in  gleichem  Sinne 
beantwortet  worden.  So  kam  Beijerinckin  seiner  späteren  Arbeit 
mit  vanDeldenzu  dem  Schluß,  daß  Azotobacter  in  Reinkulturen 
nur  wenig  oder  keinen  Stickstoff  zu  binden  vermöge,  wohl  in  Symbiose 
mit  anderen  Bakterien  aus  der  Gruppe  des  Coli  und  Aerogenes  („Aero- 
bakter"),  der  echten  denitrifizierenden  Bakterien  („Radiobacter"), 
der  Heu-  und  Buttersäurebakterien  (Granulobacter),  von  denen  aber 
nur  wieder  die  letztgenannten  (s.  o.  Clostridien)  befähigt  seien,  allein 
für  sich  den  Stickstoff  der  Luft  auszunutzen.  Die  Verfasser  stellen 
sich  vor,  daß  dabei  nicht  das  Azotobacter  allein  Stickstoff  binde,  son- 
dern daß  gerade  die  Begleitbakterien  dies  merkwürdige  Vermögen 
bei  der  Symbiose  erlangen  und  zunächst  eine  löshche  Stickstoffver- 
bindung erzeugen,  die  dann  erst  das  Wachstum  des  Azotobakter  er- 
mögliche. Ganz  wenige  Individuen  der  Buttersäurebakterien  sollen 
schon  imstande  sein,  eine  üppige  Wucherung  der  Azotobakterien  zu 
bewirken.  Die  späteren  Forscher  haben  diese  Darstellung  nicht  be- 
stätigt, sondern  oft  genug  mit  Reinkulturen  des  Azotobacter  Stickstoff- 
bindung erzielt.  Allerdings  waren  die  Ergebnisse  recht  schwankend. 
Teilweise  mag  das  darin  liegen,  daß  die  benutzten  Bakteriehstämme 
ungleich  wirksam  waren.  Die  größten  Schwankungen  sind  anscheinend 
hier  wie  bei  dem  Bac.  amylobacter  (s.  o.)  an  der  Tagesordmmg.  Da- 
neben kommt  aber  sicher  auch  die  Art  der  Züchtung  in  Betracht.  Der 
offenbar  günstige  Einfluß  des  Zusatzes  von  steriler  oder  nicht 
steriler  Erde  auf  den  Erfolg  veranlaßte  die  Untersuchungen  K  r  z  e  - 
mieniewskis,  aus  denen  hervorgeht,  daß  die  Gegenwart  von 
Humusstoffen  auf  eine  vorläufig  noch  unerklärte  Weise  die 
Entwicklung  und  Wirksamkeit  des  Azotobacter,  wie  übrigens  auch  des 
Amylobacter   (s.  o.)  anregt.    Wahrscheinlich  hat  dieser  Umstand  die 


1)  Zentr.  Bakt.   10. 

2)  Verh.  naturw.  Vereins  Rheinl.  und  Westf.  1905.  135. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  20. 

4)  Ber.  bot.  Ges.  1906,  22;  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  21,  1908. 
ö)  Landwirtsch.  Jahrb.  35,   1907. 

6)  Zentr.  Bal?t.  2.  Abt.  22,  1909. 

7)  Ebenda  23.   161,  1909. 


632  Kap.  X,   §  203  u.  204. 

Erfolge  mancher  Forscher  neben  anderen  noch  dunklen  Einflüssen 
mitbedingt.  Was  die  Erfolge  anlangt,  so  wurden  schon  .von  Ger- 
lach und  Vogel,  unter  der  Bedingung,  daß  man  für  reichlichen 
Luftzutritt^)  und  genügendes  organisches  Brennmaterial  sorgte,  sehr 
beträchtliche  Stickstoffemten  erzielt.  Am  geeignetsten  erwies  sich 
ein  Gehalt  von  10 — 12  g  Traubenzucker  auf  1000  g  Wasser  mit  je 
0,5  g  Kaliumbiphosphat,  Chlomatrium  und  Kalziumkarbonat  und  einer 
Spur  Ferrosulfat.  Dabei  ergab  sich  eine  Zunahme  von  91 — 128  g 
Stickstoff  im  Liter,  d.  h.  es  wurden  aufje  lg  Zucker  etwa  10  mg 
Stickstoff  assimiliert.  Wesentlich  bessere  Ernten  hatte  auch 
Krzeniemiewski  nicht  bei  Zusatz  von  Natriumhumat  zu  seiner 
Nährlösung.  Es  sind  das  übrigens  Zahlen,  wie  Maze  sie  auch  für  KnöU- 
chenbakterien  (S.  620)  imd  Krzemieniewski  für  den  Amylo- 
bacter  (s.  o.)  erhielt.  T  e  r  n  e  t  z  (s.  o.)  erzielte  übrigens  etwa  doppelt 
so  hohe  Verhältniszahlen  mit  einigen  seiner  Schimmelpilze. 
Der  Stoffwechsel  des  Azotobacter  wurde  durch  K  r  a  i  n  s  k  i . 
Krzemieniewski  und  namentlich  durch  Stoklasa  unter- 
sucht. Sie  bestimmten  in  Durchlüftungsversuchen  mit  kohlensäure- 
und  ammoniakfreier  Luft  die  täglich  entwickelten  Kohlensäuremengen, 
der  letztere  auch  die  übrigen  Stoffwechselprodukte,  den  Zuckerver- 
brauch sowie  mittelst  Eisenniederschlägen  die  Größe  der  Bakterien- 
ernte. Im  großen  und  ganzen  entspricht  die  gefundene  Kohlensäure 
dem  verschwundenen  Zucker,  und  zwar  schwankt  nach  Stoklasa 
die  zur  Bindung  von  1  g  Stickstoff  oder  zur  Erzeugung  von  etwa  9 — 10  g 
Bakteriensubstanz  nötige  Traubenzuckermenge  von  99» — 240  g  und 
die  in  eftiem  IStägigen  Versuch  durchschnittlich  von  1  g  trockener 
Bakterienmasse^)  täglich  entwickelte  Kohlensäuremenge  von  0,9  bis 
2,2  g.  Unter  den  übrigen  Zersetzungsstoffen  fanden  sich  Äthylalkohol 
Ameisen-,  Essig-,  Butter-,  Milchsäure,  etwas  Wasserstoff,  wie  Stok- 
lasa den  anders  lautenden  Angaben  von  S.  und  H.  Krzemie- 
niewski^) gegenüber  betont,  ferner  bei  Gegenwart  von  Salpeter 
in  der  Nährflüssigkeit  etwas  Ammoniak  und  viel  Nitrit.  Auf  die  Analyse 
der  Leibessubstanz,  die  Stoklasa  beim  Azotobacter  vorgenommen 
hat,  kommen  wir  hier  nicht  mehr  zurück  (Kap.  II). 

~   ■     ■  ■  < 

l)v.  Freudenreich  fand  Kultur  auf  GipsblÖcken  am 
günstigsten,  Landwirtsch.   Jalu*b.   35,   1907. 

2)  Diese  wiu-de  nur  am  Schluß  des  Versuchs  fastgestellt,  die  Diwch- 
schnittsnienge  der  Bakterien  ist  also  wohl  erheblich  geringer  als  1  g  ge- 
wesen. Die  Höhe  der  Kohlensäureentwicklung  fällt  nach  Stoklasa 
etwa  auf  den  4.  bis  10.  Tag. 

3)  Anzeiger  der  Akad.  Wiss.  Ivrakau  1906  und  1907.  Auch  in  seinen 
neuesten  Arbeiten  (s.  o.)  leugnet  Krzemieniewski  die  Entstehung 
von  Wasserstoff  sowie  von  Alkohol  und  orgranischen  Säuren. 


Wandlungen  einfacher  Stickatoffkörper.  633 

Das  Azotobacter  ist  regelmäßig  in  allen  Kulturboden  aufzufinden, 
nicht  dagegen  in  nachweisbarer  Menge  in  jungfräulichen  Böden,  auf 
hohen  Bergen  usw.  wie  das  von  dem  Amylobacter  feststeht.  Im 
Meerwasser  kommt  es  dagegen  vor^),  besonders  auf  Meeresalgen. 

§  204.  Bedeutung  der  Stickstoffbindung  im  Boden.  Die 
Bedeutung  der  stickstoffassimilierenden  Bakterien  für  die  Anreicherung 
des  Bodens  mit  Stickstoff  ist  ebensowenig  zu  leugnen  wie  die  der  Wurzel- 
bakterien und  -Pike  (§  201  u.  202).  Anders  lassen  sich  wenigstens 
die  Erfahrungen,  die  man  in  der  Land-  imd  Forstwirtschaft 
gemacht  hat,  kaum  erklären.  Der  im  verminderte  jährliche  Stick- 
stoüertrag  der  Emte^)  bzw.  der  Stickstoffzuwachs  des  Holzes  und  der 
Blätter  im  Walde^)  auf  imgedüngtem  Boden  sind  nämlich  weder  her- 
zuleiten aus  dem  durch  Untergrundwässer  zugeführten  gebundenen, 
noch  aus  dem  im  Boden  ursprünglich  vorhandenen  Stickstoff\'orrat. 
Wenn  man  also  den  Pflanzen  keine  Assimilation  freien  Stickstoffs 
zuschreiben  will,  muß  man  Mikroben  dafür  verantwortlich  machen. 

Ob  es  noch  gelingen  wird,  etwa  durch  Impfimg  mit  besonders 
kräftigen  stickstoffbindenden  Bakterien  aus  der  Gruppe  des  Amylo- 
bacter oder  Azotobacter  oder  anderen  Formen  die  Anreicherung  des 
Bodens  mit  Stickstoff  künstlich  zu  steigern,  steht  dahin ;  die  mit 
dem  Alinit  gemachten  schlechten  Erfahrungen  (s.  o.  S.  627)  brauchen 
nicht  vom  Versuch  abzuschrecken.  Die  richtige  Anwendung  von  Rein- 
kulturen wird  man  allerdings  hier,  wie  bei  den  KnöUchenbakterien, 
^s.  0.  S.  625)  erst  lernen  müssen.  Immerhin  ist  vielleicht  bei  der  großen 
Verbreitung  der  stickstoffbindendei^  Arten  ein  anderer  Weg  aussichts- 
reicher, nämlich  Anreicherung  dieser  Bakterien  durch  Zuführung 
reichlicher  Mengen  kohlenstoffhaltiger  Nahrung*). 


l)Beijerinck  a.  a.  O. ;  Benecke  und  K  e  n  t  n  e  r  ,  Ber. 
W.  Ges.   1903;  Be  necke  ebenda   1907. 

2)  Kühn  (Landwirtschaft!.  Zeitg.).     Kochs  Jahresber.   1901.  366. 

3)  S.  bei  Koch  in  Lafars  Handb.   3,    1904. 

4)  Vgl.  Koch  lind  seine  Mitarbeiter  im  Journ.  f.  I-andwirtsch. 
1907;  Engberding,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  614,  1909.  Dort  und 
bei  H.  Fischer  (ebenda  24.  62)  wird  auch  eine  Kritik  der  b  a  k  - 
t^riologißchen  Bodenuntersuchung  nach  Remy-Löh- 
Ji  i  s ,  die  es  auf  die  Feststellung  möglichst  sämtlicher  im  Boden  wirk- 
samen mikrobiologischen  Kräfte  abgesehen  hat,  gegeben.  Vgl.  die  Ver- 
teidigimg  von    Löhnis   ebenda  24,   183. 


Kapitel    XL 

Wandlungen  des  Schwefels. 

§  205.  Einleitung.  Abspaltung  des  Schwefelwasserstoffs 
aus  organischen  Verbindungen.  Der  Schwefel  kommt  mit  den 
Mikroorganismen  nicht  ganz  so  selten  in  reiner  Form  in  Berührung, 
häufiger  in  anorganischer  Bindmig,  als  Schwefelwasserstoff,  Schwefel- 
metall, schwefelsaures  mid  schwefligsaures  Salz  usw.,  imd  am  häufigsten 
in  organischer  Bindung,  im  Eiweiß  imd  in  dessen  Abkömmlingen  Zystin, 
Taurin,  Taurochokäure  u.  a.  Aus  dem  Eiweiß  wird  durch  die  Mikro- 
organismen Schwefelwasserstoff  und  Merkaptan  abgespalten; 
durch  Oxydation  des  Schwefelwasserstoffs,  Schwefels  und  sauer- 
stoffarmer Schwefelverbindungen  entstehen  insbesondere  Schwefel 
und  Schwefelsäure,  durch  Reduktion  der  letzteren  wieder  Schwefel- 
wasserstoff. Die  Synthesen  der  komplizierten  Schwefelverbin- 
dungen sind  hier  wie  überall  dunkel.  Da  schwefelsaure  Salze  zum  Auf- 
bau des  Eiweißmoleküls  meist  genügen,  und  der  Schwefel  im  Eiweiß 
(Zystin)  wahrscheinhch  in  einer  Wasserstoff-  bzw.  Kohlenstoffbindung 
enthalten  ist,  so  wird  man  als  Vorbedingung  der  Synthese  eine  Re- 
duktion anzunehmen  haben. 

Längst  bekannt  ist,  daß  bei  der  Fäulnis  der  Eiweißkörper,  des 
Harns  usw.  Schwefelwasserstoff  entwickelt  wird.  Es  wurde  denn 
auch  von  verschiedenen  Forschem  beobachtet,  daß  Reinkulturen  von 
Bakterien  Schwefelwasserstoff  bilden  könnten,  so  besonders  die  anae- 
roben Bazillen  des  malignen  Ödems,  Rauschbrands  usw.  (N  e  n  c  k  i 
S.  504),  aber  auch  die  Proteusarten  (Holschewnikoff^),  die 
Choleraspirillen  (B  u  c  h  n  e  r^))  u.  a.  m.  Umfangreiche  Feststellungen 
über  die  Schwefelwasserstoffbildung  verdanken  wir  dann  P  e  t  r  i  und 
M  a  a  ß  e  n  ^) ,  sowie  R  u  b  n  e  r  *)  und  seinen  Schülern  Stagnitta- 


1)  Fortschritte  der  Medizin  1889.  201. 

2)  Pibenda  angeführt. 

3)  Arbeit.   Gesundheitsamts  8.   338  und  490,   1893. 

4)  Arch.  f.  Hyg.   16.  53  und  78,   1893. 


Wandlungen  dee  Schwefels.  635 

Balistieri^),  Niemann  und  M o r r i s  2).  Darin  stimmen 
diese  Forscher  überein,  daß  sehr  viele  Mikroorganismen  die  Fähigkeit 
besitzen,  Schwefelwasserstoff  zu  entwickeln,  und  zwar  in  besonders 
hohem  Grade  die  Bac.  typhi,  coli,  enteritidis,  pro- 
teus,  mallei,  murisepticus  und  rhusiopathiae 
suis,  samtliche  Vibrionen,  der  Staphyloc.  pyog.  aureus, 
wozu  dann  noch  die  strengen  Anaerobier  kommen.  Doch  fanden 
P  e  t  r  i  und  M  a  a  ß  e  n,  daß  auch  alle  übrigen  von  ihnen  untersuchten 
Organismen  unter  günstigen  Umständen  imstande  seien,  mehr  oder 
weniger  Schwefelwasserstoff  zu  bilden,  während  nach  Morris  unter 
denselben  Yersuchsbedingungen  die  Bac.  anthracis,  diphtheriae,  sub- 
tiUs,  mycoides,  femer  Hefe  und  Schinmielpilze  versagten.  Unleugbar 
bleibt  die  Tatsache,  daß  großeUnterschiedeinder  Quan- 
tität des  produzierten  Schwefelwasserstoffs  be- 
stehen. WahrscheinHch  erklären  sich  die  Widersprüche  zum  Teil 
daraus,  daß  das  Vermögen  der  einzelnen  Spezies,  H2S  aus  Eiweiß 
abzuspalten,  ein  ebenso  veränderliches  ist,  wie  etwa  ihre  Fähigkeit, 
es  zu  peptonisieren. 

Sicher  fällt  das  Ergebnis  sehr  verschieden  aus,  je  nach  den  Nähr- 
lösungen, die  man  den  Mikroorganismen  zur  Verfügung  stellt,  und 
nach  dem  Maße,  in  dem  man  dem  Sauerstoff  zu  den  Kulturen  zuzutreten 
gestattet. 

Wenig  geeignet  ist  die  peptonfreie  gewöhnhche  Fleischbouillon; 
auf  ihr  bilden  auch  nach  P  e  t  r  i  und  Maßen  nicht  alle  Bakterien 
Schwefelwasserstoff.  Noch  weniger  günstig  wirken  aber  reine  Eiweiß- 
lösungen,  vor  allem  flüssige  Blutseren.  Eier^)  verhalten  sich  recht 
ungleich.  Der  günstigste  Nährboden  ist  5 — lOprozentige  Peptonbouillon. 
Sowohl  reduzierende  Körper  wie  Zucker,  als  oxydierende  Stoffe 
wie  Salpeter,  indigoschwefelsaures  Natron  hemmen  nach  P  e  t  r  i 
und  M  a  a  ß  e  n  die  Schwefelwasserstoffbildung,  ebenso  reichliche 
Durchleitimg  der  Luft.  So  bildete  der  Bac.  proteus  vulgaris  nach 
R  u  b  n  e  r  aus  einem  Liter  Bouillon  (ohne  Pepton)  bei  gleich  gutem 
Wachstum  ohne  Lüftung  33  mg  HgS,  mit  Lüftung  nur  4 — 5  mg. 

In  vielen  Fällen  bildet  sich  Schwefelwasserstoff  öchon  sehr  früli, 
z.  B.  am  ersten  Tage  und  selbst  in  den  ersten  Stunden  der  Entwicklung, 


1)  Arch.  f.  Hyg. 

2)  Ebenda  30,  1897. 

3)  Die  Schwefelwasserstoffbildung  der  Cholera  Vibrionen  in  Eiern  ist 
von  Scholl  und  H  ü  p  p  e  behauptet,  von  Zenthöfer  (Zeitschr. 
^-  Hyg.  16),  D  ö  n  i  t  z  (ebenda  18),  Abel  und  D  r  ä  e  r  (ebenda  20)  aber 
im  wesentlichen  auf  Verunreinigungen  mit  fäulniserregenden  Anaeroben 
Zurückgeführt  worden. 


636  Kap.  XI.   §  205. 

in  anderen  erst  spät.  Manchmal,  z.  B.  beim  Bazillus  der  blauen  Milch,  ver- 
hindert das  nebenher  reichlich  erzeugte  Anunoniak  die  freiwillige  Entbinduni; 
des  HoS,  man  kann  sie  dann  durch  Säureziisatz  hervorrufen. 

In  manchen  Fällen  entscheidet  schon  der  bekannte  Geruch  über 
die  Anwesenheit  von  HjS.  Genauer  und  sehr  einfach  prüft  man  auf  Schwefel- 
wasserstoff, indem  man  in  das  Kulturröhrchen  einen  Streifen  von  Blei- 
zuckerpapier einhängt.  Tritt  eine  hellgelbe  Färbung  und  später  eine  Bräu- 
nung ein,  so  muß  man  allerdings  auch  an  Merkaptan  denken  (s.  u.).  In 
Stichkulturen  auf  Agar  hat  sich  auch  ein  Zusatz  von  Eisentartrat  oder 
Eisensacchajpat  (3%),  noch  besser  nach  Morris  ein  solcher  von  Bleizuoker 
(P/oo)  bewährt.  Quantitativ  kann  der  freigewordene  Schwefelwasserstoff 
dadurch  bestimmt  werden,  daß  man  den  Schwefelgehalt  des  Nährbodens 
vor  luid  nach  der  Züchtung  vergleicht.  Man  kann  auch  die  Gase,  die  sich 
aus  der  Kultur  entwickeln,  in  Jodlösung  auffangen  \md  durch  Titrieruns 
bestimmen,  oder  sie  diu-ch  eine  Losung  von  Quecksilberz^'anid  streichen 
Ictösen,  die  dabei  entstehende  Fällung  ( Quecksilbermerkaptid  und  Schwefel- 
queckstlber)  zuerst  durch  verdünnte  (3%)  Salzsäure  und  dann  durch  stärkere 
Säure  zerlegen,  und  die  Gase  in  Bleilösung  auffangen.  Dculurch  gewinnt 
man  zunächst  das  Bleimericaptid  als  gelben,  dann  das  Bleisulfid  eJs  schweu^en 
Niederschlag  (R  u  b  n  e  r). 

Die  gewöhnliche  Fleischbouillon  enthält  im  Lit^r  etwa  30 — 70  mg 
Gesamtschwefel,  darunter  nur  2 — 12  mg  in  Sulfaten,  den  Rest  in  organischer 
Bindimg.  Echte  Eiweißsubstanzen,  diu'ch  essigsaures  Eisen  fällbar,  be- 
finden sich  darunter  nur  in  geringer  Menge;  wieviel  aber  auf  Pepton,  wie- 
viel auf  die  übrigen  einfachen  Stoffe  kommt,  ist  unbekannt.  In  Iprozentiger 
Peptonbouillon  sind  enthalten  213  mg,  in  1  prozentigem  Peptonbouillon- 
agar  304,  in  Peptonbouillongelatine  705  mg  Schwefel,  davon  entfallen 
auf  den  Fleischoxtrakt  70,  auf  das  Pepton  143,  auf  den  Agar  90  und  auf 
die  Gelatine  492  mg.  Im  Blutserum  ist  der  Schwefelgehalt  ebenfalls  sehr 
hoch  (512  mg);  natürlich  beruht  er  hier  und  im  Pepton  im  wesentlichen 
auf  dem  Eiweißschwefel  (1 — 2%),  während  Agar  luid  Gelatine  wohl  den 
größten  Teil  des  Schwefels  in  mineralischer  Form  enthalten.  Genauere 
Untersuchungen  fehlen. 

Bevor  wir  die  Frage  behandeln,  wie  man  sich  die  Bildung  des 
Schwefelwasserstoffs  zu  denken  hat,  ist  die  Vorfrage  zu  entscheiden, 
aufKosten  welcher  Stoffe  er  entsteht.  Schon  aus  der 
Tatsache,  daß  die  Bouillonkulturen  um  so  mehr  Schwefelwasserstoff 
entwickeln,  je  größer  ihr  Gehalt  an  Peptonen  (Albumosen)  war,  ist  auf 
die  vorwiegende  Beteiligung  der  eiweißartigen  Stoffe  zu  schüeßen. 
Doch  wäre  damit  noch  nicht  gesagt,  daß  nicht  auch  die  anorganischen 
Verbindungen,  also  in  erster  Linie  die  schwefelsauren  Salze,  angegriffen 
würden.  Nur  in  wenigen  Fällen  hat  man  bisher  durch  unmittelbare 
Untersuchung  der  schwefelwasserstoffliefemden  Kulturen  sichere  Unter- 
lagen zu  gewinnen  gesucht.  R  u  b  n  e  r  hat  dabei  folgendes  festgestellt: 
die  Sulfate  können  aus  der  (peptonfreien)  Bouillon  ausgefällt  werden, 
ohne  daß  die  Schwefelwasserstofferzeugung  z.  B.  durch  den  Bac.  pro- 
teus,  typhi  usw.  dadurch  beeinträchtigt  wird.   Bleiben  die  Sulfate  aber 


Wandlxingen  des  Schwefels.  637 

in  der  Kulturflüssigkeit,  so  zeigte  sich  in  einigen  länger  dauern- 
den Versuchen  eine  starke  Abnahme  der  Sulfate,  allerdings  trat 
dieselbe  auch  ein  bei  dem  Wurzelbazillus,  der  überhaupt  keinen  HgS 
bildete.  Andererseits  erschien  der  Schwefelsäuregehalt  unverändert 
in  j  u  n  g  e  n  Kulturen.  Ja,  er  stieg  sogar  in  Kulturen,  die  Schwefel- 
wasserstoff büdeten,  besonders  wenn  sie  stark  gelüftet  wurden.  Man 
muß  einerseits  daraus  schließen,  daß  auch  die  Sulfate  selbst 
bei  Gegenwart  organischer  Substanzen  ange- 
griffen werden.  Vielleicht  dienen  sie  auch  hier  zum  Aufbau 
von  Bakterieneiweiß,  wie  sie  ja  nachweislich  von  vielen  Mikroorganis- 
men in  einfachen  Nährsalzlösungen  assimiliert  werden  (§  30).  Diese 
Assimilation  der  Sulfate  ist,  wie  schon  oben  bemerkt,  kaum  anders 
zu  deuten,  denn  als  Reduktion;  ob  dabei  Schwefelwasserstoff  als 
Zwischenprodukt  erscheint,  ist  unbekannt,  aber  imwahrscheinlich  ist 
es  nicht.  Jedenfalls  wird  er  dann  nur  in  kleinen  Mengen  erzeugt  und 
sofort  gebunden,  so  daß  er  nicht  als  freies  Gas  austritt  (Wurzelbazillus). 
Ebenso  sicher  ist  andererseits  die  Tatsache,  daß  der  organisch 
gebundene  Schwefel  unter  dem  Einfluß  der  Luft 
durch  die  Bakterien  zu  Schwefelsäure  oxydiert 
w^erden  kann^).  Wahrscheinlich  stellt  auch  hier  der  Schwefel- 
wasserstoff das  Zwischenstadium  dar,  das  um  so  weniger  deutlich  in 
die  Erscheinung  tritt,  je  reichlicher  freier  Sauerstoff  auf  ihn  einwirken 
kann.  Auf  die  Oxydation  des  Schwefels  kommen  wir  später  zurück 
(§  201  ff.). 

Im  ganzen  hat  sich  bei  den  Versuchen  R  u  b  n  e  r  s  aber  gezeigt, 
daß  die  Veränderungen,  die  der  Schwefelsäuregehalt  der  Bouillon 
durch  das  Wachstum  der  Bakterien  erfährt,  ihrem  Umfange  nach  nicht 
in  Betracht  kommen,  gegenüber  den  Wandlungen  der  organischen 
Schwefelverbindungen.  Diese  sind  es  in  erster  Linie,  die 
den  Schwefelwasserstoff  und  gleichzeitig  den 
Schwefel  zum  Aufbau  des  Protoplasmas  liefern. 
So  enthielt  z.  B.  in  einem  Versuch  mit  Proteusbazillen  1  Liter  Bouillon 


vor  dem      nach  dem 
Versuch        Versuch 


Unterschied 


Sulfatschwefel 6,1  mg  1,5  mg  —   4,6  mg 

Organischen  Schwefel.     .     .     .  52,8    „  28,1    „  —24,7 

S  durch  Eisen  fällbar^)  .     .     .      1,2    „  25,3    „  +24,1 

Im  ganzen:  60,1  mg  54,9  mg  —   6,2  mg 

1)  Vgl.  Ven^-esung  §  176  u.  183. 

2)  Durch  essigsaures  Eisen  werden  neben  Spuren  von  gelöstem  Eiweiß 
alle  Bakterien  leicht  gefällt. 


638  Kap.  XI,  §  206. 

Der  Verlust  von  6,2  mg  ist  hier  durch  das  Entweichen  von  Schwefel- 
wasserstoff bedingt,  ihm  steht  die  Zunahme  von  24,1  mg  in  dem  assimi- 
lierten Schwefel  gegenüber.  Die  Kosten  tragen  wesentlich  die  organischen 
Schwefelverbindungen.  Über  deren  Natur  ist  leider  sehr  wenig  bekannt, 
es  könnten  Peptone  imd  Spuren  von  freiem  Zystin  und  Taurin  sein. 

Entsprechende  Schwefelbilanzen  für  starker  eiweißhaltige  Kul- 
turen liegen  nicht  vor,  wohl  aber  für  Harn.  Nicht  selten  verfällt 
dieser  bald  nach  seiner  Entleerung  aus  dem  Körper  einer  Zersetzung, 
bei  der  ein  starker  (Jeruch  nach  Schwefelwasserstoff  und  Merkaptan 
auftritt.  F.  Müller,  Rosenstein  und  Gutzmann,  Sal- 
k  o  w  8  k  i  und  zuletzt  Karplus  ^)  haben  diese  Veränderung  auf 
bestimmte  Bakterien  zurückgeführt  und  näher  studiert.  Der  Mikro- 
organismus von  K  a  r  p  1  u  s  ,  eine  Art  von  Bac.  coli,  bildete  sehr  wenig 
HgS  in  Bouillon,  anderen  Fleischnährböden  und  Eiern,  sehr  viel  in 
eiweißfreiem  Harn.  Die  Analyse  ergab,  daß  die  vorgebildete  und  die 
Äther- Schwefelsäure  nicht  angegriffen,  der  übrige  organisch  gebundene 
Schwefel  aber  stark  vermindert  war.  Leider  ist  man  über  die  Zusammen- 
setzung dieses  „Neutralschwefels'*  des  Harns  sehr  wenig  unterrichtet. 
Man  wird  wohl  in  erster  linie  an  Zystin,  bzw.  Taurin  zu  denken  haben. 

Haben  wir  sonach  ein  Recht,  anzunehmen,  daß  es  die  organischen 
Schwefelverbindungen  sind,  die  unter  dem  Einflüsse  der  Kleinwesen 
den  Schwefelwasserstoff  liefern,  so  müssen  wir  jetzt  der  Frage  näher 
treten,  wie  dieser  Stoff  aus  ihnen  frei  werden  kann.  Es  ist  bekannt, 
daß  schon  anscheinend  leichte  Eingriffe,  z.  B.  die  Koagulation  durch 
Hitze  beim  Eiereiweiß,  die  Entwicklung  des  Gases  veranlassen.  Bei 
Schmelzen  oder  Kochen  mit  Alkali  geschieht  das  in  höherem  Maße. 
Nach  den  neueren  Anschauimgen  über  den  Bau  der  Eiweißstoffe*) 
scheint  der  Schwefel  vor  allem  in  dem  Zystin-  bzw.  Zysteinkem  ent- 
halten zu  sein.  Diese  Körper  verhalten  sich  gegenüber  den  Alkalien 
ähnlich  wie  das  Eiweiß.    Aus  ihren  Strukturformeln: 

CH2  —  S  —  S  —  C'H2  CH2  .  SH 


CH  .  NH2  CH  .  NH2  CH  .  NH2 

I  I  I 

COOH  COOH  COOH 

Zystin  ß-Zjstein 

ersieht  man,  daß  der  Schwefel  in  ihnen  nicht  in  der  Sulfo-,  sondern 
in  der  Thiogruppe  enthalten  ist.    Die  leichte  Abspaltbarkeit  von  HjS 

1)  Virchows  Arch.   131  (mit  Literatur). 

2)  Vgl.  Lit.  S.  483,  femer  E.  Friedmann,  Kreislauf  des  Schwefels 
in  den  Ergebnissen  der  Physiologie  von  Asher  und  Spiro,   1.   15,  1002. 


Wandlungen  des  Schwefels.  639 

wird  dadurcli  etwas  verständlicher.  Wie  sie  erfolgt,  ist  freilich  damit 
noch  nicht  entschieden.  Man  hat  zunächst  hier,  wie  sonst,  versucht, 
die  bakteriellen  Umsetzungen  durch  einfache  chemische  Prozesse  zu 
erklären.  In  diesem  Falle  sollte  es  wieder  Wasserstoff  in  statu  nas- 
cendi  sein,  der  den  Schwefelwasserstoff  frei  machte  (P  e  t  r  i  und 
Maaßen).  Zunächst  würde  man  dadurch  offenbar  nur  an  Stelle 
einer  Unbekannten  eine  zweite  setzen,  denn  wodurch  wird  das  Auf- 
treten des  Wasserstoffe  bedingt ?  Beijerinck^)  hat  femer  mit 
Recht  dagegen  eingewandt,  daß  man  weder  den  freien  Wasserstoff 
nachgewiesen  habe,  noch  mit  solchem  auf  experimentellem  Wege  aus 
Eiweißkörpem  Schwefelwasserstoff  entbinden  könne.  Diejenigen  Bak- 
terien, die  besonders  leicht  eine  Wasserstoffgärung  erzeugen,  wie  z.  B. 
der  Bac.  coli,  sind  auch  durchaus  nicht  stärkere  Sulfidbildner,  als  die 
übrigen  (Bac.  typhi),  oft  kann  man  sogar  das  Gegenteil  beobachten. 
Wenn  man  weiterhin  versucht  hat,  die  Schwefelwasserstoffbildung 
mit  anderen  Beduktionswirkungen,  mit  der  Bildung  von  Nitrit  aus 
Nitrat,  der  Verwandlung  des  Schwefels  in  Schwefelwasserstoff  (§  211) 
zu  ve^leichen,  so  ist  dabei  zu  beachten,  daß  diese  Vorgänge  durchaus 
nicht  einander  parallel  gehen,  also  nicht  gleich  erklärt  werden  können. 
Es  bleibt  wohl  nichts  übrig,  als  die  Erzeugung  von  Schwefel- 
wasserstoff aus  Eiweißkörpern  und  ihren  Abkömmlingen  als  eine 
spezifische  Wirkung  der  Mikroorganismen  aufzufassen,  die  sich  ver- 
gleichen läßt  der  Bildung  von  Ammoniak  imd  anderen  Reduktions- 
produkten (§  167  ff.)  aus  Eiweiß.  Alles  sind  Prozesse,  die  das  Eiweiß- 
molekül angreifen,  indem  sie  Umsetzungen  der  Atome  gegeneinander 
und  Spaltungen  bewirken.  Die  Beteiligung  von  Wasser  ist  dabei  nicht 
ausgeschlossen,  im  Gegenteil  läßt  sich  die  Entstehung  des  HgS  aus  dem 
Zystein  am  einfachsten  auf  eine  solche  hydrolytische  Spaltung  zurück- 
führen. So  wurden  denn  auch,  wie  bei  allen  fermentativen  Prozessen, 
eigentümliche  Unterschiede  zwischen  den  einzelnen  Mikroorganismen 
beobachtet.  Die  einen  sind  nur  imstande,  Peptone  oder  die  einfachsten 
schwefelhaltigen  Verbindungen  zu  zersetzen,  andere  feste  und  flüssige 
Eiweißkörper.  Merkwürdig  ist  z.  B.  das  Verhalten  des  Wurzelbazillus: 
nach  P  e  t  r  i  imd  Maaßen  ist  er  fast  der  einzige  Mikroorganismus, 
der  auf  flüssigem  Blutserum  Schwefelwasserstoff  bildet,  auf  geronnenem 
Blutserum  teilt  er  diese  Eigenschaft  mit  vielen  verflüssigenden  Bak- 
terien, in  den  Peptonnährböden  steht  er  dagegen  hinter  den  meisten 
anderen  Mikroorgamsmen  zurück.  Wahrscheinlich  werden  sich  noch 
manche  andere  bemerkenswerte  Verschiedenheiten  ergeben,  wenn  man 
die  einzelnen  Eiweißkörper  und  ihre  schwefelhaltigen  Abkömmlinge 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   1.  7,   1895. 


640  Kap.  XI,   §  205—207. 

gegenüber  den  Mikrobien  prüfen  wird.  Diese  Probe  fehlt  sogar  noch 
bei  den  wichtigsten  dieser  Körper,  dem  Zj^tein  und  Zystin.  Man  darf 
sich  außerdem  nicht  verhehlen,  daß  Klarheit  in  diesen  Verhältnissen 
überhaupt  nicht  erreicht  werden  wird,  ehe  die  Art  und  Weise,  wie  der 
Schwefel  im  Eiweiß  gebunden  ist,  vollständig  sichergestellt  worden 
ist.  Daß  viel  daran  noch  fehlt,  werden  wir  bei  der  Besprechimg  der 
Merkaptanbildung  sehen.  Unter  den  Abbaustoffen  wird  sich  das  Taurin 
vermutlich  anders  verhalten  als  das  Zystin,  da  es  eine  Sulfoverbindung 
(Aminoäthansulfosäure)  ist  (vgl.   S.  589). 

Ein  wichtiger  Fortschritt  wurde  bedingt  durch  M  a  a  ß  e  n  ^) 
selbst,  der  sich  dadurch  zu  einer  Änderung  seines  früheren  Standpunktes 
veranlaßt  sah.  Er  fand  nämlich,  daß  zwar  nicht  der  Preßsaft 
des  Petrischen  Butterbazillus,  aber  mit  Sand 
zerriebene  A z e t o  nd  auer p r äp ar at e  von  Proteus 
mirabilis  und  Vibrio  phosphorescens  aus  Pepton 
innerhalb  von  1 — 2  Stunden  bei  45®  Schwefel- 
wasserstoff in  deutlich  nachweisbaren  Spuren 
entwickeln.  Bei  Pilzen,  namentlich  bei  der  Hefe,  erwies  sich 
auch  der  Preßsaft  wirksam.  Weit  kräftiger  und  daneben  wider- 
standsfähiger waren  ähnliche  Präparate  aus  Pflanzen-  und  Tierzellen 
(Leber).  Durch  Chloroform,  Toluol  und  Benzol  wurden  sie  ebensowenig 
geschädigt,  wie  durch  Blausäure,  was  nebenbei  bemerkt  für  eine 
Verschiedenheit  der  nitratreduzierenden  Stoffe  (S.  612)  spricht.  Merk- 
würdigerweise wurden  sie  auch  durch  die  Siedehitze  erst  zerstört,  wenn 
sie  länger  als  10  Minuten  einwirkte.  Sie  ähneln  dadurch  gewissen  Oxyda- 
tionsfermenten (S.  468).  Ob  sie  aber  selbst  Fermente  sind  imd 
inwieweit  sie  mit  anderen  reduzierenden  Stoffen  übereinstimmen, 
muß   vorläufig  unentschieden  bleiben   (vgl.   §  211). 

Die  Beeinflussung  der  Schwefelwasserstoffbildung  durch  die 
Gegenwart  von  Zucker  im  Nährboden  erklärt  sich  wohl  in  ähnlicher 
Weise  wie  die  der  Indolbildung  (§  174)  und  der  Eiweißzersetzung 
(§  186)  überhaupt:  nicht  nur  wirkt  die  Säure,  die  bei  der  Zuckerspaltung 
entsteht,  der  trjrptischen  Verdauung  entgegen,  sondern  die  Anwesen- 
heit eines  guten  Nährstoffes,  wie  der  Zucker  einer  ist,  schützt  das 
Eiweiß  vor  der  Zersetzung. 

Einen  unmittelbar  hemmenden  Einfluß  auf  den  Prozeß  der  Schwefel- 
wasserstoffbildung  werden  Oxydationsmittel  wie  salpetersaure 
Salze  haben  müssen,  sie  werden  sich  aber  auch  wie  der  freie  Sauerstoff 
selbst  nicht  gleichgültig  verhalten  gegenüber  dem  fertig  gebildeten 
Schwefelwasserstoff.    Daneben  darf  man  auch  hier  biologische  Wir- 


1)  Arbeit,   Gesundheitsamts  21.   3,   1904. 


Wandlungen  des  Schwefels.  641 

küngen,  d.  h.  in  diesem  Falle  oxydierende  Kräfte  der  Zellen,  nicht 
ausschlieBen.  Nachgewiesen  sind  solche,  wie  wir  gleich  sehen  werden, 
z.  B.  im  Preßsaft  der  Hefe  (§  207). 

§  206.  Merkaptanbildnng.  Neben  dem  Schwefelwasserstoff 
entsteht  bei  der  Fäulnis^)  der  Eiweißstoffe  nicht  selten  Merkaptan, 
und  zwar  gewöhnlich  Methylmerkaptan  CH3 .  HS.  In  Reinkulturen 
von  Anaerobiem  fanden  es  N  e  n  c  k  i  und  seine  Mitarbeiter  (S.  504), 
beim  Bac.  proteus  imd  tetani  R  u  b  n  e  r^),  beim  Bac.  proteus,  mycoi- 
(les,  praepollens  and  esterificans  P  e  t  r  i  und  M  a  a  ß  e  n  ^) ,  bei  Heu- 
bazillen König  imd  Spieckermann*).  Aus  Eiweißkörpem 
erhält  man  es  wie  das  Äthylmerkaptan  und  den  Schwefelwasserstoff 
durch  Schmelzen  mit  Alkalien  und  bei  der  Trockendestillation  {R  u  b  - 
n  e  r).  Unbekannt  ist,  in  welcher  Form  es  im  Eiweißmolekül  vorgebildet 
ist.  Auch  bei  der  bakteriellen  Zersetzung  von  schwefelhaltigen  Ab- 
bauprodukten des  Eiweißes  (z.  B.  dem  „Neutralschwefel"  des  Harns) 
kommt  aber  der  Körper  vor  (vgl.  Karplus  S.  638).  Für  die  Mög- 
lichkeit einer  synthetischen  Entstehung  spricht  die  Tatsache,  daß 
durch  die  alkoholische  Vergärung  des  Zuckers  mit  Hefe  bei  Gegen- 
wart von  elementarem  Schwefel  neben  viel  Schwefelwasserstoff  (§211) 
auch  kleine  Mengen  Äthylmerkaptan  gebildet  werden  (R  u  b  n  e  r). 
Petri  und  Maaßen  möchten  die  Merkaptanbildnng  beim  Bac. 
esterificans  ebenfalls  durch  eine  Synthese  aus  H2S  und  Alkohol  er- 
klären. 

Gewöhnlich  wird  so  wenig  Merkaptan  von  den  Mikroorganismen 
tTzeugt,  daß  seine  quantitative  Bestimmung  nicht  möglich  ist.  Für  seine 
Erkennung  genügt  meistens  der  widrige  knoblauchartige  Geruch.  Charak- 
t'»ristisch  ist  femer  die  D  e  n  i  g  d  s  sehe  Reaktion :  die  aus  der  Kultur  sich 
•  nt^A-ickelnden  Gase  werden  in  einem  Kugelapparat  aufgefangen,  der  eine 
•>.5prozentige  Lösung  von  Isatin  in  konzentrierter  Schwefelsäure  enthält, 
l^ie  rötlichgelbe  Farbe  verwandelt  sich  durch  Merkaptan  in  eine  grüne. 
Aus  100 — 1000  ccm  Bouillonkultur  vermochte  freilich  Morris  (Arch. 
f.  Hyg.  30)  auf  diese  Weise  nur  beim  Proteus  vulgaris  Merkaptan  nach- 
zuweisen. Über  die  Trennung  des  Merkaptans  vom  Schwefelwasserstoff 
».  o.  S.  636.  Die  Bleiproben  sind  nur  mit  Vorsicht  zu  benutzen.  Eisen- 
salznährböden reagieren  nicht  auf  Merkaptan. 

§  207.  Oxydation  des  Schwefels  und  seiner  Verbindungen. 

Während  das  schwefelhaltige  Endprodukt  der  anaeroben  Eiweiß- 
zeisetzong,  der  sogenannten  Fäulnis,  der  Schwefelwasserstoff  ist,  tritt 

1)  £.  und  H.  Salkowski,  Ber.  ehem.  Gesellsch.   1879,  648. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  19.  184,  1893. 

3)  Arbeit.   Gesundheitsamt.   8.   498,   1893,  vgl.  Maaßen,  eb.    15. 
VX),  1901. 

4)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   10.  535,  1903. 

Kr  ose,  Mikrobiologie.  41 


642  Kap.  XI,  §  207  u.  208. 

dieser  Körper  bei  der  Verwesung,  die  unter  kräftiger  Mitwirkung  des 
Luftsauerstoffs  verläuft,  nicht  in  größeren  Mengen  auf,  sondern  statt 
dessen  Schwefelsäure  (§  176).    Zum  Beispiel  verläuft  die  Verwesung 
im  Boden  mit  einer  starken  Zunahme  des  Schwefelsäuregehalts,  wie 
zahlreiche  Untersuchungen   des  Grundwassers  in  stark  mit  „Stadt- 
jauche" verunreinigtem  oder  Leichen  enthaltendem  Boden  und  des  Ab- 
laufes von  biologischen  Filtern  (§  183)  ergeben  haben.    Welche  Mikro- 
organismen dabei  vorwiegend  ins  Spiel  treten,  ist  noch  nicht  genügend 
studiert  worden.  Immerhin  wissen  wir,  daß  zur  Oxydation  der  Schwefel- 
verbindungen sicher  viele  Mikroben  imstande  sind.    In  bescheidenem 
Maße  haben  wir  diese  Eigenschaft  bei  Bakterien  entwickelt  gefunden, 
die  aus  Eiweiß  Schwefelwasserstoff  abspalten  (S.  637).    Marchai 
(S.  527)  gibt  femer  an,  daß  der  Bac.  mycoides  nicht  nur  den  Kohlen- 
stoff des  Eiweißes  zu  Kohlensäure,  seinen  Wasserstoff  zu  Wasser, 
sondern  ebenso  seinen  Schwefel  zu  Schwefelsäure  oxydiere.  Analytische 
Belege   fehlen   freilich.     Andere   aerobe   Mikroorganismen,   die   unter 
kräftiger  Oxydation  Eiweiß  zersetzen,  vor  allem  die  Schimmelpilze 
(S.531),  werden  voraussichtlich  auch  zur  Oxydation  des  Eiweißschwefels 
imstande  sein.   Unmittelbare  Beweise  dafür  sind  aber  noch  zu  liefern. 
Ob  dabei  Schwefelwasserstoff  als  Zwischenstufe  auftritt,  ist  ebenfalls 
unbekannt.    Jedenfalls  tritt  er  bei  den   Schimmelpilzen  niemals  in 
größeren  Mengen  in  Freiheit. 

Daß  auch  Lebewesen,  in  deren  Ernährung  die  Schwefelverbindungen 
eine  so  bescheidene  Rolle  spielen,  wie  die  Hefepilze^),  besondere  Ein- 
richtungen haben,  um  diese  in  ihrem  Stoffwechsel  zu  verwerten,  und 
zwar  zu  oxydieren,  haben  Hahn  und  Ger  et*)  in  ihren  Versuchen 
mit  dem  zellfreien  Hefepreßsaft  wahrscheinlich  gemacht.  Sie  fanden 
während  der  Selbstverdauimg  dieses  Saftes  eine  Vermehrung  des  Schwefel- 
säuregehalts von  0,033%  auf  0,060%.  Mit  der  Zymase  scheint  also, 
da  man  vorläufig  eine  Abspaltung  von  Schwefelsäure  etwa  aus  Sulfo- 
säuren  nicht  anzunehmen  berechtigt  ist,  eine  Art  von  Schwefel- 
oxyd a  s  e  vergesellschaftet  zu  sein.  Das  schließt,  wie  wir  spater 
sehen  werden,  die  Gegenwart  eines  Schwefelsäure  reduzierenden  Fer- 
ments (Philothion)  in  dem  Hefepreßsaft  nicht  aus  (§  211).  Ähnliche 
Untersuchungen  bei  anderen  Mikroorganismen  liegen  noch  nicht  vor. 

Auf  der  anderen  Seite  wissen  wir,  daß  der  durch  die  Fäulnis  oder 
auf  andere  Weise  (§  205,  211,  212)  gebildete  Schwefelwasserstoff  durch 
eine  Reihe  merkwürdiger,  namentlich  im  Wasser  lebender  Kleinwesen, 
die  geradezu  auf  diesen   Stoff  angewiesen  sind, 


1)  Ad.  Mayer,  Gärungschemie  5.  Aufl.   1902.   149. 

2)  Vgl.  ZjTnasegärung  (B  u  c  h  n  e  r  und  Hahn  1903)  S.  307. 


Wandlimgen  des  Schwefels.  643 

zu  Schwefel  und  Schwefelsäuie  ozjdiert  weiden  kann.  Es  sind  das 
die  farblosen  Schwefelbakterien,  die  ihren  Namen 
davon  haben,  daß  sie  Schwefelkömer  in  ihrem  Leibe  aufspeichern, 
femer  ein  Teil  der  Purpurbakterien,  deren  Körper  außer 
Schwefel  noch  roten  Farbstoff  enthält,  schließlich  farblose  Bakterien, 
die  zwar  nicht  in  ihren  Leibern  Schwefel  aufspeichern,  aber  in  ihrer 
Umgebung  solchen  ausscheiden  und  daneben  die  vorgenannte  Schwefel- 
säure oder  andere  Oxydationsprodukte  des  Schwefels  erzeugen.  Man 
hat  ein  Recht,  alle  diese  Mikroorganismen  als  Erreger  der 
Schwefelsäuregärung  zusammenzufassen  (§  208 — ^210). 

§  208.  Farblose  Schwefelbakterien.  Diese  Sumpfwasser 
bewohnenden  stattlichen  Mikroorganismen  sind  schon  lange  unter  dem 
Xamen  der  Beggiatoafäden  bekannt.  Daß  die  sie  auszeich- 
nenden, stark  lichtbrechenden  Lihaltskömer  aus  Schwefel  be- 
stehen, zeigte  zuerst  Gramer^).  F.  C  o  h  n  ^)  stellte  dann  die  Theorie 
auf,  daß  die  Beggiatoen  imd  die  Purpurbakterien,  von  denen  wir  später 
sprechen  werden  {§  209),  den  Schwefelwasserstoff  durch  Reduktion 
aus  schwefelsauren  Salzen  erzeugten.  Nach  Winogradskys^) 
Arbeiten  verhält  sich  die  Sache  umgekehrt  so,  daß  der  Schwefelwasser- 
stoff durch  andere  sulfatreduzierende  Mikroorganismen  u.  dgl.  geliefert 
und  von  den  Beggiatoen  zu  Schwefel  und  Schwefelsäure  oxydiert 
wird.  Dieser  Prozeß  ist  ihnen  zu  ihrem  Leben  so  nötig,  daß  sie  in 
einem  Wasser,  das  frei  ist  von  Schwefelwasserstoff,  nicht  zu  existieren 
vermögen.  Wird  ihnen  das  Gas  entzogen,  so  zehren  sie  eine  2feitlang 
noch  von  dem  Schwefel,  den  sie  in  in  ihrem  Körper  aufgespeichert 
haben;  wenn  er  verbraucht  ist,  sterben  sie  ab.  Allzu  hoch  darf  der 
Schwefelwasserstoffgehalt  freilich  nicht  steigen;  ist  das  Wasser  damit 
gesättigt,  so  gehen  sie  ebenfalls  zugrunde.  Die  Menge  des  Gases,  das 
die  Beggiatoen  verbrauchen,  ist  recht  erheblich,  sie  beträgt  täglich 
etwa  das  Doppelte  bis  Vierfache  ihres  eigenen  Gewichtes.  Andere 
Nährstoffe  werden  dafür  um  so  weniger  gebraucht;  es  sollen  wohl 
solche  einfachster  Form,  wie  z.  B.  ameisensaure  und  Propionsäure, 
genügen,  doch  wären  genauere  Untersuchungen  darüber  nötig,  die 
freilich  die  Herstellung  von  Reinkulturen  zur  Voraussetzimg  hätten. 
Jedenfalls  ist  sicher,  daß,  wenn  das  Wasser  nur  Spuren  von  organischer 
Substanz  und   Salpetersäure  neben  genügendem  Schwefelwasserstoff 


1)  Bei    Chr.    Müller,    Chem.-phys.    Besclireibung    der    Thermen 
von  Baden  in  der  Schweiz,  1870. 

2)  Beitr.  z.  Biol.  d.  Pflanzen  1.  3,  1875. 

3)  Botan.   Zeitg.    1887.   31—37  und  Beitr.   z.  Morphol.  u.   Physiol. 
d.  Bakterien,  Leipzig  1888. 

41* 


644  Kap.  XI,   §  208. 

enthält,  wie  es  bei  vielen  Scliwefelwässem  der  Fall  ist,  diese  merk- 
würdigen Organismen  darin  fortkommen  können,  während  die  Gegen- 
wart reichlicher  und  besserer  Nährstoffe,  wie  Zucker,  Pepton  und  der- 
gleichen, nur  das  Aufkommen  anderer  Mikroben  begünstigt  und  schon 
dadurch  die  Schwefelbakterien  schädigt.  Sie  verhalten-  sich  also  ähn- 
lich den  Nitrifikationsbakterien  (§  196),  nur  scheinen  sie  mit  Kohlen- 
säure als  einziger  C- Quelle  doch  nicht  auskommen  zu  können.  Wie 
dort  die  Oxydation  des  Ammoniaks  und  der  salpetrigen  Säure,  6o  liefert 
hier  die  Verbrennung  des  Schwefelwasserstoffe  und  Schwefels  die  zum 
Leben  nötige  Energie.  In  beiden  Fällen  scheint  die  Natur  übrigens 
nicht  sehr  sparsam  zu  wirtschaften.  So  werden,  wie  wir  sahen 
(S.  603),  verhältnismäßig  große  Energiemengen  für  den  Aufbau  der 
organischen  Substanz  durch  die  Nitrobakterien  verbraucht.  Genaue 
Bestimmimgen  des  Schwefelbedarfe  und  des  ganzen  Stoffwechsels 
fehlen  allerdings,  man  hat  aber  einige  Anhaltspimkte  in  gewissen 
Beobachtungen  Winogradskys.  Verschwinden  doch,  wenn  man 
den  Zutritt  von  Schwefelwasserstoff  von  einer  Beggiatoenkultur  ab- 
sperrt, binnen  24  Stunden  die  den  Körper  prall  erfüllenden  Schwefel- 
tröpfchen  vollständig  durch  Oxydation  zu  Schwefelsäure,  während 
in  der  gleichen  Zeit  die  Masse  des  Spaltpilzes  höchstens  um  das  Doppelte 
zunimmt.  Man  darf  daher  wohl  annehmen,  daß  zur  Assimilation  von 
je  1  g  Kohlenstoff  etwa  8 — 19  g  Schwefel  verbraucht  werden.  Lassen 
wir  auch  die  stark  endotherme  Beaktion 

HgS  +  0  =  H^O  +  (S  +  65  Kai.) 

beiseite  und  stellen  bloß  die  Oxydation  des  Schwefels  zu  Schwefel- 
säure in  Rechnung: 

S  +  30  +  HgO  =  H2SO4  +  (142,5  Kai.) , 

so  kann  man  nach  anderwärts  ausgeführten  Berechnungen  (S.  611) 
leicht  überschlagen,  daß  schon  die  Verbrennung  eines  Atoms  Schwefels 
mehr  als  hinreichende  Energie  liefern  könnte, '  um  den  Aufbau 
von  3  Atomen,  d.  h.  etwa  des  gleichen  Gewichts  der  Propionsäure 
und  einem  Atom  Stickstoff  (der  Salpetersäure)  zu  Aminopropionsäure 
zu  bewerkstelligen.  Der  Aufbau  anderer  Aminosäuren  und  damit  auch 
des  Eiweißes  erfordert  noch  weniger  Energie  (§  231).  Die  tatsächlich 
entwickelte  Wärmemenge  ist  also  ein  Vielfaches  der  theoretisch  erforder- 
lichen. Die  bei  der  Verbrennung  des  Schwefels  nachweislich  gebildete 
Schwefelsäure  soll  nach  Winogradsky  durch  den  gleichzeitig 
im  Wasser  vorkommenden  kohlensauren  Kalk  abgesättigt  werden. 
Eine  saure  Reaktion  entsteht  jedenfalls  nicht  in  den  Wasserkulturen 
der  Schwefelbakterien. 


Wandlimgen  des  Schwefels.  645 

Zu  den  reichlichen  Verbrennungen,  die  sie  verursachen,  brauchen 
die  Mikroorganismen  natürlich  viel  Sauerstoff,  den  sie  gewöhn- 
lich der  Atmosphäre  entnehmen.  Sie  siedeln  sich  deshalb  niemals  auf 
dem  Boden  tieferer  Grewässer  an,  sondern  finden  sich  gewöhnlich  in 
Tiefen  bis  zu  1  m.  Nur  in  Gregenwart  grüner  Grewächse,  die  selbst 
«Sauerstoff  ausatmen,  können  die  Schwefelbakterien  auch  in  größeren 
Tiefen  fortkommen.  Da  sie  andererseits  auf  den  Schwefelwasserstoff 
angewiesen  sind,  und  dieser  an  der  Oberfläche  der  Gewässer  schon 
durch  den  atmosphärischen  Sauerstoff  schnell  oxydiert  wird,  bilden 
sie  auf  ihnen  keine  Decken  (Kahmhäute),  sondern  halten  sich  immer 
in  einiger  Entfernung  davon  an  den  Wänden  des  Grefäßes.  Dieselbe 
Erscheinimg  zeigt  sich  auch  bei  der  Untersuchung  in  hängenden  Tropfen : 
der  äußerste  Rand  wird  freigelassen,  dann  kommt  eine  Zone,  in  der 
sich  die  Beggiatoen  anhäufen  (vgl.  S-  100).  Bei  anderen  farblosen, 
aber  lebhafter  beweglichen  Schwefelbakterien,  die  J  e  g  u  n  o  w  ^) 
beschrieben  hat,  kann  man  in  größeren  Grefäßen  freischwebende  eigen- 
tümUche  Ansanmilungen  beobachten,  die  sich  in  ähnlicher  Weise  aus 
dem  Widerstreit  des  Sauerstoff-  imd  Schwefelwasserstoffbedürfnisses 
erklären:  es  erscheinen  in  einiger  Entfernung  unter  der  Wasseroberfläche 
Schwärme  von  Mikroorganismen,  teils  in  Form  dünner  Platten,  teils 
in  größerer  Vielgestaltigkeit.  Die  nähere  Untersuchung  lehrt,  daß 
ein  mit  Eisenoxydhydrat  getränkter  „Reaktions^'-Faden  in  die  Flüssig- 
keit eingesenkt  sich  nur  imterhalb  dieser  „Bakterienplatten"  durch 
•Sulfidbildung  schwärzt.  Die  Bakteriengesellschaften  fangen  offenbar 
den  aus  der  Tiefe  aufsteigenden  Schwefelwasserstoff  und  den  von  der 
Oberfläche  her  eindringenden  Sauerstoff  an  der  passendsten  Stelle 
ab  (vgl.  auch  S.  185  u.  186). 

Die  Reinkultur  der  farblosen  Schwefelbakterien  ist  bisher  nicht 
ceglückt.  Man  muß  sich  damit  begnügen,  sie  mit  Winogradsky 
entweder  im  kleinen  —  am  besten  einfach  auf  dem  Objektträger  unter 
dem  Deckglas,  nicht  in  hängenden  Tropfen  —  oder  im  großen  in  Gefäßen 
mit  fließendem  Wasser  zu  züchten.  Als  Kulturmittel  eignet  sich  besonders 
daa  Wasser  von  Schwefelquellen,  in  denen  die  Beggiatoen  ja  auch  unter 
natürlichen  Bedingungen  vortrefflich  fortkonunen,  aber  auch  jedes  andere 
Wasser,  wenn  man  ihm  etwas  Schwefelwasserstoff  zusetzt.  Hat  man 
keine  natürlichen  Pilzrasen  zur  Verfügung,  so  kann  man  als  Ausgangs- 
inaterial  frische  Wurzelstücke  einer  Sximpfpflanze,  z.  B.  der  Wassei*viole 
'Butomus),  benutzen.  Man  legt  sie  in  ein  tiefes  Gefäß  mit  Brunnenwasser, 
(lom  man  etwas  Gips  beimischt,  und  läßt  es  einige  Wochen  im  Dunkeln 
stehen,  bis  sich  Schwefelwasserstoff  und  damit  allmählich  auch  eine  Wuche- 
rung der  Beggiatoen  in  weißen  Rasen  entwickelt. 

Der  Schwefel  ist  in  Tropfenform  in  den  Zellen  enthalten 
und  löst  sich  zum  größten  Teil  in  Schwefelkohlenstoff  auf,  wenn  man  den 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  2,  1896. 


646  Kap.  XI,  §  208  u.  209. 

getrockneten  Rasen  damit  auszieht.  Erwärmt  man  schwefelreiche  Fäden 
in  einem  Tropfen  Wasser  vorsichtig  auf  70 ^  so  fließen  die  kleinen  Tropfen 
zu  großen  zusammen.  Aus  abgetöteten  Fäden  kristallisiert  der 
Schwefel  in  langen  durchsichtigen,  monoklinen  Prismen  oder  in  kurzen 
schwarzen  rhombischen  Oktaedern  aus.  Erwähnt  sei  noch  die  diesen  an- 
scheinend gesicherten  Befunden  widersprechende  Ansicht  von  Wille^), 
die  vermeintlichen  Schwef elkömchen  seien  Gasvakuolen,  die  bei 
Temperaturen  weit  \inter  dem  Schmelzpunkt  des  Schwefels  verschwinden 
und  in  Alkohol  leicht  löslich  sein  sollen.  Auch  Gasperini  bezweifelt 
auf  Grund  der  leichten  Löslichkeit  der  intrazellulären  Tröpfchen  in  Essig- 
säure deren  Schwefelnatur.  Corsini*)  bestätigte  zwar  die  Beobachtung, 
daß  die  Schwefeltropfen  durch  Essigsäure  aus  den  Fäden  entfernt  werden, 
fand  sie  aber  in  Form  von  Schwefelkristallen  außerhalb  der  Zellen  wieder. 

Die  bei  der  Oxydation  des  Schwefels  gebildete  Schwefelsäure  läßt 
sich  durch  Fällung  mit  stark  verdünntem  Bariiunchlorid  auch  in  den 
mikroskopischen  Kulturen  nachweisen. 

Winogradsky  unterschied  neben  der  schon  von  Trevisan 
aufgestellten  freischwinunenden  Gattung  Beggiatoa  die  gewöhnlich 
festsitzende,  aber  eines  Schwimmzustandes  fähige,  ebenfalls  fadenförmige 
Thiothrix.  Die  Riesen  unter  den  Beggiatoen  imd  überhaupt  die 
größten  Formen  unter  allen  Bakterien,  die  Begg.  mirabilis,  be- 
schrieb Hinze')  genauer.  Die  Fadendicke  erreicht  45  /«.  Außer  faden- 
förmigen gibt  es  auch  rundliche  Schwefelbakterien,  näm- 
lich Warmings  Monas  MüUeri  und  fallax,  Jegunows2  Arten  (s.  o.)., 
die  mächtige  Thiophysa  volutans,  die  H  i  n  z  e  ^)  im  Sande  einer  sub- 
marinen Schwefelquelle  fand,  femer  auch  schwefelhaltige  Spi- 
rillen (Omeliansky  ^)).  Es  scheint  also  die  Form  der  farblosen 
Schwefelbakterien  ebenso  mannigfach  zu  sein,  wie  die  der  Pvurpurbakterien. 

§  209.  Pnrpnrbakterien.  Von  den  farblosen  Schwefelbakterien. 
die  wir  eben  besprochen,  imteischeiden  sich  die  Purpurbakterien,  von 
ihrer  gewöhnlich  anderen  (Jestalt  abgesehen,  durch  den  Besitz  eines 
roten,  rotvioletten  oder  braunroten  Pigments  (Bakteriopurpurin), 
das  ihre  Körper  ziemlich  gleichmäßig,  aber  in  sehr  verschiedener  Stärke 
färbt.  Alle  Purpurbakterien  besitzen  neben  dem  roten  auch  ein  grünes 
Pigment,  das  Bakteriochlorin.  (Genaueres  über  diese  Farbstoffe  s.  §253.) 

Die  Biologie  der  Purpurbakterien  ist  von  Ray-Lankaster^), 
Warming'^),    Engelmann®)    imd   Winogradsky*)  und 


1)  Biol.  Zentralbl.   1902.  257. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   14,   1905. 

3)  Her.  bot.   Gesellsch.   1901.  369. 

4)  Ebenda  1903.  309. 

5)  L  a  f  a  r  s  Handb.  3.  231,  1905. 

6)  Quarterl.  Journ.  micr.  sc.   13,  1873  und  16,  1876. 

7)  Nach  Winogradsky. 

8)  Pflügers  Arch.  30,   1883,  und  42,   1888;  Botan.  Zeitg.   1888.  661. 

9)  Beitr.  z.  Morphol.  u.  Phys.  d.  Bakterien  I.  Leipzig  1888. 


Wandlungen  des  Schwefels.  647 

neuerdings  von  Molisch ^)  genauer  studiert  worden  (s.  u.).  Über  die 
Bedeutung  der  Farbstoffe  war  man  lange  Zeit  im  Unklaren.  Engel- 
mann  hatte  ursprüngUch  bei  seinem  „Bact.  photometricum''  Aus- 
scheidmig  von  Sauerstoff  im  licht  nicht  beobachtet,  glaubte  sie  aber 
in  spateren  Versuchen  ebenso  bestimmt  nachweisen  zu  können.  Sein 
Verfahren  bestand  darin,  daß  er  luftbedürftige  Bakterien,  wie  Spirillen 
und  Infusorien,  zu  einer  Kultur  von  Purpurbakterien  brachte  und 
sie  unter  dem  Deckglas  mit  Yaselin  gegen  die  Luft  abschloß.  Wenn 
der  im  Wasser  gelöste  Sauerstoff  verbraucht  ist,  kommen  nach  seiner 
Beobachtung  die  beweglichen  Aerobier  im  Dunklen  schnell  zur  Buhe, 
werden  aber  sofort  beweglich  und  streben  der  Kolonie  der  Purpur- 
bakterien zu,  sobald  diese  belichtet  werden.  Grüne  chlorophyllhaltige 
O^anismen  scheinen  zunächst  ganz  ähnlich  zu  wirken,  doch  zeige  sich 
ein  Unterschied,  wenn  man  den  Einfluß  der  einzelnen  Teile  des  Spek- 
trums untersuche:  während  das  Chlorophyll  nur  in  rotem  Lichte  aus 
der  Kohlensäure  Sauerstoff  abspaltet,  sei  das  Bakteriopurpurin  nur 
dazu  imstande,  wenn  es  von  ultraroten,  den  sogenannten  dunklen 
Wärmestrahlen  getroffen  werde.  Nach  Engelmann  hätten  wir 
es  also  bei  den  Purpurbakterien  mit  Organismen  zu  tun,  die  wie  die 
grünen  Pflanzen  die  Kohlensäure  assimilieren,  dies  aber  nicht  mit  Hilfe 
des  Chlorophylls,  sondern  des  Bakterienpurpurs  leisten  können.  W  i  n  o  - 
g r a d 8 k y  hat  zwar  die  Versuche  Engelmanns  nicht  wiederholt, 
hielt  aber  auf  Grund  der  Widersprüche  zwischen  Engelmanns 
früheren  und  späteren  Ergebnissen  die  Frage  noch  nicht  für  endgültig 
entschieden.  Auch  nach  seinen  Beobachtungen  würden  zwar  die  Pur- 
purbakterien durch  das  Licht  beeinflußt  —  siedeln  sie  sich  doch  stets 
an  der  nach  dem  Licht  zu  gelegenen  Seite  der  Kulturgefäße  an  — ,  die 
Ursache  soll  aber  nicht  ihr  eigener  Farbstoff  sein,  sondern  das  chloro- 
phyllartige Pigment  von  „grünen  Bakterien",  die  sich  immer  in  Gesell- 
schaft der  roten  Bakterien  befinden  (§  253).  Künstliche  Einführung 
solcher  grünen  Bakterien  begünstige  die  Entwicklimg  der  roten  Organis- 
men erheblich. 

Winogradsky  glaubt  weiter  mit  Hilfe  seiner  Mischkulturen 
nachweisen  zu  können,  daß  die  Emährungsbedingungen  ähnliche  seien 
wie  die  der  farblosen  Schwefelbakterien.  Geringste  Spuren  organischer 
Nährstoffe,  z.  B.  buttersauren  Kalks,  scheinen  zu  genügen,  wenn 
daneben  Schwefelwasserstoff  geboten  wird.  Von  dem  letzteren  ver- 
tragen die  roten  Bakterien  größere  Mengen  als  die  Beggiatoen,  denn 
selbst  in  konzentrierten  Lösungen  von  HgS  gedeihen  sie  noch  gut. 
Auch  sie  lagern  Schwefeltröpfchen  ab  und  oxydieren  sie  zu  Schwefel- 


1)  Purpurbakterien,  Jena  1907. 


648  Kap.  XI,  §  209  n.  210. 

säure.    Eisen-  und  Mangansalze  begünstigen  ihre  Entwicklung,  viel- 
leicht, weil  sie  zur  Bildung  des  Farbstoffes  nötig  sind. 

Durch  die  Arbeit  Molischs,  dem  es  gelang,  einige  Arten  rein 
zu    züchten,  ist  die  Frage  nach  der  Bedeutung  des  Farbstoffs 
für  die  Purpurbakterien  anscheinend  endgültig  in  dem  Sinne  beant- 
wortet worden,  daß  er  sie  nicht  befähigt,  die  Kohlen- 
säure unter  Sauerstoffabspaltung  zu  assimilieren, 
daß  die  Bakterien  vielmehr  am  besten  in  konzentrierten  organischen 
Nährböden  gedeihen,  wobei  Licht  und  Farbstoff  allerdings  hier  gegen- 
über  den    organischen   Nährstoffen   eine   ähnliche   Rolle   zu    spielen 
scheinen,  wie  bei  der  Assimilation  der  Kohlensäure  durch  die  grünen 
Pflanzen.    Dabei  stellte  sich  gl^chzeitig  heraus,  daß  ein  großer 
Teil    der    Purpurbakterien,    wie    es    schon    N  a  d  s  o  n  ^) 
gefunden,  des  Schwefelwasserstoffes  gar  nicht  zur 
Ernährung    bedarf,    und    auch    kein.en    Schwefel 
ablagert,  daß  femer  die  meisten  Purpurbakterien  mehr  oder  weniger 
luftscheu,  einige  sogar  strenge  Anaerobier  sind  (S.  101).    Mo- 
lisch teilt  danach  die  Purpur-  oder  Rhodobakterien  in  zwei  Gruppen, 
die  Thiorhodaceen  imd  Athiorhodaceen.  Leider  ist  es  auch  M  o  1  i  s  c  h 
noch  nicht  gelungen,  die  ersteren  rein  zu  züchten.    So  bleibt  die  Fri^ 
nach  der  Bedeutung  des  Schwefels  für  die  Purpurbakterien,  die  nach 
Molischs  Erfahrungen  mindestens  in  einem  anderen   lichte  er- 
scheint als  früher,  vorläufig  noch  offen. 

Die    Purpurbakterien   finden   sich   nicht   selten   in    Schwefelquellen, 
jedoch  lange  nicht  so  häufig  wie  die  Beggiatoen;  in  manchen  Sumpf  wässern 
sind  sie  so  zahlreich,  daß  sie  auffallende  Trübungen  hervorrufen.  Am  sicher- 
sten erhält  maxi  sie  nach  M  o  1  i  s  c  h  ,  wenn  man  tierische  oder  pflanz- 
liche Abfälle,  Leichen  u.  dgl.  in  schmalen  hohen  Standzy lindem   mit  Fluß- 
oder   Meerwasser    wochen-    oder    monatelang    dem    Sonnenlicht    aussetzt. 
Um  Reinkulturen  zu  erhalten,  benutzt  man  am  besten  Schüttelkultiu*en 
in  hohen  Reagensgläsern,  die  man  lajige  beobachten  muß,  weil  die  Kolonien 
langsam  zu  wachsen  pflegen.    Als  Nährboden  eignet  sich  Agar  (oder  Gela- 
tine) mit  Mineralsalzen,  0,5 — 1%  Pepton  und  Glyzerin  oder  Dextrin;  aber 
auch  die  sonst  üblichen  Nährböden,  z.  B.  Kartoffeln,  gestatten  das  Waclis- 
tum.     Die   Gruppe  der  Purpurbakterien  ist   —  wie  die 
der  Schwefel-und  Chlorophyllbakterien  —  sehrviel- 
gestaltig und  wiederholt  sämtliche  sonst  bekann- 
ten Bakterienformen.    Vgl.  Systematik  bei  Winogradsky, 
M  i  g  u  1  a    (System   der   Bakterien  2.  Bd.,  1900)  imd   M  o  1  i  s  c  h,  ferner 
unser  Bakteriensystem   §  359. 

§  210.     Andere  Erreger  der  Schwefelsfturegärung.   Im 

großen  und  ganzen  wie  die  Schwefel-  und  Purpurbakterien  verhalten  sich 


1)  Botan.  Zentr.  1896.  90,  1904. 


Wandlungen  des  Schwefels.  649 

manche  andere  Bakterien,  die  aber  deswegen  lange  der  allgemeinen 
Aufmerksamkeit  entgangen  sind,  weil  sie  weder  prächtige  Farbstoffe 
bilden,  noch  Schwefel  in  ihrem  Leibe  aufspeichern.  Ihr  Studium  durch 
Nathanson  und  Beijerinck  hat  die  wichtige  Tatsache  fest- 
gestellt, daß  es  außer  den  Salpeterbakterien  noch 
andere  Kleinwesen  gibt,  die  ohne  Beihilfe  des 
Lichts  Kohlensäure  assimilieren  (vgl.  S.  121). 

Nathanson^)  sah  solche  Bakterien  sich  entwickeln,  als  er 
Seewasser,  mit  einem  Zusatz  von  Schwefelkalium  versehen,  mit  etwas 
3Iaterial  impfte,  das  echte  Schwefelbakterien  (§  208 ff.)  enthielt  (Meeres- 
schlamm?).  Statt  der  letzteren  traten  regelmäßig  dicht  unter  der 
Oberfläche  der  Lösung  kleine  lebhaft  bewegliche,  farblose  Bazillen  auf. 
iSie  ließen  sich  weiter  züchten  in  Seewasser,  das  höchstens  1%  imter- 
schwefligsanres  Natrium  (Natriumthiosulfat  Na^SsOg),  aber  keine 
organischen  Stoffe  enthielt.  Auf  ähnlich  zusanomengesetztem  Agar 
konnten  verschiedene  Arten  in  Beinkultur  isoliert  werden.  Ebenso 
günstig  erwies  sich  eine  künstliche  Lösung,  die  3%  NaCl,  0,25%  MgCl^, 
0,1%  KNO3,  0,05%  Na5^P04,  0,2—1%  NagSgOg  und  etwas  MgCOg 
in  Substanz  erhielt.  Wurde  das  Karbonat  weggelassen,  aber  der  Zutritt 
kohlensäurehaltiger  Luft  nicht  gehindert,  so  erfolgte  Entwicklung, 
wenn  auch  bedeutend  langsamer.  Karbonat  allein  ermöglichte  ein 
ebenso  gutes  Wachstum,  ob  man  die  Luft  vorher  von  ihrem  Kohlen- 
säuregehalt befreite  oder  nicht.  Wurde  gar  keine  Kohlensäure  in  der 
einen  oder  anderen  Form  verabreicht,  so  blieb  die  Entwicklung  voll- 
ständig aus.  Zusätze  von  Nährstoffen  wie  Zucker,  Glyzerin,  Tartrat, 
Fonniat,  Oxalat,  Harnstoff  änderten  an  diesen  Verhältnissen  nichts. 
Sie  waren  imschädlich  für  die  Bakterien,  wurden  aber  offenbar  von 
ihnen  nicht  angegriffen.  Die  Assimilation  der  Kohlen- 
säure war  dadurch  bewiesen.  Schwieriger  war  es,  die  Ver- 
änderungen des  Schwefels  im  Stoffwechsel  dieser  Bakterien  festzu- 
stellen. Man  konnte  zunächst  daran  denken,  daß  aus  der  Oxydation 
des  Thiosulfats  teils  freie,  teils  gebundene  Schwefelsäure  hervorginge 
nach  der  Formel: 

NajSA  +  HgO  +  4  0  =  Na2S04  +  H2SO4 . 

Doch  sprach  dagegen,  daß  die  schwache  Alkalinität  der  Nährlösung, 
die  keinen  Karbonatzusatz  erhalten  hatte,  unverändert  blieb.  Na- 
thanson kam  deswegen  auf  die  Vermutung,  daß  die  Oxydation 
nicht  bis  zur  Schwefelsäure,  sondern  nur  bis  zur  Di-  oder  Tri-  oder 
Tetrathionsäure  fortschreite.   Li  der  Tat  erwies  sich,  wie  eine  Analyse 


1)  Mitteil.  d.  zool.  Stat.  Neapel  15.  665,  1902. 


650  Kap.  XI,   §  210. 

des  gesamten  Schwefelamsatzes  ergab,  die  letztere  Vermutung  als 
richtig^):  die  Oxydation  verläuft  nach  der  Formel: 

SNaaSjOj  +  50  =  2Na2S04  +  T^B^ßße^ 

Während  der  Prozeß  innerhalb  der  Bakterienzellen  vor  sich  geht  und 
dabei  kein  freier  Schwefel  abgelagert  wird,  scheidet  sich  außerhalb 
der  Zelle  um  die  Bakterienkolonien  und  auf  der  Oberfläche  der  Nähr- 
lösungen eine  große  Menge  freien  Schwefels  ab,  und  zwar 
nach  Nathansons  Ansicht  auf  Grund  einer  nicht  näher  studierten 
Umsetzimg  des  tetrathionsauren  Natriums  mit  dem  Natriumthio- 
Sulfat.  Merkwürdigerweise  schied  sich  aber  der  Schwefel  nicht  un- 
mittelbar um  die  Kolonie  aus,  sondern  ließ  einen  schmalen  Hof  frei. 
Man  konnte  daher  an  eine  extrazelluläre  Oxydations- 
Wirkung  denken.  Nathanson  hat  eine  solche  auch  in  den  Fil- 
traten  der  Kulturen  gefunden.  Zyaninlösimg  wurde  augenblicklicli 
entfärbt,  Tetramethylparaphenylendiamin  gebläut,  ohne  daß  eine 
Reaktion  auf  salpetrige  Säure  hätte  erzielt  werden  können.  Guajak- 
tinktur  und  Indigokarmin  blieben  dagegen  imverändert.  Aufkochen 
störte  die  Beaktion  nicht.  Es  könnte  sich  vielleicht  um  ein  perschwefel- 
saures Salz  handeln. 

Beijerinck*)  glaubte  die  Ergebnisse  Nathansons  durch 
seine  Untersuchungen  in  gewisser  Beziehung  abändern  zu  müssen. 
Nach  ihm  sind  ähnliche  Bakterien  („Thiobazillen")  nicht  nur  im  Salz- 
wasser, sondern  auch  im  Süßwasser  weit  verbreitet  und  lassen  sich 
z.  B.  aus  Grabenschlamm  in  einer  Lösung,  die  0,5%  NagSgOg,  0,PÖ 
NaHCOg,  0,02%  K2HPO4,  0,01%  NH4CI,  0,01%  Mgba  enthält,  leicht 
heranzüchten  und  daim  auf  Agar  isolieren. 

Nach  Beijerinck  verläuft  die  Schwefelumsetzung  einfacher, 
nämlich  nach  der  Gleichung: 

Na^SgOg  +  0  =  Na2S04  +  S. 

Dadurch  wäre  die  reichlich  erfolgende  Schwefelausscheidimg  und  das 
Ausbleiben  der  sauren  Reaktion  gleichzeitig  erklärt.  Nathanson 
(s.  o.)  hatte  geglaubt,  diese  Beaktion  schon  deshalb  ablehnen  zu  müssen, 
weil  sie  außerhalb  der  Zellen  erfolge,  also  nicht  der  Assimilation  dienst- 
bar gemacht  werden  könne.  Da  Beijerinck  kene  Analyse,  die 
seine  Auffassung  bestätigt,  mitteilt,  wird  man  weiteres  abwarten 
müssen. 


1)  Die    Bestimmungsmethode   der    Schwefelverbmdungen   s.   in  der 
Arbeit;  vgl.  auch   §  212. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   11.  593,   1904. 


Wandlungen  des  Schwefels.  651 

In  ähnliclier  Weise  soll  auch  Schwefelwasserstoff  oder  Kalzium- 
sulfid und  Tetrathionat,  nicht  aber  Dithionat  oxydiert  werden: 

HjS  +  0  =  H^O  +  S 

NajS^Oe  +  Na^COg  +  0  =  2Na2S04  +  CO^  +  Sg. 

Mindestens  würde  danach  ebensoviel  Schwefel  frei  werden,  wie  zu 
Schwefelsaure  oxydiert  würde.  Das  widerspricht  den  Ergebnissen 
Nathansons,  der  nur  den  vierten  Teil  des  Schwefels  sich  ab- 
scheiden sah. 

Das  Ammonsalz  kann  durch  Salpeter,  das  Bikarbonat  durch  Soda 
ersetzt  werden,  doch  wirkt  die  locker  gebundene  Kohlensäure  günstiger. 
Auch  Beijerinck  findet  Harnstoff,  Ameisensäure,  Oxalsäure  usw. 
unbrauchbar  zur  Ernährung  seiner  Bakterien. 

Eine  genaue  Stoffwechselrechnung  hat  auch  Beijerinck 
nicht  angestellt.  Die  Menge  der  von  diesen  Mikro- 
organismen neugebildeten  Substanz  ist  aber 
jedenfalls  recht  gering  im  Verhältnis  zu  der  Menge 
der  zersetzten  Schwefelverbindungen. 

Der  Schwefel  dient  weiter  als  Energiequelle  nicht  nur  bei  der  Assimi- 
lation der  Kohlensäure,  sondern  auch  bei  der  Reduktion  der  Nitrate, 
oder  besser  gesagt,  der  Sauerstoff,  der  den  Schwefel  zu  dieser  Leistimg 
befähigt,  kann  sowohl  der  Atmosphäre  als  der  Salpetersäure  (§  198) 
entnommen  werden.  Beijerinck  hat  Mikroorganismen,  die  gleich- 
zeitig Schwefelsäure-  und  Stickstoffgärung  verursachen  (Thiobacillus 
denitrificans)  aus  Grabenwasser  gezüchtet,  dem  er  10%  Schwefel 
und  2%  CaCOg  als  Pulver,  und  0,05%  KNO3,  0,02%  NagCOg,  0,02% 
K2HPO4,  0,01%  MgClg  in  Lösung  beigegeben.  Wird  diese  Mischung 
in  bis  oben  gefüllten  gut  verschlossenen  Flaschen  gehalten,  so  entwickelt 
sich  bald  ein  Stickstoffstrom,  der  Salpeter  verschwindet,  ein  Teil  des 
Schwefels  und  des  kohlensauren  Kalks  geht  dabei  in  Lösung.  Neuer 
Zusatz  von  Salpeter  unterhält  den  Prozeß.  Durch  Übertragung  auf 
Nährlösungen,  die  ebenso  wie  oben,  aber  mit  reinem  Wasser  angefertigt 
sind,  reinigt  man  die  Erreger  von  Beimengungen  und  kann  sie  schließ- 
lich auf  Agamährböden,  denen  man  Thiosulfat  statt  des  Schwefels 
beigegeben,  isolieren.  Dieses  Salz  wird,  unter  geringer  Schwefel- 
abscheidung,  oxydiert,  während  die  Thiobazillen,  die  wir  früher  kennen 
gelernt,  dabei  reichlich  Schwefel  ablagern.  Auch  in  Fleisch- 
wassemährböden  läßt  sich  dieser  Thiobazillus  züchten,  wenn  man  sie 
mit  Wasser  verdünnt  und  ihnen  Thiosulfat  zusetzt.  Hier  wird  aber 
viel  Schwefel  abgeschieden,  wohl  weil  die  Oxydation  nicht  eine  so 
kräftige  ist.     Es  verdiente  genau  festgestellt  zu 


652  Kap.  XI,  §  210  u.  211. 

werden,  wie  si c h  die  Bakterien  zu  den  Kohlen- 
stoff Verbindungen  verhalten,  ob  sie  im  Gegen- 
satz zu  den  übrigen  Mikroorganismen,  die  Koh- 
lensäure assimilieren,  auch  organische  Stoffe 
ausnutzen   können. 

Nach  Beijerinck  verläuft  die  Reduktion  des  Nitrats  und 
Oxydation  des  Schwefels  in  folgender  Weise : 

6KNO3  +  5S  +  2CaS03  =  3K2SO4  +  2CaS04  +  200^  +  SN^. 

Sie  ist  sehr  energisch,  denn  in  einer  Flasche  mit  210  ccm  Lösung  wurden 
binnen  12  Tagen  900  mg  Salpeter,  die  allmählich  zugesetzt  waren, 
zum  Verschwinden  gebracht.  Die  dazu  rechnungsmäßig  nötige  Schwefel- 
säuremenge von  0,4325  g  (als  Bariumsalz)  fand  Beijerinck 
allerdings  nicht  wieder,  sondern  nur  0,283  g.  Möglicherweise  haben 
andere  Mikroorganismen,  die  in  der  Mischkultur  vorhanden  waren, 
die  Erscheinungen  verwickelt. 

Auch  die  Rhodanate  (thiozyansauren  Salze  wie  CNSK), 
die  in  der  Natur  in  kleinen  Mengen,  z.  B.  im  Speichel  des  Menschen 
vorkommen,  und  denen  man  eine  antiseptische  Wirkung  auf  Bak- 
terien zuschreibt  (s.  Infektionslehre),  werden  nach  Beijerinck 
unter  reichUcher  Abscheidung  von  Schwefel  zersetzt.  Genaue  An- 
gaben fehlen. 

Auffallenderweise  soll  nach  van  Delden^)  auch  das  Spir. 
desulfuricans  (s.  u.  §  212),  das  Sulfate  sehr  kräftig  zu  Schwefelwasser- 
stoff reduziert  und  streng  anaerob  wäohst,  in  seinen  Kolonien  in  Gelatine 
Schwefel  abscheiden.  Van  Delden  betrachtet  als  Ursache  eine 
Oxydation  des  HgS,  vielleicht  ist  es  aber  nur  eine  unvoUkonmiene 
Reduktion  der  Schwefelsäure. 

§211.  Redaktion  des  Schwefels  und  seiner  VerbindimgeD. 

Den  mannigfachen  Oxydationsprozessen,  denen  der  Schwefel  und  seine 
Verbindungen  unterliegen  (§  207 — ^210),  stehen  Reduktionen  gegen- 
über. Daß  der  Schwefelwasserstoff  aus  organischen  Verbindungen, 
vor  allem  aus  Eiweiß  nicht  durch  eigentliche  Reduktion,  wie  man 
wohl  angenommen  hat,  sondern  wohl  durch  intramolekulare  Spaltung 
entsteht,  haben  wir  schon  S.  639  gesehen.  Wohl  unterliegt  aber  der 
Schwefel  einer  wirklichen  Reduktion,  wenn  er 
mit  lebendem  Eiweiß  in  Berührung  kommt.  So 
lehrten  schon  ältere  Erfahrungen,  daß  gärende  Hefe  gepulverten 
Schwefel  zxmi  Teil  in  Schwefelwasserstoff  verwandelt  *),  daß  Schimmel- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   11.  90,   1903. 

2)  Dumas,  Ann.  chim.  phys.  5.  s^r.  3.  92,   1874. 


Wandlungen  des  Schwefels.  653 

pilze^)  Schwefel  tind  Schwefelantimon,  anaerobe  Bakterien^)  Schwefel 
in  reinem  Zustande  und  in  vulkanisiertem  Kautschuk  ebenfalls 
zu  Schwefelwasserstoff  reduzieren.  Eine  Hefeaufschwemmung  und  alle 
möglichen  Bakterien-  und  Schimmelkulturen  leisten  nach  R  u  b  n  e  r  ^) 
dasselbe.  Wie  Schwefel  verhält  sich  nach  P  e  t  r  i  und  M  a  a  ß  e  n  ^) 
unterschwefligsaures  Natrium  (Thiosulfat  Na2S203), 
nach  Beijerinck*)  auch  schwefligsaures  ^),  tetra- 
thionsaures  und  pentathionsaures  Natrium.  Die 
H^S-Menge  ist  dabei  viel  großer,  als  diejenige,  welche  die  Mikroorganis- 
men durch  ihre  Tätigkeit  aus  Eiweißstoffen  abspalten. . 

Nicht  nur  Mikroorganismen  reduzieren  den  Schwefel,  sondern 
ebenso  die  Gewebe  höherer  Pflanzen,  insbesondere  in  den  Vegetations- 
punkten'),  femer  alle  tierischen  Säfte  und  Organe,  Eiweiß,  Eidotter 
(de  Rey-Pailhade®),  Bösin g*)).  Die  künstliche  Koagula- 
tion der  Eiweißkörper,  das  Aufkochen  der  Kulturen  hebt  ihre  Wirkung 
auf.  R  ö  8  i  n  g  hat  sich  diese  Wirkung  so  erklärt,  daß  er  dem  natür- 
lichen Eiweiß  die  Fähigkeit  zuschrieb,  bei  Gegenwart  des  Schwefels 
das  Wasser  zu  spalten:  der  Wasserstoff  gehe  dabei  an  den  Schwefel, 
das  Hydroxyl  oxydiere  das  Eiweiß.  Eine  gewisse  Stütze  erhält  diese 
Anschauung  dadurch,  daß  durch  vorherige  Einwirkung  schwach  oxy- 
dierender Stoffe  (Ferrizyankalium,  Kaliumpermanganat,  Jod)  dem 
natürUchen  Eiweiß  die  reduzierende  Wirkimg  genommen  werden  kann 
und  koaguUertes  Eiweiß  durch  diese  Mittel  nicht  mehr  oxydiert  wird. 

Die  einfache  chemische  Auffassung  R  ö  s  i  n  g  s  fand  keine  durch- 
gehende Bestätigung  in  anderen  Reaktionen.  So  bUeb  Schwefelwasser- 
stoff aus,  wenn  man  Schwefel  mit  Rohrzucker  und  Invertase  oder  mit 
Amygdalin  und  Emulsin  zusammenbrachte,  obwohl  bei  diesem  Prozeß 
auch  eine  Spaltung  des  Wassermoleküls  eintritt,  man  also  hätte  an« 
nehmen  können,  daß  der  Schwefel  daran  sich  beteiligen  würde.  Ebenso- 
wenig gelang  es  beim  Zusammenbringen  von  anderen  reduktionsfähigen 
Elementen,  wie  Selen,  Arsen  und  Antimon  mit  Eiweiß  die  entsprechen- 
den Wasserstoffverbindungen  nachzuweisen  (vgl.  §  214,  215).  Schließlich 


1)  Selmi,  Ber.  ehem.   Ges.   1874,   1642. 

2)  M  i  q  u  e  1 ,    ebenda    1879.    2152    (nach   P  e  t  r  i   und   M  a  a  ß  e  n 
fi.  u.). 

3)  Areh.  f.  Hyg.  16.  68,  1893. 

4)  Arbeit.  Gesundheitsamt  8.  348,  1893. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  1.  5,  1895  und  6.   193,  1900. 

6)  Vgl.  aber  S  a  1 1  e  t  ebenda  6.  702. 

7)  P  o  1  a  c  e  i ,  Ber.  ehem.  Ges.  1876.  841. 

8)  Bull.  ßoc.  chim.  Paris  1890.  171  und  Compt.   rend.   ac.   sc.    106. 
1683,  1888;  118.   1201,  1894. 

9)  Dissertation  Rostock  1891. 


654  Kap.  XI,  {  211  u.  212. 

läßt  das  wechselnde  Verhalten  einiger  eiweißhaltiger  Stoffe,  wie  z.  B.  der 
Milch,  daran  denken,  daß  die  reduzierende  Fähigkeit  weniger  den  Ei  weiß- 
körpem  selbst  anhaftet,  als  bedingt  wird  durch  die  Beimischung 
eines   die  Reaktion  vermittelnden   fermentarti- 
gen Körpers^).    In  der  Tat  hat  de  Rey-Pailhade  gezeigt, 
daß  man  aus  Hefekulturen  einen  schwefelreduzierenden   Stoff  aus- 
ziehen kann,  indem  man  100  g  frischgepreßte  Bierhefe  in  55  g  glykose- 
haltigem  Wasser  verteilt,  nach  und  nach  45  g  90prozentigen  Alkohols 
zusetzt,   das   Gemisch  in  verschlossener  Flasche   bei  0^  aufbewahrt, 
durch  Porzellan  filtriert  und  das  Filtrat  mit  der  Luftpumpe  von  Kohlen- 
säure befreit.   Die  so  gewonnene  Flüssigkeit  bildet  aus  Schwefelpulver 
HgS,  absorbiert  außerdem  Sauerstoff  und  produziert  bei  Luftabschluß 
Kohlensäiire.     Den   reduzierenden   Bestandteil  hat   der   französische 
Verfasser  Philothion  genannt.    Auch  in  tierischen  Organen  hat 
er  ihn  gefunden,  ihn  daraus  aber  nicht  mit  Hilfe  der  Alkoholbehand- 
lung ausziehen  können.   Das  Philothion  wird  schon  durch  den  Sauer- 
stoff der  Luft  in  einigen  Tagen,  bei  70**  in  2  Stunden,  durch  Chlor. 
Brom  und  Jod  sofort  zerstört,  kann  also  vielleicht  als  ein  Enzym, 
eine    „Reduktase"    aufgefaßt   werden.     M.    H  a  h  n  2)    hat   wie 
Wroblewski*)  nachgewiesen,  daß  der  zellfreie  Preßsaft  der  Hefe 
—  mit  oder  ohne  Luftzutritt  —  dieselbe  reduzierende  Wirkung  auf 
Schwefel  und  besonders  auf  Thiosulfat  entfaltet,  sie  auch  in  abge- 
lagertem Zustande  lange  behält  und  erst  bei  55®  zimi  Teil,  bei  65° 
im  wesentlichen  einbüßt.  Mit  der  Gärkraft,  der  Zymasewirkung  (§  89) 
hat  sie  also  nichts  zu  tun,  ist  auch  verschieden  von  dem  reduzierenden 
Vermögen,  das  der  Preßsaft  gegenüber  Farbstoffen  wie  Methylenblau 
entfaltet  (§  161).    Offenbar  hat  Hahn  das  Philothion  de  Rey- 
Pailhades  in  kräftigerem  Zustand  in  Händen  gehabt.    Auch  die 
Preßsäfte  des  Tuberkelbazillus  und  Vibrio  phosphorecens  entwickelten 
HgS  mit  Thiosulfat,  nicht  die  der  Choleraspirillen,  der  roten  Sarzine 
imd  des  Typhusbazillus.     M  a  a  ß  e  n  ^)  fand  ebenfalls  den  Preßsaft 
des  P  e  t  r  i  sehen  Butterbazillus  und  zerriebene  Azetondauerpräparate 
des  Bac.  proteus  mirabilis  und  Vibrio  phospohrescens  fähig,  aus  freiem 
Schwefel  (und  zum  Teil  auch  aus  Witteschem  Pepton  S.  640)  bei  45° 
innerhalb    einiger    Stunden   nachweisbare    Schwefelwasserstoffmengen 
zu  entwickeln.    Die  Preßsäfte  von  Schinmielpilzen  und  Hefe,  nament- 


1)  Neuerdinga  will  Heff  ter  (Hofmeisters  Beitr.  5.  232,  1904) 
in  dem  Gehalt  des  Eiereiweißes  an  Merkaptanen  die  Quelle  der  H,S-Bildung 
sehen. 

2)  Zymasegärung  (Buchner  und  Hahn  1903.   S.  341). 

3)  Ber.  ehem.  Gesellsch.  1898.  3218. 

4)  Arbeit.  Gesundheitsamt  21.  3»  1904, 


Wandlungen  des  Schwefels.  655 

lieh  aber  die  zerriebenen  Organe  von  Pflanzen  und  Tieren  waren  viel 
wirksamer.  Die  reduzierenden  Stoffe  der  letzteren  besaßen  übrigens 
auch  eine  größere  Widerstandsfähigkeit,  waren  z.  B.  in  einem  gewissen 
Grade  kochfest  (S.  640).  Der  Hauptsache  nach  haften  sie  den  un- 
gelösten Bestandteilen  des  Protoplasmas  an. 

Der  Eindruck,  daß  es  sich  auch  bei  diesem  Prozeß  um  ferment- 
artige Wirkungen,  nicht  um  einfache  chemische  Reaktionen  handelt, 
wird  durch  diese  Tatsachen  nur  verstärkt. 

§  212.  Sulf atrednktion.  Schwef elwasserstof fgärnng.  Nach- 
dem wir  im  vorstehenden  die  Reduktion  der  übrigen  Schwefelverbin- 
dmigen  kennen  gelernt,  haben  wir  uns  jetzt  mit  der  der  Sulfate  zu  be- 
schäftigen. Daß  schwefelsaure  Salze  von  Mikroorganismen  —  ebenso 
wie  von  höheren  Pflanzen  —  zu  ihrer  Ernährung  verwendet  werden, 
haben  wir  schon  S.  93  gesehen.  Das  geschieht  sogar  nach  R  u  b  n  e  r 
selbst  dann,  wenn  andere  (organische)  Schwefelverbindungen  in  der 
Nährflüssigkeit  vorhanden  sind  (S.  634).  Daß  H^S  dabei,  wenn  auch 
nur  vorübergehend,  entsteht,  ist  bisher  allgemein  nicht  nachgewiesen, 
aber  doch  wohl  anzunehmen.  In  bestimmten  Fällen  ist  übrigens  der 
Beweis  geliefert,  daß  die  Schwefelsäure  reduziert  wird.  So  haben 
Stockvis  und  S  a  1 1  e  t  ^)  aus  Grabenwasser  einen  Bac.  desul- 
furicans  gezüchtet,  der  die  Sulfate  teilweise  zu  weniger  stark  oxy- 
dierenden Körpern,  vielleicht  zu  schwefliger  Säure,  reduzieren  kann^). 
Viel  energischer  werden  die  Sulfate  von  dem  Spirillum  (Microspira) 
desulfuricans  Beijerincks^)  und  dem  Spir.  aestuarii  van  D  e  1  - 
dens^)  angegriffen  und  dabei  der  Hauptsache  nach  zu  Schwefel- 
wasserstoff reduziert.  Das  erstere  Bakterium  findet  sich  im  Schlamme 
des  Süßwassers  und  ziemlich  überall  in  der  Erde,  das  letztere  im  Sande 
des  Meeresufers  und  im  Meerwasser  selbst;  ihre  Wachstumsbedingungen 
sind,  wenn  man  von  dem  verschiedenen  Chlomatriumbedürfnis  ab- 
sieht, ähnliche.  Nach  van  Delden  erhält  man  Rohkulturen  des 
Spir.  desulfuricans,  wenn  man  etwas  Schlamm  aus  sehr  stark  verunreinig- 
ten Gräben  in  einer  Lösung  von  0,5%  Natriumlaktat,  0,1%  Asparagin, 
0,1%  Magnesiumsulfat  oder  Gips,  0,05%  Kaliumbiphosphat  und  einer 
Spur  Ferrosulfat  unter  Sauerstoffabschluß  (in  einer  geschlossenen 
Flasche)  züchtet.  Die  Flüssigkeit  trübt  sich  allmählich  imd  zeigt  durch 
die  Schwarzfärbung  (Schwefeleisen)  die  Bildung  von  Schwefelwasser- 
stoff an.   Zuviel  organische  Substanz  hemmt  die  Schwefelwasserstoff- 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  6.  697,  1900. 

2)  Vgl.  aber  Beijerinck,  ebenda  844. 

3)  Ebenda  1.  1,  1895;  6.   193.   1900. 

4)  Ebenda  11.  81,  1903. 


656  Kap.  XI,  §  212  u.  213. 

gärung,  weil  ihre  Erreger  dann  durch  andere  Bakterien  überwuchert 
werden.  Aus  angereicherten  Kulturen  gelingt  es,  in  hohen  Schichten 
eines  ähnlich  zusammengesetzten  Grelatinenahrbodens  die  Spirillen 
herauszuzüchten.  Außer  den  milchsauren  sind  auch  äpfelsaure  und 
bemsteinsaure  Salze  und  von  Stickstoffverbindungen  außer  Asparagin 
auch  Pepton  und  Ammoniaksalze  zur  Ernährung  der  SpiriUen  geeignet; 
Salpeter  (0,02%)  wird  ebenfalls  assimiliert,  hindert  aber  zunächst 
bis  er  zu  Ammoniak  reduziert  ist,  die  Schwefelwasserstof^ärung. 
Diese  verläuft,  wie  van  Delden  durch  Messung  der  HgS-  und  COg- 
Produktion  festgestellt  hat,  ziemlich  genau  nach  der  Gleichung^): 

2C3H503Na  +  3MgS04  =  3MgC03+  Na2C03+  2H2O  +  2CO2+3HJS. 

Der  Sauerstoff  des  Sulfats  oxydiert  also  den  Koh- 
lenstoff der  Milchsäure  vollständig  zu  Kohlen- 
säure. Wieviel  Bakteriensubstanz  dabei  gebildet  wird,  wissen  wir 
vorläufig  nicht.  Schwefelwasserstoff  wird  in'^sehr  erheblicher  Menge 
entwickelt,  bis  zu  246  mg  H2S  im  Liter  beim  Spir.  desulfuricans  und 
sogar  bis  zu  952  mg  beim  Spir.  aestuarii.  Die  Bakterien  vertragen  an- 
scheinend diese  starke  Konzentration  des  sonst  giftigen  Gases  recht  gut. 

Die  Kolonien  der  Spirillen  auf  festen  Nährböden  zeichnen  sich 
wie  die  der  sulfatbildenden  Mikroorganismen  dadurch  aus,  daß  sich 
in  ihnen  zwischen  den  Bakterien  Schwefel  ablagert.  Da  sie  streng 
anaerob  wachsen,  kann  es  sich  um  keine  Oxydation  von  Schwefel- 
wasserstoff handeln,  sondern  nur  um  eine  beschränkte  Keduktion 
der  Schwefelsäure,  die  auf  halbem  Wege  Halt  macht.  In  länger  fort- 
gezüchteten Kulturen  des  Spir.  desulfuricans  soll  diese  Fähigkeit 
der  Schwefelbildung  verloren  gehen. 

Die  Bedeutimg  der  Beijerinckschen  Spirillen  für  den 
Kreislauf  des  Schwefels  in  der  Natur  liegt  auf  der  Hand.  Sie  bewirken 
im  größten  Maßstabe  den  Übergang  der  schwefelsauren  Salze  teils  in 
Sulfide,  vor  allem  das  Eisensulfid,  das  die  schwarze  Farbe 
des  Schlammes  in  Gräben,  Seen  \md  manchen  Meeren  (schwarzes  Meer) 
verursacht  und  in  freien  Schwefelwasserstoff,  auf  dem  der  faule  Geruch 
der  stehenden  Wässer  wesentlich  beruht^).    Die  Fäulnisbakterien,  die 


1)  Dabei  werden  etwa  277  Kai.  entwickelt,  wenn  man  die  Energie 
gleiehung  für  die  freien  Säuren  aufstellt,  aber  die  Löslichkeit  der  Kohlen- 
säure berücksichtigt.  Der  Wärmewert  der  Reaktion  ist  viel  geringer, 
als  wenn  dieselbe  Kohlenstoffverbindung  durch  freien  Sauerstoff  verbrannt 
wird,  weil  die  Reduktion  der  Schwefelsäure  einen  großen  Aufwand  von 
Energie  erfordert.  Ist  doch  H^SO*  =  H,S  +  O«  (— 135,2  Kai.).  Vgl 
§  225. 

2)  Ob  die  „Verderbnis**  des  Talsperrenwassers  im  Sommer  (S.  680) 
sich  ebenso  erklärt,  steht  dahin. 


Wandlungen  des  Schwefels.  657 

ans  organischen  Stoffen  denselben  Stoff  entwickeln,  finden  für  ihre 
Wirksamkeit  ein  verhältnismäßig  beschränkteres  Feld  (vgl.  §  168  ff. 
u.  205). 

Der  Schwefelwasserstoff  (s.  auch  S.  636)  wird  «un  einfachsten  durch 
Titration  mit  Jodlösung  bestimmt.  Diese  Methode  ergibt  aber  wechselnde 
Resultate.  Manchmal  stinunt,  wie  die  Tabellen  van  Deldens  beweisen, 
die  Menge  des  gefundenen  H^S  mit  der  der  verschwundenen  SOg  zusammen, 
häufig  bleibt  aber  ein  mehr  oder  weniger  großer  Verlust,  der  bis  zur  Hälfte 
der  Schwefelsäure  betragen  kann.  Man  könnte  ihn  sich  entstanden  denken 
durch  die  Bildung  unvollkommener  Reduktionsprodukte,  z.  B.  Sulfite, 
Thiosulfate  oder  Tetrathionate  und  reinen  Schwefels.  Der  letztere  scheidet 
sich  schon  bei  Luftzutritt  aus  der  H^S  ab,  entsteht  durch  die  Einwirkung 
der  Eisensalze,  die  als  Indikator  dienen,  wird  aber  auch  bei  Luftabschluß 
von  den  Bakterien  selbst  ausgeschieden  (s.  o.).  Sulfite  werden  dadurch 
zur  Fehlerquelle,  daß  sie  bei  saurer  Reaktion,  bei  der  die  Titrierung  statt* 
findet,  schweflige  Säure  abspalten,  die  unter  Schwefelabscheidung  sich 
mit  dem  H^S  umsetzt.  Thiosulfat  wird  durch  Jod  in  Jodmetall  und  Tetra- 
thionat  verwandelt;  wenn  man  es  als  Schwefelwasserstoff  berechnet,  erhält 
man  also  viel  zu  wenig  Schwefel.  Tetrathionat  seinerseits  reagiert  gar  nicht 
auf  Jod,  verursacht  also,  wenn  es  in  reichlicher  Menge  gebildet  wird,  einen 
großen  Verlust.  Eine  Bestimmungsmethode,  die  allen  Möglichkeiten  ge- 
recht wird,  muß  noch  gefunden  werden.  Nathanson  (S.  649)  gelangte 
bei  seinen  Schwef  elbestimmungen  aus  dem  zufäUigen  Grunde  zu  gut  über- 
einstimmenden Resultaten,  weil  seine  schwefeloxydierenden  Bakterien 
kein  anderes  Zwischenprodukt  bildeten,  als  Tetrathionat.  Er  fand  die 
Menge  des  letzteren,  indem  er  die  durch  Bariumchlorid  unmittelbar  er- 
haltene Sulfatmenge  von  derjenigen  abzog,  die  nach  Oxydation  der  Flüssig- 
keit mit  Brom  gewonnen  wurde. 


Krasc,  Mikrobiologie.  i2 


Kapitel    XII. 

Wandlungen  anderer  anorganischer  Stoffe. 

§213.  Einleitung.  Wandinngen  des  Phosphors.  Anßerden 
in  den  vorhergelienden  Absclmitten  besprochenen  Stickstoff-  und 
Schwefelverbindimgen  (Kap.  X  u.  XI),  dem  freien  Stickstoff  (§  201  ff.), 
Schwefel  (§  207  u.211)  und  der  Kohlensäure  (§  196  u.  210)  werden  auch 
andere  anorganische  Stoffe^)  von  den  Mikroorganismen  in  ihren  Stoff- 
wechsel gezogen.  KaUum-,  Natrium-,  Magnesixmi-,  Kalziiun-  und 
Eisensalze  der  Chlorwasserstoff-,  Schwefel-,  Salpeter-,  Phosphor-  und 
Kohlensäure  werden  in  verschiedener  Weise  benutzt  (§  30).  In  welcher 
Form  es  geschieht,  welchen  Wandlungen  sie  dabei  unterUegen,  ist  nur 
wenig  bekannt.  Daß  sie  bei  dem  Aufbau  der  Körpersubstanzen,  und 
zwar  in  erster  Linie  des  Eiweißes,  eine  gewisse  Rolle  spielen,  ist  aus 
den  Analysen  der  Mikroorganismen  selbst  (Kap.  II)  wie  aus  den  Er- 
fahrungen, die  man  sonst  über  die  Zusanmiensetzung  des  Protoplasmas 
gemacht  hat,  zu  schließen.  Nur  haben  wir  gesehen,  daß  manche  Bak- 
terien und  Pilze  wenigere  Ansprüche  an  die  anorganische  Nahrung 
erheben,  als  die  höheren  Wesen.  Mehr  als  die  übrigen  anoi^aniscben 
Stoffe  interessiert  uns  die  Phosphorsäure,  nicht  nur  wegen 
ihrer  UnentbehrUchkeit,  sondern  auch  weil  wir  von  der  Phosphor- 
saure  annehmen  können,  daß  sie  bei  der  Synthese  desEiweiß- 
moleküls  teilweise  mit  diesem  in  engere  Verbindung  tritt  (Phos- 
phorproteide §  25).  Eine  Rolle  spielt  die  Phosphorsäure  weiter  im 
Lezithin  (§  26).  Die  Phosphorsäure  wird  wieder  als  solche 
frei  bei  der  Zersetzung  der  Eiweißstoffe,  z.  B.  der 
Nukleinsäure  und  des  Lezithins  (§  189),  durch  die  Mikroben 
der  Fäulnis  und  Verwesung.  Diese  Spaltungen  sind  wahrscheinlich 
enzymatischer  Natur,  wie  wir  aus  den  Befunden  von  Hahn  und 
G  e  r  e  t  bei  der  Verdauung  des  Hefepreßsaftes  wissen  (S.  495).  Anderer- 
seits hat  aber  Iwanoff  2)  gezeigt,  daß  durch  tote  Hefe,  die  aber  noch 


1)  Vom  Sauerstoff  wird  in  Kap.  XIII  die  Rede  sein. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  60.  281.    Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  24,  1909. 


Wandhingen  anorganischer  Stoffe.  659 

ganingsfahig  ist  bzw.  im  Hefepreßsaft  (S.  263),  Phosphate  auch  in 
omanische  Bindung  übei^eführt  werden  können.  Das  wiiide  für  die  Um- 
kehrbarkeit  des  enzymatischen  Vorgangs  sprechen.  Einfacherer  Art, 
d.  h.  wohl  auf  bloße  Lösung  durch  Säurebildung  zurückzuführen  sind 
die  Veränderungen,  die  die  Phosphate  des  Knochenmehls  und  Bodens 
durch  Mikrobien  erfahren.  Nach  Stoklasa,  Duchacek  und 
Pitra^)  sollen  ammoniakbildende  Bakterien  wie  der  Bac.  mycoides 
(S.  528)  am  meisten  (bis  zu  23%)  Enochenphosphat  lösen,  und 
zwar  durch  die  Kohlensäure,  die  sie  nebenbei  entwickeln.  Allerdings 
fand  Stalström^),  daß  die  gemischte  Kohlensäure- Ammoniak- 
gärung, die  sich  in  Bouillon,  Torfstreuimg  und  Torf  entwickelt,  reines 
Tiikalziumphosphat  nur  wenig,  die  Milch-  und  Buttersäuregärung, 
die  Milch  oder  Milchzuckerlösungen  eingehen,  hingegen  sehr  kräftig 
löst.  A.  Koch  und  K  r  ö  b  e  r  ^)  sahen  ebenfalls  die  Phosphorsäure 
des  Knochen-  und  Phosphatmehles  durch  die  Gärung  in  zuckerhaltigen 
Flüssigkeiten  in  Lösung  gehen. 

Auch  andere  Salze,  z.  B.  kohlensaurer  Kalk,  können  natürlich 
durch  Kohlensäure  oder  organische  Säuren,  die  im  Stoffwechsel  der 
Mikroorganismen  entstehen,  gelöst,  und  umgekehrt  lösliche  Salze, 
z.  B.  des  Kalzixuns  und  Magnesiums,  durch  Bildung  alkalischer  Produkte 
(kohlensaures  Ammoniak),  die  des  Eisens  und  Bleis  durch  Schwefel- 
wasserstoffentwicklung gefällt  werden. 

Einige  Metalle  verdienen  deswegen  eine  gesonderte  Betrachtung, 
weil  von  ihnen  oder  ihren  Verbindungen  eigentümliche  Veränderungen 
bekannt  sind,  so  das  Selen  und  Tellur  aus  der  Schwefelgruppe,  das 
Antimon  und  Arsen  aus  der  Stickstof^ruppe,  femer  das  Eisen  und 
schließlich  Chlor-,  Brom-,  Jodsauerstoffverbindungen.  Eine  wesent- 
liche Bedeutung  im  Stoffwechsel  der  Kleinwesen  selbst  haben  diese 
Prozesse  wohl  nur  ausnahmsweise. 

§  214.    Reduktion  der  selenigen  and  tellorigen  Säure. 

Nach  Scheurlen*)  und  Klett^)  reduzieren  fast  alle  daraufhin  geprüften 
Mikroorganismen  —  darunter  27  Bakterien  und  verschiedene  Schimmel- 
pilze —  die  selenige  und  tellurige  Säure  zu  Selen  und  Tellur.  Die  Ee- 
aktion  wird  in  der  Weise  angestellt,  daß  zu  den  Nährböden  von  einer 
2prozentigen  sterilisierten  Lösung  des  Natriumsalzes  der  selenigen 
Säure  2 — 10  Tropfen,  der  tellurigen  Säure  höchstens  1  Tropfen  auf  je 


1)  Hofmeisters  Beitr.  3,  1902. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  11,  1904. 

3)  Landwirtech.  Zeitg.  1906. 

4)  Zeitachr.  f.  Hyg.  33,  1900. 

5)  Ebenda. 

42* 


660  Kap.  Xn,  §  214  u.  215. 

10  ccm  zugesetzt  werden.  Die  darauf  gesäten  Mikroorganismen  er- 
zeugen, wenn  sie  sich  überhaupt  entwickeln,  früher  oder  später  Kolo- 
nien, die  durch  die  Ausscheidung  der  Metalle  rot  oder  schwärzlich- 
grau^)  gefärbt  sind.  Der  Aktinomyces  wächst  zwar  nicht  auf  diesen 
Nährböden,  seine  fertigen  Rasen  zeigen  aber  gleichfalls  die  Reduktion. 
Die  Wirkung  ist  bei  den  einzelnen  Mikroben  eine  verschiedene.  Teil- 
weise hängt  sie,  wie  sich  von  selbst  versteht,  von  der  Stärke  des  Wachs- 
tums ab,  die  bei  vielen  Arten  ungünstig  beeinflußt  wird.  Das  erschwert 
natürlich  die  Beurteilung  des  Prozesses  und  seine  Vergleichung  mit 
anderen  Reduktionen,  die  von  den  Verfassern  übrigens  nicht  versucht 
wird.  Von  den  bekannten  Arten  reduzieren  Bac.  typhi,  prodigiosus, 
coli  und  aerogenes,  anthracis  und  Staphyl.  pyogenes  kräftig,  der  Fluores- 
cens  liquefaciens  schwach.  Traubenzuckerhaltige  Nährböden  redu- 
zieren schon  ungeimpft  bei  37°,  sie  sind  also  nur  bei  niedriger  Tem- 
peratur zu  verwenden.  6 1  o  g  e  r  ^)  findet  Übereinstimmung  zwischen 
der  Schwefelwasserstoffbildimg  und  Reduktion  der  tellurigen  Säure. 
Tuberkelbazillen,  Pseudotuberkelbazillen,  Diphtherie-  und  Pseudo- 
diphtherie,  Bac.  acidi  lactici  (?)  sollen  nicht  reduzieren. 

Nach  den  Verfassern  erhalten  strenge  Aerobier  durch  Beigabe 
der  Metallsalze  nicht  die  Fähigkeit,  bei  Sauerstoffabschluß  zu  wachsen; 
Anaerobier  reduzieren  anscheinend  gar  nicht,  werden  freilich  auch  schon 
durch  kleinste  Mengen  in  ihrer  Entwicklung  gehenmit,  während  das 
schwefligsaure   Salz  ihr  Wachstum  begünstigt. 

Selensaure  Salze  werden  durch  Mikroorganismen  nicht  verändert, 
stören  auch  das  Wachstum  nicht. 

Neuerdings  hat  M  a  a  ß  e  n  ^)  nachgewiesen,  daß  die  Zellen  nicht 
lebendig  zu  sein  brauchen,  um  die  Metallreduktion  zu  bewirken.  So 
reduzierte  auch  der  zellfreie  Preßsaft  des  P  e  t  r  i  sehen  Butterbazillus, 
des  Penicillium  brevicaule,  und  die  Azetondauerpräparate  des  Proteus 
mirabilis  und  Vibrio  phosphorescens,  femer  zerriebene  Organe  von 
Pflanzen  imd  Tieren  tellurigsaures  Natron.  Es  sind  das  nach  M  a  a  ß  e  n 
dieselben  Stoffe,  die  auch  Schwefelwasserstoff  aus  Schwefel  (S.  654) 
entwickebi,  Nitrat  zu  Nitrit  (S.  612)  und  Methylenblau  (S.  476)  redu- 
zieren.   Genauere  Vergleiche  täten  aber  not. 


1)  Gosio  (Rendiconti  Accad.  Lincei  13,  1904)  sah  bei  der  Zer- 
setzung des  tellurigsauren  Kaliums  neben  braunen  bis  schwarzen  aucli 
violette  Töne  (Polytelluride?).  Nach  ihm  handelt  es  sich  um  eine  Reak- 
tion, die  intrazellulär  auftritt  und  eine  Lebenserscheinung  ist,  die  benutzt 
werden  kann,  um  das  Vorhandensein  von  Venmreinigungen  in  Flüssigkeiten, 
die  keimfrei  sein  sollten,  nachzuweisen.  Vgl.  auch  Zeitschr.  f.  Hyg.  51, 
1905  und  Gloger,  Zentr.  Bakt.  40.  4. 

2)  Arbeit.  Gesundheitsamt  21.  3,  1904. 


Wandlungen  anorganischer  Stoffe.  661 

§  215.   Reduktion  des  Arsens  durch  Schimmelpilze.    Die 

Entstehung  flüchtiger  Arsenverbindungen  aus  festen  war  schon  lange 
dorch  Erfahrungen  sichergestellt,  die  man  gelegentlich  von  Y  e  r  - 
giftungendurcharsenhaltigeTapeten  gemacht  hatte. 
Daß  Mikroorganismen,  und  zwar  in  erster  Linie  Schimmelpilze  dabei 
im  Spiele  wären,  wurde  auch  schon  in  den  siebziger  Jahren  des  vorigen 
Jahrhunderts  von  S  e  1  m  i  ^)  u.  a.  vermutet.  G  o  s  i  o  *)  lieferte  durch 
Reinkulturen  den  sicheren  Beweis  dafür,  daß  verschiedene  Schimmel- 
pilze imstande  sind,  Arsenverbindungen  zu  verflüchtigen.  Fast  von 
allen  Seiten  wurde  das  denn  auch  bestätigt.  Mißerfolge  von  £  m  m  e  r  - 
ling^  müssen  auf  ungeeignete  Yersuchsbedingungen  zurückgeführt 
werden. 

Abel  und  Buttenberg ^)  fanden  von  40  Schimmelpilzstämmen 
verschiedenen  Ursprungs  10,  die  mit  der  erwähnten  Eigenschaft  aus- 
gestattet waren,  darunter  das  Penicillium  brevicaule,  Aspergillus 
glaucus,  niger,  virescens  und  Mucor  mucedo.  Weder  Hefen  noch  Favus- 
pilze,  Aktinomyceten  oder  irgendein  Bakterium  besaßen  die  Fähigkeit; 
gerade  die  letztgenannten  Mikroorganismen  wurden  vielmehr  zum 
großen  Teil  schon  durch  die  geringste  Menge  von  Arsenik  am  Wachs- 
tum gehindert.  Von  den  Schimmelpilzen  waren  einige  wie  der  Mucor 
nur  imstande,  die  Sauerstoffverbindungen  des  Arseniks 
unter  Bildung  riechender  Gase  zu  verflüchtigen,  während  andere,  in 
erster  Linie  das  Penicillium  brevicaule,  auch  die  Schwefelver- 
bindungen und  das  metallische  Arsen  kräftig  angriffen. 
Die  im  Wasser  unlösUchen  oder  schwer  lösUchen  Arsenpräparate  können 
in  unbegrenzten  Mengen  in  den  Nährböden  vorhanden  sein,  ohne  das 
Gedeihen  der  Pilze  zu  beeinträchtigen,  die  lösüchen  Verbindungen 
eben&ills,  wenn  eine  Unterlage,  wie  etwa  Brotbrei  benutzt  wird,  der 
sich  nicht  gleichmäßig  mit  der  Lösung  durchtränkt.  Aber  auch  in 
Nährlösungen,  die  3 — 4  Voo  ars^inge  Säure  enthalten,  wächst  das  Peni- 
cillium unter  lebhafter  Knoblauchsgeru ch entwicklung.  Die 
geringste  Arsenmenge,  die  noch  durch  den  Geruch  in  solchen  Kulturen 
nachgewiesen  werden  konnten,  war  bei  Abel  und  Butten- 
berg  je  nach  der  Verbindimg  0,1 — 0,01  mg. 

Die  durch  die  Pilzwirkung  entstandenen  riechenden  Stoffe  be- 
stehen zum  kleinen  Teil  vielleicht  aus  Arsenwasserstoff, 
zum  größeren  aus  organischen  Verbindungen,  die  noch 

1)  Ber.  ehem.  Gesellsch.  1874.  1642,  vgl.  vollst.  Lit.  bei  Abel  und 
Buttenberg,  Zeitechr.  f.  Hyg.  32,  1899. 

2)  Archiv  ital.  de  biol.  1892.  253;  Hyg.  Rundschau  1897.  1217;  Ber. 
ehem.  Ges.   1897.   1024. 

3)  Ber.  ehem.   Ges.   1896.  2728  und  1897.   1024. 


662  Kap.  XII,  §  215  u.  216. 

unvollständig  bekannt  sind.  Die  Menge  der  Gase  ist  nach  dem  Gerucb 
nicht  zu  beurteilen,  sie  ist  im  allgemeinen  eine  recht  geringe  trotz 
intensiven  Gestankes^). 

Nach  Abel  und  Buttenberg  entwickeln  Antimon-, 
Wismut-  und  Phosphor  Verbindungen  mit  Schimmelpilzen  k^e 
knoblauchartigen  Gase,  doch  hat  schon  S  e  1  m  i  behauptet,  daß  unter 
ähnlichen  Bedingungen  auch  Antimonwasserstoff  entstehe.  Nach 
R  ö  s  i  n  g  (S.  653)  haben  Selen,  Arsen  und  Antimon  nicht  vrie  der 
Schwefel  die  Eigenschaft,  mit  Eiweiß  zusammengebracht  die  Wasser- 
stoffverbindung zu  bilden.  E 1  e  1 1  ^)  sah  das  phosphorige  Natrium 
ohne  Einwirkung  auf  Bakterien  und  anscheinend  selbst  unbeeinflußt 
von  ihnen.  Auch  bei  der  Fäulnis  entsteht  aus  den  Eiweißstoffen  oder 
Phosphaten  kein  Phosphorwasserstoff  (S.  560). 

Außer  durch  den  Geruch  läßt  sich  die  Anwesenheit  von  arsenhaltigen 
Gasen  nach  G  o  s  i  o  dadurch  nachweisen,  daß  man  sie  durch  eine  50 — 60^ 
warme,  mit  Schwefelsäure  versetzte  Lösung  von  KaliumpermanganAt 
durehleitet  und  das  Filtrat  im  Marsh  sehen  Apparat  prüft. 

Die  Fähigkeit  der  Schimmelpilze,  atis  Arsenverbindungen  riechende 
Gase  zu  bilden,  hat  man  nach  dem  Vorschlage  von  G  o  s  i  o  benutzt,  um 
darauf  eine  biologische  Methode  des  Arsennachweises 
zu  gründen').  Das  zu  prüfende  Material  wird,  wenn  es  eine  feste  Substanz 
ist,  fein  gepulvert  oder  zerschnitten  in  einen  Kolben  von  mindestens  100  ecin 
Inhalt  gebracht,  dazu  einige  Tage  altes  Graubrot  in  Krüraelform  und 
etwas  Wfitsser  gesetzt,  der  Kolben  mit  Watte  verschlossen  und  10 — 3(» 
Minuten  im  Drucktopf  auf  120®  erhitzt.  Wenn  man  nach  dem  Abkühlen 
mit  Penicillium  brevicaule  reichlich  impft  und  den  Kolben  mit  Gummi- 
kappe  verschlossen  einige  Tage  bei  Zimmertemperatur  oder  besser  bei 
37®  hält,  gelingt  es,  beim  öffnen  der  Kulturgefäße  den  charakteristischen 
Geruch  wahrzunehmen. 

Für  den  Nachweis  des  Arsens  in  B  i  e  r  ist  die  biologische  Methode 
nach  Morgan  *)  nicht  geeignet. 

Wenn  es  auch  durch  die  neuesten  Untersuchungen  Bertrand:* 
bekannt  geworden  ist,  daß  Arsen  ein  normaler  Bestandteil  vieler  organischer 


1)  Nach  Hausmann  (Hofirieisters  Beitr.  5.  397,  1904)  sind  auch 
grüne  Meeresalgen,  die  mit  Aktinien  zusammen  leben,  imstande,  Arsen- 
verbindungen zu  zerlegen.  Bekannt  ist  durch  Binz,  Heffteru.  a. 
die  Fähigkeit  tierischer  Gewebe,  Arsenverbindungen  zu  reduzieren.  Darauf 
beruht  wahrscheinlich  die  Wirkung  dos  Atoxyls  usw.  (S.  189)  auf  Trypano- 
somen und  Spirochäten.  Die  Reduktion  schreitet  hier  nicht  bis  zuni 
Arsen  Wasserstoff  vor  und  ist  auch  wohl  nicht  enzymatischer  Natur  (H  e  f  f  - 
t  e  r  S.  654),  sondern  das  Werk  bestinmiter  Verbindungen,  wie  z.  B.  der 
Thioglykolsäure  (vgl.  Friedberger,  Verh.  Naturf .  Gesellsch.  Cöln, 
II,  2.  567,  1909). 

2)  Zeitsclu«.  f.  Hyg.   38.   156,   1900. 

3)  Vgl.   auch  Maaßen,  Arb.    Gesundheitsamt   18,    1902. 

4)  Lancet  1903.  II.  22. 


Wandlungen  anorganischer  Stoffe.  663 

Stoffe  ist^),  so  kann  das  im  allgemeinen  den  Wert  des  biologischen  Ver- 
falirens  nicht  herabsetzen,  da  dadurch  doch  höchstens  Mengen  von  0,01  mg 
entdeckt  werden  können,  während  Bertrand  z.  B.  in  Eigelb  nur  einige 
Tausendstel  Milligramm  Arsen  fand. 

§  216.  Eisenbakterien.  Ob  das  Eisen  für  alle  Mikroorganismen 
ein  unentbehrliches  Nahrungsmittel  ist,  ist  zweifelhaft  (S.  95),  nützlich 
sind  jedenfalls  kleine  Mengen  davon  manchen  Bakterien  und  Pilzen. 
Mittelbar  wirken  die  Mikroorganismen  besonders  der  Fäuhiis  dadurch 
auf  Eisenverbindungen  ein,  daß  ihre  Produkte  die  Oxyde  zu  Oxydul- 
verbindnngen  reduzieren  oder  wenigstens  reduzieren  helfen  (und  wenn 
Schwefelwasserstoff  von  ihnen  gebildet  wird,  sie  in  Schwefeleisen 
verwandeln  S.  655).  Nähere  Untersuchungen  darüber  fehlen  freilich, 
doch  spricht  das  Vorkommen  von  Oxydul  Verbindungen  in  tieferen  Boden- 
schichten und  im  Grundwasser  für  diesen  Prozeß.  Umgekehrt  gibt  es 
aber,  wie  man  schon  seit  Kühn  und  F.  Cohn^)  weiß,  unter  den 
sogenannten  höheren  algenartigen  Spaltpilzen  (Algenbakterien  §  359) 
einige,  welche  zu  der  Umwandlung  des  Eisenoxyduls  in  Oxyd  in  Be- 
ziehung stehen.  Man  findet  die  Grenothrix  polyspora, 
Leptothrix  ochracea  usw.  in  größeren  Lagern  in  eisenhaltigen 
Wässern,  und  zwar  meist  in  Sümpfen,  aber  auch  in  Grundwasserlei- 
tungen, die  sie  durch  ihre  Wucherungen  geradezu  verstopfen  können.  Die 
mikroskopische  Untersuchung  zeigt,  daß  die  Spaltpilzfäden  in  dicken 
gelben  Scheiden  hegen,  die  die  Reaktion  des  Eisenoxydhydrats  geben. 
Die  Ansichten  über  die  Bildimg  dieses  Stoffes  sind  noch  geteilt.  Nach 
der  einen  schon  von  C  o  h  n  angedeuteten,  dann  besonders  von  W  i  n  o  - 
gradsky^  näher  entwickelten  Auffassung  soll  die  Eisenab- 
scheidung  eine  Lebenserscheinung  sein.  Das  kohlen- 
saure Eisenoxydul  würde  aus  dem  Wasser  aufgenommen,  innerhalb  der 
Zellen  ein  lösliches  Oxydsalz  gebildet  und  in  der  Scheide  daraus  das 
Eisen oxydhydrat  frei.  Bei  der  großen  Ausdehnung  des  Prozesses  könnte 
diese  Oxydation  als  wichtigste  Kraftquelle  für 
die  Eisenbakterien  gelten,  ebenso  wie  für  die  Schwefelbak- 
terien die  Oxydation  des  Schwefelwasserstoffs.  Schon  Zopf*)  hielt 
dagegen  die  Eisenablagerung  für  einen  Vorgang,  der  mit  dem  Leben 
der  Zelle  nichts  zu  tun  habe,  weil  auch  leere  farblose  Scheiden  sich 
in  Eisenwässem   färbten.     Molisch  ^)   hat   noch   eingehender   die 


1)  Annal.  Pasteur  1903. 

2)  Beitr.  z.  Biol.  d.  Pflanzen  1.  1,  1870. 

3)  Bot.  Zeitg.  1888.  261. 

4)  Zur  Morphol.  d.  Spaltpflanzen  Leipzig  1882  und  Spaltpilze  3.  Aufl. 
1884. 

6)  Die  Pflanzen  in  ihren  Beziehungen  zum  Eisen.    Jena   1892. 


664  Kap.  XII,  §  216. 

Ansicht  Winogradskys  zu  widerlegen  gesucht.  Er  stellte  fest, 
daß  die  Leptothiix  ochracea  auch  ohne  eine  Spur  von  Eisen  zu  züchten 
ist,  also  die  Eisenablagerung  für  sie  eine  ähnlich 
geringe  Bedeutung  hat,  wie  die  Kieselsäure- 
ablagerung in  den  Gräsern.  Das  Eisensalz  sei  überhaupt 
niemals  in  den  Zellen  selbst  mikrochemisch  nachzuweisen,  der  Oxyda- 
tionsprozeß könne  also  für  deren  Leben  keine  Bedeutung  haben,  wenn 
sie  überhaupt  erst  innerhalb  der  Scheiden  und  nicht  schon  vorher  in 
der  umgebenden  Flüssigkeit  erfolge.  Zu  ähnlichen  Schlüssen  kamen 
Schorler ^)  imd  E  1 1  i s ^)  bei  ihren  Untersuchungen  über  Eisen- 
bakterien. 

Wenn  wir  nach  diesen  und  auch  nach  eigenen  Beobachtungen 
die  ausschlaggebende  Wichtigkeit  des  Eisens  für  das  Leben  der  Eisen- 
bakterien verneinen  müssen,  so  haben  wir  deswegen  noch  kein  Recht, 
jede  Beziehung  der  Eisenoxydation  und  -ablagerung  zum  Lebens- 
prozeß dieser  Mikroorganismen  abzulehnen.  Sie  könnten  sehr  wohl 
den  Vorgang,  der  imter  dem  einfachen  chemischen  Einfluß  des  atmo- 
sphärischen Sauerstoffs  nur  langsam  verläuft,  beschleunigen.  Dafür 
sprechen  auch  die  Erfahrungen,  die  neuerdings  Adler')  über  die 
Haltbarkeit  eisenhaltiger  Mineralwässer  gemacht  hat.  Wird  solches 
Wasser  ohne  weitere  Vorsichtsmaßregebi  in  Flaschen  aufbewahrt, 
so  nimmt  der  Gehalt  an  gelöstem  Eisen  albnähUch  ab,  und  es  scheidet 
sich  als  Oxydhydrat  ab.  Zusätze  antiseptischer  Stoffe  oder  vorherige 
Sterilisation  des  Wassers  bei  60°  und  Aufbewahren  bei  niedriger  Tem- 
peratur heben  diese  Zersetzung  auf.  Es  sind  außer  den  längst  bakannten 
fädigen  Eisenbakterien  auch  Bazillen,  femer  Strahlen- 
pilze, echte  Pilze  und  ein  gestieltes  Geißelinfusorium,  A  n  t  o  - 
physa  vegetans,  an  dieser  Eiesenspeicherung  beteiligt.  Die 
größte  Verbreitung  hat  aber  nach  A  d  1  e  r  in  natürlichen  Eisenwässem 
die  schon  Ehrenberg  bekannte  Gallionella  ferruginea, 
ein  schraubenartig  gewundener  Faden,  der  auch  als  Spirulina  oder 
Spirochaete  bezeichnet  worden  ist*).  Nach  Adler  besitzt  sie  keine 
Scheide,  sondern  schlägt  das  Eisenoxydhydrat  teils  auf  seinem  Körper, 
teils  frei  nieder.  Allen  diesen  Mikroorganismen  wird  man  wohl  einen 
Einfluß  auf  die  Bildung  des  sogenannten  Baseneisen- 
steins nicht  absprechen  dürfen,  wenn  sie  auch  bei  unmittelbarer 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.  681,   1904, 

2)  eb.   19.  502,   1907. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.  1901.  26  und  62:  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  11. 
6—9,  1903. 

4)  Migula,  Ber.  bot.  Gesellsch.   1897.  321  und  System  der  Bak- 
terien 1.  350,  1897. 


Wandlungen  anorganischer  Stoffe.  665 

Unteisnchiing  dieses  Minerals  gewöhnlich  nicht  nachzuweisen  sind 
(M  o  1  i  8  c  h). 

Wie  der  Prozeß  der  Eisenabscheidung  verläuft,  ist  keineswegs 
klar.  Der  Eohlensäureverlust  allein  ist  es  jedenfalls  nicht,  der  sie 
bewirkt^).  Auch  bei  vollständigem  Fehlen  von  Mikroorganismen  findet 
sie  statt,  aber  sehr  viel  langsamer;  die  letzteren  wirken  wohl  als  Sauer- 
stoffiibertrager,  vielleicht  durch  eine  Oxydase.  Es  läßt  sich  keine 
Grenze  für  den  Eisengehalt  des  Wassers  angeben,  der  das  Wachstum 
der  Eisenbakterien  gestattet.  Schon  sehr  geringe  Mengen  genügen, 
üppige  Wucherxmgen  finden  sich  freilich  nur  bei  reichlichem  Eisen- 
gehalt. Auch  das  Vorhandensein  organischer  Stoffe  ist  von  Bedeutung. 

Schon  Molisch  fand,  daß  auch  Mangansalze  durch  die 
Eisenbakterien  derselben  Veränderung  unterliegen,  wie  Eisensalze, 
Die  Abscheidimg  ist,  wie  Adler  für  die  Stiele  der  Antophysa  und 
Schorler  für  die  Crenothrix  bestätigte,  eine  noch  massenhaftere. 
Nach  Beijerinck  und  K  r  a  f  t  2)  wäre  sogar  der  Mangangehalt 
des  Wassers  notwendig  für  eine  Entwicklung  der  Crenothrix 
(vgl.  S.  95). 

Die  Reinzüchtung  der  Eisenbakterien,  und  zwar  der  Clfiwiothrix  dicho- 
toina,  ist  bisher  nur  Bürger*)  in  Fleischextraktgelatine  und  einmal 
E 1 1  i  8  in  einer  Wasserkultur  für  eine  neue  Art,  das  Spirophyllum  f erru- 
gineum,  gelungen.  Grewöhnlich  wachsen  sie  nur  in  mehr  oder  weniger  ge- 
mischten Kulturen  in  Wasser  mit  wenig  organischen  Substanzen,  nach 
CJasperini  *)  am  besten  in  fließendem.  Ein  gutes  Verfahren  ist  von 
W  i  n  o  g  r  a  d  s  k  y  angegeben  worden.  In  60  cm  hohe  Glaszylinder  bringt 
man  eine  Handvoll  Heu,  das  mazeriert  und  in  viel  Wasser  aiisgekocht 
ist,  etwas  frisch  gefälltes  Eisenoxydhydrat  und  füllt  dieses  mit  Brunnen- 
wasser auf.  Hierin  entwickelt  sich  fast  regelmäßig  Leptothrix  ocliracea, 
liäufig  Clfiidothrix  dichotoma,  selten  Crenothrix.  Die  Existenz  dieser  letz- 
teren, wegen  ihrer  morphologischen  Verhältnisse  interessanten  Form,  wird 
von  Gasperini  bestritten,  ist  aber  nach  Adler  und  Schorler 
als  gesichert  zu  betrachten.  Allerdings  war  sie  nach  dem  ersten  Forscher 
in  der  Frager  Wasserleitung  fast  niemals  deutlich  mit  Eisenoxydhydrat 
inkrustiert,  sondern  blaß  und  ergab  nur  eine  schwache  Eisenreaktion. 
Zum  Wachstum  war  sie  nicht  zu  bringen,  auch  nicht  mittelst  des  sonst 
von  A  dl  e  r  sehr  empfohlenen  Eisenammonzitrats,  das  in  Leitungswasser 
zu  0,05%  gelöst,  in  Hyazinthengläser  gefüllt  und  mit  einer  Glasplatte 
bedeckt  Leptothrix,  Cladothrix  und  Antophysa  mit  Ausschluß  fast  aller 
anderen  Organismen  zur  Entwicklung  kommen  läßt.  GalHonella  wächst 
bloß  in  den  natürlichen  Eisenwässern. 

Bei  E  1 1  i  s  siehe  näheres  über  die  Fortpflanzung  durch  Sproßzellen 
(Konidien)  und  über  die  Klassifikation  der  Eisenbakterien. 

1)  B  i  n  z  ,  Deutsch,  med.  Woch.   1901,  14. 

2)  Zeitschr.  f.  Untersuchg.  v.  Nahrungsmitteln  7.  215,  1904. 

3)  Ber.  bot.  GeseUsch.   1894.   147. 

4)  Annali  d'igine  sperim.  1899.   1. 


666  Kap.  XII,   §  216  u.  217  ii.  Kap.  XIH,  218. 

Auch  zum  mikroakopischen  Nctchweis  des  Eisenoxydhydrats  oder 
Eisenoxyduls  dient  die  Blaufärbung,  die  bei  Zusatz  von  Salzsäure  und 
Ferro-  oder  Ferrizyankaliuni  eintritt.  Die  Manganablagerungen  sind 
schwarzbraun.  Sie  geben  mit  einer  Perle  aus  salpetersaurem  Kali  oder 
Soda  in  der  nicht  leuchtenden  Flamme  eines  Bunsenbrenners  eine  pracht- 
volle blaugrüne  Färbung. 

§  217.  Veränderungen  der  Chlor-,  Brom-  and  Jodmetalle. 
Nach  M  ü  n  t  z '  ^)  Versuchen  erklärt  sich  die  Anwesenheit  von  Bio- 
maten  und  Jodaten  in  Chili- (Peru-)Salpeter  aus  der  oxydierenden 
Wirkung  der  Nitrifikationsbakterien  (§  196)  auf  die  Brom-  und  Jod- 
metalle.  Umgekehrt  soll  sich  im  Boden  bei  Abwesenheit  von  Sauer- 
stoff eine  Reduktion  der  Chlorate,  Bromate  und  Jodate  vollziehen. 
Andere  Mitteilungen  darüber  liegen  anscheinend  nicht  vor.  Aber 
Raciborski^)  hat  kürzlich  einen  Pilz  (Aspergillus  niger?)  ge- 
züchtet, der  imstande  sei,  Jod  aus  Jodkalium  (1%  in  Stärkeagar)  frei- 
zumachen. Die  dabei  zutage  tretende  Bläumig  in  der  Umgebung 
verschwand  nach  einiger  Zeit  wieder,  was  Verfasser  aus  einer  späteren 
Reduktion  des  Jods  erklärt.  Die  Jodkaliom  spaltende  „Oxydase" 
gibt  keine  anderen  Oxydasereaktionen  (§  159).  Über  den  Einfluß 
von  Chloraten  auf  die  Denitrifikation  vgl.  §  197  u.  198. 


1)  Annal.  chim.  phys.  6.  s^r.   11.   118,   1887. 

2)  Kochs  Jahresber.   1905.  5.  2. 


Kapitel    XIII. 

Die  Wege  des  Sauerstoffs  und  die  Beziehungen  des 

Stoff-  und  Kraftwechsels. 

§  218.  Einleitimg.  Das  ungleiche  Sauerstoffbedürfnis  der  Mikro- 
organismen haben  wir  schon  in  §  31  und  die  Beteiligung  des  Sauer- 
stoffe an  den  einzelnen  Stoffwechselvorgängen  in  Kap.  V  und  den 
folgenden  Kapiteln  besprochen.  Hier  wird  es  unsere  Aufgabe  sein, 
das  Sauerstoffbedürfnis  wenn  möglich  der  Größe  nach  zu  bestimmen, 
im  Zusammenhange  die  Wege,  die  der  Sauerstoff  im  Stoffwechsel 
der  Klein wesen  durchläuft,  und  im  Anschluß  daran  den  Kraftwechsel 
derselben  in  seiner  Beziehimg  zum  Stoffwechsel  zu  betrachten. 

Grundlegende  Unterschiede  ergeben  sich  zunächst  daraus,  daß  die 
einen  Mikroben,  die  Aerobier,  ihr  Sauerstoffbedürfnis  aus  der  Luft 
decken,  die  anderen,  die  Anaerobier,  ohne  freien  oder  gebundenen 
Sauerstoff  bestehen,  imd  schließlich  auch  solche  vorkommen,  die  den 
Sauerstoff  besonders  sauerstoffreichen  Yerbindimgen  wie  Salpeter- 
und  Schwefelsäure  entnehmen,  nicht  der  Luft.  Hierzu  muß  freilich 
bemerkt  werden,  daß  alle  Mikroorganismen  sich  wahrscheinlich  in 
der  Beziehung  gleichen,  daß  sie  als  Quelle  für  den  Sauerstoff,  den 
sie  unmittelbar  zum  Aufbau  ihres  Körpers  nötig  haben,  sauerstoff- 
haltige Verbindungen  organischer  oder  imorganischer  Natur, 
wie  sie  ihnen  in  der  Nahrung  fast  regelmäßig  geboten  werden,  be- 
nutzen können.  Ausreichend  versorgt  sind  sie  im  allgemeinen  damit: 
die  folgende  kleine  Zusammenstellung  der  auf  gleichen  Kohlenstoff- 
gehalt gebrachten  empirischen  Formeln  zeigt,  daß  der  Gehalt  der  un- 
mittelbar assimilationsfähigen  Nährstoffe  an  Sauerstoff  im  Verhältnis 
zum  Wasserstoff  meist  größer  ist  als  der  des  Protoplasmas  (Eiweißes). 

Eiweiß  CieHi^Oe  +  4  NH3  =  CieH^eN^  (ungefähr) 
Hexosen 


Pentosen 

Essigsäure 

Milchsäure 


CiftHjvoO 


16-^^32^16 


668  Kap.  XIII,  §  218  u.  219. 

Weinsäure  C^^^ß24 

GlykokoU  C,eHieOie  +  8  NH«  =  CieH.oNsO.e 

Alanin  CjeHaoOio  +  5  NHg  =  CieHaßOioNj  (ungefähr) 

Aßparagin  CieH^Oig  +  8  NH3  =  Ci^Hj^gOia 

Glyzerin  CigH420ig  (ungefähr) 

Buttersäiire  Ci^HggOg 

Leuzin  CieH^gOs  +  3  NH3  =  C.^R^^fis  (ungefähr) 

Alkohol  CieH4808 

Palmitinsäure  C^^sfi^. 

Im  allgemeinen  ist  also,  namentUch  wenn  wir  bedenken, 
daß  nicht  immer  Ammoniak  oder  dem  gleichwertige  Stoffe,  sondern 
oft  Salpetersäure  als  Stickstoff  quelle  geboten  ist,  die  Synthese 
des  Protoplasmas  kein  Oxydations-  sondern  ein 
Reduktionsvorgang  (vgl.  §  231).  Anders  wird  die  Sache, 
wenn  die  Bestandteile  der  Fette  (Glyzerin,  Butter-  und  höhere  Fett- 
säuren) der  Alkohol  und  die  höheren  Aminosäuren  (Leuzin)  als  Nahrung 
dienen.  Sie  müßten  erst  oxydiert  werden,  wenn  sie  allein  zxmi  Aufbau 
des  Protoplasmas  dienen  sollten.  Es  hegt  daher  nahe,  anzunehmen, 
daß  solche  Nährstoffe  nur  von  Aerobiem  verwertet  werden  können. 
In  der  Tat  bestätigt  das  die  Erfahrung:  Fettzehrer  sind  vor  allem 
die  luftliebenden  Schimmelpilze  usw.  (§  149).  Am  meisten  Glyzerin 
verbrauchen  die  TuberkelbazUlen  (S.  115).  Wenn  die  Mehrzahl  aller 
Mikroorganismen  auch  bei  jeder  anderen  Nahrung  ein  gevrisses  Luft- 
bedürfnis hat,  so  liegt  das  allein  daran,  daß  sie  des  Sauerstoäs  auch 
zum  Betriebe  benötigen  (§  35) :  mit  anderen  Worten,  daß  die  Sauer- 
stoffatmung  im  wesentlichen  Kraftzwecken   dient. 

§  219.  Atmung  der  Aerobier.  Atmangsquotient.   Dadurch 
sind  im  allgemeinen  die  Wege  vorgeschrieben,  die  der  freie  Sauerstoff 
im  Stoffwechsel  der  Mikroorganismen  geht:  er  oxydiert  die  ihm  ge- 
botenen Nährstoffe  in  der  Weise,  wie  wir  es  in  den  vorhergehenden 
Kapiteln  beschrieben  haben.     Je  nachdem  die  „Verbrennung"  eine 
vollständige  ist  oder  nicht,  sind  ihre  Produkte  verschieden:  in  ersterem 
Falle  entstehen — mit  einigen  Ausnahmen,  auf  die  wir  unten  zurückkom- 
men werden — Kohlensäure  imd  Wasser,  oder,  wenn  wir  es  mit  stickstoff- 
oder  schwefelhaltigen  Stoffen  zu  tun  haben,  daneben  auch  noch  Ammo- 
niak (seltener  Salpetersäure)  und  Schwefelsäure.  Aus  der  unvollständigen 
Verbrennung  gehen  gewöhnlich  Stoffe  hervor,  die  höheren  Sauerstoff- 
gehalt haben,  wie  die  Ausgangsstoffe.    Diese  Verhältnisse  werden  am 
besten  beleuchtet  durch  Beispiele.    Wir  wählen  dazu  die  Oxydationen 
des  Zuckers,  weil  sie  zahlreiche  Abstufungen  zeigen  (vgl.   §  119  ff.)- 
Je  nach  der  Menge  des  verbrauchten  Sauerstoffe  entstehen  nämlich 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftweehsel.  669 

aus  dem  Zucker  Glykonsäure,  Glykuronsäure,  Zitronensäure,  Gly- 
zerose,  Oxalsäure,  Eolilensäure  und  Wasser: 

1)  CeH^jOe  +  0  =  C^^fi^  (+  ?  Kai.) 

Glykonsäure 

2)  CeH^Oe  +  20  =  CeH^oO^  +  H^O  (+  ?  Kai. ) 

Glykuronsäure 

3)  CeHjaOe  +  30  =  CeH^  +  2H2O  (+  199  Kai.) 

Zitronensäure 

4)  C^HijOe  +  60  =  C^Ufi^  +  300^  +  SH^O  (4-  ?  KaJ.) 

Glyzerose 

5)  CeHijOe  +90  =  30^04  +  3H2O  (+  493  Kai.) 

Oxalsäure 

G)  CJffiaOe  +  120  =  6CO2  +  6H2O  (+  674  Kai.). 

Alle  diese  Prozesse  —  mit  Ausnahme  von  Nr.  4  —  kommen  für  sich  vor, 
es  wird  daher  möglich,  aus  der  Menge  des  verbrauchten  Zuckers  imd 
Sauerstoffe  auf  die  Beschaffenheit  der  Yerbrennungsprodukte  zu 
schließen.  Nicht  dagegen  ist  das  möglich,  wenn  man  nur  die  Menge 
des  verbrauchten  Sauerstoffs  und  der  gebildeten  Kohlensäure  oder 
gar  nur  das  Verhältnis  beider  Gase,  den  sogenannten  Atmungsquotienten 
CO2  :  O2  kennt.  Denn  wie  man  sieht,  ist  dieser  Quotient  gleich  Null 
bei  den  meisten  der  obigen  Oxydationen,  trotzdem  die  dabei  ver- 
brauchte Sauerstoffmenge  um  das  Neunfache  schwankt,  und  die  Pro- 
dukte der  Oxydation  völlig  verschieden  sind.  Treten  bei  der  Zuckcr- 
eroährung  Quotienten  auf,  die  niedriger  sind  als  1,  so  wird  man  zu- 
nächst nur  annehmen  können,  daß  die  Verbrennung  zum  Teil  eine 
unvollständige  ist.  Abgesehen  von  der  Beschaffenheit  der  Oxydations- 
produkte hängt  der  Atmimgsquotient  natürlich  auch  ab  von  der  Zu- 
sanmiensetzung  der  verbrauchten  Nahrung.  Bei  der  vollständigen 
Oxydation  des  Zuckers  und  aller  ähnlich  den  Kohlehydraten  zusammen- 
gesetzten Körper  (Formaldehyd,  Essigsäure,  Milchsäure)  ist  das  Ver- 
hältnis CO2  :  Og  zwar  gleich  1,  bei  der  der  Weinsäure  aber  4  :  2,5  =  1,6; 
denn 

7)  Cja^Oe  +  50  =  4CO2  +  3H2O  (+  262  Kai.) 
und  bei  der  Palmitinsäure  16  :  23  =  0,7 

8)  CieHgaO^  +  46  0  =  16  COg  +  16  Bfi  {+  236  Kai.) . 

Wird  Alkohol  zu  Essigsäure  verbrannt  (§  135),  haben  wir  COg  :  Og 
=  0,  weil 

^J)  C^O  +  20=  C^H A  +  HgO  (+  112  Kai.) , 


670  Kap.  Xin,  I  219  u.  220. 

wird  die  Oxydation  aber  zu  Ende  geführt  (§  134),  so  ist  COg  :  Oj  =  0,67, 
weil 

10)  CJHfi  +  6  0  =  2  COg  +  3  HgO  (+  326  Kai.). 

Für  stickstoffhaltige  Stoffe  ergeben  sich  ebenfalls  Quotienten,  die  bald 
größer,  bald  kleiner  sind  als  1,  so  ist  bei  der  Verbrennung  des  Glyko- 
kolls  CO2  :  02=  1,33;  denn 

11)  C2H5NO2  +  3  0  =  2  COg  +  HgO  +  NH3  (+  152  Kal.i)), 
bei  der  Verbrennung  des  Asparagins  COg  :  Og  =  0,75;  denn 

12)  C4H8N2O3  +  6  0  =  4  CO2  +  HgO  +  2  NH3  {+  339  Kal.i)), 
bei  der  Verbrennung  des  Leuzins  COg  :  Og  =  0,8;  denn 

13)  CeHigNOg  +  15  0  =  6  COg  +  5  HgO  +  NH3  (+  775  KaL^)). 

Da  Eiweiß  eine  in  der  Mitte  stehende  Zusammensetzung  hat,  so  ist  der 
Atmungsquotient  bei  seiner  vollständigen  Oxydation  annähernd  gleich 
1,  steht  aber  bedeutend  unter  1,  wenn  die  Oxydation  unvollständig 
ist  und  kann  sogar  0  erreichen,  wenn  die  Verbrennung  bei  der  Oxal- 
säure stillsteht  (§  172).  Doch  wird  das  kaum  jemals  in  ganzem  Um- 
fange geschehen. 

Bei  allen  diesen  Bestimmungen  des  Atmungsquotienten  wäre  na- 
türlich die  bei  der  Verbrennimg  entstehende,  in  den  Nährböden  gebunden 
oder  gelöst  bleibende  Kohlensäure   (s.  u.   §  221)  zu  berücksichtigen. 

In  manchen  Fällen  wird  der  von  den  Mikroorganismen  aufgenom- 
mene freie  Sauerstoff  nicht  zur  Oxydation  von  Kohlenstoff-,  sondern 
von  Stickstoff-  und  Schwefelverbindungen  verwendet,  erscheint  daher 
nicht  als  Kohlensäure,  sondern  als  Salpeter-  und  Schwefelsäure  wieder. 
Der  Atmungsquotient  ist  dann  also  ebenfalls  gleich  0.  So  oxydieren 
die  Salpeterbakterien  das  Ammoniak  zu  salpetriger  Säure  und  die 
salpetrige  Säure  zu  Salpetersäure  (§  196)  nach  folgenden  Gleichungen: 

14)  NH3  +30  =  HNOg  +  HgO  (+  79  Kai.) 

15)  HNOg  +  0  =  HNO3  (+  18  Kai.). 

Die  Schwefelbakterien  verbrennen  den  Schwefelwasserstoff  in  ähn- 
licher Weise  zu  Schwefelsäure  nach  der  Formel  (§  208 — ^210): 

16)  HgS  +04  =  HgSO^  (+  207  Kai.), 

als  Zwischenerzeugnis  entsteht  dabei  vielfach  reiner  Schwefel: 

17)  HgS  +  0  =  HgO  +  S  (+  65  Kai.). 


1)  Diese  Verbrennungswärmen  unterscheiden  sich  von  den  gewöhn- 
lichen dadurch,  daß  von  ihnen  die  Verbrennungswärme  des  Ammoniaks 
in  Abzug  gebracht  ist. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  671 

Hanchmal  schieitet  die  Oxydation  nicht  bis  zur  Schwefelsäure,  sondern 
nur  bis  zur  Tetrathionsäure  und  anderen  sauerstoffärmeren  Verbin- 
dungen fort,  es  wird  also  weniger  Sauerstoff  verbraucht. 

§  220.  Ergebnisse  von  Atmungsversuchen.  Daß  alle  hier  ge- 
nannten  Oxydationsprozesse  durch  Mkroorganismen  verursacht  wer- 
den,  ist  sicher,  trotzdem  kommen  wir  in  Verlegenheit,  wenn  wir  irgend- 
einen Prozeß  angeben  sollen,  der  so  genau  studiert  wäre,  daß  man 
auf  der  einen  Seite  die  Menge  des  verbrauchten  Sauerstoffe,  auf  der 
anderen  Seite  die  der  sämtlichen  Oxydationsprodukte  nach  Maß  und 
Gewicht  festgestellt  hätte.  Im  allgemeinen  hat  man  sich  nachzu- 
weisen begnügt,  daß  ein  bestimmter  Mikroorganismus  zu  seinem  Leben 
den  freien  Sauerstoff  nötig  hat  —  es  ist  das  nicht  schwer,  da  sich  jede 
Beschränkung  der  Sauerstoffzufuhr,  z.  B.  die  Kultur  in  höheren  Nähr- 
bödenschichten, durch  eine  sichtbare  Verzögerung,  und  umgekehrt 
jede  Erleichterung  des  Sauerstoffzutritts,  z.  B.  die  Vergrößerung  der 
Kulturoberfläche,  durch  eine  Beschleunigung  des  Wachstums  bemerkbar 
macht.  Daß  unter  den  Oxydationsprodiücten  die  Kohlensäure  und 
das  Wasser  eine  erste  Rolle  spielen,  nahm  man  ohne  weiteres  an  auf 
Grund  der  Erfahrungen,  die  man  bei  höheren  Pflanzen  und  Tieren 
gemacht  hatte.  Durch  genaue  Analysen  bestimmte  man  gewöhnlich 
nur  die  übrigen  Stoffe,  die  aus  der  Verbrennung  hervorgehen,  z.  B.  die 
Zitronen-,  Oxal-,  Essig-,  Salpeter-  und  Schwefelsäure,  imd,  soweit 
das  möglich  war,  den  VerbrauchderNährstoffe,  z.  B.  des 
Zuckers  und  Alkohols,  die  als  Ausgangsmaterial  gedient  hatten.  Sel- 
tener sind  die  Fälle,  in  denen  man  außerdem  noch  oder  statt  dessen 
allein  die  Kohlensäureentwicklung  der  Aerobier  fest- 
stellte. Wir  haben  sie  schon  bei  den  Zersetzungen  der  Eiweißkörper 
(M  a  r  c  h  a  1  S.  527,  Riemer  S.  521),  der  Kohlenhydrate  usw.  bzw. 
bei  der  Stickstoffassimilation  (Stoklasa,  Krainski  S.  632) 
erwähnt.  Teilweise  sind  diese  Bestimmungen  unvollkommen,  indem 
bloß  die  frei  entweichende  Kohlensäure,  nicht  die  im  Nährboden  (z.  B. 
durch  Ammoniak  usw.)  gebundene  gemessen  wurde.  Dahin  gehört  auch 
die  Scheuerlen  sehe  Arbeit^),  in  welcher  nur  der  Nachweis  ge- 
führt wurde,  daß  alle  —  daraufhin  geprüften  —  Bakterien  Kohlen- 
säure entwickeln.  Doch  liegen  auch  einige  vollständige  Gas- 
analysen schon  aus  älterer  Zeit  vor.  So  stellte  schon  Pasteur^) 
fest,  daß  luftliebende  Mikroorganismen,  wie  Essigbakterien,  Schimmel- 
pilze und  Hefen  in  geschlossenen  Gefäßen  den  Sauerstoff  vollständig 
verbrauchen  und  Kohlensäure  dafür  erzeugen.     In  einer  dieser  Ana- 


1)  Festschrift* für  Leyden  2.  203,  1907. 

2)  Vgl.  Etudes  sur  la  biere  1876,  S.  89,  243,  249,  261  usw. 


672  Kap.  XIII,   §  220. 

lysen  fand  er,  daß  auf  35  mg  Hefetrockensubstanz  binnen  15  Stunden 
14 — 15  ccm  Sauerstoff  verschwunden  und  19 — ^20  com  Koklensäuie 
entstanden  waren.  Der  hohe  Atmungsquotient  CO2  :  02=  1,3  trotz 
Ernährung  mit  Zucker  (vgl.  S.  669)  weöst  darauf  hin,  daß  ein  Teil 
der  Kohlensäure  durch  Gärung,  nicht  durch  Oxydation  aus  dem  Zucker 
der  Nährlösung  hervorgegangen  war.  Sehen  wir  davon  ab,  so  würden 
für  die  aerobe  Entwicklung  von  einem  Milligramm  Hefe  in  Zucker- 
lösimg 0,4  ccm  oder  0,5 — 0,6  mg  Sauerstoff  verbraucht  werden.  Wahr- 
scheinlich ist  diese  Zahl  aber  zu  klein.  Duclaux^)  hat  für  eine 
andere  Hefe,  die  sich  durch  ihre  geringe  Gärkraft  mehr  den  Sdiinmiel- 
pilzen  nähert,  aus  dem  Gewicht  der  produzierten  Kohlensäure  auf 
einen  Sauerstoffverbrauch  von  etwas  mehr  als  dem  Eigen- 
gewicht der  Hefe  geschlossen. 

Auf  den  Gaswechsel  der  Hefe  bei  beschränktem  Sauerstoffzutritt, 
d.  h.  bei  Ermöglichung  bzw.  Beförderung  der  Gärung,  kommen  wir 
später  zurück  (§  223  u.  233). 

Über  die  Atmung  der  Schimmelpilze  hegen  einige  Ang^aben  von 
Diakonow,.  Gerber,  Puriewitsch,  Maze  und  K  0  • 
stytschew  vor,  doch  beschränken  sie  sich  im  wesentlichen  auf 
die  Bestimmung  des  Atmungsquotienten.  Nur  M  a  z  e  ^)  gibt  einige 
Zahlen,  die  den  gesamten  Gaswechsel  der  Eurotiopsis  Gayoni  bei  Er- 
nährung mit  Invertzucker  und  Alkohol  festlegen.    Es  betrug  nämhch 

bei  Ernährung 
mit  Zucker  mit  Alkohol 

das  Pilzgewicht 211      mg  96,2  mg 

in  der  Zeit  von 4     Tagen              6,4  Tagen 

der  Nährstoffverbrauch 630     mg                        ? 

die  Kohlensäureentwicklung  ....  495      „  184,7  mg 

der  Sauerstoffverbrauch     .     .     .     .     .  305      „  164,4  „ 

der  gefundene  Atmungsquotient     .     .  1,17  „                     0,51  „ 

der  berechnete  Atmimgsquotient^)      .  1,00  „                     0,66  „ 

Gegen  diese  Resultate  ist  allerdings  der  Einwand  zu  erheben,  daß 
sie  mit  Kulturen  gewonnen  worden  sind,  die  im  geschlossenen  Raum 
gehalten  wurden.  Es  stellte  sich  zum  Schluß  Sauerstoffmangel  ein,  der 
bei  der  Emähnmg  mit  Zucker  wohl  teilweise  zu  intramolekularer 
Spaltung  des  Zuckers  in  Alkohol  und  Kohlensäure  (§  223)  und  so  zur 
Erhöhung   des  Atmungsquotienten,  bei  der  Ernährung  mit  Alkohol 

1)  Aiinal.  Pasteur  1889. 

2)  Ebenda  1902.   358. 

3)  Vgl.  über  die  berechneten  Atmungsquotienten  S.  669. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  673 

vielleicht  zu  unvollkommener  Verbrennung  des  Alkohols  und  daher 
zur  Erniedrigung  des  Quotienten  führte.     Doch  sind  die  daraus  ent- 
stehenden Fehler  nicht  groß.     Man  sieht  jedenfalls,  daß  der  Pilz 
bei  der  Ernährung  mit  Zucker  fast  das  Andert- 
halbfache, bei  der  Ernährung  mit  Alkohol  mehr 
als  das    Anderthalbfache    seines    Eigengewichts 
an   Sauerstoff   verbraucht   hat.     Ähnliche    Gasanalvsen 
stellten  M  a  z  e  und  P  e  r  r  i  n  ^)  bei  der  Zitronensäuregänmg  durch 
Citromyces  an.     Sie  bestätigen  die  Voraussetzung,  daß  hierbei  viel 
mehr   Sauerstoff   aufgenommen,    als  Kohlensäure   abgeschieden   wird 
(§  121).      Die  Arbeiten   der  übrigen  Forscher  geben  kaum  ein  voll- 
ständiges Bild  des  Gaswechsels  der  Pilze.     Inamerhin  kann  man  aus 
den  Zahlen,  die  Diakonow^)  mitteilt,  entnehmen,  daß  Fenicillium 
glaucum  bei  15 — 25^  in  guten  Nährlösungen  auf  jedes  Gramm  seiner 
Trockensubstanz  stündlich  30 — 50  mg  COg ,  also  täglich  etwa  720  bis 
1200  mg  COg  bildet  und  wahrscheinlich  dabei  540 — ^900  mg  Sauer- 
stoff aufnimmt.     Da  es  aber  jedenfalls  mehr  als  24  Stunden  dauerte 
biß  der  Pilz  zu  diesen  Atmungsgrößen  herangewachsen  war,  muß  die 
Gesamtmenge   des    beim  Wachstum  verbrauchten    Sauerstoffs   nicht 
unerheblich    großer    gewesen    sein.       Man     wird     also     auch 
wohl    für    die    strengen    Aerobier    die    Menge   des 
Sauerstoffbedarfes     mindestens     deren     Eigen- 
gewicht   gleichsetzen     müssen.      Was     den    Atmimgs- 
quotienten anlangt,  so  stellt    Diakonow^)    das  bei  der  Atmung 
der    Pilze     gefundene    Verhältnis     von     COg  :  Og    mit     demjenigen 
zusammen,   das  sich  bei  der  vollständigen  (chemischen)  Verbrennung 
ergeben  würde: 

„    ..,  bei  der  Atmung  von      bei  chemischer 

fimanruns^  a  i.*         i  -i  \t    \. 

®  Schimmelpilzen  Verbrennung 

mit  Glykose  CJtl^fi^ 1,30  1,00 

„    Chinasäure  C^HigOe 1,22  1,00 

„    Weinsäure  C4H60e 2,90  1,60 

„    Äthylamin  NHgCj^s 0,67  0,61 

Nach  Gerber*)   ergeben  sich  für  die  Atmung  des  Aspergillus 
niger  folgende  Zahlen: 


1)  Annal.  Pasteur  1904,  653. 

2)  Ber.  bot.   Gesellsch.   1886.  3. 

3)  Ebenda  1887.  115. 

4)  Compt.  rend.  ac.  sc.  124,  162,  1897. 

Kr  ose,  Mikrobiologie.  43 


674  Kap.  XITI,   §  220. 

—     ...                                         t   .   1       A.  bei  chemischer 

Emahrune                               bei  der  Atmung  -rr    i^ 

®                                                        ^  Verbremiung 

mit  Zitronensäure  C^HgO, 1,68  1,33 

„    Äpfelsäure  €411^05 1,76  1,33 

„    Weinsäure  Cfifi^ 2,47  1,60 

Puriewitsch^)  fand  schließlich  bei  demselben  Pilz : 

T^     ..,                                          1    .   1       A^  bei  chenuscher 

Emahrunff                                bei  der  Atmung  ^r   i^ 

®                                                         ^  Verbrennung 

mit  Glykose  CeHiaOe 0,95  1,00 

Glyzerin  CJäfi^ 0,75  0,85 

Mannit  CJEl^ße 0,65  0,92 

Müchsäure  Cfifi^ 0,85  1,00 

Weinsäure  Cß^fi^ 1,62  0,60 


9> 


Offenbar  stimmen  diese  letzteren  Veisuchsergebnisse  am  besten  mit 
denen  der  Rechnung  überein;  wahrscheinlich  liegt  das  daran,  daß  die 
Versuchsanordnung  Puriewitschs  einwandfreier  war,  weil  sie 
eine  normale  Atmung  gewährleistete.  Die  Abweichungen, 
die  sich  hier  noch  zeigen,  deuten  sämtlich  dar- 
auf hin,  daß  der  physiologische  Verbrennungs- 
prozeß bei  den  Pilzen  anders  verläuft,  nicht  so 
vollständig  ist,  als  der  chemische.  Es  werden  wohl 
stets  einige  Zwischenprodukte,  wie  z.  B.  Oxalsäure,  gebildet, 
die  den  Atmungsquotienten  herabdrücken,  und  zwar  nach  Purie- 
witsch  besonders,  wenn  die  Konzentrationen  der  oxydierten  Stoffe 
entweder  sehr  niedrig  oder  sehr  hoch  sind.  Die  starken  Abweichungen 
nach  der  anderen  Seite,  die  Diakonow  und  Gerber  erhielten, 
erklären  sich  am  einfachsten  dadurch,  daß  die  Pilze  durch  die  Be- 
schränkung des  freien  Sauerstoffzutritts  zu  intramolekularer  Atmung, 
d.  h.  Gärung,  gezwungen  wurden  (§  223).  Dabei  steigt  die  Kohlen- 
säureabgabe  unverhältnismäßig.  Eine  andere  Möglichkeit  für  die  Er- 
höhung des  Quotienten  ist  bei  der  Reifung  der  Pflanzensamen  be- 
obachtet worden^),  nämlich  die  Umwandlung  von  Kohlehydraten  zu 
Fetten.  Sie  konmit  bei  der  kurzen  Dauer  der  hier  besprochenen  Ver- 
suche aber  kaum  in  Betracht.  Auf  die  Versuche  an  Pilzen,  welche  die 
Atmung  bei  Sauerstoffzutritt  und  -abschluß  miteinander  vergleichen, 
kommen  wir  weiter  unten  zurück  (§  223). 

Für  Bakterien  liegen  nur  wenig  brauchbare  Untersuchungen 
vor.    Sie  ergeben  durchweg  einen  weit  höheren  Sauerstoffverbrauch 


^- 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  35.  597. 

2)  Jahrb.  wiss.  Bot.  13.  540,  1882. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  675 

als  bei  Pilzen.  Bis  zum  SOOfachen  ihres  Eörpergewiclits  steigt  der 
Sauerstoffverbraach  nach  Pasteurs  Versuchen  bei  den  Essigbak- 
terien (vgl.  S.  430).  Wieviel  Kohlensäure  neben  der  Essigsäure  als 
Verbrennungsprodukt  auftritt,  wurde  nicht  festgestellt,  jedenfalls  wird 
der  Atmungsquotient  sehr  niedrig  sein  (S.  669).  Ähnliches  gilt  für 
die  Salpeterbakterien,  deren  hoher  Sauerstoffverbrauch  nicht  un- 
mittelbar bestimmt,  sondern  aus  der  Menge  der  gebildeten  salpetrigen 
and  Salpetersäure  geschätzt  werden  kann  (S.  602).  Auch  die  Stick- 
stoff bindenden  Azotobacterien  müssen,  nach  der  Eohlensäureentwick- 
lung  zu  urteilen  (S.632),  gewaltige  Mengen  Sauerstoff  verbrauchen.  Be- 
deutend größere  Mengen  von  Sauerstoff  als  Hefen  und  Pilze  verbraucht 
nach  A  r  n  a  u  d  imd  Charrin^)  auch  der  Pyocyaneus  in 
Äsparaginlösung,  nämlich  etwa  das  Fünffache  seines  Eigen- 
gewichtes imd  verbrennt  dabei  72,5%  des  ursprünglichen  Kohlen- 
stoffes, oder  84%  des  nicht  in  den  Bakterienkörpem  festgelegten  Kohlen- 
stoffs zu  Kohlensäure,  den  Rest  zu  Verbindungen,  die  nicht  näher 
bestimmt  wurden.  Rechnet  man  auf  Grund  dieser  Angaben  den  At* 
mungsquotienten  heraus,  so  erhält  man  etwa  1,3  statt  0,75,  wie  bei 
vollständiger  Verbrennung  des  Asparagins  zu  erwarten  wäre.  Da  die 
Verbrennung  aber  keine  vollständige  ist,  würde  man  einen  noch  kleineren 
Quotienten  zu  erwarten  haben.  Es  wird  also  wohl  irgendwo  ein  Fehler 
stecken  (vgl.  S.  526). 

Eine  Reihe  von  Gasanalysen  verdanken  wir  ferner  H  e  s  s  e  '^). 
Durch  tägliche  üntersuchimg  der  Luft  in  geschlossenen  Kulturgefäßen 
stellte  er  zunächst  fest,  daß,  wie  zu  erwarten,  in  der  ersten  Zeit,  d.  h. 
solange  sie  sichtbar  wachsen,  die  Aerobier  den  ihnen  gebotenen  Sauer- 
stoff schnell  verzehren  und  dabei  Kohlensäure  produzieren.  Später 
verlangsamt  sich  der  Prozeß,  bleibt  aber  noch  wochenlang  und 
selbst  monatelang  in  gewissem  Umfange  bestehen.  Bei  langsam 
wachsenden  Mikroorganismen  wie  den  Tuberkelbazillen  ist  er  von  vorn- 
herein weniger  ausgesprochen.  Leider  hat  Hesse  es  versäumt,  mit 
dem  Gaswechsel  das  Gewicht  der  Bakterienemte  zu  bestimmen.  Außer- 
dem hat  er  die  Menge  der  im  Nährboden  gebundenen  Kohlensäure 
nicht  berücksichtigt,  so  daß  der  Atmungsquotient  bei  ihm  stets  wohl 
zu  niedrige  Werte  hat.  Auch  sonst  ist  die  Methode  nicht  sehr  genau, 
wie  wohl  die  imregelmäßigen  Schwankungen  der  Gas  wechselkurve  be- 
weisen^). Einige  Versuche,  in  denen  die  Menge  des  verbrauchten  Sauer- 
stoffs und  der  erzeugten  Kohlensäure  zusammen  bestimmt  wurden, 

1)  Compt.  rend.  ac.  sc.   112.  755  und  1157,   1891. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  15.  17  und  189,  1893;  ebenda  25,  480,  1897. 

3)  Immerhin  finden  wir  ähnliche  Schwankungen  auch  bei  den  Kohlen- 
saurekurven  B  i  e  m  e  r  s  (S.  521).    VgL  auch  S.   132. 

43* 


676  Kap.  Xin.   !  220—222. 

hatten  folgende  Ergebnisse :  Das  CholeTaspirillum  verbrauchte 
binnen  25  Tagen  bei  zehnmaliger  Erneuerung  der  Luft  im  Eultur- 
gefäß  \md  üppigem  Wachstum  auf  einer  schrägen  Schicht  von  25  com 
Nähragar  106,5  ccm  Sauerstoff  imd  erzeugte  68,1  ccm  Kohlensäure 
(CO2  :  O2  =  0,64) ;  der  Pestbazillus  binnen  39  Tagen  51,6  ccm  Sauer- 
stoff bzw.  39,2  ccm  Kohlensäure  (COg  :  Og  =  0,76).  Nimmt  man  an, 
daß  die  Bakterienernte  etwa  50 — 100  mg  im  feuchten  Znstande  oder 
10 — ^20  mg  im  trockenen  betragen  hätte,  was  mit  anderen  Erfahrungen 
übereinstimmen  würde  (§  234),  so  hätte  das  Choleraspirillum  das  5-  bis 
10  fache,  der  Pestbazillus  das  2^2 — 5  fache  seines  Grewichts  an  Sauerstoff 
verbraucht. 

Schittenhelm  und  Schröter^)  haben  mit  einer  eben- 
falls nicht  sehr  genauen  Methode^)  die  Atmung  des  B.  coli  in  nuklein- 
saurem  Natron  mit  und  ohne  Glyzerin,  femer  in  Asparagin  und  Milch- 
säure (Uschinsky-  Lösung)  bestimmt  und  fanden  einen  At- 
mungsquotienten von  0,71 — 0,78,  wenn  das  (anaerob  vergärbare) 
Glyzerin  fehlte,  im  anderen  Falle  wie  zu  erwarten,  einen  höheren  (1,87). 

Der  Sauerstoffverbrauch  von  Bakterien  in  mit  AbfaUstoffen 
verunreinigtem  Wasser,  maßen  S  p  i  1 1  a  ^)  und  B  r  e  • 
z  i  n  a  *)  durch  die  „Sauerstoff zehrung",  d.  h.  durch  die  Abnahme 
des  im  Wasser  gelösten  Sauerstoffs  während  des  Stehens.  Nach  unserer 
Auffassung^)  ist  es  zweifelhaft,  ob  man  es  hier  mit  einer  eigentUchen 
Xiebens-(Wachstums-)Erscheinung  und  nicht  vielmehr  mit  einer  Art 
Selbstverbrennung  der  Bakterien  zu  tun  hat  (S.  573  u.  §  226). 

Ein  Bedürfnis  für  weitere  Gasanalysen,  die  in  der  angegebenen 
Weise  zu  ergänzen  wären,  liegt  entschieden  vor. 

§  221.  Verfahren  zur  Gasuntersachnng .  Fasteur  stellte  seine 
Gasanalysen  in  der  Weise  an,  daß  er  die  ausgezogene  Spitze  seiner  geschlos$<>* 
nen  Kulturgefäße  unter  Quecksilber  abbrach,  Proben  des  austretenden 
Gases  im  Eudiometer  auffing  und  durch  Absorption  mit  Kalilauge  und 
Pyrogallussäure  Kohlensäure  und  Sauerstoff  bestimmte. 

Viel  angewandt  worden  ist  später  auch  von  anderen  Forschern  wegen 
ihrer  Einfachheit  die  Kultur  imabgeschlossenen  Luftraum, 
dessen  Atmosphäre  man  am  Schlüsse  analysiert.  Dabei  besteht  aber  die 
Gefahr,  daß  der  zunächst  in  genügender  Menge  zur  Verfügung  stehendt» 
Sauerstoff  früher  oder  später  verbraucht  wird,  und  dadurch  anaerobo 
Bedingungen  geschaffen  werden.  Nach  Hesse  bedient  man  sich  am 
bequemsten  breiter  Reagensgläser  von  50 — 100  ccm  Inhalt,  die  mit  25  ccm 
Agar    beschickt   sind,    ziu*  Kultur.     Der  eingeschliffene   Glaspfropfen  ist 

1)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  40  u.  Zentr.  Bakt.   36,   1904. 

2)  Vgl.  dfkrüber  Oppenheimer,  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  41. 

3)  Arch.  f.  Hyg.   38.  246. 

4)  Zeitschrift  f.  Hyg.  63.  495. 

5)  Kruse  ebenda  67,  69,  1908. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Krckftwechsel.  677 

von  zwei  Glaskapillaren  durchbohrt,  die  zum  Einbringen  von  Watte  eine 
Erweiterung  tragen  und  mit  Glashähnen  verschlossen  sind.  Die  eine  Öff- 
nung kann  mit  einem  Manometer  verbimden  werden.  Die  andere  Kapillare 
verbindet  man  mit  einer  H  e  m  p  e  1  sehen  Gasbürette,  die  mit  Temperatur- 
imd  Barometerkorrektion  versehen  ist,  und  kann  auf  diese  Weise  beliebig 
oft  Proben  zur  Analyse  des  Gasinhalts  der  Kulturen  vornehmen.  Bei  der 
Berechnung  sind  die  Druckveränderungen  im  Kulturgefäß  zu  berück- 
sichtigen. Nach  jeder  Probenahme  ist  es  mit  frischer  Luft  zu  füllen.  In 
der  ersten  Zeit  muß  die  Entnahme  und  Neufüllung  mindestens  täglich 
l>ewerkat«lligt  werden,  wenn  man  die  Mikroorganismen  genügend  mit  Sauer- 
^toff  versorgen  will.  Für  Anaerobier  kann  man  diese  Versuchsanordnung 
dahin  abändern,  daß  man  das  Kulturgefäß  mit  einem  nicht  angreifbaren 
Oase  (Wasserstoff,  Stickstoff)  füllt  oder  es  luftleer  macht*).  Die  Fehler- 
quelle, die  durch  Absorption  von  Kohlensäure  in  dem  Nährboden  ent- 
stellt, kann  man  dadurch  ausschließen,  daß  man  am  Schlüsse  des  Ver- 
Huchs  das  gebundene  Gas  durch  Ansäuerung  und  Erhitzen  des  Nährbodens 
austreibt  und  gesondert  bestimmt.  Eine  andere  Fehlerquelle  ergibt  sich 
nach  Hesse  daraus,  daß  besonders  stark  alkalische  Nährboden,  auch 
ohne  daß  sie  mit  Mikroorganismen  besät  sind,  in  der  ersten  Zeit  Sauer- 
stoff absorbieren.  Bei  den  gewöhnlichen  neutralen  Nährböden  ist  das 
nicht  der  Fall.  Kontroll  versuche  würden  jedenfalls  vor  Irrtümern  schützen. 

Andere  brauchbcure  Apparate  zur  Bestimmung  der  vollständigen 
Atmung  haben  Godlewski  und  Puriewitsch,  einen  sehr  schönen, 
aber  auch    teuren  M  a  z  6  imd  P  e  r  r  i  n  angegeben. 

Während  man  zur  gleichzeitigen  Bestimmung  des  verbrauchten  Sauer- 
st4)ffs  und  der  entwickelten  Gase  die  voliunetrische  Methode  benutzen  muß, 
kann  man  die  Kohlensäure  allein  gewichtsanalytisch  bestimmen,  indem 
man  kohlensäurefreie  Luft  von  Zeit  zu  Zeit  oder  in  gleichmäßigem  Strom 
durch  das  Kulturgefäß  und  nach  Trocknung  durch  eine  Pettenkofersche 
Höhre  oder   dergleichen  hindurchsaugt. 

Wie  man  die  Zusammensetzung  der  bei  Wasserstoffgärungen  ent- 
wickelten Gase  in  einfachster,  aber  freilich  nur  vorläufiger  Weise  fest- 
stellen kann,  haben  wir  S.  347  besprochen. 

Die  Aufnahme  freien  Stickstoffs  durch  Mikroorganismen  (§  201  ff.) 
wird  gewöhnlich  dadurch  bestimmt,  daß  man  die  Stickstoffzunahme  in 
der  Kultur  ermittelt.  Man  könnt-e  aber  auch  die  obige  Hesse  sehe  Ver- 
suchsanordnung benutzen.  Die  Entbindung  von  Stickstoff  durch  denitri- 
fizierende  Bakterien  weist  man  in  derselben  Weise  nach,  wie  die  anderer 
Oariingsgase'). 

§  222.    Sauerstoff  fibertragende  Enzyme.  Oxydasen^).  Die 

einzehien  Oxydationsprozesse  haben  wir  bei  den  Stoffen,  die  oxydiert 
werden,  schon  besprochen.  Sie  sind,  wie  wir  gesehen  haben,  zum  großen 
Teil  s  p  e  z  i  f  i  s  c  h  ,  d.  h.  sie  werden  durch  besondere  Kräfte 

1)  Einen    ziemlich    einfeu^hen    Kulturapparat    zur    Gasanalyse    für 
Anaeroben  beschreibt  Salus  (Arch.  f.  Hyg.  51,   1904). 

2)  Die  Einzelheiten  einer  genauen  Gasanalyse  vgl.  bei  H  e  m  p  e  1 , 
Oa8anal3rtische  Methoden. 

3)  Über    die    angeblich    Sauerstoff  übertragenden    Körner   (Fett)    in 
Bakterien  s.   S.   48.     Über  oxydierende  Filtrate,  vgl.   S.  650. 


678  Kap.  Xin,   §  222. 

vermittelt,  die  wir  vermutungsweise  den  En- 
zymen gleichstellen  können.  Man  darf  also  nicht  im  all- 
gemeinen von  einer  Oxydationskraft  der  Mikroorganismen  sprechen, 
sondern  von  dem  Vermögen,  bestimmte  Stoffe  zuoxy- 
dieren. Das  gilt  z.  B.  bei  den  Ammoniak,  salpetrige  Säure, 
Schwefelwasserstoff  oxydierenden  Bakterien.  Andere  Mikroben  haben 
einen  weiteren  Spielraum.  So  sind  die  Essigbakterien  zwar  besonders 
befähigt,  Alkohol  in  Essigsäure,  die  Zitronensäurepilze  den  Zucker 
in  Zitronensäure  zu  verwandeln.  Das  schließt  aber  nicht  aus,  daß 
diese  selben  Mikroorganismen  auch  unter  Umständen  ihre  Oxyda- 
tionsprodukte weiter  oxydieren,  so  z.  B.  die  Essigsäure  und  Zitronen- 
säure vollständig  zu  Kohlensäure  und  Wasser  zu  verbrennen  \md  auch 
manche  anderen  Stoffe  zu  oxydieren  vermögen.  Es  bleibt  hier  zunächst 
unbestimmt,  ob  ein  und  dasselbe  Ferment  diese  verschiedenen  Leistun- 
gen vollzieht,  oder  ob  mehrere  daran  beteiligt  sind.  Wir  möchten  letz- 
teres annehmen. 

Die  Isolierung  eines  Oxydationsenzyms  (Alkoholoxydase,  Alkoho- 
läse,  Azetolase)  ist  anscheinend  bei  den  Essigbakterien  gelungen  (S.  429), 
ferner  haben  wir  schon  die  Oenoxydase,  die  Laktase,  Tyrosinase  und 
ähnlichen  Oxydasen  oder  Peroxydasen  (§  159),  schließlich  die  schwefel- 
säurebildende Oxydase  im  Hefepreßsaft  (S.  642)  kennen  gelernt.  An 
die  Katalase,  die  allerdings  eine  besondere  Stellung  zwischen  oxy- 
dierenden und  reduzierenden  Enzymen  einnimmt,  sei  hier  ebenfalls 
erinnert  (§160).  Offenbar  können  aber  alle  diese  Enzyme,  mit  Ausnahme 
der  Alkoholoxydase,  nur  eine  geringe  Bedeutung  im  Stoffwechsel  be- 
anspruchen, weil  die  meist  aromatischen  Körper,  die  sie  oxydieren, 
kaum  zu  den  Nahnmgsmitteln  gehören,  und  die  Oxydation  wegen  ihrer 
geringen  Ausdehnung  keine  Kraftquelle  darstellt.  Viel  wichtiger 
wäre  es,  wenn  wir  wüßten,  wie  die  Oxydation  z.  B.  des  Zuckers,  der 
Fettsäuren  und  des  Fettes  vermittelt  wird,  wenn  wir  also  eigentUche 
Atmungsenzyme  kannten.  In  dieser  Beziehung  lagen  bis  vor  kurzem  nur 
einige  unsichere  Beobachtungen,  die  an  tierischen  Säften  gemacht  sind, 
vor^).  Doch  sind  neuerdings  einige  Fortschritte  erzielt  worden.  So  er- 
schloß zuerst  Telesnin^)  aus  der  Untersuchung  des  Gaswechsels  von 
durch  Azeton  abgetöteter  Hefe  (Zymin)  in  Wasser  und  verschiedenen 
teils  vergärbaren,  teils  nicht  vergärbaren  Nährböden  (mit  Gelatine) 
die  Anwesenheit  einer  Oxydase,  die  er  allerdings  noch  mit  den  B  e  r  - 
trandschen  Oxydasen  (§  159)  identifizierte.    Fast  immer  war  die 


1)  Vgl.    Oppenheimer,    Fermente,    1903   \md    C  o  h  n  h  e  i  ro , 
Zeitschr.  physiol.  Chem.   47,   1906. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12,  205,   1904. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  679 

Kohlensäuieabgabe  weit  größer  als  die  Sauerstoffaufnahme,  der  At« 
mongsquotient  (wegen  der  Oärung  bzw.  Selbstvergärung  der  Hefe» 
vgl.  §  223)  also  viel  höher  als  1  und  die  Sauerstoffaufnahme  an  sich 
geling.  Älmliche  Versuche  stellte  ziemlich  gleichzeitig  Warschaws- 
ky^)  an,  aber  mit  Azetonpräparaten,  die  aus  Kulturen  gärfähiger 
Hefen  auf  nicht  vergärbaren  Nährböden  (Glyzerin,  Mannit)  oder 
einer  nicht  gärfähigen  Kahmhefe  (Sacch.  membranaefaciens)  gewonnen 
waren.  Stets  wurde  die  Prüfung  in  verschlossenen  Gläschen  von  20  ccm 
Inhalt  mit  2  ccm  starker  Zuckerlösung,  etwas  Gelatine  und  0,2 — 0,3  g 
der  Trockenhefe  vorgenommen.  Wenn  gleich  Gärung  eintrat,  war  das 
Verhältnis  COg  :  O2  sehr  hoch  (bis  zu  30)  und  die  Sauerstoffaufnahme 
gering.  In  den  zunächst  nicht  gärenden  Proben  kehrte  sich  aber  das 
Atmungsverhältnis  um,  und  die  Sauerstoffaufnahme  stieg.  So  ergab 
z.  6.  die  Gasanal3rse  in  emem  Versuch  mit  S.  membranaefaciens  nach 
117  Stunden:  3,68%  CO2,  14,1%  0^  und^82,2%  Njj.  Ein  anderer  Ver- 
such  mit  Zymin  aus  einer  Mannitkultur^der  Bierhefe  verlief  bis  zum 
5.  Tage  ähnlich,  es  fanden  sich  nämlich  nach  95  Stimden  5,9%  COg, 
13,3%  Og,  80,8%  Ng;  dann  begann  plötzlich  eine  reichliche  Kohlen- 
saoreentwicklung  und  gleichzeitig  auch  erheblich  kräftigere  Sauerstoff- 
aufnahme, so  daß  nach  168  Stimden  die  Gase  bestanden  aus  58,3% 
CO2,  0,12%  O2,  41,6%  Ng.  Der  plötzliche  Umschwung  legt  dem  Ver- 
fasser  selbst  den  Verdacht  nahe,  daß  eine  Infektion  von  außen  ein- 
getreten sei.  Jedenfalls  gewinnen  wir  aus  diesen  Versuchen  Anhalts- 
punkte für  das  Vorhandensein  kräftiger,  nicht  bloß  sauerstoffbindender, 
sondern  auch  Kohlensäure  erzeugender  Oxydasen.  In  einem  anderen 
Versuche  fehlte  allerdings  trotz  reichlicher  Sauerstoffaufnahme  die 
COg-Bildung  fast  völlig. 

Kostytschew^)  stellte  sich  ebenfalls  durch  Behandlung  mit 
Azeton  und  Verreiben  aus  dem  Myzel  des  Aspergillus  niger 
ein  trockenes  Pulver  her,  das  in  der  Menge  von  0,3—1  g  zu  10 — 30  ccm 
Zuckerlösung  gesetzt,  binnen  15 — ^20  Stunden  einige  ccm  Kohlensäure 
entwickelte  und  bei  reichlichem  Luftzutritt  Sauerstoff  absorbierte. 
Auch  bei  Sauerstoffabwesenheit  wurde  Kohlensäure  entwickelt.  Doch 
verlor  das  Trockenpräparat  die  Fähigkeit  der  „anaeroben  Atmung** 
durch  Erhitzen  auf  100®,  während  die  aerobe  Atmung  dadurch 
zwar  etwas  geschädigt,  aber  nicht  xmterdrückt  wurde.  Verfasser  nimmt 
daher  zwei  verschiedene  „Atmungsenzyme"  an.  Das  anaerobe  Enzym 
ist  der  Zymase  nur  ähnlich,  nicht  gleich.  Beide  Enzyme  verlieren  schnell 
ihre  Wirksamkeit.    Maximow^)   kam   zu   ähnlichen   Ergebnissen, 

1)  Zentr.  Bakt.  405. 

2)  Ber.  bot.  Gesellsch.   1904.  207. 

3)  Ebenda  225. 


680  Kap.  Xiri,   §  222—223, 

wenn  er  denselben  Pilz  mit  Sand  fein  zerrieb,  den  Saft  durch  Papier 
filtrierte  und  mit  40%  Glykose  oder  mit  25prozenti^er  Glykoselösung 
und  Toluol  vermischte.  Aach  dieser  Forscher  schloß  auf  das  Vorhanden- 
sein zweier  voneinander  imabhängiger  Enzyme,  weil  er  den  Atmungs- 
quotienten -ZT  -,  der  zunächst  1 — i  betrug,  im  Laufe  der  Versuche  all- 

mählich  kleiner  wie  1  werden  sah:  die  Oxydase  wäre  danach  wider- 
standsfähiger, als  das  Kohlensäure  entwickelnde  Ferment.  Letzteres 
arbeitet  gleich  kräftig  an  der  Luft  und  in  Wasserstoff. 

Auch  mit  Azetonpräparaten  von  M  u  c  o  r  arten  arbeitete  K  o  s  t  y  t  - 
s  c  h  e  w  ^)  und  verglich  sie  mit  dem  käuflichen  Zymin  (aus  Bier- 
hefe) bei  Luftzutritt  und  -abschluß.  Ein  Versuch  mit  1  g  des  letzteren 
und  15  ccm  20prozentiger  Traubenzuckerlösung  ergab  beispielsweise 

I.  Luftzutritt  (61/2  Std.)  .     14     ccm  COg',  3,7  ccm  O^;  COg  :  0^  =  3,8 

IL  Luftabschluß  (61/2  Std.)   13,8     „    COg;  0       „    02;C02:02=oc 

V.  Luftzutritt  (211/2  St.)     35        „    COg;*       „    Og;  CO2: 02  =  8,8 

VI.  Luftabschluß  (211/2  St.)  15,1     „    CO2;  0       „     0^\  COg :  Og  =  oc 

Erhitzen  des  Trockenpräparats  setzte  den  Gasaustausch  etwa  um  die 
Hälfte  herab,  änderte  aber  nichts  an  dem  Atmimgsquotienten.  Ein 
Azetonpräparat  des  Mucor  stolonifer  ergab: 

I.  bei  Luftzutritt  (17  Std.)      2,7  ccm  COg;  2,7  ccm  0^;  COg :  0^  =  1,0 
II.  bei  Luftabschluß  (16  Std.)  1,3    „    COg;  0      „    Og;  CO2:  02=  oc 

Erhitzimg  des  Präparats  auf  100^  bewirkte  wie  bei  Aspergillus  niger 
eine  Herabsetzung  des  Atemquotienten  bei  Luftzutritt  auf  0,2—0,7 
und  das  Ausbleiben  der  Kohlensäureentwicklung  bei  Luftabschluß. 
Das  aus  Mucor  racemosus  hergestellte  Azetonpräparat  verhielt  sich 
ähnlich  dem  Zymin,  nur  war  es  weniger  kräftig. 

Eine  etwas  reichlichere  Oxydation  haben  neuerdings  Herzog 
und  Meier*)  mit  Penicilliummyzel,  das  durch  Azeton  oder  Methyl- 
alkohol abgetötet,  getrocknet  und  gepulvert  war,  erhalten.  Sie  ließen 
es  auf  Lösungen  von  verdünnter  Bierwürze  mit  und  ohne  milchsaures 
Ammon  (vgl.  S.  447)  wirken  und  erhielten  dabei  im  letzteren  Fall, 
wo  eine  Gärwirkung  wohl  ausgeschlossen  war,  mit  18 — ^23  g  Pilzsub- 
stanz für  0,8 — ^3  g  Milchsäure  eine  Zuwachsentwicklung  von  0,04  bis 
0,07  g  Kohlensäure,  die  in  36  Stunden  aufhörte.  Anscheinend  wird  die 
verschwindende  Milchsäure  nicht  vollständig  oxydiert. 


1)  Zentr.  Bakt.   2.  Abt.   13.  583,   1904. 

2)  Zeitflchr.  f.  physiol.   Qiem.  67,   1908. 


Wege  des  Sauecstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  681 

Die  bisher  also  recht  dürftige  Ausbeute  an  oxydierenden  Enzjrmen 
hat  viele  Forscher  zu  dem  Schluß  geführt,  daß  die  Oxydation  im  all- 
gemeinen nicht  durch  isolierbare  Enzyme,  sondern  durch  das  „lebende 
Protoplasma'^  selbst  vermittelt  werde.  Das  ändert  aber  an  der  oben 
betonten  Spezifität  des  Vorgangs  nichts  und  verschiebt  die  Erklänmg 
eigentlich  nur  auf  spätere  Zeiten,  die  uns  über  die  Natur  der  lebenden 
Substanz  aufklären  sollen.  Vorläufig  sind  wir  eher  geneigt,  auch  die 
Oxydation  durch  Mikrobien  auf  Enzyme,  die  aber  empfindlicher  sind, 
als  andere,   zurückzuführen  (vgl.  auch   Selbstverbrennung   §  226). 

§  222  a.  Sauerstoff  speicherang.  Manche  Bakterien  scheinen 
Stoffe  (fettartige  Pigmente)  zu  erzeugen,  die  imstande  sind,  Sauerstoff 
zu  speichern  (S.  104  u.  §  253).  Ob  gerade  diese  Stoffe  eine  größere  bio- 
logische Bedeutung  besitzen,  die  etwa  mit  der  des  Hämoglobins  der  Tiere 
auf  eine  Stufe  zu  stellen  wäre,  ist  zweifelhaft.  Dagegen  ist  die  von  P  a  - 
steur  nachgewiesene  Sauerstoffspeicherung  der  Hefe  (S.  103)  wohl 
für  diese  von  Nutzen.   Ihr  Mechanismus  ist  noch  unklar. 

§  223.  Intramolekulare  Atmung  und  Gärung  i).  Nachdem 
man  die  Erfahrung  gemacht  hatte,  daß  es  Mikroorganismen  gibt,  die 
ohne  freien  Sauerstoff  leben  können,  glaubte  man  ganz  allgemein  ihnen 
als  Ersatz  der  äußeren  Atmung  eine  innere  (intramolekulare)  Atmung 
zuschreiben  zu  müssen.  Selbst  der  Entdecker  der  Anaerobier,  Pasteur , 
äußert  in  seinen  ersten  Abhandlungen^)  die  Vorstellung,  diese  Mikro- 
organismen entzögen  sauerstoffhaltigen  Verbin- 
dungen den  Sauerstoff,  den  sie  der  Atmosphäre 
nichtentnehmenkönnten.  Es  steht  das  in  einem  gewissen 
Widerspruch  zu  dem  Satz,  den  Pasteur  selbst  ja  von  vornherein 
verfochten,  daß  nämlich  die  Gärung,  also  ein  Spaltungs- 
prozeß, der  Ersatz  der  Atmung  sei.  Eine  klare  Äußerung 
über  diese  Verhältnisse  vermißt  man  übrigens  bei  Pasteur  ebenso 
wie  bei  seinen  Nachfolgern^);  in  seinen  späteren  Arbeiten*)  spricht  er 
überhaupt  nicht  mehr  von  dieser  inneren  Oxydation.  Eine  Stütze 
erhielt  die  letztere  Lehre  durch  die  Beobachtung  P  f  1  ü  g  e  r  s  u.  a., 
daß  die  Eohlensäureausatmung  und  die  Lebenserscheinungen  auch  bei 
den  höheren  Organismen  fortbestehen,  wenn  der  Sauerstoff  voll- 
ständig abgeschlossen  ist.  Man  sah  darin  eine  Fortsetzung  der  At- 
mungsprozesse,  obwohl  P  f  1  ü  g  e  r  selbst  die  Kohlensäurebildung  als 
eine  „Dissoziation",  eine  Spaltung  auffaßt.   Da  auch  bei  den  Anaero- 


1)  Vgl.   §  61  u.  62. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  52.   1263,  1861. 

3)  Vgl.   z.  B.  B  r  e  f  e  1  d  ,  Landwirtsch.   Jahrb.    1 876. 

4)  Ck)mpt.  rend.  75.  785»  1872.     Etudes  sur  la  bidre  1876. 


682  Kap.  XIII,   §  223. 

biern  gewöhnlich  Kohlensäure  gebildet  wiid  (vgl.  z.  B.  bei  Hesse 
S.  675),  schien  auch  hier  die  Lehre  von  der  inneren  Atmung  eine  Be- 
stätigung zu  finden.  Das  regelmäßige  Vorkommen  von  Redaktions- 
prozessen bei  allen  Arten  von  Lebewesen  war  ein  weiterer  Beweis  für 
den  „Sauerstoffhimger"^)  des  Protoplasmas  (vgl.  S.  477).  Die  redu- 
zierten Stoffe  lieferten  eben  mittel-  oder  unmittelbar  den  zum  Leben 
nötigen  Sauerstoff. 

Den  klarsten,  aber  auch  übertriebensten  Ausdruck  hat  die  Lehre 
bei  W  o  r  t  m  a  n  n  *)  gefunden.  Bei  ihm  ist,  wie  bei  P  f  1  ü  g  e  r ,  die 
Zersetzung  des  Protoplasmas,  die  Abspaltung  oder  Dissoziation  von 
Kohlensäure  eine  ursprüngliche  Eigenschaft  der  lebenden  Zelle.  Die 
Sauerstoff atmung  soll  wie  die  .Nahrung  bloß  dazu  dienen,  die  redu- 
zierten Bestandteile  des  Protoplasmas  wieder  zu  ergänzen.  So  würde 
der  durch  Reduktion  des  Zuckers  entstandene  Alkohol  durch  den  Sauer- 
stoff der  Luft  reoxydiert  zu  Zucker.  Auch  wo  der  Sauerstoff  der  Luft 
fehle,  verlaufe  die  Kohlensäureabscheidung,  die  innere  Verbrennung 
in  derselben  Weise  und  in  demselben  Maßstabe.  Ist  diese  Theorie  denn 
aber  berechtigt  ?  Im  Gegenteil,  sie  ist  schon  widerlegt  durch  Versuche 
von  Diakonow^)  und  Pfeffer*).  Diese  Forscher  fanden,  daß 
eine  Kultur  des  Penicillium  glaucum  und  anderer  Schinmielpilze,  die, 
mit  CJhinasäure  oder  anderen  nicht  zuckerartigen  Stoffen  und  Pepton 
ernährt,  bei  Luftzutritt  kräftig  atmete,  sofort  aufhörte,  Kohlensäure 
zu  bilden,  sobald  man  die  Luft  abschnitt,  und  in  kürzester  Zeit  ab- 
starb. Es  war  also  hier  von  intramolekularer  Atmung  nicht  die  Rede. 
Sobald  dagegen  Glykose  mit  Pepton  geboten  wurde,  bildete  Peni- 
cillium wenig,  Aspergillus  niger  etwas  mehr  und  Mucor  stolonifer 
reichlich  Kohlensäure.  Das  entspricht  dem  Grade  ihrer 
Fähigkeit,  denZucker  zu  vergären.  Mit  anderen  Worten: 
die  Gärung  ersetzt  hier  die  Atmung,  und  ohne  Gä- 
rung besteht  keine  innere  Atmung.  Die  Sauerstoffent- 
ziehung hatte  hier  nicht  etwa  das  Protoplasma  geschädigt,  denn  die 
Pilze  begannen  wieder  ebenso  kräftig  zu  atmen,  sobald  ihnen  Luft 
zugeführt  war. 

Durch  die  neuesten  lehrreichen  Versuche  von  Kostytschew*) 
wird  die  Beweiskraft  der  Diakonow sehen  Feststellungen  nicht 
geschmälert,  sondern  im  Gegenteil  gestützt.    Seine  erste  Arbeit  be- 


1)  Vgl.  Ehrlich,   Sauerstoff bedürfnis  des  Organismus,    1885. 

2)  Arbeit,  d.  bot.  Inst.  Würzburg  2.  500,  1880,  vgl.  auch  Detmer, 
Jalirb.  wiBS.  Bot.   12.  276,   1881. 

3)  Ber.  bot.  Ges.  1886.  2  und  411. 

4)  Arb.  bot.  Inst.  Tübingen  1.  659,   1885. 

5)  Jahrb.  wiss.  Bot.  40  und  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   13,   1904. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


683 


statigte  zunächst,  daß  der  Aspergillus  niger  bei  Ernährung  mit  kohle- 
hydratfreien Stoffen  (Pepton,  Chinasäure,  Weinsäure  und  Raulinscher 
Salzlösung)  einige  Stunden  lang  keine  Kohlensäure  bildet,  wenn  ihm 
der  Sauerstoff  entzogen  wird,  d.  h.  in  reiner  Stickstoffatmosphäre. 
Allerdings  tritt  dann  bei  Fortsetzimg  der  Sauerstoffabsperrung  zeit- 
weise doch  wieder  eine  Kohlensäureentwicklimg  ein,  kommt  aber 
bald  wieder  zum  Stillstand.  Eine  fünftägige  sporenbildende  Kultur 
ergab  z.  B.  bei  18®  in  den  verschiedenen  Perioden  folgenden  Gaswechsel 
(auf  je  10  Stunden  berechnet): 

I.  Luftzutritt  (IStd.)    . 
IL  Luftabschluß  (2  Std.) 

III.  „  (16  Std.) 

IV.  „  (8  Std.) 
V.  Luftzutritt  (2  Std.)    . 

VL         „  (6  Std.)  . 

Durch  welche  Zersetzimgen  die  Kohlensäure  hier  geliefert  wird,  ist  noch 
nicht  festgestellt,  vielleicht  bilden  die  Zellen  selbst  sich  Kohlehydrate, 
die  dann  durch  alkoholische  Gärung  zerfallen.  Interessant  ist  dabei 
auch  noch  die  Veränderung,  die  der  Gaswechsel  erleidet  bei  Wieder- 
aufnahme der  Luftatmung  (V).  Zunächst  wird  Sauerstoff  aufgenommen 
und  wenig  Kohlensäure  gebildet;  erst  später  erreicht  der  Atmimgs- 
quotient wieder  den  gewöhnlichen  Stand.  Die  Sauerstoff  aufnähme 
ist  also  in  gewissem  Umfange  unabhängig  von  der  Kohlensäureabschei- 
dung.  In  seiner  zweiten  Arbeit  beschäftigt  sich  Kostytschew 
mit  der  Atmung  der  Mucorarten.  Diese  verhalten  sich  verschieden. 
Ein  Versuch  mit  einer  frischen  Kultur  des  Muc.  stolonifer  ergab  z.  B. 


eS.GccmCOj; 

,  37,1  ccm  O2;  CO2 :  0^  —  1,85 

0      „    CO2 

;    0      „   0^;  CO^rOj       - 

1,0   „    COj; 

,     0       „    Oj;  COjiOa-   oc 

Spur     COji 

0      „    Oj;  COj-.O^-  - 

3,7    „    CO^; 

;     7,9   „    O3;  CO2:Oj-0,47 

3,1    „    CO2; 

;    2,2   „    O2;  CO^:  0^-1,43 

I.  Luftzutritt  (2  Std.)    .    9,5  ccm  CO 


ü.  Luftabschluß  (2 V4  Std.)  6,6 

m.  „  (18  Std.)  14,5 

IV.  „  (25    „  )  19,3 

V.  „  (22    „  )  21,4 

VI.  „  (24    „  )  12,0 

VII.  Luftzutritt  ( 1  Va  Std.)     2,3 

VIII.         „         (2V,  „    )    6,8 


99 


>> 


>> 


99 


>) 


>> 


J> 


CO 
CO 
CO 
CO 
GOs 
CO, 

co' 


10 
0 
0 
0 
0 
0 

0,4 
7 


ccm  0 
0 
0 
0 
0 
0 
0 
O 


>> 


>> 


>> 


>> 


>> 


J> 


99 


02  =  0,95 

oc 
oc 


0^= 


C02 

C02 
C02 
C02 

CO, 

CO2 

C02:Oj=6,6 
CO, :  0„  =  0,96 


0^= 
0^= 


OC 


Kostytschew  möchte  aus  dem  niedrigen  Atmungsquotienten 
bei  Luftzutritt  schließen,  daß  Mucor  stolonifer  kein  Gärungserreger 
sei  und  erklärt  die  Kohlensäureausscheidung  bei  Luftabschluß  als 
„intramolekulare  Atmung",  die  mit  der  Gänmg  „nicht  ganz  identisch" 
sei.  Wir  möchten  bis  auf  weiteres  auch  bei  diesem  Pilz  die  intramole- 


684 


Kap.  Xm,   §  223  ii.  224. 


kulare  Atmung  als  Gärung  betrachten,  die  freilich  Besonderheiten  hat. 
Sicher  ist  das  Bestehen  einer  alkoholischen  Gärung  bei  dem  Hucor 
mucedo  und  namentlich  bei  dem  Mucor  racemosus.  Folgendes  Beispiel 
zeigt  den  Verlauf  der  Atmung  bei  dem  letzteren  Pilz: 


C7 

I. 

Luftzutritt  (IV2  Std.) 

.    7,5  < 

ccm  COj; 

2,8 

ccmO,;  C02:Oj-2,7 

II.  Luftabschluß  (P/j  Std. 

)     ? 

>» 

? 

)} 

- 

III. 

>> 

(IV4   .. 

)    7,4 

}9 

COj; 

0 

>> 

Og;  COj :  Oj-  3c 

IV. 

>J 

(20     „ 

)      ? 

ff 

? 

>> 

V. 

>> 

(2V4   .,    1 

1  11,3 

J» 

CO2; 

0 

>9 

Oj;  CO2 :  Oj=  X 

VI. 

»> 

(27     ..    1 

)      1 

)> 

? 

}> 

VII. 

>> 

(2        „ 

)  11.5 

» 

COj; 

0 

>> 

Oj;  COjj :  Oj-  ac 

VIII. 

99 

(16      „    ] 

1      ? 

ff 

9 

• 

91 

IX. 

>» 

(2%    „    1 

1    8,8 

)» 

COj; 

0 

>> 

O2;  COj :  Oj=  5c 

X. 

>» 

(24      „    ] 

1       ? 

»» 

9 

• 

>> 

XI. 

>J 

(2        „   ) 

6,8 

)> 

CO2; 

0 

* 

>> 

Oj;  COjiOj-tc 

XII.  Luftzutritt  (40  Min.)    . 

,      ? 

)> 

• 

>l 

XIII. 

>J 

dVaStd.) 

.    6,4 

>» 

cx)»; 

1,5 

>} 

Oj;COj:0,=4,4 

XIV. 

)) 

(15%»   ) 

.      ? 

>> 

? 

>J 

XV. 

>> 

(IV4    ..   ) 

.  7,3 

>» 

COj; 

2,3 

>) 

Oj;  CO,:Ois=.3,2 

Hier  besteht  offenbar  die  Gärung,  gleichgültig  ob  bei  Sauerstoffzutritt 
oder  -abschluß,  ziemlich  unverändert  fort.  Die  Versuche  mit  den 
Azetondauerpräparaten  derselben  Pilze  bestätigten  im  wesentlichen 
diese  Eigenschaften  (s.  o.  S.  679  ff.).  Leider  wurde  niemals  auf  Alkohol 
gefahndet. 

Versuche,  die  mit  Hefepilzen  angestellt  worden  sind,  haben 
ähnliche  Ergebnisse  gehabt.  Zunächst  zeigte  sich  ganz  allgemein, 
daß  bei  Verringerung  der  Luftzufuhr  die  Kohlensäureerzeugung  in 
zuckerhaltigen  Kulturen  zwar  nicht  absolut,  aber  im  Verhältnis  zur 
Hefeernte  zimahm,  und,  wie  die  gleichzeitigen  Bestimmimgen  der 
Alkoholmengen  ergaben,  um  so  mehr  der  Vergärung  des  Zuckers  ihren 
Ursprung  verdankten,  je  schwieriger  die  Oxydation  dieses  Nährstoffes 
wurde.  Wir  sind  auf  diese  Untersuchungen,  bei  denen  nur  die  aus- 
geschiedene Kohlensäure  gemessen  wurde,  an  anderer  Stelle  ausführ- 
lich eingegangen  (§  233).  Allerdings  fehlt  auch  bei  reichlicher  Sauer- 
stoff zufuhr  die  Gärung  nicht  vollständig,  wie  ja  schon  aus  den  Pa  • 
steu rschen  Gasbestimmungen  zu  erschließen  war.  Die  unter  P  a  1 1  a  - 
d  i  n  s  Leitung  angestellten  Versuche  von  Kollegorsky  und 
Zassouchine^)  vervollständigten  diese  Feststellungen,  indem  die 
Atmung  der  Hefe  nicht  nur  in  vergärbaren,   sondern   auch  in  nicht 


1)  Zontr.  Bakt.   11,  95.   1903. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  685 

vergäxbaren  Nährböden  untersucht  wurde.  Da  die  Zersetzung  in 
kleinen  verschlossenen,  reichlich  beimpften  Gefäßen  (Rollkulturen  in 
Röhrclien),  und  eine  Lüftung  entweder  gar  nicht  oder  nur  periodisch  (bei 
der  Gasentnahme)  vorgenommen  wurde,  war  der  Luftzutritt  nur  be- 
schränkt. Es  zeigte  sich  nun,  daß  überall,  wo  vergärbare  Stoffe  vor- 
handen waren,  der  Atmungsquotient  mehr  oder  weniger  erheblich  über 
1  hinau&tieg  (bis  9,6),  im  entgegengesetzten  Fall  unter  1  hinunterging 
(bis  0,59).  Daß  es  sich  im  ersten  Falle  um  eine  Gärung  handelt,  sieht 
man  aus  dem  oben  besprochenen  Versuch  mit  der  Azetonhefe  (S.  679), 
in  dem  offenbar  wesentlich  die  Zymasewirkung  zum  Vorschein  kommt. 

§  224.  Fortsetzung.  Befriedigung  des  Energiehungers 
durch  die  Gärung.  Wenn  sonach  von  einem  „Lufthunger"  des  Proto- 
plasmas im  allgemeinen  nicht  gesprochen  werden  darf,  so  darf  man  ihm 
um  so  mehr  einen  Energiehunger  zuschreiben.  Befriedigt  wird  er  bei 
Saueistoffabschluß  auf  die  verschiedenste  Weise,  wie  wir  im  einzelnen 
bei  den  Spaltungsgärungen  dargelegt  haben.  Die  chemischen  Vorgänge 
sind  zwar  noch  keineswegs  überall  klargestellt^).  Immer  handelt  es  sich 
aber  wohl  um  WanderungenvonSauerstoff-undWas- 
serstoffatomen  im  Molekül  der  Kohlenstoffver- 
bindungen, die  zum  größten  Teil  oder  immer  unter  Beteiligung 
d^  Wassers  erfolgen.  Meist  entstehen  dabei  auf  der  einen  Seite  wasser- 
stoffreiche, auf  der  anderen  Seite  sauerstoffreiche  Körper,  die  Gärung 
besteht  also  gewissermaßen  in  nebeneinander  verlaufen- 
den Oxydations-  und  Reduktionsvorgängen.  In 
jedem  Falle  ergeben  sich  Spaltungen,  die  mit  erheblicherWärme- 
entwicklung  verlaufen.  Und  diese  letztere,  also  der 
Energi  e  gewinn ,  könne  als  wesentlicher  Zweck 
der  Gärungen  bezeichnet  werden^).  Es  ist  kaum  nötig, 
das  noch  durch  Beispiele  zu  belegen.  In  vielen  Fällen  ist  das  höher 
oxydierte  Spaltungsprodukt  Kohlensäure,  wie  bei  den  vollständigen 
Oxydationen,  das  Reduktionsprodukt  ein  anderes  Gas,  wie  Wasser- 
stoff oder  Sumpfgas  oder  ein  verhältnismäßig  sauerstoffarmer 
Körper.  So  spaltet  sich  bei  der  alkoholischen  Gärung  der  Zucker  in 
Kohlensäure  und  den  sauerstoffarmen  Alkohol  (§  84): 

C^Hj^Oe  =  2C2HeO  +  200^  (+  22  Kai.), 

bei  der  Buttersäuregärung  in  Kohlensäure,  Buttersäure  und  Wasser- 
stoff (§  114): 

CeHj^Oe  =  Cfifi^  +  200^  +  2H2  (+  14  Kai.), 

1)  Vgl.   §  61,  S.  251,  294  usw. 

2)  Ausnahmen  bzw.  eine  Beschränkxing  dieser  Definition  der  Gäruiig 
s.  TL  S.  688. 


686  Kap.  XIII,   f  224. 

bei  der  Butylalkoholgärung  in  Kohlensäure  und  Batylalkohol 
(S.  368): 

CeHiaOe  =  C4H10O  +  2  CO^  +  H^O  (+  37  Kai.  ?) . 

Bei  den  anaeroben  Gärungen  der  höheren  Alkohole  (§  131),  Fettsäuren 
(§  139  ff.)  sehen  wir  ähnliches  eintreten.  So  entsteht  z.  B.  aus  der 
Essigsäure  einerseits  Sumpfgas,  andererseits  Kohlensäure: 

Ca  (C2H302)3  +  H2O  =  2CH4  +  CO2  +  CaCOg  (+  3  Kai.). 

Es  ist  das,  nebenbei  bemerkt,  eine  Gänmg  mit  besonders  spärlicher 
Wärmebildimg. 

Bei  der  Milchsäure-  und  anaeroben  Essigsäuregärung  des  Zuckers 
entstehen  zwar  keine  höher  und  niedriger  oxydierten  Produkte  und 
auch  weder  Kohlensäure  noch  Wasserstoff  oder  überhaupt  ein  Gas; 
der  Sauerstoff  wandert  aber  auch  hier  und  häuft  sich  auf  der  einen 
Seite  des  Moleküls  in  der  Karbozylgruppe  an,  während  die  andere 
zur  Methylgruppe  reduziert  wird,  und  das  Ergebnis  ist  eine  Spaltung, 
die  unter  starker  Wärmebildung  verläuft: 

COH  .  (CH0H)4  .  CH2OH  =  2CH3CHOH  .  COOH  (+  15  Kai.) 
Traubenzucker  Milchsäure 

COH  .  (CH0H)4 .  CHgOH  =  3CH3 .  COOH  (+  34  Kai.) 
Traubenzucker  Essigsäure. 

Einige  Gärungen,  in  erster  Linie  die  von  uns  sog.  Wasserstoff- 
gärung der  Kohlenhydrate  (§  105): 

C6H12O6  +  6H2O  =  6CO2  +  12 H2  (— 147  Kai.), 

machen  insofern  vor  allen  übrigen  eine  Ausnahme,  als  sie  keine  Wärme 
entwickeln,  sondern  binden.  Trotzdem  haben  wir  allen  Grund,  sie  als 
einen  in  gewissen  Grenzen  selbständigen  Vorgang  anzusehen,  der 
freilich  auf  die  Dauer  nicht  denkbar  ist,  ohne  andere  Wärme  Hefemde, 
die  dann  auch  regelmäßig  nebenher  gefunden  werden.  Wie  wir  uns 
vom  teleologischen  Standpunkte  die  Entstehung  dieser  Gärung  denken 
sollen,  steht  dahin. 

Durch  diese  und  andere  „Mischgärungen"  (vgl.  z.  B.  §  98,  lU 
u.  115)  werden  die  energetischen  Verhältnisse  vielfach  recht  undurch- 
sichtig. Noch  mehr  gilt  das  aber  für  die  tieferen  Spaltungen  der  Eiweiß- 
körper, die  zur  „Fäulnis"  und  zum  Teil  auch  zur  „Verwesung"  in  Be- 
ziehung stehen  (§  167  ff.).  Die  Umsetzimgsgleichungen,  die  wir  dafür 
angeben  können,  sind  zum  größten  Teil  noch  hypothetisch,  und  auch 
ihr  Wärmewert  wäre  noch  im  einzelnen  festzustellen   (vgl.  S.  704). 

Außer  dem  Sauerstoff  xmd  Wasserstoff  der  betreffenden  Kohlen- 
stoffverbindungen  beteiligt  sich  an  diesen   Veränderungen  vielfach, 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  687 

wie  oben  bemerkt,  der  Sauerstoff  (und  Wasserstoff)  des  Wassers.  Manche 
Autoren  nehmen  sogar  nach  dem  Vorgang  von  B  a  e  7  e  r  auch  bei 
denjenigen  Gärungen,  die  nach  unseren  Formebi  als  einfache  Spaltungen 
eischeinen,  wie  die  Alkohol-  und  Milchsäuregärung,  eine  vorüber- 
gehende Beteiligung,  einen  Ein-  und  Austritt  von  Wassermolekülen 
an.  Soviel  steht  aber  fest,  daß  der  SauerstoffderLuftnicht 
in  diese  Gärungsprozesse  unmittelbar  eingreift. 
In  denjenigen  Fällen,  in  denen  nachweislich  die  Gärung  möglich  ist 
oder  sogar  bei  Zutritt  von  Sauerstoff  bis  zu  einem  gewissen  Grade 
begünstigt  wird,  z.  B.  bei  der  alkoholischen  Vergärung  des  Zuckers 
durch  Hefe  (§  91),  wirkt  der  Sauerstoff  nur  mittelbar,  indem  er  das 
Wachstum  der  Mikroorganismen  und  vielleicht  die  Bildung  des  Gärungs- 
enzyms befördert^).  Die  Analyse  des  Gaswechsels  ergibt  dann  zwar 
\iel  höhere  Werte^)  des  Atmimgsquotienten  COg  :  Og  als  bei  den  echten 
nicht  gärungsfähigen  Aerobiem  (§  219  u.  220),  beweist  aber  immerhin 
durch  seine  endliche  Größe  die  mehr  oder  weniger  kräftige  Aufnahme 
von  Luftsauerstoff.  Derartige  Fälle  lehren  ims,  daß  Luftatmung  und 
Gärung  oder  wie  man  sie  auch  genannt  hat,  „intramolekulare  Atmung'' 
nebeneinander  bestehen  können,  also  sich  nicht  unter  allen  Umständen 
ausschließen,  wie  z.  B.  Pfeffer  das  ursprünglich  angenommen  hatte. 
Insofern  ist  also  der  alte  P  a  s  t  e  u  r  sehe  Satz,  daß  GärungLeben 
ohne  Sauerstoffsei,  zu  beschränken.  Bichtig  bleibt  er  jedoch 
in  folgender  Form:  Leben  ohne  freien  Sauerstoff  wird 
erst  ermöglicht  durch  die  Gärung.  Wenn  dagegen 
immer  noch  Widersprüche  laut  werden,  so  beruht  das  auf  dem  Um- 
stand, daß  man  die  Gärungen  mit  Spaltungen,  die  unter  Gasbildung 
verlaufen,  identifiziert  hat.  Davon  kann  ja  keine  Rede  sein,  wie  schon 
das  Beispiel  der  Milchsäuregärung  beweist.  Es  ist  bisher  in  keinem  Falle 
nachgewiesen,  daß  in  Abwesenheit  gärungsfähiger  Körper  ein  anaerobes 
Wachstum  möglich  ist.  Selbstverständlich  macht  die  Erkenntnis, 
daß  in  den  Gärungen  der  Zelle  kraftliefernde  Prozesse  zur  Verfügung 
stehen,  die  von  neueren  Biologen  (z.  B.  V  e  r  w  o  r  n  ^) ,  R  e  i  n  k  e  ^)) 
vertretene  Annahme,  nach  der  in  dem  „beständigen  Zerfall  des  Proto- 
plasmas" eine  notwendige  Kraftquelle  gegeben  sei,  überflüssig.  Sie 
fällt  freilich  mit  unserer  Auffassung  zusammen,  wenn  man  die  Fermente 


1)  Wahrscheinlich  ist  es  ähnlich  bestellt  mit  den  Gärleistungen  anderer 
Aerobier,  z.  B.  dem  Eiweißspaltungsvermögen  der  die  Verwesung  bewirken- 
der Bakterien  und  Pilze  (§  171  u.   172,   176). 

2)  Näheres  über  die  Abhängigkeit  des  Wachstums  und  der  Gärung 
vom  Sauerstoffzutritt  bei  der  Hefe  im   §  233. 

3)  Allgem.  Physiologie. 

4)  Theoretische  Biologie. 


688  Kap.  XIII,   §  224—226. 

als  Seitenketten  des  Protoplasmas  betrachtet  und  die  vergärbaren 
Nährstoffe  durch  die  letzteren  in  (vorübergehende)  Verbindung  mit 
dem  Protoplasma  treten  läßt  (§  67  u.  68). 

Vergleicht  man  den  Wärmewert  der  Spaltungsgärungen  mit  dem 
der  Oxydationen  (§  227),  so  bemerkt  man  einen  großen  Unterschied  zu- 
ungunsten der  ersteren.    Ausgeglichen  wird  dieser  Unterschied  aber 
dadurch,  daß  die  Gärungen  im  allgemeinen  verhältnismäßig  viel  größere 
Stoffmengen  zersetzen,  als  die  Oxydationen  (vgl.   §  232 — ^236).    Man 
hat  daher  in  dem  größeren  Umfang  der  Zersetzungen  geradezu  ein 
wesentliches  Merkmal  der   Gärungen  sehen  wollen.    Wenn   das  der 
Regel  entspricht,   so  hat  sie  doch  Ausnahmen.    Erstens  wird  man 
Zersetzungen,  die  im  übrigen  durchaus  echten  Gärungen  entsprechen 
—  z.  B.  die  Entstehung  von  Alkohol  und  Kohlensäure  aus  Zucker  — , 
nicht  bloß  deswegen,  weil  sie  bei  den  betreffenden  Eleinwesen  (z.  B. 
Milchsäurebakterien)  in  geringerem  Umfange  vorkommen   als  bei  den 
Haupterregem  der  Gärung  (Hefepilzen),  als  andersartige  Erscheinungen 
betrachten  und  sie  etwa  als  „Stoff Wechselvorgänge*'  von  den  Gärungen 
trennen  dürfen.    Vielmehr  sind  diese  sehr  häufigen  Fälle  unseres  Er- 
achtens  nur  Zeugnisse  dafür,  daß  die  Anlage  zu  diesem  oder  jenem 
Gärvermögen  viel  weiter  verbreitet  vorkonmit,  als  dessen  höchste  Aus- 
bildung.   Wenn  man  bedenkt,  daß  die  Gärungen,  wie  alle  anderen 
Leistungen  von  Zellen,  sich  im  Laufe  der  Stammesgeschichte  allmäh- 
lich entwickelt  haben  müssen,  kann  es  ja  auch  gar  nicht  anders  sein 
(vgl.  §  359). 

Außerdem  gibt  es  aber  noch  Zersetzungen,  die  den  Spaltungs- 
gärungen ihrer  chemischen  Natur  nach  ähneln,  aber  sich  von  ihnen  da- 
durch unterscheiden,  daß  die  Spaltungsprodukte  nicht  für  den  weiteren 
Stoffwechsel  verloren  sind,  d.  h.  bloß  der  Eraftlieferung  dienen,  sondern 
zum  Teil  —  oder  auch  vollständig?  —  zum  Aufbau  der  Zellsuhstanz 
verwandt  werden.  Dahin  gehört  nach  F.  Ehrlich  die  Zerspaltung 
der  Aminosäuren  in  Alkohole  (Fuselöl)  und  Ammoniak  (§  173).  Es 
ist  sehr  wohl  möglich,  daß  derartige  Vorgänge  sehr  häufig,  ja  regel- 
mäßig vorkommen,  daß  also  kurz  gesagt  die  Assimilation 
der  Kohlenhydrate,  Eiweißstoffe  usw.  ganz  gewöhn- 
lich auf  dem  Umwege  überdiese  oderjene  Gärung 
erfolgt  (§229—231). 

§  224  a.  Gärungsenzyme.  Gärungsenzjmie  sind  bisher  dargestellt 
für  die  Alkoholgärung  der  Hefe  und  Pilze  (§  89),  die  Milchsäuregärung 
einzelner  Bakterien  (§  101)  und  manche  Spaltungen  der  Aminosäuren 
(§  166,  169).  Wenn  man  will,  kann  man  wegen  ihrer  starken  Wärme- 
entwicklung die  Harnstoffgärung  (§  195)  auch  hierherziehen,  obwohl 
sie  eine  gewisse  Verwandtschaft  mit  den  hydrolytischen  Spaltungen 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  6S9 

hat.  Wahrscheinlich  wird  uns  die  Zukunft  noch  viel  mehr  solcher 
Enzvme  bescheeren.  Selbst  wenn  das  aber  nicht  der  Fall  sein  sollte, 
80  würden  wir  dadurch  noch  nicht  an  dem  Vorhandensein  derselben 
in  allen  Fällen  von  Gärung  zu  zweifeln  berechtigt  sein.  Unsere  Dar- 
stellxmgsmethoden  sind  eben  unvollkommen  (vgl.  §  67  u.  240). 

§  225.  Atmnng  durch  sauerstoffreiche  Verbindungen.  Ne- 
ben der  Atmung  durch  den  freien  Sauerstoff  der  Luft  und  der  intramo- 
lekularen Atmimg,  die  wir  als  Gärung  erkannt  haben,  gibt  es  noch  eine 
solche,  die  erfolgt  auf  Kosten  sauerstoffhaltiger  Verbindungen,  und 
zwar,  soweit  bisher  bekannt,  bloß  anorganischer,  nämlich  der  Salpeter- 
säure und  salpetrigen  Säure,  der  Schwefelsäure  und  vielleicht  auch 
der  Kohlensäure.  Auch  sie  bezeichnet  der  Sprachgebrauch  zwar  zum 
Teil  als  Gärungen,  weil  eine  reichliche  Gasentwicklung  dabei  statt- 
finden kann,  doch  sind  es  Gärungen  anderer  Art  als  die  bisher  von 
uns  betrachteten  Spaltungsgärungen:  es  handelt  sich  um  Reduk- 
tion der  Sauerstoffverbindungen  und  gleich- 
zeitig um  Oxydation  anderer  Stoffe.  Die  letztere 
schafft  die  nötige  Energie  für  die  erstere. 

Die  (salpetrige  imd)  Salpetersäure  dient,  wie  wir  §  198  (u.  197) 
gesehen  haben,  den  Denitrifikationsbakterien  als  Sauer- 
stoffquelle, imd  zwar  verbrauchen  die  Erreger. der  echten  „Stickstoff- 
gärung" den  gesamten  Sauerstoff  des  ihnen  gebotenen  Salpeters  und 
verbrennen  damit  kohlenstoffhaltige  Nahrungsmittel  wie  Zucker, 
Glyzerin,  organische  Säuren  vollständig  zu  Kohlensäure  und  Wasser, 
während  Stickstoff  frei  wird.  Es  ist  wohl  kein  Zufall  und  beruht  viel- 
leicht auf  einer  Verwandtschaft  von  eigentlichen 
Oxydations-  und  denitrifizierenden  Fermenten, 
daß  die  Denitrifikationsbakterien  gerade  Mikrobien  sind,  die  sonst  den 
Luftsauerstoff  dringend  nötig  haben  und  die  Verbrennungen  mit  seiner 
Hilfe  ebenso  bewerkstelligen,  wie  mittelst  des  Sauerstoffe  dejr  Salpeter- 
säure. Je  nach  der  Art  der  Mikrobien  ziehen  sie  bald  die  eine,  bald 
die  andere  Sauerstoffquelle  vor.  Der  Prozeß  verläuft,  wenn  wir  z.  B. 
Weinsäure  als  Brennmaterial  haben,  nach  folgender  Gleichung: 

CJIfis  +  2HNO2  ==  4CO3  +  4H2O  +  N2  (+  247  Kal.i)) . 

WeLiufture     Salpetersäure. 

Wenn  wir  die  hierbei  erzeugte  Energie  mit  derjenigen  vergleichen, 
die  bei  der  Verbrennung  der  Weinsäure  durch  Luftsauerstoff  frei  wird 

1)  Die  Lösungswärme  der  Kohlensäure  in  Wetöser  ist  hier  berück- 
sichtigt, weil  die  alkalische  Lösiing  die  Entbindung  gasförmiger  Kohlen- 
säure bei  der  Denitrifikation  verhindert.  Um  die  Energiegleichung  für  die 
l'msetzungen  der  entsprechenden  Salze  aufzustellen,  müßte  sie  etwas 
umgeformt  werden;  doch  kann  die  Abweichung  nur  gering  sein. 
KrusG,  Mikrobiologie.  44 


690  Kap.  XIII,   §  225  u.  226. 

(Gleichung  7  auf  S.  669),  so  sehen  wir,  daß  der  Unterschied  nicht  sehr 
erhebUchist,  daß  also  die  Beduktion  der  Salpetersäure 
zu  Stickstoff  an  sich  keinen  großen  Energieauf- 
wand  erfordert^). 

Etwas  anders  liegt  die  Sache  bei  den  sulfatreduiderenden  Bak- 
terien, den  Erregem  der  „ Schwefelwasserstoff gärung"  (S.  655).  Auch 
hier  wird  zwar  der  dabei  gewonnene  Sauerstoff  zur  vollständigen  Oxy- 
dation organischer  Nährstoffe  benutzt,  die  Beduktion  der 
Schwefelsäure  zu  Sauerstoff  verbraucht  aber 
den  größten  Teil  der  dabei  entwickelten  Energie, 
denn  es  ist 

H2SO4  =  HgS  +  O4  (— 135  Kai.) . 

Die  Verbrennung  von  2  Molekülen  Milchsäure  durch  3  Moleküle  Schwefel- 
säure, die  nach  der  Gleichung  vor  sich  geht: 

2  CgHeOg  +  3  H2SO4  =  6  CO2  +  6 HjO  +  3 HjjS  (+  277  Kai.) , 

erzeugt  daher  nur  etwa  40%  der  Wärme,  die  bei  der  vollständigen 
Oxydation  der  Milchsäure  durch  den  Sauerstoff  entbunden  wird: 

2CsHe03  +  120  =  eCOj  +  eH^O  (+  659  Kai.). 

Bemerkenswert  ist  ferner,  daß  die  Schwefel- 
säure, soweit  bekannt,  nur  strengen  Änaerobeü 
als  Atmungs  quelle  dient,  die  Luftatmung  hier 
also  nicht  in  Wettbewerb  treten  kann. 

Anaerob  sind  auch  die  Purpurbakterien,  die  nach  Engel- 
m  a  n  n  (S.  647)  die  Eigenschaft  besitzen  sollen,  unter  dem  Einflufi 
des  Lichtes  aus  der  Kohlensäure  Sauerstoff  abzuspalten  und  diesen 
Sauerstoff  wenn  auch  nur  zum  Teil  zu  demselben  Zwecke  verwenden, 
wie  die  farblosen  Schwefelbakterien  den  Luftsauerstoff,  nämhch  um 
den  Schwefelwasserstoff  ihrer  Nahrung  zu  Schwefelsäure  zu  oxydieren. 
Nehmen  wir  selbst  diesen  von  Molisch  u.  a.  bestrittenen  Tatbestand 
an,  so  verbleiben  doch  viele  Unklarheiten,  namentlich  über  die  Energie- 
verhältnisse des  Prozesses.  Leisten  die  Lichtstrahlen  die  gesamte 
Beduktionsarbeit,  die  sich  durch  die  folgende  Gleichung  wieder- 
geben läßt? 

6CO2  =  60  +  6O2  (— 590  Kai.). 

Und  sind  sie  etwa  auch  beteiligt  bei  dem  Aufbau  der  organischen  Stoffe 
(Kohlenhydrate?)  aus  dem  Kohlenstoff? 

1)  Vgl.  S.  611.  Die  Reduktion  der  Salpetersäure  zu  Ammoniak, 
die  nicht  bloß  für  die  Assimilation  derselben  in  Frage  kommt,  erfordert 
erheblich  mehr  Energie  (S.  614).  Insofern  ähnelt  also  die  „Ammoniak- 
gärving"  der  Schwefelwasserstoff  gärung  (s.  u.  im  Text). 


Wege  des  Saneretoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  691 

6(C  +  HjO)  =  CeHj^Oe  (— 106  Kai.). 

Wahrscheinlich  wird  ein  mehr  oder  weniger  großer  Teil  dieser  590  +  106 
=  696  Kai.  gedeckt  durch  die  Oxydationsleistiing  des  abgespaltenen 
Sauerstoffs.  Die  Möglichkeit  dazu  besteht  sehr  wohl,  denn  wir  haben 
ja  (8.  644) 

SH^S  +  6O2  =  3H2SO4  (+  621  Kai.). 

Auch  der  bei  der  Reduktion  der  Kohlensäure  durch  Aerobier,  die 
bei  der  sogenannten  Nitrifikation  (§  196)  und  bei  der  Schwefelsäure- 
ganmg  Nathansons  und  Beijerincks  (§  210)  ohne  Mit- 
wirkung des  Lichtes  erfolgt,  freiwerdende  Sauerstoff  kann  natürlich 
ebenso  gut  (oder  vielleicht  besser)  wie  der  atmosphärische  Sauerstoff 
zur  Oxydation  der  Nahrungsstoffe  —  im  ersteren  Falle  Ammoniak 
und  Nitrit,  im  letzteren  Schwefelwasserstoff  oder  Thiosulfat  —  ver- 
wandt werden,  genügt  aber  offenbar  nicht  allein  zur  Leistung  der 
nötigen  Arbeit,  weswegen  eben  der  Luftsauerstoff  herangezogen  werden 
muß.  Es  geschieht  das  sogar  in  weit  größerem  Maße,  als  rechnerisch 
nötig  wäre  (a.  a.  0.). 

Enzyme  sind  für  alle  diese  Vorgänge  noch  nicht  gefunden  worden. 
Wohl  ist  das  der  Fall  bei  den  für  das  Leben  der  Mikroben  freilich  kaum 
wesentlichen  Oxydationen  aromatischer  Stoffe,  sie  werden  auf  Kosten 
von  Peroxyden  (z.  B.  HgO^)  durch  sog.  Peroxydasen  vermittelt. 

§  226.    Atmnng  im  Hungerzustande.   Selbstverbrennung, 

Auch  bei  den  Mikroorganismen  geht,  wie  bei  den  höheren  Lebewesen, 
der  Stoffwechsel  im  Hungerzustande  eine  Zeitlang  weiter.  Bei  Be- 
sprechung der  intrazellularen  Verdauungsenzyme  (§  166)  und  der 
Gärung  der  Hefe  (§  91)  haben  wir  schon  die  Selbst  verdauung 
und  Selbstvergärung  erwähnt.  Sie  erklären  sich  dadurch, 
daß  nicht  nur  die  im  Zellkörper  au^espeicherten  Nahrungsstoffe 
(Reservestoffe),  sondern  schUeßlich  auch  das  Protoplasma  selbst  der 
Wirkung  seiner  Enzyme  verfällt.  Praktisch  kaum,  aber  wohl  begriff- 
lich davon  zu  trennen  ist  die  Luftatmung  im  Hxmgerzustande,  die 
Selbstverbrennung. 

Für  Schimmelpilze  (Aspergillus  niger)  ist  diese  genauer  studiert 
worden  von  Puriewitsch^)  und  Kosinski^).  Wie  zu  er- 
warten, konmien  beide  Forscher  zu  dem  Ergebnis,  daß  Entziehung 
der  Nahrung  —  z.  B.  durch  Auswaschen  der  Pilzrasen  mit  physio- 
logischer Kochsalzlösimg  und  Ersatz  der  Nährlösung  durch  diese  — 
die  Atmungsgröße  stark,  und  zwar  schon  in  kürzester  Zeit,  herabsetzt. 


1)  Jahrb.  wiss.  Bot.  35,  1900. 

2)  Ebenda  37,  1902. 

44* 


692 


Kap.  Xin,   §  226. 


z.  B.  die  Menge  des  stündlich  aufgenommenen  Sauerstoffs  von  10  bis 
12  auf  4 — 5  com  vermindert.  Bemerkenswerterweise  sinkt  dabei  die 
Kohlensäureproduktion  mehr^)  als  die  Sauerstoff  aufnähme :  der  At< 
mungsquotient  fällt  also,  z.  IB.  von  1 — 1,3  auf  0,8 — 0,9.  P  u  r  i  e  - 
witsch  schiebt  das  darauf,  daß  statt  des  vorher  gebotenen  Zuckers 
Eiweißstoffe,  Kosinski,  daß  statt  dessen  Fett  oder  organische 
Säuren  verbraucht  werden^).  Da  genauere  Bestimmungen  der  ge- 
lösten Stoffwechselprodukte  fehlen,  wäre  vorläufig  die  Annahme 
ebenso  berechtigt,  daß  die  etwa  vorhandenen  kohlenhydratartigen 
Reservestoffe  (Glykogen?)  im  Hungerzustande  nicht  vollständig  zu 
Kohlensäure  und  Wasser,  sondern  zu  einer  Zwischenstufe  wie  Oxal- 
säure oxydiert  würden. 

Eine  andere  Form  der  Selbstverbrennimg  haben  G  r  e  h  a  n  t 
und  Q  u  i  n  q  u  a  u  d  ^)  bei  Hefe  gefunden,  die  in  destilliertem  Wasser 
aufgeschwemmt  war.  Die  für  verschiedene  Temperaturen  festgestellten 
Atmungsgrößen  sind  interessant  genug,  um  hier  abgekürzt  wieder- 
gegeben zu  werden: 


lg 

frische  Hefe  in  Wasser 

bei  den 

nahm  stündlich 

gab  stündlich 

CO,:CX), 

Temperaturen  von 

Sauerstoff  auf 

Kohlensäure  ab 

0« 

0,48  ccm 

0,42  ccm 

0,87 

13,8» 

0,97    „ 

1,04    „ 

1,06 

21» 

1,52    „ 

2,40    „ 

1,50 

26« 

1,86    „ 

3,48    „ 

1,90 

36« 

1,59    „ 

2,84    „ 

3,40 

46« 

1,97    „ 

8,92    „ 

4,50 

Trotz  einiger  Unregelmäßigkeiten  läßt  sich  aus  diesen  Ergebnissen 
schließen,  daß  die  Sauerstoff  auf  nähme  bei  verschiedenen  Tempera- 
turen anderen  Gesetzen  folgt,  als  die  Kohlensäureabgabe.  Der  At- 
mungsquotient steigt  beständig  mit  der  Temperatur,  und  zwar  von 
0,87 — 4,5,  d.  h.  schließlich  zu  einer  Höhe,  die  bei  keiner  Oxydation 


1)  Auch  die  Vergiftung  mit  Blausäure  lähmt  nach  H.  Schröder 
(ebenda  44,  1907)  die  Kohlensäureproduktion  des  Aspergillus,  dagegtm 
nicht  völlig  die  Säuerst  off  auf  nähme. 

2)  Die  Verbrennung  der  Fette  im  Hunger  zustande  der  Eurotiopsi? 
Gayoni  ist  von  M  a  z  ^  allerdings  nachgewiesen  worden  (S.  61).  Der  dabei 
stattfindende  Zuwachs  an  Kohlehydraten  (auf  Kosten  des  Eiweißes?) 
ven^-ickelt  aber  den  Prozeß. 

3)  Annal.  sc.  natiu*.  botanique  1889  S.  269. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  693 

erreicht  wird  (S.  669  ff.).  Wir  werden  also  annehmen  müssen,  daß  die 
hungernde  Hefezelle  bei  niedrigen  Temperaturen  im  wesentlichen  nur 
Bestandteile  ihres  Körpers  mit  Hilfe  des  Luftsauerstoffs  oxydiert, 
bei  höherer  Temperatur  sie  aber  auch  durch  intramolekulare  Atmung 
zersetzt.  Am  nächsten  ist  es,  dabei  an  die  alkoholische  Ver- 
gärung  des  Glykogens  zu  denken;  aber  auch  die  Selbstverdauung 
der  Eiweißstoffe  wird  vielleicht  einen  Teil  der  überschüssigen  Kohlen- 
säure liefern.  Bei  Temperaturen  über  50®  verminderte  sich  die  At- 
mongstätigkeit  und  der  Atmungsquotient  sank  allmählich  wieder 
unter  1,  bei  60**  hörte  die  Atmung  ganz  auf,  ein  Zeichen  dafür,  daß  wir 
es  hier  mit  einer  echten  Lebenserscheinimg  —  natürlich  imter  Beteiligung 
von  Fermenten  — ,  nicht  mit  einem  rein  chemischen  Vorgang  zu  tun 
hahen^). 

Bei  mittleren  Temperaturen  nimmt  die  hungernde  Hefe  nach 
G T e h a n t  und  Quinquaud  auf  1  g  frischen  Gewichts  binnen 
24  Stunden  etwa  50  mg  Sauerstoff  auf,  auf  1  g  Trockengewicht  also 
250  mg,  eine  Zahl,  die  mit  der  von  Schützenberger^)  schon 
früher  erhaltenen  Größe  gut  übereinstimmt.  Wenn  wir  sie  vergleichen 
mit  der  Sauerstoffmenge,  welche  Hefe  in  guten  Nährlösungen  ver- 
braucht (S.  672),  so  finden  wir  ein  Verhältnis  von  1  :  2 — 4,  wie  es  nach 
Kosinski  (s.  o.)  auch  für  Schimmelpilze  besteht.  Bei  höheren 
Tieren  und  dem  Menschen  ist  die  Abnahme  der  Sauerstoff atmung  im 
Hunger  eine  viel  geringere. 

Für  Bakterien  besitzen  wir  ähnliche  Untersuchungen  zwar  nicht, 
aber  die  Ergebnisse,  die  H  e  s  s  e  (S.  675)  mit  Kulturen,  die  über  Wochen 
und  Monate,  d.  h.  bis  zum  Absterben  gezüchtet  wurden,  gehabt  hat, 
lassen  erwarten,  daß  auch  hier  die  Selbstverbrennimg  ähnlich  ver- 
läuft, wie  bei  den  Pilzen.  Die  bekannte  Laboratoriumserfahrung,  daß 
die  Lebensfähigkeit  von  beliebigen  bakterienhaltigen  Stoffen  wie 
Kulturen  und  dergleichen  im  allgemeinen  viel  länger  erhalten  bleibt, 
wenn  für  niedere  Temperatur  imd  Sauerstoffabschluß  gesorgt  ist,  spricht 
in  demselben  Sinne^). 

Wird  das  Hungern  zu  lange  fortgesetzt,  so  erfolgt  auch  bei  den 
Mikroorganismen  schließlich  der  Tod  (vgl.  §  36  u.  37).    Wieweit  ihr 


1)  Nicht  immer  ist  das  aber  wohl  der  Fall.  So  sah  R  u  b  n  o  r  auch 
bei  60*  noch  Kohlensäiire  entweichen  (Arch.  f.  Hyg.  55).  Das  erinnert 
daran,  daß  nach  Reinke  (1881)  selbst  im  trockenen  Zustand  eine  Zer- 
s<*tzung  des  Protoplasmas  —  Ammoniakabgabe  —  möglich  ist. 

2)  Les  fermentations,  1875  (nach  D  u  c  1  a  u  x  ,  Microbiologie  3. 
228). 

3)  Über  die  Bedeutung,  die  die  Selbstverbrennung  wahrscheinlich 
für  die  Selbstreinigung    des  Wassers  hat  s.  o.  S.  673  u.  676. 


694 


Kap.  XIII,   §  226  u.  227. 


Körpergewicht   dabei  heruntergehen  kann,  ohne  daß  das  Leben  er- 
lischt, ist  nicht  bekannt. 

Teilweises  Hungern,  d.  h.  der  Mangel  des  einen  oder  anderen 
notwendigen  Nährstoffes,  wirkt  natürlich  nicht  so  eingreifend.  Eisetzt 
man  z.  B.  nach  Eosinski  die  gewöhnliche  Nährflüssigkeit  durch 
einfache  Zuckerlösung,  so  vermindert  sich  die  Atmungsgröße  viel 
weniger  und  langsamer. 

§  227.  Berechnung  der  Wärmeentwicklung  bei  der  At- 
mung und  Gärung.  Den  auf  den  vorhergehenden  Seiten  (S.  669  ff.) 
und  in  den  früheren  Kapiteln  wiedergegebenen  Formeln  haben  wir 
überall,  soweit  mögHch,  die  Kalorienzahl  beigefügt,  die  dem  betreffenden 
chemischen  Prozeß  entsprechen^).  Wir  können  uns  daher  jetzt  ein 
zahlenmäßig  genaues  Bild  machen  von  der  bei  den  Atmungs-  und 
Gärungsprozessen  entwickelten  Energie  und  dem  dabei  stattfinden- 
den Stoffverbrauch.  Zunächst  sehen  wir  (§  219),  daß  die  durch  die 
Oxydation  entstehenden  Energiemengen  ziem- 
lich ungleich  sind,  sie  schwanken  zwischen  18  Eal. 
bei  der  Oxydation  der  salpetrigen  Säure  zu  Sal- 
petersäure und  86  Kai.  bei  der  Verbrennung  des 
Traubenzuckers  zu  Zitronensäure,  bewegen  sich 
allerdings  gewöhnlich  zwischen  50 — 60  (kleinen) 
Kalorien  fürjedes  Milligrammatom  Sauerstoff, 
das  gebunden  wird*). 

Größere  Unterschiede  ergeben  sich,  wenn  man  berechnet,  wie- 
viel Nährstoff  verbraucht  wird  durch  die  Oxy- 
dation mit  gleichen  Teilen  Sauerstoff. 

Tafel  I.    Ein  Milligramm  Sauerstoff  verbraucht: 
5,6  mg  Oxalsäure  zu  Kohlensäure  und  erzeugt  dabei  3,7  Eal. 


3,9 
2,9 
1,9 
1,4 
1,4 
1,2 
0,9 


97 


,, 


,, 


,, 


,J 


,, 


,, 


Traubenzucker  zu  Zitronensäure 
salpetrige  Säure  zu  Salpetersäure 
Weinsäure  zu  Kohlensäure 
Alkohol  zu  Essigsäiire 
Asparagin  zu  Kohlensäure 
Traubenzucker  zu  Oxalsäure 
Traubenzucker  zu  Kohlensäure 


,, 


,, 


,, 


,, 


,, 


,, 


,, 


5,4 

1,1 
3,3 

3,5 

3,5 

3,4 

3,4 


»» 


11 


Ji 


,, 


IJ 


,, 


,» 


1)  Nach  Ostwalds  Handb.  berechnet  und  teilweise  nacli  Her- 
zog (Zeitschr.  physiol.  Chem.  37)  wiedergegeben.  Die  unmittelbar  (kalori- 
metrisch) bestimmten  Wärmewerte  der  Gärungen  usw.,  die  zum  Teil  nicht 
mit  den  berechneten  übereinstimmen,  werden  in   §  237  besprochen. 

2)  Hier  und  im  folgenden  sehen  wir  ab  von  der  Verbrennung  des 
Wassserstoffs,  des  Kohlenoxyds,  des  Sumpfgases  usw.,  die  auch  von  Mikro- 
organismen geleistet  werden  kann   (vgl.    S.    116). 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  695 


3,4 


0,9  mg  Milchsäure  zu  Kohlensaure  und  erzeugt  dabei  3,4  Kai. 

0,9  „    Glykokoll  zu  Kohlensäure  „  „  ,,      3,2     „ 

OJ— 0,8  mg  Eiweiß  (Pepton)  zu  Kohlensäure  „ 
0,55  mg  Lenzin  zu  Kohlensäure  „ 

0,5    „    Alkohol  zu  Kohlensäure  „ 

0,5     „    Schwefelwasserstoff  zu  Schwefel- 
säure 
0,35  „    Ammoniak  zu  salpetriger  Säure 
0,35  „    Palmitinsäure  zu  Kohlensäure 


3.3 
3.4 


»  3,2        „ 


Bei  weitem  die  größten  Mengen  Brennstoff  im  Verhältnis  zum 
verbrauchten  Sauerstoff  sind  also  nötig  bei  der  Verbrennung  der  Oxal- 
säure zu  Kohlensäure,  des  Traubenzuckers  zu  Zitronensäure  und  der 
salpetrigen  Säure  zu  Salpetersäure,  umgekehrt  sind  sehr  geringe  Mengen 
Brennstoff  nötig  bei  der  Verbrennung  der  Palmitinsäure  imd  anderer 
höherer  Fettsäuren,  sowie  der  entsprechenden  Aminosäuren  imd  des 
Alkohols  zu  Kohlensäure  (bzw.  Kohlensäure  und  Ammoniak),  des  Ammo- 
niaks zu  salpetriger  Säure,  des  Schwefelwasserstoffs  zu  Schwefelsäure. 

Eine  etwas  andere  Reiheiifolge  und  noch  größere  Unterschiede 
erhalten  wir,  wenn,  wir  die  Energiemengen  vergleichen,  die 
gleiche   Stoffmengen  bei  ihrer  Verbrennung  entwickeln. 

Tafel  IL 

Ein  Milligranmi  der  Nahrungsstoffe  entwickelt  Kalorien^): 

Salpetrige  Säure  (Salpetersäure) 0,4  Kai. 

Oxalsäure 0,7     „ 

Traubenzucker  (Zitronensäure) 1,4    „ 

Weinsäure 1,7 

Alkohol  (Essigsäure) 2,5 

Asparagin 2,5 

Traubenzucker  (Oxalsäure) 2,8 

GlykokoU 3,5    „ 

^lilchsäure 3,6 

Traubenzucker 3,7 

Eiweiß 4,5—5,0 

Ammoniak  (salpetrige  Säure) 4,6 

Leuzm 6,0    „ 

Schwefelwasserstoff  (Schwefelsäure) 6,4 

Alkohol 7,1 

Pahnitinsäure 9,2 


99 


1)  Das   Verbrennungsprodiikt  ist,  soweit  es  nicht  Kohlensäiiro  ist, 
i^  Klammem  beigefügt. 


696  Kap.  XllI,   §  227— 228  a. 

Auch  hier  stehen  am  Anfang  der  Reihe  die  drei  „Oxydationßgäningen"^), 
vor  allem  die  Salpetersäure-  und  Oxalsäure-,  dann  die  Zitronensäure- 
gärung.  Am  anderen  Ende  finden  wir  ebenso  wieder  die  vollständigen 
Verbrennimgen  der  wasserstoffreichen  und  sauerstoffarmen  Körper, 
der  Palmitinsäure,  des  Alkohols,  Schwefelwasserstoffe,  Leuzins  und 
Ammoniaks,  die  der  Sprachgebrauch  übrigens  auch  teilweise  als 
„Gärungen"  bezeichnet. 

Diesen  Oxydationen  durch  freien  Sauerstoff  reihen  sich,  wie  wir 
gesehen,  unmittelbar  an  die  Verbrennungen,  die  bei  Ab- 
schluß des  Luftsauerstoffs  durch  sauerstoff- 
haltige Verbindungen  erfolgen  (§  225).  Auch  in  ihren 
Energieverhältnissen    ähnebi    sie  ihnen  sehr,   denn  wir  finden,  daß 

1  mg  Sauerstoff 

der  Salpetersäure  1,9  mg  Weinsäure  verbraucht  und  3,1  Kai.  entwickelt, 
„  Schwefelsäure  1,4  „  „  „  „    1,4    „  „ 

Und  ebenso  entwickelt 

1  mg  Weinsäure  imter  dem  Einfluß  der  denitrifizierenden 

Bakterien 1,6  Kai. 

1  mg  Milchsäure   unter   dem   Einfluß    des   Spirillum   des- 

ulfuricans 1,0  Kai. 

Viel  geringere  Energiemengen  liefern  die 
eigentlichen  oder  S  p  al  t  un  gs  gär  ungen  ,  welche 
die  sogenannte  intramolekulare  Atmung  dar- 
stellen (§  223).  Unter  der  freilich  höchstens  annähernd  zutreffenden 
Voraussetzimg,  daß  die  früher  für  diese  Reaktionen  mitgeteilten  Wärme- 
werte richtig  seien,  können  wir  folgende  kleine  Liste^)  aufetellen: 

Tafel  III.    Ein  Milligramm  liefert  bei  der  Gärung  Kalorien: 

Harnstoff  bei  der  ammoniakalischen  Gärung 0,23  Kai. 

Traubenzucker  bei  der  Butylalkoholgärimg 0,21  „ 

„  „      „    Essigsäuregärung   (anaerob)  ....  0,19  ., 

,,  „      „    Alkoholgänmg 0,12  ,, 

„  „      „    Buttersäuregärung 0,08  ,, 

,,  „      „    Milchsäuregärung 0,08  „ 

Essigsäure  bei  der  Methangärung 0,05  „ 


1)  Vorher  würden  wohl   kommen   die  Glykon-   und  Glykiironsäiire- 
gärung  des  Traubenzuckers,  für  die  \uis  die  Zahlen  fehlen. 

2)  Die  Reaktionswärmen  einiger  anderer  Gärungen,  z.  B.  der  Fäulnis, 
lassen  wir  hier  beiseite,  weil  sie  gar  zu  unsicher  sind  (vgl.   §  237). 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  697 

Die  Zahlen  bleiben  sämtlicli  weit  hinter  den  niedrigsten  der  Tafel  II 
zurück.  Um  gleiche  Energiemengen  zu  erzeugen, 
verbraucht  also  die  intramolekulare  Atmung  un- 
verhältnismäßig größere  N  ähr  st  o  ff  mengen  als 
die  Sauer 8-toffatmung.  Damit  haben  wir  bis  zu  einem  ge- 
wissen Grade  eine  Erklärung  für  die  großen  Unterschiede,  die  wir 
bei  dem  Studium  des  Stoffverbrauches  durch  die  Mikroorganismen 
finden,  je  nachdem  sie  Gärung  erregen  oder  nicht  (vgl.  §  232 — ^234). 

§  228.  Yerf Ifissigungs-  and  Verdauungsvorgänge.  Hydro- 
lysen^). Während  die  bisher  betrachteten  Stoffumwandlungen  im 
wesentlichen  innerhalb  der  Zellen  verlaufen  und  daher  notwendiger- 
weise für  den  Kraftwechsel  der  Mikroorganismen  von  Bedeutung  sind, 
trifft  das  weniger  zu  für  die  mehr  der  Vorbereitung  (Verdauung)  des 
Nährbodens  dienenden  und  daher  häufig  extrazellular  bewirkten 
Hvdratations-  imd  Verflüssigungsvorgänge,  d.h.  die  Lösung  und  ober- 
flächUche  Spaltung  der  Di-  und  Polysaccharide  (§  69 — 83a),  Glykoside 
(§  153—156,  158  u.  158a),  Eiweißkörper  (§  165  u.  166),  Fette  (§  137 
u.  138)  usw.  Sie  scheinen  übrigens  auch  sämtlich  einen  sehr  ge- 
ringen Energie  wert  ^)  zu  haben.  Daß  diese  Vorgänge  durch 
Enzyme  vermittelt  werden,  haben  wir  in  den  einzelnen  Abschnitten 
gesehen.  Sie  hier  noch  anzuführen,  erübrigt  sich  wohl.  In  vielen  Fällen 
von  Vergärung  der  zusammengesetzten  Kohlenhydrate  durch  Bak- 
terien (s.  Milchsäure-,  Buttersäure-,  Sumpfgasgärung)  kennen  wir 
bisher  keine  hydrolytischen  Enzyme,  die  die  eigentliche  Gärung  vor- 
bereiten, vielleicht  wird  ihre  Anwesenheit  auch  mit  Unrecht  voraus- 
gesetzt, da  es  ja  nicht  sicher  ist,  daß  eine  hydrolytische  der  tieferen 
Spaltung  notwendig  vorhergehen  muß.  Immerhin  bestände  zum  Teil 
die  Möglichkeit,  daß  die  bisherigen  Mißerfolge  nur  auf  den  Schwierig- 
keiten der  Darstellung  bzw.  auf  der  geringen  Widerstandsfähigkeit 
der  Enzyme  beruhen  (§  240).  Sicher  ist  jedenfalls,  daß  manche  hydro- 
Ijlischen  Enzyme  nur  mit  Mühe  aus  den  Zellen  befreit  werden  können. 
Gerade  von  ihnen  könnte  man  am  ehesten  erwarten,  daß  sie  doch  etwas 
zur  Eraftlieferung  beitrügen. 

§  228a.  Reduktionen^).  Die  mit  Oxydation  anderer  Stoffe 
einhergehenden  Reduktionen  (der  Nitrate,  Nitrite,  der  Schwefelsäure, 
Kohlensäure),  die  zwar  große  Energiemengen  verbrauchen,  aber  noch 
größere  erzeugen,  haben  wir  schon  eben  besprochen  (§  225  u.  S.  696). 
Andere  durch  das  Leben  der  Mikroorganismen  bewerkstelligte  Reduk- 


1)  Vgl.  S  60. 

2)  Vgl.  z.  B.  §  127.  Über  die  „Harnstoffgärung"  vgl.  voricre  S.  u.  S.  597. 

3)  Vgl.   §  63. 


698  Kap.  XIII.   §  228a^229. 

tionen  haben  wir  bei  der  Mannitgärung  des  Zuckers  (§  124 — 126), 
den  Veränderungen  der  Farbstoffe,  des  Schwefels,  der  tellurigen  und 
selenigen  Säure,  des  Arsens  usw.  behandelt.  Wahrscheinlich  verbrauchen 
sie  ebenso  wenig  Wärme,  wie  die  entsprechenden  durch  die  sogenannten 
Oxydasen  bewirkten  Oxydationen  der  aromatischen  Körper  (S.  466) 
Wärme  bilden.  Es  liegt  das  vor  allem  daran,  daß  sie  einen  zu  geringen 
Umfang  haben.  Nur  die  Mannitgärung  macht  eine  Ausnahme  und 
sie  erzeugt  bemerkenswerterweise  Wärme,  verbraucht  keine. 

Reduktionsenzyme  haben  wir  bei  den  Reduktionen  der  Farb- 
stoffe (§  161),  Nitrate  (§  197),  der  Bildung  von  Schwefelwasserstoff 
aus  Eiweiß  (§  205)  und  Schwefel  (§211)  erwähnt.  Ihr  Vorhandensein 
ist  aber  wohl  nicht  immer  anzunehmen. 

§228b.  Anhydridbildnng  und  Kondensationen.  Gerinnung^). 

Größer  ist  dagegen  offenbar  wieder  die  biologische  Bedeutung  der 
erstgenannten  Vorgänge,  vor  allem  die  Kondensation  des  Zuckers 
zu  Stärke,  Glykogen,  Zellulose  oder  Schleim,  die,  wie  wir  sahen,  sogar 
oft  in  solcher  Ausdehnung  erfolgt,  daß  man  von  einer  schleimigen 
„Gärung"  usw.  sprechen  darf  {§  127 — 130).  Trotzdem  ist  der  Energie- 
wert dieser  Vorgänge  ebenso  wie  der  der  Verflüssigung  und  Verdauung, 
deren  Umkehrung  sie  darstellen,  ein  geringer,  ob  sie  nun,  wie  gewöhn- 
lich, Wärme  binden,  oder,  wie  bei  der  Dextrangärung  (S.  403),  Wärme 
bilden.  Wahrscheinlich  gilt  das  gleiche  für  die  Kondensation  des  Eiweißes 
aus  Pepton  (Polypeptiden)  und  Aminosäuren^)  imd  die  Bildung  der 
Fette  aus  Glyzerin  imd  Fettsäuren  (§  152). 

Über  die  biologische  Bedeutung  der  Gerinnungsvorgänge,  ins- 
besondere der  bisher  allein  leidlich  bekannten  Labgerinnung,  wissen  wir 
fast  nichts  (§  177).  Ihr  Wärmewert  scheint  ganz  gering  zu  sein.  Bei 
der  Gerinnung  der  Milch  durch  Lab  sah  R  u  b  n  e  r  *)  weder  Wärme 
verschwinden  noch  entstehen,  wohl  eine  gewisse  Wärmebildung  bei  der 
Koagulation  anderer  Eiweißkörper*). 

Wahrscheinlich  werden  alle  diese  Vorgänge  durch  Enzyme  ver- 
mittelt, und  zwar  vielleicht  durch  dieselben,  die  Verflüssigung  und 
Hydrolyse  verursachen.  Jedenfalls  ist  es  gelungen,  mit  Hilfe  der 
Maltase  (§  79),  Laktase  (§  82),  des  Hefeemulsins  (§  154),  des  Hefe- 
preßsaftes (§  90)  Di-  und  PoljTsaccharide  sowie  phosphorhaltige  orga- 
nische Verbindungen  aus  ihren  Bestandteilen  aufzubauen.  Vgl.  die 
Umkehrbarkeit  der  enzymatischen  Vorgänge  (§  251). 


1)  Vgl.    §  64  u.  65. 

2)  Vgl.  Herzog,  Zeitschr.  physiol.  Cliem.  37.   390,   1903. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  57.  254,   1906. 

4)  Ebenda  55.  266. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  699 

§  229.  Stoffaufbaui).  Bildung  der  Kohlenhydrate.  Wenn 
wir  auch  aus  den  eben  erwähnten  Tatsachen  entnehmen  können,  daß 
Synthesen  einfachster  Art  ebenso  wie  Spaltungen,  Oxydationen  usw. 
durch  Enzyme  vermittelt  werden,  und  wenn  wir  daraus  die  Vermutung 
schöpfen,  das  ähnliches  gilt  für  die  verwickelten  Synthesen,  so  wissen 
wir  nichts  Sicheres  zu  sagen  über  die  Wege,  auf  denen  der  Aufbau 
des  Zellprotoplasmas  und  der  übrigen  Zellbestandteile  aus  den  einfachen 
Bausteinen  der  Nahrung  vor  sich  geht.  Mit  anderen  Worten,  die  „Assi- 
milation^* der  Nahrung  ist  uns  immer  noch  ein  Buch  mit  sieben  Siegeln, 
so  groB  in  den  letzten  Jahrzehnten  die  Fortschritte  unserer  Kenntnisse 
von  den  dem  Kraftbetrieb  dienenden  Zersetzungsvorgängen,  der  „Dissi- 
milation", gewesen  sind.  Immerhin  dürfen  wir  uns  begründete  Vor- 
stellungen machen  über  den  Energieaufwand,  der  zum  Aufbau  der 
Zellsubstanzen  nötig  ist,  und  können  auch  gewisse  Möglichkeiten  der 
Synthesen  ins  Auge  fassen. 

Die  Kohlenhydrate  kommen  in  der  Zellmembran,  den 
„Reservestoffen"  (Glykogen,  Stärke  usw.  §  27),  in  geringer  Menge 
auch  im  Eiweißmolekül  vor.  Sie  können  fast  aus  jedem  kohlenstoff- 
haltigen Nahrungsstoffe  gebildet  werden. 

Der  Aufbau  der  Kohlenhydrate  aus  der  Kohlensäure,  der 
bei  den  Pflanzen  die  Regel  bildet,  findet  nur  bei  wenigen  allerdings 
weit  verbreiteten  Mikroorganismen  statt,  den  Salpeter-  (§  196)  imd 
Schwefelsäurebakterien  (§  210),  wahrscheinlich  aber  nicht  bei  den  Pur- 
purbakterien (§  209).  Was  man  darüber  weiß,  haben  wir  schon  früher 
mitgeteilt.  Der  Vorgang  der  Assimilation  selbst  ist  dunkel  wie  der 
der  Eohlensäureassimilation  durch  die  grünen  Pflanzen.  Man  hat 
höchstens  das  Recht,  als  wahrscheinliches  Endprodukt  eine  Hexose 
CjHjjO^  zu  betrachten.  Ob  als  erstes  Zwischenprodukt  Kohlenoxyd  CO, 
weiter  Formaldehyd  CHgO  und  aus  diesem  durch  Polymerisierung 
oder  Kondensation  der  Zucker  hervorgeht,  wie  schon  B  a  e  y  e  r  ver- 
mutete, oder  Ameisen-,  Oxal-,  Weinsäure  imd  dergleichen,  ist  unbekannt. 
Da  es  für  die  Energieleistung  gleichgültig  ist,  auf  welchem  Wege  sie 
erfolgt,  wird  sie  in  jedem  Falle  ausgedrückt  durch  die  Gleichung: 

6CO2  +  6H2O  ==  CeHijOe  +  6O2  (—  696  Kai.). 

Der  Prozeß  ist  also  eine  Reduktion,  die  einen  großen  Energieaufwand 
erfordert.  Bei  den  grünen  Pflanzen  leistet  ihn  bekanntlich  mindestens 
zum  Teil  das  Licht  unter  Beihilfe  des  Chlorophylls,  Sauerstoff  wird 
dabei  in  derselben  Menge  frei,  wie  Kohlensäure  verschwindet.  Bei 
den  Mikroorganismen  fehlt  die  Beteiligung  des  Lichtes,  und  die  ge- 

1)  Vgl.   §  66. 


700  Kap.  XIII,   §  229  u.  230. 

samte  Energie  wird  durch  Verbrennung  des  Ammoniaks,  der  salpetrigen 
Säure  oder  des  Schwefelwasserstoffe  bzw.  Thiosulfats  aufgebracht. 
Wahrscheinlich  beteiligt  sich  daran  der  aus  der  Kohlensäure  frei- 
werdende  Sauerstoff  (§  225),  aber  in  viel  höheren  Grade  noch  der  freie 
Luftsauerstoff,  so  daß  die  gesamte  durch  die  Oxydation  aufbrachte 
Energie  die  zum  Stoffaufbau  erforderliche  um  ein  Vielfaches  übertrifft. 
Mit  weit  geringerem  Kraftaufwand  bauen  die  Mikroorganismen 
natürlich  den  Zucker  aus  organischen  Verbindungen  auf.  So  könnte 
man  sich  allenfalls  vorstellen,  daß  er  aus  der  Essig-  und  Milch- 
säure durch  einfache  Umkehrung  der  Reaktion  entstände, 
die  wir  bei  der  anaeroben  Essig-  und  Milchsäuregärung  kennen  gelernt 
haben  (§  103  u.  99): 

SC^HA  =  CeHi,Oe  (-  34  Kai.) 
2C3He03  =  CeHi^Oe  (- 15  Kai.) 

Aerobe  Mikroorganismen  werden  diese  ganze  Wärmemenge  leicht  ge- 
winnen können  durch  Oxydationsprozesse,  anaerobe,  die  ebenfalls 
gelegentlich  mit  diesen  Säuren  als  einzigen  Kohlenstoffquellen  auszu- 
kommen scheinen  (§  141  u.  142),  müssen  schon  erheblichere  Stoffmengen 
vergären,  um  die  Assimilation  zu  ermöglichen.  Wenn  sich  die  Ansicht 
M  o  1  i  s  c  h  s  bestätigt,  daß  die  Furpurbakterien  ihren  Kohlenstoff- 
bedarf nicht  der  Kohlensäure,  sondern  organischen  Stoffen  entnehmen 
und  zu  ihrer  Assimilation  wenigstens  unter  natürlichen  Bedingungen 
des  Lichtes  bedürfen,  so  würde  hier  das  licht  die  Kräftezufuhr  durch 
Oxydationen  oder  Gärungen  zum  Teil  überflüssig  machen. 

Etwas  verwickelter  scheinen  von  vornherein  die  Verhältnisse, 
wenn  der  Aufbau  des  Zuckers  aus  sauerstoffreichen  Säuren,  wie  Oxal- 
säure, Äpfelsäure,  Weinsäure,  Zitronensäure 
geleistet  werden  soll,  wie  es  bei  den  meisten  bei  Gegenwart  von  Luft- 
sauerstoff, bei  einigen  auch  bei  Sauerstoff abschluß  geschieht;  Reduk- 
tionen sind  dazu  nötig,  die  man  natürlich  sehr  billig  durch  nasrieren- 
den  Wasserstoff  erfolgen  lassen  könnte.  Nur  vereinzelt  ist  aber  selbst 
bei  den  anaeroben  Vergärungen  der  genannten  Säuren  die  Entbindung 
von  Wasserstoff  nachgewiesen  (S.  415).  Man  wird  also  an  andere  Wege 
denken  müssen.  Diese  bieten  sich  insofern  dar,  als  zu  den  Spaltungs- 
produkten dieser  Gärungen  gewöhnlich  Essigsäure  gehört,  von  der  aus 
der  Aufbau  des  Zuckers  leicht  verständlich  ist  (s.  o.).  Selbst  da  aber, 
wo  sich  freier  Sauerstoff  beteiligt,  wäre  ein  ähnlicher  Umweg  über 
die  Essigsäure  nicht  ausgeschlossen.  Das  gleiche  gilt  für  den  Aufbau 
des  Zuckers  aus  Äthylalkohol,  der  ja  nur  Aerobiem  möglich  zu  sein 
scheint.  Die  bekannte  aerobe  Essigsäuregärung  (§  135)  wäre  sonach 
ein  Vorgang,  der   zu  Zwecken  der  Synthese    öfter   in  Frage  käme, 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  701 

als  wir  zunächst  nach  seiner  bescliränkten  Verbreitung  als  „Gärung'* 
annehmen  dürften. 

Für  die  Bildung  der  Zucker  aus  Glyzerin,  Mannit  und  anderen 
höheren  Alkoholen  könnte  man,  soweit  sie  ohne  freien  Sauerstoff 
verlaufen,  Umkehrungen  der  früher  besprochenen  Gärungsprozesse 
(§  106  u.  124)  heranziehen,  wenn  man  nicht  auch  hier  wieder  die  Bil- 
dung aus  der  Essig-  oder  Milchsäure,  die  beide  oft  genug  aus  der 
anaeroben  SiCrspaltung  der  höheren  Alkohole  hervorgehen  (§  131),  bevor- 
zugen will.  Durch  einfache  Oxydation  werden  wohl  nur  bestimmte 
Zuckerarten  aus  den  Alkoholen  entstehen  (vgl.  Sorbosegärung  §  132). 

Die  Bildung  von  Polysacchariden  aus  Hexosen  (und  Pentosen) 
haben  wir  schon  im  §  228  b  besprochen.  Sie  erfordert  die  geringsten 
Energieleistungen. 

Daß  Zucker  von  Kleinwesen  auch  aus  Fetten  und  Eiweiß- 
k  ö  r  p  e  r  n  ^)  aufgebaut  werden  können,  ist  nach  zahlreichen  Er- 
nährungsversuchen  (§  33  und  149)  nicht  zu  bezweifeln.  Die  ersteren 
werden  dabei  vielleicht  sogar  wieder  zu  Essig-  oder  Milchsäure  oxydiert, 
die  letzteren  —  wohl  in  der  bekannten  Weise  ebenfalls  zu  niederen 
Fettsäuren  —  gespalten  werden  müssen.  Im  ersteren  Fall 
wird  Wärme  entwickelt  (§  230),  im  letzteren  ge- 
bunden (§  231).  Gerade  weil  das  so  ist,  wird  man  die  Ansicht  Mazes 
(S.  61),  nach  der  bei  der  Selbstverdauung  bzw.  Selbstverbrennung 
der  Eurotiopsis  Gayoni  Kohlenhydrate  aus  Eiweiß,  nicht  aus  Fetten 
entstehen  sollen,  mit  Mißtrauen  betrachten  müssen. 

§  230.  Bildung  der  Fette.  Die  Fette  sind  überall  auch  bei 
)Iikroorganismen  nachgewiesen  (§  26),  sie  stellen  wohl  teils  Vorrats- 
stoffe, teils  Hüll-  oder  Schutzstoffe  dar.  Entstehen  können  sie  aus 
allen  möglichen  organischen  Stoffen,  einschließlich  der  Kohlenhydrate 
und  des  Eiweißes,  wie  die  erfolgreichen  Versuche,  Mikroorganismen 
mit  solchen  Stoffen  zu  ernähren  (§  33),  gezeigt  haben.  Über  die  Art 
und  Weise,  wie  das  geschieht,  ist  freilich  fast  nichts  bekannt.  Der 
Vorgang  muß  im  allgemeinen  der  einer  kräftigen  Reduktion 
sein,  da  die  Fette  viel  wasserstoffreicher  und  sauerstoffärmer  als  alle 
übrigen  Nährstoffe  sind.  Die  dafür  aufgestellten  Formeln  sind  sämt- 
lich hypothetisch  und  weichen  sehr  voneinander  ab^).    Im  allgemeinen 


1)  Über  die  Art  der  Bildung  wissen  wir  auch  bei  Tieren  nichts  sicheres, 
(irube  (Pflügers  Archiv  122.  451)  fand  neuerdings  in  Durchblutungs- 
versuchen an  der  Leber  der  Schildkröte  die  Tlieorien,  nach  denen  Zucker 
^(Jlykogen)  im  Tier  aus  Leuzin  oder  Alanin  oder  Gly kokoll  entstehen  soll, 
nicht  bestätigt. 

2)  Vgl.  Rosenfeld,  Fettbildung  in  Asher-Spiro  Er- 
gebnisse der  Physiologie  2.  89,  1903. 


702  Kap.  XIII,   §  230  u.  231.. 

setzen  sie  Kohlenhydrate  als  Ausgangsstoffe  voraus.  Die  Er- 
fahrungen, sie  mit  der  Ernährung  des  Tuberkelbazillus,  dieses  be- 
sonders fettreichen  Mikroorganismus,  gemacht  worden  sind,  haben  aber 
ergeben,  daß  Glyzerin  ein  für  ihn  fast  geradezu  unentbehrUcher 
Nahrungsstoff  ist,  ja  sogar  durch  Fette  selbst  oder  Lezithin  nicht 
vollständig  ersetzt  werden  kann.  Der  Gehalt  des  Tuberkelbazillen- 
fetts an  Glyzerin  ist  daran  wohl  allein  nicht  schuld,  da  er  verhältnis- 
mäßig unbedeutend  ist.  Auffallend  ist,  daß  alle  fettreichen  Organismen 
sehr  luftbedürftig  sind,  ja  ohne  Sauerstoff  überhaupt  nicht  leben  können. 
Man  darf  aber  annehmen,  daß  das  bei  dem  geringen  Sauerstoffgehalt 
des  Fettes  mit  der  Fettbildung  unmittelbar  nichts  zu  tun  hat,  während 
umgekehrt  die  Entstehung  anderer  Eörperbe- 
standteile  aus  Fett  kaum  ohne  die  Beteiligung 
freien  Sauerstoffs  gedacht  werden  kann.  Das  lehrt 
schon  die  Zusammenstellung  der  empirischen  Formeki,  die  wir  auf 
S.  668  gegeben  haben,  und  die  Tatsache,  daß  die  Mikroorganismen, 
die  mit  Fett  als  einziger  Eohlenstoffquelle  auskommen,  die  luftUeben- 
den  Schimmelpilze  sind.  Zum  großen  Teil  erklärt  sich  der  Lufthunger 
des  Tuberkelbazillus  daraus,  daß  die  Reduktion  der  Kohlen- 
hydrate oder  des  Glyzerins  zu  Fetten  einen  star- 
ken Energieaufwand  erfordert,  der  nur  durch  nebenher- 
laufende energische  Oxydationen  geleistet  werden  kann.  In  der  Tat 
erfolgt  z.  B.  die  Bildung  des  Fettes  nach  der  H  a  n  r  i  o  t  sehen  Gleichung: 

118'^  33     2 
C18H35O2+23CO2+26H3O 

unter  starker  Wärmebildung  (gegen  600  Kai.).  Da  der  Tuberkelbazillus 
bis  zu  30  und  mehr  Prozent  Fett  enthält,  stellt  seine  Bildung  eine  sehr 
erhebliche  Arbeitsleistung  dar.  An  dem  Energiebedarf  wird  selbst- 
verständlich weiter  nichts  geändert,  wenn  wir  uns  vorstellen,  daß  die 
Bildung  der  Fette  auch  aus  dem  Zucker  erst  auf  dem  Umwege  über 
niedere  Fettsäuren  erfolgt. 

Aus  dem  in  §  231  Gesagten  ist  ebenfalls  die  Folgerung  abzuleiten, 
daß,  wenn  aus  Eiweiß  Fett  entstehen  soll,  das  nur 
mit  einem  beträchtlichen  Energieaufwand  mög- 
lich ist.  Von  vielen  Seiten  wurde  früher  namentlich  für  patho- 
logische Zustände  höherer  Tiere  die  MögUchkeit  dieser  Stoff- 
wandlung behauptet;  neuerdings  wird  sie  gerade  hier  mit  guten  Gründen 
bestritten^).  Allerdings  hat  es  auch  bei  Bakterien  und  Schimmelpiken 

1)  Rosenfold,   Asher- Spiro  Ergebnisse   der   Physiologie  1  und 
2,   1902  und  1903. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  703 

öfter  den  Anscliein,  als  ob  die  Entstehung  des  Fettes  in 
alternden  Zellen  gewissennaßen  mit  Händen  zu  greifen  wäre 
(§  22),  man  sieht  es  wenigstens  reichlich  in  Tropfenform  in  Zellen  er- 
scheinen, die  vorher  frei  davon  schienen^).  Genauere  Analysen  haben 
aber  bei  den  „fettig  degenerierten"  Organen  höherer  Tiere  ergeben, 
daB  der  Schein  trügt,  daß  das  Fett  schon  vorher,  nur  nicht  in  Form 
von  Tropfen,  in  den  Zellen  vorhanden  ist.  So  könnte  es  wohl  auch  bei 
den  Mikroorganismen  sein.  Man  sieht  von  vornherein  auch  nicht  ein, 
wie  und  zu  welchem  Zwecke  ein  Vorgang,  der  soviel  Arbeit  erfordert, 
gerade  in  absterbenden  Zellen  eintreten  sollte.  In  der  Tat  fand  denn 
auch  Maze,  wie  wir  früher  sahen  (S.  61),  bei  der  Analyse  von  Kulturen 
eines  Schimmels,  der  Eurotiopsis  Gayoni,  bei  Luftzutritt,  je  älter  sie 
wurden,  sogar  um  so  weniger  Fett.  Dem  steht  freilich  die  Angabe 
D  u  c  1  a  u  x'  (S.  59)  gegenüber,  nach  der  in  alter  Hefe  der  Fettgehalt 
sich  erheblich  vermehrt  haben  soll.  Vielleicht  erklärt  sich  der  Wider- 
sprach aber  daraus,  daß  das  Fett  beim  Fortschreiten  der  Selbstverdau- 
ung nur  einen  relativ  größeren  Bestandteil  in  den  Hefezellen  aus- 
macht, absolut  aber  nicht  an  Masse  zunimmt.  Wie  dem  auch  sei, 
80  ist  doch,  wie  oben  schon  bemerkt,  unbestreitbar,  daß  die  Kleinwesen 
auch  bei  reiner  Ernährung  mit  Eiweißstoffen,  Fett  und  Lezithin  in 
gewissen  Mengen  in  ihrem  Körper  bilden,  also  unter  physiologischen 
Bedingungen,  d.  h.  beim  Wachstum,  ein  unmittelbarer  oder  mittel- 
barer Übergang  des  Eiweißes  in  Fett  möglich  ist,  offenbar  weil 
die  Kraftquellen  dabei  reichlich  fließen. 

§  231.  Bildung  der  Eiweißkörper.  Der  wichtigste  Bestand- 
teil der  Zelle,  das  Eiweiß,  entsteht  entweder  aus  stickstofffreien  Kohlen- 
stoffverbindungen und  Ammoniak  oder  aus  stickstoffhaltigen  Ver- 
bindungen allein  (§  32  u.  33).  Auf  diese  Fälle  lassen  sich  wenigstens 
alle  übrigen  zurückführen.  Allerdings  genügt  vielen  Mikroorganismen 
auch  ein  salpetersaures  Salz  zur  Stickstoffernährung,  aber  aller  Wahr- 
scheinlichkeit nach  muß  die  Salpetersäure  die  Umwand- 
lung in  Ammoniak  erfahren,  ehe  sie  assimiliert 
wird  (§  199).  Ebenso  wird  die  Kohlensäure  wohl  erst  in  einfache 
organische  Substanzen  (S.  699)  übergeführt  werden  müssen,  bevor  sie 
zum  Aufbau  des  Eiweißes  weiter  verwandt  wird. 

Mit  diesen  Sätzen  hört  aber  auch  fast  unser 
ganzes  Wissen  über  die  Eiweißsynthese  auf.    Wir 

1)  Die  Fettbildung  in  Milzbrandbazillen,  die  auf  Glyzerinnährböden 
gezüchtet  werden  (S.  48),  erfolgt  so  schnell,  daß  man  kaum  von  einer 
nachträglichen  Umwandlung  des  Eiweißes  in  Fett  sprechen  darf. 
Wahrscheinlich  wird  hier  schon  beim  Wachstum  auf  Kosten  des  Glyzerins 
Fett  gebildet.    Analysen  fehlen. 


704  Kap.  Xni,   §  231. 

kennen  zwar  ein  anscheinend  notwendiges  Zwischenstadiam,  das  de 
Aminosäuren,  und  könnten  uns  vorstellen,  daß  diese  aus  den  ent- 
sprechenden Säuren  (Essig-,  Propion-,  Butter-,  Baldrian-,  Kapron- 
säure, Bernstein-  und  Glutarsäure,  Phenyl-  und  Oxyphenylpropion- 
säure,  Indolpropionsäure  usw.)  hervorgingen,  in  dem  sie  mit  Ammoniak 
zusammenträten,  z.  B.  nach  der  Gleichung: 

CgHeO^  +  NH3  =  C^H^NO^  +  H^ . 
Propionsäure  Alanin 

Die  Propionsäure  selbst  könnte  femer  auf  dem  Wege  über  die  Milch- 
säure aus  dem  Traubenzucker  entstehen,  der  Aufbau  des  Alanins  aus 
Zucker  und  Ammoniak  sich  also  ausdrücken  lassen  durch  die  Gleichung: 

1)  CeHiA  +  2  NH3  =  2  CgH^NO^  +  2  H^O  (+  63  Kal.i)) . 

In  ähnlicher  Weise  würde  man  sich  auch  die  Bildung  der  übrigen 
Aminosäuren  aus  dem  Zucker  vorstellen  können,  z.  B.  GlykokoU  her- 
leiten aus  der  Gleichung: 

2)  CeHi^Oe  +  3  NH3  =  3  CgH^NO^  +  3  H^  (+  H  Kai.) , 
Leuzin  aus  der  Gleichung: 

3)  CeHiA  +  NH3  =  CeHigNOg  +  H^O  -f  3  0  (-  101  Kai.), 
Tyrosin  aus  der  Gleichung: 

4)  3C6H12O6+  2NH3  =  2C9H11NO3+  IOH2O+  20  (+  44 Kai.) 
Asparagin  aus  der  Gleichung: 

5)  2CeHi20e  +  3NH3  =  3C4H7NO4  +  öHg  (+  31  Kai.). 

So  einfach  vielleicht  diese  Umsetzungen  in  den  Formeln  erscheinen, 
so  fraglich  ist  es,  ob  sie  tatsächliche  Vorgänge  ausdrücken,  und  so 
verwickelt  sind  sie  in  ihrer  Gesamtheit,  weil  aus  einemunddem- 
selben  Stoff,  also  z.  B.  dem  Zucker,  der  Essig-  oder  Milchsäure, 
dem  Glyzerin,  der  Weinsäure,  gleichzeitig  alle  diese  verschiedenen 
Aminosäuren,  und  zwar  wohl  in  ziemlich  bestimmten  Mengenver- 
hältnissen (s.  u.),  entstehen  sollen. 

Auch  wenn  wir  statt  von  stickstofffreien  Körpern  und  Ammo- 
niak von  stickstoffhaltigen  Nahrungsstoffen,  z.  B.  den  A  m  i  n  o  - 


1)  Diese  Zahl  ist  etwas  zu  hoch,  da  das  Ammoniak  nicht  frei  zur 
Verfügung  steht,  sondern  erst  aus  seiner  Verbindung  mit  einer  Säure  ab- 
gespalten werden  muß.  Dazu  sind  etwa  25  Kai.  nötig.  Die  freiwerdende 
Säure  wird  sich  dann  freilich  eine  andere  Bindung  suchen  und  dadurch 
wieder  Wärme  erzeugen.  Genaue  Angaben  sind  nicht  möglich,  aber  für 
unseren  Zweck  auch  nicht  nötig,  da  wir  nur  einen  ungefähren  Anhalt  geben 
wollen. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  705 

säuren  selbst  ausgehen,  wird  die  Sache  nicht  durchsichtiger.  Viele 
Erfahrungen,  insbesondere  die  C  z  a  p  e  k  s  (S.  119),  beweisen,  daß  eine 
einzige  Aminosäure,  z.  B.  das  Leuzin  und  Alanin  oder  das  Amid  eines 
solchen  (Asparagin),  als  einzige  Kohlen-  und  Stickstoff  quelle 
genügt,  um  das  Eiweiß  der  Mikroorganismen  aufzubauen.  Man  schließt 
im  allgemeinen  daraus,  daß  aus  einer  Aminosäure  die  Gesamtheit 
allerübrigen,  die  wir  Eiweiß  nennen,  hervorgehen  kann.  Streng 
genommen  ist  der  Beweis  freilich  noch  nicht  geführt,  weil  bisher  noch 
in  keinem  Falle  das  bei  solcher  Ernährung  ge- 
erntete Eiweiß  in  seiner  Zusammensetzung  geprüft  worden  ist. 
Diese  Lücke  wäre  auszufüllen.  Vielleicht  ergeben  sich  da  doch  noch 
interessante  Aufschlüsse  über  die  Entstehung  der  einzelnen  Amino- 
säuren. Greben  wir  aber  einmal  die  verwickelte  Zusammensetzung  des 
bei  einfacher  Ernährung  entstandenen  Eiweißes  der  Kleinwesen  zu, 
so  müssen  wir  wieder  nach  den  Wegen  fragen,  auf  denen  aus  den  ein- 
zeben  Aminosäuren  alle  übrigen  sich  bilden.  Findet  dabei  nur  immer 
eine  in  ihrer  Ausdehnung  möglichst  beschränte  Umwandlung  der  nähren- 
den Aminosäure  statt,  oder  wird  diese  regelmäßig  erst  tief  gespalten 
—  z.  B.  nach  den  Gleichungen,  die  wir  in  §  168 — 174  kennen  gelernt  — 
um  dann  in  ihren  Bruchstücken  dem  Aufbau  zu  dienen  ?  Wir  können 
darauf  vorläufig  keine  Antwort  geben,  wenn  auch  vielleicht  die  Er- 
fahrungen, die  F.  Ehrlich  jüngst  bei  der  Ernährung  der  Hefe  durch 
.Vminosäuren  gemacht  hat  (§  173),  für  den  zweiten  Bildungsweg  sprechen. 
Sind  die  Aminosäuren  erst  gebildet,  so  erfolgt  nach  der  neueren, 
insbesondere  durch  E.  Fischers  Arbeiten  begründeten  Auffassmig 
ihre  weitere  Zusammensetzung  einfach  in  der  Weise,  daß  sie  sich  paar- 
weise mit  ihren  Karboxyl-  und  Amidogruppen  unter  Austritt  von  Wasser 
verkuppeln,  —  eine  Umkehrung  des  Hydratisierungsprozesses,  den  wir 
unter  dem  Namen  der  Peptonisierung  kennen  (S.  698).  Die  dazu 
nötige  Energie  scheint  keine  erhebliche,  die 
Hauptarbeit  vielmehr  schon  mit  der  Bildung 
derAminosäuren  selbst  geleistet  zu  sein.  Versuchen 
wir  diese  letztere  zu  berechnen,  so  erhalten  wir  auf  den  ersten  Blick 
^in  merkwürdiges  Ergebnis.  Wie  unsere  Gleichungen  1 — 5  zeigen, 
verläuft  die  Bildung  der  Aminosäuren  aus  Zucker  und  Ammoniak 
meist  unter  Entwicklung  von  Wärme  und  nur  die  des  Leuzins 
unter  Bindung  von  solcher.  Das  Schlußergebnis  würde  also  davon 
abhängen,  in  welchem  Mengenverhältnis  die  Aminosäuren  in  das  Eiweiß- 
molekul  eintreten.  Wenn  man  so  folgern  wollte,  würde  man  aber  einen 
Fehler  begehen:  so  wie  sie  sind,  geben  uns  die  Formeln  überhaupt 
kein  völlig  zutreffendes  Bild  über  die  energetischen  Verhältnisse  der 
Aminosäurenbildung,    weil    hier    die    Entwicklung    von    Wasserstoff 

KroBc,  Mikrobiolo^e.  45 


706  Kap.  Xm,  §  231. 

vorausgesetzt  wird,  die  in  Wirkliclikeit  bei  der  Assimilation  nicht 
zu  beobachten  ist.  Um  eine  richtige  Vorstellung  zu  bekommen,  gehen 
wir  daher  besser  von  einer  der  empirischen  Eiweißformeln  aus  nnd 
suchen  uns  die  Bildung  des  Eiweißes  aus  Zucker  und  Ammoniak  in 
ähnlicher  Weise  zurechtzulegen,  wie  es  in  unseren  obigen  Gleichungen 
geschehen  ist.  Wir  sehen  dann,  daß  wir  einen  Reduktionsvorgang  vor 
uns  haben,  der,  wie  zu  erwarten,  unter  Wärmebindung  verläuft. 
Er  ist  nämlich^): 

6)    8  CeHigOe  +  12  NH3  =  6  C^JSfi^  +  27  HgO  +  3  0  (—  250  Kai.) . 

Um  ein  Milligramm-Molekül  (180  mg)  Zucker  in  Eiweiß  (139  mg)  zu 
verwandeln,  bedarf  es  also  25,5  mg  Ammoniak  und  einer  Energie  von 
ca.  31  Kai.,  oder  um  1  Milligramm  Eiweiß  zu  erzeugen,  sind 
nötig  1,3  mg  Zucker,  0,18  mg  Ammoniak  und  0,22  Eal., 
d.  h.  eine  Wärmemenge,  die  rechnungsmäßig  durch 
vollständige  Oxydation  von  etwa  0,07  g  Zucker 
oder  durch  alkoholische  Vergärung  von  noch 
nicht  2g  Zucker  erzeugt  wird  (vgl.  §  227).  Die  Ausnützungs- 
versuche,  die  wir  später  ausführlich  besprechen  werden  (§  232  ff.), 
zeigen,  daß  tatsächlich  selbst  im  günstigsten  Falle  von  den  Kleinwesen 
sehr  viel  mehr  Nährstoff  verbraucht  bzw.  Energie  erzeugt  wird,  als  zum 
Aufbau  ihrer  Körpersubstanz  nötig  wäre. 

Ähnliche  Zahlen,  wie  wir  hier  für  die  Ernährung  mit  Zucker  aus- 
gerechnet haben,  ließen  sich  feststellen  für  die  übrigen  Arten  der  Er- 
nährung, z.  B.  mit  leichter  Mühe  für  die  Essig-  und  Milchsäure,  da  sie 
dieselbe  Zusammensetzung  wie  der  Traubenzucker  haben  und  durch 
bekannte  Umsetzimgen  aus  ihm  hervorgehen. 

Wir  wollen  als  besonders  interessant  hier  nur  den  Fall  heraus- 
greifen, daß  als  einzige  Kohlenstoff  quelle  Fette  zur  Verfügung 
stehen.  Die  Bildung  von  Eiweiß  scheint  mögUch  auf  Grund  folgender 
Gleichimg^) : 

7)   Cs^iosO«  +  I4NH3  +  430  =  TCgHigNjOj  +  28H2O. 
Triolein  Eiweiß. 

Zum  Unterschied  von  imserer  Gleichung  6  sieht  man  bei  dieser  Syn- 
these den  Sauerstoff  eingreifen.   Der  Aufbau  des  Eiweißes  aus 

1 )  Wir  haben  die  einfachste  Eiweißformel  und  den  Stohmann- 
schen  Wert  für  die  Verbrennungswärme  des  Eiweißes  (6711)  gewählt. 
Auch  wenn  man  die  verwickelte  Stohmannsche  Durchschnittsformel 

benutzt,  erhält  man  nicht  wesentlich  andere  Zahlen. 

2)  Die  Formel  des  Trioleins  lautet  eigentlich  C^J^i^ß^,  wir  halx*n 
sie  der  leicliteren  Rechnung  wegen  etwas  verändert. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechael.  707 

Fett  ist  also  keine  Reduktion,  sondern  eine  Oxy- 
dation; wir  beobachten  sie  in  der  Tat  nur  bei  strengen  Aerobiern, 
z-  B.  Schimmelpilzen.  Daraus  folgt  schon,  daß  sie  keinen  Energieauf- 
wand erfordert,  sondern  selbst  Wärme,  imd  zwar  in  nicht  un- 
erheblicher Menge,  entbindet.  Führen  wir  die  Rechnung  aus,  so 
finden  wir,  daß  zum  Aufbau  von  1mg  Eiweiß  etwa 
0,67  mg  Fett  (Triolein),  0,18  mg  Ammoniak  und 
0,53  mg  Sauerstoff  erforderlich  ist,  wobei  1,3  Kai. 
frei  werden.  Auch  hier  werden  wir  sehen  (§  232),  daß  die 
Mikroorganismen  tatsächlich  sehr  viel  mehr  Substanz  verbrauchen 
und  Energie  erzeugen. 

Die  im  vorstehenden  gegebene  Darstellung  der  Energieverhältni8se_ 
bei  der  Eiweißbildung  bleibt  gültig,  obwohl  -vrrr  nicfits  näheres  über 
den  Weg  wissen,  der  dabei  eingeschlagen  wird.  Die  Rätsel,  die  da  noch 
zu  lösen  sind,  erscheinen  verständlicherweise  immer  größer,  je  mehr 
wir  versuchen,  in  den  Aufbau  des  eigentlichen  Proto- 
plasmas einzudringen.  Wenn  wir  uns  selbst  das  Eiweißmolekül 
aus  seinen  zahlreichen  Kernen,  den  Aminosäuren,  aufgebaut  denken, 
so  haben  wir  damit  ja  noch  nicht  das  „lebende'*  oder  „natürliche** 
Eiweiß  in  Händen.  Die  frühere  Anschauung,  die  namentlich  Pflüger^) 
vertrat,  daß  dieses  lebende  Eiweiß  in  seiner  Konstitution  vollständig 
abweiche  von  dem  toten,  das  wir  allein  der  Analyse  unterwerfen,  ist 
freilich  nach  unseren  heutigen  Kenntnissen  nicht  mehr  berechtigt. 
An  die  wesentliche  Rolle,  die  die  labile  Zyangruppe  in  dem  lebenden 
Eiweiß  spielen  sollte,  kann  man  jetzt  kaum  mehr  glauben,  wo  wir 
wissen,  daß  der  Harnstoff  durchaus  kein  notwendiges  und  ursprüng- 
liches Produkt  des  Stoffwechsels  ist.  Fehlt  er  doch  bei  den  Mikro- 
organismen anscheinend  ganz,  und  entsteht  er  doch  auch  bei  den  höheren 
Tieren  erst  durch  Synthese  aus  dem  kohlensauren  Ammoniak.  Auf 
der  anderen  Seite  hat  uns  die  fortschreitende  Forschung,  insbesondere 
das  Studium  der  Gärungs-  und  Imimitätserscheinungen,  mit  so  vielen 
merkwürdigen  Eigenschaften  des  lebenden  Eiweißes  bekannt  gemacht, 
daß  wir  daraus  auf  eine  überaus  verwickelte  Struktur  schließen  müssen^). 
Mit  den  Aminosäuren  ist  es  allein  sicher  nicht  getan,  sie  bilden  wohl 
nur  das  Gerüst,  an  das  sich  die  übrigen  besonders  lebenswichtigen 
„Seitenketten"  angliedern.  Das  Schlimme  ist  aber,  daß  wir  gerade 
von  der  chemischen  Natur  imd  Bildungsweise  derselben,  zu  denen  En- 
zyme (Kap.  XIV)  und  andere  „Hilfsstoffe"  (Kap.  XVI  u.XVII)  gehören, 
nichts  wissen. 


1)  Pflügers  Archiv  10,  1875. 

2)  Vgl.  dazu  §  67  u.  68. 

45* 


708  Kap.  XIII,   §  231  u.  232. 

Aus  dieser  Erkenntnis  folgt,  daß  auch  die  fertigen  Eiweißstoffe, 
seien  sie  nun  „natürlich"  oder  „denaturiert",  wenn  sie  den  Organismen 
in  der  Nahrung  dargeboten  werden,  erst  assimiliert,  d.  h.  in  bestimmt« 
Weise  umgewandelt  werden  müssen,  ehe  sie  in  dem  Protoplasma  auf- 
gehen^). Vielleicht  besteht  diese  Veränderung  in  einer  Synthese  der 
oben  erwähnten  eigenen  Seitenketten  mit  dem  (denaturierten)  Eiweiß- 
skelett der  Nahrung. 

Daß  große  Energieleistimgen  mit  dem  Übergang  des  Eiweißes 
aus  dem  „tot^n"  in  das  „lebende"  Eiweiß  verbunden  sein  sollten, 
dafür  haben  wir  keine  Unterlage.  Diejenigen,  für  die  das  Leben  eine 
besondere  Kraft,  z.  B.  ein  eigentümlicher  Schwingungszustand  der 
Atome  ist,  könnten  es  natürlich  annehmen. 

§  252.  Stoff-  und  Kraf twcchselrechnang.  Ausnutzung  und 
Verbrauch  der  Nahrung  bei  Schimmelpilzen.  Kennt  man  die 
sämtlichen  Stoffwechselvorgänge  im  Leben  der  Kleinwesen  nach 
ihrer  Beschaffenheit  und  Größe,  so  ist  es  ein  leichtes,  auch  eine  Eech- 
nung  über  den  Stoffansatz  imd  den  Stoffverbraucb  im  Verhältnis  zu 
den  dargebotenen  Nahrungsmengen,  eine  sogenannte  Bilanz  des  Stoff- 
wechsels aufzustellen.  Daraus  ist  dann  auch  der  Kraftwechsel  zu  be- 
rechnen, wenn  man  nicht  vorzieht,  ihn  unmittelbar  auf  thermischem 
Wege  zu  bestimmen.  Bisher  ist  man  nur  in  wenigen  Fällen  diesem 
Ziele  einigermaßen  näher  gekommen.  Indessen  haben  wir  doch  auch 
ohne  genaue  Kenntnis  der  Einzelheiten  des  Stoffwechsels  die  Möglich- 
keit, uns  ein  ungefähres  Bild  von  seinen  Endergebnissen  auf  verhältnis- 
mäßig einfache  Weise  zu  verschaffen,  indem  wir  in  der  auf  dem  Nähr- 
boden entstandenen  „Ernte"  der  Kleinwesen,  dem  Nährbodenrest  und 
dem  unbenutzten  Nährboden  das  Trockengewicht  oder  die  wesent- 
lichen Elemente,  wie  z.  B.  den  Stickstoff,  oder  besonders  wichtige  oder 
leicht  bestimmbare  unverbrauchte  Bestandteile  der  Nahrung,  wie  z.  B. 
den  Zucker,  imd  deren  Zersetzungsprodukte,  z.  B.  die  Milchsäure  und 
den  Alkohol,  oder  aber  den  gesamten  Verbrennungswert  feststellen 
xmd  zur  Ergänzung  schon  während  der  Züchtung  den  Gaswechsel,  z.  B. 
die  Sauerstoff  aufnähme  imd  Kohlensäureentwicklung  (§  220  u.  221) 
und  die  Wärmeabgabe  (§  237)  verfolgen. 

Die  auf  dem  einen  oder  anderen  Wege  erhaltenen  Stoffwechsel- 
bilanzen  sollen  im  folgenden  besprochen  werden.  Wenn  wir  die  in 
dem  ursprünglichen  „Nährboden"  enthaltenen  Stoffe  oder  Spann- 
kräfte mit  n,  die  in  der  Mikrooiganismenemte  —  dem  „Ansatz"  — 

1)  Wir  sehen  hier  von  der  noch  nieht  für  alle  Fälle  entschiedenen 
Streitfrage  ab,  ob  das  Nahningseiweiß  vor  der  Assimilation  erst  in  die 
Eiweißkerne  (Aminosäuren)  gespalten  werden  muß,  oder  ob  es  als  solches 
aufgenommen  wird. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


709 


enthaltenen  mit  a,  die  außerdem  im  Stoffwechsel  verbrauchten 
—  den  „Verbrauch"  im  engeren  Sinne  —  mit  v  und  die  Summe  von 
Ansatz  und  Verbrauch,  den  „Umsatz"  (oder  Gesamtverbrauch)  mit  u  be- 


a 


zeichnen,  ergibt  uns  das  Verhältnis  -     den  „Ausnützungskoeffizienten" 

a 
(kurz  Ausnützimg  oder  Ausbeute),  das  Verhältnis    -  den  „Verbrauchs* '- 

oder  „ökonomischen  Koeffizienten"    (Pfeffer)   und   der    Quotient 

u 
von  beiden  —  den  „Umsatzkoeffizienten'^ 
n 

Grundlegende  Experimente  über  Ausnützung  des  Nährbodens 
durch  Schimmelpilze  verdanken  wir  R  a  u  1  i  n  (S.  89) :  er  konnte  auf 
seiner  Nährlösung  im  günstigsten  Falle  etwa  33%  der  Nährstoffe  im 
Trockengewicht  des  Aspergillus  niger  wiedererhalten.  Wenn  die  Nähr- 
fähigkeit der  Lösung  durch  Weglassen  irgendeines  Bestandteiles  herab- 
gesetzt wurde,  sank  auch  die  Ernte,  wie  wir  gesehen  haben,  teilweise 
auf  ein  geringstes  Maß.  Sobald  die  Dichte  des  Hauptnährstoffes,  des 
Zuckers,  geändert  wurde,  konnte  allerdings  innerhalb  gewisser 
Grenzen  eine  bedeutende  Steigerung  des  absoluten  Emtegewichts 
l)ewirkt  werden,  die  Ausnützung  fiel  aber  dabei  um  ein  bedeutendes. 
So  betrug  die  Ernte  in  einem  Versuch  mit  2750  g  Wasser  und  8  g  Nähr- 
salzen^)  bei  verschiedenem  Zuckergehalt: 

0  g  Zucker  und  8  g  Nährsalze  ergaben  0,27  Trockengewicht  des  Pilzes 


10  g 

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8g 

20g      , 

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8g 

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120  g 

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160  g 

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640g      ', 

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2260  g      , 

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7400g      , 

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99 


99 


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3,5 
7,3 
13,0 
16,9 
19,9 
23,2 
24,5 
28,2 
28,4 
24,7 
7,2 


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99 


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J> 


>) 


Hier  war  also  schon  bei  40  g  (1,4%)  Zuckergehalt  die  höchste  Aus- 

13 
nützong  mit      -  =  27,2%  erreicht  oder,  wenn  man  die  Ernte  nur  in  Be- 

48 


1)  Einschließlich  etwas  freier  Weinsäui'e  (3,5  Ammonnitrat,  3,0 
Weinsäure,  0,6  Ammonphosphat  und  Kaliumkarbonat,  0,5  Magnesium- 
karbonat,  0,3  Ammonsulfat,  je  0,1  Eisenzitrat  und  Zinksulfat). 


710  Kap.  Xin,   §  232. 

13 
Ziehung  setzt  zum  Zucker,  mit  ^  =  32,5%.  Bei  geringerer  oder  stärkerer 

Dichte  des  Zuckers  sank  die  Ausnützung  ziemlich  schnell,  betrug  z.  B. 
nur  noch  20%  bei  10  g  (0,4%)  und  120  g  (4%)  Zucker  und  9%  bei  320  g 
(10%)  Zucker.  Eine  wesentlich  höhere  Ausbeute  zu  erzielen  glückte 
weder  R  a  u  1  i  n  noch  späteren  Untersuchem,  insbesondere  auch  nicht 
Czapek  (vgl.  S.  91),  der  ähnliche  Versuche  mit  demselben  Pilze  und 
Hunderten  verschiedener  organischer  Stoffe  anstellte.  Im  Gegenteil 
erreichte  dieser  Forscher  im  besten  Falle  nur  eine  Ausnutzung  von 
ca.  30%,  und  zwar  mit  Nährlösungen,  die  in  1000  g  Wasser  0,5  Magne- 
siumsulfat, 1,0  Kaliumbiphosphat,  0,5  Kaliumchlorid,  0,01  Ferro- 
sulfat,  30,0  Zucker,  10,0  Alanin  enthielten.  Das  Alanin  konnte  fast 
mit  gleichem  Erfolg  durch  äpfelsaures,  weinsaures  oder  milch- 
saures Ammon  oder  Asparagin  ersetzt  werden.  Wurde  Zucker  durch 
eine  andere  Kohlenstoffverbindung  ersetzt,  so  wurden  die  Ergebnisse 
nicht  besser.  Nur  in  wenigen  Fällen  stellte  B  a  u  1  i  n  die  Menge  der 
verbrauchten  Substanz  durch  Untersuchung  der  Nährlösung 
fest.  So  fand  er  in  9  Versuchen,  daß  (nach  dem  Ergebnis  der  Reduk- 
tion von  Fehlingscher  Lösung)  2 — ^2,5  Teile  Zucker  auf  je  1  Teil  neu- 
gebildeter Pilzsubstanz  verschwunden  waren.  Das  gibt  einen  Ver- 
brauchskoeffizienten von  50 — 40%,  oder  wenn  man  die  übrigen 
Nährstoffe  noch  mit  Vg  des  Zuckergewichts  hinzurechnet,  einen  solchen 
von  41 — 33%.  Mit  anderen  Worten,  das  Leben  der  Schim- 
melpilze verbraucht  —  unter  günstigen  Be- 
dingungen—  anderthalb  biszweimal  sovielNähr- 
stoffe,  als  zum  Aufbau  der  Zellen  allein  nötigist. 
Wir  werden  im  Laufe  dieser  Erörterungen  sehen,  daß  das  eine  sehr 
wirtschaftliche  Art  der  St  o  f  f  ausn  üt  z  ung  dar- 
stellt, die  sonst  nur  selten  erreicht  wird.  Wie  man  durch  Division  der 
beiden  Quotienten  erfährt,  erschöpft  auch  der  Umsatz  der  Klze  fast 
den  gesamten  Nährstoff-(Zucker-)Vorrat,  allerdings  sehr  wahrschein- 
lich nur  imter  den  hier  vorliegenden  günstigen  Bedingungen,  nicht 
bei  stärkerer  oder  schwächerer  Dichte  des  Zuckers. 

Ein  besonderes  Interesse  bieten  auch  die  Erfahrungen  Weh- 
m  e  r  s  (S.  91)  am  Aspergillus  niger.  In  den  günstigsten  Zuckemähr- 
böden  (3%  Zucker  mit  Salmiak  und  Salzen)  gezüchtet,  ergab  dieser 
Pilz  eine  Ausbeute  von  28%  des  Zuckers.  Wurde  das  salzsaure  Ammon 
durch  das  salpetersaure  ersetzt,  so  fiel  die  Ernte  auf  20%.  In  dem  ersten 
Fall  wurde  wahrscheinlich  der  Zucker  vollständig  zu  Wasser  und 
Kohlensäure  oxydiert,  im  zweiten  Fall  zum  größten  Teil  zu  Oxalsäure. 
Die  bei  diesen  Verbren  n  un  gen  e  nt  wickelte  Wärme- 
menge   steht    etwa    im    Verhältnis    der    Ausbeute 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


711 


(vgl.  S.  393).  Wenn  die  Oxydation  des  Zuckers  nur  bis  zur  Zitronen- 
säure oder  gar  zur  Glykonsäure  fortgeschritten  wäre,  würde  man  ent- 
sprechend geringere  Emtegewichte  erzielt  haben  (vgl.  §  120  und  121). 
Außer  Zuckemährböden  prüfte  W  e  h  m  e  r  auch  einige  andere,  deren 
Ausbeute  wir  auf  unserer  Tafel  S.  391  wiedergegeben  haben.  Man  sieht 
daraus,  daß  Olivenöl  und  Glyzerin  (mit  salpetersaurem  Ammon  als 
Stickstoffquelle)  noch  größere  Ernten  ergeben  können  als  Zucker. 
Die  Ausnützung  beträgt  beim  Olivenöl  mehr  als 
die  Hälfte,  ein  Resultat,  was  ganz  ungewöhnlich  ist. 
Wenn  man  auch  hier  wieder  den  Wärmewert,  den  gleiche  Teile  der 
Nährstoffe  bei  ihrer  Verbrennung  ergeben,  mit  den  Emtemengen  ver- 
gleicht, so  erhält  man  folgende  Zahlen: 


Verbrennungswärme 
von  1»5  g  Substanz 


Pilzemte 


Weinsäure .  . 
Zitronensäure 
Glykose .  .  . 
Glyzerin  .  . 
Pepton  .  .  . 
Olivenöl .    .    . 


2618  Kai. 
3717 
5614 
6468 
6750 
13992 


0,155  g 
0,240  g 
0,278  g 
0,475  g 
0,162  g 
0,810  g 


Es  wächst  also  die  Ernte  ziemlich  regelmäßig 
mit  der  Verb  rennungs  war  m  e  der  zur  Nahrung 
dienenden  Verbindungen.  NatürHch  gilt  das  nur  unter 
der  Voraussetzimg,  daß  die  Verbrennung  der  Nährstoffe  eine  voll- 
ständige ist,  was  hier  einigermaßen  erfüllt  zu  sein  scheint.  Nur  das 
Pepton  macht  eine  auffällige  Ausnahme  und  fällt  durch  die  geringe 
Ausbeute,  die  es  Hefert,  aus  der  Beihe  der  übrigen  Stoffe  heraus.  Von 
der  Glykose  sollte  man  eine  etwas  höhere  Pilzemte  erwarten.  Dieselbe 
erklärt  sich  wenigstens  teilweise  daraus,  daß  Zucker  bei  den  hier  ver- 
fügbaren Stickstoffquellen  nur  unvollkommen  verbraucht  wird. 

Die  Tatsachen,  die  L  a  b  o  r  d  e  ^)  bei  Emährungsversuchen  mit 
einem  anderen  Schimmelpilz,  der  Eurotiopsis  Gayoni,  festgestellt, 
sprechen  in  demselben  Sinne.  Sie  zeigen  gleichzeitig,  daß  zwischen 
der  Schnelligkeit  der  Entwicklung  und  dem  Grade 
der  Ausnutzung  der  Nährstoffe  keine  bestimmte 
Beziehung  zu  bestehen  braucht.  In  der  folgenden,  von 
uns  etwas  abgekürzten  Tafel  ist  für  eine  Anzahl  von  stickstofffreien 


1)  Annal.  Pasteur  1897.  23. 


712 


Kap.  XIII,   §  232. 


Nahrungsstoffen,  die  dem  Pilze  in  einer  Menge  von  10  g  und  einer 
Dichte  von  5%  neben  den  gleichen  Salzen  bei  reichlichem  Sauerstoff- 
zutritt dargeboten  wurden,  die  gesamte  und  die  (durchßchmttliche) 
tägliche  Ausbeute  an  Trockensubstanz  zusammengestellt: 


gesamte 
Pilzausbeute  in  %  des 
Nährstoffs : 


tägliche        I>ie  größte 
Ausbeute 


wird 
erreicht  in 


44% 

3,7% 

'   12  Tagen 

31% 

1.5% 

20      „ 

30% 

5,0% 

I     6      „ 

30% 

3,3% 

9      „ 

29% 

4,8% 

6      „ 

29% 

4,8% 

6      „ 

26% 

2,2% 

12      „ 

25% 

2.1% 

1   12      „ 

25% 

1,2% 

20      „ 

Alkohol  .  .  . 
Glyzerin  .  .  . 
Fruktose .  .  . 
Maltose  .  .  . 
Glykose  .  .  . 
Mannit .... 
Milchsäure  .  . 
Bernsteinsäure 
Stärke  .... 


Hier  ist,  wie  in  den  W  e  h  m  e  r  sehen  Versuchen,  die  Ausnützung  der 
Nährstoffe  am  größten  (M%)  bei  dem  Stoff,  der  die  größte  Verbren- 
nimgswärme  hat,  dem  Alkohol  (7068  Kai.  im  g),  eine  mittlere  (ca.  30%) 
bei  den  Zuckerarten  Mannit  und  Glyzerin  (3743  und  3959  Kai.)  und  am 
kleinsten  (25%)  bei  der  Bernsteinsäure  (3006  Kai.).  Daß  die  Ausbeute 
bei  Ernährung  mit  Stärke  nicht  höher  ist,  liegt  wohl  an  ihrer  schwieri- 
geren Verdauung. 

Den  von  L  a  b  o  r  d  e  gefundenen  Unterschied  in  der  Ausnützung 
des  Alkohols  und  des  Zuckers  durch  die  Eurotiopsis  Gayoni 
hat  M  a  z  e  ^)  bestätigt.  Seine  Untersuchungen  lehren  auch,  daß  d  i  e 
Pilzausbeute  im  Verhältnis  zum  Nahrungsum- 
satz  in  den  früheren  Entwicklungsstufen  eine 
größere  ist  als  in  den  späteren.  So  betrug  der  Verbrauchs- 
koeffizient  einer  zweitägigen  Kultur  mit  Zucker  38%,  in  einer  viertägigen 
32%,  in  einer  sechstägigen  27%,  der  in  einer  fünftägigen  Kultur  mit 
Alkohol  80%,  in  einer  siebentägigen  53%^). 

Die  Versuche  Nikolskis^),  in  denen  nicht  nur  das  Trocken- 
gewicht des  Pilzes  (A  m  y  1  o  m  y  c  e  s  ß)  bei  verschiedener  Ernährung, 
sondern  auch  dessen  Stickstoffgehalt  (vgl.  S.  60),  femer  der  Umsatz, 

1)  Amial.  Pasteur  1902.  364. 

2)  Von   den   Veränderungen   in   der   Zusammensetzung   des  M>Tels 
haben  wir  S.   61  gesprochen. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.  558,   1904. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


713 


und  zwar  in  allen  Stadien  der  Entwicklung  bestimmt  wurde,  sind 
allerdings  gerade  im  entgegengesetzten  Sinne  ausgefallen. 
Wir  geben  im  folgenden  einen  Versuch  mit  Glykose  (6  g  in  100  g  Raulin- 
sclier  Flüssigkeit)  etwas  abgekürzt  wieder: 


1 

2 

3 

4 

6 

"Pl  1 1  ftTTl  f'Ä 

Pilzstick- 

Zucker- 

Pilz- 

Verhältnis') 

X  Al^Ol  IX  \n3 

atoff 

iimnatz 

zuwachs 

V.  Spalte  3  : 1 

2.  Tag 

0,011 

0,002 

0,544 

0,011 

50,3 

*■    „ 

0,170 

0,013 

1,056 

0,159 

6,2 

6-    „ 

0,365 

0,034 

2,897 

0,195 

8,0 

8.    „ 

0,762 

0,059 

3,403 

0,397 

4,4 

10.    „ 

1,240 

0,103 

4,012 

0,478 

3,2 

12.    „ 

1,716 

0,084 

5,705 

0,476 

3,3 

14.    „ 

1,842 

0,075 

5,957 

0,126 

3,2 

Deutlich,  ist  hier  das  beständige,  aber  in  den  einzelnen  Perioden  un- 
gleichmäßige Wachstum  des  Pilzes  imd  der  vorzeitige  Stillstand  des 
Stickstoffzuwachses.  Die  Ausnützung  beträgt  am  Schluß  des  Versuchs, 
wenn  man  nur  den  Zucker  berücksichtigt,  31%,  ebenso  groß  ist  der 
ökonomische  Koeffizient,  da  fast  sämtUcher  Zucker  umgesetzt  ist. 
In  den  früheren  Entwicklungsstadien  ist  der  letztere  aber  kleiner,  zu 
Anfang  sogar  nur  2%.  Auch  bei  der  Ernährung  'mit  Maltose,  Saccha- 
rose und  Fruktose  zeigte  sich  dieselbe  Erscheinung,  die  wir  wohl  da- 
durch erklären  müssen,  daß  dieser  Pilz  zimächst  den  ihm  dargebotenen 
Zucker  nicht  vollständig  verbrennt.  Bei  den  sehr  großen  Unterschieden 
lohnte  es  sich  wohl,  näher  auf  die  Zersetzimgsprodukte  einzugehen. 
Im  übrigen  hatten  die  Versuche  Nikolskis  das  wichtige  Ergebnis, 
daß  der  Amylomyces  nur  die  drei  erstgenannten  Zuckerarten  und  das 
Inulin  vollständig  verbrauchte  und  entsprechende  Ernten  darauf  ent- 
wickelte, die  Fruktose,  Galaktose,  Raffinose,  das  Dextrin  und  die 
Laktose  aber  nur  zu  kleinen  Teilen  zersetzte  und  namentUch  auf  dem 
letztgenannten  Zucker  unverhältnismäßig  kleine  Ernten  (also  einen 
sehr  niedrigen  Verbrauchskoeffizienten)  ergab.  Man  wird  auch  hier 
wieder  annehmen  dürfen,  daß  die  Verbrennung  der  Kohlenhydrate  in 
diesen  Fällen  weit  unvollkommener  war,  als  in  den  ersten.  Hand  in 
Hand  ging  damit  ein  höherer  Stickstoffgehalt.  Wir  haben  das  schon 
früher  erörtert  (S.  60). 

Der  Kraftwechsel  wurde  in  allen  diesen  Ernährungsversuchen 
mit  Schinmielpilzen  nicht  unmittelbar  bestimmt,  wir  körmen  ihn  aber 


1)  Durch  Umkehrung  erhält  man  unseren  Verbrauchskoeffizienten. 


714  Kap.  XIII,   I  232  u.  233. 

in  seinen  Grimdztigen  durch  Rechnung  feststellen.  Nehmen  wir  an, 
daß  in  den  günstigsten  Versuchen  der  genannten  Forscher  die  Ver- 
brennung der  verbrauchten  Nährstoffe  eine  vollständige  war,  so  daß 
die  Verbrennungswärme  der  Pilze  mit  der  von  R  u  b  n  e  r^)  gefundenen 
des  sporenhaltigen  Penicillium  glaucum  (5393)  annähernd  übereinstimmte, 
so  hätten  wir  nach  R  a  u  1  i  n  ,  wenn  wir  von  den  übrigen  Nährstoffen 
außer  dem  Zucker  absehen,  einen  thermischen  Gresamtumsata  von 
2—2,5x3700  Kai.  oder  7400—9250  Kai.  auf  einen  Ansatz  von 
5339  Kai.,  oder,  wenn  wir,  um  diesen  Fehler  auszugleichen,  die 
größere  Zahl  wählen,  einen  thermischen  Verbrauchskoeffizienten 
von  5359  :  9250  =  etwa  58  %.  Auch  der  Ausnützungskoeffizient 
ist  ähnlich  hoch.  Aus  den  Versuchen  W  e  h  m  e  r  s  und  L  a  b  o  r  d  e  s 
können  wir  nur  den  letzteren  Koeffizienten  einigermaßen  sicher 
bestimmen,  da  wir  nicht  wissen,  wieviel  von  den  Nährstoffen 
beim  Wachstum  der  Pilze  verbraucht  worden  ist.  Die  thermische 
Ausnützung  beträgt 

Glykose    (Weh  m  er) 26% 

Glyzerin    (         „         ) 39% 

OHvenöl    (         „         ) 31% 

Alkohol     (Laborde) 33% 

Da  die  Verbrauchskoeffizienten  mindestens  ebenso  hoch  sein  müssen, 
sieht  man,  daß  wir  uns  der  obigen  aus  den  R  a  u  1  i  n  sehen  Versuchen 
erhaltenen  Zahl  mehr  oder  weniger  nähern.  Das  gilt  auch  von  den  Ver- 
suchen Nikolskis  mit  Trauben-,  Rohr-,  Malzzucker  und  Dextiin. 
Die  aus  den  R  u  b  n  e  r  sehen  Versuchen  mit  Hefe  (§  233)  gewonnenen 
Erfahrungen  sprechen  ebenfalls  dafür,  daß  der  thermische  Verbrauchs- 
koeffizient bei  dem  rein  aeroben  Wachstum  der  Pilze  sehr  hoch  ist, 
diese  Lebewesen  also  auch,  was  den  Energieverbrauch  angeht,  verhält- 
nismäßig haushälterisch  mit  ihrer  Nahrung  imigehen.  Auch  die  Be- 
stimmungen des  von  den  Pilzen  aufgenommenen  Sauerstoff-  und  der 
abgegebenen  Kohlensäuremengen,  namentlich  die  sorgfältige  Analyse 
Mazes,  auf  die  wir  besonders  verweisen  wollen  (§  220),  stimmen 
damit  durchaus  überein.  Weim  die  Pilze  ebensoviel  oder  andert- 
halbmal soviel  Sauerstoff  zu  verbrauchen  pflegen,  wie  sie  in 
trockenem  Zustande  wiegen,  so  ist  daraus  unter  Zuhilfenahme 
unserer  Tabelle  auf  S.  694  und  unter  Berücksichtigimg  der  Tat- 
sache, daß  die  Nährstoffe  selbst  im  großen  und  ganzen  den 
zum   Aufbau    des   Leibes   nötigen    Sauerstoff    liefern,    zu   schlie- 


1)  Arch.  f.  Hyg.   48.  268. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  715 

Ben,  daß  die  Pilze  annähernd  ebensoviel  Kalorien 
nach  außen  abgeben,  wie  sie  in  ihrem  Leibe 
aufspeichern. 

WahischeinUch  gilt  diese  Regel  übrigens  nur  für  die  gün- 
stigsten Ernährungsbedingungen.  Wenn  sie  un- 
günstiger" werden,  sinkt  wohl  nicht  nur  die  Ausbeute,  sondern  steigt 
auch  verhältnismäßig  der  Verbrauch  von  Nährstoffen  und  Energie. 
Beispiele  für  das  erstere  Verhältnis  haben  wir  namentlich  bei  der  Oxal- 
saitregäning  (§  122)  kennen  gelernt;  Angaben  in  letzterer  Beziehung 
fehlen  aber  für  die  Schimmelpilze,  während  sie  für  die  Hefe 
geliefert  sind.  Daß  ein  Verbrauch  von  Stoffen  durch  Pilze  auch 
ohne  Wachstum  möglich  ist,  lehrten  die  Zitronensäuregärung 
(S.  388)  und  die  Sauerstoffaufnahme  und  Eohlensäurebildung 
im  (teilweisen)  Hungerzustande  (§  226).  Es  geht  dabei  aber  nicht 
ohne  Schädigung  der  Körpersubstanz  ab  (Selbstverbrennung,  Selbst- 
vergärung   und  Selbstverdauung). 

§  233.    Stoff-  und  Kraftwechsel  bei  Hefepilzen.    Um  den 

Verbrauch  der  Nahrung  durch  Hefepilze  kennen  zu  lernen,  haben 
wir  uns  zunächst  an  die  Arbeiten  von  Pasteur^)  zu  halten.  Sie 
ergaben  das  wichtige  Resultat,  daß  je  nachdem  der  Hefe  Sauer- 
stoff mehr  oder  weniger  reichlich  zur  Verfügung 
steht,  das  Verhältnis  der  erzeugten  zur  umge- 
setzten Substanz  ein  sehr  verschiedenes  ist.  So 
fand  Pasteur  in  200  ccm  einer  Nährsalz-Rohrzuckerlösung,  die  er 
in  einer  ganz  dünnen  Schicht  von  2 — 3  mm  Dicke  in  offener  Schale 
ausgebreitet  imd  mit  einer  Spur  Hefe  besät  hatte,  nach  einem  Tage 
24  mg  trockene  Hefe  auf  98  mg  zersetzten  Zuckers.  Das  ergibt  einen 
Verbrauchskoeffizienten  von  1:4=  25%,  immerhin  also  einen  wesent- 
lich niedrigeren  Wert  als  denjenigen,  den  R  a  u  1  i  n  und  Czapek 
(§  232)  für  die  in  gleicher  Weise  aerob  gewachsenen  Schimmelpilze 
gefunden  hatten.  In  einem  zweiten  Versuch,  der  ähnlich  angeordnet, 
aber  erst  nach  2  Tagen  unterbrochen  wurde,  kamen  auf  127  mg  Hefe- 
gewicht 1040  mg  verschwundenen  Zuckers.  Hier  beträgt  also  der  Ver- 
brauch 1:8=  12,5%.  Pasteur  erklärt  das  dadurch,  daß  der 
Sauerstoff  zutritt  hier  nicht  mehr  so  unbeschränkt  war,  weil  die  einmal 
gebildete  Hefe  als  Deckschicht  wirkte.  Noch  ungünstiger  wurde  das 
Verhältnis,  wenn  die  Nährlösung  nicht  in  offener  Schale,  sondern  in 
einem  großen,  aber  fast  völlig  geschlossenen  Kolben  —  übrigens  auch 
noch  in  dünner  Schicht,  aufgestellt  wurde.  Auf  10  g  verbrauchten 
Zuckers  wuchsen  0,44  g  Hefe,  entsprechend  einer  Ausnützung  von 


1)  Etudes  Bur  la  bidre,  1876. 


716  Kap.  Xni,   §  233. 

4,4%.  Offenbar  ist  hier  der  Luftzutritt  schon  stark^^beschränkt  ge- 
wesen, weil  die  durch  die  Hefe  gebildete  Kohlensäure  sich  über  der 
Flüssigkeit  anhäufe,  ähnUch  wie  wir  es  in  einem  Gärkeller  sehen.  Wurde 
jetzt  die  Höhe  der  Nährschicht  gesteigert,  so  fiel  der  Verbrauchs- 
koeffizient  auf  1  :  75  =  1,3%.  Erfüllte  die  Zuckerlösung  den  Kolben 
vollständig,  wurde  also  der  Luftzutritt  so  gut  wie  ganz  aufgehoben,  so 
sank  der  Koeffizient  auf  1  :  150  =  0,67%  und  das  Wachstum  der 
Hefe  war  dabei  so  verlangsamt,  daß  12  Tage  nötig  waren,  um  aus  3  Lit^T 
Zuckerlösung  eine  Ernte  von  2,25  g  trockener  Hefe  zu  erhalten.  Wenn 
man  die  Sorgfalt,  die  man  auf  den  Sauerstoffabschluß  verwendet, 
weiter  steigert,  so  wird  die  Entwicklung  der  Hefe  noch  langsamer, 
und  die  Ernte  beträgt  nach  3  Monaten  nur  0,255  g  auf  45  g  verbrauchten 
Zuckers,  der  Verbrauchskoeffizient  also  1  :  176  =  0,57%.  Eine  weitere 
Steigerung  der  anaeroben  Bedingungen  glückte  C  o  c  h  i  n  ^).  Das 
Wachstum  der  Hefe  hörte  dann  aber  überhaupt  auf  und  damit  aach 
der  Zuckerverbrauch. 

Diese  Paste  urschen  Versuche  sind  im  großen  und  ganzen  vollstän- 
dig bestätigt  worden  durch  die  neueren  von  H.  Buchner  und  Rapp*^). 

Wir  geben  zum  Beweis  Tabelle  XV  ihrer  Arbeit  in  etwas  ver- 
änderter Zusammenstellung  und  mit  abgekürzten  Zahlen  hier  wieder. 
Es  wurde  die  Hofe  zunächst,  um  dem  Sauerstoff  möglichst  reichliclic 
Gelegenlieit  zum  Eingreifen  zu  geben,  auf  der  Oberfläche  von  Bierwürz- 
gelatine mit  10%  Traubenzucker  gezüchtet,  und  zwar  in  großen  zylin- 
drischen Flaschen  von  5  Litern  Inhalt,  auf  deren  Wänden  der  Nährboden 
in  dimner  Schicht  verteilt  war.  In  dem  Hals  der  Flasche  steckte  ein  Kaut- 
schukpfropfen, durch  dessen  Bohrungen  eine  längere  und  eine  kürzere 
Glasröhre  geführt  war.  Die  Flaschen  wurden  nach  Beschickung  mit  Hefe 
im  Wärmeschrank  bei  24^  aufgestellt  und  Luft,  die  von  Kohlensäure  be- 
freit und  mit  W^asser  gesättigt  war,  mittelst  eines  Gasometers  beständig 
hindurchgeleitet.  Hinter  dem  Kolben  wurde  ein  Trocken-  und  ein  Kohlen- 
säureabsorptionsapparat eingeschaltet  zur  Messung  der  Kohlensäure- 
produktion. Eine  zweite  ganz  gleich  behandelte  Kulturflasche  war  zum 
Auffangen  des  verdunsteten  Alkohols  mit  Wasservorlagen  versehen.  Bei 
Beendigung  des  Versuchs  —  nach  5  Tagen  —  wurden  die  Kulturen  ver- 
flüssigt und  der  darin  vorhandene  Alkohol  mit  Wasserdampf  auf  dem 
Sandbade  überdestilliert.  Die  Fltusche,  die  zur  Kohlensäureabsorption 
diente,  wurde  auch  zur  Bestimmimg  des  Hefegewiehts  benutzt.  Diese 
Anordnung  gestattete  also  eine  genaue  Feststellung  der  Kohlensäure,  de;? 
Alkohols  und  der  Hefemenge.  Zum  Vergleich  der  Wachstumsverhältnissc». 
die  bei  beschränktem  Sauerstoffzutritt  bestehen,  wurden  Erlenmeyerkolben 
mit  der  gleichen  Menge  lOprozentiger  Traubenzuckerbierwürze  (ohne  Gela- 
tine) und  der  gleichen  Aussaat  versehen,  während  der  Versuchszeit  ge- 
schlossen gehalten;  die  in  ihnen  gebildete  Kohlensäure  wurde  nachher 
durch  trockene  Luft  verdrängt  und  gewogen. 


1)  Annal.  chim.  et  phys.   1880. 

2)  Zeitschr.  f.  Biol.   37. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


717 


Das  Ergebnis  der  Versuche  war  folgendes: 

Tafel  A. 


Kohlen- 
säure 
in  g 

Alkohol 
in  g 

Hefe- 
gewicht 
in  g 

Verhältnis 

d.  Hefe  zum 

vergorenen 

ZuckerM 

Luft  wird  be- 

50 g  Gelatine 

4,9 

2,0 

0,61 

1  :  6,6 

ständig  durch-  ' 
geleitet 

100g        „ 
l200g 

7,8 
16,9 

4,4 
10,0 

0,87 
1,40 

1  :  10,0 
1  :  14,3 

Kolben  bleibt 

c^chlossen, 

Luftzutrittbe- 

seliränkt 

[  200  g  Flüssigkeit 
100  g 

l    50g 

14,4 

7,7 
3,9 

12,4 
6,7 
3,7 

0,75 
0,32 
0,09 

1  :  38,5 
1  :  42,6 
1  :  80 

Da  in  vorstehender  Tabelle  verschiedene  Mengen  von  Nährböden  an- 
iTHwandt  sind,  so  sind  die  absoluten  Zahlen  nicht  unmittelbitr  vergleich- 
bar, sie  werden  es,  wenn  sie  mit  4  (Zeile  1  und  6)  bzw.  mit  2  (Zeile  2  und  5) 
multipliziert  werden  (Taf.  B).  Außerdem  haben  wir  in  Taf.  B  noch  zwei 
neue  Spalten  hinzugefügt,  die  das  Verhältnis  der  Hefenernte  zu  dem  ver- 
schwundenen und  zu  dem  lu^prünglich  vorhandenen  Nährstoff,  also  den 
Verbrauchs-  und  Ausnützungskoeffizienten,  angeben*).    Wir  erhalten  dann: 

Tafel   B. 


Kohlen- 
säure 
in  g 


1. 

3. 
4. 

0. 

6. 


19,6 
15,6 
16,9 
14,4 
15,4 
15,6 


Alkohol 
in  g 


Hefe- 
gewicht 
in  g 


Verhältnis  der  Hefe 


zum  ver- 
gorenen 
Zucker 


zum  ver- 
brauchten 

Nähr- 
material 


zum  vor- 
handenen 

Nähr- 
material 


8,0 
8,8 
10,0 
12,4 
13,4 
14,8 


2,44 
1,74 
1,40 
0,75 
0,64 
0,36 


1 
1 
1 
1 
1 
1 


:  7                  1  : 

:  11 

1  :  20 

:  10               1  : 

14 

1  :  29 

:  14               1  : 

19 

1  :  36 

:  39               1  : 

40 

1  :  67 

:  43               1  : 

46 

1  :  78 

:  80               1  : 

81 

1  :  138 

1)  Der  vergorene  Zucker  wou'do  aus  dem  Alkoholgewicht  berechnet. 

2)  Leider  geben  B  u  c  h  n  e  r  und  R  a  p  p  diese  Zahlen  nicht.  Ich 
hal>e  den  Verbrauchskoeffizienten  berechnet,  indem  ich  zunächst  von  der 
8<*saniten  Kohlensäuremenge  (Spalte  1)  diejenigen  abgezogen  habe,  die 
^»ei  der  Gärung  neben  dem  Alkohol  entsteht  (Alkohol  :  Kohlensäm-e 
=  46,4  :  48,3  nach  Fasteurs  Bestimmung).  Wenn  man  annimmt, 
daß  sie  der  vollständigen  Verbrennung  des  Zuckers  entstammt,  so  würde 
man  aus  ihr  die  Menge  dieses  Zuckers  erhalten,  indem  man  mit  */,  multi- 
pliziert. In  diese  Zahl  wurde  dann  noch  die  Menge  der  Hefe  hineinge- 
rechnet. Das  Verhältnis  der  Hefemenge  zu  der  Simime  aus  vergorenem, 
oxydiertem  Zucker  und  Hefe  wurde  dann  als  Umsatz  betrachtet.  Die 
Hechnung  wurde  abgekürzt,  weil  ja  an  Genauigkeit  überhaupt  nicht  zu 


718  Kap.  Xni,   §  233. 

Das  Gesetz,  das  sich  aus  diesen  Zahlen  ergibt,  ist  nicht  zu  ver- 
kennen :  die  Alkoholmenge  steigt  langsam  auf  fast 
das  Doppelte,  während  das  Hefegewicht  schnell 
auf  den  siebenten  Teil  sinkt.  Daß  daran  die  fort- 
schreitende Anaerobiose  schuld  ist,  kann  kaum 
zweifelhaft  bleiben.  Der  Gegensatz  zwischen  den  Ergeb- 
nissen in  Versuch  1 — 3,  die  bei  Luftdurchleitung,  und  4 — 6,  die  in 
geschlossenen  Lufträumen  vorgenommen  wurden,  hegt  auf  der  Hand. 
Aber  auch  der  Unterschied  zwischen  Versuch  1,  2  und  3  erklärt  sich 
leicht,  wenn  man  bedenkt,  daß  in  Nr.  3  die  Nährbodenschicht,  die  von 
dem  Luftstrom  bestrichen  wurde,  am  dicksten,  in  Nr.  1  am  dünnsten 
war,  im  letzteren  die  Sauerstoffwirkung  also  auch  am  größten  sein 
mußte.  Die  Unterschiede  zwischen  Nr.  4 — 6  werden  sich  wesentlich 
auf  ähnhche  Weise  erklären.  Leider  ist  die  Größe  der  für  den  Versuch 
benutzten  geschlossenen  Kölbchen  nicht  von  den  Verfassern  angegeben 
worden,  wir  wissen  also  nicht,  wie  groß  in  jedem  Einzelversuch  die 
anfangs  der  Hefe  zur  Verfügung  stehende  Luftmenge  gewesen  ist. 
Jedenfalls  entspricht  der  Verbrauch  des  Nährbodens  durch  die  Hefe, 
der  nach  diesen  Beobachtungen  von  B  u  c  h  n  e  r  und  Kapp  zwischen 
1  :  11  und  1  :  81  schwankt,  je  nachdem  der  Sauerstoff  reichUchen 
oder  beschränkten  Zutritt  hatte,  ziemUch  gut  den  älteren  P  a  s  t  e  u  r  - 
sehen  Angaben.  Er  bestätigt  aber  auch  im  wesentüchen  die  Theorie, 
die  P  a  s  t  e  u  r  zur  Erklärung  dieses  Verhaltens  aufgestellt.  Nach 
P  a  s  t  e  u  r  wächst  die  Hefe  bei  Sauerstoffzutritt  üppig  wie  die  Schim- 
melpilze auf  Kosten  des  Traubenzuckers,  durch  dessen  vollständige 
Oxydation  sie  auch  die  nötige  Energie  gewinnt;  bei  Sauerstoff- 
mangel istdasWachstumein  langsames  und  die 
zum  Leben  nötige  Energie  kann  nicht  durch  Oxy- 
dation erzielt  werden,  sondern  nur  durch  Spal- 
tung des  Zuckers  in  Alkohol  und  Kohlensäure, 
mit  einem  Worte,  durch  die  Gärung.  Da  bei  der  Oxy- 
dation verhältnismäßig  viel,  bei  der  Gärung  wenig  Wärme  erzeugt 
wird,  muß  bei  aerober  Entwicklung  wenig,  bei  anaerober  viel  Zucker 
verbraucht  werden.  Das  bestätigt  Tafel  B.  Nur  lehrt  sie  allerdings, 
daß  entgegen  der  Ansicht  Pasteurs  auch  bei  aerobem 
Wachstum  der  Hefe  die  Gärung  nicht  völligfehlt. 


denken  ist.  Den  Ausnützungskoeffizienten  erhielt  ich,  indem  ich  die  Hefe- 
menge  der  Taf.  B  dividierte  durch  die  Summe  des  vermutlichen  Nähr- 
stoffgehalts der  Bierwürze  (15%)  +  10%  Traubenzucker  —  für  200  ccm 
Nährlösung  also  30  +  20  =  50  g.  Dabei  ließ  ich  des  Vergleichs  wegen 
die  Gelatine,  die  ja  von  der  Hefe  wenig  angegriffen  wird  und  wesentlich 
nur  als  Unterlage  dient,  unberücksichtigt. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  719 

Daher  haben  B  u  c  h  n  e  r  und  K  a  p  p  so  hohe  Verbrauchskoeffizienten 
wie  Pasteur  nie  erzielt.  Vielleiclit  hätten  sie  das  auch  noch  mög- 
lieh gemacht,  wenn  sie  die  Hefeknlturen  frühzeitiger  untersucht  hätten. 
Man  muß  ja  Pasteur  darin  recht  geben,  daß  schon  durch  eine 
dimne  Kulturschicht  der  Zutritt  von  Sauerstoff  erschwert  wird^). 

Die  Ausnützung  des  Nährbodens  durch  die  Hefe  im  Brauerei* 
gewerbe(§94)  läßt  sich  etwa  folgendermaßen  berechnen.  Es  werden 
auf  100  Liter  Würze  etwa  2,5  Liter  breiiger  Hefe  gewonnen.  Nehmen 
wir  einen  Trockengehalt  der  Würze  von  15%  und  der  Hefe  von  10% 
an,  so  wird  die  Ausnutzung  1  :  60  betragen.  Da  bei  der  Gärung  aber 
etwa  Vj  der  Nährstoffe  der  Würze  verbraucht  werden,  wird  der  Ver- 
brauchskoeffizient gleich  1  :  40.  Im  Großbetriebe  ähneln  also  die  Er- 
nährungsverhältnisse der  Hefe  denen  im  Versuch  4  obiger  Tafel  A 
und  B. 

In  wünßchenswerter  Weise  ergänzt  werden  diese  Erfahrungen 
durch  die  kalorimetrischen  Untersuchimgen  Rubners^) 
an  Hefe  (vgl.  §  237).  In  einem  seiner  Versuche  vermehrte  sich  die  offen- 
bar unter  beschränktem  Sauerstoffzutritt  in^  Bierwürze  wachsende 
Hefe  von  einem  Anfangs-N- Gewicht  von  2  mg  binnen  4  Tagen  bis  zu 
einem  Endgewicht  von  42  mg,  vergor  dabei  25,7  g  Maltose  und  er- 
zeugte 3787  Kai.  Man  wird  keinen  großen  Fehler  begehen,  wenn  man 
die  Emte^)  auf  420  mg  trockene  Hefe,  den  stofflichen  Verbrauchs- 
koeffizienten auf  0,42  :  25,7  ==  1  :  61  und,  da  der  Verbrennungswert 
der  Hefe  2370  Kai.  beträgt,  den  Wärme  verbrauchskoeffizienten  auf 
2370  :  3787  +  2370  =  1  :  2,6j  (38%)  berechnet.  Vier  ganz  ähnlich 
gestaltete  Versuche  Bubners  an  wachsender  Hefe,  die  sich  nur 
dadurch  unterschieden,  daß  das  Wachstum  wegen  des  ungleichen 
Gehalts  der  Nährlösungen  an  Bierwürze  mehr  oder  weniger  reichlich 
war,  hatten   entsprechende  Ergebnisse.    In  dem  ersten,  in  dem  das 


1)  Buchner  und  Kapp  haben  auffälligerweiso  auf  denjenigen 
ilirer  Versuche,  der  hier  besprochen  wurde,  wenig  Wert  gelegt,  obwohl  er 
ihnen  doch  hätte  nahelegen  müssen,  daß  die  Resultate  Faste  urs  gerade 
durch  ihn  eine  entschiedene  Bestätigung  erfahren.  In  anderen  Versuchen 
erhielten  sie  mittlere  Resultate,  die  etwa  denen  der  obigen  Nr.  3  luid  4 
entsprachen.  Andere  Autoren  wie  Pedersen  und  Hansen  (Compt. 
rend.  des  Carlsberg  Laboratoriums  Kopenhagen  I.  Bd.  1878  imd  1879), 
van  Laer  (Kochs  Jahresber.  1893.  137),  G  i  1 1  e  y  und  A  b  o  r  s  o  n 
(ebenda  1894,  119),  Beijerinck  (Zentr.  Bakt.  11.  73,  1892)  bestätigen 
übrigens  im  wesentlichen  die  Pasteur  sehe  Theorie  (vgl.  scheinbar 
entgegenstehende  Resultate  in   §  91). 

2)  Arch.  f.  Hyg.  49.  393,   1904. 

3)  Die  Ausnützimg  auf  den  Stickstoffgehalt  des  Nälirbodons  be- 
rechnet betrug  28%. 


720  Kap.  XIII,   !  233  u.  234. 

Wachstum  ein  üppiges  war  (172  mg  N  im  Trockengewicht),  betrug  der 
Verbrauchskoeffizient  an  Stoffen  1  :  54,  der  an  Wärme  1  :  23  (=  43%), 
in  dem  letzteren,  wo  nur  13  mg  N  an  Hefe  gewachsen  waren,  fiel  der 
Verbrauchskoeffizient  an  Stoffen  auf  1  :  141,  der  an  Wärme  auf 
1  :  4,5  (=  22%).  Das  bedeutet  also  zunächst,  daß  der  große 
Stoffverbrauch  bei  der  Alkoholgärung  mit  einem 
verhältnismäßig  weit  kleineren  Energiever- 
brauch einhergeht.  Insofern  war  das  ja  vorherzusehen, 
als  der  Zucker  durch  die  Gärung  nicht  völlig  verbraucht,  sondern  nur 
in  Bestandteile  von  zum  Teil  hoher  Verbrennungswärme  gespalten 
wird.  Zweitens  ergibt  sich,  daß  der  Stoff-  und  Wärme  ver- 
brauch bei  der  Alkoholgärung  verhältnismäßig 
um  so  höher  steigt,  je  geringer  das  Hefewachs- 
tum, je  stärker  die  Gärung  ist.  Ein  genauer  Ver- 
gleich des  Energieverbrauchs  bei  dem  aeroben  Wacjistum  der  Hefe- 
und  Schimmelpilze  ist  leider  nicht  möglich,  die  Zahlen  werden 
aber  wohl  in  demselben  Siime  sich  bewegen  (vgl.  S.  714),  da  dem 
geringeren  Stoffverbrauch  bei  den  letzteren  eine  um  so  reichlichere 
Wärmeentbindung  durch  die  vollständige  Verbrennung  der  Nähr- 
stoffe entspricht. 

Andere  kalorimetrische  Versuche  R  u  b  n  e  r  s  sind  deswegen  be- 
merkenswert, weil  hier  die  Hefe  in  großen  Mengen  auf  reine  Zucker- 
lösung ausgesät  wurde,  weswegen  sie  überhaupt  nicht  zum  Wachstum 
kam,  sondern  im  Gegenteil  an  Masse  ( Stickstoff gehalt)  um  15 — 50^o 
imd  an  Zahl  lebensfähiger  Individuen  bis  auf  wenige  Prozente  abnahm 
(S.  265  u.  266).  Trotzdem  wurde  starke  Gärung  imd  Wärmeentwick- 
lung erhalten  ralsoauchdienichtwachsendeHefever- 
braucht  große  Stoffmengen.  Man  wird  das  ihrem  (Jehalt 
an  fertiger  Zymase  zuschreiben  müssen.  Es  ist  sehr  wohl  möglich, 
daß  ähnliche  Verhältnisse  auch  in  Hefekulturen  eintreten,  sobald 
das  Wachstum  der  Hefe  zum  Stillstand  kommt.  Dadurch  wird  natür- 
lich der  Stoffverbrauch  und  die  Wärmeentwicklung  erhöht  ohne  Zu- 
nahme der  Ernte.  Aus  R  u  b  n  e  r  s  Versuchen  ist  zu  ersehen,  daß  von 
der  Hefe  zu  reiner  Zuckerlösung  etwa  dreimal  mehr,  als  in  zucker- 
haltiger Bierwürze  in  seinem  ersten  Versuch  gewachsen  war^), 
von  Anfang  an  zugesetzt  werden  mußte,  um  ebenso  viel  Gärungs- 
wärme zu  erzeugen,  denn  es  wurden  hier  auf  1  g  ursprüngliches  Hefe- 
trockengewicht etwa  2700  Kai.,  dort  auf  1  g  des  Trockengewichts  der 
Ernte  etwa  9000  Kalorien  entbunden. 


1)  Unter  der  Annahme,  daß  6  g  frischer  Hefe  1,25  g  trockener  ent- 
sprechen. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Krftftwechsel.  721 

§  234.    Stoff-  und  Eraf twechsel  aerober  Bakterien.    D  i  e 

Ausnutzung  der  Nährstoffe  durch  Bakterien 
erreicht  selten  einen  so  hohen  Grad,  wie  die 
durch  Schimmelpilze  (§  232).  Wahrscheinlich  liegt  das  zum 
Teil  daran,  daß  von  ihnen  gewöhnlich  Stoffwechselprodukte  gebildet 
werden,  die  ihnen  selbst  schädlich  sind  und  ihr  Wachstimi  frühzeitig 
zum  Stehen  bringen  (§  47).  Schon  der  Augenschein  lehrt  das  Über- 
gewicht, das  die  Pilze  in  dieser  Beziehung  haben.  Andererseits  kommt 
häufig  in  Betracht  das  Gärvermögen  vieler  Bakterien,  das  auf  die  Zer- 
setzung der  Nährstoffe  einen  ähnlichen  Einfluß  ausübt,  wie  wir  ihn 
bei  den  Hefepilzen  (§  233)  kennen  gelernt  haben.  Am  größten 
ist  noch  die  Ernte,  die  wir  bei  reinen  Aerobiern 
erhalten  ;  ausnahmsweise  groß  soll  sie  bei  den  „Eiweißbakterien" 
Gerlachs  und  Vogels^)  sein.  Ihnen  genügten  z.  B.  0,5 g  Zucker, 
um  den  Stickstoff  von  0,3  g  Natriumnitrat  in  unlöslichen  „Eiweiß- 
stickstoff"*) umzuwandeln.  Nehmen  wir  an,  daß  sie  dabei  auch  den 
sämtUchen  Zucker  verbrauchten  und  daß  ihr  Körper  im  wesentlichen 
aus  Eiweiß  bestand  so  hätten  wir  eine  Bakterienernte  von 
ca.  0,3  g,  also  einen  Verbrauchs-  und  Ausnutzungskoeffizienten  von 
0,3: 0,5  +  0,3  =  ca.  40Vo>  d.  h.  sogar  eine  bessere  Ausnutzung  als  wir 
sie  gewöhnlich  bei  den  Schimmelpilzen  sehen.  Die  Energieberechnung 
zeigt  aber,  daß  hier  ein  Fehler  vorliegen  muß,  da  der  wenige  nicht  zum 
Aufbau  des  Eiweißes  unmittelbar  verbrauchte  Zucker  bei  seiner  Ver- 
brennung nicht  genügende  Wärme  entwickelt,  um  die  chemische  Arbeit, 
die  bei  dem  Aufbau  des  Eiweißes  und  bei  der  Reduktion  des  Nitrats 
geleistet  wird,  aufzubringen.  Weit  geringere  Zahlen  erhält  man  in  der 
Tat  bei  anderen  aeroben  Bakterien.  So  bestimmte  Kappes^)  die  Aus- 
nutzung seines  Nährbodens,  der  einschließlich  l,5yo  Agar  4yQ  Trocken- 
substanz enthielt,  bei  Bac.  xerosis  imd  Bac.  prodigiosus  und  gleichzeitig 
bei  dem  Soorpilze  (einer  Hefeart)  zu  0,33  ^/^  also,  wenn  wir  den  Agar 
selbst  als  unangreifbar  unberücksichtigt  lassen,  zu  etwa  10 — 14:^0  der 
trockenen  Nährstoffe.  Gramer*)  fand  dagegen  für  den  Bazillus  derPncu- 


1)  Vgl.  unsere  &itik  S.  615. 

2)  Bestimmt  durch  Vergleich  des  Stickstoffgehalts  der  Kultur  vor 
und  nach  dem  Filtrieren  durch  ein  Porzellanfilter. 

3)  Analyse  der  Massenkulturon  einiger  Spaltpilze  usw.  Dissertation 
Leipzig  1890. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  16.  170.  Gramer  macht  keine  ausdrücklichen 
Angaben.  Aber  aus  der  Tabelle  VIII  auf  S.  188  seiner  Arbeit  ersieht  man, 
daß  er  auf  90  ccm  Bouillon  17 — 36  mg  Stickstoff  in  der  Bakteriensubstanz 
fand.  Da  der  N- Gehalt  der  Cholera  vi  brionen  ca.  10%  beträgt  imd  die 
Trockensubstanz  der  Sodabouillon  auf  ca.  3%  angenommen  werden  kann, 
80  erhält  man  die  Zahlen  im  Text.    Andere  Angaben  C  r  a  m  e  r  s  scheinen 

Kruse,  Mikrobiologie.  46 


722 


Kap.  Xin,   §  234. 


monie,  des  ßhinoskleroms,  den  Pfeifferschen  Eapselbazillus  und  ein 
Wasserbakterium,  sämtlich  üppig  wachsende  Mikroorganismen,  auf  der 
Oberfläche  von  Nähragar,  der  3 — S^q  Trockensubstanz  enthielt,  eine 
Ausnützimg  von  nur  4,4 — 7,^^/q,  für  den  Choleravibrio  in  Bouillon 
mit  SYq  Trockengehalt  zwar  eine  solche  von  6 — 12Vq^),  aber  auf  der 
Uschinskylösimg  (mit  6^0  Trockensubstanz)   sogar  nur  IVoo*)- 

Eigene  Versuche  mit  Ruhr-  und  anderen  Bazillen  zeigten  mir,  daB 
sich  auf  Agarplatten  mit  50  ccm  Nähragar  höchstens  4 — 500  mg  Leibes-, 
d.  h.  80 — 100  g  trockene  Substanz  bilden.  Die  Ausnutzung  beschränkt 
sich  auf  etwa  4°/o-  B^i  freiem  Sauerstoffzutritt  zu  Bouillonkulturen  (in 
ganz  flachen  Schichten)  ergaben  sich  ähnliche  Zahlen,  bei  mangel- 
haftem (in  ßöhrchen)  zehnmal  weniger  (vgl.  S.  132). 

Um  die  Bakterien  aus  dem  flüssigen  Nährboden  zu  gewinnen, 
wurden  teils  die  auf  ihrer  Oberfläche  befindlichen  Häutchen  benutzt, 
teils  das  Zentrifugensediment,  teils  der  Niederschlag,  der  durch  essig- 
saures Eisen  (B  u  b  n  e  r  ^))  oder  Kochen  mit  Essigsäure  erzeugt  war. 

Mit  Hilfe  der  Eisenfällung,  an  die  er  dann  aber  Stickstoff-  und 
Schwefelbestimmungen  anschloß,  untersuchte  auch  R  u  b  n  e  r  *)  die 
Ausnützung  der  Nährböden  durch  ein  in  Fleischextrakt  besonders 
gut  wachsendes  Bakterium  (Proteus).  Nach  8  tägiger  Kultur  bei  36° 
fand  er  die  Ausnützung  (in  Prozenten): 


Bei 

Bei 

Bei 

Bei 

lOOf  acher 

60 f acher 

25 f acher 

12,5  fach. 

Konzen- 

Konzen- 

Konzen- 

Konzen- 

tration 
38,95 

tration 
28,95 

tration 

tration 

des  Schwefels 

29,28 

10,80 

lOOfache  Konz. 

des  Stickstoffs 

15,29 

12,07 

8,00 

5,60 

-  6%  Fleisch- 
eztrakt. 

Daraus  wäre  zu  schließen,  daß  die  Ausbeute  nicht  bloß  ab- 
solut, sondern  auch  relativ  mit  der  Konzentra- 
tion der  Nährlösung  stiege.    FreiUch  erweckt  die  Bestim- 


ihnen  zu  widersprechen,  so  führt  die  Berechnung  der  Zahlen  aus  Tab.  III 
zu  einer  A\isnutziing  von  20 — 25%.  Hier  muß  ein  Druckfehler  vorliegen 
oder  Verstellung  des  Kommas.  Auch  die  Bemerkung  auf  S.  188,  daß  fast 
aller  N  des  Nährmaterials  als  Eiweißstickstoff  in  den  Bakterien  sich  finde. 
ist  nicht  verständlich,  da  die  Ausnutzung  des  N  durch  die  Bf^terien  nach 
der  Tab.  III  nur  10—25%  beträgt. 

1)  Arch.  f.  Hyg.  22.   180,   1895. 

2)  600 — 700  mg  Bakterientrockensubstanz  auf  10  Liter  Nährlösung. 

3)  Arch.  f.  Hyg.   48,   1904. 

4)  Ebenda  57^  161,   1906. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


723 


mungsmetliode  der  Ernte,  namentliclL  was  den  Stickstoffgehalt  angeht, 
erhebliche  Zweifel.  Es  werden  nämlich  außer  den  Bakterien  auch  noch 
andere  stickstoffhaltige  Bestandteile  der  Lösung  gefällt.  B  u  b  n  e  r 
sieht  sich  deswegen  genötigt,  an  den  unmittelbar  bestimmten  Werten 
Korrekturen  von  20 — ^70%  anzubringen.^  Man  wird  das  Ergebnis  um 
so  vorsichtiger  benutzen,  als  R  a  u  1  i  n  bei  Schimmelpilzen  durchaus 
abweichende  Ergebnisse  erhielt  (S.  709). 

Derselben  Methode  der  Eisenfällung  bediente  sich  Nawiasky^), 
um  die  Ernte  einer  Keihe  von  aeroben  (und  anaeroben)  Bakterien  in 
Peptonbouillon  zu  ermitteln,  während  er  deren  Zersetzung  bzw.  Verbrauch 
durch  Bestimmung  des  Ammoniaks,  der  Aminosäuren,  des  Rest-Stick- 
Stoffs,  der  Albumosen  und  Peptone  festzustellen  suchte  (vgl.  S.  514).  Ver- 
braucht*) wurden  auf  1mg  mittlerer  Ernte  an  Nahrimgsstickstoff  in  mg: 


Vibrio 

B.  alca- 

B.  mesen- 

Bac. 

Finkler 

li  genes 

tericus 

protena 

in  den  ersten  10  Tagen 

0,62 

1,99 

8,64 

21,98 

in  den  zweiten  10  Tagen  . 

0,53 

1,41 

1,29 

5,61 

in  den  dritten  10  Tagen  . 

0 

3,06 

Geemtet  wurden  in  mg 

Stickstoff 

der  Baktei 

rienleiber: 

in  der  ersten  Periode  .     . 

112 

20 

57 

23 

in  der  zweiten  Periode 

187 

30 

101 

36 

in  der  dritten  Periode .     . 

132 

30 

40 

38 

Gesamtstickstoff  der  Nahnmg 

793 

507 

793 

793 

Man  sieht  daraus,  daß  der  Vibrio  Finkler,  der  die  größte  Ernte  gibt 
(24%  Stickstoff  ausnützung!),  verhältnismäßig  weitaus  am  wenigsten 
stickstoffhaltigen  Materials  verbraucht,  der  Proteus,  der  fast  die  ge- 
ringste Ernte  gibt  (4,8%),  die  größte  Menge  davon  verbraucht.  Wahr- 
scheinlich entnimmt  der  Vibrio  die  zum  Leben  nötige  Energie  der 
Oxydation  von  meist  stickstoffarmen  Nahrungsstoffen,  der  Proteus 
der  Gärung  des  Eiweißes.  Daß  in  der  Tat  durch  Vergärung  von 
Aminosäuren  viel  Wärme  frei  wird,  hat  Nawiasky  an  anderem 
Orte  gezeigt  (§  237). 

Eine   Bilanz   für   den    Stoffwechsel   des     Staphylococcus 
pyogenes    suchte     Riemer^)    neuerdings   dadurch    zu   geben. 


1)  Arch.  f.  Hyg.  64,  1908. 

2)  Die  Berechnung  des  Verbrauchs  ist  nicht  klar. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  71,  1909.    Vgl.  S.  621. 


46* 


724  Kap.  Xin,   §  234. 

daß  er  die  Ernte  mit  der  Kohlensäure-   und  zum  Teil  mit  der 
Ammoniakbildung    verglich.     Als  Nährboden  diente  Pepton- 
bouillon  in  großen  Kolben.    Die  Ernte  wurde  ähnlich  wie  in  den  Ver- 
suchen von    A  r  n  a  u  d    und    C  h  a  r  r  i  n  (s.  u.)  durch  Bestimmung 
des  Stickstoffgehaltes  der  Kultur  vor  und  nach  der  Filtration  ermittelt, 
leider  aber  nur  am  Schluß  der  viele  Wochen  dauernden  Züchtuiig. 
Ebenso  wurde  nur  am  Schluß  das  Ammoniak  durch  Destillation  be- 
stimmt, die  Kohlensäure  dagegen  durch  fortlaufende  (tägliche)  Unter- 
suchung des   kräftigen   Luftstroms,    der  durch  die  Kultur 
strich.  In  dem  einen,  am  besten  studierten  Versuch,  der  74  Tage  dauerte, 
wurden  185  mg  Stickstoff  in  8,25  g  frischer  Bakterienmasse  geemt^t 
oder  etwa  18%  des  in  dem  Pepton  geUeferten  Stickstoffs  bzw.  Eiweißes. 
Außerdem  wurden  wiedergefunden  als  neugebildetes  Ammoniak  537  mg 
oder  39,5%  des  Peptonstickstoffs  und  6718  mg  Kohlensäure  oder  47,6% 
des  Peptonkohlenstoffs.    Dieser  Überschuß  der  Kohlensäure  über  das 
Ammoniak  beweist  wohl,  daß  andere  stickstoffärmere  Körper  außer 
dem  Pepton  noch  zur  Verfügung  gestanden  haben.    Bemerkens- 
wert    sind     die     Veränderungen     der     täglichen 
Kohlensäureausscheidung,    die   die   Verfasser  in  Form 
von  Kurven  niederlegten.     Im  allgemeinen  stiegen  diese  schnell  an, 
blieben  dann  eine  kurze  Zeit  auf  der  Höhe,  um  langsam  wieder  abzu- 
fallen.   Dabei  kamen  aber  im  einzelnen  große  Schwankungen  vor,  für 
die  auch  die  sehr  unregelmäßigen  Ergebnisse  der  hin  und  wieder  vor- 
genommenen Keimzählungen  keine  Erklänmg  bieten.    Zu  bedauern  ist 
auch,  daß  nicht  öfter  Ernte-  und  Ammoniakbestimmungen  vorgenommen 
worden  sind.  Im  großen  und  ganzen  bekommt  man  den  Eindruck,  als  ob 
Wachstums-  und  Absterbungsvorgänge  mehrfach  abgewechselt  hätten^). 
Nicht  nur  die  Ausnützung  der  Nährböden  nach  der  Seite  des  Stick- 
und  Kohlenstoffs,  sondern  den  ganzen  Stoffwechsel  bestimmten  Al- 
na u  d    und    Charrin^)    schon  vor  längerer  Zeit  für  den    B a c. 
pyocyaneus  in  einer  Nährlösung,  die  außer  Salzen  5  V^q  Asparagin 
als  einzige  Stickstoff-  und  Kohlenstoffquelle  enthielt.    Die  Bakterien- 
emte,  die  allerdings  nur  aus  dem  Trockengehalt  der  Kultur  vor  und 
nach   der  Filtration   durch   ein  Chamberlandfilter  bestimmt  wurde^), 


1)  S.  auch  die  Ammoniakkiu*ven  und  Zählungen,  die  Berghaus 
(Arch.  f.  Hyp.  64,  vgl.  auch  S.  514)  für  einige  andere  Bakterien  gibt,  und 
über  periodisches  Wachstum   §  36. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  112.  755  und  1157,  1891.    Vgl.  S.  526  u.  675. 

3)  Die  Methode  scheint  für  diesen  Nährboden  einigermaßen  einwand- 
frei, wenn  das  Filter  gut  ausgewaschen  wird.  Doch  geht  dabei  vielleicht 
auch  ein  Teil  der  Bakterien  Substanz  in  Lösung.  Der  Wert  der  Arbeit  von 
A  r  n  a  u  d  und  Charrin  wird  leider  dadurch  herabgesetzt,  daß  sie 
unzulängliche   Angaben   über  ihre  Methodik  machen. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  725 

betrug  auf  den  Liter  410 — 670  mg,  das  ergibt  also  eine  Ausnutzung 
des  Nährbodens  von  ca.  8 — 13%.    Sämtliches  Asparagin  wurde  binnen 
U  Tagen  verbraucht,  der  Verbrauchskoeffizient  stimmt  daher  mit  dem 
Ausnützungskoeffizienten  überein.     Eine  nähere  Untersuchung  ergab, 
daß  von  dem   Kohlenstoffe   des  Asparagins  13,8%  sich  in  den 
Bakterien  wiederfanden,  während  72,5%  als  Kohlensäure  abgeschieden 
und  13,5%  in  nicht  flüchtigen  Produkten  des  Stoffwechsels  —  aus  der 
Differenz  bestimmt  —  festgelegt  waren.     Von  dem    Stickstoff 
des  Asparagins  gingen  4,66%  in  den  Zellkörper  der  Bakterien  über, 
^M%  in  nicht  flüchtige  Stoff  Wechselprodukte  imd  91%  in  Ammoniak- 
Verbindungen  und  zwar  teils  direkt  (50%),  teils  auf  dem  Umwege  über 
die  Asparaginsäure  (41%).  Die  gesamte  Sauerstoffaufnahme,  die 
dabei  seitens  der  Kultur  stattfand,  schätzen  die  Forscher  auf  P/2 — 2  Liter. 
Das  wären    also  2 — ^2,8  g  oder  etwa  das  Fünffache   des  Bakterien- 
gewichts. Man  ersieht  daraus,  daß  nicht  nur  die  Ausnutzung  beträchtlich 
geringer,  sondern  auch  der  Stoffverbrauch  bei  diesen  aeroben  Bakterien 
ein  erheblich  größerer  ist  als  bei  den  Schimmelpilzen  unter  günstigsten 
Umständen  (S.  714).  Der  Wärmewert  der  verbrauchten  Stoffe  läßt  sich 
zwar  nicht  genau  angeben,  aber  schätzen.    Nehmen  wir  an,  daß  auf  ein 
Liter  500  mg  Bakterien  geerntet  und  75  %  des  Asparagins  völlig  ver- 
braucht seien,  so  beträgt  der  Gesamtumsatz  in  Kai.  ausgerechnet  etwa 
9375^)  +  2250^)  =  11625  Kai.  und  der  thermische  Verbrauchskoeffizient 
ungefähr  19%.    Auch  dieser  Wert  bleibt  erheblich  unter  demjenigen, 
den  wir  bei  aeroben  Pilzen  fanden. 

Eine  so  genaue  Stoffwechselbilanz  wie  für  den  Pyocyaneus 
besitzen  wir  mit  Ausnahme  des  stickstoffbindenden  Azotobacters  (§  235) 
kaum  von  anderen  aeroben  Bakterien.  Die  Gasanalysen  H  e  s  s  e  s 
(S.  675)  scheinen  freilich  darauf  zu  deuten,  daß  der  Gesamtverbrauch 
im  allgemeinen  im  ähnlichen  Verhältnis  zur  Ernte  steht.  BemerkenE- 
wert  sind  aber  die  in  einem  Gegensatz  zueinander  stehenden  Ergebnisse, 
die  Tangl  und  Rubner  bei  ihren  Bestimmungen  der  Verbren- 
nungswärmenerhielten.Tangl^)  fand  bei  drei  in  l%Peptonbouillon  ge- 
züchteten Bakterienarten  in  der  kalorimetrischen  Bombe  f  olgendeVerluste 
(Verbrauch)  an  Energie  in  %  der  im  Nährboden  ursprünglich  enthaltenen : 

nach  7  Tagen  nach  14  Tagen  nach  27  Tagen 
Bac.  anthracis     .     .     .    6,1%                     8,5%  29,8% 

suipestifer    .     .     .    9,1%  10,2%  25,9% 

subtilis    ....  16,2%  19,9%  23,7% 


1)  Vgl.  die  Zahlen  auf  S.  695. 

2)  Rubner   (Arch.  f.  Hyg.  48,  268)  bestimmte  die  Verbrennungs- 
wärme von   1  g  trockener  Bakterien  auf  durchschnittlich   4500  Kai. 

3)  Pflügers  Archiv  98,  1903. 


726  Kap.  Xni,   §  234. 

Leider  fehlt  hier  eine  Bestimmung  der  Ernte.  Diese  wurden  in  einer 
anderen  Versuchsreihe  zugleich  mit  einer  Feststellung  des  Trocken- 
substanzverlustes nachgeholt.  Es  fanden  sich  nach  20  tagiger 
Kultur  im  ganzen: 

Trockensubstanzverlust       Energieverlust 

Bac.  anthracis ........      5,6%  8,3% 

„     suipestifer 24,0%  21,8% 

„     subtilis 25,1%  19,9%. 

Nach  Durchgang  von  100  ccm  durch  Kieselgurfilter  wurden  im  Filtrat 
erhalten^) : 

Trockensubstanzverlust       Energieverlust 

Bac.  anthracis 13,9%  16,2% 

„     suipestifer 27,4%  31,1% 

„     subtiüs 31,2%  31,6% 

Wenn  wir  das  auf  und  im  Filter  Zurückgebliebene  als  Bakterienemte 
betrachten,  berechnen  wir  daraus  für  die  stofflichen  und  thermischen 
Ausnützimgs-  und  Verbrauchskoeffizienten: 


Bac.  anthracis    . 
suipestifer  . 


>> 


>> 


subtiUs 


Ausnützung 
der 


Trocken- 
substanz 


8,3% 
3.4% 
6.1% 


der 
Energie 


Verbrauch 


an 
Trocken- 
substanz 


7,9% 
9.3% 

11.7% 


59,7% 
12,40/0 
19,6o/o 


an 
Energie 


Verbren- 

nungH- 

wänne 

von  1  g 

Bakterien 


48,4% 
29,90/^ 
37,00/^ 


4250  Kai 
4040    „ 
i4650    „ 


Ein  anderer  Versuch  muß  fehlerhaft  gewesen  sein,  denn  er  führte  zu 
unmöglichen  Verbrennungswärmen  der  Bakterienleiber. 

R  u  b  n  e  r  2)  bestimmte  in  einer  zweiten  Arbeit  wieder  unter 
Benützung  seiner  Eisenfällungsmethode  außer  dem  Stickstoffgehalt 
auch  die  Verbrennungswärme  in  der  Ernte  und  den  Besten  der  Kultur- 
flüssigkeit und  erhielt  dabei  an  einer  (anderen)  Art  von  Proteus 
nach  Züchtung  bei  36°  in  500  ccm  6%  Fleischextraktlösung  folgende 
Werte: 


1)  Aus  den  absoluten  Zahlen  von  mir  berechnet. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  57.   193,   1906. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel. 


727 


N-Emte 

Kalorien- 

Thermische 

Verbrauch*) 

Thernuscher 

Tage 

(absolut) 

emte 

Aus- 
nutzung^) 

in  Kai. 

Verbrauchs- 
koeffizient 

10 

124  mg 

3,01  Kai.») 

3,440/0 

12,32  Kal.^ 

19,6% 

16 

95    „ 

2,62      „ 

2,99% 

16,51      „ 

15,8% 

23 

106    „ 

3,28     „ 

3,75% 

22,81      „ 

12,5% 

31 

85   „ 

3,18     „ 

3,63% 

22,16     „ 

12,6% 

33 

111    „ 

4,21     „ 

4,81% 

23,22     „ 

15,40/0 

Man  kann  daraus  vielleicht  entnehmen,  daß  das  Bakterienwachs- 
tum schon  nach  10  Tagen  seinen  Höhepunkt  er- 
reicht hat,  der  Verbrauch  an  Stoffen  aber  noch 
bis  zum  23.  Tage  anhielt,  um  dann  erst  zum  Stillstand  zu 
kommen.  Daß  ähnliche  Verhältnisse  für  die  Versuche  T  a  n  g  1  s  gälten, 
wäre  möglich.  Und  die  Gasanalysen  H  e  s  s  e  s  (s.  o.)  sprechen  auch 
dafür,  ebenso  die  Befunde  K  a  y  s  e  r  s  bei  der  Milchsäuregärung 
(§  235).  Es  ist  allerdings  nicht  ausgeschlossen,  daß  in  der  späteren 
Zeit  trotz  Absterbe-  und  Auflösungsvorgängen  noch  ein  gewisses 
Wachstum  besteht  (§  36).  Leider  gibt  ßubner  keine  Zahlen  für 
die  in  jeder  Periode  lebenden  Bakterien. 

In  einigen  ähnlichen  Versuchen,  die  bei  14,5®  ausgeführt  wurden, 
hielten  Wachstum  und  Verbrauch  bis  zu  37  Tagen  an,  blieben  aber 
auch  zum  Schluß  noch  erheblich  hinter  den  vorigen  zurück.  Der  Ver- 
brauchskoeffizient schwankte  unregelmäßig  von  19,9 — ^25,9,  war  also 
nur  wenig  höher.  Dagegen  war  zwar  die  Ausnützung 
sehr  niedrig,  aber  der  K  alorien  verbrauch  ver- 
hältnismäßig hoch,  wenn  das  Wachstum  durch 
stärkere   Alkalisierung   verschlechtert   wurde. 

Entsprechende  Versuche  mit  anderen  Bakterienarten  in  demselben 
Nährboden  ergaben  für  den  Pyocyaneus,  ein  thermophiles 
Bakterium  (bei  56**),  den  B.  coli,  von  denen  namentlich  der 
erstere  gut  wuchs,  Verbrauchskoeffizienten  von  25 — 30%,  für  Cho- 
lera, Typhus,  Diphtherie,  die  schlechter  gediehen,  solche 
von  12 — 17%.  Es  scheint  also  wirklich,  wie  wir  es  auch  an  den  Schimmel- 
und  Hefepilzen  sahen,  die  Regel  zu  gelten,  daß   der   Verbrauch 


1)  Von  mir  nach  den  absoluten  Zahlen  berechnet.  Die  Ausnützung 
des  Trockensubstanzgehalts  berechnet  sich  auf  4 — 5%  (vgl.  oben  bei 
T  a  n  g  1) ,  die  des  Stickstoffs  auf  etwas  weniger. 

2)  Der  Stickstoff  verbrauch  betrug  (durch  reichliche  Ammoniak- 
bildung) mehr  als  33%. 

3)  Große  Kalorien. 


728  Kap.  XIII,   §  234  u.  235. 

an  Stoffen  und  Energie  verhältnismäßig  um  so 
größer  wird,  je  mangelhafter  das  Wachstum  ist. 
So  würden  wir  es  auch  verstehen,  daß  die  Zahlen  T  a  n  g  1  s  für  den- 
selben Koeffizienten  bei  dem  Bac.  anthracis  viel  höher  waren;  in 
der  Tat  gab  er  erhebliche  größere  Einten.  Die  Koeffizienten  für  den 
Wärmeverbrauch  erreichten  dabei  Werte,  wie  wir  sie  oben  für  Schimmel- 
und  Sprossenpilze  gefimden  haben.  Die  Ausnutzung  bleibt  allerdings 
auch  bei  den  Bakterien  immer  noch  viel  niedriger  als  bei  den  Pilzen. 
Es  müssen  sich  also,  wie  schon  oben  bemerkt,  bei  den  ersteren  während 
des  Wachstums  stärkere  Hemmungen  entwickeln. 

R  u  b  n  e  r  hat  versucht,  den  Energieumsatz  der  Bak- 
terien auf  den  Tag  und  je  lg  der  mittleren  X- 
E  r  n  t  e  ^)  zu  berechnen  und  kommt  dabei  zu  Zahlen,  die  von  15 — 60 
(großen)  Kalorien  schwanken  und  für  die  pathogenen  am  größten  sind. 
Daß  letzteres  aber  nur  ein  Zufall  ist  und  sich  nur  durch  das  künunerliche 
Wachstum  in  dem  von  ihm  benutzten  Nährboden  erklärt,  folgt  auch 
aus  den  Zahlen,  die  R  u  b  n  e  r  selbst  aus  den  T  a  n  g  1  sehen  Ver- 
suchen berechnet.  Hiernach  ständen  die  pathogenen  Keime  der  Milz- 
brandbazillen mit  4  Kai.  am  untersten  Ende  der  Reihe,  dann  folgte 
der  Subtilis  mit  6,9  imd  der  Schweinepestbazillus  mit  8,4  Kai.  Wir 
kommen  damit  schon  den  Werten  nahe,  die  R  u  b  n  e  r  für  den  kind- 
lichen Organismus  ermittelt  hat  (3  Kai.).  Beim  Erwachsenen  sinkt  er  auf 
1  Kai.  und  bei  Kaltblütern  sogar  auf  die  Hälfte  davon,  während  er  bei 
kleinen  Warmblütern  (Mäusen  imd  Sperlingen)  umgekehrt  auf  15 — l7Kal. 
steigt,   also  sich  dem  der   R üb ner sehen  Bakterien  wieder  nähert. 

§  235.  Stoff-  und  Kraftwechsel  bei  gärungerregendeii 
Bakterien.  Auch  für  die  Gärungserreger  unter  den  Bakterien  hegen 
einige  Stoffwechselbilanzen  vor. 

K  a  y  s  e  r  ^)  hat  auf  verschiedene  Weise  versucht,  die  Bakterien- 
ernte bei  der  Milchsäuregärimg  zu  bestimmen.  Zunächst  dadurch,  daß 
er  nach  Beendigung  der  Gärung  die  Kulturen  (in  peptonisierter  Milch) 
durch  ein  kleines  Chamberlandfilter  schickte  imd  den  Bakterienabsatz 
nach  gründlicher  Entfettung  mit  der  Menge  der  erzeugten  Säure  ver- 
glich.   Es  fand  sich,  daß 

1  g  des  Bakteriums  1  27,5  g  Säure, 
lg»  „  P  18,5  g 

erzeugt  hatten.     Die  Säure  bestand  im  wesentüchen  aus  Milchsäure, 
ihre  Menge  entspricht  also  wohl  annähernd  dem  vergorenen  Zucker. 

1)  d.  h.  der   durchschnittlich  während  der  Emahrungsversuche  vor- 
handenen Bakteriensubstanz. 

2)  Annal.  Fast.   1894.   763  ff. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  729 

In  einem  zweiten  Versuch,  in  dem  Bakterien  verwandt  wurden,  die 
schon  durch  Filtrierpapier  zurückgehalten  wurden,  ergaben  sich  für 

1  g  des  Bakteriums  n  16,5  g  Säure, 
lg»  »  o  15,9  g      „ 

Ganz  abweichend  fiel  dagegen  ein  dritter  Versuch  aus,  in  dem  nicht 
nur  die  erzeugte  Säure,  sondern  auch  der  Zuckerverbrauch  direkt  be- 
stimmt, und  der  bei  Sauerstoffzutritt  und  -abschluß  ausgeführt  wurde. 
Es  fanden  sich  im  ersten  Fall  auf 

1  g  des  Bakteriums  n  4,6  g  Säure  und  6,4  g  Zuckerverbrauch, 

bei  Sauerstoff  abschluß  auf: 

1  g  desselben  Bakteriums  3,5  g  Säure  und  5,2  g  Zuckerverbrauch. 

Das  sind  so  niedrige  Zahlen,  daß  man  geneigt  ist,  an  Druck-  oder 
Rechenfehler  zu  denken.  Ein  letzter  Versuch  K  a  y  s  e  r  s  gibt  Auf- 
schluß über  den  Einfluß  des  Alters  der  Kultur  auf 
die  Bakterienernte  und  die  Intensität  der  Gärung.  Es  fanden 
sich  in  gleichen  Teilen  (250 — 300  ccm)  der  durch  Bakterium  m  ver- 
gorenen Bierwürze 

nach    3  Tagen  ein   Bakteriengewicht  von  0,342  g  xmd  3,674  Säure, 
„    12     „  „  „  „     0,303  g    „     6,316     „ 

„    45     „  „  „  „    0,322  g   „     7,576     „ 

Die  Vergärung  ging  hier  beständig  weiter,  wäh- 
rend das  Bakteriengewicht  schon  nach  3  Tagen 
seinen  Höhepunkt  erreicht  hatte  und  von  da  an 
ziemlich  gleich  blieb.  Der  Verbrauchskoeffizient  (aus  Milch- 
säure +  Ernte  bestimmt)  sank  also  mit  dem  Alter  der  Kultur  sehr  erheb- 
lich, nämlich  von  1: 11,8  auf  1:  24,5.  Man  kann  sich  das  wieder  (vgl. 
S.  727)  entweder  so  erklären,  daß  das  gärende  Prinzip  in  den  Zellen 
nach  Abschluß  des  Wachstums  erst  allmähUch  zur  Geltung  kam,  oder 
daß  der  Stillstand  des  Wachstums  nur  ein  scheinbarer  war,  xmd  in 
Wirklichkeit  ebenso  viel  alte  Zellen  zugiunde  gingen,  als  neue  gebildet 
wurden.  Gleichzeitig  stieg  übrigens,  wie  wir  schon  auf  S.  60  berichtet, 
der  Stickstoffgehalt  der  Milchsäurebakterien  von  9,4  auf  11,8  und  11,5. 
Der  Eraftwechsel  der  Milchsäurebakterien  Heße  sich  ungefähr 
bestimmen,  wenn  man  die  Milchsäuregärung  ak  die  wesentliche  Energie- 
quelle ansehen  dürfte.  Das  scheint  aber  nach  den  B  u  b  n  e  r  sehen 
Feststellungen  (§  237),  die  er  freihch  auf  einem  etwas  anderen  Nähr- 
boden (Milch)  erhielt,  nicht  berechtigt  zu  sein.  Vielmehr  würde  kaum 
die  Hälfte  des  kalorimetrisch  ermittelten  Wärmeverlusts  durch  die  Gä- 
rung gedeckt  werden.  Verdoppeln  wir  daher  die  Gärungswärme  des 
Milchzuckers  (130  Eal.  nach  Berthelot)  und  rechnen  durchschnittUch 


730  I^p.  XIII,   §  235. 

20  g  Milchsäure  auf  1  g  Bakterien,  so  hätten  wir  einen  Umsatz  von 
4500  +  2  X  130  X  20  =  9700  Kai.  und  einen  thermischen  Verbrauchs- 
koeffizienten von  4500:  9700=  46,4%,  d.  h.  auch  wieder  wie  bei  der 
Alkoholgärung  einen  verhältnismäßig  geringenEner- 
gieverbrauch   auf  einen  hohen  S  t  off  ve  r  brauch^). 

X)ber  die  Ausnutzung  des  Nährbodens  durch  den  Bazillus  der 
Mannitgärung  machten  G  a  y  o  n  und  D  u  b  o  u  r  g  (vgl.  S.  398) 
eine  kurze  Angabe.  Sie  fanden  auf  100  g  verbrauchter  Glykose  2,3  g 
Bakterientrockensubstanz.  Die  Ernte  verhielt  sich  also  zum  Yerbraach 
wie  1 :  44,  ähnlich  wie  wir  es  bei  der  Hefe  unter  mittleren  Belüftungs- 
bedingungen gefunden  haben  (§  233).  Die  Ausnützung  des  Nährbodens 
ist  hier  wie  bei  der  Milchsäuregärung  recht  gering. 

Aus  einem  liter  Würze  von  11  Saccharimetergraden  erhielt  B  e  i  j  e- 
r  i  n  c  k  (vgl.  S.  352  u.  371)  6  g  trockene  Substanz  seines  anaeroben 
Granulobacter  butylicum.  Allerdings  wird  nicht  gesagt,  ob  die  gesamte 
Zuckermenge  verbraucht  worden  war.  Nehmen  wir  das  an,  so  hätten 
wir  eine  Ausnützung  von  1 :  18,  wie  sie  bei  der  Hefe  nur  unter  kräftigerer 
Lüftung  zu  erzielen  wäre.  Dabei  macht  Beijerinck  allerdings  die 
Bemerkung,  daß  die  Nährlösung  durch  die  Bakterien  stark  schleimig 
geworden  war  imd  der  Stickstoffgehalt  des  Bakterienleibes  nur  4% 
betrug,  ein  Zeichen,  daß  ein  großer  Teil  des  Zuckers  zu  Bakterienschleim 
umgewandelt,  also  nicht  der  Butylalkoholgärung  verfallen  war. 

Über  den  Stoffaufbau  und  Verbrauch  durch  die  Nitritbak- 
terien teilt  Winogradsky  einiges  mit  (S.  602).  Sie  sollen  auf 
je  1  mg  Kohlenstoff^)  neugebildeter  Leibessubstanz  43  mg  Ammoniak 
zu  salpetriger  Säure  oxydieren.  Nehmen  wir  den  Kohlenstoffgehalt 
ihres  Körpers  auf  50%  an,  so  hätten  wir,  da  noch  einige  Milligramm  für 
die  assimilierte  Kohlensäure  hinzukommen,  einen  Koeffizienten  für 
den  Stoffverbrauch  von  1 :  23  =  4,4%.  Noch  viel  niedriger  scheint  er 
bei  den  Nitratbakterien  zu  sein.  In  beiden  Fällen  ist  auch  der 
Energieverbrauch  sehr  erhebUch;  so  kommen  bei  den  Nitritbakterien 
auf  jedes  Gramm  Bakterien  43  x  4,6  große  Kalorien.  Der  Verbrauchs- 
quotient ist  also  4,5  :  197,8  +  4,5  =  2,2%.  Man  sieht  also,  daß  d  i  e 
Bakterien,  die  ihren  Kohlenstoff  aus  der  Koh- 
lensäure aufbauen,  dazu  unverhältnismäßig  viel 
Energie  aufwenden,  d.  h.  Wärme  entwickeln 
müssen.  Das  absolut  genommene  spärliche  Wachstum  hindert  aber 
den  unmittelbaren  Nachweis  der  entbundenen  Wärme. 


1)  Über    ähnliche  Untersuchungen    bei    einem    anderen  Milchsäure- 
bakterium  (B.   aerogenes)  s.  u.   S.   732,  bei  H  a  a  c  k  e. 

2)  Bestimmt  nach  dem   Verfahren  von  Wolff,   Degener  und 
Herzfeld  durch  Verbrennung  mit  Schwefelsäure  und  Kaliumbichromat. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoffr  und  Kraftwechsel. 


731 


Ganz  gewaltig  ist  der  Stoff-  und  Energieverbrauch  bei  den  H  a  r  n  - 

Stoffbakterien.     Nach  Miquel  (§  195)  setzt  1  Gewichtsteil 

des  Urobacillus  Duclauxii   4000   Gewichtsteile  Harnstoff  um.      Die 

außerdem  noch  verbrauchten  Stoffe  kommen  daneben  natürhch  nicht 

in  Betracht.     Der  Verbrauch  an  Energie  berechnet  sich  danach  auf 

4000  X  0,23  große  Kalorien  und  der  Quotient  auf  4,5 :  920  +  4,5  = 

0,5^^      Die  Wärmemessung   im    R  u  b  n  e  r  sehen    Kalorimeter   hat 

freilich  für  faulenden  Harn  eine  ziemlich  geringe  Wärmebildung  ergeben 

(§  237).    Man  könnte  das  wieder  durch  die  geringe  Ausnützung,  die 

absolut  sehr  kleine  Ernte  (s.  u.)  erklären.    Außerdem  gibt  es  aber  auch 

Hamstoffbakterien  von  geringerer  Gärkraft. 

Für  die  Harnstoffbakterien  besitzen  wir  außerdem  einige  leider 
jichwer  zu  verwertende  Angaben  von  Burchard  *).  Der  Verfasser 
findet,  daß  1000  Individuen  seines  Micrococcus  ureae  liquefaclens  in  Harn 
gezüchtet  innerhalb  der  ersten  drei  Tage  durchschnittlich  0,00003 — 0,0002  mg 
in  der  Stunde  zerlegen  und  schätzt  daneu;h  auf  Grundlage  der  Angabe 
von  N  ä  g  e  1  i  ,  daß  30  Billionen  trockene  luid  6  Billionen  feuchte  Spalt- 
pilze auf  1  g  entfallen,  das  Zersetzungsvermögen  von  1  g  des  Mikrokokkus 
im  feuchten  Zustande  auf  180 — 1200  g  Harnstoff.  Mir  scheint  diese  Rech- 
nung, wenn  sie  auch  ziifällig  mit  den  oben  erwähnten  Zahlen  M  i  q  u  e  1  s 
übereinstimmt,  nicht  genügend  gegründet.  Wenn  Burchard  wirklich 
den  Microc.  ureae  liquefaciens  in  Händen  hatte,  so  kommen  von  ihm, 
da  er  fast  2  ji  im  Durchmesser  mißt,  nur  etwa  Ve  Billionen  auf  1  g,  also 
36  mal  weniger  als  der  Autor  anninunt,  oder,  auf  das  Trockengewicht  be- 
reehnet,  6  mal  weniger.  Wir  hätten  also  ca.  eineBillion  trockener 
Bakterien  im  Gramm  mit  einem  Z  e  r  s  e  t  z  un  g  s  v  e  r - 
mögen  von  30 — 200  g  Harnstoff  stündlich.  Dabei  hat 
Burchard  die  nicht  sicher  begründete  Voraussetzimg  gemacht,  daß 
die  Bakterien  sich  in  geometrischer  Progression  vermehren.  Für  kleinere 
Zeiträume  mag  das  zutreffen,  sehr  fraglich  ist  es  aber,  ob  es  für  längere, 
wie  z.  B.  für  3  Tage  gilt  ( §  36).  Wir  ziehen  für  unsere  Zwecke  eine  andere 
Berechnung  vor.  In  zwei  Versuchen  Burchards,  die  übrigens  recht 
ungleich  ausfielen,  fanden  sich  folgende  Verhältnisse: 


Anzahl  der  Keime 
in  ccm*) 

nach 


zu  Beginn 


72  Stunden 


Harnstoff 
zersetzt  bin- 
nen 72  Stun- 
den in  ccm 


Bemerkungen 


Versuch  I . 


V'ereuch  II 


15  531 


59  613 


42  720  720 


2  072  971 


1,78  mg 


5,0 


tf 


Unverdünnter  Harn 
mit  1,345%  Harn- 
stoff 

Ebensoich.  m.  2,149% 
Harnstoff  u.  etwas 
phosphorsaiu-er  Ma- 
gnesia. 


1)  Arch.  f.  Hyg.  36. 

2)  Leider  fehlen  Zählungen  der  Keime  in  der  Zwischenzeit  von  0  bis 
72  Stunden. 


732 


Kap.  XIII,    §  236. 


Stimmt  die  Voraussetzung,  die  wir  oben  bezüglich  der  Größe  des  Mikro- 
kokkus  gemacht  haben,  so  haben  wir  nach  Ablauf  von  3  Tagen: 


Trockengewi  cht 
der  Bakterien 


im  ccm 


Zersetzte  Harn- 
stoffmenge 


Verbrauchs- 
Koeffizient 


Ausnützungs- 
Koeffizient 


I. 
II. 


0,043  mg 
0,002    „ 


1,78  mg 
5,0 


»> 


1  :  41 
1  :  2500 


1  :  320 

1  :  11000 


Mit  anderen  Worten,  die  in  3  Tagen  zu  1  g  herange- 
wachsene trockene  Bakteriensubstanz  des  Mikro- 
kokkus  hat  41  — 2500  g  Harnstoff  zerlegt.  Wahrscheinlich 
ist  die  letztere  Zahl  zu  h  o  c  h  und  nur  dadurch  verursacht,  daß  die  Kultur 
in  Versuch  II  schon  längst  den  Höhepunkt  ihrer  Entwicklung  hinter  sicli 
hatte.  Der  Zersetzungsprozeß  schreitet  andererseits  hier  wie  sonst  oft  genug 
auch  nach  dem  Zugrundegehen  der  Bakterien  lebhaft  weiter,  so  daß  in 
Versuch  I  die  Menge  des  zerlegten  Harnstoffs  nach  einigen  Tagen  die 
doppelte,  in  Versuch  II  sogar  die  2  ^  fache  Höhe  erreichte,  wälirend  die 
Zählplatten  überhaupt  steril  blieben.  Obige  Ziffern  erscheinen  dadurch 
um  ebensoviel  zu  niedrig. 

H  a  a  c  k  e  ^)  kommt  auf  ähnlichem  Wege  wie  Burchard  zu  dem 
Schluß,  daß  1000  Keime  des  Bac.  aerogenes*)  innerhalb  der  ersten  3  Tage 
stündlich  0,00001 — 0,00838  mg  Milchzucker  zersetzen.  Schon  diese  ge- 
waltigen Unterschiede,  die  in  der  Versuchsanordnung  keine  Begründung 
finden,  zeigen  aber  die  Unwalirscheinlichkeit  der  Voraussetzungen,  auf  die 
die  Rechnung  gegründet  ist.  Einige  Versuche  stimmen  besser  miteinander 
überein  und  führen  zu  den  mittleren  Zahlen  0,0001  — 0,00022  mg.  H  a  a  c  k  e 
hat  auch  den  Versuch  gemacht,  die  Bakterienmenge,  die  auf  1  g  kommt, 
durch  direkte  Zählimg  festzustellen.  Er  fand  nur  ca.  18  Milliarden  im  Gramm 
feuchter  Substanz.  Das  ist  selbst,  wenn  man  annimmt,  daß  reichliche 
Mengen  von  Schleim  in  den  Bakterien  gebildet  worden  seien,  sehr  wenig. 
Der  Größe  der  Bakterien  und  unseren  eigenen  Erfahrungen  nach  wären 
20 — 50 mal  melir  zu  erwarten.  Gesetzt  es  wären  aber  nur  180  Milliarden, 
so  hätten  wir  in  1  g  trockener  Substanz  ca.  1  Billion  Bakterien,  die  imstande 
wären,  stündlich  100 — 220  g  Milchzucker  zu  zersetzen.  Auch  hier  ziehen 
wir  eine  andere  Rechnung  vor.    H  a  a  c  k  e  stellte  fest: 


Anzahl  der  Keime 
in  ccm 

nach 


zu  Beginn 


72  Stunden 


Milchzucker 
zersetzt 

nach  72  Std. 
in  ccm 


Bemerkungen 


Versuch  III 
Versuch  IV 


10  010 
10  010 


300  600  300 
40  080  040 


12,40  mg 
9,98 


ff 


Molke  mit  3,4%Milch- 
Zucker  tuid  Pe- 
pton 


1)  Arch.  f.  Hyg.  42. 

2)  Die  vom  Autor  angeführten  Eigenschaften  stimmen  mit  der 
üblichen  Beschreibung  überein,  nur  soll  die  Gramfärbung  positiv  aus- 
gefallen sein.  Das  spricht  für  eine  Verunreinigung  mit  Strept.  lacticus 
(s.    §  97). 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  iind  Kraftwechsel. 


733 


Wir  haben  dann  nach  unserer  Annahme: 


Trockengewi  cht 
der  Bakterien 

izQ  CCtQ 


III. 
IV. 


0,3    mg 
0,04 


j> 


Zersetzter  Milch- 
zucker im  ccm 


Verbrauchs- 
Koeffizient 


Ausnützungs- 
Koeffizient 


12,4  mg 
10,0 


)» 


1  :  41 
1  :  250 


1  :  147 
1  :  1100 


Mit  anderen  Worten:  die  in  3  Tagen  zu  1  g  (trocken) 
herangewachsene  Bakteriensubstanz  des  Bac.  aero- 
genes  hat  41  — 250  g  Milchzucker  zerlegt.  Nimmt  man  einen 
späteren  Zeitpunkt  zum  Ausgang  der  Berechnimg,  so  ändert  sich  der  Ver- 
brauchskoeffizient im  Versuch  III  sehr  wenig,  denn  einer  3  fachen  Zunahme 
des  Milchzuckerverbrauches  entspricht  bis  zum  12.  Tage  ein  ähnlich  ge- 
steigertes Wachstum  der  Bakterien  (a.  a.  O.  S.  30).  Im  Versuch  IV  wächst 
in  derselben  Zeit  der  Verbrauch  an  Milchzucker  auch  auf  das  Dreifache, 
gleichzeitig  steigert  sich  aber  die  Bakterienzahl  auf  d€is  50  fache.  Der  Ver- 
brauchskoeffizient nähert  sich  daher  hier  demjenigen  des  Versuchs  III. 
Selbstverständlich  steigt  dabei  auch  die  Ausnützung  erheblich,  so  daß 
die  Koeffizienten  für  Verbrauch  imd  Ausnützung  am  Ende  des  Versuchs 
fast  gleich  werden.  Die  Zahl  1:40  dürfte  also  unter  den 
Voraussetzungen,  diewirfür  das  Bakteriengewicht 
gemacht  haben,  den  Verbrauch  des  Nährbodens 
durch  den  Bac.   aerogenes  am  besten  wiedergeben^). 

Auch  die  den  freien  Stickstoff  assimilierenden  Bakterien  ver- 
brattchen  unverhältnismäßig  viel  Stoff  und  Kraft  dabei.  Nach  S  t  o  - 
k  1  a  s  a  8  ausführliclier  Arbeit  (S.  632)  verschwinden  wenigstens  in  den 
Kulturen  des  Azotobacter  chrooeoccum  auf  jedes  Gramm 
neugebildeten  Stickstoffs,  d.  h.  imgefähr  auf  je  10  g  der  durch  Eisen- 
fällung bestimmten  Leibessubstanz  99 — 224  g  Traubenzucker.  Wenn 
nun  auch  ein  Teil  des  Zuckers  zu  Zwischenprodukten  (Essigsäure, 
Buttersäure,  Ameisensäure,  Milchsäure,  Alkohol)  zerfällt,  so  wird  doch 
der  größte  Teil  volltsändig  zu  Kohlensäure  und  Wasser  verbrannt. 
Damit  stimmten  auch  die  direkt  durch  Lüftungsversuche  festge- 
stellten Kohlensäuremengen  Stoklasas  und  ebenso  die  K r a i n s  - 
kis  ungefähr  überein  (a.  a.  0.).  Der  zur  Verbrennung  nötige  Sauer- 
stoff ist  natürlich  sehr  bedeutend,  wurde  aber  nicht  unmittelbar  be- 
stimmt. 

Für  eine  andere  aerobe  Gärung,  die  der  Essigbakterien, 
gilt  das  Gesagte  in  noch  höherem  Grade.  Duclaux  (S.  430)  gibt 
dafür  folgende  Rechnung,  die  sich  auf  Versuchsergebnisse  Pasteurs 


1)  Vgl.  die  Milchsäurebakterien  K  a  y  s  e  r  s  S.  728.  Nähme  man 
mit  Haacke  eine  10 fach  größere  Zahl  für  das  Bakteriengewicht  an, 
w  stiegen  die  Koeffizienten  auf  1  :  4,  eine  für  Bakterien  und  namentlich 
^äixingserreger  ganz  ungewöhnliche  Höhe. 


734  Kap.  Xni,   S  235  u.  236. 

stützt:  die  Essigbakterien  bilden  nämlich  auf  einem  Quadratmeter 
Oberflächenknltur  nur  etwa  0,5  g  Leibessubstanz,  verbrauchen  aber 
gleichzeitig  165  mal  soviel  Luftsauerstoff  und  verbrennen  damit  240mal 
soviel  Alkohol  zu  Essigsäure.  Das  ergibt,  weil  die  Verbrennung  des 
Alkohols  zu  Essigsäure  2,5  große  Kalorien  entwickelt,  einen  Wärme- 
verbrauch von  600  Kalorien  auf  jedes  Gramm  Bakterien,  also  einen 
Quotienten  von  4,5 :  604,5  =  0,75%.  In  der  Essigfabrikation  wird 
die  Wärmeentbindung  in  der  Tat  sehr  fühlbar. 

Für  die  Schwefel-  und  schwefelwasserstoffoxydierenden  Mikrobien 
(§  208  ff.)  liegen  keine  Emtebestimmungen  vor.  Wahrscheinlich  ist 
aber  der  Stoff-  und  Kraftverbrauch  ein  ähnlicher. — Genaue  quantitative 
Untersuchungen  über  den  Verbrauch  der  Nährstoffe  durch  Mikroorga- 
nismen, die  peptonisierende  ebenso  wie  diastatische 
und  andere  hydroljrtische  Enzyme  bilden,  haben  wir  leider  nicht.  Wahr- 
scheinlich würde  man  recht  hohe  Zahlen  finden,  da  ja  diese  Enzyme 
sehr  bedeutende  Stoffmengen  umwandeln  können.  Ein  ungefähres 
Bild  davon  kann  man  sich  machen,  wenn  man  bedenkt,  wie  schnell 
manche  Bakterien  ein  (Jelatineröhrchen,  das  etwa  1  g  Leim  enthält, 
verflüssigen.  Wenige,  höchstens  Dutzende  von  Milligrammen  mögen 
dazu  genügen.  Das  gleiche  gilt  von  dem  Vermögen,  Eiweißstoffe  ge- 
rinnen zu  machen.  Energetisch  betrachtet  spielen  beide  Arten  von 
Vorgängen,  die  verflüssigenden  wie  die  koagulierenden,  keine  erhebUche 
Rolle  (§  228  u.  228  b).  Man  kann  freihch  auch  bei  ihnen  kaum  von 
einem  „Verbrauch"  der  Nährstoffe  sprechen.  Im  Gegenteil  werden  sie  ja 
durch  die  „Verdauungsenzyme"  zur  Emähnmg  brauchbarer. 

Anders  wird  das  erst,  wenn  tiefere  Spaltungen  der 
Nährstoffe  eintreten.  Beispiele  für  die  der  Kohlenhydrate  haben  wir 
schon  bei  den  Milchsäurebakterien  erwähnt  (s.  o.  S.  728),  solche  für  die 
Eiweißstoffe  im  §  234,  als  wir  von  dem  Stoff-  und  Kraftwechsel  des 
Proteus  sprachen.  In  der  Tat  handelt  es  sich  auch  bei  diesen  Bak- 
terien, wie  die  ähnlichen  Ergebnisse  zeigen,  wesentlich  um  Gärungen, 
nicht  um  die  gewöhnlichen  Oxydationen  von  Aerobiern. 

Im  vorstehenden  haben  wir  es  bald  mit  der  Zersetzung  stickstoff- 
haltiger, bald  mit  der  Stickstoff  loser  Nahrungsmittel  zu  tun  gehabt. 
Grundsätzliche  Unterschiede  bestehen  nicht  in  dem  Verbrauch  der 
einen  wie  der  anderen,  solange  sie  den  wesentlichen  Teil  der  Nahrung 
bilden,  also  gleichzeitig  Bau-  und  Betriebsstoffe  zu  liefern  haben. 
Anders  dagegen,  wenn  neben  der  Stickstoffsubstanz  gleichzeitig  große 
Mengen  leicht  zersetzlicher,  stickstoffreier  Nahrung  zur  Verfügung 
stehen,  dann  wird  von  der  ersteren  gewöhnlich  nur  soviel  verbraucht, 
wie  zum  Aufbau  des  Körpers  und  zum  Ersatz  der  unbedeutenden  Stick- 
stoffausgaben für  die  sog.   Hilfsstoffe  der  Zellen   (Fermente,   Gifte, 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  735 

Farbstoffe  §  68),  die  teilweise  als  Sekrete  nach  außen  verloren 
gehen,  erforderlich  ist,  während  der  größte  Teil  des  Stoffverbrauchs 
auf  die  stickstoffreie  Nahrung  fällt.  Weitere  Angaben  über  die 
gegenseitige  Vertretung  der  Nährstoffe  und  ihre  Auswahl  durch  die 
Mikroorganismen  haben  wir  in  §  58  gemacht. 

Zur  Ausnützung  der  Mineralstoffe  des  Nährbodens  durch 
die  Mikroorganismen  haben  wir  auf  S.  88  einiges  beigebracht. 

§  236.  Zusammenfassendes  über  die  Stoff-  and  Kraft- 
wechselbilanz der  Kleinwesen.  Aus  den  Erörterungen  der  §  232 — 
235  e^bt  sich,  daß  die  stoffliche  Ausnützung  des  Nährbodens,  wie  sie 
den  Schimmelpilzen  eigen  ist,  nur  von  wenigen  anderen  Mikroorganis- 
men erreicht  wird,  daß  nach  ihnen  viele  aerob  wachsende  Bakterien 
und  an  letzter  Stelle  die  Gärungserreger  unter  den  Bakterien  und 
Piken  kommen.  Da  das  Leben  bei  Sauerstoffabschluß  die  Gärfähigkeit 
\ieler  Organismen  bedingt  oder  wenigstens  steigert,  so  ist  die  Aus- 
nutzung der  Nährböden  größer  und  geringer,  je  nachdem  sie  unter 
aeroben  oder  anaeroben  Bedingungen  leben.  Die  Menge  der  zur 
Verfügung  stehenden  Nahrung,  d.  h.  die  Dichte  der  Nährstoffe  steigert 
nur  bis  zu  einer  gewissen  Grenze  die  Ausnützung.  Wir  können  in  dieser 
wie  in  anderen  Beziehungen  von  einer  für  die  Ausnützung  günstigsten 
Beschaffenheit  des  Nährbodens  sprechen.  Unter  solchen 
günstigsten  Bedingungen,  aber  wie  gesagt,  wohl  nur  bei  Schimmel- 
piken, scheint  der  Ausnützungskoeffizient  bei  Ernährung  mit  Fett 
oder  Alkohol  50%,  bei  anderer  30%  kaum  zu  überschreiten.  Bei  Bak- 
terien werden  solche  Zahlen  aber  nicht  im  entferntesten  erreicht;  10% 
ist  hier  schon  sehr  viel. 

Der  Verbrauch  an  Stoffen  zu  andern  Zwecken 
als  zum  Zellenaufbau  steht  im  allgemeinen  im 
umgekehrten  Verhältnis  zu  der  Ausnutzung,  oder 
anders  ausgedrückt,  der  ökonomische  oder  Verbrauchskoeffizient  (S.709) 
geht  mit  dem  Ausnützungskoeffizienten  ziemlich  parallel.  Während 
die  Schimmelpilze  im  besten  Falle  nur  1—2  mal  mehr  Nahrungsstoffe 
zu  ihremLeben  bedürfen,  als  in  ihremKörper  enthalten  sind,  verbrauchen 
schon  aerobe  Bakterien  etwa  10  mal,  Gärungserreger  100  und  selbst 
lOOOmal  mehr. 

Die  Erklärung  dieser  Erscheinungen  liegt  zum  Teil  offenbar  in 
den  Energieverhältnissen.  Bei  Aerobier.n  wächst  die  Aus- 
beute ziemlich  regelmäßig  mit  dem  Verbrennungs- 
wert der  Nahrungsstoffe,  die  Anaerobier  bzw. 
die  Gärungserreger  verbrauchen  weit  mehr 
Nahrung,    weil    durch    die    Gärung    viel    weniger 


736  Kap.  XIII,   §  236  u.  237. 

Energie  gewonnen  wird  als  durch   (vollständige) 
Oxydation   der   Nährstoffe.    Ein  anderer  Teil  der  Unter- 
schiede liegt  aber  in  der  Eigenart   der  Kleinwesen •    der 
Stoffwechselprozesse,  die  sie  erzeugen,  begründet. 
Schimmelpilze,  aerob  wachsende  Hefe  und  Milzbrandbazillen  speichern 
in  ihrem  Körper  etwa  50%  der  im  ganzen  umgesetzten  Energie  auf, 
die  Bakterien  der  Milchsäuregärung  etwa  ebensoviel,  gärende  Hefe  und 
Bac.  subtilis  37 — 38%,   der  streng  aerobe  Bac.  pyocyaneus  und  der 
fakultativ  anaerobe  Bac.  proteus  19 — ^20%,  die  Harnstoff-,  Essig-  und 
Nitritbakterien  aber  nur  0,5 — 2%\     Eine  Erklärung  dafür  zu  geben, 
sind  wir  vorläufig  außerstande.     Jedenfalls  fällt  der  zum  Aufbau  der 
Zellsubstanz  nötige  Energiebedarf,  wie  wir  in  §  229 — 231  sahen,  rein 
rechnerisch  betrachtet,   unter  keinen  Umständen  irgendwie   ins    Ge- 
wicht gegenüber  dem  tatsächlich  gefundenen  Energieverbrauch,  und 
es  ist  wohl  noch  sehr  zweifelhaft,  ob  der  mehrfach  in  unsem  Erörte- 
rungen festgestellte  Umstand,  daß  der   Stoff-  und  Kraftver- 
brauch   verhältnismäßig    um    so    größer   wird,    je 
spärlicher    das    Wachstum    der    Kleinwesen    ist*), 
uns  eine  zumedenstellende  Lösung  des  Rätsels  bietet.   Wir  müssen  uns 
zunächst  mit  der  Tatsache  zufrieden  geben,  daß  die  zum  Betrieb  nötige 
(§  35)  Energie   der  Klein wesen  gegenüber  der   zum  Aufbau  nötigen 
sehr  schwankende  Werte  besitzt  und  die  letztere  stets  erheblich  übertrifft. 

§  237.  Kraftleistungen  der  Kleinwesen.  Wärmeentwick- 
lung 2).   Der  Stoffwechsel  befähigt  die  kleinsten  wie' andere  Lebewesen 
zu  Kraftleistungen.    Über  eine  andere  Quelle  von  solchen,  wie  etwa  die 
grünen   Pflanzen   sie   im   Sonnenlichte   besitzen,   verfügen   sie  nicht, 
vielleicht  mit  Ausnahme  der  Purpur-  und  „grünen"  Bakterien  (§  200 
und  253).     Die   im  Stoffwechsel  zur  Geltung  kommende  chemische 
Energie  muß  also  nicht  nur  die  Kosten  der   chemischen  Ver- 
änderungen,   seien  sie  nun  zersetzender  oder  aufbauender  Art, 
tragen,  sondern  sich  auch  in  andere  Formen  von  Energie  ver^'andeln. 
Zu    den  mechanischen  Kraftleistungen  gehören  die    Eigen-    und 
Wachstumsbewegungen  ^),     Erscheinungen    der     Stoff- 

1 )  Es  erinnert  das  an  die  Beziehungen,  die  zwischen  Wärmeerzeugung 
und  Oberflächenausdehnung  bei  höheren  Tieren  bestehen.  Hierbei  ist  die 
Wärmeabgabe  nach  außen  entscheidend.  Selbstverständlich  ist  auch  die 
Wärmeabgabe  bei  den  weniger  sparsam  arbeitenden  Bakterien  größer 
als  bei  den  übrigen  Kleinw^esen  ( §  237),  aber  das  kann  doch  bei  diesen  poikilo- 
thermen  Wesen  kaum  die  Ursache  der  mangelnden  Sparsamkeit  sein. 

2)  Vgl.  hierzu  Pfeffer,  Studien  zur  Energetik,  1892;  Pflanzen- 
physiologie 2.  Aufl.  2.  Bd.  Kap.  15  u.  16,  1904;  Ostwald,  Grundr. 
allgem.  Chem.   3.  Aufl.  247,   1899. 

3)  Vgl.    §  36,  46  u.  56. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  737 

aufnähme  in  die,  und  der  Stoffausscheidung  aus  den 
Zellen,  der  durch  Gasentwicklung  gelieferte,  unter  Um- 
ständen recht  beträchtliche  Druck,  der  sich  bei  Gärungen  in  ge- 
schlossenen Gefäßen  z.  B.  in  deren  Zertrümmerung  äußern  kann,  zu 
den  nicht  mechanischen  außer  der  chemischen  Arbeit  die  Licht- 
entwicklung  (§  238)  und  Wärmeabgabe.  Bisher  fehlt  es 
an  einer  genaueren  Abschätzung  dieser  energetischen  Faktoren, 
wahrscheinlich  stehen  aber  alle  übrigen  hinter 
der  Wärme  erheblich  zurück.  Dies  Verhältnis  gilt 
bekanntlich  nicht  nur  bei  unseren  künstlichen,  durch  Ver- 
brennung betriebenen  Maschinen,  sondern  auch  im  Leben  der 
Tiere,  während  es  bei  den  grünen  Pflanzen  nur  für  einzelne  Fälle 
g^ichert  ist. 

Die  Kraftleistungen  der  Krankheitserreger  gehen  nur 
scheinbar  über  die  der  übrigen  hinaus.  Allerdings  sind  die  mechanischen 
Wirkungen,  die  durch  wenige  Wundstarrkrampf  bazillen, 
die  thermischen,  die  durch  alle  fiebererregenden  Keime  her- 
vorgerufen werden,  im  Verhältnis  zu  den  Massen  der  Erreger,  ganz 
gewaltige.  L^nd  noch  großartiger  stellt  sich  jede  Epidemie  nament- 
lich durch  ihre  zerstörenden  Leistungen  unserem  Auge  dar. 
Werden  doch  durch  sie  nicht  bloß  an  Tausenden  imd  Abertausenden 
von  Kranken  ähnUche  E^aftäußerungen  bewirkt,  sondern  auch  ebenso 
viele  lebendige  Kraftmtischinen  zeitweise  oder  auf  die  Dauer  zum  teil- 
weisen oder  völligen  Stillstand  gebracht.  Es  handelt  sich  aber  hier, 
wie  man  leicht  einsieht,  nicht  um  unmittelbare  Kraftwirkungen  der 
Mikroorganismen,  die  durch  ihren  Stoffwechsel  im  lebenden  Nährboden 
verursacht  wären,  sondern  um  Auslösungserscheinungen 
an  eben  diesen  lebendigen  Maschinen,  die  wir  auf  mehr  oder  weniger 
in  die  Feme  wirkende  „Gifte"  (Kap.  XVI)  „Angriffs-"  und  „Reizstoffe" 
(Kap.  XVII)  zurückführen  (vgl.  §  51  u.  68).  j 

Daß  große  Wärmemengen  durch  Mikrobentätigkeit  entvrickelt 
werden  können,  ist  aus  der  Gärungsindustrie  (Alkoholgärung  §  94 — 96, 
Kssiggärung  §  135)  längst  bekannt.  Auch  die  „Selbsterhitzimg"  des 
Tabaks,  Heus,  Mistes  usw.  auf  Temperaturen  bis  zu  70®,  und  deren 
Selbstentzündung  hat  man  in  ähnlicher  Weise  erklären  wollen  (§  157), 
aber  nicht  inuner  mit  Recht,  da  hier  ebenso  wie  in  der  keimenden 
Gerste  und  in  den  Blütenkolben  von  Arum  die  Wärme  durch  Enzyme 
der  Pflanzenzellen  selbst  erzeugt  werden  könnte. 

Während  der  Nachweis  der  Temperaturerhöhung  in  diesen  Bei- 
spielen durch  die  massenhafte  Anhäufung  der  mikrobienhaltigen  Stoffe 
begünstigt  wird,  kann  man  ihn  bei  Verwendung  der  üblichen  Kultur- 
mengen durch  besonders  feine  Thermometer  oder  durch  Mittel,  die 

Krose,  Mikrobiologie.  47 


738  Kap.  XIII,   §  237. 

die  Wärmeabgabe  nach  außen  herabsetzen,  ermöglichen.    E  r  i  k  s  o  n  M 
ging  so  vor,  daß  er  die  Kugel  eines  Thermometers  mit  Filtrierpapier 
umwickelte,  das  mit  Nährlösung  getränkt  und  mit  Hefe  beimpft  war. 
Es  zeigte  sich,  daß  in  einer  Wasserstoffatmosphäre,  wo  das  Wachstum 
der  Hefe  nur  gering  ist,  die  Temperatur  um  0,2®,  bei  Luftzutritt  aber 
um  1,2  oder  gar  3,9°  stieg,  je  nachdem  genügender  Zucker  zersetzt  war 
oder  nicht.    R  u  b  n  e  r  s  Kalorimeter*)  besteht  aus  einem  langhalsigen 
Glaskolben   von    300  ccm  Inhalt,   der  durch  zwei  luftleer  gemachte 
Hüllen  von  Glas  isoUert  ist,  und  dessen  Temperaturen  an  einem  sehr 
empfindlichen,  den  Stopfen  des  Gefäßes  durchbohrenden  Thermometer 
abgelesen  werden.     Das  Instrument  läßt  sich  eichen  und  zur  genauen 
Messung   der   von   beliebigen   Mikroorganismen   entwickelten    Wärme 
benutzen').    R  u  b  n  e  r  *)  hat  mit  seiner  Hilfe  einige  vorläufige  Unter- 
suchungen von   Faulflüssigkeiten    angestellt.     Die  Temperaturkurven 
in  einem  mit   faulendem   Harn   geimpften  frischen  Menschen- 
ham  zeigten  z.  B.  nach  einer  Inkubationszeit  von  einem  halben  Tage 
einen  Anstieg  von  etwas  mehr  als  0,P  und  dann  einen  allmählichen 
Abfall  bis  zum  Ende  des  dritten  Tages,  im  ganzen  also  nur  eine  im 
Verhältnis  zu  der  Leistungsfähigkeit  der  Hamstoffbakterien  (S.  731) 
geringe  Wärmeentwicklung.   Pferdeharn,  Dünger,  Jauche 
erwärmten  sich  dagegen  sehr  schnell  um  1,2^,  kühlten  sich  ebenso  schnell 
wieder  auf  0,2^  ab  und  hatten  nach  einer  weiteren  vorübergehenden 
Erwärmung  erst  am  8.  Tage  wieder  die  normale  Temperatur.     Ira 
faulenden  Fleischsaft  stieg  die  Temperatur  bis  zum  2.  Tage 
um  0,2**  und  sank  dann  bis  zum  8.  Tage.    Kotaufschwemmungen 
(1:3)  brauchten  meist   1 — 2  Tage,  um  sich  merklich  zu  erwärmen, 
erreichten  daim  Temperaturen  von  0,2 — ^0,4**,  die  sie  längere  Zeit  fest- 
hielten.      Offenbar    bestehen    hier    zunächst    Wachstumshemmungen 
(S.  136),  die  dann  aber  verwickelten  Zersetzungen  Platz  machen.   Leider 
gab   R  u  b  n  e  r   in  dieser  Arbeit  keine  ähnlichen  Versuche  mit  Bein- 
kulturen wieder,  sondern  begnügte  sich,  die  Wärmeentwicklung  von 
Bakterien,   die   in   großen   Massen   in   Nährlösungen   aufgeschwenunt 
waren,   festzustellen,   weil  er  so  schnellere  Anstiege  im  Kalorimeter 
erhielt.     Das  hat  den  Nachteil,  daß  man  im  Unklaren  bleibt,  ob  die 
Wärme  überhaupt  beim  Wachstum  der  Bakterien,  die  unter  solchen 
Bedingungen  fast  aufgehoben  zu  sein  scheint  (S.  136)  und  nicht  viel- 
mehr bloß   durch  ihre    Gärtätigkeit    im   Nährboden  und  die 
Selbstzer8etzung(§  166)  im  eigenen  Leibe  gebildet  wird.  Meist  ' 

1)  Untersuchg.  bot.  Inst.  Tübingen  (Pfeffer)  1.    105.   1881. 

2)  Arch.  f.  Hyg.   48,   1904. 

3)  Einzelheiten  s.  bei  R  u  b  n  e  r. 

4)  Arch.  f.  Hyg.   57.   228,    1906. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  739 

stieg  die  Temperatur  in  Aufschwemmungen  von  0,5 — 5  g  frischer 
Prodigiosus-  und  Colibazillen  nach  einer  Inkubation  von  |^ — 1  Tage 
um  0,2 — 0,4®  tmd  sank  nach  2 — 3  Tagen  plötzlich,  aber  nicht  voll- 
standig  ab.  0,5  g  Froteusbazillen  steigerten  sogar  in  einem  kleinen 
Kalorimeter  (60ccm  6%  Fleischextrakt)  die  Temperatur  ohne  Inku- 
bation und  tagelang  um  durchschnittlich  0,4 — 0,8^  und  bis  zu  einer 
Maximalhöhe  von  1®.  Bubner  berechnete  daraus  für  4  Tage  eine 
Wärmeabgabe  von  2800  Kai.,  d.  h.  15%  der  im  Nährboden  ursprünglich 
enthaltenen  Kalorienmenge.  Das  entspricht  —  vielleicht  nur  zufällig  — 
ziemlich  genau  den  beim  Wachstum  dieser  selben  Bakterien  in  dem 
gleichen  Nährboden  verbrauchten  Wärmemengen  (S.  727)  .  Zum  Ver- 
gleich diene  die  ebenfalls  von  B  u  b  n  e  r  mittelst  seines  Kalorimeters 
f ^tgestellte ,  bei  der  Autolyse  von  licberpreßsaft  entwickelte  Wärme: 
sie  betrug  auf  1  kg  Leber  nur  durchschnittlich  715  Kai.  (in  24  Stunden^)), 
und,  da  die  Wärmebildung  nur  3  Tage  dauerte,  im  ganzen  nicht  mehr 
als  die  der  2000 mal  kleineren  Bakterienmasse.  Nawiasky^)  hat 
spater  im  Laboratorium  B  u  b  n  e  r  s  diese  Versuche  vervollständigt, 
indem  er  teils  lebende  Proteusbakterien,  teils  abgetötete,  getrocknete 
und  mit  Glaspulver  zerriebene  (Azetondauerpräparate)  in  großen 
Mengen  in  250 — 300  g  5%iger  Asparaginsalzlösung  einbrachte  und  die 
Wärmeentwicklung  im  Kalorimeter  beobachtete.  Die  Temperatur- 
steigerung betrug  0,49^^,0,62®,  bzw.  1,04°  und  wurde  nach  18,  12  bzw. 
H  Stunden  erreicht,  je  nachdem  2,  4  oder  8  g  lebender  Froteusbazillen 
angewandt  wurden.  Nach  28  Stimden,  wo  die  Versuche  abgebrochen 
wurden,  obwohl  die  Temperatur  noch  um  0,4 — 0,2°  erhöht  war,  be- 
rechnete sich  die  Wärmeerzeugung  auf  592,  820  und  1266  Kalorien^). 
In  einem  weiteren  Versuch  mit  2,55  g  Dauerpräparat  (aus  8  g  frischen 
Bazillen)  stieg  die  Temperatur  nach  9  Stunden  um  0,44°,  sank  nach 
24  Stunden  auf  0,  um  dann  noch  einige  Hundertstel  Grade  weiter  zu 
fallen.  Die  Wärme  betrug  hier  569  Kai.  Die  Quelle  der  Wärme 
liegt,  obwohl  ja  autolytische  Vorgänge  nicht  ausgeschlossen  sind,  im 
wesentlichen  wohl  in  der  Zersetzung  des  Asparagins  zu  asparagin« 
saurem  Ammoniak  (durch  Hydrolyse)  und  dem  weiteren  Zerfall  des 
letzteren  in  Bemsteinsäure,  essigsaures  und  kohlensaures  Ammoniak 
(vgl.  Näheres  §  169).  Da  aber  die  Verbrennungswärme  des  bemstein- 
sauren  Ammoniaks  sogar  höher  angegeben  wird  als  die  des  Asparagins, 
wird  die  Energie  wahrscheinUch  nur  durch  die  Zersetzung  zu  Essig- 
und  Kohlensäure  geliefert.     Entsprechende  Untersuchungen  über  die 

1)  Temperaturausschlag  bis  0,3°  in  einem  Kalorimeter  von  250  ccm. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  66.   1908. 

3)  Auf    1    g    Stickstoffsubstanz   des    Proteusbazillus   berechnet   sich 
daraus  die  Energielieferung  auf  19,4  kg  Kai.  für  24  Stunden. 

47* 


740  Kap.  Xni,   §  237. 

Wärmebildung  bei  den  Zersetzungen  anderer  Aminosäuren 
wären  sehr  erwünscht,  um  ein  Bild  zu  bekommen  von  den  energetischen 
Verhältnissen  bei  der  Eiweißzersetzimg  und  Fäulnis  (vgl.  S.  686  u.  704). 
Mit  Hilfe  seines  Kalorimeters  versuchte  R  u  b  n  e  r  femer,  die 
bei  der  Alkohol-  und  Milchsäuregärung  entwickelte 
Wärme  zu  finden.  Bei  Einsaat  von  großen  und  kl^en  Hefemengen^) 
stieg  die  Temperaturkurve  im  Kalorimeter  mehr  oder  weniger  steil 
um  1 — 2^,  um  dann  allmählich  abzufallen.  Daraus  und  aus  der  Menge 
des  verschwundenen  Zuckers  berechnete  B  u  b  n  e  r  die  Gärungs- 
wärme von  1  g  Rohrzucker  für  Kohlensäure  als  Gas  auf  149,5  Kai.*), 
für  Kohlensäure  in  Lösung  auf  211,7  Kai.  Die  Inversions- 
wärme des  Rohrzuckers  wurde  ebenfalls  im  Kalorimeter  auf 
9,6  Kai.  für  das  Gramm  oder  auf  3,3  Kai.  für  das  Grammolekül 
bestimmt ®).  Die  Gärungswärme  des  Traubenzuckers 
betrüge  also  nach  Rubner  im  Grammolekül 
25,6  (große)  Kai.  Nach  den  freiUch  wenig  vollkommenen  Bestimmungen 
Dubrunfauts*),  Bouffards^)  imd  Browns*)  wären  die 
gleichen  Werte  erheblich  niedriger  (21,4 — ^23,7  Kai.)  imd  ebenso  nach 
der  Berechnung  aus  den  Verbrennungswärmen  des  Traubenzuckers  und 
Alkohols  (22,3  Kai.).  NamentUch  dieser  letzte  Unterschied,  der  etwa 
12%  ausmacht,  wäre  noch  aufzuklären.  Man  könnte  daran  denken, 
daß  in  Rubners  Versuchen,  in  denen  allermeist  große  Hefemengen 
in  reiner  Zuckerlösung  eingesät  wurden,  und  dabei  keine  Vermehrung, 
sondern  Verminderung  ihrer  Substanz  eintrat,  außer  der  Alkoholgärung 
noch  besondere  Eiweißzersetzungen  mitspielten,  indessen  konnte  es  sich 
dabei  nur  um  anaerobe  Vorgänge  handehi,  durch  die  vermutlich  nicht 
erhebliche  Wärmemengen  entwickelt  wurden.  In  der  Tat  hat  Rubner 
beim  Aufschwemmen  von  großen  Mengen  Hefe  in  Wasser  nur  geringe 
Temperatursteigerungen')  in  seinem  Kalorimeter  beobachtet  und  be- 
zieht diese  ausschließlich  auf  die  Selbstgärung,  d.  h.  diie  Vergärung  des 
Hefeglykogens  (§  91).  Übrigens  ergaben  auch  die  Versuche,  in  denen 
Rubner   die  Wärmebildung  wachsender   Hefe    untersuchte,  keine 


1)  Arch.  f.  Hyg.  49.   1904. 

2)  Für  das  Molekül  51,1  und  72,4  Kalorien. 

3)  Aus  den  Verbrennungswärmen  von  Stohmann  berechnet 
3,1  Kai.  (vgl.   §  127). 

4)  Compt.  rend.  ac.  sc.   1856,  S.  945. 

5)  Ebenda  1895,  S.  357. 

6)  Zeitschr.  f.  Brauwesen  24.  273. 

7)  Höchstens  0,25®  und  eine  Wärmemenge,  die  auf  100  g  Hefe  einer 
Vergärung  von  2,6  g  Zucker  entspricht.  Die  Bestimmung  der  Verbrennungs- 
wärme ergab  einen  1  Omal  größeren  Wärmeverlust,  wahrscheinlich  aber  mir 
wegen  der  Verflüchtigung  von  Stoffen  beim  Trocknen. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  741 

wesentlich  kleineren  Werte,  und  die  geringen  Unterschiede  (höchstens 
8%)  könnten  sich  noch  daraus  erklären,  daß  der  Verfasser  wohl  nicht 
zutreffenderweise  den  ganzen  Zuckerverlust  auf  [die  Gärung  und  nicht 
zum  Teil  auch  auf  den  .insatz  bezog.  Die  hohen  Zahlen  B  u  b  n  e  r  s 
können  auch  kaum  darauf  beruhen,  daß  die  Hefegärung  keine  rein 
alkoholische  ist,  denn  bei  der  Bildung  der  Nebenerzeugnisse  (Glyzerin, 
Bemsteinsaure  §  90)  werden  wohl  nicht  größere  Wärmemengen  frei 
als  bei  der  des  Alkohols. 

Auffällig  ist,  daß  R  u  b  n  e  r  ^)  auch  bei  der  kalorimetrischen 
Untersuchung  der  Milcbsäuregärung  weit  größere  Wärme- 
mengen entstehen  sah,  als  nach  der  thermochemischen  Berechnung 
sich  ergeben  müßte.  Die  Temperaturkurve  stieg  bei  der  freiwilligen 
Säuerung  der  Milch  im  Laufe  der  ersten  3 — 4  Tage  fast  ohne  Inkubation 
und  ziemlich  gleichmäßig  bis  auf  1 — 1,6°  und  hielt  sich  dann  noch 
längere  Zeit  fast  auf  gleicher  Höhe.  Sieht  man  nun  auch  von  der  letzteren 
Eischeinimg,  die  vielleicht  durch  unkontrollierbare  Nachgärungen  her- 
vorgerufen wird,  ab  und  berücksichtigt  nur  die  erste  Zeit  der  Gärung, 
so  erzeugt  die  Vergärung  des  Zuckers  zu  Milchsäure 
—  nach  der  Ver  b  r  ennun  gs  war  m  e  berechnet  — 
kaum  die  Hälfte  der  von  Rubner  wirklich  ge- 
fundenen Wärme.  Welche  Wärmequellen  sonst  zur  Verfügung 
stehen,  ist  dunkel.  Die  Gerinnung  an  sich  verläuft  nach  Rubner 
ohne  Wärmeentwicklung,  mid  bei  der  Umsetzung  der  Phosphate  durch 
die  Milchsäure  entsteht  auch  nur  wenig  W^ärme.  Man  könnte  an  andere 
Zersetzungen  des  Milchzuckers,  z.  B.  die  (anaerobe)  Essigsäuregänmg 
oder  an  Spaltungen  des  Kaseins  usw.  denken.  Daß  solche  mit  der  Milch- 
säuregärung einhergehen,  ist  sicher^),  aber  bisher  glaubte  man,  daß  sie 
nur  eine  nebensächliche  Bedeutimg  hätten.  Vielleicht  traf  das  jedoch  in 
den  Versuchen  R  u  b  n  e  r  s  deswegen  nicht  zu,  weil  sie  nicht  wie 
gewöhnlich  bei  Zimmertemperatur,  sondern  bei 
37®  angestellt  wurden.  Das  begünstigt  entschieden  abnorme 
Gärungen.  Grenauere  Analysen  der  Gärungserzeugnisse  wurden  zwar 
nicht  vorgenommen,  jedoch  einmal  gleichzeitig  die  Verbrennungs- 
wärme der  Milch  vor  und  nach  der  Gärung  bestimmt.  Dabei  zeigte 
sich  ein  Verlust  an  Trockensubstanz  von  7%  und  gleichzeitig  eine  Zu- 
nahme der  spezifischen  Verbrennimgswärme.  Das  spricht  für  eine 
reichliche  Bildung  flüchtiger  Produkte,  und  zwar  aus  Zucker  oder 
Eiweiß.    Nimmt  man  an,  daß  das  der  Hauptsache  nach  anaerob  aus 

1)  Arch.  f.  Hyg.  6.  244,  1906. 

2)  Vgl.  bei  der  Essigsäuregäning  (§  103)  und  der  Bernsteinsäuro- 
ßarung  (§  107).  Wichtige  Einzelheiten  namentlich  bei  Kozai,  Zeitaclir. 
Hyg.  38. 


742  Kap.  XIII,   §  237  u.  238. 

dem  Milchzucker  entstandene  Essigsäure  gewesen  sei,  so  scheint 
zunächst  der  Mehrverlust  an  Wärme  in  gewisser  Ausdehnung  erklärt, 
da  diese  Gärung  mehr  als  doppelt  soviel  Wärme  entbindet,  wie  die 
Milchsäuregärung^).  Indessen  würde  das  wieder  nicht  mit  der  Ver- 
brennungswärme stimmen.  Denn  deren  Gesamtmenge  war  in  dem 
Versuch  um  1114  Kai.  gesunken,  während  der  Trockensubstanzverlust 
von  1,15  g  auch  nur  zum  kleineren  Teil  als  Essigsäure  berechnet,  mehr 
als  diesen  Wert  ergeben  würde.  Bei  der  Unkenntnis  dieses  Faktors 
kann  man  natürlich  auch  die  Tatsache,  daß  der  durch  die  Verbrennung 
bestimmte  Wärmeverlust  nicht  allzu  verschieden  war  von  dem  kalori- 
metrisch bestimmten,  nicht  mit  R  ii  b  n  e  r  als  Bestätigung  seiner 
kalorimetrischen  Messungen  ansehen.  Wie  man  also  die  Dinge  auch 
betrachtet,  überall  geben  sie  uns  Rätsel  auf.  Jedenfalls  ist  eine  Nach- 
prüfung der  R  u  b  n  e  r  sehen  Untersuchungen  namentlich  auch  mit 
Reinkulturen  und  einfachen  Zuckerlösungen  dringend  erwünscht. 

Mehrfach  wurde  schon  von  der  Bestimmung  der  Wärmeverluste 
durch  die  Feststellung  der  Verbrennungswärme  des  Nährbodens  vor 
und  nach  der  Züchtung  der  Mikroorganismen  gesprochen.  An  sich 
muß  man  zugeben,  daß  diese  mittelbare  Methode  ebenso  geeignet  ist. 
uns  über  die  von  den  Keimen  entwickelte  Energie  zu  unterrichten  als 
die  unmittelbare  Bestimmung  der  während  der  Kultur  der  Mikroorga- 
nismen entwickelten  Wärme.  Daß  beide  Verfahren  Schwierigkeiten 
bieten,  folgt  aber  aus  den  gegebenen  Beispielen.  R  u  b  n  e  r  und  gleich- 
zeitig mit  ihm  T  a  n  g  1  haben  die  Verbrennungsmethode  noch  in  einer 
ganzen  Anzahl  von  Fällen  zur  Messung  der  Energie  von  Bakterien 
benutzt.  Wir  besprachen  die  Ergebnisse  schon  im  §  234.  Eine  Haupt- 
fehlerquelle, die  dabei  durch  Nichtberücksichtigung  der  während  der 
Kultur  und  beim  Eintrocknen  entstehenden  flüchtigen  Stoffe  entsteht, 
haben  beide  Forscher  teils  durch  geeignete  Wahl  der  Keime,  teils  durch 
Anbringung  von  Korrekturen  zu  verstopfen  gesucht.  Wie  weit  das 
gelungen  ist,  steht  dahin.  Andere  Fehlerquellen  sind  zwar  auch  noch 
vorhanden,  fallen  demgegenüber  aber  wohl  weniger  in  Betracht. 

Eine  dritte  Methode  besteht  darin,  aus  den  einzelnen  chemischen 
Umwandlungserzeugnissen,  welche  die  Keime  im  Nährboden  hervor- 
rufen, seien  es  n\m  exotherme  (Zersetzungen)  oder  endotherme  (z.  B. 
S3aithesen),  nach  den  Grundsätzen  der  Thermochemie  die  Wärmebil- 
dung zu  berechnen.  Wir  haben  die  Grundlagen  dafür  in  allen  voran- 
gehenden Kapiteln  und  im  §  219 — 231  gegeben.  Die  Schwierigkeiten 
sind  hier  doppelter  Natur:  erstens  kennen  wir  die  einzelnen  Vorgange 
nach   Art   und   Ausdehnung  nur  unvollkommen;   zweitens  sind  ihre 


1)  Nach  §  98  nämlich  33  Kai.  gegen  15  auf  da«  Molekül  Traubenzucker. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraft  Wechsel.  743 

ReaktionswärmeD  vielfach  noch  nicht  sicher  genug  festgestellt.  So 
haben  vfir  an  dem  Beispiel  der  doch  verhältnismäßig  besonders  gut 
bekannten  Alkohol-  und  Milchsäuregärung  gesehen,  daß  die  Berechnung 
und  die  unmittelbare  Bestimmung  der  Wärmeentwicklung  recht  ver- 
schiedene Ergebnisse  liefern.  Trotzdem  bleibt  uns  bisher  in  vielen 
Fällen  nichts  besseres  übrig,  als  diese  Verfahren  anzuwenden,  um  uns 
von  den  Energieverhältnissen  der  Mikroorganismen  ein  Bild  zu  machen. 
(Vgl.  §  232—236.) 

§  238.  Lichtentwicklung  1).  Wie  viele  höhere  und  niedere,  auch 
einzellige  Tiere,  einige  Algen  (Peridinien)  und  holzzerstörende  Hutpilze 
(.\garicus  melleus  u.  a.^)),  so  können  auch  Bakterien  Licht  entwickeln. 
Daß  tote  Fische  und  andere  Seetiere,  seltener  Fleisch  im  Dunklen 
leuchten,  ist  eine  alte  Erfahrung,  daß  daran  „Pilze'',  die  von  ihm  soge- 
nannten „Sarcina  noctiluca",  schuld  seien,  hat  aber  erst  .1.  F.  H  e  1 1  e  r  ^) 
festgestellt.  Nach  ihm  machte  P  f  1  ü  g  e  r  *)  die  gleiche  Entdeckung 
noch  einmal.  Ihm  gelang  es,  die  Leuchtbakterien  durch  ungeleimtes 
Druckpapier  aus  dem  in  3%iger  Seesalzlösung  verteilten  leuchtenden 
Schleim  der  Oberfläche  toter  Schellfische  so  abzufiltern,  daß  die  Flüssig- 
keit nicht  mehr  leuchtete.  Femer  glückten  P  f  1  ü  g  e  r  schon  Über- 
tragungen auf  Süßwasserfische,  Pferdefleisch  usw.  unter  der  Bedingung, 
daß  diese  in  Salzlösung  eingelegt  wurden.  F.  Cohn,  Fr.  Ludwig, 
Lassar,  Nüesch,  B.  Fischer^),  Beijerinck,  Du- 
bois,Katz  u.a.  beschreiben  dann  die  von  ihnen  auf  Fleisch,  in  Meer- 
wasser usw.  gefundenen  und  schheßlich  auch  in  Reinkulturen  gezüchteten 
leuchtenden  Bakterien  unter  verschiedenen  Namen.  Nach  den  Zusam- 
menstellungen von  Migula®)  imd  Molisch')  wären  jetzt  schon 
mehr  als  zwei  Dutzend  „Arten"  bekannt.  Viele  sind  aber  ungenügend 
beschrieben,  einige  Arten,  so  der  „Micr.  Pflügen"  wohl  zu  streichen, 
denn  die  gut  bekannten  gehören  alle  entweder  zu  den  Stäbchen  oder 
Kommabazillen  (Microspira  Mig.).  Die  Leuchtbakterien  mit  Beije- 
rinck®)   unter  eine  Gattung  „Pbotobakterium"   zu   bringen,   geht 

1)  Über  die  Aiissendung  anderer  als  leuchtender  Strahlen  durch 
Mikrobien  ist  bisher  nichts  bekannt.  Bei  der  Wirkung  von  Pepsin  und 
Trypein  auf  Fibrin  sollen  nach  Lambert  n- Strahlen  entstehen  (Compt. 
rend.  ac.  sc.   138.   196,   1904). 

2)  Aufgezählt  bei  Zopf,  Pilze,   1890,  S.   195. 

3)  Arch.  phys.  imd  path.  Chem.  und  Micr.  Wien.,  N.  F.  1853  und 
1S54,  Bd.  6  (nach  M  o  1  i  s  c  h). 

4)  Sein  Archiv  10  und  11,   1875. 

5)  Zeitßchr.  f.  Hyg.  2.  54,   1887;  Zentr.  Bakt.   3,  4  und   15,  660. 

6)  System  der  Bakterien  2.  Bd.,   1900. 

7)  L  a  f  a  r  8  Handb.  1.  625,  vgl.  auch  „Leuchtende  Pflanzen",  1904 
und  Sitzungsber.  Akad.  Wiss.  Wien   1902—1904. 

8)  Ref.   Zentr.   Bakt.   7.   338   (auch   Kochs   Jahresber.    1890.    180). 


744  Kap.  XIII,   §  238. 

aus  demselben  Grunde  nicht  an,  zumal  da  auch  die  Stäbchenformen 
bald  dem  unbewegUchen  Aerogenestypus  (Bacterium  Mig.),  bald  dem 
peritrichen  Bacillus  Mig.  oder  der  lophotrichen  Pseudomonas  Mig. 
zugehören.  Wie  verbreitet  die  Leuchtbakterien  sind,  hat  M  o  1  i  s  c  h 
gezeigt,  indem  er  beliebige,  vom  Schlächter  bezogene  Fleischstücke, 
in  eine  3%ige  Kochsalzlösung  halb  untergetaucht,  bei  9 — 12®  unter 
Glocken  stehen  ließ.  Nach  1 — 3  Tagen  waren  89%  der  Rindfleisch- 
und  66%  der  Pferdefleischproben  durch  das  Bact.  phosphoreum  leuch- 
tend geworden. 

Schon  aus  P  f  1  ü  g  e  r  s  Filtrierversuchen  folgt,  daß  die  Lichtent- 
wicklung  an  den  Bakterienzellen  haftet,  Fischer,  K.  B.  Leh- 
man n  ^)  und  fast  alle  anderen  Forscher  haben  das  nur  bestätigen 
können.  Die  von  Ludwig^)  verfochtene  Ansicht,  das  Leucht«!! 
werde  durch  Ausscheidung  eines  Leuchtstoffes 
bewirkt,  der  wie  andere  organische  Körper  (Traubenzucker,  äthe- 
rische  öle,  manche  Fette,  aromatische  Kohlenwasserstoffe)  mit  Alkalien 
und  Sauerstoff,  bei  gewöhnlicher  oder  höherer  Temperatur  geschüttelt, 
phosphoresziere  (ßadziszewsky^)),  schwebt  bisher  in  der  Luft. 
Die  Photogramme  der  Leuchtbakterien,  die  mit  ihrem  eigenen  Licht 
aufgenommen  sind,  geben  nach  M  o  1  i  s  c  h  ,  entgegen  der  Behauptung 
Ludwigs,  nur  Bilder  der  Kolonien,  keine  Ausstrahlung  in  die  Um- 
gebung. Auch  D  u  b  o  i  s  *)  nimmt  einen  Leuchtstoff  (Luziferin)  bei 
den  Bakterien,  wie  bei  der  Bohrmuschel,  an,  glaubt  aber,  daß  er  durch 
ein  Enzym  (Luziferase)  oder  durch  oxydierende  Chemikalien  (Per- 
manganat)  erst  zum  Leuchten  gebracht  werde.  Wenn  man  sich  vor- 
stellt, daß  das  im  Inneren  der  Zelle  geschähe,  so  wäre  an  sich  nicht« 
dagegen  einzuwenden.  Beweise  dafür,  die  nach  Art  des  Zymaseversuchs 
anzustellen  wären,  fehlen  aber.  Im  Gegenteil  fanden  B  e  r  n  a  r  d  und 
Macfadyen  ^),  daß  das  Leuchtvermögen  ihrer  Bakterien  zwar  die 
Temperatur  der  flüssigen  Luft  aushielt,  aber  verloren  ging,  sobald  die 
Leiber  bei  dieser  Temperatur  zerquetscht  wurden.  Man  wird  also  wohl 
die  von  Beijerinck  und  anderen  ausgesprochene  Ansicht,  das 
Leuchten  beruhe  auf  einem  Vermögen,  das  nur  dem  lebenden  Proto- 
plasma zukomme,  mindestens  insofern  annehmen  dürfen,  als  die  An- 
regung  zum   Leuchten   nicht   immer   von   einem    isolierbaren 


1)  Zcntr.  Bakt.  5.  24. 

2)  Zentr.  Bakt.  2.  372. 

3)  Ber.  deutsch,  ehem.  Gesellsch.  77.  70  und  L  i  e  b  i  g  s  Annal.  203, 
1880. 

4)  Compt.  rend.  ac.  sc.   107.   502,   1888;  Le9on9  de  physiol.  2.  Bd. 
1898;   Soc.  biol.    1905.    1043. 

5)  Ann.  of  botany  (Kochs  Jahresber.   1902). 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraft  Wechsel.  745 

Enzym  auszugehen  braucht.  Vielleicht  sind  aber  andere  als  die  von 
den  englischen  Forschem  benutzten  Bakterien  geeigneter  zur  Dar- 
stellimg  etwaiger  „Oxydasen^^  (N  a  d  s  o  n  ^));  die  Bildung  bestimmter 
licachtstoffe,  die  Beijerinck  ebenfalls  leugnet,  ist  auch  durch 
B e r n a r d    imd    Macfadyen    nicht  widerlegt. 

Die  Beschaffenheit  des  von  den  Leuchtbakterien  ausgestrahlten 
lichtes  hat  man  spektroskopisch  untersucht  und  dabei  ziemlich  über- 
einistimmend  gefunden,  daß  das  Spektrum  kontinuierUch  ist  und  einer- 
seite  bis  in  das  Violett,  andererseits  aber  nur  bis  höchstens  in  das  Gelb 
hineinreicht  (L  u  d  w  i  g  ^) ,  Bernard  und  Macfadyen,  Gor- 
ham'),  Molisch).  Schon  deswegen  ist  es  wenig  wahrscheinUcb, 
daB  das  Bakterienlicht  Chlorophyll  zur  Assimilation  befähigt.  I  s  s  a  t  - 
schenko^)  hält  allerdings  seine  in  dieser  Beziehung  gewonnenen 
positiven  Ergebnisse  gegenüber  M  o  1  i  s  c  h  aufrecht.  Photo- 
graphische  Wirkungen  des  Bakterienlichts  sind  aber  all- 
seitig anerkannt,  und  neuerdings  auch  phototaktische  auf  Pflanzen- 
keimHnge  nachgewiesen  worden. 

Die  Farbe  des  Bakterienlichtes  ist  weißlich,  mit  einer  Beimischung 
von  gelb,  grün  oder  blau.  Das  Licht  ist  ein  gleichmäßiges  und  wird  nicht 
wie  das  vieler  Tiere  durch  Reizung  nur  für  kurze,  sondern  meist  für 
längere  Zeit  erregt. 

Die  Grundbedingung  der  Lichtentwicklung  ist  Sauerstoff- 
zutritt. Es  gibt  zwar  fakultative  Anaerobier  unter  den  Leuchtbak- 
terien, aber  sie  leuchten  nur  da,  wo  ihnen  freier  Sauerstoff  zu  Gebote 
steht.  Unter  Wasserstoff  oder  Kohlensäure  hören  daher  die  leuchtenden 
Rasen  oder  Flüssigkeiten  bald  zu  leuchten  auf  und  ebenso,  wenn  die 
Fäulnis  in  ihnen  überhand  nimmt.  Umgekehrt  befördert  Schütteln  mit 
Luft  das  Leuchten  oder  ruft  es  augenblicklich  hervor.  Spuren  von 
Sauerstoff,  wie  sie  z.  B.  von  Algen  im  Licht  ausgeschieden  werden, 
genügen  allerdings  zur  Lichtentwicklung,  so  daß  Beijerinck  und 
H  o  1  i  s  c  h  ^)  neuerdings  die  Leuchtbakterien  als  feinstes 
Reagens  auf  Sauerstoffentwicklung  anwenden. 
Ein  brennendes  Streichholz  genügt  z.  B.,  um  das  Leuchten  von  Bak- 
terien in  einer  oberflächUch  filtrierten  Aufschwemmung  von  zerriebenen 
Blättern  hervorzurufen.  Danach  kann  es  sich  nur  um  so  geringe  Sauer- 
stoffmengen handeln,  daß  es  nicht  möglich  ist,  die  dabei  anzunehmende 
Oxydation  durch  ihre  Produkte  (Kohlensäure)  nachzuweisen. 


1)  Vgl.  Kochs  Jahresber.   1903.   127. 

2)  Zeitschr.  wiasenschaftl.  Mikr.   1,  1884. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   13.  327,  1904. 

4)  Ebenda  10.  497. 

5)  Botanische  Zeitung  1904.   1. 


746  Kap.  XIII,   §  238. 

Man  könnte  denken,  daß  hohe  Temperatur  einen  befördern- 
den und  niedere  einen  hemmenden  Einfluß  auf  das  Leuchten  aus- 
übe. Das  ist  auch  innerhalb  der  Wachstumsgrenzen  der  Leucht- 
bakterien  der  Fall,  weshalb  meist  Temperaturen  von  20 — 30®  am 
günstigsten  für  das  Leuchten  zu  sein  pflegen.  Jenseits  der  Wachstums- 
grenzen, die  gerade  bei  Leuchtbakterien  manchmal  bis  auf  0®  hinunter- 
gehen sollen,  wirken  aber  höhere  Temperaturen  viel  schädlicher,  als 
niedere  (s.  u.).  So  hatte  schon  Heller  gefunden,  daß  seine  Sarcina  noc- 
tiluca  selbst  im  Eise  bei  — 14®  R.  weiter  leuchtete.  Nicht  alle  Leucht- 
bakterien  sind  aber  so  widerstandsfähig  gegen  niedere  Temperatuien 
(Pflüger,  Fischer).  Die  Temperatur  der  flüssigen  Luft  hebt 
zwar  bei  längerer  Einwirkung  die  Lichtentwicklung  immer  auf,  nach 
dem  Auftauen  beginnt  sie  aber  sehr  schnell  wieder  (B  e  r  n  a  r  d  und 
Macfadyen    s.  o.). 

Die  Art  der  Ernährung  ist  von  wesentlicher  Bedeutung  für 
die  Leuchtbakterien  und  ihre  Tätigkeit.  Am  wichtigsten  ist  für  die 
allermeisten  von  ihnen  ein  hoher  Salzgehalt,  daher  sie  oder 
Fischer  auch  „Hahbakterien*'  genannt  werden.  Die  besten  Nähr- 
böden für  Leuchtbakterien  enthalten  als  Grundlage  Meerwasser  oder 
3% ige  Kochsalzlösung.  Wie  Molisch  feststellte,  ist  für  das  Bact. 
phosphoreum  Kochsalz  nicht  unentbehrUch,  sondern  ebenso  gut  oder 
besser  brauchbar  sind  die  Chloride  des  Kaliums,  Magnesiums,  Kalziums, 
femer  JodkaUum,  Kaliumnitrat  und  -sulfat.  Magnesiumsulfat  und 
Dikaliumphosphat  sind  am  wenigsten  oder  gar  nicht  geeignet,  obwohl 
sie  reichüches  Wachstum  zulassen.  Andere  Arten  verhalten  sich  ver- 
schieden, imd  einige  von  Kutscher^)  aus  Eibwasser  oder  Kot 
gezüchtete  leuchtende  Vibrionen  bedürfen  keines  besonderen  Salz- 
zusatzes. Die  von  Beijerinck  untersuchten  Arten  brauchen 
entweder  wenigstens  Pepton  oder  außer  diesem  noch  eine  andere 
Kohlenstoff  quelle  zum  Wachstum  und  Leuchten.  G  o  r  h  a  m  fand  aber 
auch  solche,  die  in  einfacher  Asparaginlösung  wuchsen  imd  durch  Zu- 
satz von  organischen  Säuren,  Natrium-  und  Magnesiumsalzen  zum 
Leuchten  gebracht  wurden.  Außerdem  wissen  wir,  daß  viele  Leucht- 
bakterien  schon  im  Meerwasser  fortkommen.  Die  Wirkung  det  einzetaen 
Stoffe  prüfte  Beijerinck  mit  Hilfe  seiner  „auxanographischen*' 
Methode,  d.  h.  indem  er  sie  auf  einen  mit  Leuchtbakterien  besäten,  aber 
zu  deren  Gedeihen  ungenügenden  Nährboden  brachte  imd  nun  das 
Eintreten  der  Phosphoreszenz  oder  des  Wachstums  in  dem  Diffusions- 
feld  abwartete.  Die  erstere  erscheint  oft  schon  unmittelbar  nach  dem 
Aufbringen  einer  Spur  des  Lichtnährmittels  auf  die  Platte,  ist  also, 


1)  Zentr.  Bakt.   18.  424,   1895. 


Wege  des  Sauerstoffs.     Stoff-  und  Kraftwechsel.  747 

wie  wir  schon  wiederholt  sahen,  unabhängig  von  dem  Wachstum.  Die 
einzahlen  Leuchtbakterien  reagieren  in  ungleicher  Weise  auf  die  Nähr- 
stoffe, indem  z.  B.  der  Bac.  phosphorescens  Maltose  gebrauchen 
kann,  der  Bac.  Pflügen  nicht.  Eine  Stärke  enthaltende  Gelatineplatte, 
die  mit  dem  ersteren  beschickt  ist,  leuchtet  daher  an  Stellen  auf,  die 
mit  Diastase  in  Berührung  kommen.  Man  kann  in  solcher  Weise  die 
auxanographische  Methode  zum  Nachweis  von 
Enzymen  benutzen.  Schimmelpilze  zerstören  nach  Fried- 
berger  und  Döpner^)  die  Leuchtkraft  phosphoreszierender 
Bakterien.  Ob  die  Änderung  der  Reaktion  oder  andere  Einflüsse 
dafür  die  Ursache  abgeben,  ist  nicht  bekannt. 

Physikalische   Einwirkungen   scheinen   die   Lichtentwicklimg   der 
Bakterien  weit  weniger  leicht  anzuregen.    So  leugnet  P  f  1  ü  g  e  r  den 
Einfluß  der  mechanischen  Erschütterung^),   F  i  s  c  he  r   auch  den  der 
Belichtung.    Mittlere  Temperaturen  (s.  o.)  befördern  dagegen  die  Phos- 
phoreszenz, so  z.  B.  schon  die  Erwärmung  der  Kulturen  in  der  Hand. 

Wie  es  Lichtreize  gibt,  so  kennen  wir  auch  Lichtgifte. 
Dahin  gehören,  wie  schon  P  f  1  ü  g  e  r  fand,  starke  Säuren  imd  AlkaUen, 
konzentrierte  Salze  und  umgekehrt  destilliertes  oder  Leitungswasser, 
Mineralsäuren,  Karbolsäure  imd  Chinin.  Der  schnell  verdunstende  Äther 
und  Ammoniak  lähmen  nach  Fischer  nur  vorübergehend  die  Licht- 
entwicklung. Nach  Tarchan  off  *)  vernichten  die  Anästhetika  Chloro- 
forai,  Äther,  Alkohol,  ebenso  wie  Zyankalium  und  Chinin  die  Leucht- 
kraft augenblickUch,  nicht  dagegen  Strychnin  und  Kurare.  Die  letzteren 
Alkaloide  scheinen  ja  überhaupt  für  Bakterien  unscbädUch  zu  sein. 
Die  schon  erwähnte  hemmende  W^irkung  niederer  imd  höherer  Tem- 
peraturen tritt  ziemlich  schnell  ein,  so  hatten  in  Fischers  Ver- 
suchen schon  Temperaturen  von  37 — 40"  einen  deutUchen  Einfluß, 
wenn  sie  einige  Minuten  gewirkt  hatten,  und  nach  der  ebenso  kurz- 
dauernden Erwärmung  auf  42®  brauchte  die  Kultur  24  Stunden,  um 
wieder  einigermaßen  zu  leuchten.  Es  lohnte  sich,  zu  untersuchen,  ob 
hier  nur  eine  „Wärmestarre"  vorliegt  oder  eine  Abtötung.  Im  elek- 
trischen Strom  sammeln  sich  die  Bakterien  am  negativen  Pol,  wo  ihr 
Leuchten  nach  einiger  Zeit  erlischt,  um  nach  Aufhören  des  Stroms 
nieder  zu  erscheinen  (T  a  r  c  h  a  n  o  f  f). 

Die  Bedeutimg  der  Phosphoreszenz  für  die  Leuchtbakterien  selbst 
ist  unbekannt.  Ihre  Verwendbarkeit  als  Lichtquelle  ist  bewiesen  durch 
ältere  Versuche,  in  denen  es  gelang,  die  Kulturen  in  ihrem  eigenen 
Lichte  und  auch  fremde  Gegenstände  darin  zu  photogiaphieren,  vor 

1)  Zentr.  Bakt.  43,  1907. 

2)  Vgl.  aber  Tarchanoff,  Compt.  rond.  ao.  sc.  1 33.  246  (K  o  c  li  s 
Jahrcftber.   1901.   113). 


748  Kap.  XIII,   §  238  u.  Kap.  XIV,   §  239. 

allem  durch  die  größeren  Erfolge  von  D  u  b  o  i  s  ^)  und  H  o  1  i  s  c  h. 
Ein  großer  Glasballon,  dessen  innere  Oberfläche  mit  Gelatine  aus- 
gegossen und  mit  Bact.  phosphoreum  beimpft  war,  diente  ihnen  als 
genügende  ,, Nachtlampe'',  deren  Leuchtkraft  in  einem  kühlen  Räume 
etwa  14  Tage  anhielt.  Aussichten  für  eine  technische  Verwendung  der- 
selben sind  wohl  kaum  vorhanden,  auch  wenn  man  sich  starker  leuch- 
tender Bakterien  bedient  als  L  o  d  e  ^),  der  ausrechnete,  daß  zur  Er- 
zielung der  Lichtstärke  von  einer  Normalkerze  2000  qm  Koloniefläche 
nötig  wäre.  Auf  die  Benutzung  des  Bakterienlichtes  nach  B  e  i  j  e  - 
r  i  n  c  k    wurde  schon  hingewiesen. 

Eine  gewisse  Bedeutung  haben  die  Leuchtbakterien  durch  ihre 
Fähigkeit,  sich  auf  Nahrungsmitteln  wie  Fischen,  Hummern, 
Austern,  Fleisch,  Kartoffeln,  Sooleiem  anzusiedeln.  Schädlich  ist  das 
leuchtende  Fleisch  usw.  zwar  nicht,  aber  sicher  nicht  appetithch. 

Lebende  Tiere  werden  im  allgemeinen  von  den  Leuchtbakterien 
verschont,  immerhin  haben  schon  G  i  a  r  d  und  B  i  1 1  e  t  ')  eine  auf 
Taütnis  parasitierende  Art  beschrieben.  Es  gelang,  mit  den 
Reinkulturen  diese  und  andere  Krustentiere  so  zu  infizieren,  daß  sie 
über  den  ganzen  Körper  grünUch  phosphoreszierten  und  durch  All- 
gemeinerkrankung zugrunde  gingen.  Auch  andere  Leuchtbakterien 
sollen  durch  Züchtung  auf  Fischfleisch  gleiche  Eigenschaften  annehmen, 
doch  kann  das  nur  ausnahmsweise  geschehen,  da  sonst  die  Infektionen 
häufiger  beobachtet  werden  müßten.  Mit  der  Phosphoreszenz  hat  diese 
infektiöse  Wirksamkeit  offenbar  nichts  zu  tun,  denn  die  erstere  kann 
verschwinden,  während  die  letztere  fortbesteht. 

Interesse  haben  die  leuchtenden  Vibrionen  des  Flußwassers,  die 
wir  namentlich  durch  D  u  n  b  a  r  ^)  kennen  gelernt  haben,  dadurch 
gewonnen,  daß  sie  den  Cholerabakterien  zum  Teil  außerordentlich 
ähnlich  sind  imd  in  denselben  Monaten,  in  denen  die  Choleraepidemien 
aufzutreten  pflegen,  im  Wasser  auftreten. 

1)  Die  Umschau  1901,  221  und  bei  Molisch. 

2)  Zentr.  Bakt.   36. 

3)  Soc.  biol.   1889  und  1890. 

4)  Arb.  Gesundheitsamt  9  u.  Zeitschr.  f.  Hyg.  21,   1895. 


Kapitel    XIV. 

Fermente  (Umsatzstoffe). 

§  239.  Einleitung^).  Fermente  nennt  man  solche  Bestand- 
teile lebender  Zellen,  die  bestimmte  chemische  Reaktionen  hervor- 
rufen (bzw.  nur  beschleunigen,  0  s  t  w  a  1  d),  ohne  selbst  (dauernd) 
in  die  Reaktionsprodukte  überzugehen.  Darauf  beruht  die  Eigen- 
schaft der  Fermente,  durch  kleine  Mengen  große 
Mengen  Stoff  umzuwandeln.  Enzyme  2)  oder  „unge- 
foraite"  Fermente  (Kühne)  sind  diejenigen,  die  sich  von  den  leben- 
den Zellen  trennen  lassen.  Der  Unterschied  gegenüber  den  „geformten" 
oder  „organisierten"  Fermenten,  bei  denen  das  nicht  möghch  ist,  die 
man  daher  auch  als  „Protoplasma-"  oder  „Gärkräfte"  bezeichnet  hat, 
ist  kein  wesentlicher,  wie  wir  schon  oft  betont  haben  (Kap.  IV  ff.).  Die 
Entdeckung  der  Zymase  hat  uns  klar  genug  vor  Äugen  geführt, 
daß  die  Grenze  von  heute  auf  morgen  mit  den  Fortschritten  unserer 
Untersuchungsmethoden  leicht  verschoben  werden  kann.  Mit  den 
anorganischen  „Kontaktsubstanzen"  oder  „Katalysatoren"  haben  die 
Fermente  viel  gemeinsam,  so  daß  man  sieorganischeKataly- 
s a 1 0 r e n  oder  letztere  anorganische  Fermente  nennen 
könnte.  Doch  ist  es  besser,  diese  unzweifelhafte  Analogien  zwar  im 
Auge  zu  behalten,  aber  die  Verschiedenheiten,  vor  allem  einerseits 
die  Spezifizität  und  andererseits  die  größere  Leistungsfähigkeit  der 


1)  Vgl.  D  u  c  1  a  u  X,  Mikrobiol.  2.  Bd.  (1899);  Oppenheimer: 
IHe  Fermente,  2.  Aufl.  1903;  B  r  e  d  i  g:  Elemente  der  chemischen  Kinetik 
niit  besonderer  Berücksichtigung  der  Katalyse  und  der  Fermentwirkung  in 
Asher-Spiro,  Ergebnisse  der  Physiologie  1.  1.  (1902).  Dort  auch 
^e  Geschichte  und  die  noch  ganz  dunkle  Theorie  der  Fermentwirkiing. 
toer  Enzyme  der  Mikroben  s.  auch  H.  Fischer  in  Lafars  Handb.  1. 
255(1904)  und  Fuhrmann:   Vorl.   über   Bakterienenzyme  (1907). 

2)  Ein  deutscher  Name  für  die  Enz3nfne  oder  Fermente  fehlt  uns. 
Man  könnte  sie  „UuLsatzstoffe**,  die  hydrolytischen  oder  Verdauungs- 
pnzyme  „Vorbereitungsstoffe",  die  Gärtingsfermento  ,, Gärstoffe"  nennen. 
Oewöhnt  man  sich  an  diese  Bezeichnungen,  so  sind  Verwechslungen  nicht 
7.\i  befürchten.     Über  die  Benennung  der  einzelnen  Enzyme  vgl.    S.  198. 


750  Kap.  XIV,   §  239  u.  240. 

Fermente  auch  nicht  zu  übersehen,  und  nicht  die  Gesetze,  die  für  jene 
gefunden  worden  sind,  ohne  weiteres  auf  diese  zu  übertragen. 

Über  das  Verhältnis  der  Fermente  zu  den  Giften,  den  Toxinen 
und  namentlich  den  Hämolysinen  werden  wir  später  zu  sprechen  haben 
(Kap.  XVI,  §  256  u.  314).  Zunächst  ergibt  sich  die  Notwendigkeit 
einer  Trennung  beider  Begriffe  schon  daraus,  daß  wir  die  Art  der 
chemischen  Reaktionen,  die  von  den  Toxinen  hervorgerufen  werden, 
nur  sehr  unvollständig  oder  gar  nicht  kennen. 

Es  ist  übUch,  die  Fermente  nach  dem  Fund-  bzw.  Wirkimgsort 
in  intrazellulare  und  extrazellulare,  nach  ihrer  Widerstandsfähigkeit 
in  beständige  (stabile)  und  unbeständige  (labile),  und  nach  ihrer  Be- 
deutung für  das  Zelleben  in  verdauende,  kraftliefemde  (dissimi- 
lierende) und  aufbauende  (assimilierende,  synthetische)  zu  scheiden, 
doch  haben  diese  Unterscheidungen  in  vielen  Beziehungen  keine  ge- 
nügende Berechtigung. 

Die  verschiedenen  chemischen  Leistungen,  zu 
denen  die  Fermente  befähigt  sind  —  Verflüssigung,  oberflächliche 
hydrolytische  Spaltung,  tiefe  Spaltung  oder  Gärung  im  engeren  Sinne, 
Oxydation,  Reduktion,  Anhydridbildmig,  Kondensation,  Synthese  — 
haben  wir  schon  in  den  vorhergehenden  Kapiteln  im  einzelnen  gewür- 
digt und  im  Zusammenhang  im  Kap.  IV  behandelt,  femer  die  Oxy- 
dationsenzyme  in  §  222,  die  Gänmgsenzyme  §  224a,  die  übrigen  §  228 
bis  228b  aufgezählt.  Hier  sollen  nur  die  gemeinsamen  Eigenschaften 
der  Ferment«  und  namentlich  der  Enzyme,  ihre  Darstellung  und 
chemische  Natur,  der  zeitliche  Verlauf  ihrer  Wirkungen,  deren  Ab- 
hängigkeit von  den  Mengenverhältnissen,  von  der  Temperatur  und 
anderen  physikalischen  und  chemischen  Einflüssen  u.  a.  m.  besprochen 
werden. 

§  240.  Ausscheidung,  Darstellung  und  chemische  Natur 
der  Enzyme.  Wenn  wir  von  der  „Darstellung"  der  Enzyme  —  die 
geformten  Fermente  lassen  aich  überhaupt  nicht  darstellen  —  sprechen, 
so  müssen  wir  gleich  vorausschicken,  daß  diese  bisher  in  keinem  einzigen 
Falle  im  strengen  Sinne  des  Wortes  geglückt  ist.  Es  gelingt  nur,  Stoffe 
von  der  lebenden  Zelle  zu  trennen,  die  fermentierende  Eigenschaften 
besitzen.  Diese  Stoffe  sind  aber  immer  mehr  oder  weniger  verwickelte 
Gemenge,  keine  chemischen  Individuen,  wie  die  anorganischen 
Katalysatoren  (Platinmohr,  Schwefelsäure  usw.). 

Es  ist  Brauch,  die  Enzyme  danach  einzuteilen,  ob  sie  von  den 
Leibern  der  Zellen  nach  außen  abgegeben  —  abgesondert,  sezemiert  — 
werden,  um  dort  zu  wirken,  oder  an  den  Zellen  haften;  mit  anderen 
Worten:  ob  sie  extrazelluläre  oder  Ektoenzyme,  „Sekrete"  oder  intra- 
zelluläre,   Endoenzyme,    Leibesbestandteile,   sind.     Uns   scheint,  daß 


Ferment«  (Umsatzatoffe).  751 

die  Unterscheidung,  selbst  wenn  man  sie  in  jedem  Fall  treffen  könnte, 
keinen  erheblichen  wissenschaftlichen  Wert  besitzt,  sondern  nur  einen 
praktischen,  weil  sie  eigentlich  nur  auf  der  verschiedenen  Darstellungs- 
methode der  Enzyme  beruht.  In  erster  Beziehung  ist  zu  bedenken, 
daß  wir  fast  niemals  sicher  sagen  können,  ob  die 
Enzyme,  die  wir  außerhalb  der  Mikroben  finden, 
von  ihnen  in  lebendem  oder  totem  Zustande  aus- 
geschieden worden  sind.  Stirbt  doch  anscheinend  regel- 
mäßig ein  mehr  oder  weniger  großer  Teil  der  Mikroben  schon  während 
des  Wachstums  ab,  und  hört  doch  in  vielen  Fällen  das  Wachstum  schon 
sehr  früh  in  den  Kulturen  auf,  um  einem  bald  schnelleren,  bald  lang- 
sameren Absterben  Platz  zu  machen  (§  36  u.  37).  Wir  hätten  also  viel- 
leicht ein  Becht,  sämtliche,  auch  die  gewöhnhch  als  Sekrete 
bezeichneten  Enzyme  als  Erzeugnisse  der  Zellauflösung  aufzufassen, 
um  so  mehr,  da  auch  bei  der  Sekretion  der  Drüsen  höherer  Organismen 
Vorgänge,  bei  denen  Zellen  ganz  oder  teilweise  absterben,  eine  Rolle 
spielen.  Man  könnte,  wenn  irgendwo,  gerade  in  diesen  Fällen  den  mit 
Enzymausscheidung  verbundenen  Zelltod  für  eine  „Anpassungs- 
erscheinung'' erklären,  indem  bei  dem  engen  Zusammenleben  der  Klein- 
wesen miteinander  der  Tod  des  einen  Teils  der  Individuen  dem  anderen 
Teil  zugute  kommt.  Beiläufig  wird  dieser  Gesichtspunkt  auch  zu  be- 
achten sein,  wo  es  sich  nicht  um  Freiwerden  von  Enzymen,  sondern 
von  Giften  (XVI)  und  namenthch  von  Angriffsstoffen  (XVII)  in 
lebenden  Tierkörpem  und  von  giftwidrigen  Stoffen  in  toten  Nähr- 
böden (§  57)  handelt. 

Hierzu  kommt,  daß  zwischen  der  Absonderung  lebenskräftiger 
Zellen  und  ihrer  vollständigen  Auflösung  beim  Tode  sich  Übergänge 
denken  lassen,  indem  der  Anstoß  zu  einer  Abgabe  von  Körpersub- 
stanzen, also  zu  einer  teilweisen  Auflösimg  z.  B.  schon  durch  irgendwie 
ungünstige  Lebensbedingungen  gegeben  werden  könnte,  und  der  Tod 
der  Zelle  noch  nicht  die  sofortige  Folge  zu  sein  brauchte. 

Aber  auch  wenn  wir  nicht  so  weit  gehen  und  die  Absonderungen 
vollkräftiger  Zellen  nicht  ganz  ausschheßen  wollen,  müssen  wir  zugeben, 
daß  in  nicht  wenigen  Fällen  von  den  Ekto-  und  Endoenzymen  die  glei- 
chen Aufgaben,  z.B.  die  der  hydrolytischen  Zucker-  oder  Eiweißspaltung, 
erfüllt  werden.  Die  durch  sie  bewirkte  „Verdauung",  d.  h.  die  Vor- 
bereitung der  Nahrung  zu  tiefen  kraftliefernden  Spaltungen  oder  zur 
Assimilation,  kann  eben  nicht  nur  innerhalb,  sondern  auch  außerhalb 
der  Zellen  erfolgen.  Soviel  scheint  freiUch  durch  die  Erfahrung  ge- 
sichert zu  sein,  daß  die  eigentlichen  Kraftleistungen  stets  durch  Endo- 
enzyme  vermittelt  werden,  natürüch  deswegen,  weil  die  erzeugte 
Kraft  sonst  für  die  Zellen  kaum  nutzbar  gemacht  werden  kann.    Auf 


752  Kap.  XIV,   §  240. 

der  anderen  Seite  ist  aber  ebenso  zweifellos,  daß  die  Ektoenzyme  nur 
innerhalb  der  2iellen  gebildet  und  oft  von  ihnen  in  so  großer  Menge 
aufgespeichert  werden,  daß  man  sie,  wie  es  ja  übrigens  bei  den  En- 
zymen höherer  Zellen  auch  oft  geschieht,  aus  den  Zellen  selbst,  wie  die 
Endoenzyme,  darstellen  kann. 

Betrachten  wir  zunächst  diese  letztere  Art  des  Vorgehens  zur 
Gewinnung  von  Enzymen. 

Eine  viel  benutzte,  aber  rohe  Art  der  Darstellung  von  Enzymen 
besteht  darin,  daß  man  die  Zellen  tötetunddanneinfach 
ihre  toten  Leiber  so  wie  sie  sind,  oder  zerrieben 
mit  den  zersetzbaren  Stoffen  zusammenbringt. 
Dieses  Verfahren  kann  man  fast  überall  verwen- 
den; es  ist  s*ogar  vielleicht  das  wirksamste.  Doch 
muß  man  die  richtigen  Mittel  zur  Abtötung  der  Zellen  wählen,  weil 
große  Unterschiede  in  dem  Verhalten  der  Enzyme  gegenüber  ihnen 
bestehen.  Das  zeigt  sich  schon  gegenüber  der  Temperatur  (§  244). 
Ausnahmsweise  nur  vertragen  sie  (im  feuchten  Zustande)  die  Siedehitze, 
gewöhnUch  widerstehen  sie  ^ — 1  Stunde  Temperaturen  von  55 
bis  60°.  Das  Hamstoffenzym  wird  sogar  schon  durch  eine  nie- 
drigere Temperatur  geschädigt.  Im  trockenen  Zustande,  der  allein  nur 
ausnahmsweise  eine  sichere  Abtötung  der  Zellen  gewährleistet,  ver- 
tragen die  Enzyme  hohe  Temperaturen  viel  besser.  In  manchen  Fallen, 
z.  B.  bei  der  „Dauerhefe"  (Zymin  S.  255),  dem  Milchsäure-  (S.  305) 
imd  Essigenzym  (S.  429)  hat  es  sich  nützUch  erwiesen,  die  Zellen  durch 
vorheriges  scharfes  Trocknen  und  nachfolgendes  Erhitzen  auf  100* 
oder  durch  oberflächliches  Trocknen  und  schnelle  Behandlung  mit 
flüchtigen  antiseptischen  Stoffen,  Alkohol,  Äther,  Azeton,  Chloroform, 
Toluol,  ätherischen  ölen,  die  man  nachher  durch  Verdunstung  entfernt, 
abzutöten.  Die  Benutzung  von  nicht  flüchtigen  antiseptischen  Mittehi 
hat  den  Nachteil,  daß  sie  sich  schwerer  vollständig  entfernen  lassen 
und  darum  durch  ihre  Nachwirkung  die  Enzyme  schädigen.  Indessen 
zeigen  diese  sich  auch  gegenüber  ihnen  wie  überhaupt  chemischen  Stoffen 
sehr  ungleich  empfindlich  (§  248),  so  daß  man  von  allgemeinen  Regeln 
höchstens  die  aufetellen  kann,  daß  manmöglichst  vorsichtig 
mit  dem  Zusatz  von  ihnen  verfahren  muß,  um 
nicht    die    Enzyme   zu   zerstören. 

Ein  noch  einfacheres  und  auf  den  ersten  Blick  schonenderes 
Verfahren  besteht  darin,  daß  man  die  Lebenstätigkeit  bzw.  Wachs- 
tumsfähigkeit  der  Zellen  z.  B.  durch  Einbringen  in  Lösungen,  denen 
wichtige  Nährstoffe  fehlen,  oder  durch  allerkleinste  antiseptische  Zu- 
sätze zu  den  gewöhnlichen  Nährböden  oder  durch  Temperaturen  von 
50 — 55*^  ausschaltet.    Schließlich  handelt  es  sieb  dabei  aber  nur  besten- 


Fermente  (Umsatzstoffe).  753 

falls  um  eine  langsamere  Art  der  Abtötong,  die  in  mehrfacher  Be- 
ziehung noch  dazu  nicht  einwandfrei  ist.  Zunächst  wiid  die  „Proto- 
plasmawirkung" nicht  sicher  genug  ausgeschaltet,  dann  machen  sich  in 
solchen  langsam  absterbenden  Zellen  zwar  manche  Enzymwirkungen, 
z.  B.  in  Form  der  bekannten  SelbstverdauuDg  (§  266)  und  „Selbst- 
verbrennung" (§  226),  unzweifelhaft  bemerkbar,  schädigen  aber  auch 
oft  die  übrigen  Enzyme  (z.  B.  die  Zymase  S.  255).  Dieselben  Bedenken 
betreffen  die  Benutzung  alter,  freiwillig  absterbender  oder  schon 
ganz  abgestorbener  Kulturen.  Besser  ist  es,  man  tötet  ganze,  aber 
frische  Kulturen  bzw.  Aufschwemmungen  von  Kulturrasen  durch 
Zusatz  von  0,5%  Karbolsäure,  Chloroform,  Toluol,  Senföl  sicher 
ab.  Oft  genug  gehngt  es  so,  sich  von  ihren  enzymatischen  (z.  B.  diasta- 
tischen §  69)  oder  proteol}üschen  (§  165  u.  166)  Leistungen  zu  über- 
zeugen. 

Die  enzymatische  Wirkung  der  toten  Leiber  der  Mikroorganismen 
kann  entweder  in  der  Weise  erfolgen,  daß  die  zersetzten  Stoffe  in  die 
Zellkörper  hinein  diffundieren  \md  dort  zersetzt  werden,  oder  daß 
umgekehrt  die  Enz3rme  von  den  toten  Zellen  nach  außen  abgegeben 
werden.  Beides  kommt  vor,  das  eine  braucht  das  andere  aber  nicht 
auszuschließen.  In  jedem  Falle  wird  man  kräftigere 
Enzy  m  wi  r  k  ungen  erwarten  dürfen,  wenn  man 
denZusammenhangderZellezerreißt,  siez.  B.  durch 
Verreiben  mit  Glaspulver,  Sand  und  Kieselerde  zerquetscht,  weil  man 
dadurch  die  wirksamen  Stoffe  in  innigere  Berührung  mit  dem  zersetz- 
baren Material  bringt.  Da  aber  gleichzeitig  die  mechanische  Zerreißung 
der  Zelle  diese  auch  tötet,  bedarf  man  eigentlich  kaum  noch  eines 
besonderen  Abtötungsverfahrens  mehr  und  wendet  solche  nur  noch 
der  größeren  Sicherheit  wegen  an.  Man  sieht  ferner  auf  diesem  Wege 
die  Möglichkeit  vor  sich,  durch  AusspülenoderAuspressen 
unter  hohem  Druck,  Ausschleudern  oder  Filtrie- 
ren des  Saftes  aus  den  zerrissenen  Zellen  ihre  ge- 
lösten Bestandteile  von  den  ungelösten  zu  tren- 
nen und  dadurch  die  Enzyme  wirklich  von  den 
Zellen  zu  isolieren.  Wir  haben  (S.  254)  gesehen,  daß  auf 
diese  Weise  E.  Buchner  das  Alkoholgärungsenzym,  die  Zymase, 
dargestellt  hat.  Es  liegt  nahe,  in  diesem  Verfahren  die  beste  Methode 
zu  sehen,  um  alle  intrazellulären  Enzyme  zu  iso- 
lieren. Daß  wir  auf  dem  Wege  vorwärts  kommen  werden,  lehren 
ja  auch  die  Erfahrungen  über  das  Milchsäure-  und  Essigsäureenzym 
(s.  0.).  Gerade  sie  haben  übrigens  gelehrt,  daß  nicht 
immer  der  dabei  gewonnene  klare  Preßsaft, 
sondern    der  unlösliche  Rückstand    die    Enzyme 

Kruse,  Mikrobiologie.  48 


754  Kap.  XIV,    §  240. 

enthält.  Man  darf  außerdem  zwei  Punkte  nicht  außer  acht  lassen. 
Erstens  ist  die  B  u  c  h  n  e  r  sehe  Methode  vielleicht  für  manche 
Enzyme  zu  eingreifend.  Schon  die  Wanne,  die  bei  der  Zerreibung  ent- 
wickelt wird,  könnte,  um  von  der  rein  mechanischen  Wirkung  ab- 
zusehen, die  Enzyme  schädigen.  Möglicherweise  ergibt  deswegen  die 
von  Macfadyen  und  B  o  w  1  a  n  d  vorgeschlagene  imd  für  die 
Gewinnung  von  Giften  (§  272)  erprobte  Abänderung,  nach  der  die  Zer- 
reibung bei  der  Temperatur  der  flüssigen  Luft  er- 
folgen soll,  in  dem  einen  oder  anderen  Falle  günstigere  Resultate^). 
Zweitens  köimten  gleichzeitig  mit  den  gesuchten  Enzymen  durch 
die  Zerquetschung  der  Zellen  auch  Stoffe  freigemacht  werden,  die  deren 
Wirkung  hemmen  bzw.  die  sie  zerstören^).  Sei  dem,  wie  ihm  wolle, 
sicher  ist,  daß  weder  die  Herstellung  von  Preßsäften  nach  Art  derZymase 
noch  die  von  Trockenpräparaten  nach  Art  des  Zymins  (s.  o.)  uns  bisher 
in  allen  Fällen,  wo  wir  das  Vorhandensein  von  Enzymen  in  den  Klein- 
wesen vermuten  durften^),  zum  Ziel  geführt  haben.  Hier  wie  früher 
(S.  206 — ^208)  machen  wir  aber  kein  Hehl  daraus,  daß  uns  diese 
teilweisen  Mißerfolge  keineswegs  dazu  berech- 
tigen, unsere  Vermutung,  daß  alle  Stoffwechsel- 
vorgänge der  Kleinwesen,  wie  der  Zellen  über- 
haupt, e  n  z  y  m  ati  s  ch  e  r  Natur  seien,  fallen  zu  las- 
sen. Nur  die  Schwierigkeiten  der  Enzymdarstellung, 
die  hoffentlich  nicht  auf  die  Dauer  unüberwind- 
lich sein  werden,  scheint  uns  dadurch  bewiesen. 
Schon  vor  Buchner  hatten  E.  Fischer  imd  Lindner  die  Yer- 
reibung  der  Zellen  mit  Erfolg  angewandt,  um  ein  Bohrzucker  inver- 
tierendes Enzym  aus  der  Monilia  Candida  zu  gewinnen  (S.  235).  Sie 
erhielten  aber  auch  die  Invertase  in  Lösung,  schon  wenn  sie  die  ge- 
nannte Hefe  durch  scharfes  Trocknen  töteten  und  dann  mit  Toluol- 
zusatz  auf  Rohrzucker  wirken  Ueßen,  während  die  Zymase  der  Dauer- 
hefe  nicht  aus  dieser  nach  außen  diffundiert«.  Ähnlich  der  Invertase 
der  Monil.  Candida  verhält  sich  die  Maltase  (§  79)  vieler  Pilze  und  an- 
scheinend auch  das  Harnstoff enzym  (§  195),  femer  die  Endotryptase 
(§  166);  sie  sind  sämtlich  nur  aus  toten  Zellen  auszu- 
ziehen, also  als  intrazelluläre  Enzyme  zu  be- 
zeichnen, obwohl  sie  zu  den  hydroljrtischen  oder  Verdauungs- 
enzymen  gehören. 


1)  Ist  bisher  nicht  dor  Fall  gewesen  bei  den  Versuchen,  das  licht - 
erzeugende  Ferment  der  phosphoreszierenden  Bakterien  zu  gewinnen(  §  23!^). 

2)  Vgl.   auch    §  242  über  die  Empfindlichkeit  der  Fermente. 

3)  Vgl.  z.  B.  die  Versuche  F.  Ehrlich  s  und  Pringsheims, 
das  Amylalkohol  enzym  zu  gewinnen  (S.   535). 


Fermente  (Umsatzstoffe).  755 

Viele  andere  derartige  Enzyme  werden  umgekehrt  mehr  oder 
weniger  wahrscheinUch  (s.  o.  S.  751)  schon  von  den  lebenden 
Zellen  nach  außen  abgeschieden,  lassen  sich  jeden- 
falls in  den  von  diesen  befreiten  Kulturen  ohne  weitere 
Schwierigkeiten  nachweisen,  so  die  Diastase  und  Inver- 
tase,  die  proteolytischen  und  Labfermente  der  meisten  Mikroorganis- 
men. Man  beseitigt  die  Zellen,  wenn  man  sie  nicht  durch  Antiseptika 
tötet,  durch  Absetzenlassen  oder  Ausschleudern  oder  durch  Filtra- 
tion mittelst  eines  Bakterienfilters  (Porzellan  oder  Kieselgur).  Von 
einigen  Enzymen  wird  allerdings  die  Angabe  gemacht,  daß  sie  durch 
solche  Filter,  ja  sogar  durch  Papier  nicht  hindurchgehen,  so  z.  B.  von 
Hamstoffenzymen  (S.  597).  Doch  hat  M  i  q  u  e  1  gefunden,  daß  auch 
dieses  wenig  widerstandsfähige  Enz}rm  filtriert  werden  kann,  wenn 
man  für  Sauerstoffabschluß  sorgt.  Auch  die  Zymase  des  Preßsaftes 
geht  durch  Kieselgurfilter,  wenn  auch  nur  teilweise,  hindurch,  ebenso 
das  Labenzym  der  Mikroorganismen,  während  das  Lab  der  Pflanzen 
und  Tiere  im  Filter  zurückgehalten  werden  soll.  Wahrschein- 
lich handelt  es  sich  überall  nur  um  quantitative 
Differenzen,  die  weniger  auf  ungleiche  Grciße  der  Enzymmole- 
küle,  als  auf  einer  eigentümlichen  Oberflächenanziehung  der  filtrieren- 
den Stoffe  zu  beruhen  scheinen^). 

Eine  scharfe  Grenze  zwischen  intrazellulären  und  extrazellulären 
Enzymen  besteht  wie  gesagt  nicht.  Vielfach  kann  man  sie  ja  sowohl 
außerhalb  als  innerhalb  der  Zellen  nachweisen.  Die  gefundenen  Unter- 
schiede lassen  sich  eher  dahin  deuten,  daß  die  einen  Enzyme 
fester  als  die  anderen  den  Zellen  anhaften.  Bei 
manchen  intrazellulären  ist  die  Bindung,  wie  wir  oben  an  der  Inver- 
t£töe  und  Maltase  von  Pilzen  sahen,  so  locker,  daß  man  sie  durch  Ein- 
bringen der  Pilzrasen  in  destilliertes  Wasser,  und  zwar  verhältnismäßig 
unvermißcht  mit  anderen  Zellbestandteilen,  gewinnen  kann. 

Die  Enzyme  mögen  erhalten  sein,  wie  sie  wollen,  um  sie  zu  Ver- 
suchen zu  verwenden,  bedarf  es  fast  regelmäßig  eines  geringen  Zusatzes 
antiseptificher  Mittel,  um  Störungen  der  Fermentierung  durch  nach- 


1)  Merkwürdiger  Art  sind  die  Verhältnisse,  die  Levy  (Joum.  of 
infect.  diseases  1905,  ref.  Bull.  Past.  1905,  265)  bei  verschiedenen  Enzymen 
aufgedeckt  hat:  unter  Druck  lassen  sie  sich  durch  eine  Kollodimnmembran 
nicht  filtrieren,  dialysieren  aber  allmählich  hindurch.  Manche  Enzyme 
iPtyalin)  verlieren  ihre  Wirksamkeit  schon  beim  Filtrieren  durch  Papier, 
das  8ie  fixiere  und  zwar  an  Glyzerin,  aber  nicht  an  Wasser  abgebe.  Lab 
werde  durch  Kieselgurfilter  zurückgehalten,  Trypsin  fast  vollständig, 
Pepsin  teilweise,  Ptyalin  oder  Takadiastase  gar  nicht.  —  Weiteres  über  die 
„Abaorptionsanalyse"  von  Fermenten  s.  bei  Michaelis  und  Ehren- 
reich:  Biol.  Zeitschr.   10  (1908). 

48* 


756  Kap.  XIV,   §  240. 

trägliche  Entwicklung  von  eignen  oder  fremden  Keimen  zu  vermeideo. 
Dafür'^hat  sich  je  nach  dem  einzekien  Fall  bald  das  Chloroform,  bald 
Toluol,  Thymol  oder  Senföl  bewährt. 

Man  hat  natürlich  versucht,  die  in  Lösung  befindlichen 
Enzyme  weiter  zu  r  e  i  n  i  g  e  n.  Es  gelingt  das  auch  fast  überall 
bis  zu  einem  gewissen  Grade  durch  Fällung  mit  großen  Mengen  Alkohol 
oder  Äther- Alkohol  und  andere  Eiweißfällungsmittel,  Wiederauflösen 
des  Niederschlags,  neue  Fällung  usw.  Doch  ist  die  Widerstandsfähig- 
keit  der  einzelnen  Enzyme  gegen  diese  Fällungsmittel  verschieden, 
die  Maltase  ist  z.  B.  viel  empfindlicher  gegen  Alkohol  als  die  Invertase. 

Eine  Trennung  der  einzelnen  Enzyme,  die  von 
denselben  Mikroorganismen  gebildet  werden,  ist  nur  in  wenigen  Fällen 
möghch.  So  kann  man  zwar  die  Invertase  von  der  Maltase  trennen, 
weil  die  letztere  durch  Alkohol  bald  zerstört  wird,  aber  nicht  um- 
gekehrt die  Maltase  von  der  Invertase.  Manchmal  gelingt  es  durch 
Anwendung  verschiedener  Temperaturen,  durch  Filtrieren  oder  Dialyse 
das  Ziel  zu  erreichen.  Doch  lassen  sich  allgemeine  Regeln  dafür  nicht 
aufstellen.  Der  Erfolg  ist  wohl  auch  nur  ein  relativer  (s.  Invertase 
§  78  und  Lab  §  177).  Die  auf  die  eine  oder  andere  Weise  gewonnenen 
Enzyme  können  bei  mäßiger  Temperatur  imter  der  Luftpumpe  ge- 
trocknet werden,  und  sind  dann  nicht  nur  gegen  Erhitzen  wie  be- 
merkt viel  widerstandsfähiger,  sondern  behalten  auch  in  diesem  Zu- 
stande ihre  Wirksamkeit  viel  länger  als  im  feuchten. 

Selbstverständlich  bleiben  alle  möglichen  anderen  Stoffe  bei 
solcher  Darstellung  der  Enzyme  mit  diesen  vergesellschaftet;  be- 
sonders schwer  lassen  sich  Eiweißkörper  und 
die  den  Enzymen  in  ihren  Eigenschaften  recht 
nahe  stehenden  anderen  Hilfsstoffe  (§  68),  Eigen- 
gifte, Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe  (Kap.  XVI 
und  XVII)  von  ihnen  trennen.  So  ist  es  denn  selten  ge- 
lungen, eine  Enzymlösung  zu  erhalten,  die  keine  Eiweißreaktion  ge- 
geben hätte.  Immerhin  sind  einige  solche  Fälle  beschrieben  worden. 
So  behandelte  0  s  b  o  r  n  e  ^)  die  Hefe  zunächst  mit  Alkohol,  dann 
nach  dem  Trocknen  sechs  Tage  lang  mit  Chloroform,  zog  sie  mit  Wasser 
aus,  fällte  die  Rohinvertase  mit  Alkohol,  reinigte  sie  durch  Dialyse 
unter  Chloroformzusatz  und  fällte  sie  von  neuem  mit  Alkohol.  Das 
Präparat  enthielt  neben  1,8%  Asche  44,5%  C,  6,5%  H  und  6,1%  N, 
entsprach  also  in  seiner  Zusammensetzung  am  nächsten  dem  Chitin, 
gab  auch  bei  Hydrolyse  mit  Salzsäure  einen  reduzierenden  Körper. 
Nach  Salkowski^)  würde  sich  das  erklären  durch  Beimischung 

1)  Zoit^chr.  physiol.  Ch.  28.   (1899). 

2)  Ebenda  31   (1900). 


Fermente  (Umsatzstoffe).  757 

gammiähnliclier  Stoffe;  er  selbst  stellte  aus  Hefe  ebenfalls  Invertase 
her,  die  keine  Eiweißreaktionen  gab,  aber  neben  Gummi  noch  10 — 17% 
Stickstoff  enthielt.  Man  würde  daraus  also  den  Schluß  ziehen  können, 
daß  die  reinen  Enzyme  diese  Zusammensetzung 
hätten,  die  nicht  viel  von  der  der  Eiweißkörper 
abwiche^),  wenn  man  sicher  wäre,  daß  nicht  die  Gegenwart 
anderer  noch  unbekannter  Körper  diese  Zusanmiensetzung  bedingte. 
Davon  sind  wir  aber  weit  entfernt.  Im  Gegenteil  lehren  manche  Er- 
fahrungen, daß  man  trotz  anscheinend  gleicher  Zusanmiensetzung 
ganz  ungleichwertige  Enzjnnpräparate  erhalten  kann^). 

Daß  es  sich  bei  den  Enzymen  stets  um  große  Moleküle 
handeln  muß,  kann  man  aus  ihrer  sehr  geringen  Dialysierbarkeit 
folgern.  Diese  ist  für  die  Invertase  und  die  proteolytischen  Fermente 
der  Mikroorganismen  u.  a.  von  F  e  r  m  i  ^)  festgestellt  worden. 

Auch  die  Empfindlichkeit  der  Enzyme,  besonders  gegen  Hitze, 
könnte  man  als  einen  Beweis  ihrer  eiweißartigen  Natur  betrachten, 
wenn  nicht  in  dieser  Beziehung  sehr  wesentliche  Unterschiede  be- 
stünden (s.  Labenzym)  und  wenn  nicht  einwandfrei  festgestellt  wäre, 
daß  auch  anorganische  Katalysatoren  im  koUoidalen  Zustande  die 
gleiche  Eigenschaft  haben  (s.  u.). 

Die  mineralischen  Bestandteile  der  Enzyme,  die  man  früher 
nur  als  Verunreinigungen  aufzufassen  pflegte,  haben  wohl  für  sie  eine 
ähnliche  Bedeutung,  wie  die  Salze  für  die  Eiweißkörper.  So  beein- 
flussen sie  anscheinend  die  Löslichkeit  der  Zymase.  In  einzelnen  Fällen 
scheinen  sie  sogar  für  die  Enzymwirkung  ausschlaggebend  zu  sein. 
So  fand  Bertrand*)  in  dem  oxydierenden  Enzym  vieler  Pflanzen, 
der  Lakkase  (vgl.  §  159),  einen  Mangangehalt,  dessen  Höhe 
ziemlich  parallel  ging  seiner  Wirkungsfähigkeit.  Das  Ferment  soll 
eine  Verbindung  des  Manganoxyduls  mit  einer  Proteinsubstanz  sein 
und  auf  der  Eigenschaft  des  MnO,  sich  zu  MnOg  zu  oxydieren  und  den 
aufgenommenen  Sauerstoff  weiter  zu  übertragen,  seine  oxydierende 
Wirkung  gründen.  Das  erinnert  an  eine  ähnliche  Leistung,  die 
Spitzer^)  den  Nukleoproteiden  der  Zellen  schon  früher  zugesprochen 
hat.   Sie  sollten  durch  ihren  Eisengehalt  befähigt  werden,  Sauerstoff 

1)  Andere  Analysen  von  Enzymen  s.  bei  Duclaux,  Microbiol. 
2.  109.  Der  Stickstoff gehalt  schwankt  von  4 — 17%.  Wo  er  gering  ist, 
handelt  ee  sich  wohl  stets  um  Beinüschung  von  Kohlenhydraten.  Nach 
Hef  ner  (Zeitschr.  physiol.  Ch.  42,  1904)  widersteht  die  Stickstoffsubstanz 
des  Enzyms  wochenlanger  Trjrpsinverdauung. 

2)  Vgl.  Zymase  §  89. 

3)  Arch.  f.  Hyg.   14  (1892),  vgl.  Zeitschr.  f.  Hyg.   18,  110  (1894). 

4)  Compt.  rend.  124.  1032  und  13ö5.  1897. 

5)  Pflügers  Archiv  67.  615. 


758  Kap.  XIV,   §  240—242. 

zu  übertragen.  Wir  hätten  hier  also  Zwischenzustande  zwischen  anorga- 
nischen Katalysatoren  und  Enz3nnen,  wenn  es  sich  nicht  etwa  bloß 
um  eine  Analogie  mit  der  Hämoglobinwirkung  handelt  (s.  u.  Kofer- 
mente  §  247). 

§  241.     Zeitlicher  Verlauf   der  Fermentwirknng.     Ab- 
hängigkeit von  der  Dichte  der  zu  verändernden  Stoffe.    Die 

Geschwindigkeit,  mit  der  Rohrzucker  durch  verdünnte  Säure  unter 
Wasseraufnahme  in  Glykose  und  Fruktose  verwandelt  oder  „invertiert" 
wird,  steht,  wie  schon  Wilhelmy  1850  gefunden  hatte,  bei  sonst  gleichen 
Bedingungen  (Säuremenge  und  Temperatur)  im  geraden  Ver- 
hältnis zu  der  jeweilig  vorhandenen  Dichte  des 
Rohrzuckers;  so  ist  z.  B.  die  in  der  Zwischenzeit  invertierte 
Zuckermenge  halb  so  groß  in  einer  Zuckerlösung,  die  schon  zur  Hälfte 
invertiert  ist.    Man  drückt  das  analjrtisch  aas  durch  die  Formel: 

dC 

^)  ^Tt-^*^-^' 

wo  C  die  Dichte  (Konzentration)  des  Zuckers,  d  C  die  Veränderung  der 
Dichte  in  der  imendlich  kleinen  Zeit  d  t,  und  K  eine  konstante 
Zahl,  die  Geschwindigkeitskonstante,  bezeichnet.  Durch  Integration 
der  Gleichung  erhält  man  die  folgende: 

b)    —  log.  nat.  C  =  K.  t  +  Konstante. 

Sie  sagt  aus,  daß  sich  die  In versionsgesch windigkeit  der  Rohrzucker- 
lösung  mit  fortschreitender  Inversion  durch  verdünnte  Säure  wie  der 
Logarithmus  der  Dichte  ändert.    O'Sullivan  und  T  o  m  p  s  o  n  -) 
glaubten  nachweisen  zu  können,  daß  sich  auch  die  Umwandlung  des 
Rohrzuckers  durch  Invertase  ähnlich  vollzöge,  wie  die  durch  anorga- 
nische Katalysatoren,  d.  h.  die  Inversionsgeschwindigkeit  hätte,  wenn 
man  die  Zeit  als  Abszisse  und  die  Dichte  als  Ordinate  auftrüge,  die 
Form    einer    logarithmischen    Kurve.     Duclaux*) 
kam    dagegen    zu    dem    Ergebnis,    daß   innerhalb    gewisser 
Grenzen  die   Geschwindigkeit  der  Zuckerinver- 
sion durch  die  Invertase  sich  gleich  bleibe,  also 
unabhängig    sei    von    der    jeweiligen    Dichte   des 
noch  unzersetcten  Rohrzuckers.    So  war  die  absolate 
Menge  des  durch  die  gleiche  Inverta^emenge  in  einigen  Stunden  um- 
gewandelten Zuckers  annähernd  gleich,  ob  man  von  einer  10-,  20-  oder 
40prozentigen  Zuckerlösmig  ausging.   Die  Untersuchungen  von  Tarn- 


1)  Joum.  ehem.   See.  Transact.   1890. 

2)  Traitö  de  microbiol.  2.   136. 


Fermente  (Umsatzstoffe).  759 

mann  und  namentlich  von  H  e  n  r  i  ^)  haben  dann  gelehrt,  daß  die 
Verschiedenheit  des  zeitlichen  Verlaufs  der  Zuckerinversion  durch 
Säure  und  Enz3ane  darauf  beruht,  daß  die  Inversionsgeschivindigkeit 
bei  der  Enzyminversion  zwar  auch  der  jeweilig  vorhandenen 
Rohrzii  c  kerdi  ch  t  e  proportional  ist,  daneben 
aber  die  Geschwindigkeitskonstante  K  im  Ver- 
hältnis der  umgewandelten  Zuckermenge  zu- 
nimmt. Die  Enzymwirkung  wird  also  stark  be- 
einflußt durch  die  gebildeten  Produkte*). 

Es  scheint,  daß  sich  auch  andere  Enzyme,  wie  die  Diastase,  das 
Trypsin,  der  Lab,  die  Zymase  ähnUch  verhalten,  wie  die  Invertase, 
nur  daß  die  Geschwindigkeitskonstante  zum  Teil  mit  dem  Portschreiten 
des  Prozesses  sinkt,  nicht  steigt.  Jedenfalls  verlaufen  die 
enzy  m  a  ti  s  chen  Prozesse  stets  nach  verwickei- 
teren Gesetzen  als  die  katalytischen^).  Daraus  darf 
man  natürlich  noch  nicht  den  Schluß  ziehen,  daß  sie  grundsätzlich 
verschieden  zu  beurteilen  seien. 

Auf  die  Grenzen,  die  der  Fermentierungsprozeß  schließlich  findet 
durch  Anhäufung  der  gebildeten  Produkte,  konmien  wir  weiter  unten 
zurück  (§  251). 

§  242.  Abhängigkeit  der  Wirkung  von  der  Ferment- 
menge. Verbranch  der  Fermente.  Im  allgemeinen  gilt  für  die 
Permentwirkungen  wie  für  die  katalytischen  der  Satz,  daß  sie  zunehmen 
mit  steigender  Menge  des  Fermentes  bzw.  der  Kontaktsubstanz,  und  zwar 
erfolgt  die  Zunahme  in  vielen  Fällen  proportional 
der  letzteren,  so  z.  B.  bei  der  Inversion  durch  Hefeinvertase, 
Lab,  Diastase.  Doch  finden  sich  bei  Enzymen  und  Katalysatoren  auch 
gelegentlich  andere  Beziehungen.  So  soll  die  Menge  der  peptischen 
Produkte  proportional  den  Quadratwurzeln  der  Pepsin  mengen  zu- 
nehmen*). 

Das  wirkliche  Mengenverhältnis  zwischen  Ferment  und  zersetzter 
Substanz  ist  gänzlich  unbekannt,  da  wir  das  Ferment  nicht  rein  dar- 
stellen und  wiegen  können.  Doch  lehrt  schon  der  Vergleich  zwischen 
dem   Gewicht    unserer    unreinen    Enzympräparate,    daß    gewöhnlich 


1)  Zeitöchr.  physikal.  Chem.  39,   1901. 

2)  Vgl.  dazu  außer  den  obengenannten  Darstellungen  L.  Michae- 
lis, Biochem.  Zentr.  7.  17,  1908. 

3)  Vgl.  Herzog,  Zeitschr.  phyaiol.  Chem.  41,  1904 ;  E  u  1  e  r ,  ebenda 
*^4.  1,  1905.  Auf  die  mathematiBche  Behandlung  der  Frage  können  wir 
hier  nicht  näher  eingehen,  wir  verweisen  dafür  namentlich  auf  B  r  e  d  i  g 
a.  a.  O.  imd  O  s  t  w  a  1  d  s  Allgem.  Chemie  2.  Bd.  2.  T. 

4)  J.   Schütz,  Zeitßchr.  physiol.  Cliera.  30,   1900. 


760  Kap.  XIV,    §  242  u.  243. 

sehr  kleine  Mengen  des  Ferments  große  Wirkun- 
genhervorbringen.    So  soll  ein  Teil  Labenzym  oder  Invertase 
mindestens  hmiderttausend  Teile  Kasein  oder  Rohrzucker  verwandeln. 
Andere  Enzyme  zersetzen  scheinbar  viel  geringere  Stoffmengen,  der 
HefepreOsaft,  die  Zymase  z.  B.  nicht  viel  mehr  als  sein  Eigengewicht 
(auf  Trockensubstanz  berechnet)  an  Zucker.    Doch  ist  im  Hefepreß- 
saft das  Enzym  offenbar  nur  in  verschwindend  kleinen  Spuren  vor- 
handen (§  89),  so  daß  die  Stoffmengen,  die  es  zersetzt,  in  Wirklichkeit 
vielleicht  verhältnismäßig  ebenso  bedeutend  sind,  als  diejenigen,  die 
das   Labenzym   umwandelt.     Ähnliche    Betrachtungen   gelten   wahr- 
scheinUch  auch  für  die  sogenannten  geformten  Fermente,  die  wir  vor- 
läufig bloß  in  den  lebenden  Zellen  zu  fassen  bekonmien.    Manche 
Forscher*)  wollen  umgekehrt  aus  dem  Umstände,  daß  gewisse  Sub- 
stanzen im   Stoffwechsel   der  Mikroorganismen  nur  in   absolut  und 
relativ  kleinen  Mengen  entstehen,  schließen,  daß  sie  nicht  durch  fer- 
mentative   Vorgänge   entstanden   sein   könnten,   sondern   als   „  Stoff - 
Wechselprodukte"  aufzufassen  seien.   Wir  erkennen,  wie  wir  schon  öfter 
betont,  nicht  die  Berechtigung  dieser  begrifflichen  Trennung  an,  werden 
vielmehr  den  Alkohol,   die  Milchsäure,   Essigsäure,  den  Gunmii,  das 
Ammoniak,  den  Wasserstoff  und  die  Kohlensäure,  ob  sie  nun  in  großen 
oder   kleinen   Mengen   nachweisbar   sind,    auf  einen    der    bekannten 
Fermentprozesse,  mögen  es  nun  Spaltungen  oder  Synthesen,  Reduk- 
tionen oder  Oxydationen  sein,  beziehen.     Alle  Stoffwechsel- 
vorgänge   sind    für    uns    eben    Fermentierungen. 
Daß  wir  dazu  wirklich  ein  Recht  haben,  sehen  wir  auf  Schritt  und  Tritt. 
Die  Fähigkeit,  Alkohol  oder  Milchsäure  zu  erzeugen,  ist  z.  B.  eine 
Eigenschaft  sehr  vieler  Pilze  imd  Bakterien,  ja  vielleicht  aller  Organis- 
men überhaupt;  in  solchem  Grade  entwickelt,  daß  man  sie  als  Gärung 
bezeichnet  und  technisch  verwerten  kann,   finden  wir  sie  aber  nur 
bei  wenigen  Arten;  eine  scharfe  Grenze  läßt  sich  aber  nicht  ziehen 
zwischen  solchen,  die  Gärung  erregen  imd  solchen,  die  es  nicht  tun, 
vielmehr  ist  der  Übergang  ein  ganz  allmählicher,  wahrscheinlich  wesent- 
lich nur  dadurch  bedingt,  daß  verschieden  große  Mengen  der  ent- 
sprechenden   Enzyme    gebildet    werden.     Die    zersetzte    Stoffmenge 
mag  noch  so  gering  sein,  stets  wird  man  voraussetzen  dürfen,  daß  die 
zugehörige  Enzymmenge  um  ein  Vielfaches  hinter  ihr  zurücksteht. 
Das  Mengenverhältnis  selbst  ist  uns  im  einzelnen  unbekannt,  wir  haben 
aber  keinen  Grund  anzunehmen,  daß  es  gerade  ein  feststehendes  sein 
muß.   Auch  in  dieser  Beziehung  besteht  kein  wesentlicher  Unterschied 
zwischen  den  Katalysatoren  und  den  organischen  Fermenten.    Da- 

1 )  Vgl.  z.  B.  G  o  t  s  c  h  1  i  c  h  in  F  1  ü  g  g  e  s  Mikroorganism.  3.  Auf). 
1.   Bd.,    1896  lind  in  K  o  1 1  e  -  W  a  s  s  e  rm  »  n  n  ,  Handb.    1,    1903, 


Fermente  (Umsatzstoffe).  761 

gegen  könnte  ein  solcher  darin  gefunden  werden,  daß  dieletzteren 
im  allge  m  einen  leichter  verbraucht  werden,  als 
die  ersteren,  daher  immer  wieder  von  neuem  durch  die  lebenden 
Zellen  erzeugt  werden  müssen.  Dieser  Verbrauch  der  Fer- 
mente ist  eine  Erscheinung,  die  nicht  geleugnet 
werden  kann,  die  aber  verständlich  wird,  wenn 
wir  die  geringe  Widerstandsfähigkeit  dieser 
Stoffe  gegen  schädliche  Einflüsse  aller  Art  be- 
denken. In  den  lebenden  Zellen  sowohl  wie  in  unseren  Fermentie- 
rungsversuchen  werden  wir  außer  anderen  Schädlichkeiten  (Säuren, 
AlkaUen,  Giften)  namentlich  einen  Umstand  berücksichtigen  müssen: 
die  gegenseitige  Schädigung  der  Permente.  Durch 
die  Zymaseforschungen  bekannt  geworden  ist  besonders  die  Ver- 
nichtung der  Zymase  durch  die  Endotryptase  (§  89).  Auch  Oxydasen 
könnten  vielleicht  eine  ähnlich  schädliche  Rolle  spielen^).  Stellt  man 
sich  diese  verschiedenen  Einflüsse  vor,  so  ist  man  wohl  nicht  genötigt, 
von  der  bei  der  Definition  der  Fermente  ausgesprochenen  Annahme 
abzuweichen,  daß  die  Fermente  selbst  nicht  in  den  chemischen  Pro- 
dukten, die  sie  erzeugen,  mehr  als  vorübergehend  (s.  u.  §  249)  auf- 
gehen. Im  übrigen  fehlt  ein  strenger  Beweis  gegen  die  Möglichkeit, 
daß  die  Fermente  sich  auch  allmählich  nicht  nur  während  ihrer 
Wirksamkeit,  sondern  durch  ihre  Leistungen  selbst  verbrauchen*). 

§  243.  Untersnehungsverfahren.  Die  Feststellung  der  in  den  vorher 
gehenden  Abschnitten  besprochenen  quantitativen  Beziehungen  zwischen 
Fermentmenge,  Dichte  des  zersetzbaren  Stoffes,  Menge  des  zersetzten 
Stoffes  und  des  zeitlichen  Verlaufs  der  Fermentierung  unterliegt  vielen 
Schwierigkeiten.  Am  größten  sind  sie  natürlich  bei  den  geformten  Fer- 
menten, d.  h.  den  lebenden  Mikroorganismen,  da  wir  hier  zwei  außerhalb 
der  Sache  selbst  liegende  Einflüsse  mitberücksichtigen  müssen,  die  Er- 
nährung und  das  Wachstum.  Wollten  wir  nämlich  beides  oder  auch 
nur  das  Wachstum  ausschließen,  so  erhielten  wir  gewöhnlich  ganz  unregel- 
mäßige Verhältnisse  durch  die  Entartungs-  und  Absterbeerscheinungen, 
die  sich  dabei  zeigen  würden.  Es  bleibt  daher  nichts  übrig,  als  Ernährung 
und  Wachstum  mit  zu  berücksichtigen  inid  die  fermentativen 
Zellei  s  tun  gen  geradezu  in  Beziehung  zu  setzen  zu 
der  neugebildeten  Zellsubstanz.  In  den  Abschnitten  über 
die  Ausnützung  und  den  Verbrauch  der  Nahrung  (§  232 — 236)  und  über 
die  Größe  der  äußeren  und  inneren  Atmung  ( §  220  ff. )  haben  wir  die  bisher 
ermittelten  Zahlen  beigebracht.  Sie  sagen  uns  über  die  Fragen,  die  ims 
hier  beschäftigen,  recht  wenig.    Man  könnte  die  Versuche  aber  wohl  so 


1)  Wir  möchten  auf  derartige  Wirkungen  auch  die  Schwierigkeiten 
zurückführen,  die  sich  der  Deurstellung  mancher  Enzyme  entgegenstellen 
(vgl.  S.  754). 

2)  Vgl,  über  die  Abnahme  der  Wirksamkeit  des  Ferments  bei  der 
Labung  R  e  i  c  h  e  1  imd  Spiro,  Hofmeisters  Beitr.  6,   1 905. 


762  Kap.  XIV,   §  243  u.  244. 

einrichten,  daß  wir  etwas  mehr  erführen.  Besonders  verdiente  die  Atmurur 
unter  verschiedenen  Bedingungen,  z.  B.  bei  verschiedener  Konzentration 
des  Atmungsmaterials,  näher  studiert  zu  werden,  um  so  mehr,  da  es  hier 
am  ehesten  möglich  ist,  den  Einfluß  des  Waclistums  auszuschalten*).  Die 
Ergebnisse  Puriewitschs*)an  Schimmelpilzen  (S.  674)  scheinen  zunäclist 
dafür  zu  sprechen,  daß  die  Atmungsgröße  bei  Schimmel- 
pilzen in  hohem  Grade  unabhängig  sei  von  der  Kon- 
zentration der  Zuckorlösung,  in  der  sie  leben.  Das 
würde  übereinstimmen  mit  der  Beobachtung  Duclauxs  (S.  758)  über 
die  Wirkimg  der  Invertase.  Die  Schwierigkeiten  der  Untersuchung  sind 
geringer,  wenn  wir  mit  isolierbaren  Enzymen  arbeiten  können,  doch  wirken 
hier  die  mcissenhaften  Beimischungen  fremder  Stoffe,  z.  B.  der  Glykogpn- 
und  Eiweißgehalt  des  Hefepreßsafts  und  die  Veränderlichkeit  der  Enzyme 
recht  störend.  Dafür  haben  wir  gerade  bei  der  Zymasewirkung  den  Vor- 
teil, durch  Wägung  der  Kohlensäure  sehr  exakt  die  Menge  der  zersetzten 
Substanz  bestimmen  zu  können,  was  bei  anderen  Enzymwirkungen,  z.  H. 
den   die»tatischen  und  namentlich   den   tryptischen,   schwieriger   ist. 

Uni  die  enzymatischen  Vorgänge  nüteinander  quantitativ  zu  ver- 
gleichen, ist  es  am  besten,  zum  Ausgangspunkt  zu  nehmen  die  Zeiten, 
die  nötig  sind,  um  gleiche  Wirkungen  zu  erzielen: 
z.  B.  stellten  O'Sullivan  und  Tompson  (S.  758)  für  verschiedene 
Mengen  von  Invertase  die  Zeit  fest,  die  erforderlich  war,  lun  eine  gegebene 
Rolirzuckerlösung  soweit  zu  invertieren,  daß  sie  im  Polarisationsapparat 
keine  Drehung  venirsachte').  Sie  fanden  dabei,  daß  die  Minutenzahl, 
multipliziert  mit  der  Enzynunenge,  bei  gleicher  Temperatur  immer  dieselbe 
Zahl  ergab,  mit  anderen  Worten,  daß  die  Inversionsgeschwindigkeit  pro- 
portional war  der  Menge  der  Invertase.  Dasselbe  Gesetz  findet  man,  wenn 
incm  die  Zeiten  vergleicht,  die  zur  Gerinnung  einer  Kaseinlösung  (Milcht 
nötig  sind  bei  verschiedenen  Labzusätzen.  Auf  die  Wahl  des  richtigen 
Zeitpunktes  der  Reaktion  konmit  viel  an;  im  eJlgemeinen  soll  man  nicht 
abwarten,  bis  die  Enzymleistimg  zum  Stillstemd  gekonmien  ist,  z.  B.  der 
Rohrzucker  vollständig  invertiert,  die  Stärke  so  weit  wie  möglich  ver- 
zuckert ist,  weil  sich  in  den  letzten  Stadien  der  Umwandlung  störende 
Einflüsse  kräftiger  bemerkbar  machen  (s.  u.    §  251). 

§  244.  Einfluß  der  Temperatur  anf  Fermente  and  Fer- 
mentwirkung. Die  Fermentwirkungen  sind  in  ihrer  Stärke  abhängig 
von  der  Temperatur,  imd  zwar  zeigt  jedes  Ferment  besondere  Ver- 
hältnisse. Durch  niedrige  Temperatur  werden  die  Wirkungen  ganz 
aufgehoben,  nehmen  dann  bis  zu  einem  gewissen  Pimkte  zu  und  gehen 
bei  höherer  Temperatur  wieder  zurück.  Die  höchsten  imd  niedrigsten 
Temperaturen  unterscheiden  sich  aber  dadurch,  daß  die  ersteren  das 

1)  Umgekehrt  würden  wir  gerade  durch  Bestimmung  der  WscKs- 
tunisgcschwindigkeit  die  Wirksamkeit  der  Wachstums-  und  synthetischen 
Enzyme  feststellen  können.  Vgl.  über  die  Wachstumsgesetze  der  Bakterien 
und  namentlich  der  Schimmelpilze   §  36. 

2)  Jahrb.  wissensch.  Botan.  35,   1900. 

3)  Das  entspricht  einer  Inversion  von  74%  des  Rohrzuckere,  da 
diese  bei  +  66,5  beginnt,  bei  — 21,4  beendet  ist  und  proportional  der 
Drehung  verlauft. 


Fermente  (Umsatzstoffe).  763 

Ferment  allmählich  zerstören,  während  die  letzteren  es  bewahren 
helfen.  Bei  den  geformten  (lebenden)  Permenten 
fällt  die  günstigste  Wirksamkeit  gewöhnlich  zu- 
sammen mit  dem  besten  Wachstum,  bei  den  En- 
zymen liegt  sie  dagegen  im  allgemeinen  höher, 
so  daß  man  durch  Anwendung  hoher  Temperaturen  in  vielen  Fällen 
geradezu  die  Möglichkeit  hat,  das  Wachstum  auszuschalten,  ohne  die 
fermentative  Leistung  zu  vernichten  (s.  o.  S.  753).  Vondenmeisten 
anorganischen  Katalysatoren  (z.  B.  den  Säuren) 
unterscheiden  sich  aber  die  Enzyme  dadurch, 
daß  sie  nicht  unbegrenzt  mit  steigender  Tem- 
peratur ihre  Wirkung  vermehren,  sondern  diese  von 
einer  gewissen  Grenze  an  veningem  und  schließlich  aufgeben,  weil 
sie  nicht  widerstandsfähig  genug  gegen  Hitze  sind.  Nur  die  kolloidalen 
Metalle  B  r  e  d  i  g  s  erweisen  sich  auch  empfindlich  gegen  Tempera- 
turen, die  sich  100®  C  nähern.  Zahlenmäßig  festgestellt  haben  O'S  u  1 1  i  - 
van  und  Tompson  (S.  758)  die  Leistungsfähigkeit  der  Hefeinver- 
tase  bei  verschiedenen  Temperaturen.  Sie  fanden,  daß  zur  Inversion 
einer  Zuckerlösimg^)  nötig  waren 

bei    0®     C  1440     Minuten,       bei  55«  C  51,8  Minuten 
„    15,5<>  C    398  „  „    600  c  80,4 

29,5<>  C     155,5       „  „    700  q  j^eine  Inversion. 


99 


45«     C      73,8 


Die  kräftigste  Inversion  findet  bei  der  Invertase  zwischen  52  und 
530  C  statt.  Labenzym  —  allerdings  tierisches  —  hat  nach  Fleisch- 
m  a  n  n  2)  bei  15«  keine  Wirkung,  koaguliert 

bei  20»  in  32  Minuten,  bei  40«  in    6    Minuten, 

„    250  „   14        „  „    450  „     6,7       „ 

„    30     „     8,5     „  „    50    „   12  ,, 

„    35    ',,     7        „ 

Die  Labwirkung  ist  also  am  stärksten  bei  einer  verhältnismäßig  niedrigen 
Temperatur,  etwa  bei- 41°.  Für  die  Urease  bestimmte  sie  Miquel 
(S.  .598)  auf  49—500. 

Die  genaue  Feststellung  des  Einflusses  der  Temperatur  auf  die 
Enzyme  stößt  insofern  auf  Schwierigkeiten,  als  die  Wirkung 
der  Temperatur  eine  verschiedene  ist,  je  nach 
derLösung,  in  der  sich  das  Enzym  befindet,  und 

1)  Bis  zum  0-Piinkt  des  Polarisationsinstrumentg. 

2)  Das   Molkereiwesen    (nach   D  u  cl  a  u  x).     Vgl.    aucli   dio   Zahlen 
bei  Fleischmann,   Milchwirtschaft,   1908,   S.  280. 


764  Kap.  XIV,    §  244  u.  245. 

als  die  Temperatur  auch  die  umzusetzenden  Stoffe 
selbst  beeinflußt.    So  leitet  z.   B.   schon  gelinde  Erhitzung 
an  sich  die  Zersetzimg  des  Harnstoffe  ein,  und  ebenso  wird  dadurch 
die  Gerinnbarkeit  der  Milch  erhöht.    Durch  Kontrollen,  die  nament- 
lich  bei   dem   Studium  der   Harnstoffvergärung  nötig  sind,   schützt 
man  sich  am  besten  gegen  Fehler,  die  hieraus  entstehen.   Bedeutsamer 
sind  unter  Umständen  die  Verändenmgen,  die  Säuren  oder  Alkalien 
bei  höherer  Temperatur  in  dem  zersetzbaren  Material  hervorrufen. 
Selbst  bei  37°  sah  z.  B.  K  a  1  i  s  c  h  e  r  ^)  eine  Einwirkung  des  von 
Bakterien   aus   Kasein   abgespaltenen   Ammoniaks   auf   Milchzucker. 
Für  die  Verzuckerung  der  Stärke,  die  Inversion  der  Disaccharide  kom- 
men namentlich  die  Säuren  in  Betracht,  wenn  auch  zugegeben  werden 
kann,  daß  die  organischen  Säuren  in  den  Temperaturgrenzen,  die  in 
diesen   Versuchen  innegehalten   wurden,   wenig  leisten   können.    Bei 
weitem   wichtiger  ist  die   Tatsache,   daß   die   Enzyme  in 
reinen  Lösungen  viel  weniger  widerstandsfähig 
gegen  erhöhte   Temperaturen  sind,   als   wenn  sie 
in  Wirksamkeit  sind,  d.  h.  zersetzbare  Stoffe  zu 
ihrer    Verfügung   haben.     So    fanden    O'S  u  1 1  i  v  a  n   und 
T  o  m  p  s  o  n ,  daß  die  Hef einvertase  in  zuckerfreier  Lösung  schon  durch 
Temperaturen   über   30°   beginnt,    an   Wirksamkeit   einzubüßen  und 
bei  50 — 55°  völUg  zerstört  wird,  während  sie  mit  Zucker  erhitzt  zwischen 
15  und  60°  ziemüch  unverändert  bleibt  und  erst  bei  75°  vernichtet 
wird  (vgl.  S.  236).    Ebenso  ist  die  Urease  in  reinem  Zustande  (d.  h. 
im  Kulturfiltrat)  2  Stunden  lang  erhitzt  schon  empfindlich  geschädigt 
durch  eine  Temperatur  von  50°,  die  bei  Gegenwart  von  Harnstoff  für  ihre 
Leistimg  am  günstigsten  ist.    10  Minuten  lange  Erhitzung  auf  70—75® 
vernichtet  sie  vollständig. 

Die  Widerstandsfähigkeit  der  Enzyme  wird  auch  herabgesetzt 
durch  Verdünnung  seiner  Lösimg;  so  wird  nach  Biernacki-) 
unfiltrierte  Speicheldiastase  zerstört  erst  bei  75°,  filtrierte  bei  70^ 
10 mal  mit  Wasser  verdünnte  bei  60°.  Durch  Zufügung  von 
Salzen  oder  Pepton  kann  man  die  Vemichtungstemperatiir 
wieder  auf  65 — 70°  erhöhen^).  Es  folgt  daraus,  daß  man  aus  der 
ungleichen  Widerstandsfähigkeit  von  Enzymen 
gegen  hohe  Temperaturen  nicht  ohne  weiteres 
den  Schluß  ziehen  darf,  daß  man  verschiedene 
Enzyme  vor  sich  hat.  Immerhin  haben  wir  in  den  vorher- 
gehenden Kapiteln  dieses  Werkes  zahlreiche  Beispiele  dafür  gehabt, 

1)  Arch.  f.  Hyg.  37.  36,  1900. 

2)  Zeitschr.  f.  Biol.  28. 

3)  Andere  Beispiele  s.  bei  B  u  c  h  n  e  r  ,  Arch.  f.  Hyg.  17,  138,  1893. 


Fermente  (Umöatzstoffe).  765 

daß   wirklich    derartige    Unterschiede    zväschen   Enzjrmen    bestehen, 
die  in  ihren  Wirkimgen  nahe  miteinander  verwandt  sind. 

Während  im  allgemeinen  die  „tödhche"  Temperatur  für  die 
Enzyme  in  der  Nähe  von  60 — 70^  hegt,  gibt  es  solche,  die  weit  davon 
abweichen.  Besonders  empfindHch  ist  die  Zymase,  die  schon  bei  Zimmer- 
temperatur in  einigen  Tagen  unwirksam  wird,  allerdings  vielleicht  mir 
deswegen,  weil  sie  dem  schädUchen  Einfluß  des  neben  ihr  im  Hefe- 
preÜsaft  enthaltenen  verdauenden  Enz3rms  erliegt  (§  89).  Das  Gegen- 
stück dazu  ist  das  Labenzym  des  Bac.  prodigiosus,  das 
nach  G  o r i n i  (S.  547)  erst  durch  halbstündige  Er- 
hitzung auf  100®  zerstört  wird.  Bemerkenswert  ist  auch 
das  Verhalten  der  Invertase,  die  wir  S.  236  besprachen :  solange 
das  Enzym  in  den  Zellen  steckt,  widersteht  es  der 
Kochhitze,  wenn  es  aus  ihnen  ausgezogen  ist, 
nicht!  Vielleicht^)  erklärt  sich  diese  letztgenannte  Tatsache  daraus, 
daß  die  Enzyme,  wenn  sie  wasserarm  sind,  gegen  Erhitzung 
viderst^ndsfähiger  sind.  Im  gutgetrockneten  Zustande  hält  die  Zymase 
ja  Temperaturen  von  85*^  stundenlang  aus.  Für  die  meisten  trockenen 
Enzyme  werden  sogar  Temperaturen  von  100 — 150®  als  imschädUch 
angesehen.  Eiweißstoffe  verhalten  sich  bekannthch  ähnhch,  sie  werden 
in  wasserarmem  Zustande  nicht  so  leicht  „denaturiert",  wie  im  feuchten. 
AuchsonstistdasTrocknen  derEnzymedasbeste 
Mittel,  ihre  Wirksamkeit  zu  konservieren.  Nur 
muß  man  natürlich  die  Vorsicht  gebrauchen, 
das  Trocknen  bei  Temperaturen  vorzunehmen, 
die  für  das  Enzym  unschädlich  sind.  Am  besten  geUngt 
das  unter  der  Luftpumpe  bei  20 — 40°. 

Im  Gregensatz  zu  den  hohen  Temperaturen  sollen  auch  die  nie- 
drigsten Temperaturen  der  flüssigen  Luft  die  Enzyme  nicht  schädigen^). 
Darauf  beruht  die  Berechtigung  der  Darstellungsmethode  M  a  c  - 
fadyens  imd  Rowlands  (S.  754).  Ausnahmen  sind  aber  auch 
hier  wohl  nicht  ausgeschlossen. 

§  245.  Einfluß  des  Lichts  und  der  Elektrizität.  Schon 
D  0  w  n  e  8  und  B  1  u  n  t  ')  haben  erkannt,  daß  Invertinlösungen 
durch  das  Sonnenlicht  allmähUch  ihre  Wirksamkeit  einbüßen.  Trypsin 
und  Pepsin  verhalten  sich  nicht  anders,  imd  die  proteolytischen  Enzyme 
der  Bakterien  schheßen  sich  ihnen  an  (F  e  r  m  i  und  Pernossi  *)). 


1)  Vgl.  übrigens  das  §  250  über  Zjmnogene  Gesagte. 

2)  d'Arsonval,    Compt.   rend.    biol.    1892,    808;    Pozersky, 
ebenda  1900,  714. 

3)  Proceed.  roy.  See.  26  und  28,  1877  vind  1878. 

4)  Zeitflchr.  f.  Hyg.   18,  1894. 


766  Kap.   XIV,   §  245-247. 

D  u  c  1  a  u  X  ^)  fand  weiter,  daß  dieser  schädliche  Einfluß  auf  eine  Oxy- 
dation zurückzuführen  ist,  denn  er  fehlte  im  luftleeren  Baum.  Daram 
ist  er  auch  in  verschlossenen  Flaschen  im  allgemeinen  recht  gering 
(Emmerling  ^)).  Green®)  wies  dann  weiter  durch  Veisuche 
mit  Speicheldiastase  nach,  daß  die  violetten  und  ultra- 
violetten Strahlen  des  Spektrums  es  sind,  denen  die  Schädigung 
zuzuschreiben  ist  (vgl.  S.  153).  Merkwürdigerweise  haben  andere  Teile 
des  Spektrums,  namentUch  die  roten  Lichtstrahlen,  eine  entgegen- 
gesetzte Wirkimg:  sie  erhöhen  die  Fermentleistimg.  Green  will 
das  damit  erklären,  daß  der  Speichel  eine  Vorstufe  der  Diastase  ent- 
halte, ein  Zymogen,  das  durch  die  roten  Strahlen  in  das  Enzym  über- 
geführt werde  (s.  u.  §  250). 

In  den  letzten  Jahren  ist  namentUch  durch  Tappeiner  eine 
Reihe  von  Tatsachen  bekannt  geworden,  die  beweisen,  daß  gewisse 
fluoreszierende  Farbstoffe  eine  „sensibilisierende"  Wirkung  ausüben, 
indem  sie  den  Lichteinfluß  steigern.  Wir  haben  diese  Beziehungen, 
die  auch,  aber  in  weniger  ausgesprochenem  Maße  für  die  lebejiden 
Mikroorganismen  gelten,  schon  im  §  45  erwähnt.  Dort  sind  auch  die 
Wirkungen  der  Elektrizität  auf  die  Bakterien  und  ihre  Produkte  be- 
sprochen. 

§  246.  Einfluß  von  Säuren  und  Alkalien.  In  den  voran- 
gehenden Kapiteln  dieses  Werkes  haben  wir  beständig  auf  die  Be- 
deutimg hinweisen  müssen,  die  die  Reaktion  der  Nährflüssigkeit  auf  die 
Wirkung  der  Fermente  ausübt.  Für  jedes  Ferment  oder  Enzym  gibt 
es  eine  günstigste  Reaktion.  Bei  der  Diastase,  Invertase, 
Endotryptase  und  dem  Lab  ist  es  eine  gewisse  Menge  Säure,  bei  den 
tryptischen  Enzymen  und  merkwürdigerweise  auch  bei  der  Zymase 
(S.  270)  ist  es  das  Alkah,  das  die  Fermentierung  begünstigt.  Letztere 
Tatsache  steht  in  Widerspruch  mit  der  Beobachtung,  daß  lebende 
Hefe  besser  gärt  bei  saurer  als  bei  alkalischer  Reaktion.  E.  B  u  c  h  - 
n  e  r  fand  allerdings,  daß  das  Endergebnis  bei  der  zellfreien  Gärung 
doch  ein  ebenso  gutes  war,  wenn  er  Säure,  als  wenn  er  Alkah  zusetzte. 

Was  die  Wirkung  der  einzelnen  Säuren  anlangt,  so  ist  sie  von 
F  e  r  n  b  a  c  h  ■*)  bei  der  Aspergillus-Invertase  genau  studiert  worden. 
Er  fand  folgende  Zahlen  für  die  günstigste  Dichte  der  Säuren  bei 
gleichzeitiger  Wirkimg  von  Säure  und  Enzym  und  für  die  Menge  des 
dadurch  invertierten  Zuckers: 


1)  Microbiologio  1883. 

2)  Ber.  ehem.  Gesellsch.   1901.   3811. 

3)  Philos.  Transact.  Roy.   See.   1897. 

4)  Annal.  Pasteur  1889.   473  und  531.     Vgl.    §  78. 


Fermente  (Umsatzstoffe). 


767 


Art  der  Säure 


Günstigste  Dichte 
der  Säure  in 


V 


00 


mg  Mol. 


Zuckermengen  in  mg, 
invertiert  diwch 
Säure  u.  |    Säure       Enz3rm 
Enzym  i    allein     I    allein 


Schwefelsaure  . 
Oxalsäure  .  . 
Weinsäure .  .  . 
Bemsteinsäure . 
Milchsäure     .    . 


0,050 

0,25 

313 

7 

0,066 

0,72 

300 

0 

1,000 

6,7 

400 

86 

2,000 

17,0 

342 

37 

5,000 

55,0 

415 

122    ; 

10,000 

166,0 

379 

72   ! 

305 
300 
314 
305 
293 
307 


Bei  Gegenwart  von  Milchsäure  und  Weinsäure  erhält  man  also  die 
kräftigste  Inversion  durch  das  Enzym. 

Die  vorletzte  Spalte  der  Tafel  gibt  die  Zuckermenge  an,  die  dur  h 
die  angegebene  Säuremenge,  wenn  sie  allein  wirkt,  invertiert  wird.  Eine 
strenge  Regel,  etwa  eine  Beziehung  zu  dem  Grade  der  Dissoziation  der 
Säure,  läßt  sich  daraus  nicht  ableiten,  wenn  auch  die  stärker  disso- 
ziierten Säuren  in  geringen  Mengen  am  wirksamsten  sind.  Die  letzte 
Spalte  ist  berechnet  aus  den  Zahlen  der  vorletzten  und  drittletzten 
Spalte  durch  Subtraktion,  sie  lehrt,  daß  die  Wirkung,  die  dem 
Enzym  allein  zuzuschreiben  ist,  ungefähr  die- 
selbe  ist,  ob  man  diese  oder  jeneSäure  benutzt. 

Die  obigen  Zahlen  gelten  übrigens  nur  für  ein  bestimmtes  Inver- 
tasepräparat,  für  andere  können  sie,  wie  Fernbach  gefunden,  sehr 
erheblich  abweichen.  Auch  steigen  nach  0 '  S  u  1 1  i  v  a  n  und 
T  0  m  p  s  o  n  (S.  758)  die  nötigen  Säuremengen,  wenn  größere  Mengen 
des  Enzyms  zur  Verwendung  gelangen,  oder  wenn  die  Temperatur  der 
Reaktion  herabgesetzt  wird.  So  braucht  man  z.  B.  fünfmal  mehr 
Schwefelsäure  bei  15°  als  bei  56°,  der  Temperatur  der  Fernbach- 
schen  Versuche. 

Die  Bedeutung  des  genannten  „Säureoptimums"  ist  keine  große, 
weil  die  Menge  des  invertierten  Zuckers  durch  die  Verschiedenheit  der 
Säuremengen  in  keinem  Fall  erheblich  beeinflußt  ist;  erst  wenn  die 
Reaktion  eine  alkalische  wird,  werden  die  Ergebnisse  der  Inversion 
verhältnismäßig  viel  schlechter,  sinken  z.  B.  auf  die  Hälfte  und  bei 
höheren  Graden  auf  den  zehnten  Teil. 

Die  Widerstandsfähigkeit  der  reinen  Enzymlösungen  gegenüber 
Säuren  und  Alkalien  bewegt  sich  nach  derselben  Richtung :  die  Invertase 
wird  bei  alkalischer  Reaktion  schneller  zerstört,  bei  neutraler  langsam 
und  bei  saurer  nur  wenig. 

§  247.  Einfluß  von  Salzen,  Metalloxyden  und  anderen 
Bestandteilen  des  Nährbodens.     Kofermente.     Am  größten  ist 


76S  Kap.  XIV,   §  247  u.  248. 

^ie  wir  S.  557  gesehen  haben,  der  Einfluß  von  Salzen  auf  die  Wirkiuij 
des  Labenzyms.  Beim  Fehlen  von  Kalk  oder  anderen  alka 
lischen  Erdsalzen  tritt  wenigstens  die  sichtbare  Gerinnung  des  Kasein.* 
nicht  ein.  Umgekehrt  verzögert  die  Anwesenheit  von  Salzen  odei 
Alkalien  oder  größerer  Mengen  der  Erdalkalien  di< 
Gerinnung^).  Die  Wirkung  derselben  Salze  auf  andere  Enzyme  kann 
eine  entgegengesetzte  sein^).  Allgemeine  Regeln  lassen  sich  dafüj 
nicht  aufstellen. 

Manche    oxydativen    Vorgänge    werden    durch    Gegenwart    von 
Metallen   (Eisen,  Mangan)  oder  Metallverbindungen,  wie  wir  schon 
S.  757  sahen,  begünstigt,  die  mancher  Oxydasen  vielleicht  sogar  da- 
durch erst  vermittelt  (S.  466).    In  vielen  Fällen  sind  die  Bestandteile, 
die  die  Oxydation  (z.  B.  die  Zuckerverbrennung)  begünstigen,  noch 
nicht  genau  bekannt,  sondern  man  weiß  nur,  daß  sie  in  der  Asche  alier 
mögHchen  organischen  Stoffe,  z.  B.  im  Blut,  Eiter,  Samen,  Blättern 
(Zigarren)  u.  dgl.  vorhanden  sind   (Schade  ®)).     In  den  Versuchen 
P  i  t  o  f  f  s  *)  war  die  Spur  fremder  Beimengungen,  die  gewöhnliches 
destilliertes  Wasser  enthält,  genügend,  um  die  Oxydation  des  Sulfits 
zum  Sulfat  gegenüber  der  Reaktion  im  allerreinsten  destillierten  Wa.sser 
hundertmal  zu  beschleunigen.    Es  ist  wohl  möglich,  daß  in  ähnheher 
Weise  auch  die  fermentativen  Vorgänge  beeinflußt  werden.     So  hat 
man  neuerdings  gefunden,   daß  gewisse   Stoffe  im  Hefepreßsaft  die 
Alkoholgärung  befördern  (S.  257  und  258).    Teils  handelt  es  sich  um 
bekannte  Stoffe,  wie  Lezithin  und  sekundäres  Natriumphosphat,  teils 
um  unbekannte.   Der  von  Bertrand  ursprünglich  für  die  Oxydasen 
eingeführte    Name    „Kofermente"    (Koenzyme)    oder    auch    „Zymo- 
exzitatoren"  wäre  wohl  zur  Bezeichnung  geeignet.     Vorläufig  ist  es 
gut,  sie  nicht  mit  den  ,,Zwischenkörpem"  (§  249)  zusanmienzuwerfen. 

Von  einer  die  Fermentwirkung  steigernden  Leistung  ver- 
dünnter Gifte  (§  248)  ist  bisher  nichts  bekannt  geworden.  Es 
scheint  also  keine  ähnliche  „Reiz Wirkung**  derselben,  wie  wir  sie  in  §  55 
bezüglich  der  lebenden  Keime  erörtert  haben,  zu  bestehen.  Immerhin 
bedarf  die  Frage  wohl  noch  einer  genaueren  Behandlung.  Es  könnte  sich 
auch  hier  mehr  um  quantitative  Unterschiede  handeln,  als  um  einen 
grundlegenden  Gegensatz.  Über  den  scheinbaren  Ausnahmefall  einer 
ßeizwirkung,  der  das  Chinin  betrifft,  s.  u.  §  248. 

Durch  die   Gegenwart    gallertiger    oder    schleimiger  I 
Stoffe  (Gelatine,  Agar,  Kieselsäure)  sollen  chemische  Reaktionen  und 

1)  Vgl.  eine  genaue  Tafel  bei  D  u  cl  au  x  2,  306. 

2)  Duclaux  2,   375,  vgl.  Moraczewfiki,  Pflügors  Arch.  69,  1897. 

3)  Münchn.  med.  Woch.   1905,  36. 

4)  Zeitschr.  f.  physikal.  Chemie  45. 


Fermente  (Umsatzstoffe).  769 

Enzyniwirkimgen  nicht  behindert  werden,  wie  man  früher  wohl  ange- 
aommen  hat^).  Doch  hemmen  nach  M.  Hahn  Zucker  oder  Glyzerin 
in  höherer  Dichte  (50%)  das  proteolytische  Enzym  im  Hefepreßsaft 
(§  166).  Eindicken  des  Saftes  auf  den  dritten  Teil  seines  Volumens 
hat  den  gleichen  Erfolg.  Auch  Bräuning^)  findet,  daß  „indiffe- 
rente**, in  Wasser  lösliche  Stoffe  die  Ferraentierung  verlangsamen  oder 
aufheben,  so  z.  B.  Glyzerin  oder  Harnstoff  die  Wirkung  der  Invertase 
und  Zymase,  des  Emulsins,  Pepsins  und  Trypsins,  Traubenzucker 
und  Rohrzucker  die  des  Pepsins,  während  Milchzucker  die  Inversion 
nur  wenig  hindert.  Wahrscheinlich  wird  in  jedem  Falle  die  Wider- 
standsfähigkeit der  Enzyme,  z.  B.  gegen  Hitze,  durch  alle  der- 
artigen Stoffe,  wenn  sie  in  irgend  erheblicher  Menge  vorhanden  sind, 
beeinflußt.  Umgekehrt  erklärt  sich  dadurch  vielleicht  die  g  ü  n  s  t  i  g  e 
Wirkung  von  Glyzerin  oder  Eiweißzusätzen  auf  die  Gärkraft  ver- 
dünnten Preßsaftes  (B  u  c  h  n  e  r  und  Meisenheimer  S.  270). 

§  248.  Einfloß  von  Giften.  Zymoparalysatoren.  Wir  haben 
im  §  240  gesehen,  daß  keimwidrige  Stoffe  dazu  benutzt  werden,  um 
in  Kulturen  oder  Aufschwemmungen  die  Lebenstätigkeit  der  Milcro- 
organismen  auszuschalten,  ihre  Enzym  Wirkungen  aber  zu  erhalten; 
femer  um  Enzymlösungen,  die  auf  irgendeine  Weise  hergestellt  sind, 
vor  dem  nachträglichen  Eindringen  und  tJbervvuchem  fremder  Keime 
zu  schützen.  Sind  die  antiseptischen  Stoffe  zu  stark  konzentriert,  so 
schädigen  sie  regelmäßig  allerdings  auch  die  Enzyme.  Es  besteht  also 
nur  ein  quantitativer  Unterschied  in  dem  Verhalten  des  lebenden 
Protoplasmas  und  der  Enzyme  gegenüber  den  Giftstoffen,  immerhin  ist 
das  erstere  empfindlicher  als  die  letzteren.  Doch 
ist  das  wohl  kein  allgemeingültiges  Gesetz.  Wir  können  uns  ganz  gut 
vorstellen,  daß  gewisse  fermentative  Leistungen  nur  deswegen  noch 
nicht  haben  isoliert  werden  können,  weil  das  Ferment,  das  sie  vermittelt. 
Giften  ebenso  schnell  erliegt,  als  die  Lebens-  und  Wachstumsfähigkeit 
des  Protoplasmas.  Durch  diese  Annahme  würde  der  wesentliche  Unter- 
schied zwischen  geformten  und  ungeformten  Fermenten,  d.  h.  Enzymen, 
aus  dem  Wege  geräumt  sein.  Daß  dem  wirklich  so  ist,  dafür  spricht  auch 
die  Erfahrung,  daß  die  einzelnen  Enzyme  selbst  sich  gegen  die  Anti- 
septika einschließlich  der  Fällungsmittel,  wie  Alkohol,  oft  recht  ver- 
schieden verhalten^).  Überall  zutreffende  Regeln  über 
die    Wirkung    der    einzelnen    Gifte    auf    die    Fer- 

1)  Vgl.  Reformatsky,  Zeitschr.  phys.  Chera.  7,  1891;  Levi. 
riiem.  Zentralbl.   1900.  2.  658. 

2)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  42,   1904. 

^)  Vgl.  über   die    z.  T.  entgegengesetzte  Beeinflussung   der  Zymase 
lind  Endotiyptase  S.  269,  270  u.   496  und  weiter  unten  im  Text. 
Kruse,  Mikrobiologie.  49 


770  Ivap.  XIV,    §  248. 

mente  lassen  sich  nicht  geben:  im  ganzen  bewähren 
sich  schwache  und  flüchtige  Antiseptika  wie  Chloroform,  Benzol,  To- 
luol,  Thymol,  Äther,  auch  ätherische  öle,  z.  B.  Senföl,  am  besten.  Sie 
werden  auch  deswegen  am  meisten  angewandt,  weil  es  durch  einfaches 
Abdunsten  gelingt,  sie  aus  den  Kulturen  der  Enzymlöeungen  nötigen- 
falls zu  entfernen  und  dadurch  ihre  Einwirkungszeit  abzukürzen,  Nach- 
wirkimgen  immöglich  zu  machen.  Das  viel  benutzte  Chloroform  hat 
aber  einige  Eigentümlichkeiten,  es  ist  z.  B.,  wie  wir  S.  239  gesehei], 
bei  der  Darstellung  der  Hefemaltase  nicht  zu  gebrauchen,  wohl  bei  der 
der  Aspergillusmaltase.  Der  Einfluß  des  Chloroforms  bei  der  sogenannten 
Autolyse,  der  Selbstverdauung  von  Organen  und  Bakterien,  ist  nach 
Malfitano^)  verschieden,  je  nachdem  gleichzeitig  Sauerstoff 
zutreten  kann  oder  nicht:  nur  im  ersteren  Falle  läßt  es  das  oder  die 
autolytischen  Permente  zur  Wirkimg  gelangen,  im  geschlossenen  Ge- 
fäße hemmt  es  dagegen  die  Autolyse.  Bei  Xylol,  Toluol,  Phenol,  Thy- 
mol,  schwachem  Alkohol  und  Zyankalium  ist  der  unterschied  nicht 
zu  merken,  sie  stören  die  Autolyse  nicht;  Sublimat,  Fluomatrium  und 
Formaldehyd  hemmen  sie  mit  oder  ohne  Luftzutritt.  Bemerkenswert 
ist  in  diesem  Zusammenhange,  daß  nach  M.  Hahn  Sauerstoffzutiitt 
die  Wirkung  der  Hefe-Endotryptase,  die  den  autolytischen  Fermenten 
nahesteht,  eher  zu  fördern  scheint.  Die  Erklärung  für  diese  Verschie- 
denheiten ist  vielleicht  in  dem  Umstände  zu  suchen,  daß  verschiedene, 
auch  oxydierende  Fermente  (vgl.  Selbstverbrennung  §  226)  an  der 
Autolyse  beteiligt  sind,  die  durch  die  einzelnen  Gifte  ungleich  beein- 
flußt werden. 

Manche  Antiseptika,  wie  die  Metallsalze  (Sublimat)  und  Karbol- 
säure, sind  weniger  geeignet,  zur  Darstellung  und  Konservierung  der 
Enzyme  zu  dienen,  weil  sie  in  eiweißreichen  liösungen  (Zymase)  Nieder- 
schläge erzeugen  und  so  das  Enzym  mit  zu  Boden  reißen.  In  dünnen 
Lösungen  ist  aber  namentlich  Karbolsäure  auch  hier  anwendbar.  Man 
darf  sagen,  daß  es  kein  Antiseptikum  gibt,  das  nicht 
unter  Umständen  sich  brauchbar  erwiese.  Das 
gilt  auch,  wie  wir  S.  496  gesehen,  von  dem  Formaldehyd,  dem  man  aus 
theoretischen  Gründen^)  eine  fermentzerstörende  Eigenschaft  zuge- 
schrieben hat.  So  wird  z.  B.  die  Hefeendotryptase  erst  durch  0,5% 
Formaldehyd  nachteiUg  beeinflußt.  Auch  in  stärkeren  Verdünnungen 
kaim  freilich  das  Formaldehyd  die  Fermentwirkung  beeinflussen,  wenn 
es  Gelegenheit  gehabt  hat,  längere  Zeit  vorher  auf  die  zersetzbaren 


1)  Annal.  Pasteur  1902.     Vgl.    §  166. 

2)  Low,    Science    1899.    955   (nach   Oppenheim  er,   Fermente 
S.  27). 


Fennente  (Umsatzstoffe).  77  l 

Stoffe,  insbesondere  die  Eiweißstoffe,  einzuwirken*).  Aber  wir  be- 
merkten ja  schon,  daß  andere  Antiseptika  sich  unter  Umständen  ähn- 
lich verhalten,  ja,  daß  sie  alle  in  gewisser  Dichte  die  Ferraentwirkung 
ungünstig  beeinflussen. 

Die  für  höhere  Tiere  besonders  giftigen  Stoffe^)  verhalten  sich  gegen- 
über den  Enzymen  sehr  verschieden.  Die  Blausäure  z.  B.  hebt  in 
l%iger  Losung  die  Wirkung  der  Zymase  völlig  auf,  doch  nur  vor- 
übergehend, denn  wenn  sie  durch  Luftüberleitung  verjagt  wird,  zeigt 
sich  das  Enzym  noch  gärkräftig.  Ähnliche  Konzentrationen  des  Gases 
beeinflussen  andere  Enzyme,  z.  B.  die  Hefeendotryptase,  nicht  oder 
wenig. 

Sehr  interessant  ist,  daß  auch  anorganische  Katalysatoren,  die 
kolloiden  Metalle  Bredigs,  nicht  nur  durch  Blausäure,  sondern 
auch  durch  Schwefelwasserstoff,  Sublimat  und  andere  „Protoplasma- 
gift«" in  ihrer  Tätigkeit  gehemmt  werden. 

Auch  der  Alkohol,  der  ja  bei  der  Darstellung  der  Enzyme  eine 
große  Rolle  spielt,  wirkt  auf  viele  derselben  auf  die  Dauer  zerstörend 
ein,  namentlich  auf  die  Maltase  (S.  238).  Daraus  ist  die  Regel  abzu- 
leiten, bei  der  Darstellung  seine  Wirkungszeit  möglichst  abzukürzen. 
In  schwächerer  Konzentration  hemmt  er  gewöhnlich  die  enzymatischen 
Leistungen,  z.  B.  die  der  Endotryptase,  schon  von  5%  an.  Die  Zymase 
verursacht  noch  bei  Zusatz  von  15%  Alkohol  Gärung,  wenn  auch  in 
stark  verlangsamten  Zeitmaß,  während  bekamitlich  die  lebende  Hefe 
schon  bei  10 — 14®  zu  gären  aufhört. 

Eine  besondere  Stellung  nimmt  das  Wasserstoffsuperoxyd  ein.  Es 
wirkt  antiseptisch  auf  lebende  Mikroorganismen,  Enzymlösungen  zersetzen 
ihn  dagegen  mehr  oder  weniger  kräftig  zu  Wasser  und  Sauerstoff.  Man 
hat  diese  Fähigkeit  früher  als  eine  den  Enzymen  selbst  innewohnende 
betrachtet,  neuerdings  ist  es  aber  wahrscheinUch  geworden,  daß  man 
es  hier  mit  der  Wirkung  eines  besonderen,  häufig  beigemengten,  aber 
trennbaren  Ferments  zu  tun  hat,  das  man  mit  L  ö  w  ^)  Katalase  nennt 
( §  160).  Sie  zeichnet  sich  durch  eine  besondere  Empfindlichkeit  gegen 
Blausäure  aus. 

Die  Enzyme  werden  außer  durch  Gifte  natürlich  auch  durch  andere 
chemische  Mittel  zerstört.  Dahin  gehören  Alkalien  und  Säuren  (§  21:6) 
namentlich  in  stärkerer  Dichte,  unter  Umständen  aber  auch  andere 
Enzyme.  Das  bekannteste  Beispiel  dafür  hegt  im  Hefepreßsaft  vor: 
die  Endotry3>tase  schädigt  besonders  bei  höheren  Temperaturen  das 

1)  Vgl.   Löwenstein,   Zeitschr.   f.   Kyg.    48.   239,    1904. 

2)  Über     Alkaloide     vgl.     Nasse,     Pflügers     Archiv     11,      1875; 
Sohultzenstein  ,   Zeitschr.    physiol.    Chem.    18,    1894. 

3)  Kochs  Jahresber.   1900.  361. 

49* 


772  Kap.  XIV,   §  248  u.  249. 

eigentliche  Alkoholenzym,  die  Zymase,  sehr  stark.  Durch  gewisse 
Antiseptika,  wie  z.  B.  Chininchlorhydrat  (0,5 — 1%),  und  auch  schon 
durch  Alkohol  gelingt  es,  die  Endotryptasewirkung  herabzusetzen, 
ohne  die  Zymase  zu  schädigen^).  So  erklärt  sich  die  Erscheinung,  daß 
mit  der  Steigerung  des  Zusatzes  dieses  Anti- 
septikums die  Gärleistung  des  Hef  e  pr  e  B  s  a  f  t  es 
erhöht   wird. 

Von    einer   „Reizwirkung"   kleiner  Mengen   von    Giften    auf  die 
Fermentwirkungen  ist  nichts  bekannt  (s.  o.  S.  768). 

§  249.    Spezifische  Wirkung  und  Bindung  der  Fermente. 
Gegenkörper  und  Zwischenkörper  der  Enzyme.    Die  Enzyme 
wirken  spezifisch,   d.  h.  nur  auf  chemisch  ganz    bestimmt    gekenn- 
zeichnete Körper  in  ganz  bestimmter  Weise.    Diesen  Satz  haben  wir 
allenthalben  bestätigt  gefunden.      Die   Spezifizität  geht  soweit,   dafi 
isomere  Stoffe,  wie  die  einzelnen  Poly-  und  Disaccharide,  Hexosen  und 
Pentosen  sich  demselben  Enzym  gegenüber  ungleich  verhalten,   und 
zum  großen  Teil  jeder  sein  besonderes  Enzym  besitzt,  daß  femer  ein 
und  derselbe  Stoff,  wie  z.  B.  der  Traubenzucker,  von  einem  Enzvni 
in  alkohoUsche,  einem  zweiten  in  milchsaure,  einem  dritten  in  butter- 
saure u.  a.  m.  Gärung  versetzt  wird.    Allerdings  ist  öfters  die  Beob- 
achtung gemacht  worden  (vgl.  S.  249,  399,  456),  daß  ein  und  dasselbe 
Enzym  auch  verschiedene  Stoffe  angreift,  es  handelt  sich  aber  dann 
bemerkenswerterweise    um    solche  Körper,   die    ähnliche    Kon- 
figuration  besitzen.    E.    Fischer   hat,  um  dies  Verhalten  zu 
verdeutlichen,  den  Vergleich  gebraucht:  die  Enzyme  verhielten  sich 
zu  den  durch  sie  zersetzten  Stoffen,  wie  der  passende  Schlüssel  zuni 
Schloß.    Diese  Vorstellung  schließt  in  sich  ein  den  Gedanken,  daß  der 
Fermentierung  eine    Bindung   des    Ferments   an    den   zu 
zersetzenden     Körper    vorhergehe,    freilich   nur  eine 
solche,  die  sich  nach  der  Zersetzung  wieder  löse.     So  ist  schon  früher 
die  Wirkung  der  anorganischen  „KontaktsubstÄUzen",  z.  B.  der  Schwe- 
felsäure,  bei    der  Ätherbildung    aufgefaßt   worden.      Während   man 
freilich  hier  eine  chemisch  ganz  bestimmte  Bindungsweise  im  Auge 
hat,  ist  bei  den  Fermenten  davon  nicht  die  Rede.    Man  kennt  vielmehr 
die  chemische  Natur  ihrer  „Bindegruppen"  gar  nicht.     Das  brauchte 
ims   aber  noch   nicht  davon   abzuhalten,   ihr  Vorhandensein  voraus- 
zusetzen, namentlich  wenn  sich  sonst  Stützpunkte  für  diese  Auffassung 
ergäben.     Man  könnte  in  der  Tat  durch  diese  Verbindung  zwischen 
Enzym  und  zersetzbarem  Stoff  die  oben  besprochene  Tatsache  erklären. 


n  Grigoriew,  Zeitschr.  physiol.  Chem.  42.  323,  1904;  Buch 
ncr  und  Antoni  ebenda  44.  223,   1905. 


Fermente  (ümsatzstoffe).  773 

daß  bei  Gegenwart  des  letzteren  die  Enzyme  gegenüber  schädigenden 
Einflüssen  anders  reagieren,  sich  widerstandsfähiger  zeigen,  als  wenn 
sie  isoliert  ihnen  ausgesetzt  werden  (s.  S.  764).  Als  immittelbaren  Be- 
weis hat  man  femer  den  Umstand  angeführt,  daß  in  der  Tat  manche 
verdauHche  Körper,  wie  z.  B.  das  Fibrin,  die  Fähigkeit  besitzen,  Ver- 
daaungsfermente  zu  binden^).  Indessen  fragt  es  sich,  ob  es  sich 
hier  und  in  andern  Fällen  nicht  um  eine  ph}rsikalisch-chemisohe 
Bindung,  um  einfache  ,, Absorptionsvorgänge"  handelt,  bindet  doch  die 
Seide  auch  Pepsin  und  das  Fibrin  auch  Diastase  und  andere  Enzyme, 
von  denen  es  nicht  angegriffen  wird.  Weiter  hat  man  an  die  Ente- 
rokinase erinnert,  die  nach  Pawlow,  Delezenne  u.  a. 
durch  eine  doppelte  Bindung  nach  Art  eines  „Ambozeptors"  an  das 
Substrat  einerseits  und  das  Trjrpsinferment  andererseits  die  Ferment- 
wirkung erst  vermitteln  soll,  übrigens  auch  von  Delezenne  und 
Breton  bei  Bakterien  gefunden  worden  ist  (S.  494).  Da  man  der- 
artige Ambozeptoren  bekanntUch  auch  für  die  bakteriolj'tische  Wirkung 
d^  Blutserums  verantwortlich  gemacht  hat,  und  eine  gewisse  äußere 
Ähnlichkeit  zwischen  bakteriolytischen  und  Verdauungs Vorgängen  (§11) 
imd  überhauptvon  toxischen  und  fermentierenden  Wirkungen  (S.  798  ff.), 
von  Toxinen  und  andern  Hilfsstoffen  und  Enzymen  (s.  o.  S.  750)  nicht 
zu  verkennen  ist,  ist  man  noch  einen  Schritt  weiter  gegangen  und  hat 
auch  die  bindenden  („haptophoren")  Gruppen  der  Toxine  usw.  mit 
denen  der  Fermente  auf  eine  Stufe  stellen  wollen  (0  p  p  e  n  h  e  i  m  e  r). 
Um  so  mehr  ist  man  dazu  geneigt  gewesen,  als  sich  gezeigt  hat,  daß 
die  Enzyme  auch  eine  andere  Eigenschaft  mit  den  Toxinen,  Lysinen 
usw.  gemein  haben,  die  nach  Ehrlichs  Seitenkettentheorie  (s.  §  279, 
327,  333 ff.)  für  die  Existenz  haptophorer  Gnippen  spricht,  nämhch  die 
Fähigkeit,  Tiere  gegen  die  Enzyme  zu  immuni- 
sieren*). Spritzt  man  Kefir-Laktase^),  Urease*),  proteolytische 
Enzyme  von  Staphylokokken  oder  Vibrionen^),  Zymase**)  Tieren  ein, 
so  bilden  sich  ganz  ähnlich,   wie   bei   der   Behandlung  mit  Immun- 

1)  Literatur  bei  Szumowski,  Arch.  de  physiol.  1898.  Vgl.  auch 
Anin.  1.  auf  S.  765.  In  eigenen  Versuchen  haben  wir  eine  gewisse  Bindunga- 
fähigkeit  der  Bakterien  und  ihrer  Extrakte  für  Trypsin  bestätigt  gefunden 
(5  10). 

2)  Vgl.  auch  im  Handbuch  von  Kraus  und  L  e  v  a  d  i  t  i  über 
Ferir^nte  im  allgemeinen. 

3)  Schütze,  Zeitschr.  f.  Hyg.  48,   1904. 

4)  M  o  1 1 ,  Hofmeisters  Beitr.  2,  1902;  vgl.  aber  Schütze,  D. 
med.  Wochenschr.   1904,  9. 

5)v,  Dungern,  Münchn.  med.  Woch.  1898 ;  M  o  r  e  s  c  h  i  , 
Giom.  Soc.  ital.  d'ig.    1903;  Hata,  Zentr.  Bakt.   Ref.   34,    1904. 

6)  Jacobsohn,  Mimchn.  med.  Woch.  1903,  vgl.  aber  Schütze, 
D.  med.  Woch.   1904.  9. 


774  Kap.  XIV,   §  249—251. 

toxinen  (Kap.  XVI)  und  anderen  Impfstoffen  (Kap.  XVII)  im  Körper, 
vor  allem  im  Blutserum  der  Tiere,  Stoffe  —  Antienzyme,  -fermente 
—  die,  zu  den  Enzymen  im  Reagensglas  zugesetzt, 
deren  Wirkung  aufheben.  Alle  diese  „Antikörper"  haben 
nach  der  Ehrlich  sehen  Seitenkettentheorie  das  gemein,  daß  sie 
sich  mit  haptophoren  Gruppen  ihres  „Impfstoffs"  oder  „Antigens" 
vereinigen,  ebenfalls  wieder,  „wie  der  Schlüssel  ins  Schloß  dringt"  und 
werden  nach  derselben  Tlieorie  nur  von  den  Tieren  gebildet,  die 
schon  normalerweise,  weim  auch  in  weit  geringerer  Menge, 
immer  in  gewissen  Zellen,  oft  aber  auch  in  der  Blutflüssigkeit  Anti- 
körper bzw.  „Rezeptoren",  mit  dem  sich  der  Impfstoff  verketten  kann, 
enthalten.  In  der  Tat  hat  man  Antienzyme  auch  im  nor- 
malen Blutserum  mehrfach  gefunden  (s.  in  den  genannten 
Arbeiten). 

So  beachtenswert  alle  diese  Beobachtungen  auch  sind,  weil  sie 
auf  einen  in  dieser  Beziehung  ähnlichen  Bau  der 
Enzyme  und  übrigen  Impfstoffe  schließen  lassen,  und  aach 
deswegen,  weil  sie  spezifische  Unterschiede  zwischen 
scheinbar  gleichartigen  Enzymen  erkennen 
lassen  (v.  Dungern  imd  Moreschi^), Morgenroth  und 
P  r  e  t  i  2)) ,  so  wenig  lassen  sie  eine  klare  Deutung  zu,  denn  selbst  wenn 
man  die  Identität  der  immunkörperbindenden  und  immunisierenden 
Atomgruppen  zugibt,  ist  damit  noch  nicht  bewiesen,  daß 
die  immunisierenden  Fermente  ihre  Ferment - 
Wirkung  durch  diese  selben  Bindegruppen  aus- 
üben, d.  h.  sich  mit  den  fermentierbaren  Stoffen  verketten-  Daneben 
bestehen  noch  manche  Zweifel  über  den  Mechanismus  der  antifermen- 
tativen  Wirkungen.  GewöhnUch  sind  z.  B.  letztere  nicht  entfernt  so 
kräftig  und  spezifisch,  wie  Antitoxine.  Nimmt  man  aber  trotzdem  den 
Beweis  als  geUefert  an,  so  fragt  man  sich,  wo  denn  die  haptophoren 
Gruppen  der  fermentierbaren  Körper,  in  welche  die  Binde.gruppen  oder 
Fermente  eingreifen,  und  die  mit  den  spezifischen  Gruppen  der  Antifer- 
mente  identisch  sein  müssen,  sitzen  sollten.  Wir  kennen  doch  die  che- 
mische Zusammensetzung  der  fermentierbaren  Körper  meist  recht  voll- 
ständig imd  wissen  nicht,  wo  da  für  spezifische  „Seitenketten"  Platz 
bleibt.  Wir  kommen  also  auf  diesem  Wege  nicht  zu  klaren  Vorstellungen 
imd  schließen  daraus,  daß  die  antigene  Natur  der  Enzyme  wirklich 
mit  der  Bindekraft  für  die  Stoffe,  die  sie  umwandeln,  nichts  zu  tun 
haben  kann.   Diese  Bindekraft  selbst  abzulehnen,  sind  wir  freilich  auch 

1)  a.  a.  O.  {Antikörper  für  bakterielle  Proteasen). 

2)  Bloch.  Zeitsohr.  4,  1907.    (Antiköri^er  für  nichtbaktorielles  Lab  und 
Diastase). 


Fermente  (XJmsatzstoffe).  775 

nicht  in  der  Lage,  wissen  aber  über  ihre  Natur  ebensowenig  auszusagen, 
als  über  den  chemischen  Bau  der  Fermente  überhaupt  und  den  Mecha- 
nismus, durch  den  sie  wirken.  DaB  letzterer  dem  der  Toxine  ähnlich  sei, 
dafür  haben  wir  übrigens  auch  keine  genügenden  Anhaltspunkte  (§  256). 

§  250.  Bildung  der  Fermente.  Zymogene.  Die  Bildung  der 
Fermente  ist  bis  zu  gewissem  3rade  eine  veränderliche  Eigenschaft 
der  Zelle^).  Nicht  in  jedem  Augenblick  werden  gleiche  Mengen  gebildet, 
sondern  je  nach  den  Umständen  bald  mehr,  bald  weniger.  In  vielen 
Fällen  entwickeln  die  ZeUen  die  Fermente  nur,  wenn  das  Bedürfnis  zu 
ihrer  Benutzimg  vorhanden  ist,  so  die  Diastase,  wenn  stärkehaltige 
Nahrung,  die  Zymase,  wenn  vergärbarer  Zucker,  Tr3rpsin,  wenn 
Eiweiß  zur  Verfügung  steht.  Doch  haben  wir  im  besonderen  Teil  schon 
zahlreiche  Beispiele  kennen  gelernt,  wo  diese  Regel  nicht  gilt,  die- 
selben Enzyme  vielmehr  auch  dann  abgeschie- 
den werden,  wenn  sie  keinen  Angriffspunkt  für 
ihre  Wirkung  finden.  Es  besteht  aber  auch  dann  wohl  eine 
Anpassung  der  2ielle  an  ihre  Nahrung  insofern,  als  die  Menge  der 
gebildeten  Enzyme  durch  sie  beeinflußt  wird.  Umgekehrt  genügt 
übrigens  manchmal  selbst  die  Gegenwart  der  zersetzbaren  Stoffe,  z.  B. 
des  Eiweißes,  nicht  als  Reiz  für  die  Sekretion  des  Verdauungsenzyms, 
wenn  noch  andere  leichter  angreifbare  Stoffe,  z.  B.  Kohlenhydrate,  vor- 
handen sind ;  die  Zellen  besitzen  vielmehr  in  gewissem  Grade  die  Fähig- 
keit  des    Wahl  Vermögens  (§  58). 

Manche  Erfahrungen  der  Tier-  und  Pflanzenphysiologie  sprechen 
dafür,  daß  die  Enzyme  häufig  nicht  als  solche  in  den  Zellen  enthalten 
sind,  sondern  gewissermaßen  in  einem  unwirksamen  (inaktiven)  Zu- 
stand,  als  Zymogene  oder  Profermente.  Erst  auf  bestinamte 
Reize  hin,  z.  B.  bei  Berührung  mit  ,,zymoplastischen"  Substanzen,  wie 
verdünnten  Säuren,  gehen  sie  in  die  Enzyme  über.  Vielleicht  findet  sich 
ähnUches  auch  bei  den  Mikroorganismen.  Es  würde  das  möglicherweise 
eine  Erklärung  abgeben  für  den  mehrfach  erwähnten  Umstand,  daß 
ein  Enzym,  wie  z.  B.  die  Invertase  der  Hefe-  und  Schimmelpilze,  so 
lange  es  noch  innerhalb  der  Zellen  sitzt,  hohe  Temparaturen,  ja  die 
Siedehitze  verträgt,  wenn  es  aus  ihnen  ausgeschieden  ist,  aber  schon 
niedrigen  Temperaturen  erhegt  (§  244). 

§251.  Grenzen  der  Fermentierung.  Umkehrbarkeit  ihrer 
Wirkung.  Synthetische  Fermente.  Jede  Fermentierung  kommt 
früher  oder  später  zum  Stillstand.  Zimächst  hängt  dieses,  weil  ja  stets 
ein  gewisser  Verbrauch  von  Ferment  stattfindet  (s.  o.  S.  761),  natur- 
gemäß zusanmien  mit  dem  Aufhören  der  Fermentbildung,  d.  h.  dem 
Stillstand  der  Zellentwicklung  (§  36  u.  37),  der  seinerseits  auf  dem 

1)  Über  vorprblieho   Verändorungen   l)zw.    Anpassiingon   vgl.    §   353. 


776  Kap.  XIV,   §  251. 

Mangel  an  Nährstoffen  und  dem  Auf  treten  hemmender  Einflüsse,  giftiger 
Stoffwechselprodukte  beruht.      Die  enzymatischen  Vorgänge   werden 
femer  auch  dann  ihr  natürliches  Ende  finden,  wenn  alles  umwandel- 
bare  Material  wirklich  umgewandelt  ist,  wenn  also  z.  B.  das  sämtliche 
Kasein  der  Milch  niedergeschlagen,  die  Gelatine  des  Nährbodens  ver- 
flüssigt, der  Zucker  zu  Alkohol  und  Kohlensäure  vergoren  ist.     Daß 
wirklich  oft  genug  damit  die  Grenze  der  Fermentwirkung  gegeben  ist. 
wird  durch  viele  Beispiele  beleuchtet.    In  anderen  Fällen  tritt  der  Still- 
stand aber  schon  früher  ein,  bevor  die  Zersetzung  beendigt  ist.     Ohne 
weiteres  verständlich  ist  das  in  dem  Fall,  wenn  die  vorhandene  Enzym- 
menge zu  klein  ist,  erklärlich  aber  auch,  wenn  die  Erzeugnisse  der  Zer- 
setzung, sobald  sie  sich  in  gewisser  Menge  angesammelt  haben,  schädlich 
auf  das  Enz3nn  selbst  wirken.    Dahin  gehört  scheinbar  die  Anhäufung 
von  Alkohol,    Säuren  und  Ammoniak  bei   der  alkoholischen,  sauren 
und  Ammoniakgärung  des  Zuchers,  Eiweißes,  Harnstoffs  usw.,  auch  die 
Bildung  von  aromatischen  Giften  (Benzaldehyd,  Salizylsäure,  Hydro- 
chinon)  bei  der  hydrolytischen  Spaltung  der  Glykoside.    All  das  führt 
nachweislich  zum  Stillstand  der  Fermentierung.      So  lange  man  mit 
lebenden  Kulturen  arbeitet,  läßt  sich  allerdings  kaum  sicher  entscheiden, 
ob  die  Schädigimg  der    Fermentbildung    oder     des    Fer- 
mentes   selbst    daran  schuld  ist.     Erst  der  Versuch  mit  freien 
Enzymen,  der  freilich  nicht  überall  möglich  ist,  würde  die  richtige 
Antwort  geben.    Er  hat  z.  B.  gelehrt,  daß  der  Stillstand  der  Alkohol- 
gärung früher  eintritt,  wenn  lebende,  als  wenn  Zymase  oder  Zymin 
im  Spiel  ist.  Die  Benachteiligung  der  Enzym  b  i  1  d  u  n  g  scheint  in  diesem 
Falle  also  maßgebend  zu  sein.     Andere  Fälle  sind  noch  nicht  genau 
genug  untersucht.     Sind  hiermit  aber  alle  Möglichkeiten  erschöpft? 
Keineswegs.    Warum  kommt,  um  ein  gut  studiertes  Beispiel  aus  der 
Pflanzenphysiologie  zu  erwähnen,  die  diastatische  Wirkung  zum  Still- 
stand, wenn  nur  etwa  zwei  Drittel  der  Stärke  zu  Maltose  verzuckert 
sind,  und  der  Rest  in  Dextrin  verwandelt  ist?   Ist  die  Maltose,  die  dabei 
entsteht,  etwa  imstande,  das  Enzym  zu  zerstören?    Davon  kann  nicht 
die  Rede  sein,  denn  die  Verzuckerung  geht  weiter,  wenn  man  neue 
Stärke  hinzufügt  oder  die  Maltose  z.  B.  durch  Vergärung  mit  Hefe 
entfernt,  oder  die  Temperatur  des  Prozesses  herabsetzt.     Höchstens 
kann  man  eine  gewisse  Schwächung  des  Enzyms  zugeben.    Man  könnte 
auch  daran  denken,  daß  das  übrig  bleibende  Dextrin  besonders  schwer 
angreifbar  wäre;  in  der  Tat  wird  es,  durch  Alkohol  niedergeschlagen, 
neu  gelöst  und,  mit  Diastase  vermischt,  viel  schlechter  verzuckert^). 
Ganz  klar  ist  die  Sache  also  hier  nicht. 


1)  Vgl.  D  u  c  l  a  u  X  ,  Microbiol.  2.   452. 


Fermente  (ümsatzstoffe).  777 

Durchsichtiger  ist  die  Ursache  des  Stillstandes  der  Maltasewirkung. 
Hill  (S.  238)  stellte  zunächst  fest,  daß  die  Umwandlung  des  Malz- 
zuckers in  Traubenzucker  durch  die  Hefemaltase  bei  geringer  Dichte 
der  Zuckerlösung  fast  vollständig  erfolgt,  bei  stärkerer  aber  unvollständig. 
So  wurden  in  einer  2 — 4%igen  Maltoselösung  98 — ^99%,  in  einer  40%igen 
nur  84%  des  Malzzuckers  hydrolysiert,  16%  blieben  als  solche  erhalten. 
Brachte  man  jetzt  eine  40%ige  Traubenzuckerlösung  mit  derselben 
Maltase  zusammen,  so  trat  darin  allmählich  (binnen  70  Tagen)  die 
entgegengesetzte  Wirkung  ein,  es  bildete  sich  aus  dem  Traubenzucker 
bis  zu  15%  Maltose.  Wir  haben  es  hier  also  mit  einem  umkehrbaren, 
..reversiblen"  Prozeß  zu  tun,  wie  er  für  katalytische  und  andere  che- 
mische Reaktionen  vielfach  nachgewiesen  ist^).  Der  Punkt,  an  dem  die 
Enzymwirkung  zum  Stillstand  kommt,  entspricht  dem  Gleich- 
gewicht  zwischen  den  beiden  reagierenden  Stoffen  (Malz-  und 
Traubenzucker).  In  einer  2%igen  Lösung  wird  das  Gleichgewicht 
erreicht,  wenn  auf  99  Teile  Traubenzucker  1%  Malzzucker  kommt, 
es  ist  daher  nicht  leicht,  für  so  dünne  Lösimgen  die  Umkehrbarkeit 
der  Reaktion  nachzuweisen,  während  es  in  konzentrierten  Lösungen 
wohl  gelingt.  Vielleicht  haben  wir  in  ähnlichen  Verhältnissen  den  Grund 
dafür  zu  sehen,  daß  die  Zahl  der  Fermentprozesse,  die  als  umkehrbar 
erkannt  sind,  vorläufig  noch  klein  ist*). 

Die  Bedeutung  der  umkehrbaren  Fermentwirkungen  für  die 
Erklärung  der  Synthesen  des  lebenden  Protoplasmas  ist 
klar.  Es  fragt  sich  nur,  ob  man  alle  Synthesen  auf  ähnlichem  Wege 
zu  erklären  hat.  Wir  haben  uns  in  §  66,  127,  130  usw.  für  diese  An- 
nahme ausgesprochen,  da  man  auf  diese  Weise  die  sämtlichen  Stoff- 
wechselvorgänge, ob  sie  nun  Stoffe  dissimilieren  oder  assimilieren,  auf 
den  einheitlichen  Mechanismus  der  Fermentwirkung  zurückführen 
kann.  Sogenannte  theoretische  Einwände  dagegen,  die  auf  Analogien 
mit  katalytischen  Reaktionen  bzw.  auf  einer  zu  engen  Definition  des 
Fermentbegriffes  beruhen,  können  wir  nicht  gelten  lassen. 


1)  Der  Umstand,  daß  E  m  m  e  r  1  i  n  g  statt  der  Maltose  Isomaltose 
(S.  239)  und  Fischer  und  Armstrong  bei  der  Umkehnmg  der 
Laktoseinversion  Isolaktose  fanden  (S.  241),  könnte  allerdings  dahin  ge- 
deutet werden,  daß  keine  eigentliclie  Umkehrung  der  Fermentwirkung 
eintritt,  sondern  ein  besonderes  synthetisches  Ferment  im   Spiele  sei. 

2)  Bekannt  ist  außer  den  im  §  228b  genannten  Beispielen  aus  der 
Mikrobiologie  die  Umkehrbarkeit  der  Lipasereaktion  z.  B.  im  Lebersaft 
gegenüber  Äthylbutyrat  (Kastle  und  Löwenhart),  femer  die 
Kondensation  des  Stärkekleisters  durch  Amylokoagulase  (S.   417). 


Kapitel    XV. 

Farbstoffe  der  Kleinwesen, 

§  252.    Vorkommen  und  Lagerung.   Die  Fähigkeit  zur  Färb- 
Btoffbildung  ist  im  Reiche  der  Mikroorganismen  sehr  verbreitet,  nur 
die  parasitischen  Protozoen  machen  eine  Ausnahme  insofern,  als  sie 
niemals  gefärbt  sind.     Alle  reinen  Farbentöne  mid  alle  Mischfarben 
sind  vertreten^).    Unter  den  zahlreichen  roten  Bazillen  ist  der  berühni- 
teste  der  Bac.  prodigiosxis,  das  „Wunderbakterium"  (s.  m,  §  255),  femer 
gehören  hierher  die  Rosasarzine,  das  Spirillum  rubrum,  die  sogenannten 
Purpurbakteiien,  die  Rosahefe,  rote  Strahlen-  und  Schimmelpilze.    Gelb 
ist  ebenfalls  sehr  häufig,  so  zeichnet  ein  schönes  Goldgelb  den  ge- 
meinen Eiterstaphylokokkus,  ein  Zitronengelb  den  Staphyl.  pyogenes 
citreus  aus.  Zahllos  sind  die  gelbgrün,  tiefgrün  oder  bläuUch  fluores- 
zierenden Bazillen,  die  auch  durch  die  Art  ihrer  Begeißelung  eine 
natürliche  Gruppe  (Pseudomonas  M  i  g  u  1  a  vgl.  §  359)  aoiszumachen 
sclieinen.    Ein  blauer  Farbstoff  mischt  sich  dem  fluoreszierenden  beim 
Bac.  des  blauen  Eiters  (Pyocyaneus)  und  der  blauen  Milch  (Cyanogenes) 
bei.   Rein  blau  bis  violett  sind  der  Bac.  violaceus,  janthinus,  coeruleus, 
amethystinus,  iridigonaceus  u.  a.  m.     Die  Indigo-  und  Orseillegärung 
sind  ebenfalls  durch  Bakterien  beeinflußbar,  wenn  nicht  hervorgerufen 
(§  156).  Zahlreich  vertreten  sind  die  bräunUchen.  grauen  und  schwärz- 
lichen Mischimgen  bei  Bakterien,  Sproß-  und  Fadenpilzen,  die  auch 
zum  Teil  wenigstens  die  dunkle  Färbung  der  Humusstoffe,  des  fau- 
lenden Obstes,  Holzes  usw.  bedingen  (§  153  ff.). 

Geht  man  dem  Ursprung  der  Färbungen  in  den  einzelnen  Fällen 
nach,  so  findet  man  die  Farbstoffe  entweder  innerhalb  der  Zellen 
oder  in  den  Membranen  und  Scheiden,  oder  außerhalb. 
Zu  der  ersten  Klasse,  den  von  Beijerinck*)  sogenannten  „chro- 
niophoren"  Mikroorganismen,  gehören  vor  allem  die  sog.  Purpurbak- 

1 )  Zusammenstellungen  von  Farbstoffbakterien  s.  z.  B.  bei  K  r  u  s  o 
in  Flügges  Mikroorg.  3.  Aufl.  1.  289  und  300  ff.  imd  im  2.  Bande  von 
M  i  g  II 1  a  s  Syst-em  der  Bakterien   1 900. 

2)  l^ot.   Zoitg.    1«91. 


Farbstoffe  der  Kleinwesen.  779 

terien  (§  209),  die  gleiclimäßig^),  aber  mehr  oder  weniger  dicht,  von 
braunem,  rotem  bis  violettem  Farbstoff  durchtränkt  sind,  femer  die 
You  M  o  1  i  s  c  h  wohl  nicht  mit  Recht  für  Algen  erklärten  „grünen 
Bakterien"  Winogradskys*),  nämlich  van  Tieghems 
Bacterium  viride  und  Bac.  virens,  Engelmanns ^)  Bact.  chlorinum, 
E  w  a  r  t  s  *)  Strept.  varians  und  grünen  Spirillen,  außerdem  noch  die 
grünlich  schillernden  Sporen  des  Sumpf  bazillus  K 1  e  i  n  s  und  M  i  - 
g u I a 8 ^) ,  des  Eaulquappenbazillus  Frenzeis*)  und  die  rötlichen 
des  Bac.  erythrosporus'^),  manche  nicht  verflüssigende  Pigment- 
bakterien, die  nach  der  Ansicht  anderer  Forscher  allerdings  auch  den 
Farbstoff  im  wesenthchen  nach  außen  abscheiden  sollen^).  Die  weiße 
Färbung  der  reinen  Schwefelbakterien  (Beggiatoa  usw.)  rührt  von 
den  im  Zellkörper  abgeschiedenen,  mikroskopisch  dunkel  glänzend 
erscheinenden    Schwefelteilchen   her  (vgl.  §  208). 

Viel  häufiger  sind  intrazellulare  Farbstoffe  bei  den  Faden- 
p  i  1  z  e  n  ,  insbesondere  in  den  Sporen.  Zum  Teil  beschränkt  sich 
fieilich  die  Färbung  hier  auf  die  Membran  oder  Hülle.  „Para- 
chromophore"  Bakterien  in  diesem  Beijerinck  sehen  Sinne  sind 
z.  B.  Bac.  janthinus  und  violaceus.  Auch  die  Braimfärbimg  der  Eisen- 
bakterien (§  216)  beruht  wesentlich  auf  einer  Ablagei-ung  von  Eisen- 
oxydhydrat in  der  Scheide,  nach  M  o  1  i  s  c  h  tritt  aber  brauner 
Farbstoff  hinzu.  Als  echte  oder  „chromopare"  Pigmentbakterien 
bezeichnet  Beijerinck  die  viel  zahlreicheren,  die  den  Farbstoff 
nach  außen  als  „Sekret''  abscheiden.  Der  lebende  Bak- 
terienkörper erscheint  hier  anfangs  farblos,  aber  die  toten  Zellen  der- 
selben oder  anderer  Spezies  können  sich  mit  ihm  oder  seinen  Umwand- 
lungsprodukten färben.  So  färben  sich  z.  B.  die  von  Beijerinck 
beschriebenen  Leiber  des  Bac.  cyaneofuscus  schließhch  schwarz.  Sonst 
wird  die  Farbe  der  chromoparen  Bakterien  teils  körnig  abgesetzt, 
wie  2.  B.  beim  Prodigiosus,  teils  ist  sie  in  den  Nährböden  gelöst, 
wie  bei  den  fluoreszierenden  Bazillen. 

Auch  bei  den  chromoparen  Mikroorganismen  wird  der  Farbstoff 
wie  bei  den  chromophoren,  wohl  stets  innerhalb  der  Zelle  erzeugt, 

1)  Die  von  Bütschli  (Bau  der  Bakterien,  1890)  behauptete  Bo- 
Hchränkung  des  Farbstoffs  auf  eine  Randzone  wird  von  M  ol  i  s  e  h  ( Plir- 
purbakterien,  1907)  geleugnet. 

2)  Beitr.   z.  Morph,  u.   Physiol.   der  Bakterien,   Leipzig   1888. 

3)  Bot.  Zeitg.  1882. 

4)  Annal.  of  bot.   1897. 

5)  System  der  Bakterien  1.  94,  1897. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.   11. 

7)  Cohns  Beitr.  Biol.  Pfl.  3.   128. 

8)  Vgl.  Mignla,  a.  a.  O.  284. 


780  Kap.  XV,    §  252  u.  253. 

aber  nur  schnell  ausgeschieden.  Das  geschieht  teilweise  —  z.  B.  beim 
Pyocyaneus  (s.  u.)  —  in  der  Form  eines  „Leukoprodukts",  das  seiner- 
seits erst  durch  den  Sauerstoff  der  Luft  gefärbt  wird.  Diese  nachträg- 
liche Färbung  findet  auch  statt  bei  der  Orseille-  und  Indigogärong  und 
wenigstens  zum  Teil  bei  der  Bildung  der  rotbraunen  und  ßchwarzen 
Stoffe,  die  durch  Bakterienwirkung  aus  Tyrosin  und  anderen  aroma- 
tischen Substanzen  entstehen  (s.  o.).  Die  farbstofflief emde  Substanz 
selbst  wird  gerade  in  diesen  Fällen  entweder  außerhalb  der  Zellen  von 
einem  durch  die  Mikroorganismen  ausgeschiedenen  Enzym  (Indoxylase. 
Tjrrosinase)  oder  innerhalb  dei  Zellen  durch  ein  Endoenz)mi  (oder  durch 
Protoplasma  Wirkung?)  aus  einem  von  dem  Nährboden  gelieferten  Be- 
standteil durch  einfache  Spaltung  oder  Oxydation  erzeugt. 

§  253.  Chemische  Znsammensetzung  der  Farbstoffe.   Über 
die  chemische  Natur  der  Farbstoffe^)  sind  wir  bisher  nur  unvollkommen 
unterrichtet.    Die  mineralischen  Bestandteile  der  Schwefel-  und  Eisen- 
bakterien wurden  schon  erwähnt.    Die  grüne  Farbe  gewisser  Bakterien 
(s.  o.)  wird  von  ihren  Entdeckern  mit  dem  Chlorophyll  identifi- 
ziert.   Die  Beobachtung  van   Tieghems,  daß  sie  erst  im  Licht 
ergrünen,  und  die    Engelmanns    imd    Ewarts,    daß  sie  im 
Licht   Sauerstoff  ausscheiden,  scheint  allerdings  dafür  zu   sprechen, 
doch  fehlen  noch  abschließende  Untersuchungen  darüber  und  über 
ihre  Beziehungen  zu  dem  Bakteriochlorin  Molischs   (s.  u.).     Der 
rote  Farbstoff  der  Purpurbakterien,  das  von  Lankaster  so  genannte 
Bakteriopurpurin,    ist  seitdem  oft  studiert  worden,  so  von 
Warming,   Engelmann,   Winogradsky,   Molisch  ^). 
Die  Angaben  stimmen  nicht  in  allen  Einzelheiten  überein.   Nach  M  o  - 
lisch  ist  der  Farbstoff,  der  aus  den  mit  Alkohol  (s.  u.)  vorbehandelten 
Kulturen  durch  Schwefelkohlenstoff  oder  Chloroform  erhalten  wird,  nicht 
in  Wasser  und  Glyzerin,  schwer  in  absolutem  Alkohol,  leichter  in  Äther, 
Chloroform  und  Schwefelkohlenstoff  löslich  und  scheidet  sich  aus  der 
alkohoUschen  Ijösung  in  Kristallen  aus.    Durch  Oxydationsmittel  wird 
er  zerstört,  durch  heißes  Wasser,  Chloroform,  Salzsäure,  Essigsäure, 
Alkalien  mehr  oder  weniger  schnell  in  seinem  Farbton  verändert,  durch 
konzentrierte   Schwefelsäure  in  tiefes  Blau  verwandelt.      Nach  dem 
spektroskopischen  Verhalten  des  Bakteriopurpurins  unterscheidet  M  o  - 
lisch    zwei  Abarten  des  reinen  Farbstoffs  und  erklärt  die  abweichen- 
den   Spektren    der   lebenden    Kulturen    durch    die    oben    erwähnte 
Beimischung   eines   grünen   schon   von   B  ü  t  s  c  h  1  i   gelegentlich 


1)  Über  Farbstoffe  bei  Pilzen  s.  Zopf,  Pilze,  1890,  S.   143. 

2)  S.  Lit.    §  209  und  namentlich  M  o  1  i  s  c  h  ,  Die  Purpurbakterien, 
Jona  1907. 


Farbstoffe  der  Kleinwesen.  781 

gesehenen  Farbstoffs.  Dieser  wird  durch  mehrmaliges  einige 
Stunden  dauerndes  Ausziehen  von  Massenkulturen  mit  wenig  Alkohol 
und  Ausschütteln  der  alkoholischen  Lösimg  mit  Benzin,  Olivenöl, 
Terpentinöl  oder  Chloroform  gewonnen.  Er  kristallisiert  nicht,  sondern 
scheidet  sieht  in  Tropfenform  aus.  Vom  Chlorophyll  ist  er  durch 
Spektrum  und  Reaktion  deutlich  verschieden,  befähigt  die  Purpur- 
bakterien auch  nach  M  o  1  i  s  c  h  ebenso  wenig  wie  das  Bakteriopurpurin 
zur  Assimilation  der  Kohlensäure,  sondern  begünstigt  anscheinend  nur 
die  Ernährung  mit  organischen  Stoffen  (s.  u.).  Nach  B  ü  t  s  c  h  1  i  wäre 
das  Bakteriopurpurin  mit  dem  roten  Farbstoff  der  Flagellate  Euglena 
\'iridis  identisch. 

Durch  die  Schwefelsäurereaktion  ist  das  Bakteriopurpurin  mit  den 
im  Pflanzen-  und  Tierreich  weit  verbreiteten,  in  Fetten  imd  Fett- 
lösungsmitteln löslichen,  kristallisierbaren  ,,Lipochromen"  oder  „Karo- 
linen" verwandt.  Z  o  p  f  ^)  imd  K  o  h  1  2)  unterscheiden  sie  in  die 
Karotinine,  die  Kohlenwasserstoffe  und  gelb  sind,  und  die 
Eukarotine,  die  außerdem  noch  Sauerstoff  enthalten  und  dunkler, 
bzw.  rot  sind.  Auch  in  den  Bakterien  und  Pilzen  scheinen  sie  vor- 
zukommen, so  bei  den  von  Z  o  p  f  ^)  beschriebenen  Pigmentkokken  und 
Bazillen,  der  Sarcina  aurantiaca  Schrötters*)  u.  a.  Analysen 
liegen  aber  nicht  vor. 

Die  Schwefelsäurereaktion  gibt  eine  große  Reihe  anderer  Bakterien- 
farbstoffe nicht,  obwohl  sie  sich  ebenfalls  in  Alkohol,  Äther,  Chloroform, 
Benzol  und  Schwefelkohlenstoff  lösen,  so  z.  B.  der  des  Bac.  pro- 
digiosus,  ruber,  kiliensis,  Staphyloc.  pyogenes  aureus  (Schneider^), 
M  i  g  u  1  a  •)).  Nach  Griffith')  entspräche  die  Zusammensetzung 
des  Prodigiosuspigmeuts  der  Formel  CggHggNOg .  Kraft®)  fand 
zwar  einen  höheren  Stickstoffgehalt  (3,9%),  betrachtet  aber  ebenfalls 
diesen  Farbstoff,  obwohl  er  ihn  nicht  kristallisiert  erhalten  konnte, 
als  einen  einheitlichen  Körper.  Der  früher  angenommene  Zusammen- 
hang des  Prodigiosins  mit  Anilinfarbstoffen  ist  unbewiesen.  Nur  in 
Alkohol  löslich  ist  das  Pigment  des  Bac.  violaceus.    In  keinem  der  üb- 


1)  Pflügers  Archiv  42,  1888. 

2)  Untersuchungen  über  das  Karotin,   1902. 

3)  Bot.  Zeitg.  1889;  Ber.  D.  bot.  Ges.  1891.  22;  Beitr.  z.  Morpli. 
u.  Physiol.  nied.  Organism.  H.  2  und  3,  1892 — 1893;  vgl.  auch  Schnei- 
der, Anm.  5. 

4)  Zentr.  Bakt.  18,  1895. 

5)  Bedeutung  der  Bakterienfarbstoffe  für  die  Unterscheidung  der 
Arten,  in  Arb.  d.  bakt.  Inst.  Karlsruhe  1.  Bd.  201,   1895. 

6)  Sjrstem  der  Bakterien  1.  288. 

7)  Compt.  rend.  ac.  sc.   115.  321. 

8)  Dissertation  Würzburg  1902. 


7S2  Kap.  XV,   §  253. 

liehen  Mittel  löslich  sind  nach  Schneider  nur  wenige  Bakterien- 
farbstoffe, wie  das  des  Micr.  cereus  flavus  und  Bac.  indigonaceus,  durch 
Alkalien  oder  Säuren  lassen  sie  sich  aber  in  eine  freilich  nur  unbeständige 
Lösung  bringen. 

Im  Anschluß  an  die  wasserunlöslichen  Pigmente  ist 
noch  der  Indigo  (Indigotin)  zu  nennen,  der  einzige  unter  Hithilfe 
von  Bakterien  oder  Pilzen  zu  gewinnende  Stoff,  dessen  Konstitution 
bekannt  und  dessen  Synthese  geglückt  ist.  Die  Beteiligung  der  >Ii- 
kroben  an  seiner  Bildung  beschränkt  sich  allerdings,  wie  wir  schon 
S.  460  sahen,  auf  die  Spaltung  eines  in  der  Nahrung  dargebotenen 
Glykosids. 

Sehr  groß  ist  die  Zahl  der  in  Wasser  löslichen  und 
daher  auch  in  den  Nährböden  diffundierenden  Bakt<erienfarb8toffe. 
Am  längsten  und  besten  bekannt  davon  ist  das  von  F  o  r  d  o  s  ^)  1859 
durch  Ausschütteln  der  Kultur  mit  CMoroform  und  Verdunsten  der 
blauen  Lösimg  in  Nadeln  und  Rhomben  erhaltene  Pyozyanin. 
Nach  Gessard^)  und  L  e  d  d  e  r  h  o  s  e  ^)  ist  es  eine  durch  Alkaloid- 
reagentien  fällbare  Base,  deren  Verbindungen  mit  Säuren  gelbrot 
gefärbt  und  viel  beständiger  sind,  aber  nicht  kristallisieren  und  nur  in 
Wasser  und  Alkohol,  nicht  in  Chloroform  löslich  sind.  Nach  der  Analvse 
des  pikrinsauren  Salzes  gab  Ledderhose  ihm  die  empirische 
Formel  C14H14N2O. 

Bei  manchen  Bässen  des  Pyocyaneus  fehlt  dieser  Farbstoff,  meist  ist 
er  mit  einem  fluoreszierenden  (s.  u.)  verbimden  (Kunz  und  auch 
T  h  u  m  m).  In  den  Kulturen  selbst  scheint  er  als  Leukoprodukt  vorhanden 
zu  sein,  denn  durch  Schütteln  läßt  sich  die  Farbe  hervorrufen  oder  ver- 
stärken*)  und  durch  Sauerstoffabschluß  in  einer  lebenden  oder  Sauerstoff- 
entziehung in  einer  toten  Kultur  zum  Verschwinden  bringen.  In  alten 
Kulturen  und  durch  Berührung  des  Farbstoffs  mit  der  Luft  bildet  sich 
aus  dem  Pyozyanin  ein  gelblich  roter  Körper,  die  ebenfalls  in  Chloroform 
und  Wasser  lösliche  Pyoxanthose,  (Gessard,  Boland^) 
u.  a.).  Daneben  können  aber  vom  Bac.  pyocyaneus  noch  andere  blaue 
(B  a  b  e  s  •))  und  —  von  einer  „melanogenen"  Rasse  —  braune  bis 
schwarze  Pigmente  (C  assin,  Gessard'))  gebildet  werden.  Das 
letztere  ist  wohl  identisch  mit  dem  durch  Tyrosinase  aus  dem  Tyrosin 


1)  Compt.  rend.  51.  215  und  56.   1128. 

2)  These  de  Paris,   1882  Nr.  248;  Annal.  Pasteur  1890—92. 

3)  Deutsche  Zeitschr.  f.  Chir.  28,    1888. 

4)  Vgl.    Christomanos,   Zeitschr.   f.   Hyg.    36  mit  Lit. 

5)  Zentr.  Bakt.  25. 

6)  Soc.  biol.   1889. 

7)  Annal.   Pastour   1901   und   1902. 


Farbstoffe  der  Klein weseii.  7^3 

entwickelten  Farbstoff,  dessen  chemische  Natui  übrigens  noch  nicht 
genau  festgestellt  ist  (S.  469).  Wahrscheinlich  ist  der  braune  bis  braun- 
schwarze Farbstoff,  den  die  Kulturen  der  Streptothrix  chromogenes 
(3.  0.),  der  Bacillus  pneumoniae  Friedländers,  der  Dysenterie- 
bazillus Kruses  u.  a.  in  älteren  peptonhaltigen  Nährböden  zeigen, 
diesem  „Melanin"  gleich. 

Auch  der  Bazillus  der  blauen  Milch  entwickelt  wie  der  Pyo- 
cyaneus  neben  einem  fluoreszierenden  (s.  u.)  einen  andern  Farbstoff^), 
der  aber  wegen  seiner  Vergänglichkeit  noch  nicht  hat  isoüert  werden 
können.  Bei  deutlich  saurer  Reaktion,  z.  B.  in  Milch  selbst,  ist  er 
himmelblau,  durch  allmähliche  Alkalisierung  wird  er  erst  b  1  a  u  - 
schwarz,  dann  schwarz  und  schließlich  braunschwarz.  Auch 
Rosafärbungen  (durch  Ammoniak  Wirkung  ?)  werden  in  jüngeren 
Kulturen  beobachtet. 

Andere  weniger  gut  bekannte  wasserlösliche  Farbstoffe  einzelner 
Bakterien  übergehen  wir  hier  und  besprechen  nur  noch  die  in  zahl- 
reichen Formen*)  verbreiteten  fluoreszierenden  Bakterien.  Sie  sollen 
nach  T  h  u  m  m  ')  ihre  Farbe  einem  einzigen  nur  in  Wasser  und  ver- 
dünntem Alkohol  löshchen*)  nicht  kristallisierbaren  Stoffe  verdanken, 
der  in  konzentrierter  Lösmig  dunkelorange  bis  rotbraun  ist  und  im 
auffallenden  Lichte  eine  rein  blaue  Fluoreszenz  zeigt.  Bei  Verdünnung 
wird  die  Farbe  gelb  und  verschwindet  zuletzt,  während  die  blaue  Fluo- 
reszenz noch  deutlich  bleibt.  Durch  Alkalien  einschließhch  Ammoniak 
und  alkalische  Erden  geht  die  blaue  in  grüne  Fluoreszenz  über.  Ver- 
dünnte Säuren  machen  die  Fluoreszenz  verschwinden,  ohne  die  Farbe 
zu  verändern.  Die  chemischen  Analysen  und  Reaktionen  stellen  das 
Pigment  in  die  Nähe  der  Eiweißkörper,  doch  kann  von  Rcin- 
darstellung  keine  Rede  sein.  Aus  der  Säurebildung  erklärt  sich  der 
Mangel  an  Fluoreszenz  in  zuckerhaltigen  Kulturen,  aus  der  Ammoniak- 
bildimg die  grüne  Fluoreszenz  in  alten  Kulturen. 

Die  Farbstoffe  der  einzelnen  Mikroorganismen,  abgesehen  von  den 
fluoreszierenden,  zeigen  auch,  wenn  sie  in  ihren  Lösungsverhältnissen 
übereinstimmen,  gegenüber  den  Reagentien  \md  im  Spektroskop  gioße 
Verschiedenheiten,  so  daß  Schneider  und  M  i  g  u  1  a  diese  zur 
Artunterscheidung  benutzten.    Vorsicht  ist  da  freilich  vonnöten  wegen 

1)  Neelsen,  Cohns  Beitr.  z.  Biol.  d.  Pflanz.  3,  1883;  Hüppe» 
Mitteil.  Gesundheitsamt  2,  1884;  Gesssrd,  Annal.  Pasteur  91.  12 
und  T  h  u  m  m  s.  u. 

2)  Jordan,    J.  of  exper.   Med.    1899.   633  zählt    52  „Arten**  auf. 

3)  Arbeit,   bakteriol.  Inst.   Karlsruhe   1895.    1.   291   Lit. 

4)  Dargestellt  wird  er  durch  Fällung  der  Lösungen  mit  starkem 
Alkohol,  Filtrieren  und  Niedersclilagon  mit  abaolutem  Alkohol. 


784  Kap.  XV,   §  253  ii.  254. 

der  Möglichkeit,  daß  die  Farbstoffe  selbst,  wie  die  Fähigkeit,  sie  zu 
bilden,  veränderlich  sind. 

§254.  Bedingungen  der  Färbstoff  bildung.  Daß  in  der  Tat  die 

Farbstoffbildung  keine  unveränderliche  Eigenschaft  ist,  hat  die  Be- 
schäftigung mit  den  Pigmentbazillen  bald  gelehrt.  Von  den  ver- 
schiedenen „Rassen"  des  Pyocyaneus  sprachen  ¥rir  schon  eben,  durrh 
künstliche  Eingriffe  sind  bei  ihm,  bei  dem  ProdigiosuB  u.  a.  mehr 
oder  weniger  leicht  farblose  Abarten  zu  erzielen,  und  schon  die  Herkunft 
von  diesem  oder  jenem  Nährboden,  das  Alter  der  Individuen  beeinflußt 
die  Fähigkeit,  Farbstoff  zu  bilden.  Wir  kommen  im  Kap.  XVIII  auf 
diese  Verhältnisse  zurück.  Nicht  zu  verwechseln  mit  der  ungleichen 
Anlage  zur  Farbstoffbildung,  die  den  Bakterien  selbst  eigen  ist.  ist  die 
Abhängigkeit  der  Pigmentierimg  von  den  äußeren  Wachstums- 
bedingungeii. 

Am  leichtesten  nachweisbar  ist  der  Einfluß  des   Sauerstoffs 
und  der  Temperatur.  Zur  Entwicklung  des  Pigments  scheint  fast 
regelmäßig  Sauerstoffzutritt  nötig  zu  sein.    Daher  sieht  man  in  Stich- 
kulturen in  festen  durchsichtigen  Nährböden  und  sogar  in  Platten  nur 
die  oberflächlichen  Kolonien  gefärbt.   Manchmal,  wie  beim  Pyocyaneus 
(s.o.),  liegt  das  bloß  daran,  daß  das  von  den  Bakterien  auch  ohne  Sauer- 
stoffzutritt gebildete  Vorstadium  der  Farbe,  das  Leukoprodukt,  erst 
durch  den  Sauerstoff  der  liuft  zu  Farbe  oxydiert  wird.  Andere  Male  mag 
nur  die  kümmerliche  Entwicklung  der  betreffenden  luftliebenden  Bak- 
terien bei  Sauerstoffabschluß  den  Pigmentmangel  verursachen.    Aus- 
nahmen von  der  Regel  bilden  sämtliche  Purpurbakterien,  wozu  nach 
M  o  1  i  s  c  h   auch  das  Spirillum  rubrum  v.  Esmarchs  gehört,  der 
Bac.  rubellus  0  g  a  t  a  s ,  der  Diplococcus  pyogenes  Pasquales*). 
und  einige  andere  von  Pa  penhausen*)  studierte  Bakterien.  Hier 
fehlt  sogar  gewöhnlich  der  Farbstoff  an  der  Oberfläche,  während  er 
in  der  Tiefe  entwickelt  ist.    Zum  Teil  erklärt  sich  das  möglicherweise 
daraus,  daß  der    Luftsauerstoff    hier    die    Farbe   zer- 
stört. Nach  Papenhausen*)  spielt  vielleicht  auch  der  Druck 
als    Reiz   für    die    Farbstoffbildung   eine  Rolle  (§  44). 
Bei  den  meisten  Purpurbakterien  ist  ihre  anaerobe  oder  mikroaerophile 
Natur  (S.  100)  maßgebend.    Nur  beim  Spirillum  rubrum  zeigt  sich  die 
Erscheinung,  daß  die  Farbstoffbildung,  aber  nicht  das  Wachstum  auf 
eine   bestimmte   (die  günstigste?)   Sauerstoffapannung  eingestellt  ist. 

Daß   die    Temperatur    einen   bedeutenden  Einfluß  auf  die 
Farbstoffbildung  besitzt,  kann  man  vielfach  beobachten.     So  wächst 

1)  Zieglers  Beitr.    12. 

2)  Arbeit,   bakt.   Tnst.   Karlsrulie   3.   76,    1903. 


Farbstoffe  der  Kleinwesen.  785 

der  ProdigioBus  bei  Brattemperatur  farblos.  Auch  hier  ist  die  höhere 
Temperatur  an  sich  ungünstig  für  das  Wachstum,  durch  allmähliche 
Gewöhnung  an  sie  lassen  sich  die  Prodigiosusbakterien  daher  auch  bei 
37**  gefärbt  erhalten  (Dieudonn6  §  354).  Umgekehrt  bilden  die- 
jenigen Farbstoffbakterien,  die  bei  höherer  Temperatur  besser  wachsen 
dort  auch  reichlicheres  Pigment. 

Licht  scheint  nur  für  die  Entwicklung  des  Pigments  der  „grünen" 
und  Purpurbakterien  nötig  oder  wenigstens  nützlich  zu  sein  (s.  o.  S.  780), 
ebenso  für  das  des  Micr.  ochroleucus  (P  r  o  v  e  ^)).  Sonst  färben  sich 
die  Bakterienkulturen  gerade  im  Dunkeln  am  schönsten,  wie  sie  sich 
ja  auch  hier  am  besten  entwickeln.  Starke  Beleuchtung  schädigt  die 
Farbstoffbildung  wie  die  Keime  (§  45),  aber  auch  die  Farbe  selbst.  So 
wird  nach  P  a  n  s  i  n  i  ^)  fertig  entwickelte  Prodigiosuskultur  auf  Agar 
durch  die  Sonne  entfärbt,  und  Kartoffelkulturen  nehmen  einen  schwärz- 
lichen Ton  an.  In  trockenem  Zustand  ist  dagegen  das  Prodigiosin  recht 
haltbar  (K  r  a  f  t).  Ungünstig  auf  die  Färbung  wirken  auch  alle  übrigen 
wachstumsschädigenden  Einflüsse,  z.  B.  Antiseptika  (Kap.  XVIII). 

Die  Bedeutung  der  Ernährungsweise  für  die  Farbstoff - 
bildung  folgt  schon  aus  der  imgleichen  Färbung  der  Kulturen  auf 
verschiedenen  Nährböden.  Was  zunächst  die  Reaktion  anlangt, 
so  hat  sie,  wie  das  Beispiel  des  Bac.  cyanbgenes  und  der  fluoreszierenden 
Bakterien  (S.  783)  zeigt,  großen  Einfluß  auf  den  Ton  der  Farbe.  Ein 
gewisser  leichter  Säuregrad  scheint  im  allgemeinen  günstiger 
auf  die  Farbstoffbildimg  zu  wirken,  als  deutlich  alkalische  Reaktion 
(vgl.  Papenhausen,  s.o.,  Kuntze,  s.u.).  Vielfach  hat  man 
versucht,  die  Nährstoffe,  die  zur  Erzeugung  der  Farbe  nötig  sind,  durch 
Züchtung  in  künstUch  zusammengesetzten  Lösungen  festzustellen, 
(j  e  8  s  a  r  d  (S.  782)  kam  dabei  zu  dem  Schluß,  daß  seine  ,,melanogene" 
Varietät  des  Pyocyaneus  das  Pyozyanin  schon  bildet  bei  Gegenwart 
von  bemsteinsaurem  Ammoniak  als  Stickstoff-  nnd  Kohlenstoffquelle, 
Magnesiumsulfat  und  Kalziumchlorid  als  Salzen;  den  fluoreszierenden 
Farbstoff  aber  erst  entwickelt  bei  Zufügung  von  Natrium-  und  Kalium- 
phosphat und  das  Melanogen  nach  Tjnrosinbeigabe.  Es  fragt  sich, 
ob  diese  Regel  ganz  allgemein  gilt.  Wenn  es  der  Fall  wäre,  sollte  man 
denken,  daß  in  der  doch  schon  verwickelt  genug  zusammengesetzten 
Fleischbouillon  (ohne  Pepton)  wenigstens  die  beiden  ersteren  Stoffe 
von  Rassen,  die  überhaupt  dazu  imstande  sind,  gebildet  würden;  das 
ist  aber  nach  G  e  s  s  a  r  d  selbst  nicht  so ;  es  gibt  zwar  Rassen,  die 
darin  beide  Farbstoffe  bilden,  aber  auch  andere,  die  in  Bouillon  bloß 


1)  Cohns  Beitr.  Biol.  Pfl.  4.  409,   1887. 

2)  SocietÄ  di  Naturalist!  in  Napoli   1890. 

Kruse,  Mikrobiologie.  50 


7 so  Kap.  XV,    §  254  u.  255. 

Pyozyanin  oder  bloß  Fluoreszin  oder  keins  von  beiden  bilden,  die  aber 
bei  Zusatz  von  Pepton  zur  Bouillon  sämtlich  Pyozyanin  und  (die 
melanogenen)  auch  Melanogen  entwickeln.  Man  sieht  daraus,  wieviel 
auch  hier  auf  die  Anlage  der  Keime  ankommt. 

Im    übrigen   haben   auch   andere   Forscher   die   Wichtigkeit  der 
Salze    für    die    Farbstoffbildimg    bestätigt,    so    T  h  u  m  m    urd 
K  u  n  t  z  e  ^)   die  der  Phosphate  für  die   fluoreszierenden  Bak- 
terien bzw.  für  den  Prodigiosus.   Von  den  übrigen  Mineralstoffen  kann 
Chlorkalzium  anscheinend  weggelassen  werden,  sobald  Magnesium- 
sulfat vorhanden  ist,  nicht  aber  umgekehrt.    Vielmehr  ist  Magne- 
siumsulfat nach   Thumm,   Nösscke^),   Kuntze   und   S a m- 
k  o  w  ^)   für   die   Farbstoffbildung  bei   diesen   Bakterien   unersetzlich 
und  zwar,  wie  Nösscke  zuerst  nachwies,  durch  seine  beiden  Be- 
standteile, das  Metall  und  die  Schwefelsäure,  die  denn  auch  mit  dem- 
selben Erfolg   in   anderer   Form   dargeboten   werden   können.    Nach 
S  a  m  k  o  w  geht  die  Magnesia  nicht  in  das  Prodigiosuspigment  selbst 
über,  sie  ermöglicht  also  auf  andere  Weise  seine  Bildung.    Auch  hier 
liegt  wieder  die  Deutung  nahe,  daß  die  genannten  Salze  deshalb  die 
Pigmentienmg  begünstigen,  weil  sie  das  Wachstum  begünstigen,  das 
Ausbleiben   der  Pigmentierung   also   für   eine   Hemmungserscheinung 
zu  halten.   Bis  zu  einem  gewissen  Grade  ist  das  auch  der  Fall,  insofern 
z.  B.  Spuren  von  Magnesia  und  Phosphaten  für  die  Entwicklung  über- 
haupt nötig  sind  (§  30).  Indessen  glaubt  Euntze  ^)  diesen  und  andere 
Einwände   gegen   die  besondere  Bedeutung  des  Magnesiumsulfats  für 
die  Färbst offbildung  durch  neue  Versuche  zurückweisen  zu  können. 
Auch  die  Beschaffenheit  der  Kohlenstoff-  und  Stickstoff- 
quell e  ist  auf  die  Farbstoffentwicklung  von  Einfluß.  Nach  Thumm 
unterscheiden  sich  z.  B.  die  einzelnen  fluoreszierenden  Bazillen  durch 
die  Vorliebe  für  diesen  oder  jenen  Nährstoff.   Nach  6  e  s  s  a  r  d  bildet 
der  Pyocyaneus    sein    fluoreszierendes    Pigment    auf    Eiweiß   am 
schönsten.    Notwendig  für  die  Farbstoffbildung  der  Bakterien  ist  die 
eiweißartige   Nahrung   im   allgemeinen   aber  nicht.    Eine   Ausnahme 
machen  die  melanogenen  Bakterien,  insofern  sie  entweder  Tyrosin 
oder  Protein,  aus  denen  sie  dieses  abspalten  können,  verlangen.  Koh- 
lenhydrate, insbesondere  Stärke  (Reis,  Kartoffeln)  begünstigen 
meistens  die  Pigmentbildung  (Papenhausenu.  a.).    Glyzerin 
im   Nährboden   schwächt   nach   unserer  Erfahrung   die   Bildung  des 
Prodigiosins. 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   34,   1900. 

2)  Bcitr.  z.  klin.  Chir.  18,  1897,  und  Arch.  f.  Chir.  61. 

3)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.    11. 

4)  Ebenda   1.  Abt.  44.  299,    1907. 


Farljstoffe  der  Klein wesen.  787 

Die  Art  und  Weise,  wie  die  Bildung  der  Pigmente  oder  ihrer 
Leukopiodukte  vor  sich  geht,  ist  im  allgemeinen  noch  völlig  dunkel. 
Es  wäre  aber  möglich,  daß  dabei  regelmäßig  fermentative 
Vorgänge  eine  Rolle  spielten.  Nachweislich  sind  ja  Enzyme  be- 
teiligt bei  der  Indikanspaltimg  durch  die  indigoliefernden  Mikro- 
organismen (S.  460)  und  bei  der  Oxydation  des  Tyrosins  durch  die 
melanogenen  Arten  (S.  268).  Eine  eigentümliche  Eontaktwirkung 
der  Pyocyaneusbazillen  auf  ein  von  ihnen  geliefertes  Pigment  (Pyoxan- 
those ?)  beschreibt  de  Seixas  Palma  ^).  Die  gelbe  Farbe  wurde 
in  eine  grüne  verwandelt. 

§  255.  Bedeutung  der  Farbstoffe.  Nach  B  e  i  j  e  r  i  n  c  k 
besäße  der  Farbstoff  nur  für  die  Ernährimg  der  chromophoren 
Mikroorganismen  eine  Bedeutimg,  während  er  bei  den  chromoparen 
und  parachromophoren  eine  nutzlose  Absonderung  wäre.  Es  fragt  sich 
aber,  ob  wir  das  heute  schon  sagen  dürfen.  Nachgewiesen  oder  wenig- 
stens wahrscheinlich  ist  bisher  die  Bedeutung  der  Färbung  nur  für  die 
grünen  und  Purpurbakterien.  Sie  ersetzt  mehr  oder  weniger  die  Leistimg 
des  Chlorophylls  bei  der  Assimilation.  Nur  bei  ersteren  geschieht  das 
freilich  in  dem  Sinne,  daß  der  Farbstoff  die  Assimilation  des  Kohlen- 
stoffe aus  der  Kohlensäure  imter  gleichzeitiger  Abspaltung  von  Sauer- 
stoff ermöglicht  (s.  o.  S.  780).  Engelmann  glaubte  zwar  einen 
ähnUchen  Vorgang  auch  bei  den  Purpurbakterien  beobachtet  zu  haben. 
Molisch  leugnet  aber  entschieden  jede  Sauerstoff entbindung  bei 
diesen  und  hat  auch  die  Assimilation  der  Kohlensäure,  die  ja  auch  auf 
anderen  Wegen  stattfinden  könnte,  dadurch  imwahrscheinlich  ge- 
macht, daß  er  nachwies,  wie  groß  das  Bedürfnis  vieler  Purpurbak- 
terien nach  einer  reichlichen  organischen  Nahrung  ist.  Gedeihen  sie 
doch  am  besten  in  Pepton-Zuckerlösangen  und  überhaupt  nicht  in  einer 
rein  mineralischen  oder  an  organischen  Stoffen  armen  Lösung^).  Trotz- 
dem stehen  aber  Wachstum,  Farbstoffbildimg  sowie  die  Bewegungen 
^§  46)  der  Purpurbakterien  in  deutlicher  Abhängigkeit  vom  Licht ^). 
M  0 1  i  s  c  h  glaubt  daher,  daß  das  Licht  und  die  Farbstoffe  bei  der 
Assimilation  organischer  Stoffe    durch    die    Purpur- 

1)  Zentr.  Bakt.  43.  417. 

2)  Das  widerspricht  allerdings  Winogradskys  Aiipjabe,  ebenso 
die  von  N  a  d  s  o  n  und  M  o  ]  i  s  c  h  festgestellte  Unabhängigkeit  vieler 
Purpiirbakterien  vom  Schwefelwasserstoff  (vgl.  §  209).  Ob  Artunter- 
schiede dafür  entscheidend  sind? 

3)  Ausnahmen  kommen  allerdings  vor,  indem  manche  Purpurbak- 
terien auch  im  Dtmkeln  lebhaft  schwärmen  (W  inogradsky)  luid  in 
Reinkulturen  auf  festen  Nährböden  schönen  Farbstoff  bilden  und  reichlich 
wachsen  (M  o  1  i  s  c  h).  Damit  wäre  der  Übergang  zu  anderen  Pigment- 
bakterien gegeben. 

50* 


788  Kap.  XV,   §  255. 

bakterien  eine  ähnliche  Bolle  spielen,  wie  Licht  und  Chlorophyll  bei 
der   Assimilation   der   Kohlensäure   durch   grüne   Pflanzen,    und   daß 
außerdem  die  Purpurbakterien  im  Lichte  aus  der  organischen  Nahrung 
„einen   Stoff  bilden,  der  ihnen  die  Bewegung  ge- 
stattet, und  dessenVorrat  ihnen  noch  in  der  Dunkel- 
heit  einige    Zeit    die    Bewegung   ermöglicht."     Bei 
allen  anderen  Bakterien  ist  die  Funktion  der  Farbe  zweifelhaft.    Immer- 
hin wissen  wir,    daß    manche  Farbstoffe   (Lipochrome)  im   Dunkeln 
oder  im  Licht  die  Eigenschaft  besitzen,  den  Sauerstoff  aufzuspeichern 
(Pfeffer  und  E  w  a  r  t  S.   104)  und  dadurch  den  Bakterien  eine 
Zeitlang    vielleicht    Leben    ohne    Sauerstoffzutritt    ermöglichen    oder 
ihnen  in  anderer  Weise  nützlich  sind.   Daß  die  fluoreszierenden  Farb- 
stoffe (allerdings  nicht  bakteriellen  Ursprungs)  unter  der  Einwirkung 
des  Lichtes  imd  Sauerstoffs  lebende  Zellen,  Enz3ane  und   Gifte  beein- 
flussen, wissen  wir  durch  Raab,  Tappeiner  u.  a.  (S.  154).  Wenn 
auch  bisher  nur  schädliche  Wirkungen  bekannt  sind,  wäre  es  doch 
denkbar,  daß  in  schwächerer  Konzentration  auch  nützHche  hervortreten 
könnten,  oder  daß  die  schädlichen  Wirkungen  nur  gegenüber  anderen 
Kleinwesen,  die  mit  den  fluoreszierenden  Bakterien  zusammen  leben, 
sich  bemerkbar  machten  \md  dadurch  den  letzteren  den  Wettbewerb 
mit  jenen  erleichterten.    Vor  allen  Dingen  bleibt  dann  aber  noch  die 
Möglichkeit,  daß  die  Farbstoffe  den  Kleinwesen  in  ähnlicher  Weise 
biologisch   („ökologisch")   von   Nutzen   sind,   wie   den   Pflanzen  imd 
Tieren.   Man  könnte  sie  z.  B.  als  Lockmittel  für  Insekten,  die  ihre  Ver- 
breitung bewirken   sollen,   betrachten.    Damit  stimmt   die   Tatsache 
zusammen,  daß  gerade  in  der  Luft  gefärbte  Keime  außerordentUch 
verbreitet  sind.  Wenn  man  diesen  Gesichtspunkt  auf  die  Spitze  treiben 
wollte,  könnte  man  sogar  sagen,  daß  die  Fähigkeit,  Farben  zu  erzeugen, 
auch  zur  Verbreitung  der  betreffenden  Keime  diuch  den  Menschen 
Veranlassung  gäbe :  haben  sie  doch  nicht  nur  die  Bakteriologen  von  jeher 
besonders  angezogen,   sondern  schon  lange   die  Aufmerksamkeit  der 
Menschen  erweckt.  Man  soll  nicht  einwenden,  daß  abnorme  Färbungen 
auf  Nahrungsmitteln  und  dergleichen  zur  Vemichtimg  der  sie  hervor- 
rufenden Keime  Anlaß  geben,  denn  diese  Gefahr  liegt  wohl  nur  von 
Seiten  des  hygienisch  geschulten  Kalturmenschen  vor,   beim  Natur- 
menschen  und  beim  Tiere  werden  dergleichen  Färbungen  wohl  eher 
abschreckend  wirken,  also  zur  Erhaltung  der  Keime  beitragen. 

Das  leitet  uns  über  zu  einer  Würdigung  der  farbstoffbildenden 
Kleinwesen  in  ihrer  Bedeutung  für  die  Außenwelt  und 
den  Menschen.  Nützlich  wird  die  Streptothrix  chromogenes  nach 
Beijerinck  durch  den  wesentlichen  Anteil,  den  sie 
an   der  Humusbildung  nimmt   (S.  381).    Für  den  Menschen 


Farbstoffe  der  Kleinwesen.  789 

and  die  höheren  Tiere  spielen  die  abnormen  Färbungen  eine  ähn- 
liche Bolle  wie  die  schlechten  Gerüche  der  Fäul- 
niserreger, sie  machen  auf  die  Verderbnis  von 
Nahrungsmitteln    aufmerksam. 

Hin  und  wieder  hat  man  wohl  daran  gedacht,  die  Farbstoffbildung 
technisch  zu  verwerten.  Aber  die  verhältnismäßig  geringe  Färbe- 
kraft, die  meist  geringe  Haltbarkeit  und  die  Kostspieligkeit  der  Bak- 
teriennährböden machen  das  im  allgemeinen  unmöglich.  Die  Mithilfe 
von  Bakterien  bei  der  Indigo-,  Orseille-  und  Lakmusgewinnung,  die 
man  eine  Zeitlang  angenommen  hatte,  ist  neuerdings  sehr  zweifelhaft 
geworden  (§  156).  Im  übrigen  hat  bekanntlich  der  künstlich  dar- 
gestellte Indigo  schon  den  natürlichen  fast  völlig  verdrängt. 

Die  schädlichen  Wirkimgen  der  Farbstoffbildungen  überwiegen 
bei  weitem.  Wir  erinnern  zunächst  daran,  daß  unter  ihnen  eine  ganze 
Reihe  Erreger  von  Krankheiten  bei  Menschen  und  Tieren  sind,  so 
meistens  die  Eiterstaphylokokken,  säurefesten  Bakterien,  Strahlen- 
pilze, der  Bac.  pyocyaneus,  viel  seltener  pigmentbildende  Strepto- 
kokken u.  a.  m.  Auf  lebenden  Pflanzen  schmarotzen  namentlich  ge- 
färbte Pilze  (Zopf  S.  780).  Weit  größer  ist  die  Schar  der  gefärbten 
Saprophyten,  die  Nahrungsmittel,  Holz^)  usw.  verderben.  Man  darf 
aber  wohl  sagen,  daß  die  Farbstoffbildung  als  solche  weder  zur  Krank- 
heitserregung^)  noch  zur  Zersetzung  wesentlich  beiträgt,  daß  sogar 
durchschnittlich  die  gefärbten  Mikroorganismen  in  beiden  Beziehungen 
weniger  leistungsfähig  sind  als  die  imgefärbten.  Eine  Ausnahmestellung 
gebührt  eigentlich  nur  drei  Mikroorganismen :  dem  Bazillus  des 
blauen  Eiters,  weil  er  meist  zwar  nur  unbedeutende  Krankheits- 
erscheinungen, aber  doch  recht  unangenehme  Störungen  im  chirur- 
gischen Betriebe*)  verursacht;  dem  blutroten  „Wunderbakterium" 
(Bac.  prodigiosus),  weil  er  früher  als  Ansiedler  auf  geweihtem 
und  ungeweihtem  Brot  und  anderen  Speisen  zu  unheilvollen  Ver- 
wechslungen Anlaß  gegeben  hat*),  ihm  und  namentlich  dem  B  a  - 
ziUus  der  blauen  Milch,  weil  sie  beide  durch  Veränderimg 
der  Milch  förmliche  Stallepidemien*)  hervorrufen. 

1)  Färbungen  durch  holzzerstörende  Pilze  s.  bei  Tubeuf  in  La- 
f  a  r  s  Handb.  3.  299  ff. 

2)  Das  Pyozyanin  ist  z.  B.  iingiftig. 

3)  über  blau,  rot  und  rosa  gefärbten  Schweiß  s.  Infektionslehro. 

4)  Geschichtliche  Angaben   bei    Scheiierlen,    Arch.  f.  Hyg.  26. 

5)  Neelsen,  Cohns  Beitr.  z.  Biol.  d.  Pflanz.  3,  1880;  H  ü  p  p  e  , 
Mitteil.  d.  Gesundheitsamts  2,  1884;  gelegentliche  Beobaclitungen  über 
andere  blaue,  rote  und  gelbo  Verfärbungen  der  Milch  s.  bei  W  e  i  g  m  a  n  n 
in  L  a  f  a  r  8  Handb.  2.  206;  Färbungen  dos  Käses  ebenda  230,  des  Brotes  259. 


Kapitel  XVI. 

Gifte  der  Kleinwesen. 

§  256.   Einleitung.    Beschaffenheit  und  Wirkungsweise. 

Als  Gifte  (Toxine)  bezeichnen  wir  im  weitesten  Sinne  des  Wortes  solche 
Erzeugnisse  der  Kleinwesen,  die  lebende  Zellen 
anderer  oder  auch  derselben  Art  zu  schädigen 
geeignet  sind.  Betrifft  die  Schädigung  die  Zellen  derselben  Art. 
so  spricht  man  auch  von  Selbstvergiftung  (Autointoxikation)  und 
Selbstgiften  („Autotoxinen",  §  47).  Infektionsgifte 
sind  (im  strengen  Sinne)  nur  die  von  echten  Infektionserregern  im 
Körper  ihrer  Wirte  gebildeten  Gifte,  im  weiteren  versteht  man  darunter 
allerdings  auch  solche,  die  nur  in  der  Außenwelt  gebildet  werden,  aber 
den  Infektionsgiften  durch  ihre  übrigen  Eigenschaften  nahestehen 
(z.   B.  das  Wurstgift). 

Gifte  sind  sehr  verschiedene  Stoffe.  In  erster  Linie  kommen  die- 
jenigen, deren  chemische  Natur  genau  bekannt  ist,  wie 
die  Säuren  und  Alkohole,  das  Ammoniak  und  die  organischen  Basen. 
die  aromatischen  Produkte,  der  Schwefelwasserstoff, -die  Kohlensäure, 
salpetrige  Säure  u.  a.  m.  Sie  sind  am  besten  als  Stoffwechsel- 
gifte (§  258 — 260)  zu  bezeichnen,  weil  sie  bei  den  gewöhnlichen 
Stoffwechselvorgängen  (namentlich  Gärungen),  die  wir  in  den  vorher- 
gehenden Kapiteln  beschrieben  haben,  als  Haupt-  oder  Nebenerzeug- 
nisse entstehen.  W^enn  auch  ihre  Bedeutung  von  vornherein  nicht 
unterschätzt  werden  darf,  so  hat  doch  der  Erfolg  gelehrt,  daß  sie  in 
größerem  Umfange  nur  von  den  freilebenden  Mikrobien  gebildet  und 
von  diesen  im  Kampfe  ums  Dasein  mit  anderen  Kleinwesen  aus- 
genützt werden  (§  48).  Allenfalls  kommen  sie  dann  noch  bei  den 
Pflanzenparasiten  als  eigentliche  Infektionsgifte  in  Betracht.  Einige 
von  ihnen,  z.  B.  der  Alkohol,  werden  —  allerdings  nur  in  größeren 
Mengen  einverleibt — Tieren  und  Menschen  gefährlich.  Verhältnismäßig 
harmlos  sind  dagegen  meist  die  organischen  Basen  oder  Ptomaine. 
die  man  früher  als  wesentliche  Ursache  der  infektiösen  Vergiftungen 
im  Verdacht  hatte  (§  259). 


Gifte  der  Kleinwesen.  791 

Viel  wichtiger  ist  in  dieser  Beziehung  eine  zweite  Klasse  von  Giften, 
die  wii  deshalb  als  eigentliche  oder  Eigengifte  (spezifische  Gifte) 
bezeichnen  wollen.    Ihre  chemische  Beschaffenheit  ist  bisher  so  gut 
wie  gar  nicht  bekannt,  wahrscheinUch  besitzen  sie  aber  einen  ver- 
wickelten Bau  und  sind  dadurch  wie  in  anderen  Eigenschaften 
den  Enzymen  ähnlich.    Eine  Zeitlang  hat  man  an  ihre  eiweißartige 
Natur  geglaubt  und  sie  als  „Toxalbumine",  „Bakterienproteine"  usw. 
bezeichnet,  doch  haben  spätere  Erfahrungen  diese  Ansicht  erhebUch 
erschüttert  (§  273,  280).   Als  eine  wesenthche  Eigenschaft  dieser  Gifte 
betrachtet  man  gewöhnlich  ihre  Empfindlichkeit  gegen  che- 
mische und  physikaUsche  Einflüsse,  insbesondere  Erhitzung,  die  so- 
genannte „Labilität"  ihrer  Moleküle;  für  viele  Fälle  trifft  das  auch  zu, 
doch  gibt  es  genug  Eigengifte  der  Bakterien,  die  sich  dieser  Regel  nicht 
fügen,  ebenso  wie  es  z.  B.  kochfeste  Pflanzen-,  Tiergifte  und  sogar 
Enzyme  gibt  (§  274).    Umgekehrt  kennen  wir  übrigens  auch  Stoff- 
wechselgifte, die  sehr  empfindUch  und  deshalb  schwierig  darzustellen 
sind,  z.  B.  das  Sepsin  (§  259).    Je  nachdem  die  Gifte  von  den  Mikro- 
organismen nach  außen  abgesondert  oder  in  ihren  Zellkörpern  ab- 
gelagert und  durch  deren  Zerstörung  frei  werden,  kann  man  sie  als 
Sekretgifte    (Ektotoxine)    oder    Leibesgifte    (Endotoxine) 
unterscheiden.    Zu  den  ersten  rechnet  man  z.  B.  die  Gifte  der  Diph- 
therie, des  Tetanus  und  Botulismus,  die  man  leicht  durch  Filtration 
der  betreffenden  Bakterienkulturen  gewinnt,  zu  den  letzteren  die  der 
Tuberkel-   imd  Cholerabazillen,  die  man  nur  mit  mehr  oder  weniger 
Mühe  aus   den  Bakterienleibern  ausziehen  kann.    In  den  genannten, 
wie  in  manchen  anderen  Fällen  hat  diese  Trennung  einen  Wert,  weil 
sie  uns  lehrt,  die  Gifte  zu  gewinnen.    Doch  werden  wir  sehen,  daß  sie 
sich  nicht  scharf  durchführen  läßt  (§  272).    Im  Grunde  haben  wir  es 
hier,  wie  bei  den  Enz)anen  (§  240),  nur  mit  der  Tatsache  zu  tun,  daß 
sich    die    wirksamen    Stoffe    mehr    oder    weniger 
leichtvon  den  Zellen,  die  sie  erzeugen,  trennen, 
bzw.  trennen  lassen.    Wie  es  für  den  Stoffwechsel  der  Mikro- 
organismen  verhältnismäßig    geringe   Bedeutung   hat,    ob   der   Rohr- 
oder Malzzucker  der  Nahrung  außerhalb  oder  innerhalb  ihrer  Leiber 
invertiert  wird,  so  ist  es  für  die  Giftwirkung  nicht  von  wesentlichem 
Belang,   ob   die   Gifte  gewissermaßen  freiwillig  oder  unfreiwillig  ab- 
gegeben werden,  die  Hauptsache  bleibt,  daß  das  überhaupt  geschieht, 
und  dafür  sorgen  die  Parasiten  bzw.  die  Mikroorganismen  schon  selbst. 
Sehen  wir  doch  z.  B.,  daß  die  Vergiftung  durch  die  Cholerabazillen 
im  Tier  unter  ganz  ähnhchen  Erscheinungen  auftritt,  ob  sie  von  lebenden 
oder  toten  Bazillen  ausgeht.    Hier  möchten  wir  nur  noch,  um  Miß- 
verständnisse zu  verhüten,  hervorheben,  daß  die  Ausdrücke  Sekret- 


792  Kap.  XVI.   §  256. 

oder  Leibesgifte  keinesfalls  so  aufgefaßt  werden  dürfen,  daß  die  einen 
als  Produkte  des  abbauenden  Stoffwechsels  —  wie  unsere  Stoffwechsel- 
gifte (s.  o.)  — ,  die  anderen  als  Bestandteile  des  Protoplasmas,  also  syn- 
thetisch entstanden  zu  denken  wären.    Im  (xegenteil  können  wir  sie 
sämtlich  vielleicht  als  Protoplasmabestandteile  (Seitenketten)  betrachten. 
Über  die  Entstehung  der  Eigengifte  wissen  wir 
übrigens   ebenso   wenig   als   über   die   der  Enzyme 
(§  68).    Wir  wissen  nur,  daß  sie  wie  diese  in  sehr  verschiedener  Menge, 
unter  Umständen   auch   gar   nicht   erzeugt   werden,   daß  Emährung 
und  andere  Einflüsse  der  Umgebung  auf  ihre  Bildung  einwirken  (§  271). 
Von  einem  Teil  der  Eigengifte  der  Mikroorganismen  ist  es  be- 
kannt, daß  sie  imstande  sind,  Tiere  bei  richtiger  Behand- 
lung allmählich  gegen  eine  nochmalige  Einwirkung  derselben    Gifte 
zu  schützen,  zu  immunisieren.    Diese  Giftimmunität  kann  so 
hoch  steigen,   daß  selbst  die  größten  Gaben  der  Gifte  unschädlich 
ertragen  werden.    Gewöhnlich,  wenn  auch  nicht  regelmäßig,  gelingt  es 
dabei,  nachzuweisen,  daß  im  Blut  bzw.  Blutserum  der  immunisierten 
Tiere    spezifische    Gegengifte    („Antitoxine")    vorhanden    sind, 
d.  h.  Stoffe,   durch  welche  die  Gifte,  und  zwar  nur  diejenigen,  mit 
denen   immunisiert  worden  ist,  unschädlich  gemacht  werden.    Diese 
,, Neutralisierung"  erfolgt  proportional  der  Menge  der  Gifte  und  Gegen- 
gifte, so  daß  es  nahe  hegt,  sie  durch  eine  chemische  Bindung  zu  erklären. 
Man  ist  wohl  zu  weit  gegangen,  wenn  man  die  Immunität  ausschließUch 
auf  die  Gegenwart  von  Antitoxinen  im  Blut  zurückführt  (vgl.  Im- 
munitätslehre), daß  sie  aber  für  die  Giftfestigkeit  große  Bedeutung 
haben,  folgt  schon  daraus,  daß  man  durch  Übertragung  anti- 
toxischen   Serums    auf  neue   Tiere   diesen  sofort 
Immunität  gegen  das  betreffende  Gift  —  und  zwar 
nur  gegen  dieses  —  verleihen  kann.    Unter  solchen  Um- 
ständen   erscheint  es   berechtigt,   von  immunisierenden,   die  Bildung 
von  Antitoxinen  anregenden  Eigengiften,  Immuntoxinen  oder  Impf- 
giften^)  zu  sprechen.    Gerade  die  kräftigsten  Bakteriengifte,  wie  die 
des  Tetanus,  der  Diphtherie,  des  Botulismus,  Rauschbrands  und  der 
Dysenterie  gehören  zu  ihnen.    Bei  anderen  Giften  hat  man  Gegengifte 
nicht  nachweisen  können,  obwohl  man  von  ihnen  weiß,  daß  auch  an 
sie  sich  die  Tiere  so  ,, gewöhnen"  können,  daß  sie  unbeschadet  größere 
Mengen  vertragen  können.    Von  den  Eigengiften  haben  das  Tuberkulin 


1)  O  p  p  e  n  h  e  i  m  c  r  u.  a.  wollen  den  Ausdruck  „Toxine'  aus- 
schließlich für  die  Iinmuntoxine  vorbehalten.  Bei  dem  wechselnden  Sprach- 
gebrauch dieses  Wortes,  das  schließlich  doch  nichts  weiter  bedeutet  ak 
CJifte,  empfiehlt  sich  das  aber  nicht.  Falsch  ist  jedenfalls  dife  Identifizierung 
dieser  „Toxine"  mit  den  Ektotoxinen  oder  Sekretgiften  (§  275). 


Gifte  der  Kleinwesen.  793 

und  viele  andere  Leibesgifte,  von  den  Stoffwechselgiften  der  Alkohol, 
das  Neiirin  u.  a.  die  genannte  Eigenschaft.  Der  Begriff  der  Giftgewöh- 
nimg  ist  lange  nicht  so  geklärt,  wie  derjenige  der  Giftimmunität.  Eine 
scharfe  Scheidung  zwischen  beiden,  wie  sie  vielfach  beliebt  wird,  ist 
schon  deswegen  nicht  möglich,  weil,  wie  oben  bemerkt,  bei  manchen 
Tieren,  die  mit  Immungift  behandelt  oder  giftfest  sind,  die  Antitoxine 
im  Blute  zeitweise  oder  überhaupt  fehlen  bzw.  nicht  in  der  dem  Grade 
der  Immunität  entsprechenden  Menge  vorhanden  sind.  Man  könnte 
geneigt  sein,  eine  dritte  Gruppe  von  Giften  aufzustellen,  die  sich  dadurch 
auszeichnen,  daß  sie  weder  Immunität  noch  Gewöhnung  bedingen, 
sondern  umgekehrt  ihre  Wirkung  mit  jeder  neuen  Gabe 
steigern.  Gewisse  langsam  wirkende  Leibesgifte  sind  hierher 
zu  rechnen.  Jedoch  hat  man  die  Beobachtung  gemacht,  daß  auch 
andere,  ja  vielleicht  alle  zu  den  ersten  beiden  Gruppen  gehörenden  Gifte, 
wie  Diphtherie-,  Choleragift,  TuberkuUn  unter  Umständen  „Uber- 
empfindlichkeit"  hervorrufen  und  in  überempfindUch  gewordenen  Tieren 
durch  Gaben  Schaden  stiften  können,  die  bei  neuen  Tieren  ganz  im- 
schädlich  sind.  Die  Krankheitszeichen  pflegen  dabei  allerdings  ganz 
bestimmter  Art  zu  sein,  so  daß  man  von  einem  Symptomenbild  der 
Cberempfindlichkeit  oder  „Anaphylaxie"  spricht.  Auch  die  Über- 
empfindUchkeit  ist  gewöhnüch  durch  das  Blutserum  der  betreöenden 
Tiere  auf  andere  übertragbar  und  spezifisch,  d.  h.  gilt  nur  gegenüber 
Stoffen  derselben  Herkunft,  also  ist  wohl  die  Bildung  von  spezifischen 
,,Anaphylaxinen"  im  Blute  anzunehmen.  Das  Studium  dieser  eigen- 
tümUchen  Erscheinung  weist  noch  manche  Lücken  auf,  aber  es  macht 
vorläufig  den  Eindruck,  als  ob  sie  bedingt  wäre  durch  andere  in  den 
Giftlösungen  vorhandene  Stoffe,  als  die  eigentUchen  Gifte  selbst. 
Wissen  wir  doch,  daß  auch  so  harmlose  Substanzen,  wie  Blutserum, 
Milch,  Eiweiß  usw.  durch  eine  zweite  Einspritzimg  im  Tier  Zeichen 
der  überempfindlichkeit,  ja  den  Tod  bewirken  können.  Und  finden 
wir  doch  gelegentüch,  daß  selbst  eine  kräftige  Antitoxinbildung  in 
überempfindlichen  Tieren  nicht  auszubleiben  braucht,  Anaphylaxine 
und  Antitoxine  also  nebeneinander  gebildet  werden  können^). 

So  außerordentUch,  wie  es  zunächst  scheint,  ist  dieses  Vorkommen 
nicht,  wir  müssen  uns  vielmehr  von  vornherein 
daran  gewöhnen,  in  unseren  Giftpräparaten 
Stof  f  mi  s  c  hunge  n  der  ve  r  wi  c  k  e  1 1  s  t  en  Art  zu 
sehen.  Ist  es  doch  ganz  gewöhnlich,  daß  man  durch  Behandlung 
von  Tieren  mit  ihnen,  z.  B.  auch  mit  Dysenteriegiftlösungen,  im  Blut- 
serum außer  Antitoxinen  und  Anaphylaxinen  auch  spezifische  Bak- 


l)  Vgl.   über  Anaphylaxie  und  das  anaphylaktische  Gift    §  344. 


794  Kap.  XVI,   §  256. 

teriolysine  und  Tropine,  Agglutinine,  Präzipitine  und  „Reagine"'  zu 
sehen  bekommt.  Und  nicht  genug  damit,  es  ist  sogar  durch  neuere 
Forschungen  wahrscheinUch  geworden,  daß  mehrere  verschie- 
dene Antitoxine  —  gegen  das  „Kaninchen-"  und  „Meer- 
schweinchengift" des  Ruhrbazillus  §  289  —  im  Serum  von  ruhrim- 
munen Tieren  vorhanden  sind. 

Diese  „immunisierenden"  Vorgänge  im  Tierkörper  werden  wir  in 
der  Fortsetzung  dieses  Werkes,  der  „Immimitätslehre",  gründlicher  zu  be- 
handeln haben,  hier  interessieren  sie  uns  nur  insofern,  als  sie  ein  Licht 
werfen  auf  die  chemische  Natur  der  Giftstoffe  oder  wenigstens  der 
Immimgifte.  Offenbar  gehören  diese  eben  durch  ihre  Fähigkeit,  die 
Bildung  von  Gegenkörpem  („Antikörpern")  im  lebenden  Tier  zu  er- 
zeugen, in  eine  Klasse  mit  den  anderen  „Impfstoffen",  „Gegenstoffen'' 
oder  „Antigenen"  (Lysino-,  Tropino-,  Agglutino-,  Präzipitino-,  Reagino- 
Anaphylaxogenen  s.  u.  §  333 — ^344)  des  Bakterienleibes  und  anderer 
Zellbestandteile  oder  Interzellularflüssigkeiten  oder  Sekrete  von  Pflanzen 
und  Tieren.  Die  Enzyme  sind  ja,  wie  wir  schon  sahen,  größtenteils 
auch  hierher  zu  rechnen  (§  249).  P.  Ehrlich  verdanken  wir  eine 
anschauUche  Vorstellung  über  die  Bildungsweise  der  Gegenkörper, 
die  sogenannt-e  Seitenkettentheorie.  Sie  beruht  auf  der  Annahme, 
daß  die  Antigene  in  ihrem  Molekül  stets  eine  (oder  mehrere)  bin- 
dende Atomgruppen  („haptophore"  Gruppen  oder  „»Seiten- 
ketten") enthalten,  mittelst  deren  sie  sich  an  entsprechend  gebaute 
Seitenketten  („Rezeptoren")  der  tierischen  Zellen  anlegen  und  diese 
gewissermaßen  dadurch  ausschalten,  wodurch  dann  die  Zellen  zu 
überreichlicher  Neubildimg  von  Rezeptoren  und  zu  ihrer  Abstoßung 
ins  Blut  angeregt  werden.  Diese  ,, freien  Rezeptoren"  wären  nichts 
weiter  als  eben  die  gesuchten  „Antikörper".  Über  die  Berechtigimg 
dieser  Seitenkettentheorie  und  die  damit  zusammenhängenden  An- 
schauungen werden  wir  uns  später  auszusprechen  haben  (§  279,  327  ff.). 
In  der  Hauptsache  stimmen  wir  mit  Ehrlich  überein,  nämlich  darin, 
daß  die  Bindung  der  Immuntoxine  wie  die  der  Antigene 
überhaupt,  als  eine  chemische,  durch  eine  besondere  „haptophore'* 
Gruppe  der  Moleküle  bewirkte  Bindung  anzusehen  sei,  halten  es  auch 
nach  den  ausführlichen  Arbeiten  Ehrlichs  u.  a.  über  den  Bau 
des  Diphtheriegifts  und  der  übrigen  Impfgifte  (§  262  ff.  u.  §  275) 
für  wahrscheinUch,  daß  die  eigentliche  Giftwirkung  der  Toxine  einer 
anderen  ,,toxophoren"  Gruppe  zu  verdanken  ist.  Dadurch,  daß  diese 
in  ihrer  Leistungsfähigkeit  geschwächt  wird,  entstehen  schwach  oder 
gar  nicht  giftige,  aber  doch  noch  mit  dem  Immunserum  reagierende 
Stoffe,  Ehrlichs  Toxoide.  Auf  weitere  Verwicklungen,  die  durch 
die  veränderliche  Bindekraft  der  haptophoren  Seitenketten  entstehen 


G  ifte  der  Kleinwesen.  795 

und  die  Ehrlich  zur  Annahme  von  Proto-,  Deutero-,  Tritotoxoiden 
geführt  haben,  kommen  wir  später  zurück,  ebenso  auf  die  „Toxone", 
eine  Abart  der  Gifte,  die  sich  durch  die  Eigenart  ihrer  toxophoren 
Gruppe,  d.  h.  die  Beschaffenheit  der  Giftwirkimg  imterscheiden  sollen. 

Es  braucht  kaum  bemerkt  zu  werden,  daß  alle  diese  Vorstellungen, 
zu  denen  die  Ehrlich  sehe  Giftanaljrse  geführt  hat,  nur  einen  vor- 
läufigen, hypothetischen  Charakter  tragen  und  im  Grunde  nur  unsere 
vollständige  Unkenntnis  über  die  chemische  Natur  der  Impfgifte 
wie  der  übrigen  Impfstoffe  kennzeichnen.  Fast  wunderbar  erscheint 
uns  namentlich  die  Tatsache,  daß  jedem  der  unzähUgen  Antigene  ein 
spe2dfischer  (Jegenkörper  entspricht.  Wie  soll  man  sich  solche  Mannig- 
faltigkeit  der   bindenden  Gruppen   chemisch  vorstellen?    Vgl.  §  266. 

Wissen  wir  recht  wenig  über  die  chemische  Natur  der  wichtigsten 
Infektionsgifte,  so  fehlt  uns  fast  jede  Kenntnis  über  die 
chemischen  Reaktionen,  die  ihre  krankheit- 
erregende Wirkung  bedingen.  Auch  nur  wenige  der  Stoff- 
wechselgifte  machen  allenfalls  eine  Ausnahme  davon:  es  sind  das  zu- 
nächst die  Säuren  und  Alkalien,  die  durch  Änderung  der  Reaktion 
des  Protoplasmas,  also  etwa  durch  Beeinflussung  der  Enzyme,  schäd- 
lich wirken,  femer  die  Oxalsäure  und  ihre  Salze,  die  nach  L  o  e  w  ^) 
dadurch  schaden  sollen,  daß  sie  die  Kalziumverbindungen  des  Zell- 
kerns (Nukleins)  ausfällen,  die  salpetrige  Säure  und  ihre  Salze,  die  bei 
saurer  Reaktion  die  Amidogruppe  des  Protoplasmas  angreifen  könn- 
ten*^). Dagegen  ist  uns  schon  die  Wirkung  des  Alkohols  unverständlich, 
obwohl  wir  vielleicht  nach  den  bekannten  Theorien  Overtons^) 
und  H.  Meyers*)  annehmen  können,  die  Voraussetzung  seiner  Wir- 
kung, wie  derjenigen  anderer  Narkotika,  sei  seine  Fähigkeit,  sich  in 
Lipoiden  zu  lösen  und  dadurch  in  die  empfindlichen  Zellen  einzudringen. 
Was  man  von  der  Wirkung  der  übrigen  weiß,  beschränkt  sich  darauf,  daß 
man  Krankheitserscheinungen  an  den  vergifteten  Organismen,  d.  h. 
morphologische  und  funktionelle  Störungen  an 
ihnen  beobachtet  und  in  manchen  Fällen  durch  Experimente  die 
Angriffepunkte  der  Gifte  zu  kennen  glaubt.  Die  Krankheitserschei- 
nungen selbst  werden  ims  erst  in  der  Fortsetzimg  dieses  Werkes  (In- 
fektionslehre) näher  beschäftigen,  hier  sei  nur  erwähnt,  daß  man  sie 
unter  Umständen  auch  im  Reagensglas  imd  unmittelbar  unter  dem 
Mikroskop   beobachten  kann,  so  in  erster  Linie  bei  den  h  ä  m  o  1  y  - 


1)  Low,    Natürliches    System   der    Giftwirknngen    1893.    119;   vgl. 
auch  Flora  1892.  376  und  385. 

2)  Derselbe,  Natürliches  System  usw.    S.   61.     Vgl.   S.   617. 

3)  Studien  über  die  Narkose  1901. 

4)  Arch.  exper.  Path.   1899—1901. 


796  Kap.  XVI.   §  256. 

tischen  Giften,  die  die  Ausscheidung  des  Hämoglobins  aus  den 
roten  Blutkörperchen  veranlassen.  Gerade  hier  zeigen  sich  aber  so 
recht  die  Schwierigkeiten,  die  dem  Chemiker  erwachsen,  wenn  er  die 
Wirkiuigen  von  Stoffen  auf  organisierte  Gebilde  auf  ihre  Ursache 
zurückführen  soll.  Obwohl  nicht  nur  Stoffe  unbekannter  Zusammen- 
setzung (Eigengifte)  Hämolyse  bewirken,  sondern  auch  chemisch  gut 
charakterisierte  Körper,  wie  z.  B.  Alkalien  und  fettlösende  Mittel, 
und  obschon  die  chemische  Beschaffenheit  gerade  der  roten  Blut- 
körperchen verhältnismäßig  gut  bekannt  ist,  gelangt  man  doch  nicht 
dazu,  den  Vorgang  der  Hämolyse  zu  entschleiern,  sondern  höchstens 
gewisse  physikalisch-chemische  Tatsachen,  wie  z.  B.  den  Einfluß  der 
Giftkonzentration  und  Temperatur  auf  die  Reaktionsgeschwindigkeit 
der  Hämolyse,  festzustellen  (§  314). 

Die  Hämolyse  ist  auch  eine  von  denjenigen  Giftwirkungen,  deren 
Angriffspunkt  man  zu  kennen  glaubt,  aber  man  weiß  doch  auch  hier 
nur,  daß  es  die  rote  Blutkörperchenzelle  bzw.  deren  Stroma  ist,  die 
von  den  Giften  angegriffen  wird,  nicht  welcher  Bestandteil  des  un- 
geheuren Molekülkomplexes  der  Zelle.    Den  Hämol}^inen  an  die  Seite 
zu  stellen  sind  die  Leukozidine  (§  317)  und  vielleicht  noch  einige  Oigan- 
gifte  (§  318).    Ein  anderes  Beispiel  von  Organvergiftungen  bietet  die 
durch  Tetanus-,  Wurst-  und  Ruhrgift  (bei  Kaninchen).    Hier  sind  es 
offenbar  die  Zellen  des  zentralen  Nervensystems,   auf  die  das   Gift 
wirkt.    Man  schließt  auf  diese  LokaUsation  in  erster  Linie  aus  den 
Erscheinungen,  die  das  Bild  der  Vergiftung  ausmachen,  in  zweiter  Linie 
aus  Veränderungen  in  dem  Gewebsbau,  will  aber  außerdem  noch  aus 
sog.  Absorptionsversuchen  schließen,  daß  das  Gift  sich  in   ähnlicher 
Weise  an  die  Nervensubstanz  bindet,  wie  die  Hämolysine  an  die  roten 
Blutkörperchen.    Wir  werden  später  (§  274)  und  namentlich  in  der 
Infektionslehre  sehen,   daß  die  letztere   Behauptung  sich  kaum  mit 
Sicherheit  beweisen  läßt.    Bei  den  meisten  anderen  Vergiftungen  ist 
man  nicht  so  glückUch  gewesen,  die  Verhältnisse  auch  nur  soweit  auf- 
zuklären.  Die  Tatsache,  daß  das  Gift  an  irgendwelche  Körperzellen 
gebunden  wird,  belehrt  lihs  auch  noch  nicht  über  die  Art  der  Bindung, 
geschweige    denn    über    die    Natur   der   Wirkung.    Ehrlich^)  hat 
großen  Wert  darauf  gelegt,  daß  diese  Bindung  bei  den  immunisierenden 
Giften  eine  andere,  innigere  sei,  als  bei  den  übrigen:  er  gründet  ja  auch 
darauf  seine  Aufstellung  der  „Haptine"  (=  Antigene),  die  durch  ihre 
haptophore  Gruppe  und  die  der  Zelle  in  den  Verband  des  Protoplasmas 
einträten.    Bei  den  anderen,  z.  B.  den  chemisch  gut  gekannten  Giften, 


1)  Beziehungen  von  chemischer  Konstitution,  Verteilung  und  phai 
makologischer  Wirkung,   Gesammelte  Arbeiten   1904.   572. 


Gifte  der  Kleinweeen.  797 

soll  nach  ihm  ein  solcher  synthetischer  Vorgang  nicht  eintreten,  die 
Vorliebe  mancher  von  ihnen  für  bestimmte  Organe  viehnehr  meistens 
auf  einen  „Ausschüttelungsvorgang",  d.  h.  auf  Unterschiede 
der  Löslichkeit  zurückzuführen  sei.  Daß  derartige  Dinge  eine 
gewisse  Rolle  spielen,  ist  von  Hans  Meyer  und  0  v  e  r  t  o  n  ja 
auch  für  die  Narkotika  (s.  o.)  wahrscheinlich  gemacht  worden.  Sie 
sollen  in  die  Nervensubstanz  eindringen,  weil  sie  in  deren  fettartigen 
Bestandteilen  besonders  löslich  sind.  Bei  vielen  Farbstoffen,  die  sich 
an  feste  Gewebsstoffe  binden,  nimmt  man  ebenfalls  seit  Witt  an, 
daß  dies  in  Form  der  „festen  Lösimg"  geschehe.  Für  andere  Gifte 
und  Farbstoffe  genügt  diese  Erklärung  aber  nicht,  sondern  man  muß, 
um  ihre  Bindung  zu  deuten,  chemische  Reaktionen  zu  Hilfe  nehmen, 
z.  B.  die  Bildung  von  Salzen.  Damit  nähern  wir  uns  aber  doch  schon 
sehr  den  synthetischen  Vorgängen.  Wer  will  hier  unterscheiden,  ob 
diese  Verbindungen  stattfinden  mit  protoplasmatischen  oder  „para- 
plasmatischen''  Säure-  oder  Alkaligruppen?  Li  manchen  Fällen,  z.  B. 
wo  sich  Gerbsäure  in  Pflanzenzellen  mit  Methylenblau  paart,  wird 
letzteres  zutreffen.  Ist  aber  die  Nukleinsäure,  die  alkaüsche  Farbstoffe 
an  den  Kern  fixiert,  als  ganz  losgelöst  vom  Protoplasma  zu  betrachten  ? 
Dazu  komimt,  daß  wir  auch  von  manchen  Giften,  die  anscheinend 
keine  immunisierenden  sind,  annehmen  müssen,  daß  sie  doch  sehr 
energisch  gebunden  werden^).  Dahin  gehören  von  bakteriellen  Giften 
gewisse  Hämolysine  imd  die  langsam  wirkenden  Leibesgifte,  die  man 
als  kachexieerzeugende  bezeichnen  könnte  (§  280).  Auch  manche 
chemisch  wohlbekannte  Gifte  besitzen  die  Eigentümlichkeit,  sehr  lange 
im  Organismus  festgehalten  zu  werden,  werden  also  an  irgendeiner 
Stelle  gebunden  sein^).  Wie  man  sieht,  sind  die  Unterlagen  für  die 
Ehrlichsche  Auffassung  ziemlich  unsicher.  Er  selbst  scheint  sie 
übrigens  in  neuester  Zeit  fallen  gelassen  zu  haben,  namentlich  auf 
Grund  von  chemotherapeutischen  Studien  an  Trypanosomen,  und  spricht 
jetzt  von  „Chemorezeptoren",  die  nicht  zur  Antikörperbildung  be- 
fähigt sein  sollen  im  Gegensatz  zu  den  „Nutrirezeptoren",  die  sie  leisten 
können  (S.  211). 

Mag  man  sich  die  Bindimg  der  Gifte  im  Organismus  in  dieser 
oder  jener  Weise  vorstellen,  eine  eigentliche  Erklärung  für 
ihre  Wirkung  wird  dadurch  nicht  im  entferntesten  geliefert. 
Warum  wirkt  der  Alkohol  berauschend,  das  Tetanusgift  krampf- 
erzeugend, das  Botulinus-  imd  Ruhrgift  lähmend,  die  „Bakterien- 
proteine" entzündimgs-  und  fiebererregend?  Wir  können  darauf 
keine  Antwort  geben  aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  wir  die  chemischen 


1)  Vgl.   auch    S.    Fränkel,    Arzneimittolsynthese  2.   Aufl.    1906. 


798  Kap.  XVI,   §  256. 

Reaktionen,   die  diesen   Lebenserscheinungen   zugrunde   liegen,   nicht 
kennen.    Immerhin  können  wir  bei  manchen  bekannten  Giften  aus 
dem  Umstände,  daß  sie  ihrer  Natur  nach  nicht  zu  kräftigen  chemischen 
Leistungen  befähigt  sind,  und  aus  der  Tatsache,  daß  sie  den  lebenden 
Organismus   in   unverändertem   Zustand   wieder  verlassen,   vielleicht 
den  Schluß  ziehen,  daß  sie  sich  nicht  unmittelbar  oder  wenigstens 
nicht  dauernd  an  den  stattfindenden  Reaktionen  beteiligen,  nicht  in 
ihnen  aufgehen,  sondern  nur  durch  ihre   Gegenwart  wirken.     Low 
nennt  sie  daher  „katalytische  Gifte",  ohne  die  Art  der  Reaktionen, 
zu  denen  sie  in  Beziehung  stehen,  näher  zu  bezeichnen.    Unseres  Er- 
achtens  sind  sie  am  ehesten  an  die  Seite  zu  stellen  denjenigen  Stoffen, 
die   Fermentprozesse  beschleunigen   oder  hemmen,   den  sogenannten 
Zymoexzitatoren  und  -paralysatoren^).  Finden  wir  doch  unter  den  Stoff- 
wechselgiften dieselben  Körper  wieder,  die  im  Reagensglas  die  Fermen- 
tierung beeinflussen.    So  kommen  wir  auf  einem  Umwege  zu  der  Vor- 
stellung, daß  die  Gift  Wirkung  in  diesen  Fällen  hinaus- 
läuft   auf    eine    Steigerung    oder    eine    Hemmung 
der    normalen    F  er  men  t  vor  gänge  ,     auf    denen    ja 
nach    unserer    Anschauung    das    ganze    Zelleben 
wesentlich  beruht.    Die  tatsächlichen  Grundlagen,  auf  denen 
wir  diese  Hypothese  weiter  ausbauen  könnten,  sind  freilich  noch  recht 
mangelhaft.    Je  nachdem  die  Gifte  allgemein  oder  nur  an  einzelnen 
Stellen  im  Körper,  z.  B.  im  Nervensystem,  gebunden  werden,  je  nach- 
dem dieser  oder  jener  Fermentierungs Vorgang  beeinflußt  wird,  müssen 
die  Erscheinungen  der  Vergiftung  verschieden  sein.    Wir  begnügen 
uns  hier  mit  dem  Hinweis,  ohne  auf  Einzelheiten  einzugehen. 

Vielleicht  kann  diese  Erklärung  der  Giftwirkung  auch  Anwendung 
finden  auf  manche  Eigengifte  der  Mikroorganismen;  wir  denken  dabei 
namentlich  an  diejenigen  Leibesgifte,  die  örtliche  Reizimgen  und 
Störungen  des  allgemeinen  Stoffwechsels  (Fieber)  erzeugen  (§  280). 
Indessen  legen  verschiedene  Umstände  gerade  für  die  eigentlichen 
Gifte  der  Bakterien  eine  andere  Auffassung  nahe :  wie  wir  oben  gesehen, 
ähneln  sie  ihrer  Zusammensetzung  und  Darstellimgsweisejnach  den 
Enzymen,  verhalten  sich  auch  schädigenden  Eingriffen  gegenüber  wie 
diese.  Dazu  kommt  dann  noch,  daß  sie  schon  in  kleinen  Mengen 
bedeutende  Leistungen  entwickeln  (§268).  So  tötet 
das  Tetanusgift  nach  K  n  o  r  r  und  Behring  Meerschweinchen  und 
Pferde  schon  in  einer  Gabe,  die  den  himdert-  bis  zweihundertmilUonsten 
Teil  ihres  Körpergewichts  kaum  erreicht,  ist  also  etwa  hundertmal 


1)   §  247  u.   248.    Vgl.  auch  L.   Liebermann,  D.  med.  Woch. 
1905.  33. 


Gifte  der  Klein  werfen.  799 

giftiger  als  Strychnin  (§  281).  Das  Wurstgift  wirkt  fast  ebenso  kräftig 
•  §  282).  Man  darf  sich  durch  diese  kleinen  Zahlen  allerdings  nicht 
täuschen  lassen:  die  genannten  geringen  Mengen  Gift  enthielten  immer 
noch  Billionen  von  Molekülen,  wenn  diese  so  groß  wären  wie  die  des 
Eiweißes;  eine  wirkUche  Analogie  zwischen  Enzymen  und  Giften 
würde  erst  bewiesen  sein,  wenn  man  die  Gewißheit  hätte,  daß  die 
Stoff  menge,  die  mit  den  Giften  reagiert,  ein  Viel- 
faches der  Giftmenge  ausmacht.  Für  eine  derartige 
Schätzung  haben  wir  aber  gar  keinen  Anhalt,  da  wir  die  betreffenden 
Stoffe  nicht  kennen^).  Wirkimgen  auf  das  Riechvermögen  werden 
bekanntlich  durch  noch  viel  geringere  Stoffmengen  erreicht,  ohne  daß 
man  bisher  daran  gedacht  hätte,  sie  auf  fermentative  Kräfte  zurück- 
zuführen^). Doch  ist  das  natürlich  auch  kein  Gegenbeweis  gegen  die 
Fennentnatur  der  Gifte.  Wichtiger  scheint  der  Einwand  zu  sein,  daß 
die  Gifte  ungleich  den  Enzymen  nicht  nur  an  bestimmte  Stellen  des  Or- 
ganismus gebunden  werden  müssen,  wenn  sie  Vergiftimg  hervor- 
rufen sollen,  sondern  dort  dauernd  gebunden  bleiben.  Nach 
Ehrlich  wäre  die  Bindung  sogar  eine  so  feste,  daß  an  einen  auch 
nur  geringsten  Ortswechsel  des  Giftes  oder  an  eine  periodische  Lösung 
von  den  angegriffenen  Molekülen  nicht  zu  denken  wäre.  Und  doch 
müssen  wir  das  eine  oder  andere  annehmen,  wenn  wir  eine  fermentative 
Wirksamkeit  voraussetzen  sollen.  Diese  Schwierigkeit  ließe  sich  frei- 
lich umgehen,  wenn  man  das  Gift  selbst  nicht  als  das  Ferment  betrach- 
tete, sondern  als  ^nen  „Zwischenkörper",  der  eine  bestimmte  Fer- 
mentgruppe des  Protoplasmas  erst  leistungsfähig  macht,  etwa  in  der 
Weise,  wie  die  Enterokinase  das  Fankreasferment  oder  wie  der  Immun- 
körper das  Alexin  „aktiviert".  Mit  einer  solchen  Erklärung  kämen 
wir  auf  ein  ähnliches  Verhältnis  zurück,  wie  wir  es  oben  für  die  Stoff- 
wechselgifte aufgestellt  haben :  die  Gifte  wirken  nur  mittelbar, 
dadurch  daß  sie  die  normalen  (enzymatischen)  Verrichtungen  befördern 
oder  hemmen. 

Wenn  wir  die  Analogie  zwischen  Enzymen  und  Eigengiften  weiter 
verfolgen,  erscheint  die  Beantwortung  zweier  Fragen  bedeutungsvoll: 
lassen  sich  mit  Giften  Fermentwirkungen  erzielen  und  rufen  Enzyme 
auch  Vergiftungen  hervor?     Im  toten  Nährboden  erweisen  sich  die 

1)  Kassowitz  (Metabolismus  und  Immunität,  1907)  gründet 
allerdings  seine  Theorie  der  Toxine  und  Antitoxine  auf  die  Vorstellung, 
daß  das  Toxinmolekül  nacheinander  auf  zahlreiche  Protoj^lasmamoleküle 
wirke,  sie  zum  Zerfall  bringe  und  dadurch  die  haptophoren  CJruppen  der- 
s<*lben  als  Antitoxine  in  Freiheit  setze. 

2)  Berthelot  findet  z.  B.,  daß  ein  Hundertmillionstel  Jodoform 
noch  gerochen  wird  (Annal.  chim.  phys.  7.  s6r.  22.  460,  1901,  imd  Compt. 
rend.  138.   1250.) 


800  Kap.  XVI,    §  256  u.  257. 

Gifte  völlig  unwirksam,  im  lebenden  bestellt  unzweifelhaft  eine  Ähn- 
lichkeit zwischen  manchen  Gift-  und  Fermentleistungen,  sie  ist  aber 
doch  eine  recht  äußerliche.  6a  mal  ei  a^)  geht  viel  zu  weit,  wenn  er 
die  Bakteriengifte  ganz  allgemein  der  Gruppe  der  Gerinnungsferment^ 
einreiht.  Das  ist  weiter  nichts  als  eine  unbeweisbare  Behauptung, 
die  zudem  wenig  Wahrscheinlichkeit  für  sich  hat.  Selbst  bei  den- 
jenigen Giften,  die  am  ehesten  hierher  gerechnet  werden  könnten 
(Diphtherie,  Tuberkulose)  ist  es  noch  nicht  ausgemacht,  ob  die  Ge- 
rinnung der  Gewebsbestandt^ile  unmittelbar  durch  die  Bakterien- 
gifte oder  nachträglich  durch  die  Gewebsenzyme  (durch  „Koagulations- 
nekrose")  herbeigeführt  wird,  nachdem  die  Gifte  ihre  Wirkung  getan, 
d.  h.  die  Zellen  getötet  haben.  Wir  selbst  neigen  viel  mehr  zu 
der  letzteren  Auffassung,  müssen  aber  dahingestellt  sein  lassen, 
ob  der  Tod  der  Zellen  selbst  dadurch  veranlaßt  wird,  daß  die 
Bakteriengifte  hemmend  in  lebenswichtige  Fermentierungen,  z.  B. 
Oxydationen  oder  dgl.  eingreifen,  oder  sie  über  das  zuträgUche 
Maß  steigern. 

Daß  Enzyme  in  höheren  Tieren  ihrerseits  auch  giftige  Wirkimgen 
entfalten  können,  scheinen  Erfahrungen  zu  beweisen,  die  von  Hilde- 
brandt^),  Kionka^)  u.  a.  gemacht  sind.  Doch  darf  man  dabei 
nicht  vergessen,  daß  die  Darstellung  der  Fermente  dieselbe  ist  wie 
die  der  Gifte,  man  also  keine  genügende  Gewähr  für  die  Reinheit  der 
ersteren  hat.  Das  gilt  natürUch  um  so  mehr  für  Enzyme  wie  die  Zymase, 
die  im  Hefepreßsaft  in  einer  Unmasse  der  allerverschiedensten  Zell- 
stoffe versteckt  ist.  örtliche  und  allgemeine  Reizungserscheinungen 
gehen  ja  auch  von  einfachen  körperfremden  Eiweißstoffen  aus,  wenn 
man  sie  in  größeren  Mengen  Tieren  einverleibt.  Jedenfalls  ist  von 
einer  spezifischen  Giftwirkung  der  Enzyme  nichts  bekannt:  lebende 
Zellen  höherer  wie  niederer  Organismen  werden  sogar  von  den  Ver- 
dauungsfermenten so  wenig  angegriffen,  daß  man  eine  Erklärung 
dafür  gesucht  hat  in  der  Annahme  von  Antienzymen,  die  die  lebende 
Zelle  erzeugen  soll.  Doch  kommt  es  zimächst  wohl  darauf  an,  ob  die 
betreffenden  Enzyme  überhaupt  in  den  lebenden  Zellkörper  aufge- 
nommen werden,  was  sehr  zweifelhaft  ist. 

Nach  dem  Gesagten  ist  die  Entscheidung  darüber,  ob  die  Eigen- 
gifte der  Mikroorganismen  Fermentnatur  besitzen,  vorläufig  nicht 
zu  liefern.  Wir  selbst  neigen,  wie  gesagt,  mehr  zu  der  Auffassung, 
daß  sie  nur  mittelbar  die  fermentativen  Lebensprozesse  beeinflussen. 


1)  Elemente  der  allgem.   Bakteriologie   1900.    104. 

2)  Virchows  Archiv   121,    122  und   131,    1890—1893. 

3)  Deutsche  med.  Woch.    1896.   38  und  51. 


Gifte  der  Kleinweeen.  801 

§  257.  Bedeutung  der  Gifte  für  ihre  Erzeuger.  Eine  andere 
Frage  verdient  schließlich  in  dieser  einleitenden  Betrachtung  der 
Gifte  noch  Erwähnung,  nämlich  die  nach  der  Bedeutung  der  Gifte 
für  das  Leben  ihrer  Erzeuger.  Von  vornherein  könnte  man  glauben, 
daß  die  für  andere  Mikro-  oder  Makroorganismen  schädlichen  Erzeug- 
nisse der  Mikrobien  den  letzteren  als  Schutzmittel  dienten.  Diese 
zweckmäßige  Bedeutung  der  Gifte  ist  allerdings  in  vielen  Fällen  un- 
verkennbar, so  die  schützende  Rolle  der  Stoffwechselprodukte  im 
saprophytischen  Leben  (§  48).  Gerade  aber  bei  den  vom  ärztlichen 
Standpunkte  in  erster  Linie  wichtigen  Krankheitsgiften  liegt  die  Sache 
keineswegs  so  klar.  Wie  wir  schon  an  anderer  Stelle  (§51)  ausgeführt, 
fragen  wir  uns  vergebens,  was  z.  6.  den  Tetanus-  und  Botulinusbazillen 
im  Menschen  und  den  Diphtheriebazillen  mindestens  im  Tier  ihr  Gift 
nützt,  da  sie  doch  hier  kaum  zum  Wachstimi  gelangen,  sondern,  soweit 
sie  überhaupt  in  die  Gewebe  eindringen,  früher  oder  später  darin  elend 
zugrunde  gehen?  Nur  in  einigen  besonderen  Fällen  sind  sie  ihren 
Erzeugern  nützlich,  nämlich  erstens,  wenn  sie  aggressive  Eigenschaften 
besitzen,  d.  h.  das  Wachstum  ihrer  Erzeuger  im  Tierkörper  begünstigen. 
Das  wäre  vielleicht  bei  den  sog.  Endotoxinen  der  Fall,  wenn  wir  an- 
nehmen könnten,  daß  sie  mit  dem  Aggressinen  identisch  wären.  Wir 
haben  aber  Grund,  daran  zu  zweifeln  (§  321).  Zweitens  könnten  die 
Gifte  den  Mikroben  dadurch  von  Vorteil  sein,  daß  sie  ihre  reichliche 
Abscheidung  aus  dem  lebenden  Körper  herbeiführen.  In  der  Tat 
gibt  es  anscheinend  solche  Gifte,  z.  B.  diejenigen  der  hämorrhagischen 
Infektionen  (Rinderpest,  Milzbrand,  Variola)  oder  die  gewebezerstören- 
den und  eiterungerregenden  Stoffe  von  Bakterien  imd  Pilzen,  oder 
diejenigen  des  Typhus  und  Paratyphus,  die  es  den  Bakterien  ermög- 
lichen, leichter  als  andere  Infektionserreger  das  Drüsengewebe  der 
Nieren  und  Leber  zu  durchwandern.  Die  Voraussetzimg  dafiir,  daß 
sie  zur  Wirkung  gelangen,  ist  aber  immer  wieder  ihre  reichliche  Ver- 
mehrung im  Körper,  d.  h.  das  Vorhandensein  aggressiver  Kräfte. 
Wir  sehen  auch,  daß  die  Fähigkeit,  Blutungen  zu  erzeugen,  keineswegs 
eine  regelmäßige  Eigentümlichkeit  der  betreffenden  Erreger  ist. 

Außerdem  wissen  wir,  daß  die  gewebezerstörenden  Vorgänge, 
die  den  Kleinwesen  den  Weg  in  die  Außenwelt  eröffnen,  nämlich 
die  Eiterung  imd  der  Zerfall  der  Granulationsgeschwülste,  gerade 
die  stärkste  keimvemichtende  Wirkung  besitzen.  So  kommt  es 
z.  B.,  daß  die  Pestbazillen  der  Bubonen,  wenn  letztere  vereitert  sind 
und  aufbrechen,  allermeist  abgestorben  sind.  Also  ziehen  die  Bak- 
terien aus  ihrer  eitererregenden  Fähigkeit  keinen  Vorteil.'fSo  kommen 
wir  zu  dem  Ergebnis,^  daß  die  sog.  Entzündungs-  (und  Fieber-) Gifte, 
die  allen  Mikroben  eigen  sind  (§  280),  obwohl  ihre  Wirkungen  einen 

Kruse,  Mikrobiologie.  51 


802  Kap.  XVI.    §  257  u.  258. 

wesentlichen  Teil  des  sog.  Krankheitsbildes  bei  Infektionen  ausmacheu. 
eigentlich  den  Namen  Gifte  gar  nicht  verdienen,  weil  sie  für  den  an- 
gegriffenen Tierkörper  im  allgemeinen  günstige  Gegenwirkungen 
—  „Reaktionen"  —  gegen  die  Infektion  auslösen.  Wir  werden  daher 
diesen  Stoffen  noch  einmal  begegnen,  wenn  wir  von  den  Reiz- 
stoffen handeln  (§  331).  Da  wir  durch  große  Gaben  dieser  Stoffe 
aber  auch  echte  Giftwirkungen  erzielen  können,  sollen  sie  in  der  Gift- 
lehre einen  Platz  behalten. 

Die  Typhus-  und  Faratyphusbazillen  ziehen  femer  zwar  einen 
bedeutenden  Nutzen  aus  ihrer  Fähigkeit,  in  den  Urin  und  die  Galle 
überzugehen.  Das  hat  aber  kaum  mit  ihren  Giften  etwas  zu  tun,  son- 
dern wesentlich  nur  mit  ihrem  Vermögen,  sich  in  diesen  Sekreten 
massenhaft  zu  vermehren. 

Ebensowenig  kann  man  schließlich  den  Einwand  erheben,  daß 
die  Gifte  dadurch  ihren  Erzeugern  von  Vorteil  seien,  daß  sie  unter 
Umständen  den  Tod  der  Wirtstiere  herbeiführen.  Denn  damit  ver- 
bessern sich  keineswegs  regelmäßig  die  Aussichten  der  Giftbakterien 
auf  Fortdauer  ihres  eigenen  Lebens. 

Wir  müssen  daher  dieGiftigkeitderMikrobenstoffc 
vielfach  als  eine  mehr  zufällige,  für  ihr  Leben 
unwesentliche  Eigenschaft  betrachten,  finden 
übrigens  ähnliche  Verhältnisse  auch  bei  vielen 
anderen  Giften,  z.  B.  des  Pflanzenreichs. 

§  258.  Stoffwechselgifte.  Als  Stoffwechselgifte  haben  wir(S.  TiKi) 
diejenigen  Gift«  der  Kleinwesen  bezeichnet,  die  bei  den  gewöhnlichen 
Stoff  Wechselvorgängen,  z.  B.  den  sog.  Gärungen,  als  Haupt-  oder  NeWn- 
erzeugnisse  entstehen.  Der  Ausdruck  „chemisch  bekannte"  Gifte 
besagt  dasselbe.  Sie  haben,  soviel  man  bisher  weiß,  die  negative  Eigent- 
schaft gemein,  im  vergifteten  Tier  keine  Gegengift«  zu  erzeugen,  manche 
rufen  aber  bei  wiederholter  Anwendung  Gewöhnimg  hervor,  l^r  die 
Art  und  W^eise,  wie  sie  ihre  Giftwirkung  entfalten,  wissen  wir  wenig 
(S.  795).  Im  allgemeinen  darf  man  wohl  sagen,  daß  ihre  praktische 
Bedeutung  als  Infektionsgifte  eine  geringe  ist,  schon  aus  dem  Grimde. 
weil  sie  meist  in  zu  kleiner  Menge  hervorgebracht  werden;  nur  die 
salpetrige  Säure  soll  nach  Emmerichs  wenig  wahrschein- 
licher Vermutung  eine  Ausnahme  machen,  indem  sie  das  Choleragift 
darstelle.  Bei  den  Pflanzenkrankheiten  wird  ihre  Bedeutung  schon 
deswegen  eine  größere  sein,  weil  in  den  Pflanzen  die  Kohlenhydrate, 
die  hauptsächliche  Quelle  von  Stoffwechselprodukten,  reichlich  vor- 
kommen, und  auch  die  Pflanzenparasiten  gewöhnlich  energische  Zer- 
setzungserreger sind.  Namentlich  die  Oxalsäure  wird  hier  als 
Gift   angeschuldigt.    Alle  giftigen  Zersetzungsstoffe  kommen  dagegen 


Gifte  der  Kleinwesen.  8()3 

bei  der  saprophjrtischen  I^ebensweise  der  Mikrobien  so  sehr  in  Be- 
tracht, daß  manche  Forscher  die  Gärung,  die  sie  erzeugt, 
geradezu  als  Schutzmittel  der  G  är  ungs  e  rr  e  ge  r 
im  Wettbewerb  mit  anderen  Mikrobien  betrach- 
te n  (S.  162).  Insofern  ist  dieses  Schutzmittel  allerdings  zweischneidiger 
Art,  als  sich  die  Gifte  bei  stärkerer  AnhäudEung  auch  gegen  die  eigenen 
Erreger  kehren  können  (Selbstgifte  §  47).  Ein  doppeltes  Gesicht  zeigt 
auch  der  Alkohol,  das  Erzeugnis  der  Hefe:  in  kleinen  Gaben  genossen, 
ist  er  ein  Reiz-  und  Genußmittel  allerersten  Ranges,  eine  Quelle  der 
Stärkung  und  Freude  für  die  Menschheit,  in  großen  Mengen  wird  er 
zum  allergefährlichsten  Gift,  zu  einer  der  wichtigsten  Ursachen  von 
Krankheit,  Entartung  und  Tod.  Viel  weniger  Bedeutung  haben  andere 
fertig  gebildete  Gifte,  die  wir  mit  der  Nahrung  oder  Atemluft  einführen. 

Fast  alle  hierher  gehörigen  Stoffe  haben  wir  schon  bei  Besprechung 
der  einzelnen  Stoffwechselvorgänge  erwähnt.  Wir  besprechen  zuerst 
die  anorganischen  Gifte  (meist  Gase),  organischen  Säuren,  Alkohole  usw. 
der  Fettsäurereihe  und  aromatischen  Stoffe.  Dazu  kommen  dann  in 
§  259  die  organischen  Basen,  die  man  als  P  t  o  m  a  i  n  e  be- 
zeichnet und  früher  sehr  überschätzt  hat,  und  schließlich  in  §  260 
eigentümliche  Gifte,  die  man  als  Fette  betrachten  kann. 

Salpetrige  Säure  vdrd  von  vielen  Mikroorganismen  aus 
Salpetersäure  gebildet  (§  197).  Auf  die  Mikroorganismen  selbst  scheint 
sie  in  der  Form,  in  der  sie  gewöhnlich  auftritt,  d.h.  als  Salz,  nicht  schäd- 
lieh  zu  wirken.  Werden  doch  salpetrige  Salze  zum  Teil  als  Stickstoff- 
quelle ausgenutzt  (S.  110)  oder  wenigstens  meist  noch  bis  zu  0,1% 
gut  vertragen  (M  a  a  ß  e  n  §  198).  Die  freie  Säure  wird  dagegen  nicht 
assimiliert,  sondern  ist  für  Hefepilze  und  Bakterien  giftig.  Doch  tritt 
diese  Giftigkeit  wohl  selten  hervor,  schon  aus  dem  Grunde, 
weil  die  salpetrige  Säure  mit  dem  gleichzeitig  durch  den  Stoffwechsel 
entwickelten  Anmioniak  oder  mit  Amiden  sich  zu  Stickstoff  und  Wasser 
umsetzt  (S.  616). 

Im  Tierkörper  sind  zwar  auch  die  Nitrite  in  gewissen  Gaben  giftig, 
doch  rufen  Gaben  von  einigen  Dezigrammen  beim  Menschen  noch 
kaum  Erkrankung  oder  mindestens  keine  choleraähnlichen  Erschei- 
nungen hervor^).  Bei  Tieren  ist  es  ähnlich.  In  Versuchen,  die  B  ü  r  - 
gers  jüngst  in  meinem  Laboratorium  angestellt,  erwiesen  sich  erst  Gaben 
von  0,15  g  auf  das  Balo  Grewicht  bei  Meerschweinchen  und  Hunden  vom 
Magen  oder  vom  Duodenum  aus  binnen  höchstens  einer  Stimde  tödlich, 
etwas  kleinere  wurden  aber  vertragen,  selbst  wenn  sie  mehrmals  am  Tage 
wiederholt  wurden.   Deutliche  Veränderungen  am  Darme  wurden  dabei 


1)  S.  K  u  n  k  e  1 ,  Toxikologie,  1901,  S.  308  ff. 

51* 


804  Kap.  XVI,    §  258. 

vermißt.    Die   Brechbewegungen  und  Durchfälle  scheinen  wesentlich 
nervösen  Ursprungs  zu  sein.    Daß  schädliche  Nitritmengen  selbst  bei 
Einführung  von  großen  Mengen  von  salpetersauren  Salzen  im  Darm- 
kanal durch  Bakterienwirkung  entstehen  könnten,  ist  von  vornherein 
wenig    wahrscheinlich.     Vergiftungen    an    Haustieren    durch    Nitrate 
kommen  zwar  vor  und  lassen  sich  auch  an  Versuchstieren  hervorrufen, 
beruhen  aber,  wie  wir  bestätigen  können,  nicht  auf  Nitritvergiftung. 
In  den  seltenen  Fällen  sogenannter  enterogener  Zyanose, 
die  von  H  y  m  a  n  s  imd  Grutterink^)  beschrieben  worden  sind, 
mag  trotzdem  dieser  Zusammenhang  vielleicht  möglich  sein.    Wenn 
Emmerich  im  Verein  mit  T  s  u  b  o  i  ^)  und   G  e  m  ü  n  d  *)   und 
neuerdings  wieder  E  m  meri  ch  allein*)  nun  aber  auch  die  Cholera 
asiatica  als  Nitritvergiftung  aufgefaßt  wissen  wolle,  so  erscheint  das 
mehr  als  gewagt.    Emmerich  stützt  sich  hauptsächlich  auf  zwei 
Gründe:  erstens  soll  der  Cholerakollaps  einer  Vergiftung  durch  sal- 
petriger Säure  täuschend  ähnlich  sein,  und  zweitens  in  dem  Erbrochenen 
sowie  teilweise  auch  in  den  Stühlen  der  Cholerakranken  diese  Säure 
regelmäßig  in  reichlichen  Mengen  nachweisbar  sein.    Was  den  ersten 
Pimkt  anlangt,  so  besteht  ja  aber  doch  die  Cholera  nicht  allein  in  diesem 
Kollaps,  sondern  ganz  wesentlich  in  den  Erscheinungen  von  Seiten  des 
Darmes,  und  gerade  diese  lassen  sich  mit  Vergiftimgen  durch  salpetrige 
Säure  nicht  vergleichen.    Wo  finden  wir  jemals  bei  letzteren  die  ge- 
waltigen Exsudationen  in  dem  Darme,  die  bezeichnend  sind  für  die 
Cholera?    Der  Nachweis  von  salpetriger   Säure  namentlich  im  Er- 
brochenen  von   Cholerakranken,   den   Emmerich   neuerdings  ge- 
liefert und  den  auch  Stühlern  ^)  bestätigt  hat,  scheint  zunächst 
allerdings  eine  gewichtige  Stütze  zu  sein.   Im  anderen  Lichte  erschemt 
er  aber,  wenn  wir  von  Stühlern  hören,  daß  er  auch  bei  anderen 
Erkrankimgen  des  Magens,  die  nichts  Choleraähnliches  an  sich  haben, 
z.  B.  bei  Hyperazidität,  oft  in  ähnlicher  Stärke  gelingt,  und  wenn, 
wie  es  Emmerich  selbst  nicht  leugnet,  die  salpetrige  Säure  (durch 
die  Methämoglobinreaktion  bzw.  das  G  r  i  e  s  sehe  Beagens)  im  B 1  u  t  e 
der  Cholerakranken  nur  ausnahmsweise  bzw.  nur  in  Spuren  auffindbar 
ist®).    Es  ist  recht  willkürlich,  mit  Emmerich  anzunehmen,  daß 
eine    tödliche   Vergiftung   eben   schon    durch   solche   verhältnismäßig 

1)  Berl.  klin.  Woch.   1906.   1,  vgl.  auch  die  Fälle  von  Hyperazidität 
im  Magen,  die  Stühlern  erwähnt  (a.  u.) 

2)  Münch.  med.  Woch.   1893,  25,  26  und   32. 

3)  Ebenda  1904.  26. 

4)  Ebenda  1909.   3S  imd  40. 

5)  Medizin.  Klin.  1909,  50.   Verh.  Naturf.  u.  Ärzte  1910,  Abt.  28. 

6)  Vgl.    Hymans  imd   Grutterink,   Berl.   klin.  Woch.  1909. 
45  und  Emmerich,  ebenda  1910,  28. 


Gifte  der  Klein wesen.  805 

• 
kleine  Mengen  salpetriger  Säure  —  begleitet  von  Stickoxyd  —  ver- 
uisacht  werde.  In  Bürgers^)  Versuchen  am  Meerschweinchen  und 
Hunde  war,  wenn  überhaupt  der  Tod  durch  Zufuhr  von  Nitrit  erfolgt 
war,  dieselbe  stets  mit  Leichtigkeit  im  Blute  nachweisbar,  ebenso 
auch  bei  den  Fällen  von  enterogener  Zyanose  des  Menschen  (s.  o.). 
Es  wäre  außerdem  sehr  verkehrt,  bloß  aus  der  Anwesenheit  der  sal- 
petrigen Säure  im  Magendarminhalt  —  wir  setzen  dabei  voraus,  daß 
es  sich  um  genügendgroßeMengen  davon  handelt,  was  bisher 
nicht  ausreichend  bewiesen  ist  —  zu  schließen,  daß  sie  auch  dem  Körper 
gefahrlich  werden  müsse.  Das  wäre  nur  der  Fall,  wenn  es  sich  um 
einen  gesunden  bzw.  in  normalem  Grade  resorptionsfähigen  Verdauungs- 
kanal handelte.  Gerade  davon  kann  aber  bei  der  Cholera  gar  keine 
Rede  sein.  Hier  besteht  vielmehr  ein  mächtiger  Flüssigkeitsstrom  von 
der  Darmwand  nach  dem  Darminnem,  also  überhaupt  keine  Resorp- 
tionsmöglichkeit in  dem  gewöhnlichen  Sinne.  Nur  durch  Diffusion 
könnte  ein  Teil  des  im  Magendarminhalt  gebildeten  Giftes  in  den  Kreis- 
lauf gelangen.    Wieviel  das  aber  ist,  läßt  sich  vorläufig  nicht  sagen. 

Wenn  sonach  die  Emmerichsche  Beweisführimg  nichts  weniger 
wie  überzeugend  ist,  so  konmien  noch  andere  Bedenken  hinzu.  Wo 
kommen  die  Nitrate  her,  deren  Umwandlung  zu  Nitriten  die  Cholera 
der  nur  mit  Mutter-  oder  Kuhmilch  genährten  Säuglinge  verursachen  ? 
Wie  erklärt  es  sich,  daß  Schidorsky^)  und  Bürgers  in  meinem 
Ijaboratorium  bei  der  experimentellen  Darmcholera  des  Meerschwein- 
chens die  salpetrige  Säure  im  Darminhalte,  der  von  Cholerabazillcn 
winmielte,  ebenso  vermißten  wie  im  Blute?  Ist  es  überhaupt  sicher, 
daß  es  die  Cholerabazillen  sind,  die  die  Nitritreaktionen  beim  cholera- 
kranken Menschen  hervorrufen?  Müssen  wir  nicht  vielleicht  nach 
anderen  Ursachen  als  bakteriellen  dafür  suchen,  wenn  wir  ähnliche 
Reaktionen  z.  B.  bei  überreichlicher  Sekretion  von  Salzsäure  im  Magen 
(s.  0.)  auftreten  sehen? 

Die  Erörterung  über  die  Emmerichsche  Gifttheorie  der  Cholera 
würde  überflüssig  sein,  wenn  es  bisher  in  unwiderleglicher  Weise  ge- 
lungen wäre,  eine  andere  Lehre  zu  beweisen.  Wir  werden  später  (§  284) 
sehen,  daß  zwar  manche  Tatsachen  für  die  Auffassung  sprechen,  daß 
die  Leiber  der  Cholerabazillen  —  ihr  Endotoxin  —  für  die  Cholera- 
vergiftung  verantwortlich  zu  machen  sind,  leider  ist  ihre  Wirkung 
von  der  Darmschleimhaut  aus  aber  nicht  so  überzeugend  darzulegen, 
wie  es  wünschenswert  wäre. 

Schwefelwasserstoff  ist  zwar  ein  häufiges  ßakterieu- 
erzeugnis  (Kap.  XI),  entsteht  aber  nur  in  Ausnahmefällen  so  reichlich, 


1)  Verh.   Gesellsch.   Naturf.   u.  Arzte  in  Könicrshorg   1910.   Abt.  28. 


806  Kap.  XVI,   §  258. 

daß  er  giftig  wirken  kann.  Eine  gewiss*;  Menge  wird  bekanntlich  regel- 
mäßig durch  die  Mikroorganismen  im  Darm  entwickelt,  gelegentUch 
steigt  sie  aber  so,  daß  eine  Autointoxikation  eintritt^).  Auch  im  Blut- 
serum von  an  Rotlauf  gestorbenen  Schweinen  haben  P  e  t  r  i 
und  M  a  a  ß  e  n  ^)  zuweilen  das  Schwefelmethämoglobin  nach- 
weisen können.  Wenn  sie  auch  andere  Gifte  der  Rotlauibazillen  nicht 
darzustellen  vermochten,  so  beweist  das  natürUch  noch  nichts  für  die 
Bedeutung  des  Schwefelwasserstoffs  als  Infektionsgift..  Akute  und 
chronische  Vergiftungen  durch  Schwefelwasserstoff,  der  in  Abortgruben 
durch  Bakterien  gebildet  wird,  sind  nicht  selten  beobachtet  worden. 
Der  Gehalt  der  Grubenluft  an  Gas  steigt  allerdings  bis  zu  8%. 

Arsenwasserstoff  oder  andere  flüchtige  Arsenverbindungen 
entwickeln  manche  Schimmelpilze  aus  arsenhaltigen  Nährböden  (§  215). 
Sie  sind  am  knoblauchartigen  Geruch  zu  erkennen.  Man  schiebt  ihnen 
wohl  mit  Recht  die  Schuld  an  den  Arsenvergiftungen  zu,  die  früher 
nicht  selten  in  Wohnräumen  mit  arsenhaltigen  Anstrichfarben  oder 
Tapeten  beobachtet  worden  sind. 

Ammoniak  entsteht  bei  der  Eiweißzersetzung  durch  Mikro- 
organismen regelmäßig  in  teilweise  bedeutenden  Mengen  (§  171  u.  172). 
Die  alkalische  Reaktion,  die  davon  gewöhnlich  die  Folge  ist,  pllegt 
schließlich  das  Wachstum  zu  hemmen.  Hier  wirkt  also  das  Ammoniak 
als  Selbstgift  (§  47),  in  Mischkulturen  als  Fremdgift  (§  48).  Besonders 
kräftige  Ammoniakentwickler  sind  die  Harnstoffbakterien,  sie  er- 
drücken jede  andere  Flora  neben  sich.  Im  tierischen  Körper  kommt  es 
wohl  niemals  zur  Ammoniakvergiftung  durch  Bakterien.  Höchstens 
übt  die  Harnstoffgärung,  wenn  sie  in  der  Harnblase  erfolgt  (Bac.  prc- 
teus),  einen  Reiz  auf  die  Schleimhaut  aus.  Im  Reagensglas  kann  man 
in  stark  alkalischen  Kulturen  Hämolyse  beobachten  (§  312). 

Das  Sumpfgas,  das  bei  vielen  Zersetzimgen  entsteht,  hat  wohl 
nur  durch  seine  Explosionsfähigkeit  eine  Bedeutung.  Auch  sie  kommt 
aber  kaum  anders  als  in  Kohlengruben  zur  Geltung,  wo  seine  Bildung 
durch  Mikrobientätigkeit  noch  nicht  sicher  feststeht  (§  118). 

Auch  der  Kuhlensäure  kann  man,  wenn  sie  bei  der 
alkoholischen  und  anderen  Gärungen  in  Masse  erzeugt  wird,  einen 
schädlichen  Einfluß  vor  allem  auf  luftliebende  Organismen  zuschreiben. 
Ihr  Werk  ist  bekanntlich  auch  oft  genug  die  Vergiftung  von  Menschen 
in  Gärkellern,  tiefen  Brunnen  usw. 


1)  Senator,  Berl.  klin.  Woch.  1868,  24;  Pohl,  Arch.  exi>or. 
Path.  14.  135,  1887;  vgl.  auch  die  Fälle  von  Sulfhämoglobinämie  bei  Hy- 
mans  und   Grutterink,  Be^rl.   klin.  Woch.    1906,    1. 

2)  Arbeit.    Kai.s.    Gesundheitsamt   8,    1893. 


Gifte  der  Klein wesen.  807 

Organische     Säuren    entstehen    bei    den    verschiedenen 
Arten  der  sauren  Gärung  (§  97 — 110,  JJ3 — 115  usw.),  es  sind,  um  nur 
die  wichtigsten  zu  nennen,  Milchsäure,  Essigsäure,  Buttersäure  und 
Oxalsäure.    Auf  die  Mikroorganismen,   die  sie  erzeugen,   wirken  sie 
srbließlich  wachstumshemmend,  noch  stärker  meist  auf  fremde.    Bis 
zu  einem  gewissen  Grade  kann  man  hier  von  einem  spezifischen  Ein- 
fluß sprechen,  die  Essigbakterien  vertragen  die  Essigsäure,  die  Milch- 
saurebakterien  die  Milchsäure  am  besten.   Für  Tiere  kommt  als  schädi- 
gendes  Moment   nur   die    Säurebildung    im   Darmkanal 
in  Betracht,  imd  auch  wohl  nur  bei  empfindlichen  Individuen,  vor  allem 
beim  menschlichen  Säugling.    Während  eine  geringe  Menge  von  Säure 
für  die  Verdauung  günstig  zu  sein  scheint,  insofern  sie  den  notwendigen 
Reiz  für  die  Darmperistaltik  abgibt,  wirken  größere  Mengen  vielleicht 
schädlich.    C  z  e  r  n  y  und  Keller^)  führen  sogar  die  wichtigsten 
Ernährungsstörungen   der    Säuglinge,   ihre    „alimentären   Toxikosen", 
auf  saure  Zersetzungen  der  Nahrung  zurück.    Sie  sollen  teils  außer- 
halb des  Körpers  —  namentUch  unter  dem  Einfluß  der  Sommertem- 
peratur — ,  teils  innerhalb  des  Darmes,  und  zwar  bald  durch  Spaltung 
der  Kohlenhydrate,  bald  durch  solche  der  Fette,  erfolgen.   Der  Mecha- 
nismus wäre  im  wesentlichen  der,  daß  zunächst  die  Magendarmschleim- 
haut durch  die  Säuren  zur  überreichlichen  Absonderung  von  Flüssig- 
keiten, zu  Brechen  und  Durchfall  gereizt  wird.  Der  daraus  sich  ergebende 
Wasserverlust  und  die  gleichzeitig  erfolgende  Überschwemmung  des 
Körpers  mit  Säure  (Säurevergiftung,  A^idose^))  wirken  beide  schäd- 
lich und  erklären  im  wesentUchen  Krankheitserscheinungen  und  Tod. 
Die  Beweise  für  diese  Theorie  sind  vorläufig  noch  recht  dürftig.  Haupt- 
sachlich beruhen   sie   auf   den   Versuchen   B  o  k  a  y  s  ^) ,   welche   die 
schädliche  Wirkimg  der  Säuren,  namentlich  der  Butter-,  Ameisen-, 
Propion-,  Essig-,  Kapron-  und  Kaprylsäure  für  die  Darm- 
schleimhaut darlegen.    Der  schädliche  Überschuß  von  Säure  ist  bisher 
nur  ausnahmsweise  in  der  aufgenommenen  oder  verdauten  Nahrung 
gefunden  worden.   Eine  Stütze  für  die  Theorie  kann  man  freilich  auch 
hier  wieder  (vgl.  oben  S.  805)  darin  erblicken,  daß  wir  die  gewöhnliche 
Ansicht,    nach    der    nicht    die    bekannten    Stoffwechselprodukte    der 
Bakterien,    sondern    deren    chemisch    schlecht   bekannten    Eigengifte 
die  Ursache  dieser  „Sommerdiarrhöe"  oder  „Cholera  nostras"  der  Säug- 


1)  Des  Kindes  Ernährung  usw.  7.  Abt..  S.  134  ff.  1909. 

2)  Nicht  zu  verwechseln  mit  der  Säurevergiftung,  die  nach  Keller 
und  Steinitz  die  sog.  Atrophie  der  Säuglinge  erklären,  aber  nicht  durch 
bakterielle  Zersetzungen  der  Nahrung  bedingt  sein  soll  (vgl.  C  z  e  r  n  y 
u.  Keller  a.  a.  O.  6.  Abt.,  S.   11  ff.). 

3)  Arch.  experim.  Path.  24. 


808  Kap.  XVI.    §  258  u.  259. 

linge  sind,  vorläufig  kaum  besser  beweisen  können  (vgl.  Streptokokken 
§  295,  Colibazillen  §  288  und  Heubazillen  §  301).  Jedenfalls  sind  spe^ 
zifische  Erreger  nur  für  einzelne  Fälle  nachgewiesen  (vgl.  Dysenterie  un(^ 
Pseudodysenterie  §  289),  und  wird  u.  E.  die  Bedeutung  der  eigenen 
Darmbakterien  für  dieErkrankungunterschätzt  (vgl. Infektionslehre}, 

Die  Oxalsäure,  die  von  vielen  Schimmelpilzen,  aber  auch 
vonjBakterien  gebildet  wird  (§  122  u.  172),-  nimmt  eine  besondere 
Stellung  unter  den  Säuren  ein,  weil  sie  für  pflanzliche  und  tierische 
Protoplasmen  stark  giftig  ist.  Manche  Erreger  von  Pflanzenkrank- 
heiten, z.  B.  die  Pseudomonas  destructans  Potters ^),  scheinen 
durch  Oxalsäurebildung  schädlich  zu  werden.  Daneben  konmieii 
freilich  noch  Eigengifte  in  Betracht. 

Alkohole.    In  größeren  Mengen  produziert  werden  von  den 
Mikroorganismen  Äthyl-,  Butyl-   imd  Amylalkohol,    nur   der   erstere 
aber  wohl  in  so  großen,  daß  er  Schaden  stiften  kann.    Auch  hier  wieder 
zeigt  sich,  daß  die  Hefepilze,  die  den  Alkohol  durch  Gärung  erzeugen, 
gegen  ihn  weniger  empfindlich  sind,  als  die  übrigen  Lebewesen,  doch 
steht  die  Gärung,  wie  wir  S.  269  gesehen,  still,  wenn  ein  gewisser  Gehalt 
an  Alkohol  erreicht  ist.    Nebenhergehende  Wucherungen  von  anderen 
Organismen  werden  aber  viel  früher  unterdrückt.    Auf  die  bekannten 
Wirkungen  des  Alkohols  beim  Menschen  haben  wir  schon  oben  (S.  803) 
hingewiesen.    Die  Giftigkeit  des  Amylalkohols,  eines  Nebenprodukts 
der  Gärung,  das  aus  Eiweiß  (Aminosäuren),  nicht  wie  der  Äthylalkohol 
aus  Kohlenhydraten  entsteht  (§  173),  ist  früher  stark  übertrieben  worden. 

Aldehyde  werden  von  Mikroorganismen  nur  in  Spuren  gebildet. 
Einen  Ausnahmebefund  stellt  der  eines  aldehydartigen  giftigen  Körpers 
von  der  Formel  CgHiß04  dar,  den  Kerry  und  F  r  ä  n  k  e  1  (vgl.  S.  506) 
in  Kulturen  des  malignen  Ödems  beobachteten. 

AromatischeStoffe.  Beim  Abbau  der  Eiweißkörper  durch 
Mikroorganismen  entstehen,  wie  wir  §  168  ff.  gesehen,  sehr  häufig 
giftige  aromatische  Stoffe  aus  den  aromatischen  Aminosäuren,  so 
Phenol,  Indol,  Skatol  usw.  Wir  haben  diese  Stoffe,  weil  sie  vielleicht 
in  gewissem  Grade  an  der  Wirkung  der  Stoffwechselprodukte  auf  die 
eigenen  und  fremden  Keime  beteiligt  sind,  schon  im  §  47  u.  48  erwähnt. 
Die  bei  der  Autolyse  der  tierischen  Organe  sich  bildenden  bakteriziden 
Körper  gehören  wohl  auch  hierher^).  Auch  im  Darm  der  Tiere  ent- 
stehen diese  aromatischen  Stoffe  neben  den  normalen  Verdauungs- 
produkten, werden  in  den  Körper  aufgenommen  imd  durch  den  Urin 
—  gewöhnlich  mit  Schwefelsäure  oder  Glykuronsäure  gepaart.  — 
wieder  ausgeschieden.    In  den  gewöhnlichen  Mengen  werden  sie  nicht 

1)  Zentr.   Bakt.  2.  Abt.   7.   354. 

2)  Conradi,  Hofmeisters  Beitr.    1.   204,    1902. 


Gifte  der  Kleinwesen.  S09 

giftig  wirken,  vielleicht  aber,  wenn  sie  z.  B.  bei  Stuhlverstopfung,  Kot- 
verschluB  und  anderen  Darmstörungen  reichlicher  gebildet  werden. 
Doch  sind  diese  Selbstvergiftungen  vom  Darm  her  noch  nicht  genügend 
aufgeklärt  (s.  o.  Nitrit-  und  Schwefelwasserstoffvergiftungen).  Näheres 
in  der  Infektionslehre.  Hier  wie  bei  anderen  Fäulnisprozessen  im 
lebenden  Körper  (Gangrän)  werden  vielleicht  auch  die  basischen  Ab- 
kömmlinge des  Eiweißes  eine  größere  Rolle  spielen  (§  259).  tTber  die 
(t 0 s i o sehe  Theorie,  nach  der  aromatische  Stoffe  die  Pellagra 
verursachen  sollen,  s.  u.  §  307. 

§  259.  Organische  Basen.  Ptomaine.  Daß  in  faulenden  Stof- 
fen, z.  6.  in  Leichnamen  Gifte  gebildet  werden,  weiß  man  schon  seit  den 
Tierversuchen  Albrecht  von  Hallers  und  namentUch  G  a  s  - 
pards^),  Magendies^),  Stichs')  u.  a.^).  Obwohl  man 
damals  naturgemäß  noch  nicht  schaff  genug  die  Wirkungen  der  im 
„putriden  Gift"  und  „Leichengift"  enthaltenen  chemischen  Schäd- 
lichkeiten und  der  lebenden  Krankheitserreger  auseinanderhalten  koimte, 
anterliegt  es  wegen  der  Schnelligkeit  ihres  Auftretens  keinem  Zweifel, 
daß  die  Haupterscheinungen,  die  die  genannten  Forscher  bei  Tieren 
(Hunden,  Kaninchen,  Pferden),  denen  sie  Faulflüssigkeiten  der  ver- 
schiedensten Art  einspritzten,  beobachteten,  als  Giftwirkungen  be- 
trachtet werden  müssen.  Am  stärksten  waren  sie  bei  Einführung  in 
die  Venen,  am  schwächsten,  aber  immerhin  oft  noch  deutlich,  bei  Ein- 
führung in  den  Magen  (Stich).  Neben  nervösen  Stömugen  machte 
sich  vor  allem  beim  Hunde  eine  hämorrhagische  Entzün- 
dungderDarmschleimhaut,  die  in  erster  Linie  den  ober- 
sten und  untersten  Darmabschnitt  betraf,  geltend. 
Gaspard  zeigte  schon  durch  besondere  Versuche,  daß  die  Giftig- 
keit der  Faulflüssigkeiten  nicht  auf  die  bei  der  Fäulnis  gebildeten 
flüchtigen  Stoffe,  wie  Kohlensäure,  Schwefelwasserstoff  oder  Ammo- 
niak, zurückgeführt  werden  könnte.  Das  putride  Gift  ,, extraktförmig" 
darzustellen,  gelang  aber  erst  P  a  n  u  m^).  Er  gewann  es  in  der  Weise, 
daß  er  faulende  Aufgüsse  von  Hundefleisch,  Hirn,  Bindegewebe  usw. 
oder  Aufechwenmiimgen  von  Dickdarminhalt  und  Stuhlentleerungen 
durch  doppelte  Lagen  von  Filtrierpapier  \mter  negativem  Druck  bis 
zur  vollständigen  —  auch  mikroskopisch  bestätigten  —  Klarheit  fil- 


1)  Journ.  de  physiol.  2  und  4,  1822  und  1824. 

2)  Ebenda  3,  1823. 

3)  Annal.  der  Charit<^krank.  3,   1853. 

4)  Vgl.  Lit.  bei  H  i  11  e  r,   Lehre  von  der  Fäulnis,  1879,  und  G  u  s  - 
aenbauer  in  Deutsche  Chirurgie  5.   1882. 

5)  Bibliothek    for    Läger    1856;   vgl.    auch    Schmidts   Jahrbuch. 
:^9.  213  und  V  i  r  c  h  o  w  s  Archiv  50.  301,  1874. 


810  Kap.  XVI,    §  259. 

trierte,  dann  mehrere  Stunden  kochte,  im  Wasserbade  trocknet-e,  mit 
kaltem   und  kochendem  Akohol   auszog,  in  kochendem  Wasser  löste 
und  heiß  filtrierte.    32  ccm  der  so  gewonnenen  Flüssigkeit,  die  12  mg 
feste  Stoffe  enthielt,  genügten  in  einem  Beispiel,  um  bei  einem  kleinen 
Hund  binnen  wenigen  Stunden  Brechbewegungen,  Stuhlzwang,  Sehnen- 
krämpfe, Sträuben  der  Haare,  Schwäche  bis  zum  Kollaps  hervorzu- 
rufen.   Der  Magen  und  Darm  des  nach  23  Stimden  getöteten  Tieres 
zeigte  Rötung  und  Schwellung.   Im  ganzen  entsprach  das  Vergiftung?- 
bild  demjenigen  der  putriden  Intoxikation,   die   durch  unmittelbare 
Einspritzung  von  Faulflüssigkeit  hervorgerufen  wurde.    Zum  Beispiel 
töteten  24  ccm  der  oben  benutzten  Faulfüssigkeit,  die  aber  nur  klar 
filtriert  und  nicht  weiter  behandelt  worden  war  imd  71  mg  Trocken- 
substanz enthielt,  einen  kleinen  Hund  in  6  Stunden.    Auch  hier  kann 
natürlich  nicht  von   der  Wirkung  lebender   Bakterien,   sondern  nur 
von  Vergiftung  die  Rede  sein.    In  einem  Falle  war  selbst  elfstündiges 
Kochen  nicht  imstande,  die  Giftigkeit  der  (filtrierten)  Faulflüssigkeit 
aufzuheben,  wenn  es  sie  auch  stark  abschwächte.     P  a  n  u  m   machte 
dabei   die   Beobachtung,   daß   auch   die   durch   das  Kochen 
abgeschiedene     eiweißartige     Substanz     in     der 
Größe  einer  Erbse  eine  ähnliche  Vergiftung  be- 
wirkte wie  32  ccm  der  davon  abfiltrierten  Lösung. 
Er  erklärt  das  aus  einer  Kondensation  des  Giftes  an  dem  ausgefallenen 
Eiweiß.     Die   beim   Kochen   überdestillierten    Stoffe   waren  ungiftig. 
Über  die  Natur  seines  putriden  Giftes  läßt  sich  P  a  n  u  m  nicht  aus. 
0.   Weber^),   Hemmer^),    Schweninger'')   und  nament- 
lich   E.    Bergmann*)    bestätigten    insofern    die    P  a  n  u  m  sehen 
Befunde,   als  sie   mit  gekochter  Faulflüssigkeit  ähnliche  Wirkungen 
am  Tier  erzielten.   Die  Versuche  Bergmanns  ,  die  zur  Entdeckung 
eines  chemisch  gut  charakterisierten  Giftes,  des  Sepsins,  fährten, 
sind  methodologisch  auch  jetzt  noch  so  wichtig,  daß  über  sie  hier  kurz 
berichtet  werden  soll. 

Bergmann  ging  aus  vom  Studium  des  faulen  Blutes, 
das  die  Erscheinimgen  der  putriden  Intoxikation  hervorruft.  Während  (^ 
vom  Magen  aus  keine  Ivrankheitserseheinungen  bewirkt,  die  Einspritzunü 
in  das  Unterhau tfettge webe  weniger  das  Bild  der  allgemeinen  Vergiftung  &\> 
örtliehe  Veränderungen  hervortreten  läßt,  tötet  die  Einspritzung  in  dio 
Venen  in  I^fengen  von  6 — 20  ccm  Htuide  im  Laufe  weniger  bis  höchstens 
24   Stunden  und  verursacht  auch    in  kleinen  Gaben    derartige  Störungin. 


1)  Canstatts   Jahresber.    1 864  II   83. 

2)  V  i  r  c  h  o  w  -  H  i  r  s  c  h  ,   Jahresber.    1866.  I.   194. 

3)  V  i  r  c  h  o  w  -  H  i  r  s  c  h  ,    Jahresber.    1866.    I.    194. 

4)  Das    putride    Gift   und   die   p\itride   Intoxikation.     Dorpat   ISOS. 
und  Deutsche  Zeitschr.  f.   Chir.    1,    1872. 


Gifte  der  Kleinwesen.  Sil 

(laß  man  an  der  Vergiftung  nicht  zweifeln  kann.  Das  Tier  ist  nach  der 
Kinspritzung  filtrierten  Bhits  gewöhnlich  wie  betäubt  oder  doch  sehr 
-chwach,  die  Pupillen  sind  erweitert,  e.s  erfolgt  Erbrechen,  Ent- 
leerung von  Kot  oder  starkes  Drängen,  später  flüssige,  bluthalt  ige 
Entleerungen.  Die  Haut  ibt  gallig  gefärbt.  Die  Temperatur  ist,  wenn  der 
Tod  nicht  zu  früh  erfolgt,  erhöht.  Bei  dem  Tode  findet  man  regelmäßig 
Blutungen  an  verschiedenen  Stellen  des  Magendarmkanals,  besonders 
im  Magen  und  Dickdarm,  in  den  inneren  Organen  namentlich  im  Endokard 
lies  Unken  Herzens.  Die  Milz  ist  gewöhnlich  geschwollen  und  mit  Blutimgen 
durchsetzt.  Das  Blut  bleibt  in  den  großen  Gefäßen  flüssig.  Die  Versuche, 
da««  Gift  aus  dem  faulen  Blut  zu  gewinnen,  waren  wenig  erfolgreich.  Das 
bloße  Aufkochen  setzt  die  Giftwirkung  auf  weit  weniger  als  den  vierten  Teil 
der  ursprünglichen  herab;  Neutralisieren  oder  Ansäuern  auf  die  Hälfte. 
Wird  die  auf  diese  Weise  von  der  Hauptmasse  des  Eiweißes  befreite  Flüssig- 
k»*it  eingedampft,  so  verringert  sich  die  Giftigkeit  weiter  sehr  erh.eblich, 
auch  wenn  es  im  luftleeren  Raum  bei  40®  geschieht.  Durch  Alkohol 
wird  der  größte  Teil  der  wirksamen  Substanz  gefällt,  ein  Teil  geht  aber 
All  eh  in  den  Alkohol  über.  Das  Dialysat  des  Alkohol  niederschlags  ist  giftig, 
aber  ebenso  der  im  Dialysator  gebliebene  Rest.  Bei  diesem  Verfahren 
\\-ie  bei  der  Anwendung  anderer  Fällungsmittel  gelang  keine  vollständige 
Trennung  des  Giftes  und  alle  schwächten  es  erheblich.  Die  Versuche  hatten 
aber  wenigstens  ergeben,  daß  das  Gift  diffusionsfähig  und  alkohollöslich 
war,  es  lag  nahe,  die  Schwierigkeit  seiner  Darstelhmg  in  dem  hohen  Eiweiß- 
Ct'halt  d€^  Blutes  zu  suchen.  Da  aber  nicht  bloß  stark  eiweißhaltige  Flüssig- 
keiten wie  Hühnereiweiß,  Fibrin,  Leim,  Käse,  Serum,  Eiter,  Fleisehwasser, 
sondern  auch  die  eiweißarmen  Heu-  und  Pflanzenaufgüsse,  Hefe  und  sogar 
di*^  ganz  eiweißfreie  P  a  s  t  e  u  r  sehe  Nährlösung  im  Zustand  der  Fäulnis 
das  Bild  der  putriden  Intoxikation  erzeugten,  so  konnte  man  hoffen,  aus 
dt»n  letzteren  das  Gift  leichter  darstellen  zu  können.  Die  Erwartung  er- 
füllte sich  aber  nur  beim  Arbeiten  mit  fauler  Hefe.  Merkwürdiger- 
weise enthält  diese,  obwohl  sie  stark  sauer  reagiert,  das  putride  Gift  in 
ähnlicher  Stärke  wie  das  stark  alkalische  faule  Blut.  Zunächst  gelingt 
OS,  aus  der  faulen  Hefe  durch  Dialyse  und  Abdiuisten  im  luftleeren  Raum 
Hne  fast  eiweißfreie  kräftig  wirkende  Lösung  zu  erhalten.  Diese  enthielt 
aber  noch  sehr  viel  fremde  Bestandteile.  Erst  durch  ein  im  Verein  mit 
Schmiedeberg  ausgearbeitetes  Verfahren  erhielt  Bergmann 
das  anscheinend  reine  Gift.  D€is  alkalisch  gemachte  Dialysat  der  faulen 
Hefe  wurde  mit  Sublimatlösung  niedergeschlagen,  der  Niederschlag  durch 
Schwefelwasserstoff  zersetzt,  die  von  Schwefelquecksilber  abfiltrierte  Flüssig- 
keit durch  kohlensaures  Silber  von  der  Salzsäure  befreit,  das  überschüssige 
Silber  durch  Schwefelwasserstoff  entfernt,  und  die  alkalisch  reagierende 
Flüssigkeit  im  Vakuum  zum  Trocknen  eingedam])ft.  Der  Rückstand 
wurde  jetzt  in  Alkohol  gelöst  und  die  alkalische  Lösung  mit  schwefelsäiu*e- 
haltigem  Alkohol  versetzt,  wobei  feinste  Kristallnadeln,  des  schwefel- 
sauren Sepsins",  die  sich  durch  Umkristallisieren  reinigen  ließen,  nieder- 
fielen. 0,01  g  davon  genügte,  um  die  Erscheinuntren  der  putriden  Intoxi- 
kation beim  Hunde  hervorziu^ifen.  Die  Aufgabe  schien  damit  gelöst,  in- 
dessen macht  Bergmann  selbst  darauf  aufmerksam,  daß  die  Wirkung 
d<  s  reinen  Giftes  doch  eine  andere  war,  als  die  der  Faulflüssigkeiten  selbst. 
Sie  ging  schneller  vorüber  und  die  blutige  Darmerkrankung  fehlte  zwar 
nicht,  war  aber  luibedeutender.    Außerdem  war  die  Ausbeute  an  Gift  nicht 


812  Kap.  XVI,    §  259. 

nur  eine  verachwindend  geringe,  sondern  auch  sehr  unbeständig.    Oft  waren 
die  erhaltenen  Kristalle  ohne  jede  Wirkung. 

Die  leichte  Zersetzlichkeit  des  Giftes  ist  der  Grund,   daß  seine 
Kenntnis  sehr  wenig  weitere  Fortschritte  gemacht  hat.  Erst  in  jüngster 
Zeit  ist  es  F  aus  t  (s.  u.)  gelungen,  den  chemischen  Bau  des  Sepsin«; 
aufzudecken.    Eine  be&iedigende  Darstellungsmethode  ist  aber  auch 
jetzt  noch  nicht  gefunden.   Das  ist  sehr  bedauerlich,  denn  unter  allen 
Bakteriengiften,    deren    chemische    Zusammensetzung    man    kemit 
scheint  gerade  dieses  durch  seine  weite  Verbreitung  in  Fatdflüfisigkeiten 
und   seine   kräftige   und   charakteristische   Wirkung   verhältnismäßig 
die  größte  Bedeutung  zu  besitzen.   Das  hindert  nicht,  daß  die  Fäulnb 
neben  dem  Sepsin  noch  zahlreiche  andere  Gifte  erzeugt.    Eine  weitere 
Möglichkeit  ist  freilich  nicht  aus  dem  Auge  zu  lassen:  die  Haupt- 
erscheinimgen  der  Fäulnisvergiftung  könnten  auch  durch  Stoffe  anderen, 
verwickeiteren  Baues  erzeugt  werden.  Darauf  deuten  außer  P  a  n  u  m  s 
Mitteilungen  schon   Beobachtungen  Bergmanns.    Bergmann 
fand  nämlich,  daß  das  putride  Gift  in  Pasteur scher  Nähr- 
lösung (Zucker- Weinsäure- Salzlösung)    zum    größten    Teil    an 
den  Bakterienzellen  haftete.    Nicht  nur  verlor  es  sehr 
an  Wirkung,  wenn  es  durch  Kohle  oder  Tonzellen  hindurchgegangen 
war,  sondern  auch,  wenn  man  die  Bakterien  daraus  durch  Absetzen 
(nach  Gefrieren  oder  Auftauen  der  Lösung)  entfernte,  während  der 
Bodensatz  hochgiftig  war.    Das  macht  den  Eindruck,  als  ob  Berg- 
mann, es  hier  wie  z.T.  auch  Panum,  mit  den  später  zu  besprechen- 
den   (ziemlich    hitzebeständigen)    Bestandteilen    der    Bak- 
terienleiber zu  tun  hatte.   Wir  werden  später  sehen,  daß  unsere 
eigenen   Untersuchungen   das  vollständig  bestätigt  haben.    Mit  den 
Leibern  oder  den  Auszügen  aus  Ruhr-,  Typhus-,  Cholera-,  Prodigiosus- 
bazillen  u.  a.  m.  kann  man  das  echte  Bild  der  putriden  Intoxikation 
hervorrufen  (§  280).    Es  bleibt  also  noch  fraglich,  ob  das  Sepsin 
ein  Stoff  ist,   der   ursprüngliche  Bedeutung   hat 
oder    nur    ein    wirksamer    Abkömmling    der    Bak- 
terienproteine  ist. 

Ein  anderes  alkaloidartiges,  in  seiner  Wirkung  aber  mehr  dem 
A  t  r  o  p  i  n  ähnliches  Gift  stellten  Z  ü  1  z  e  r  und  Sonnenschein^) 
aus  faulendem  Fleisch  und  der  Mazerationsflüssigkeit  von  Leichen- 
teilen dar.  Bald  folgten  weitere  Entdeckungen  auf  diesem  Gebiete. 
Namentlich  S  e  1  m  i  2)  war  es,  der  die  Lehre  von  den  Fäulnis-  und 
Kadaveralkaloiden  oder,  wie  er  sie  naimte,  von  den  Ptomainen 


1)  Berl.  klin.  Woch.    1869.   12. 

2)  Sülle  ptomaine.  Bologna  1875;  vgl.  Ber.  ehem.  Gesellsch.  1873—80. 


Gifte  der  Klein weeen.  813 

durch  zahlreiche  neue  Funde  förderte.  N  e  n  c  k  i  ^)  ermittelte  dann 
zum  erstenmal  die  chemische  Zusammensetzung  und  den  Bau  eines 
solchen  Ptomains  (s.  u.  Eollidin).  Ihm  folgten  Gautier  und 
£  t  a  r  d  ')  mit  der  Darstellimg  des  Parvolins  und  HydrokoUidins, 
Guareschi  und  M o r r o  ^)  mit  der  des  Coridins  u.  a.  m.  Aber 
erat  Brieger*)  gelang  es,  durch  gründliche  Untersuchung  von 
Fäulnisgemischen  und  Reinkulturen  aller  möglichen  Bakterien  nachzu- 
weisen, daß  solche  Ptomaine  in  großer  Zahl  gebildet  werden,  und  daß 
sich  auch  starke  Gifte,  oder  wie  er  sie  nannte,  „Toxine''  darunter  be- 
finden. Allerdings  erfüllte  sich  die  ursprünglich  gehegte  Hoffnung, 
daß  mit  diesen  Toxinen  nun  die  echten  Bakteriengifte  gefunden  wären, 
in  keiner  Weise.  Nur  die  Giftigkeit  faulender  Stoffe 
scheint  häufig  durch  Ptomaine  mitbedingt  zu 
sein,  bei  Vergiftungen  durch  Nahrungsmittel 
wirdman  mindestens  also  an  sie  zu  denkenhaben, 
aber  auch,  wie  wir  schon  bemerkt,  nicht  einmal 
in  erster  Linie.  Brieger  selbst  wies  später  nach,  daß  die 
eigentlichen  Bakteriengifte  einen  verwickeiteren  Bau  haben,  der  mehr 
dem  der  Eiweißkörper  ähnelt.  Dazu  gehören  auch  die  stärksten  Nah- 
nmggmittelgifte,  die  wir  kennen,  die  des  Bac.  botulinus  (§  282)  und 
enteritidiß  (§  287),  das  „Wurst-"  und  „Fleischgift". 

Die  Darstellimg  der  Ptomaine  erfolgt  am  besten  nicht  nach  dem 
alteren  Stas-Dragendorff  sehen  Verfahren  für  die  Pflanzen - 
alkaloide,  sondern  nach  Brieger  (Ptomaine  III.  18)  folgendermaßen: 
Die  zu  verarbeitenden  Massen  werden  fein  zerkleinert  mit  salzsäurehaltigem 
Wasser  einige  Minuten  lang  ausgekocht.  Man  filtriert  dann  das  Unlös- 
liche ab,  dämpft  zur  Sirupdicke  ein,  nimmt  mehrmals  mit  96  prozentigem 
Alkohol  auf  und  versetzt  das  Filtrat  mit  warmer  alkoholischer  Bleiazetat- 
löaung.  Das  Filtrat  davon  wird  wieder  eingedampft  und  mit  Alkohol  er- 
schöpft. Nach  Verjagen  des  Alkohols  löst  man  in  Wasser,  entfernt  das 
Blei  durch  Schwefelwasserstoff  und  engt  nach  Zusatz  von  etwas  Salz- 
säure zum  Sirup  ein.  Dann  wird  wieder  mit  Alkohol  ausgezogen,  und  das 
Filtrat  mit  alkoholischer  Quecksilber- Sublimatlösung  gefällt.  Der  Queck- 
nlbemiederschlag  wird  mit  Wasser  ausgekocht.  wodm*ch  schon  eine  Anzahl 
von  Ptomainen  als  Quecksilberdoppelsalze  in  Lösung  übergeführt  werden. 
Das  Quecksilberfiltrat  befreit  man  durch  Schwefelwasserstoff  vom  Queck- 
silber, dampft  nach  fast  vollständiger  Neutralisierung  ein,  erschöpft  wieder- 
holt mit  Alkohol,  verdampft  den  Alkohol,  löst  in  Wasser,  bindet  den  Rest 


1)  Über  Zersetzimg  der  Gelatine  imd  des  Eiweißes.    Bern  1876. 

2)  Compt.  rend.  ac  sc.  94. 

3)  Archives  italiennes  de  biolog.    1883. 

4)  Untersuchungen  über  Ptomaine  I— III  (1885—1886);  Berl.  klin. 
Woch.  1886.  281;  1887.  311  und  817;  Deutach.  med.  Woch.  1887.  22; 
Ziisammenstellung  in  Virchows  Archiv  ]  889 ;  vgl.  auch  Husemann 
„Ptomaine"  in   Eulenburga  Realenzyklopädie    1898. 


814  Kap.  XVI,   §  259. 

der  Salzsäure  durch  Soda,  säuert  mit  Salpetersäure  an  und  versetzt  mit 
Phosphormolybdänsäure.  Die  abfiltrierte  Phosphormolybdänsäuredoppel- 
verbindung  \i^rd  durch  kurzes  Erhitzen  mit  neutralem  Bleiazetat  zerlegt, 
deis  Blei  durch  HgS  entfernt,  zum  Sirup  eingedampft.  Daraus  stellt  man  mit 
Goldchlorid,  Platinchlorid  oder  Pikrinsäure  die  D  o  j)  - 
pelsalze  der  Ptomaine  dar.  Selten  sind  auch  in  dem  ersten  Blei- 
niederachlag  und  in  den  Phosphormolybdänsäurefiltraten  Spuren  vcnij 
Ptomain  zu  finden.  Die  verschiedene  Löslichkeit  der  Doppelsalze  ermög- 
licht ihre  Trennung.  Ihre  Charakterisierung  erfolgt  weiter  durch  Bestim- 
mung der  Kristallformen,  der  Schmelzpunkte  imd  der  chemischen  Zu- 
sammensetzung. Die  salzsauren  Salze  der  Basen  gewinnt  man  aus  den 
Doppelsalzen  dadurch,  daß  man  die  Metalle  (Quecksilber,  Gold.  Platin) 
durch  H2S  beseitigt,  aus  den  Pikraten  dadurch,  daß  man  nach  Ansäuern 
mit  Salzsäure  durch  wiederholtes  Ausschütteln  mit  Äther  die  Pikrinsäun^ 
wegschafft.  In  manchen  Fällen  führen  erst  weitere  Modifikationen  dt-r 
Methode  zum  Ziel.  Einige  Ptomaine  vertragen  das  Erhitzen  schlecht, 
deis  Einengen  ihrer  Lösungen  muß  deshalb  bei  niedriger  Tem- 
peratur erfolgen ;  Faust  hat  dafür  einen  Apparat  angegeben  (s.  u. 
Sepsin).    Viele  Einzelheiten  s.  bei  B  r  i  e  g  e  r. 

Wir  geben  zunächst  eine  Aufzählung  der  bisher  bekannt  gewordenen 
Ptomaine,  und  zwar  behandehi  wir  nacheinander  die  Amine,  Diamine. 
Triamine,  Ammoniumbasen,  dann  die  Basen  unbekannten  Baues. 
Bezüglich  ihrer  Bildungsweise  können  wir  zum  Teil  auf  §  170  verweisen; 
in  den  meisten  Fällen  ist  sie  aber  bisher  unbekannt. 

Zu  den  Aminen  gehören: 

Methylamin  CHgNHg,  entdeckt  von  Tollens  in  der  Härings- 
lake,  auch  später  oft  in  Fäulnisgemischen  und  Keinkulturen  ge- 
funden. Das  flüchtige  Gift  des  Bac.  pyocyaneus  enthält 
nach  C  h  a  r  r  i  n  *)  Methylamin.  Vielleicht  entsteht  es  durch 
Abspaltung  von  Kohlensäure  aus  Aminoessigsäure  (GlykokoU). 
ebenso  wie  das  Äthylamin,  Phenyläthylamin,  Oxyphenyläthrl- 
amin,  Putreszin  und  Kadaverin  aus  anderen  Aminosäuren  (§  170). 

Dimethylamin  (CH3)2NH  Brieger  1885,  Bocklisch  1880, 
Ehrenberg  1887  (faule  Hefe,  Leim,  Wurst). 

Trimethylamin  (CH3)3N,  längst  bekannt  aus  der  Häringslake, 
später  vielfach  in  Fäulnisgemischen  und  Reinkulturen  (bei  Strepto- 
kokken,  Prodigiosusbazillen)  gefunden. 

Äthylamin  (C2H,)NH2,  Diäthylamin  (CaH5)2NH,  Tri- 
äthylamin  (C2Hß)3N  —  Brieger,  Bocklisch, 
Ehrenberg  —  aus  faulen  Fischen  imd  Wurst;  vielleicht  ent- 
steht das  erste  durch  Kohlensäureabspaltimg  aus  dem  Alanin 
(§  170). 

1)  Cempt.  rend.  ac.  sc.   138.  433,   1904. 


Gifte  der  Kleinwesen.  815 

Propylamin  (C3H7)NH2  —  B  r  i  e  g  e  r  1887  —  aus  faulem  Leim. 

Tetanotoxin  CjHi^N  —  Brieger  1886  —  aus  unreinen  Kul- 
turen   des  Tetanusbazillus. 

Hexylamin  (CgHi3)NH2  —  Hesse  1857  —  aus  fauler  Hefe. 

K  0 1 1  i  d  i  n  oder  Isophenyläthylamin  ( ?)  C^jHg  .  C2H4  .  NHg  — 
N  e  n  c  k  i  1876  —  nach  Spiro  wahrscheinlich  aus  dem  Phenyl- 
alanin durch  Kohlensäureabspaltung  entstanden  —  aus  faulem 
Leim  und  Ochsenpankreas. 

Oxyphenyläthylamin,  in  reifendem  Käse  gefimden  — 
wohl  ebenso  aus  Tyrosin  entstanden. 

Hydrokollidin  CgHi^N  (?)  —  Gautier  und  Etard  1881  — 
aus  faulen  Fischen  und  Makrelen. 

Parvolin  (?)  CgH^jN  —  G  a  u  t  i  e  r  und  Etard  —  aus  faulem 
Fleisch. 

K  0  r  i  d  i  n  CiqHijN  —  Guareschi  und  M  o  r  r  o  1883,  d  e  C  o  - 
n  i  n  c  k  1887  —  aus  faulem  Fibrin  imd  Seepolypen. 

Hydrokor  idin  Ci(yHi-N  —  G  r  i  f  f  i  t  h  i)  —  aus  Reinkultur 
des  Bact.  allii. 

Die  letzten  Körper  gehören  ihrer  Zusammensetzung  nach  vielleicht 
der  P  y  r  i  d  i  n  g  r  u  p  p  e  an,  von  der  sich  auch  Pflanzenalkaloide 
(Koniin,  Nikotin,   Pilokarpin)   ableiten. 

Diamine  sind: 

Äthylidendiamin  (?)  CgHgN.^  —  Brieger  1885  —  aus  faulen 
Dorschen. 

Unbenannt  ist  ein  giftiger  Körper  C3H8N2(?),  den  Brieger 
1887  in  Cholerakulturen  fand. 

Tetramethylendiamin  oder  Putresziii  NH,  .  C4H8 .  NH^ 

—  Brieger  1885  —  vielfach  in  faulenden  Körpern  und  auch  in 
Cholerakulturen  gefunden,  nach  Ellinger  wahrscheinlich  aus 
dem  Ornithin  (Arginin)  durch  Kohlensäureabspaltung  entstanden 
(§  170),  wirkt  nach  Scheurlen  nur  örtlich  reizend. 

Pen  tarne  thylendiamin  oder  Kadaverin  NH2.C5Hjo.NH2 

—  Brieger  1885,  B  o  c  k  1  i  s  c  h  1887  —  aus  Faulflüssigkeiten, 
Cholera-  und  Finkler-Prior-Kulturen  isoliert,  nach  Ellinger 
wahrscheinlich  durch  C02-Abspaltung  aiLS  dem  Lysin  (Diamino- 
kapronsäure  §  170)  entstanden.  Putreszin  und  Kadaverin  wurden 
auch  im  Kot,  Harn  imd  Auswurf  der  Menschen  gefunden.   Kada- 

1)  Compt.  rend  ac.  sc.   110,   1890. 


816  Kap.  XVI,   §  259. 

verin  wirkt  örtlich  kräftiger  reizend  wie  das  Putreszin  und  wurü 
daher  früher  mit  der  Eiterung  in  Verbindung  gebracht  (vg 
aber  §  280). 

Ungiftig  sind  die  isomeren  Stoffe: 

Neuridin  und  S  a  p  r  i  n  C5H14N2  —  B  r  i  e  g  e  r  1883  und  18K"; 
Ehrenberg  1887  —  a\is  faulem  Gehirn,  Eiweiß,  Wurst,  mensch 
liehen  Leichen.    Ungiftig  ist  auch  das 

S  p  e  r  m  i  n  CgHjgNg.  Seine  phosphorsauren  Sjistalle  sind  schoj 
von  C  h  a  r  c  o  t  und  B  o  b  i  n  1853  in  leukämischer  Mik,  voi 
Böttcher  im  Sperma,  von  Zenker  und  L e y d e i 
1872  im  Auswurf  bei  Asthma  gefunden.  Nach  Scheurlen« 
(1878)  Analjnse  hat  es  die  Formel  CgHgN,  nach  PohU)  die  obip 
Kurz*)  isolierte  es  1888  aus  Choleralnilturen.  Wenn  man  nack 
dem  charakteristischen  Spermageruch  urteilte,  würde  es  noch  in 
manchen  anderen  Bakterienkulturen,  vor  allem  vom  Ruhrbazillus, 
gebildet.  Von  Pohl  wurde  es  zu  Heilzwecken  empfohlen  (vgl. 
Infektions-  und  Immunitätslehre). 

Hexamethylendiamin(?)  CgH^^Ng  —  Garcia')  —aus 
faulem  Pferdefleisch,  imgiftig. 

Vielleicht  gehört  hierher  als  Dioxykadaverin  das  von  F  a  u  8 1  *) 
dargestellte 

S  e  p  8  i  n  C5H14N2O2.  Es  scheint  mit  dem  Sepsin  von  Berg- 
mann und  Schmiedeberg  (s.  o.  S.  810),  das  andere  Forscher 
vergebens  wieder  zu  erhalten  suchten,  zusammenzufallen.  Über  die 
schwierige  Darstellungsmethode  ist  die  Eigenarbeit  nachzusehen. 
Aus  5  kg  Hefe  wurde  durchschnittlich  nur  0,03  g  schwefelsaures  Sepsin 
gewonnen.  0,02  g  töten  einen  Hund  von  4  kg  von  der  Blutbahn  aus 
in  4  Stunden  mit  Erbrechen  und  blutigen  Durchfällen,  20  ccm  des  ur- 
sprünglichen HefeaufguBses  haben  filtriert  dieselben  Folgen.  Es  geht 
also  der  allergrößte  Teil  des  wirksamen  Stoffes  verloren.  Das  Gift 
ist  sehr  empfindlich  gegen  Hitze  imd  verliert  auch  im  luftleeren  Raum 
trocken  aufbewahrt  binnen  einigen  Monaten  seine  Wirkung.  Die  Hunde 
lassen  sich  ziemlich  leicht  an  das  Gift  gewöhnen.  Schon  früher  hatte 
E.  L  e  V  y  *»)  aus  Reinkulturen  des  Bac.  proteus  vulgaris  durch  Fällung 
mit  Alkohol  oder  •  Chlorkalzium  eine  eiweißartige  Substanz  gewonnen, 


1)  Ber.  ehem.   Gesellscli.   1891.  359. 

2)  Monatsschr.  f.  Chem.   1888. 

3)  Zoitschr.  phisiol.  Chem.   17. 

4)  Arch.  exper.  Path.   51,   1904. 

5)  Ebenda  34,   1894. 


Gifte  det*  Kleiiiwesen.  S17 

die  das  ,,SepBin''  einschließen  sollte.  Wahrscheinlich  handelt  es  sich 
aber  hier  gar  nicht  um  die  Wirkung  eines  Ptomains,  sondern  eines 
Eigengiftes  des  Proteus,  das  den  Bakterienproteinen  bzw.  Endotoxincn 
mzuiechnen  ist  (§  280). 

Der  Guanidingruppe  gehört  an: 

Methylguanidin  NH.  NH(CH3) .  NHg  .C  —  Brieger  1886, 
B  o  c  k  1  i  8  c  h  1887.    H  o  f  f  a  ^)  —  aus  gefaultem  Pferdefleisch, 
Kulturen  des   Spir.   Finkler-Prior  und  Organen  bei  Kaninchen- 
septikämie.    Vielleicht  entsteht  es  aus  dem  Arginin  (S.  522). 
Aus  der  Cholingruppe  (Ammoniumbasen)  sind  zu  nennen: 

C  h  o  1  i  n  oder  Trimethyloxäthylammoniumhydroxyd  (CHg)3 .  CgHgO . 
N .  OH,  schwach  giftig,  entsteht  bei  der  Fäulnis  des  Lezithins  — 
Brieger  1885,  Ehrenberg  1887  (vgl.  S.  588).  Aus  dem 
Cholin  bildet  sich  durch  Bakterien  (ebenda)  unter  Wasserabspaltung 
das  20mal  giftigere 

Neurin  oder  Trimethylvinylammoniumhydroxyd  (0113)3. CgHg.N.  OH. 
Brieger  fand  es  1883  in  faulem  Fleisch,  Ehrenberg  1887 
in  giftiger  Leberwurst.  Es  ist  für  Katzen  schon  tödlich  in  einer 
Menge  von  5  mg  auf  das  kg.  Durch  Neurineinspritzungen  wollten 
F  o  a  und  B  o  n  o  m  e  (vgl.  Immunitätslehre)  Kaninchen  gegen 
Proteuskulturen  schützen.  Wahrscheinlich  liegt  hier  aber  keine 
echte  Immunität  vor. 

LTngiftig  ist  das 

Oxyneurin  oder  B  e  t  a  i  n  (Trimethylglykokoll)  C5H13NO3,  das 
Brieger  aus  giftigen  Miesmuscheln  dargestellt  hat  (vgl.  auch 
E  mm  erlin  g  S.  510  u.  526). 

Muskarin  CgHjgNOg,  einen  dem  Fliegenpilzgift  völlig  entsprechenden 
Körper,  fand  Brieger  1885  in  faulen  Dorschen.    Auch  in  ver- 
dorbenen Würst.en  scheint  es  vorzukommen  (v.  S  o  b  b  e  ^)).    Es 
kaim  ab  Oxydationsprodukt  des  Cholins  aufgefaßt  werden. 
Ihrem  Bau  nach  unbekannt  sind: 

Mydatotoxin  CgH^jNOg  und  die  unbenannte  Base  C7H17NO2, 
wurden  von  Brieger  1886  aus  faulem  Fleisch  isoliert,  sie  sind 
weniger  giftig  als  das  Muskarin. 

M  y  t  i  1 0 1  o  X  i  n  C^HjjNOg  fand  Brieger  1885^)  in  giftigen  Mies- 
muscheln, die  zwar  frisch,  aber  in  schmutzigem  Wasser  gehalten 
waren.  5  mg  töten  ein  Kaninchen  unter  Erscheinungen  der  Kurare- 

1)  Arch.  f.  Chir.  39.  273,   1889. 

2)  Berl.  klin.  Woch.   1889.   7. 

3)  Ptomaine  111  65  und  Deutsch,  med.  Woch.   1885.  53. 
Kruse,  Mikrobiologie.  52 


818  Kap.  XVI,    §  259. 

Vergiftung.  Der  Genuß  der  Miesmuscheln  erzeugte  beim  Menschen 
eine  Vergiftung,  die  4  von  38  Personen  in  wenigen  Stunden  tötete^). 
Einsetzen  der  Muscheln  in  frisches  Wasser  bracht«  das  Gift  all- 
mählich zum  Schwinden,  ebenso  Kochen  mit  Soda.  Ob  der  von 
Lustig^)  aus  der  Leber  des  Mytilus  edulis  gezüchtete  Bazillus 
mit  der  Giftbildimg  etwas  zu  tun  hat,  ist  mehr  als  zweifelhaft; 
daß  ein  Mikroorganismus  irgendwie  beteiligt  ist,  aber  wahr- 
scheinlich. 

G  a  d  i  n  i  n  C7Hj7N02  —  B  r  i  e  g  e  r  1885  —  aus  faulen  Dorschen 
und  Leim,  nicht  identisch  mit 

Typhotoxin  C-H^-NOg  —  B  r  i  e  g  e  r  1885  —  aus  Kulturen  des 
Typhusbazillus  auf  Fleischbrei ;  tötet  Meerschweinchen  mit  Diarrhöe, 
Speichelfluß,  Pupillenerweiterung  usw.  Die  Giftausbeute  war 
übrigens  sehr  unbeständig  und  manchmal  gleich  Null,  über  die 
eigentlichen  Typhusgifte  vgl.   §  286. 

Tetanin  C14N30N2O4  —  von  Brieger  1886  neben  dem  Tetano- 
toxin  (s.  o.)  und  der  ungiftigen  Base  CgHjgNOg  aus  unreinen  Teta- 
nuskulturen und  dem  abgesetzten  Gliede  eines  TetÄnikers  isoliert. 
K  i  t  a  s  a  t  o  und  W  e  y  1  *)  fanden  das  Tetanin  auch  in  Rein- 
kulturen des  Tetanusbazillus  wieder  (s.  u.  Spasmotoxin). 
Ihrer  Zusammensetzung  nach  unbekannt,  aber  kristallinische 
Körper,  die  Alkaloidreaktionen  geben,  sind: 

Spasmotoxin  und  eine  andere  unbenannte  giftige  Base,  von 
Brieger  1887  aus  unreinen  Tetanuskulturen  dargestellt.  Diese 
Giftstoffe  erzeugen  zwar  auch  Krämpfe,  doch  können  sie,  ab- 
gesehen von  ihrem  Ursprung  aus  unreinen  Kolonien,  schon  deswegen 
nicht  als  die  richtigen  Gifte  des  Tetanusbazillus  angesehen  werden, 
weil  sie  sofort,  d.  h.  ohne  Wartezeit  wirken. 

Mydalein  —  Brieger  1885  —  aus  menschlichen  Leichen. 

Tyrotoxikon  —  Vaughan*)  —  in  giftigen  Nahrungsmitteln 
(namentlich  Käse,  Vanilleeis,  Eiscreme,  Milch,  Austern,  Mies- 
muscheln) gefimden,  wurde  auch  durch  Buttersäurebazillen  künst- 
lich aus  Milch  gewonnen.  Für  Katzen  ungiftig.  Die  Reaktionen 
des  durch  Behandeln  des  alkalischen  wässerigen  Auszugs  mit 
Äther    dargestellten  Körpers  stimmen  mit  denen  des  D  i  a  z  0  - 


1)  Vgl.  auch  V  i  r  c  h  o  w  ,  Berl.  klin.  Woch.  1880,48;  Salkowsky. 
Virchows  Archiv  1902  und  M.  Wolf  f  ,  ebenda  103,  1885. 

2)  Archivio  delle  scienze  medicho  1888. 

3)  ZeitRchr.  f.  Hyg.   8.  405. 

4)  Zeitschr.  y)hysiol.  Chem.   10.   1886  und  Arch.  f.  Hyg.  7,  1887. 


Gifte  der  Kleinwesen.  819 

b  e  n  z  0  1 8  (Nitrat  =  C^^^  .  Ng  .  ONO^)  überein,  doch  weichen 
nach  Kobert^)  die  Erscheinungen,  die  im  lebenden  Organis- 
mus dadurch  hervorgerufen  werden,  von  den  bei  Käsevergiftung 
(Erbrechen,  Durchfall,  Trockenheit  im  Halse)  beobachteten  ab. 
Bei  anderen  Käsevergiftungen  sind  auch  noch  Schwindel,  Krämpfe, 
Blutbrechen,  Pupillenerweiterung  und  Doppelsehen  beobachtet 
worden.  Es  handelt  sich  also  nicht  immer  um  ein  und  dasselbe 
Gift  und  wahrscheinlich  meist  um  echte  Infektionsgifte,  die  dem 
Wurst-  und  Fleischgifte  entsprechen  (§  282  u.  287). 

Hier  anzuschließen  wäre  vielleicht  das  S  o  1  a  n  i  n  (C42H-5NOJ5?), 
das  giftige  glykosidische  AJkaloid,  das  nach  R.  W  e  i  1  2)  von  einigen 
die  Kartoffelschale  bewohnenden  Bazillen  (Bac.  solaniferum  colora- 
bile  und  non  colorabile)  aus  der  Kartoffelsubstanz  gebildet  wird.  Aus 
6  Liter  Kartoffelkultur  (kalter  wässeriger  Auszug  der  geschälten  rohen 
Kartoffeln)  wurden  50 — ^70  mg  Solanin  erhalten.  Ob  Solanin  ein  Bak- 
terienprodukt ist,  steht  allerdings  noch  dahin  (vgl.  W  i  n  t  g  e  n  und 
Morgenstern  S.  481).  Schmiedeberg  und  Meyer^), 
Pfuhl*)  u.  a.  beobachteten  Solaninvergiftungsepidemien  unter  dem 
llilitär  nach  dem  Genuß  keimender  oder  nicht  ausgereifter  Kartoffeln. 

Peptotoxin  wurde  von  B  r  i  e  g  e  r  ^)  gelegentlich  bei  der  Ver- 
dauung  des  Fibrins  durch  Pepsin  erhalten  und  ist  manchmal  auch 
in  käuflichen  „Peptonen"  nachweisbar,  deren  Giftigkeit  es  ver- 
ursacht, verdankt  wohl  bakteriellen  Verunreinigungen  sein  Dasein. 
Auch  aus  faulenden  Eiweißkörpem  hat  Brieger  es  darstellen 
können,  nicht  aus  frischen  oder  unverdauten.  Es  tötet  Frösche 
und  Kaninchen  mit  Lähmungserscheinungen. 

Susotoxin  stellte  N o  v  y  ®)  aus  Schweineseucheknlturen,  ein  nur 
schwach  giftiges  „Sucholotoxin"  v.  Schweinitz')  aus  Schweine- 
pestkulturen dar. 

Ein  giftiges  Milzbrandptomain  fand  Hof  f  a®)  in  Fleisch- 
breikulturen des   Bac.   anthracis  mittelst  des   alten   Stas-Otto- 


1)  Intoxikationen  721,   1893. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  38,   1900. 

3)  Arch.  f.  exper.  Path.  36,   1895. 

4)  Deutsch,  med.  Woch.   1899.  46. 

0)  Ptomaine  1.  14;  vgl.  auch  Salkowsky,  Virchows  Arch.  124 
und  die  Erörterung  zwischen  Brieger  und  Salkowsky,  D.  med. 
Woch.  1891.  26—31. 

6)  Ref.  Zentr.  Bakt.  9.  25. 

7)  Ebenda  9.  24. 

8)  Natur  des  Milzbrandgifts.  Wiesbaden  1886  und  Arch.  f.  Chir. 
•^9,  1889. 


52* 


820  Kap.  XVI,   §  259  u.  260. 

sehen  Verfahrens.  Das  B  r  i  e  g  e  r  sehe  Verfahren  versagte.  Obwohl 
Kontrollversuche  zu  zeigen  scheinen,  daß  das  Gift  ein  eigentümliches 
Erzeugnis  der  Milzbrandbazillen  ist,  so  fehlt  doch  noch  viel  an  dem 
Beweise,  daß  der  Milzbrand  gerade  durch  dieses  Gift  wirkt.  Die  Ver- 
giftung mit  dem  Ptomain  verlief  bei  Meerschweinchen  und  Kaninchen 
nach  Einspritzung  von  0,01 — 0,02  g  im  Laufe  einer  halben  Stunde 
unter  Dyspnoe  und  Sopor  und  manchmal  mit  blutigen  Stühlen  zum 
Tode.  Später  hat  H  o  f  f  a  auch  aus  Milzbrandkadavem  ein  giftiges 
Anthrazin  dargestellt.  Martin^)  fand  neben  einer  ähnlich  wirken- 
den „Albumose'^  in  den  Milzbrandbazillen  auf  Alkalialbuminat  ein 
Alkaloid,  das  erst  in  den  großen  Gaben  von  0,1 — 0,5  g  Mäuse  mit 
ödem  an  der  Impfstelle  tötete.  Vielleicht  ist  die  Albumose  nur  eine 
Vorstufe  des  Alkaloids.  da  sie  sich  hauptsächlich  in  jungen  Kulturen 
fipidet.  Auch  aus  dem  Tierkörper  glückte  die  Isolierung  derselben 
Stoffe.  Wenig  wirksam  waren  auch  die  basischen  Extrakte,  die  Heim 
und  G  e  y  g  e  r  ^)  aus  Milzbrandkulturen  in  Hühnereiern  erhielten. 
Gegenüber  der  von  C  o  n  r  a  d  i  ^)  unternommenen  Nachprüfung  büßen 
alle  diese  Ergebnia<^e  völlig  an  Beweiskraft  ein;  es  gelang  diesem  For- 
scher nicht,  mit  keimfrei  filtrierten  Exsudaten  oder  Organauszügen 
von  Milzbrandtieren  irgendwelche  Krankheitserscheinimgen  auszulösen 
(vgl.  §  292). 

Das  Phlogosin,  das  Leber*)  aus  Kulturen  des  Staphylo- 
coccus  aureus  isolierte,  soll  stickstofffrei  sei,  würde  danach  also  nicht 
zu  den  Ptomainen  zu  rechnen  sein.  Es  bewirkt  Eiterung  und  Nekrose 
wie  Kadaverin  (s.  o.)  und  die  Leibesgifte  der  Bakterien  (§  280). 

Ptomaine  sind  von  vielen  Forschem  auch  in  Cholerakul- 
turen gesucht  und  gefunden  worden,  doch  hat  B  r  i  e  g  e  r  ^)  außer 
den  gewöhnlichen  Fäulnisptomainen  Putreszin,  Methylguanidin,  Cholin 
und  namentlich  Kadaverin  nur  Spuren  von  zwei  anderen  gefunden, 
von  denen  das  eine  Krämpfe  und  Muskelzittem,  das  andere  lähmungs- 
artige Zustände,  teilweise  mit  blutigem  Stuhlgang  hervorrief.  Scholl*) 
konnte  in  seinen  Eikulturen  des  Cholerabazillus  überhaupt  keine  Pto- 
maine nachweisen.  Neuerdings  berichtet  Verdereau')  über  ein 
giftiges   ,,Virgulin"  aus  Cholerabazillenextrakten. 

Von  den  drei  „neuen"  aus  Fäulnisgemischen  dargestellten  Basen 


1)  Baumgartens  Jahresber.  1890,  150;  vgl.  auch  C  o  n  r  a  d  i  untt^r  '^. 

2)  Heims  Lehrb.  d.  bakt.  Unt.  u.  Diagnost.  1894. 

3)  Zeitsclir.  f.  Hyg.   31,   1899. 

4)  Entstehung  der  Entzündung  154,  1891. 

5)  Berl.  klin.  Woch.   1887.  44. 

6)  Scholl,  Arch.  f.  Hyg.   15,   1892  mit  Literatur. 

7)  Soc.  biol.   9.  5,   1908.  ' 


Gifte  der  Kleinwesen.  821 

Marzidin.  Patrin  und  Putridin  hat  Ackermann^)  das  letzte  zurück- 
ziehen müssen,  weil  es  mit  der  tf-Aminovaleriansäme  übereinstimmt^e. 
Wie  diese  sich  übrigens  bildet,  bleibt  dunkel.  Jedenfalls  entsteht  sie 
nicht,  wie  man  annehmen  könnte,  aus  dem  Arginin. 

Aus  dem  Harn  von  kranken  Menschen  sind  gelegentlieh 
giftige  Ptomaine  isoliert  worden,  so  von  Griffith  und  L  o  d  e  1 1 ')  bei 
Influenza  die  Bchse  C^9N04  imd  andere  bei  Pneumonie,  Diphtherie,  Masern, 
Scharlach,  Keuchhusten  und  Röteln.  Aus  frischen  Typhusleichen  stellte 
Manns  *)  eine  neues  Ptomain  dar,  aus  Tieren,  die  an  Kaninchensepti- 
kämie  gestorben  waren,  Hoffa  (S.  820)  das  Methylguanidin  (s.  o.).  Wenn 
auch  Stadthagen*),  von  Udranszky  imd  Baumann*) 
Ptomaine  in  normalem  Harn  und  normalen  Fäzes  nicht  oder  nur  ausnahms- 
weise (Kadaverin  und  Putreszin  bei  Zystinurie)  nachweisen  konnten,  so 
liegen  doch  von  Jones  und  Duprö  (s.  o.)  und  von  Gautier*), 
und  Bouchard')  entgegengesetzte  Beobachtungen  vor.  Man  wird  also 
mit  den  Schlüssen  aus  solchen  Befunden  vorsichtig  sein  müssen.  Es- 
liegt  nicht  nur  die  Möglichkeit  vor,  daß  aus  dem  durch  Bakterien  zer- 
netzten Darminhalt  basische  Körper  resorbiert  werden,  sondern  nach 
G  a  u  t  i  e  r  produziert  vielleicht  der  tierische  Organismus  selbst,  wie  der 
pflanzUche,  solche  „Leukomaine". 

Man  kann  zusammenfassend  sagen,  daß  aus  der  großen  Zahl  der 
hier  aufgeführten  basischen  Stoffe,  die  wohl  alle  bei  der  Zersetzung 
der  Eiweißkörper  als  Nebenprodukte  gebildet  werden,  nur  wenige  als 
wirksame  Gifte  in  Betracht  kommen,  so  das  Mytilotoxin,  das 
Tyrotoxikon  und  vielleicht  das  N  e  u  r  i  n  imd  S  e  p  s  i  n.  Die 
übrigen  haben  als  Stoffwechselprodukte  wohl  nur  ein  chemisch-physio- 
logisches Interesse. 

§  260.  Giftige  Fette.  Den  chemisch  gut  bekannten  „Stoff- 
wechselgiften" könnten  wir  hier  noch  eine  Reihe  von  Körpern  an- 
schließen, die  sich  von  den  eigentlichen  Giften  der  Mikroorganismen 
dadurch  unterscheiden,  daß  sie  löslich  sind  in  Fettextraktionsmitteln 
wie  Äther,  Alkohol,  Chloroform.  Dahin  gehören  die  von  Auclair®) 
aus  Diphtherie-,  Tuberkel-  imd  anderen  Bakterien,  von  C  e  n  i  und 
Besta  aus  Schimmelpilzen  (s.  u.  §  307)  gewonnenen  Gifte.  Die 
ersteien  sind  in  Wasser  unlöslich,  die  letzteren  löslich.    Da  wir  aber 


1)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  54,  1907  und  56,  1908. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   113,  114  luid  117. 

3)  Baumgartens  Jahresb.  1888.  451. 

4)  Zeitschr.  f.  klin.  Med.   15. 

5)  Zeitschr.  physiol.  Chem.   13. 

6)  a.  a.  O. 

7)  Les  autointoxications   1887;  vgl.   Albu,  Deutsch,   med.  Woch. 
1894.  1. 

8)  Arch.  m6d.  exp6r.   1903.   725  s.  u.    §  261  u.   304. 


822  Kap.  XVI,   §  260  u.  261. 

nicht  wissen,  ob  es  sich  hier  wirklich  um  Fette  handelt  oder  um 
giftige  Beimischungen  von  solchen^),  und  diese  Stoffe  den  Zellen  sehr 
fest  anzuhaften  pflegen,  so  werden  wir  sie  bei  den  Eigengiften  behandeln. 
Eine  Ausnahme  soll  zunächst  machen  ein  krystallinisches  Gilt,  das 
de  Schweinitz  und  D  o  r  s  e  t  ^)  aus  Kulturen  der  Tuberkel- 
bazillen auf  Asparaginlösung  gewonnen  haben.  Seine  Zusammen- 
setzung entspricht  der  Formel  der  Terakonsäure  C-H10O4,  einer 
zweibasischen  ungesättigten  Fettsäure,  die  in  Wasser,  Alkohol  und 
Äther  gleich  gut  löslich  ist.  Es  erzeugt,  Meerschweinchen  unter  die 
Haut  eingespritzt,  Temperaturemiedrigung  und  seröse  Exsudate,  in 
der  Leber  Nekrosen.  Bei  tuberkulösen  Tieren  soll  es  in  kleinsten  Gaben 
(2  mg)  heilkräftig  wirken,  d.  h.  das  Leben  einige  Wochen  verlängern. 
Auch  im  Tuberkulin  ist  das  Gift  vorhanden,  aber  es  ist  schwer  daraus 
darzustellen,  weil  es  sich  mit  den  stickstoffhaltigen  Bestandteilen  ver- 
bindet. Vielleicht  ist  es  nur  ein  Zersetzungsprodukt  des  ursprünglichen 
Gifts.  Femer  ist  hier  noch  zu  erwähnen  das  N  a  s  t  i  n  ,  das  D  e  y  c  k  e 
und  R  e  s  c  h  a  d  aus  einem  säurefesten  Strahlenpilz  und  später  auch 
aus  Tuberkelbazillen  (Tuberkulo-Nastin)  gewonnen  haben  (S.  77).  Es  soll 
ein  neutrales  Fett  vom  Schmelzpunkt  48 — 5P  sein  und  neben  reizenden 
hervorragend  heilkräftige  Eigenschaften  besitzen  (vgl.  Immunitäts- 
lehre). 

Die  Lipoide  des  Pyocyaneus  und  anderer  Bakterien,  die  nach 
Ruß  und  Raubitschek  die  bakterizide  Wirkung  der  Bak- 
terienextrakte erklären,  haben  wir  schon  bei  der  Pyozyanase  (S.  16) 
erwähnt.    Bei  den  Hämoljrsinen  kommen  wir  auf  sie  zurück  (§  312). 

§  261.   Geschichte  und  Darstellung  des  Diphtheriegif te^. 

Wir  beginnen  die  Darstellung  der  Eigengifte  der  Bakterien  mit  dem  des 
Diphtheriebazillus,  nicht  nur,  weil  es  das  am  besten  bekannte,  sondern 
auch  das  zuerst  entdeckte  ist,  und  an  seinem  Beispiele  sich  die  Eigen- 
schaften dieser  Gruppe  von  Körpern  am  schönsten  darlegen  lassen. 
Im  §  259  sahen  wir,  daß  in  der  ersten  Entwicklungsperiode  der 
Bakteriologie  die  Neigimg  vorherrschte,  die  giftigen  Wirkungen  der 
Mikroorganismen  auf  die  Bildung  von  alkaloidartigen  Stoffen,  von 
Ptomainen  zurückzuführen.  Indessen  trotzdem  die  Ausbeute  daran, 
rein  zahlenmäßig  betrachtet,  wirklich  nicht  gering  war,  wollte  es  doch 
bei  weitem  nicht  in  allen  Fällen  gelingen,  in  den  Kulturen  von  patho- 
genen  Bakterien,  wo  man  sie  hätte  voraussetzen  können,  derartige 
Körper  zu  entdecken.    Auch  entsprach  die  Wirkung  der  aus  Rein- 


1)  Man  muß  beachten,  daß  in  die  Lösungsmittel  zunächst  alle  mög- 
lichen Stoffe  hineingehen,  die  in  reinem  Zustande  in  ihnen  unlöslich  sind. 

2)  Zentr.  Bakt.  22.  209.   1897. 


Gifte  der  Klein wesen.  823 

kulturen  dargestellten  Ptomaine  häufig  nicht  den  Krankheitserschei- 
nimgen,  die  durch  die  lebenden  Bakterien  bedingt  waren.  Es  lag  daher 
nahe,  nach  anderen  giftigen  Stoffen  zu  suchen.  Bezeichnend  ist  der  erste 
Versuch,  der  von  L  ö  f  f  1  e  r  ^)  1887  unternommen,  aber  erst  1890 
veröffentlicht  wurde.  Die  von  diesem  Forscher  entdeckten  Diphtherie- 
bazillen töten  Tiere,  ohne  sich  doch  in  irgend  erheblicher  Weise  in 
ihnen  zu  vermehren  oder  zu  verbreiten.  Sehr  empfänglich  sind  Meer- 
schweinchen, weniger  Kaninchen,  Himde  und  Tauben,  fast  gar  nicht 
Mäuse  und  Ratten.  Die  Impfstelle  unter  der  Haut  von  Meerschweinchen 
zeigt,  wenn  das  Tier  in  einigen  Tagen  stirbt,  ein  ödem,  das  häufig 
mit  Blutimgen  durchsetzt  ist,  femer  eine  Ansammlung  klarer  Flüssig- 
keit im  Brust-,  selten  im  Bauchraum,  fleckige  Verdichtungen  in  der 
Lunge  und  eine  starke  Anschoppimg  der  Nebennieren.  Sterben  die 
Tiere  später,  so  findet  man  an  der  Impfstelle  ein  speckiges  Exsudat, 
die  Haut  darüber  wird  nekrotisch  und  verschwärt;  die  inneren  Organe 
zeigen,  abgesehen  von  starker  Abmagerung,  meist  nur  Verfettung 
der  Leber.  Da  die  Diphtheriebazillen  gewöhnlich  nur  an  den  Impf- 
stellen nachgewiesen  sind  imd  auch  da  oft  nur  in  spärlichen  Mengen, 
kann  man  sich  ihre  Wirlomg  nur  erklären,  wenn  man  annimmt,  daß 
sie  ein  starkes  Gift  bilden. 

Dennoch  schlug  der  Versuch  Löfflers,  aus  ihren  Kulturen 
giftige  Ptomaine  zu  gewinnen,  fehl:  ein  Kolben  mit  einer  dreitägigen 
Kultur  der  Bazillen  in  Traubenzuckerbouillon  wurde  auf  dem  Wasser- 
bad bis  zu  100  ccm  eingedampft,  ein  zweiter  wiederholt  mit  Äther  aus- 
geschüttelt. Sowohl  der  Ätherauszug  als  der  Bouillonrückstand  erwiesen 
sich  ab  ungiftig.  L  ö  f  f  1  e  r  schlug,  in  der  Vermutung,  daß  es  sich 
vielleicht  um  ein  giftiges  Enzym  handeln  könne,  das  auf  die  angegebene 
Weise  nicht  zu  erhalten  sei,  einen  anderen  Weg  ein.  Er  züchtete  die 
Diphtheriebazillen  auf  Fleischbrei,  zog  diesen  nach  4 — 5  Tagen  mit 
Glyzerin  aus,  versetzte  den  Extrakt  mit  absolutem  Alkohol,  löste  den 
getrockneten  Niederschlag  in  Wasser,  fällte  wieder  mit  Alkohol,  trock- 
nete und  erhielt  so  einen  in  Wasser  löslichen  Köq^er,  der  unter  der 
Haut  von  Meerschweinchen  in  der  Gabe  von  0,1 — 0,2  g  derbe  Knoten 
mit  Hämorrhagien  und  ödem  in  der  Umgebung  hervorrief.  Es  ent- 
wickelte sich  ein  Geschwür,  die  Tiere  kamen  aber  mit  dem  Leben 
davon.  R  o  u  x  und  Y  e  r  s  i  n  2)  hatten  sich  schon  vor  der  Veröffent- 
lichung liöfflers  mit  derselben  Frage  beschäftigt  und  weit  über- 
zeugendere Ergebnisse  erzielt.  Um  die  giftigen  Produkte  des  Diph- 
theriebazillus zu  erhalten,  entfernten  sie  die  Bakterien,  in  denen  sie  die 


1)  Deutsch,  med.  Woch.   1890,  5/6. 

2)  Annal.  Pasteur  1888  ii.   1900. 


824  Kap.  XVI,   §  261. 

Bouillonkiilturen     durch    Chamberlandsche    Porzellanfilter    hindurch- 
gehen ließen.   Die  Filtrate  erwiesen  sich  als  giftig;  wenn  die  Kulturen 
jung  waren,  führten  sie  allerdings  erst  in  sehr  großen  Gaben,  wenn  sie 
4 — 6  Wochen  alt  waren,  aber  schon  in  Mengen  von  0,2 — 2  com  den 
Tod  der  Versuchstiere  herbei,  und  zwar  unter  denselben  Erscheinungen 
wie  die  lebenden  Bakterien.    Nachdem  R  o  u  x  und   Y  e  r  s  i  n  so  das 
Vorhandensein  des  Diphtheriegiftes  in  künstlichen  Kulturen  erwiesen 
hatten,  gingen  sie  daran,  es  näher  zu  kennzeichnen.    Zunächst  stellte 
es  sich  heraus,  daß  schon  längere  Erhitzung  auf  58^  das  Gift  stark 
schädigt,  Kochen  es  fast  völlig  zerstört.   Doch  pflegen  Tiere,  die  große 
Mengen   des  20  Minuten  auf  100®  erhitzten  Filtrats  erhalten  haben, 
nach   einigen  Wochen  abzumagern  und  später  unter  Lähmungen  zu 
sterben.    Säure  schädigt  das  Gift  sehr  erheblich:  solange  die  Kultur 
sauer  ist,  sind  ihre  Filtrate  wenig  giftig,  und  die  Giftigkeit  alkalischer 
Filtrate  wird   durch  Ansäuenmg  stark  abgeschwächt,  kehrt  zurück, 
wenn  man  bald  wieder  neutralisiert,  wird  aber  durch  längere  Einwir- 
kung der  Säure  dauernd  herabgesetzt  (vgl.   §  267).    Aus  den  bei  25® 
eingeengten  Filtraten  läßt  sich   das   Gift  durch   Alkohol   fällen,   das 
niedergeschlagene  Gift  löst  sich  im  Wasser  und  kaim  durch  Dialyse 
gereinigt  werden,  weil  es  nur  schlecht  diffundiert.    Das  so 
gereinigte    Gift    tötete   Meerschweinchen    in    der   Gabe   von  0,1   mg 
Trockensubstanz,  w^ährend  von  dem  Filtrat  0,25  com  dazu 
nötig   gewesen  waren.    Aus   dem  Filtrat  wird   das  Gift   auch  durch 
andere  künstlich  erzeugte  umfangreiche  Niederschläge  zu  Boden  ge- 
rissen, so  nach  Hinzufügung  von  (^lorkalzium  durch  das  dabei  ent- 
stehende Kalziumphosphat.     Im  trockenen  Zustand  verträgt  es  Er- 
hitzung auf  100®.    Seiner  Darstellung  nach  ähnelt  das 
Di{)htheriegift    offenbar    den    Enzymen    und    wird 
auch  von  E  o  u  x  und  Y  e  r  s  i  n  als  solches  bezeichnet  und  den  übrigen 
Absonderungen  der  Bakterien  an  die  Seite  gest/ellt. 

B  r  i  e  g  e  r  und  C.  F  r  ä  u  k  e  P)  bestätigten  im  wesentlichen  diese 
Ergebnisse.  Ihre  chemischen  Untersuchungen  führten  sie  aber  weiter- 
hin zu  dem  Schlüsse,  daß  das  Diphtheriegift  nicht  ein  Enzym,  sondern 
ein  „Toxalbumin*',  d.  h.  ein  giftiger  Körper  von  der  Zusammensetzung 
und  mit  allen  Reaktionen  der  Eiweißkörper  sei,  und 
zwar  den  Serumalbuminen  am  nächsten  stände.  Aus  dem 
Filtrat  Nvurde  es  durch  t'bereättigen  mit  Ammonsulfat,  nicht  mit 
Magnesiumsulfat,  Chlornatrium  und  Natriumsulfat  niedergeschlagen. 
Am  einfachsten  gelang  die  Darstellung,  wenn  das  Filtrat  bei  30®  im 
luftleeren  Raum  auf  den  dritten  Teil  eingeengt  und  in  die  zehnfache 


l)  Rerl.   klin.   Woch.    1890.    11/12. 


Gift«  der  Kleinwesen.  825 

Menge  absoluten  Alkohols  übertragen  wurde.  Einige  Tropfen  Essig- 
säure beförderten  die  Aiisfällung  des  Niederschlags,  der  durch  wieder- 
holtes Lösen  in  Wasser,  Filtrieren  und  Fällen  mit  Alkohol  und  schließ- 
lieh  durch  die  Dial3^e  weiter  gereinigt  wurde.  Das  Toxalbumin  würde 
nach  B  r  i  e  g  e  r  und  F  r  ä  n  k  e  1  von  den  Bazillen  abgespalten  aus 
dem  Gewebseiweiß  oder  aufgebaut  aus  den  Peptonen  des  Nährbodens. 
Alle  Bemühungen,  nebenher  noch  andere  Gifte  (Ptomaine,  flüchtige 
Stoffe)  aufzufinden,  schlugen  fehl.  Wassermann  und  P  r  o  s  - 
kau  er*)  veränderten  diese  Darstellungsmethode  des  Toxalbumins, 
weil  sie  fanden,  daß  das  Gift  dabei  mit  einem  ungiftigen  Eiweißst/off 
verunreinigt  ist,  der  sich  dadurch  von  ihm  unterscheidet,  daß  er  nicht 
wie  das  Gift  schon  durch  verdünnten  Alkohol,  sondern  erst  durch 
konzentrierten  gefällt  wird.  Sie  engten  zunächst  das  Filtrat  im  luft- 
leeren Raum  ein,  dialysierten  den  Bückstand  bei  niederer  Temperatur 
gegen  destilliertes  Wasser,  um  Peptone  und  Globuline  zu  entfernen, 
filtrierten  und  fällten  nach  Ansäuerung  mit  60 — ^TOprozentigem  Alkohol. 
Das  trockene  Gift  tötete  in  Menge  von  10  mg  Kaninchen  bei  subkutaner 
Einspritzung  binnen  4  Tagen.  In  ähnlicher  W^eise  konnten  sie  das 
Gift  gewinnen  aus  einem  Glyzerinauszug  ^)  der 
Organe  von  Tieren,  die  an  Diphtherie  gestorben 
waren.  Auch  diese  von  Wassermann  und  Proskauer 
gewonnenen  Gifte  besaßen  Zusammensetzung  und  Reaktion  der  Eiweiß- 
körper, die  Autoren  fassen  aber  schon  die  Möglichkeit  ins  Auge,  daß 
es  sich  hier-  nur  um  Beimengungen  von  ungiftigen 
Eiweißkörpern  zu  dem  eigentlichen  Gift  handele,  über  dessen 
Natur  man  sich  also  nicht  aussprechen  könne. 

Zu  eigentümlichen  Vorstellungen  über  das  Diphtheriegift  kam 
M  a  r  t  i  n  ^)  bei  einem  Versuche,  dasselbe  aus  dem  diphtherieinfizierten 
menschlichen  Körper  zu  isolieren.  Die  diphtherischen  Membranen 
wurden  in  absoluten  Alkohol  gelegt  und  mit  einer  lOprozentigen  Koch- 
salzlösung ausgezogen.  Dieser  Auszug  ist  giftig,  soll  nach  Martin 
aber  wirklich  wie  ein  Enzym  aus  dem  Eiweiß  der  Menschen  giftige 
Albumosen   (Hetero-,  Proto-  und  Deuteroalbumose)   abspalten. 

Die  bisher  besprochenen  Darstellungsverfahren  des  Giftes  geben 
nicht  nur  Stoffe  von  sehr  zweifelhafter  Reinheit,  da  sie  die  nicht  spezi- 
fischen Eiweißkörper  nicht  ausschließen,  sondern  auch  meist  nur  eine 
geringe  Ausbeute  an  Gift,  weil  namentUch  die  Behandlung 
mit  Alkohol  es  schädigt.    Deswegen  haben  B r i e g e r  and 


1)  Deutseh.  med.  Woch.  1891.  17. 

2)  6  Teile  Glyzerin  +    4  Teile  Wasser. 

3)  Brit.  med.  Journ.   1892.   1.  641  ff. 


826  Kap.  XVI,   §  261. 

B  o  e  r  ^)  sich  Mühe  gegeben,  auf  anderen  Wegen  zum  Ziel  zu  gelang<*n 
Ein  Verfahren,  das  sie  bei  der  Darstellung  der  Antitoxine  erprobt, 
erwies  sich  auch  hier  als  zweckentsprechend.    Sie  gingen  nämlich  aus 
von  Doppelverbindungen  des  Giftes   mit    Metall- 
salzen (Quecksilberchlorid,  Zinksulfat  und  besonders  Z  i  n  k  c  h  1  o- 
r  i  d).     Die   giftige   Diphtheriekultur   (in  Peptonbouillon    oder   Blut- 
serum) wird  durch  Filter  von  den  Bakterien  befreit  und  mit  der  doppel- 
ten Menge   Iprozentigen  Zinkchlorids  versetzt.    In  den  Niederschlag 
geht  das  Gift  vollständig  über,  bleibt  auch  ungelöst,  wenn  es  sorg- 
fältig mit  Wasser  ausgewaschen  wird.    Die  Schwierigkeit  besteht  nun 
darin,  aus  der  Zinkverbindung  das  Gift  rein  abzuscheiden.    Schwefel- 
wasserstoff ist  nicht  anwendbar,  da  er  das  Gift  zerstört,   Natriura- 
phosphat  ebensowenig,  weil  es  das  Gift  auch  angreift;  durch  Kohlen- 
säure wird  die  Verbindung  mit  dem  Zink  nicht  gelöst;  Säuren  wirken 
schon  in  Spuren  schädlich;  brauchbar  erwies  sich  erst  die  Anwendung 
schwacher  Alkalien  imd  Mittelsalze,  vor  allem  von  Ammoniakverbin- 
dimgen.   Der  gut  ausgewachsene  Zinkniederschlag  wird  mit  einer  dem 
ursprünglichen   Rauminhalt  entsprechenden   3— -6prozentigen   Ammo- 
niumbikarbonatlösung   tüchtig    durchgeschüttelt,    dann    mit    soviel 
Ammoniumphosphat  versetzt,  bis  alles  in  Lösung  geht,  und  eine  Trübung 
durch  das  ausfallende  Zinkphosphat  entsteht.    Nach  Absetzen  filtriert 
man  durch  gehärtete  Filter,  wäscht  gut  aus  und  sättigt  das  Filtrat 
mit   Ammoniumsulfat:   der  Niederschlag  schließt   das  Diphtheriegift 
vollständig  ein.    Um   mitniedergerissenes  Pepton  zu  entfernen,  löst 
man  in  Wasser  und  schüttelt  mit  feingepulvertem  Natriumsulfat:  das 
Gift  wird  dadurch  rein  ausgefällt,  wenn  der  Nährboden  nicht  sehr 
reich  an  Eiweiß  war.    Es  zeigt  sich  jetzt,  daß  das  Diph- 
theriegift   keine    Eiweiß-    oder    Pe  ptonr  e  aktion 
gibt.    De n noch  ist  es  ein  sehr  unbeständiger  Kör- 
p  e  r.   Säuren,  selbst  Kohlensäure,  Alkohol,  Äther,  Chloroform,  Azeton, 
oxydierende  Stoffe  wie  Kaliumpermanganat  wirken  ebenso  wie  hohe 
Temperatur  schädlich,  nur  schwache  Alkalien  imd  reduzierende  Stoffe 
unschädlich.    Eine  Elementaranalyse   scheint  noch   nicht  ausgeführt 
worden  zu  sein,  da  die  Gewinnung  der  nötigen  Giftmengen  die  Ver- 
arbeitung gewaltiger  Kulturmassen  erfordert.    Wir  dürfen  trotzdem 
als  wahrscheinlich  voraussetzen,  daß  es  ein  verwickelt  gebauter 
Stoff  ist.    Die  geringe  Diffusionsfähigkeit  spricht  für  ein  hohes 
Molekulargewicht.     Sicherheit  dafür  haben  wir  freilich  ebensowenig 
wie  bei  den  Enzymen  (§  240). 

Haben  sich  die  Ansichten  über  die  Natur  des  Diphtheriegiftes 


1)  Zeitftchr.  f.  Hyjr.  21.  267,  1895  und  Deutsch,  med.  Woch.  1896.  49. 


Gifte  der  Kleinweeen.  827 

allmählich  so  weit  geklärt,  daß  man  wenigstens  sagen  kann,  was  es 
nicht  ist,  daß  es  also  im  besonderen  nicht  zu  der  bekannten  Klasse 
der  Eiweißkörper  und  Ptomaine  gehört,  so  ist  die  E  n  t  s  t  e  h  u  n  g  s  - 
weise  des  Giftes  noch  vollständig  dunkel.    Wir  wissen  nicht, 
aus  welchem  Stoff  die  Diphtheriebazillen  ihr  Gift  bilden,  sondern  nur, 
daß    bei   verschiedener   Ernährung   die   Menge   des 
gebildeten  Gifts  sehr  erheblich  schwankt.    So  fand 
Blumenthal ^),  daß  auf  Lösungen  von  Eier-  und  Serumalbumin, 
Kasein,  Nuklein,  echtem  Pepton  und  Antipepton  trotz  vielfach  gutem 
Wachstum   keine   irgendwie   erhebliche   Giftbildung  stattfand.    Nach 
Z  i  n  n  o  *)  bilden  sehr  giftige  Diphtheriebazillen  kein  Gift  auf  eiweiß- 
freien Nährböden,  Fleischextrakt,  auf  Eiereiweiß,  gereinigten  Peptonen 
oder  Albumosen,  wenig  auf  Serumeiweiß,  ziemlich  viel  auf  Hefenuklein, 
viel  in  Pferde-  xmd  Rindfleischbrühe,  am  meisten  auf  einem  Grehirn- 
infus.   Dabei  ist  aber  zu  bemerken,  daß  sie  auf  manchen  dieser  Nähr- 
böden gar  nicht   oder  sehr  spärlich   wachsen.    Irgendwie   bindende 
Schlüsse  sind  aus  diesen  Angaben  nicht  zu  ziehen,  schon  weil  sie  sich 
teilweise    widersprechen.     Doch   hat   man    durch    ähnliche    Versuche 
wenigstens    die    Bedingungen    ermittelt,    die    es 
gestatten,   ein  möglichst  kräftiges  Diphtherie- 
gift zu  gewinnen.   In  erster  Linie  kommt  es  dabei  auf  die  Wahl 
des  richtigen  Bazillenstammes  an.    Der  eine  ist  giftiger 
wie  der  andere.   Nicht  immer  entspricht  einer  hohen  „Virulenz'',  d.  h. 
einer  bedeutenden  Wirksamkeit  der  lebenden  Bazillen^),  ein  starkes 
Vermögen  Gift  zu  bilden.   Doch  werden  beide  Eigenschaften,  Virulenz 
Tind    Giftigkeit,    durch    wiederholte    Überimpfung    auf    empfängliche 
Tiere  (Meerschweinchen)  gesteigert.   Um  die  Wirksamkeit  der  Kulturen 
zu  erhalten,  dürfen  sie  nicht  auf  Glyzerinagar  fortgepflanzt  werden, 
sondern  auf  Blutserum  oder  auch  in  Bouillon.    Die  Kulturen  sollen 
femer  die  Eigenschaft  besitzen,  auf  der  Oberfläche  der  B  o  u  i  1- 
1 0  n  Decken  zu  bilden,  nicht  sie  gleichmäßig  zu  trüben.   Häufige  Über- 
tragungen von  Bouillon  auf  Bouillon  bei  reichlichem  Luftzutritt  dienen 
dazu,  diese  EigentümUchkeit  zu  befestigen.    Ebenso  wichtig  wie   die 
Eigenart  der  Bazillen  ist  die  Zusammensetzung  des  Nährbodens,  auf 
dem  das  Gift  gebildet  werden  soll.    Es  sind  zahlreiche  Vorschriften 
dafür  angegeben  worden,  man  kann  das  Ziel  offenbar  auf  verschiedenen 


1)  Deutsch,  med.  Woch.   1897.  24. 

2)  Zentr.  Bakt.  31.  2,   1902. 

3)  Um  echte  Virulenz,  d.  h.  Wachstumsfähigkeit,  handelt  es  sich  hier 
wohl  nicht,  sondern  wohl  mehr  um  eine  eigentümliche  Beschaffenheit  der 
lebenden  Bazillenleiber,  die  eine  Ausscheidung  der  Gifte  bald  leicht,  bald 
schwer  macht   (s.  ii.   A  r  o  n  s  o  n  ,  M  u  r  i  1 1  o). 


828  Kap.  XVI.    §  261. 

Wegen  erreichen^).  Viel  benutzt  sind  eineFleischboiüllon  mit 2%  Pepton 
(Witte   oder  Chapoteau^)),   femer  in  Frankreich  die    M  a  r  - 
t  i  n  sehe  Bouillon^),  die   S  p  r  o  n  c  k  sehe  Hefeabkochimg*).     I>er  im 
Fleischsaft  oft  enthaltene  Zucker  hemmt  die   Giftbildung,   wenn   ei 
in  großen  Mengen  vorhanden  ist,  da  die  Diphtheriebazillen  den  Zuckei 
unter  Säurebildung  zersetzen  und  das  Gift  gegen  Säure  sehr  empfind- 
lich ist  (s.  o.).    Doch  nur  ein  Übermaß  von  Zucker  ist  schädlich,  ein 
geringes  Maß  nach  Th.  S  m  i  t  h  ^)  sogar  nützlich,  vielleicht  deswegen, 
weil  durch  den  Zuckerzusatz  das  Wachstum  befördert  und  die  daraus 
gebildete  geringe  Säuremenge  bald  neutralisiert  wird.    Die  Erfahrung 
lehrt  jedenfalls,  daß  die  Kultur  erst  dann  ihre  stärkste 
Giftigkeit  erlangt,  wenn  sie  alkalisch  geworden 
i  s  t.    Nicht  gleichgültig  ist  auch  die  anfängliche  Reaktion  der  Nähr- 
lösung, sie  soll  ziemlich  stark  alkalisch  sein.   Femer  ist  für  reichlichen 
Luftzutritt  zu  sorgen,  am  einfachsten  in  der  Weise,  daß  man  in  nie- 
driger Flüssigkeitsschicht  züchtet.   Ein  kräftiges  Diphtheriegift  (Filtrat) 
soll  Meerschweinchen  von  250  g  in  einer  Gabe  von  0,005 — 0,02  ccm 
(unter  der  Haut  verabreicht)  binnen  wenigen  Tagen  töten.    Auffällig 
ist  die  Unregelmäßigkeit  der  Giftbildung :  auch  bei  genauester  Befolgung 
aller  Vorschriften  macht  man  gelegentlich  recht  sonderbare  Erfah- 
rungen^).   Es  kann  vorkommen,  daß  von  mehreren  Kulturenkolben, 
die   man   gleichzeitig  und  mit   demselben  Diphtheriestamm  geimpft 
und  unter  anscheinend  den  gleichen  Bedingungen  gehalten  hat,  der 
eine  viel  Gift,  der  andere  gar  keins  liefert.    Als  Giftlösungen  benutzt 
man  entweder  die  keimfreien  Filtrate  oder  noch  einfacher  ganze  Kul- 

1)  Vgl.  dazu  auch  M  a  d  s  e  n  ,  Diphtherietoxin  in  Kraus  und 
Levaditi,  Handb.   1,   1907. 

2)  Nach  H  i  d  a  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  61.  273,  1908,  sind  es  die  Deutero- 
albumouen  im  Pepton,  die  für  die  Giftbildung  am  wichtigsten  sind. 

3)  Annal.  Pasteur  1898.  26.  Besteht  aus  gleichen  Teilen  einer  Kalb- 
fleischkochsalzbouillon und  einer  Peptonlösung,  die  man  sich  selbst  be 
reitet  aus  200  g  fein  zerhacktem  Schweinemagen,  10  g  Salzsäure,  1000  g 
Wasser  (24  Stunden  bei  50 •,  dann  abziehen,  kurz  aufkochen,  2  Tage  stehen 
lassen,  heiß  neutralisieren,  Kochen,  Filtrieren). 

4)  Annal.  Pasteur  1898.  701.  1  Teil  Hefe  wird  mit  20  Teilen  Wasser 
20  Minuten  unter  Umrühren  gekocht;  dann  wird  abgegossen,  mit  Koch- 
salz und  Pepton  versetzt,  neutralisiert.' 

5)  Joum.  exper.  med.  1899.  Das  Fleisch wasser,  das  durch  Aus- 
ziehen von  ganz  frischem  gehacktem  Fleisch  in  der  Kalte  bereitet  worden 
ist,  filtriert  und  neutralisiert  man,  stellt  es  über  Nacht  mit  Colibazillen 
geimpft  in  den  Brutschrank,  um  den  Fleischzucker  daraus  zu  entfernen 
imd  verarbeitet  es  dann  in  der  üblichen  Weise  (nach  nochmaliger  Neutrali- 
sierung) mit  Peptonzusatz  zu  Nährbouillon.  Die  Diphtheriebazillen  sollen 
darin  ein  starkes  Gift  bilden. 

6)  Madsen,  Zeitschr.  f.  Hyg.  26,  1897. 


Gifte  der  Klein weeen.  829 

tnien,  die  man  durch  tagelange  Berührung  und  wiederholtes  Schütteln 
mit  Toluol  keimfrei  macht,  und  aus  denen  man  die  nötigen  Mengen 
mittelst  Pipetten  entnehmen  kann.  Siehaltensich,  imDun- 
keln  und  kühl  aufbewahrt,  monatelang.  Doch  ver- 
mindert sich  allmählich  ihre  Giftigkeit  und  es  bilden  sich  dabei  Ab- 
arten des  Gifts  (s.  u.  Toxoide  §  262). 

Etwas  mehr  weiß  man  über  den  Ort  der  Giftbildung.  Die  von 
mancher  Seite  vertretene  Ansicht,  daß  das  Diphtheriegift  ein  soge- 
nanntes Stoffwechselprodukt  sei,  das  außerhalb  der  Zellen  aus 
dem  Nährmaterial  gebildet,  also  z.  B.  durch  eine  Art  Ferment  aus 
den  Eiweißstoffen  der  Nahrung  abgespalten  würde,  ist  unhaltbar. 
Man  hat  sie  dadurch  vriderlegen  wollen,  daß  man  auf  die  Giftigkeit 
von  Kulturen  in  eiweißfreien  Nährböden  wie  Asparaginsalzlösung^), 
Ham^,  dialysiertem  Harn^)  hinwies.  Aber  abgesehen  davon,  daß  die 
betreffenden  Angaben  nicht  ohne  Widerspruch  geblieben  sind,  weil 
andere  Autoren  in  solchen  Nährböden  überhaupt  keine  Entwicklung 
der  Diphtheriebazillen  beobachteten,  macht  Z  i  n  n  o  *)  mit  Recht 
darauf  aufmerksam,  daß  in  jedem  Falle  die  Entwicklung  und  die  Gift- 
bildung auf  solchen  Nährböden  eine  sehr  geringe  sei  und  die  dazu 
nötigen  Spuren  von  Eiweiß  leicht  durch  Verunreinigungen  oder  auf- 
gelöste Bakterienleiber  geliefert  sein  könnten.  Entscheidend  ist  da- 
gegen die  Tatsache,  daß  die  Leiber  der  Diphtheriebazil- 
len selbst  giftig  sind.  Sehr  wahrscheinlich  wird  das  ja  schon 
dadurch,  daß  man  mit  geringen  Mengen  der  Bazillen,  die  von  festen 
Nährböden  entnommen  sind,  Tiere  unter  den  bekannten  Erschienungen 
töten  kann  und  dabei  manchmal  Mühe  hat,  an  der  Impfstelle  die  Ba- 
zülen  wiederzufinden  oder  sie  in  einem  Zustande  findet,  der  auf  Ab- 
gestorbensein deutet.  Den  immittelbaren  Beweis  hat  dann  K  o  s  s  e  1  ®) 
geliefert,  indem  er  die  Bazillenhäute  aus  flüssigen  Kulturen  sammelte, 
sie  mit  Kochsalzlösung  unter  Benutzung  der  Zentrifuge  mehrfach  aus- 
wusch, so  daß  jede  Spur  der  anhaftenden  Bomllon  beseitigt  war,  sie 
dann  mit  Chloroform  abtötete  und  3  Tage  lang  mit  Iprozentiger  Natron- 
lauge auszog.  Der  Extrakt  erwies  sich  als  giftig.  B  r  i  e  g  e  r  und  B  o  e  r 

1)  Ouschinsky,  Arch.  m6d.  exp6r.  1893 ;  vgl.  dagegen  C.  F  r  ä  n  - 
kel,  Hyg.  Rundschau  1894.   769. 

2)  Guinochet,  Compt.  rend.  sog.  biol.   1892.   380. 

3)  Brieger  und  B  o  e  r  a.  a.  O. 

4)  a.  a.  O.  S.  43.  Um  welche  Spuren  es  sich  da  handelt,  ergibt  sich 
aus  folgender  Rechnung.  600  ccm  lOtägige  Diphtheriebouillon  enthielten 
120  000  für  Meerschweinchen  tödliche  Gift  dosen,  aber  nur  225  mg  trockene 
Bakteriensubstanz,  600  ccm  Ouschinskysche  Kultur  enthielten  bestenfalls 
400  Giftdosen  und  dementsprechend  vielleicht  kaum    1   mg  Bakterien. 

5)  Zentr.  Bakt.   19,   1896. 


830  Kap.  XVJ,    §  261. 

erzielten  dasselbe  Ergebnis,  wenn  sie  die  Bazillenleiber  mit  konzen- 
triertem Ammoniumchlorid    mehrere   Stunden   lang  schüttelten  oder 
20  Stunden  stehen  ließen.   In  größeren  Mengen  und  in  ziemlich  reinem 
Zustand,  d.  h.  ohne  gar  zu  erhebliche  Beimischung  von  Eiweißkörpem. 
läßt  sich  Gift  nach  Aronson^)  aus  den  Bazillen  gewinnen,  wenn 
man  sie  vorher  mit  Alkohol  usw.  entfettet  und  dann  im   Schüttel- 
apparat mit  0,1%  Äthylendiaminlösung  oder  ähnlichen  Basen  aus- 
zieht^).   Für  Tiere  sind  die  Bazillen  selbst  sehr  giftig,  wenn  sie  nicht 
entfettet  sind,  viel  weniger  im  umgekehrten  Falle,  weil  die  Bakterien- 
körper  dann  offenbar  für  die  tierischen  Säfte  schwer  angreifbar  ge- 
worden, „gehärtet'^  sind^).    Murillo^)  zeigt  schließlich,  daß  man 
durch  SelbstverdauungderBazillen  imter  Toluol  ( §  166) 
die  stärksten  Gifte  erhält.   Wenn  somit  sicher  ist,  daß  die  Diphtherie- 
bazillen  ihr  Gift  in  ihrem  Körper  bilden,  so  ist  es  ebenso  gewiß,  daß  sie 
es  in  beträchtlichen  Mengen  ausscheiden.   Es  hat  sich  aber  darüber  ein 
Streit  entsponnen,  ob  die  Bakterien  das  Gift  während  ihres  Lebens, 
also  als  „Sekret"  ausscheiden,  wie  sie  auch  Enzyme  absondern,  oder 
ob  das  Gift  erst  nach  dem  Tode  der  Bazillen  aus  den  Leibern  aus- 
gelaugt wird,  also  als  ,,Endotoxin"  anzusehen  ist.    G  a  m  a  1  e  i  &  ^) 
hat  die  letztere  Auffassung  damit  begründet,  daß  in  den  flüssigen 
Kulturen   der  Diphtheriebazillen  während  der  ersten  Tage  trotz  leb- 
hafter Vermehrung  nur  wenig  Gift  nachzuweisen  sei,  dasselbe  aber  in 
der  Kulturflüssigkeit  (bzw.   den  Filtraten  davon)  um  so  reichlicher 
auftrete,  je  älter  die  Kulturen  werden,  je  mehr  Bazillen  also  absterben 
und   von    der    alkalisch    gewordenen    Flüssigkeit   ausgelaugt   werden 
können.   Die  Tatsache  ist  im  allgemeinen  nicht  zu  bestreiten.   So  mtd 
der  Höhepunkt  der  Giftbildung  gewöhnlich  erst  nach  Wochen  erreicht. 
M  a  r  i  1 1  o  fand  allerdings  ein  erstes  Maximum  in  der  zweiten  Woche, 
dann  ein  Absinken  und  ein  zweites  Maximum  in  der  vierten  Woche. 
Wahrscheinlich  kommen  hier  große  Schwankungen  vor,  die  wohl  mit 
der   Wachstumsschnelligkeit  und   Autol}^ierbarkeit  der   Bazillen  zu- 
sammenhängen.   So  kann  nach  K  o  s  s  e  1   (a.  a.  0.)  die  Giftbildung 
unter  Umständen  auch  in  den  ersten  Tagen  der  Kultur  recht  beträcht- 
lich sein.  Möglicherweise  sterben  in  solchen  Fällen  die  Bazillen  schneller 
als  sonst  ab.    Daß  eine  gewisse,  je  nach  der  Spezies  wechselnde  Zahl  von 


1)  Arch.  f.  Kinderheilk.   30,   1900. 

2)  0,5  mg  der  daraus  durch  Essigsäure  gefällten   Substanz  töteten 
Meerschweinchen  von  250  g  in  2  Tagen. 

3)  So   erzeugton   z.   B.    10  mg  gehärtete  Bazillen  nur  ein  örtliches 
Infiltrat. 

4)  Zentr.   Bakt.   35,   1903. 

5)  I.es  poisons  bacteriennea.    Paris   1892. 


Gifte  der  Kleiiiwesen.  831 

Individuell  in  allen  Bakterienkulturen  schon  recht  früh  zum  Absterben 
klangt,  davon  kann  man  sich  leicht  überzeugen  (§  36).  Auf  der  anderen 
Seite  ist  es  freilich  auch  nicht  auszuschließen,  daß  die  Bazillen  schon 
während  des  Lebens  Gift  ausscheiden,  dann  muß  man  aber  mindestens 
zugeben,  daß  das  erst  in  einer  späteren  Periode  ihres 
Lebens,  die  man  vielleicht  am  besten  als  die  des  Absterbens 
bezeichnet,  geschieht.  Wir  werden  später  sehen,  daß  es  viele  Bakterien 
gibt,  bei  denen  man  mit  noch  größerem  Recht  als  bei  den  Diphtherie- 
Bazillen  annehmen  darf,  daß  ihr  Gift  erst  nach  ihrem  Tode  aus  den 
Leibern  frei  wird  (s.  namentlich  bei  den  Ruhrgiften  §  289).  Uns  scheint 
der  Unterschied  in  den  beiden  Auffassimgen  nicht  gerade  erheblich  zu 
sein.  Auch  bei  den  yerdauung8enz}inen  der  Mikroorganismen  (§  240) 
haben  wir  gesehen,  daß  eine  scharfe  Grenze  zwischen  den  „Ekto-'*  und 
„Endoenzjrmen^'  nicht  gezogen  werden  kann.  Immer  handelt  es  sich 
um  Produkte  des  Zellebens,  der  Unterschied  besteht  nur  darin,  daß 
diese  Produkte  das  eine  Mal  fester,  das  andere 
Mal  weniger  fest  den  Zellkörpern  anhaften  und 
darum  schwerer  oder  leichter  aus  ihnen  ausge- 
schieden werden  (vgl.  §  272). 

Neben  dem  bisher  besprochenen  „Ektotoxin"  oder  eigentlichen 
.Toxin",  gewöhnlich  als  Sekret  bezeichneten  Gift  scheint  der  Diph- 
theriebazillus noch  ein  anderes  zu  erzeugen.  Es  haftet  dem  Bakterien- 
körper fester  an,  ist  viel  weniger  kräftig  und  wird  durchdieSiede- 
hitze  nicht  zerstört.  Schon  bei  R  o  u  x  und  Y  e  r  s  i  n  finden 
wir  darüber  Andeutungen  (s.  o.).  B  r  i  e  g  e  r  und  B  o  e  r  fanden  weiter, 
daß  die  Bazillen,  wenn  ihnen  das  hitzempfindliche  Gift  durch  Ammo- 
niumchlorid entzogen  ist,  noch  nicht  für  Tiere  unschädlich  geworden 
sind.  10  mg  der  getrockneten  Bakteriensubstanz  töten  Meerschwein- 
chen von  500  g  allmählich  unter  Nekrotisierung  und  Eitening  an  der 
Impfstelle.  Wahrscheinlich  ist  damit  das  „Pyrotoxin",  das  C  e  n  - 
t  a  n  n  i  ^)  wie  aus  vielen  anderen,  so  auch  aus  den  Diphtheriebazillen 
durch  eingreifende  Behandlung  erhielt,  verwandt.  Das  von  B  r  i  e  g  e  r 
und  Boer  gewonnene  Präparat  war  allerdings  wohl  faäftiger  wirk- 
sam, weil  es  noch  Spuren  des  echten  Diphtheriegift«  enthielt.  Nach 
A  r  0  n  s  o  n  beteiligen  sich  übrigens  auch  nachträglich  eingewanderte 
iiemde  Bakterien  an  den  genannten  örtlichen  Erscheinungen.  Ob 
mit  diesem  in  den  Leibern  der  Diphtheriebazillen  steckenden  Gift  das 

1)  S.  u.  §  280.  Nach  E  s  c  h  e  r  i  c  h  (Ätiol.  und  Pathol.  d.  epidem. 
Diphth.  1894)  hat  schon  Schweig  höfer  nach  der  Buchner- 
Römer  sehen  Methode  ein  „ProtPin"  ans  den  Diphtheriebazillen  dar- 
gestellt, das  ähnliehe  Eigenschaften  hatte,  aber  (wegen  seiner  geringen 
Konzentration  ?)  keine  Nekrosen  hervorrief. 


832  Kap.  XVI,   §  261  u.  262. 

„Endotoxin"  Rists^),  das  er  durch  Behandeln  der  Ba2dllen  mit 
Äther,  Alkohol  und  Schwefeldämpfen  gewann,  und  das  die  spat  ent- 
stehenden und  durch  die  Heilserumtherapie  nicht  vermeidbaren  Lah- 
mungen bei  menschlicher  Diphtherie  —  aber  auch  im  Tierversuch  — 
verursachen  soll,  etwas  zu  tun  hat,  bleibt  vorläufig  zweifelhaft. 

Wie  sich  das  von  A  u  c  1  a  i  r  ^)  durch  Ätherausgezogene, 
in  Wasser  unlösliche  Gift  (vgl.  §  260),  das  auch  örtlich  reizende  Eigen- 
schaften entwickelt,  verhält,  ist  ebenfalls  noch  auszumachen. 

Beifant i. ^)  will  zwar  nichts  von  einem  besonderen  Endotoxiii 
wissen,  das  Vorhandensein  von  „Leibesgiften''  auch  der  Diphtherie- 
bazillen ist  aber  wohl  kaum  zu  bestreiten,  wenn  wir  auch  über  seine 
Bedeutung  für  die  Infektion  und  seine  etwaigen  Beziehungen 
zum  Antitoxin  des  Immunserums  noch  wenig  wissen.  Um  so 
besser  sind  wir  in  dieser  Hinsicht  unterrichtet  bei  dem  eigentlichen 
Diphtheriegift,  das  ja  neben  dem  Tetanusgift  das  erste  Gift  ist,  dessen 
imtnunisierende  Eigenschaften  man  durch  Behring  kennen  gelernt  hat 

Genaue  Untersuchungen  darüber,  die  wir  namentlich  Ehrlich 
verdanken,  haben  Tatsachen  ergeben,  die  für  einen  recht  verwickelten 
Bau  des  Giftes  sprechen.  Neben  dem  akut  wirkenden  Toxin  im  engeren 
Sinne  enthält  nämlich  jede  Diphtheriegiftlösung  noch  ein  T  o  x  o  n  , 
das  viel  langsamer  und  schwächer  wirkt  und  charakteristische  Läh- 
mungen verursacht^);  aus  beiden  entstehen  durch  allmähliche  Ver- 
änderung mehr  oder  weniger  unwirksame  T  o  x  o  i  d  e  (imd  Toxo- 
noide  ?).  Wir  müssen,  um  diese  Verhältnisse  zu  verstehen,  im  folgenden 
etwas  weiter  ausgreifen. 

§  262.  Bau  des  Diphtheriegifts.  Toxoidc.  Unsere  Kenntnisse 
von  dem  Bau  der  immunsierenden  Bakteriengifte  (Impfgifte  S.  792) 
sind  wesentlich  gegründet  auf  die  Arbeiten  Ehrlichs  über  das 
Diphtheriegift.  Sie  gingen  aus  von  den  älteren  Feststellungen  über  die 
Beziehungen  des  Giftes  zu  seinem  Antitoxin.  Seit  der  Entdeckung 
der  antitoxischen  Immunsera  durch  Behring  und  Kitasato 
(1890)  war  bekannt,  daß  das  Antitoxin,  wenn  es  mit  dem 
Gift  in  Berührung  gebracht  wird,  dessen  Wirkung  aufzuheben 
vermag.  Behring  hatte  dabei  bald  von  einer  Neutralisierung  des 
Giftes,  bald  von  einer  Zerstörung  durch  ein  Gegengift  gesprochen, 
erklärte  also  die  Wirkung  durch  unmittelbare  Beziehung  der  beiden 

1)  Öoc.  biol.   1903  (Baumgartens  Jahrb.   1903.  214). 

2)  Arch.  mM.  exper.   1903.  725. 

3)  Zentr.  Bakt.  47,   1908. 

4)Löffler,  Roux  und  Y  e  r  s  i  n  u.  a.  beobcichteten  schon 
solche  Lähmungen  bei  Diphtherie tieren  und  die  letzteren  stellten  ein  „Lah- 
mungÄgift"  a\is  den  Organen  und  dem  Harn  diphtheriekranker  Kinder  dar. 


Gifte  der  Kleinwesen.  833 

Arten  von  Stoffen  aufeinander,  ohne  die  chemische  Natur  der  Vor- 
gänge in  irgendeiner  Weise  festzulegen^).  Demgegenüber  vertraten 
Büchner^)  und  R  o  u  x  ^)  die  Auffassung,  daß  die  Antitoxine 
mittelbar  erst  durch  Beeinflussung  der  Abwehrkräfte  des  lebenden 
Körpers  wirkten.  Wir  kommen  auf  die  eigentümlichen  Beobachtimgen, 
auf  die  die  letzteren  Forscher  ihre  Ansicht  stützten,  später  zurück. 
Ihre  Einwände  haben  nicht  verhindern  können,  daß  die  erstere  Auf- 
fassung, und  zwar  in  der  von  Ehrlich  vertretenen  Form,  nach  der 
das  Gift  durch  das  Aintitoxin  chemisch  gebunden  wird,  immer  mehr 
durchgedrungen  ist.  Vor  allem  trug  dazu  bei  dienamentlichbei 
vorheriger  Vermischung  des  Gifts  mit  dem  Anti- 
toxin im  Reagensglas  deutlich  hervortretende  Tatsache,  daß, 
wenn  eine  bestimmte  Menge  a  des  Gifts  durch  die  Menge  b  des  Anti- 
toxins unschädlich  gemacht  wird,  das  gleiche  erfolgt,  sobald  man 
ein  Vielfaches  von  a  und  b,  z.  B.  xa  und  xb  nimmt.  Diese  Propor- 
tionalitat zwischen  Gift  und  Gegengift  oder  das  „Gesetz  der  Multipla" 
gilt  allerdings  beim  Diphtheriegift  nur  dann,  wenn  man  mindestens 
von  der  fünf-  bis  zehnfachen  tödlichen  Gabe  des  Giftes  als  Anfangs- 
gabe ausgeht.  Die  Erklärung  dafür  liegt  nach  Cobbetts  und 
Eanthacks  sehr  wahrscheinlicher  Deutung^)  daran,  daß  man  bei 
Absättigung  einer  kleinen  Gabe  (a)  z.  B.  der  einfach  tödlichen  mit 
Antitoxin  (ß)  Gefahr  läuft,  zu  wenig  vom  letzteren  zu  nehmen,  weil 

ein  gewisser  Teil  des  Giftes        schon  vom  normalen  Tier  anstandslos 

vertragen  wird,  also  nicht  vom  Immunserum  neutralisiert  zu  werden 

braucht.    Nimmt  man  jetzt  ein  Vielfaches  xa  der  tödlichen  Gabe  und 

xa 
x^  des  Antitoxins,  so  ist  die  Giftmenge        nicht  dadurch  neutralisiert, 

n 

der  Körper  kann  aber  nach  wie  vor  nur     -  unschädlich   machen,  es 

n 

bleiben  also  (x — 1). — des  Giftes  überschüssig,  das  Gesetz  der  Multipla 

stimmt  dann  also  scheinbar  nicht.  Ist  z.  B.  n  =  20,  was  vielleicht 
annähernd  der  Wirklichkeit  entspricht,  so  würde  der  Giftüberschuß 
schon   bei    einer    21  fachen    Menge    (x  =  21)    gleich    einer    tödlichen 

1)  Vgl.   Behring,   Infektion  und  Desinfektion,    1894. 

2)  Münch.  med.  Woch.  1893.  23/24;  Berl.  klin.  Woch.  1894.  4,  femer 
Schutzimpfung  usw.  Handbuch  der  speziellen  Therapie  von  Penzoldt- 
Stintzing  1894. 

3)  Annal.  Pasteur  1894.  624  und  722  (Bericht  vom  Budapester  Kon- 

4)  Zentr.  Bakt.  24.   129,   1898. 

Krnse,  Mikrobiologie.  53 


834  Kap.  XVI,    §  265?. 

Gabe  sein.    Wählt  man  dagegen  von  vornherein   eine   höhere  Menge 
des  Giftes  als  Ausgangspunkt,  so  spielt  die  Giftmenge  —  eine  viel  ge- 
ringere Rolle  und  kommt  nur  jenseits  der  üblichen  Grenzen  der  Ver- 
suche noch  in  Betracht.    In  jedem  Falle  ist  natürlich  bei  der  Neutra- 
lisierung des  Giftes  durch  das  Immimserum  darauf  zu  achten,  daß 
die  Giftwirkung  vollständig  aufgehoben  wird,  die  Einspritzung 
also  ohne  die  geiingsten  Folgen  für  das  Versuchstier,  oder  wie  man  zu 
sagen  pflegt,  „glatf  verläuft.  Das  Gesetz  der  Proportionalität  zwischen 
Gift  und  Gegengift  ist  im  allgemeinen  auch  sonst  bestätigt  und  damit 
bewiesen  worden,  daß  eine  unmittelbare  Reaktion  zwischen   beiden, 
die  nicht  der  Beteiligung  des  lebenden  Körpers  bedarf  und  ebensowenig 
etwa  eine  fermentative  Einwirlnmg  des  Antitoxins  auf  das  Gift,  son- 
dern eine  Verbindung  zwischen  beiden  anzimehmen  ist.    Am  beweis- 
kräftigsten sind  in  dieser  Beziehung  die  Versuche  mit  Rizin  (Ehr- 
lich^)),   Tetanolysin   (Ehrlich   §   312),    Aalblut   (Camus   und 
G 1  e  y,  K  o  s  s  e  1*)),  Froschblut  (Friedberger  und  S  e  e  1  i  g^)), 
anderen  Bakteriohämolysinen  (Kraus  u.  a.  §  312  u.  313)undLeukozidin 
(§  317),  weil  sie  erlauben,  die  Wirkung  des  Giftes  imd  Gegengiftes 
ganz  und  gar  im  Reagensglas  zu  studieren,  also  die  Beteiligung  des 
lebenden  Körpers  auszuschließen. 

Die  genaue  Verfolgung  des  Bindungsvorganges  zwischen  Tetano- 
lysin und  seinem  Antikörper  hat  Ehrlich*)  weiter  zu  dem  Schluß 
geführt,  daß  sich  dabei  ähnliche  Verhältnisse  ergeben,  wie  sie  die  Qiemie 
namentlich  von  der  Bindung  der  Doppelsalze  her  kennt.  Er  fand  näm- 
lich,  daß   die   Bindung  in   konzentrierten  Lösungen 
viel  schneller   vor  sich   geht   als  in   verdünnten, 
in  der  Wärme  schneller  als  in  der  Kälte.  Für  das  Tetanus- 
toxin  (Tetanospasmin)  und  andere  Bakteriengifte  hat  man  diesen  Ein- 
fluß bestätigen  und  teilweise  die  Verbindung  des  Toxins  mit  dem 
Antitoxin  durch  künstliche  Eingriffe  (Filtration,  Erhitzung,  Verdauung. 
HgOg  usw.)  lösen  können  (§278).   Beim  Diphtheriegift  sind  dergleichen 
Unterschiede  weniger  leicht  zu  erkennen,  weil  seine  Verwandt- 
schaft  zum    Antitoxin    enger    ist,    die  Bindung  durch- 
schnittlich schneller  erfolgt.   Doch  haben  manche  Erfahrungen  gelehrt, 
daß  auch  hier  die  Zeit  für  denvollständigen  Ver- 
lauf   der   Reaktion   von    Bedeutung    ist    (s.  u.  S.  840) 
und  daß  unter  Umständen  das  Gift  auch  aus  der  neutralen  Mischung 

1)  Fortschr.  d.  Medizin   1897.  2. 

2)  Berl.  klin.  Woch.    1898. 

3)  Zentr.  Bakt.  46,   1908. 

4)  Klin.   Jahrb.   6.   309,   1897. 


Gifte  der  Klein weeen.  835 

mit  seinem  Seium  wiedergewonnen  werden  kann  (§  278).  Bei  der 
gewöhnlichen  subkutanen  Einverleibung  der  Toxin- Antitoxinmischungen 
spielt  das   aber  keine  Rolle. 

Wichtiger  für  uns  sind  zunächst  die  verwickelten  Verhältnisse, 
die  Ehrlich^)  und  seine  Schüler  beim  näheren  Studium  des  Diph- 
thenegiftes  festgestellt  haben.  Ehrlich  fand,  daß  dasGiftVer- 
Änderungen  unterliegt  und  aus  verschiedenen 
Bestandteilen  besteht,  die  ungleiche  Wirkung 
auf  den  lebenden  Körper  und  ungleiche  Ver- 
wandtschaft zum  Antitoxin  besitzen  imd  gab  dafür 
Erklärungen,  die  auch  noch  sonst  in  der  Lehre  von  den  Giften  und 
der  Immunität  vielfache  Anwendung  gefunden  haben.  Den  Anlaß 
zu  seinen  Untersuchungen  bot  die  Aufgabe,  für  die  Wirksamkeit  des 
Diphtherieserums  in  der  praktischen  Medizin  auch  im  Laboratorium 
einen  brauchbaren  Maßstab  zu  finden.  Dabei  ergab  sich  zimächst  die 
Schwierigkeit,  daß  es  unmöglich  war,  ein  Diphtheriegift  von  imver- 
änderlicher  Wirkung  zu  bekommen.  Die  verschiedenen  Konservierungs- 
verfahren hindern  nicht,  daß  die  Giftigkeit  der  Diphtheriebouillon 
sich  mit  der  Zeit  bald  schneller,  bald  langsamer,  manchmal  in  fast 
launischer  Weise  abschwächt.  Glücklicherweise  verhält  es  sich  um- 
gekehrt mit  dem  Gegengift:  das  Immunserum  kann  im  trockenen 
Zustand  und  im  luftleeren  Baum  ohne  Einbuße  seiner  Wirksamkeit 
unbeschränkt  lange  aufbewahrt  werden,  es  eignet  sich  also  hervor- 
ragend als  fester  Maßstab.  Am  besten  geht  man  dabei  von  dem  sog. 
Normalserum  Behrings  aus,  das  in  einer  Menge  von  0,1  ccm 
das  Zehnfache  der  einfach  tödlichen  Gabe  eines  ursprünglich  benutzten 
Diphtheriegifts  neutralisiert,  in  1  ccm  also  soviel  Antitoxin  ent- 
hält, um  100  tödliche  Gaben  unschädlich  zu  machen.  Man  nennt  diese 
letztere  Antitoxinmenge  auch  eine  Immunitätseinheit  (IE). 
Als  einfach  tödliche  Gabe  oder  auch  Gifteinheit  (DL^))  wird  diejenige 
Menge  eines  zu  prüfenden  Giftes  bezeichnet,  die,  Meerschweinchen 
von  250  g  unter  die  Haut  des  Bauches  eingespritzt^),  binnen  durch- 
schnittlich 4  Tagen*)  tötet.    Ihre  absolute  Größe  schwankt  bei  den 

1)  Die  Wertbemeesung  des  Diphtherieheilserumä.  Klin.  Jahrb.  6, 
1897;  Deutsch,  med.  Woeh.  1898.  38;  Berl.  khn.  Woch.  1903.  35—37 
(vgl,  auch  aeine  „Gesammelten  Arbeiten  zur  Immunitätsforschung**  1904). 

2)  Dosis  letalis. 

3)  Stets  wird  der  Gleichmäßigkeit  halber  bei  allen  diesen  Versuchen 
die  Flüssigkeitsmenge  von  4  ccm  und  eine  etwfius  stumpfe  Kanüle  gewählt, 
die  in  der  Gegend  des  Proc.  xiphoides  in  der  Längsrichtung  zwischen  Haut 
und  Muskeln  eingeschoben  wird. 

4)  Die  verschiedene  Empfänglichkeit  der  Tiere  bedingt  Schwan- 
kungen von  einigen  Tagen  (s.  u.  die  Tafeln  in   §  264). 

53* 


836  I^p.  XVI,   §  262. 

einzelnen  Giften  erheblich,  ebenso  die  Zahl  der  tödlichen  Gaben,  die 
von  einer  Inxnmnitatseinheit  neutralisiert  wird.  Um  das  betreffende 
Diphtheriegift  genauer  zu  charakterisieren,  empfiehlt  es  sich  nach 
Ehrlich  außer  DL  noch  folgende  „Grenzwerte"  festzustellen: 

1.  Lq^),  d.  h.  die  Giftmenge,  die  von  einer  Inununitätseinheit  so 
vollständig  neutralisiert  wird,  daß  die  Mischung^)  bei  Meerschweinchen 
nicht  die  geringsten  Veränderungen  hervorruft,  sie  kann  auch  aus- 
gedrückt werden  durch  die  Zahl  a  der  einfach  tödlichen   Gaben: 

Lo=  a .  DL. 

2.  L_|.^),  d.  h.  die  Giftmenge,  die  mit  einer  Immimitätseinheit 
vermischt,  gerade  noch  die  Meerschweinchen  binnen  4  Tagen  tötet. 

Man  könnte  denken,  daß  L^  eine  tödliche  Gabe  mehr  enthielt 
als  Lq,  d.  h.  daß  L  _^  =  «DL  +  DL .  In  Wirklichkeit  ist  das  aber 
nicht  oder  wenigstens  nur  ausnahmsweise  der  Fall  (s.  Tafel  A).  Viel- 
mehr muß  man  ß+  l  tödliche  Gaben  zu  Lq  hinzufügen,  um  zu  L_ 
zu  gelangen,  es  ist  also 

L+=(a+i9+l)DL. 

Wir  werden  später  die  Erklärung  dafür  erhalten. 

Die  folgende  Tafel  A  (S.  837)  gibt  eine  Anzahl*)  solcher  Gift- 
bestimmungen nach  Ehrlich,  Madsen^),  Dreyer,  Mad- 
s  e  n  •)  und  Morgenroth'')  wieder.  Sie  zeigt  zunächst  die  starke 
Veränderlichkeit  von  DL,  Lq,  L_j.,  a  und  ß.  Es  erhellt  aus  einigen  dieser 
Zahlen  (Nr.  4,  12,  14,  15)  weiter  die  Tatsache,  daß  eine  und  die- 
selbe Di  ph  t  h  e  r  i  e  gif  t  lö  s  un  g  im  Laufe  der  Zeit 
sehr  erheblich  an  Giftigkeit  einbüßt,  dabei  aber 
ihr  B  i  n  du  ngs  ve  r  m  ö  ge  n  für  das  Diphtherieanti- 
toxin, das  sich  in  der  absoluten  Größe  für  Lq  und 
L4.  ausdrückt,  nicht  zu  verändern  braucht.  (Auf 
die  Ausnahmen  davon,  die  in  der  Tafel  auch  zu  finden  sind,  kommen 
wir  später  zurück.)  Ehrlich  hatte  ähnliches  schon  beim  Tetanus- 
gift beobachtet  und  daraus  auf  die  Entstehung  von  ungiftigen,  aber 
doch   noch   bindefähigen   ,,Toxoiden"   aus   den   Toxinen   geschlossen. 


1)  =  Limes  O. 

2)  Man  läßt  die  Mischung  zweckmäßig  etwa  ^/^  Stunde  bei  Zimmer- 
temperatur stehen. 

3)  =  Limes  Tod  (  +). 

4)  Die  späteren  Giftbestimmungen  M  a  d  s  e  n  s  (Zentr.  Bakt.  34,  36 
und  37)  werden  hier  nicht  aufgeführt  (vgl.  weiter  unten  §  276). 

5)  Annal.  Pasteur  1899.  801. 

6)  Zeitsehr.  f.  Hyg.   37.  250,   1901. 

7)  Ebenda  48,   1904. 


Gifte  der  Kleinwesen. 


837 


Tafel  AI). 


DL 

• 

L„ 

• 

1 

\a+ß+l 

a 

1 

ß+l 

m  ccm 

m  ccm 

m  ccm 

1 

1. 

|0,07 

2,8 

2,3 

40 

33 

7 

2. 

;o,o3 

1,25 

0,95 

42 

32 

10 

3. 

,  0,0125 

0,48 

0,415 

39 

33,2 

5,8 

4s. 

0,003 

0,305 

100 

4b. 

0,009 

0,355 

0,305 

39,4 

33,4 

6 

5. 

0,02 

1,15 

0,95 

57,5 

47,5 

10 

6. 

0,027 

3,05 

2.6 

113 

96 

17 

7a. 

1 

0,008 

7b. 

0,0165 

1       1,26 

0,9 

76,3 

54,4 

;      22 

8. 

0,014 

0,59 

0,5 

42 

35,7 

6,3 

9. 

1 

0,0039 

0,48 

0,42 

123 

108 

15 

10.    1 

0,001 

0,0292 

0,0275 

29,2 

27,5 

1.7 

11. 

0,075  (mg) 

0,0084 

0,0063  (mg) 

1     112 

84 

28 

12a. 

0,0025 

0,25 

0,125 

100 

50 

i      50 

12b. 

0,003 

!      0,26 

0,125 

'      87 

42 

45 

r2c. 

0,003 

0,26 

0,210 

87 

70 

:      17 

12d. 

0,004 

0,26 

0,210 

,      65 

52 

13 

1 

13. 

0,04 

3.2 

2,6 

80 

65 

15 

14a. 

1 

0,042 

2,6 

3 

62 

V 

■ 

1         » 

• 
1 

14b. 

0,084 

2,6 

2,1 

31 

25 

:    6 

i 

14c. 

0,126 

3,1 

2.1 

24,6 

16,6 

;      8 

14d. 

0,15 

3,1 

2,1 

'      21 

14 

7 

15a. 

0,006 

0,82        1 

0,6 

136,7 

100 

36,7 

15b. 

0,009 

0,82 

0,6 

91 

66 

25 

16. 

0,0033 

• 

0,44 

•                         i 

133 

• 

17. 

0,0076 

0,76     ; 

0,6 

100      ' 

79 

21 

18a. 

0,0015 

0,2 

0,05 

133      1 

33 

100 

18b. 

0,0027 

0,2 

0,05 

74    ; 

18,5 

55,5 

19.    1 

0,011 

0,78        i 

0,6 

70      ! 

55 

15 

1)  Nr.  1 — 12  nach  Ehrlich.  Nr.  11  trocken  konserviertes  Gift 
(Behring).  Die  Buchstaben  a,  b,  c,  d  hinter  den  Zahlen  bedeuten 
dasselbe  Gift  zu  2—4  verschiedenen  Zeiten.  Nr.  13—16  nach  M  a  d  s  e  n. 
^r.  17  nach  Dreyer  und  Madsen  a.  a.  O.  Nr.  18  nach  Dreyer 
und  Madsen  Festschrift  des  Serimiinstituts  Kopenhagen  1902;  vgl. 
Madsen  Zentr.  Bakt.  34.  7,  1903  und  Ehrlich  (1903).  Nr.  19  nach 
Morgenroth  a.  a.  O.  und  von  Dungern  Deutsch,  med.  Woch. 
1904.  8. 


838  Kap.  XVI,   §  292  u.  263. 

Nach  ihm  kann  man  sich  das  Giftmolekül  ursprünglich 
bestehend  denken  aus  einem  Kern,  an  dem  eine 
giftige  (toxophore)  und  eine  bindende  (hapto- 
phore)  Atomgruppe  befestigt  sind.  Durch  die  letz- 
tere vereinige  es  sich  mit  einer  entsprechenden  Bindegruppe  des  Anti- 
toxinmoleküls. Das  Stehen  des  Giftes  im  Brutschrank  oder  das  Lagern 
im  Eisschrank  zerstöre  die  giftige  Gruppe  teilweise,  während  die  bin- 
dende übrigbleibe.  Stärkere  Schädlichkeiten,  wie  Temperaturen 
von  60  bis  100^,  Jodtrichlorid,  Jodlösung  u.  a.  m.  vernichten  gewöhn- 
lich nicht  nur  die  toxophore  Gruppe  vollständig,  so  daß  ganz  ungiftige 
Lösungen  entstehen,  sondern  auch  einen  Teil  der  bindenden  Gruppen. 
Gerade  diese  giftfreien,  aber  doch  noch  bindefähigen  Lösungen  sind 
es  aber  auch,  die  die  Immunisierung  —  wenigstens  kleiner  Tiere^)  — 
gegen  Diphtherie,  Tetanus  usw.  ermöglichen.  Der  Gedanke,  daß  die 
bindenden  Gruppen  auch  die  immunisierenden 
seien,  liegt  also  nicht  fem.  In  der  Tat  zieht  Ehrlich  diesen 
Schluß  imd  geht  noch  weiter,  indem  er  auch  die  giftbindenden  Gruppen 
in  den  lebenden  Tierzellen  mit  denen  der  Antitoxine  identifiziert.  Wir 
werden  auf  diese  Ehrlich  sehen  „Seitenkettentheorie*^  später 
(§  279)  zurückzukonmien  haben,  hier  geht  sie  uns  nicht  weiter  an, 
da  es  ims  nur  auf  die  Beziehungen  des  Diphtheriegiftes  zu  seinen 
Antitoxinen  und  die  daraus  für  seinen  Bau  zu  ziehenden  Schlüsse 
ankommt. 

§  263.  Diphtherie-Toxone.  Außer  den  ungiftigen  Toxoiden. 
deren  Auftreten  hauptsächlich  die  Abschwächung  des  Diphtherie- 
giftes erklärt,  finden  sich  neben  den  vollgiftigen  Toxinen  in  der  Gift- 
bouillon von  Anfang  an  noch  die  schwächer  und  in  anderer  Weise 
giftigen  T  o  x  o  n  e  2) ,  die  dadurch  nachweisbar  werden,  daß  die  Er- 
scheinungen, die  sie  am  Tier  hervorrufen,  anderer  Art  sind  als  die  der 
echten  Toxine  und  daß  ihreVerwandtschaftzudenAnti- 
toxinen  —  die  „Avidität"  ihrer  haptophoren  Gruppe  —  eine 
geringere  ist  als  die  der  Toxine  und  Toxoide.  Die 
Tatsachen,  die  er  bei  Ermittelung  der  L  4.- Gabe  des  Diphtheiiegiftes 
beobachtete,  haben  Ehrlich  zur  Aufstellung  der  Toxone  geführt. 
Man  erhält,  wie  wir  oben  gesehen,  die  L^-Gabe,  indem  man  zu  einer 
Immunitätseinheit  Diphtherieserum  zunächst  soviel  Diphtheriegift 
zusetzt,  wie  durch  das  Serum  noch  vollständig  neutralisiert  werden 
kann,  es  ist  das  Lq,  oder  um  ein  Beispiel  Madsens  zu  wählen*), 

1)  Große  Tiere,   wie  z.  B.   Pferde,  können  auch  mit  starkem  Gift* 
allein  immunisiert  werden. 

2)  Vgl.  auch  Anm.  4  auf  S.  832. 

3)  In  unserer  Tafel  Nr.  13. 


Gifte  der  KleinweHen.  839 

2,6  ccm  einer  Diphtheriebouillon,  die  in  einer  Menge  von  0,04  Meer- 
schweinclien  von  250  g  in  4  Tagen  tötet.    2,6  ccm  enthalten  danach 
65  einfach  tödliche  Gaben.   Jetzt  steigert  man  die  Giftmenge,  die  man 
zu  der  Immunitätseinheit  zusetzt,  allmählich  auf  2,7,  2,8,  2,9  usw. 
bis  3,3,  indem  man  die  betreffenden  Serumgiftmischungen  immer  frisch 
anfertigt   und  gleichzeitig  einer  Anzahl  von  250  g  schweren  Meer- 
schweinchen einspritzt.    Die  Tafel  bei  M  a  d  s  e  n  lehrt  uns,  daß  die 
Tiere,  die  bei  einer  Gabe  von  2,6  ccm  noch  keine  Krankheitserschei- 
nungen hatten,  auch  wenn  sie  0,4  ccm,  d.  h.  das  Zehnfache  der  einfach 
tödUchen  Gabe  zu  Lq  zubekommen  haben,  der  Regel  nach  nicht  schnell 
zu  sterben  pflegen,  sondern  zueist  nur  leichte  Störungen,  vorüber- 
gehende   Schwellung    an    der    Impfstelle    aufweisen, 
dann  zwar  sterben,  aber  erst  nach  mehreren  Wochen,  und  ohne  daß 
sie  andere  Veränderungen  als  Lähmungen  zeigten.    Ganz  anders 
verhalten  sich  Meerschweinchen,  denen  man  Bruchteile,  z.  B.  V2 — V4 
einer  einfachen  tödlichen  Gabe  allein  beibringt :  sie  bekommen  aus- 
gedehnte Verhärtungen,  die  Haut  stirbt  darüber 
ab,  die  Haare   fallen  in  weitem  Umfange  aus,  und 
sie  sterben  früher   oder  später   doch  noch   unter 
starker  Abmagerung,  aber  gewöhnlich  ohne  Läh- 
mungen.  Erst  wenn  man  näher  an  die  tödUche  Gabe  herankommt, 
werden  Lähmungen  häufiger^).    Man  darf  daher  annehmen,  daß  in 
dem  genannten  Beispiel  der  Zusatz  von  0,4  ccm  Bouillon  zu  dem  glatt 
neutralisierten   Toxin- Antitoxingemisch    (Lq  +  1  IE)    —  kein   eigent- 
liches Gift  aus  seiner  Bindimg  mit  dem  Antitoxin  freigemacht  hat, 
sondern   ein    andersartiges   schwächeres    Gift,    das    Ehrlich   jetzt 
Toxon  nennt  imd  früher  Epitoxoid  genannt  hat,  um  damit  auszudrücken, 
daß  es  von  dem  Antitoxin  erst  nach  dem  Toxin  und  den  Toxoiden 
gebimden  wird,  also  eine  geringere  Verwandtschaft  zu  ihm  haben  muß. 
Erst  wenn  wir  uns  der  Grenze  L.,.  nähern,  in  unserem  Beispiel  bei 
Zugabe  von  3,1  ccm  Gift  zu  der  Immunitätseinheit,  tritt  bei  den  meisten 
Tieren  die  echte  Giftwirkung  hervor,  sie  sterben  aber  durchschnittlich 
erst  erheblich  später  als  bei    der   akuten   Vergiftung    (4    Tage),  die 
ihrerseits   erst   dann   möglich   ist,   wenn   neben    den   Toxonen    noch 
eine  einfach   tödliche  Giftgabe  keine  Verbindtmg  mit  dem  Antitoxin 
T^ttehr  findet,  d.  h.  bei  Giftmengen  von  3,2  ccm. 

Während  die  Toxoide  bisher  noch  nicht  von  den  Toxinen  getrennt 
aind,  scheint  das  bei  den  Toxonen  manchmal  zu  gelingen.  C  a  1  c  a  r  *) 
ging  zu  dem  Zwecke  so  vor,  daß  er  eine  Diphtheriegiftbouillon  zimächst 

1)  Vgl.   darüber  besonders  Morgenroth,   Zeitschr.  f.   Hyg.   48, 
'l  1904. 

2)  Berl.  klin.  Woch.   1904.  :\9, 


840  Kap.  XVI,    §  263  u.   264. 

auf  dem  gewöhnlichen  Wege  durch  Dialyse  möglichst  von  Salzen  j 
Peptonen  usw.  reinigte,  dann  die  Dialyse  wiederholte  mit  einer  Mem^ 
bran,  deren  Spannung  er  künstlich  verstärkt  hatte.  Jetzt  ging  auelj 
das  Toxin  hindurch,  und  er  erhielt  schließlich  eine  Lösung,  die  frej 
war  von  echtem  Toxin,  aber  noch  Toxonwirkung  zeigte.  Erst  wenij 
die  Spannimg  der  Membran  noch  weiter  verstärkt  wurde,  dialysiert^ 
auch  das  Toxon,  während  nur  das  Eiweiß  zurückblieb.  Der  Ver8uch| 
würde  also,  wenn  sein  Ergebnis  sich  bestätigte^),  lehren,  daß  d  a  s| 
Molekül  des  Toxins  größer  ist  als  das  des  Peptons, 
aber  kleiner  als  das  des  Toxons,  und  daß  das  Toxon  - 
molekül  kleiner  ist  als   das  Eiweißmolekül. 

Alle  Erfahrungen,   die  über  die  Absättigung  von  Diphtheriegift 
durch  antitoxische   Sera  vorliegen,  sprechen  dafür,   daß  das  Toxon 
zwar  eine  geringe  Verwandtschaft  zum  Antitoxin  hat,  aber  doch  die 
gleichen  bindenden  Gruppen  besitzt.    So  ist  es  denn  auch  im  Sinne 
der  Ehrlich  sehen  Seitenkettentheorie  (s.  o.  S.  838)  nicht  verwunder- 
lich,  daß  Mischungen  von  Diphtheriegift  und   Serum,  die  so  abge- 
sättigt sind,  daß  sie  nur  freie  Toxone  enthalten  —  also  in  dem  Gebiet 
zwischen  Lq  und  L_,_  — ,  Tiere  auch  gegen  das  echte  Toxin  immuni- 
sieren.   M  a  d  s  e  n  und  D  r  e  y  e  r  ^)  haben  derartige  Versuche  mit 
Erfolg  an  Kaninchen,  Ziegen  imd  Pferden  angestellt.    Bei  Kaninchen 
schien  sich  dabei  die  auffällige  Tatsache  zu  ergeben,  daß  Gift-Anti- 
toxinmischimgen,    die    für    Meerschweinchen    ganz    ungiftig 
waren,  z.  B.  Lq,  Kaninchen  noch  unter  den  Erscheinungen  der 
Toxonvergiftung  töteten,   und  solche,   die  bei  Meerschweinchen  wie 
Toxone    wirkten,    Kaninchen    durch   echte    Toxinvergiftung   töteten. 
Morgenroth  ^)  führt  in  einer  methodologisch  sehr  interessanten 
Arbeit  diese  Ergebnisse  darauf  zurück,  daß  M  a  d  s  e  n  und  D  r  e  y  e  r 
die  Kaninchen  ins  Blut,  die  Meerschweinchen  imter  der  Haut  impften, 
und  die  Toxin- Antitoxinmischungen  unmittelbar  nach  ihrer 
Herstellung    einspritzten.     Der    Unterschied    schwindet,    wenn 
man  beide  Tierarten  vom  Blut*)  aus  oder  auch  beide  von  der  Haut 
aus  behandelt,  oder  wenn  man  die  Mischimg  des  Serums  mit  dem  Gift 
genügend  lange  Zeit  —  1  Stunde  bei  40®  und  24  Stunden  bei  20°  — 
stehen   läßt,   ehe   man  sie   den   Tieren  einverleibt.     Soviel  Zeit 
brauchtnämlichdasGift,umsichmitdemGegen- 
gift  dauerhaft  zu  vereinigen.    Allerdings  macht  sich  die 

1)  Nach  Römer  (ebenda  1905,  8)  wäre  das  nicht  der  Fall. 

2)  Zeitechr.  f.  Hyg.   37,   1901. 

3)  Berl.  klin.  Woch.   1904.  20  und  Zeitschr.  f.  Hyg.  48,   1904. 

4)  Die  Einspritzung  des  Giftes  ins  Blut  gehngt  bei  Meerschweinchen 
am  besten  durch  Einstich  in  das  Herz. 


Gifte  der  Kleinweeen. 


841 


Notwendigkeit  nicht  bemerkbar,  wenn  man  die  Mischimgen,  wie  es 
gewöhnlich  geschieht,  unter  die  Haut  einbringt.  Daher  hatte  Ehr- 
lich früher  geglaubt,  die  Bindung  mit  dem  Antitoxin  erfolge  sehr 
schnell.  Vielleicht  übt  aber  das  Unterhautgewebe  nur  einen  beschleu- 
nigenden (katalytischen)  Einfluß  auf  die  Reaktion  gewisser  Gifte 
und  Gegengifte  aus  (§  278).  Auch  insofern  beeinflußt  dieser  Weg  der 
Einverleibung  den  Ausfall  der  Tierversuche  mit  Diphtheriegift,  als 
die  Unterhaut  einen  beträchtlichen  Teil  des  freien  Gif- 
tes festhält  und  nur  den  kleineren  Teil  in  die  Säfte- 
masse übergehen  läßt.  So  kommt  es,  daß  bei  Einspritzung  unter 
die  Haut  fast  dreimal  größere  Gaben  Gift  nötig  sind,  um  den  Tod  an 
allgemeiner  Vergiftung  zu  bewirken,  als  bei  Einspritzung  ins  Blut^). 

§  264.  Giftspektren.  Proto-,  Deutero-,  Tritotoxine  und 
-Toxoide.  Wir  kommen  jetzt  zu  einem  weiteren,  von  Ehrlich  an- 
gewandten Verfahren,  das  die  verwickelte  Zusammensetzung  der  Diph- 
theriegiftlösungen noch  genauer  aufzuklären  gestattet,  als  es  bei  der 
Bestimmung  des  Lq  und  L_j.- Wertes  möglich  ist,  der  teil  weisen 
Absättigung  der' Gifte  mit  Antitoxin.  Man  geht  dabei 
von  der  L^-Gabe  aus,  vermindert  schrittweise  die  Zugabe  von  Immun- 
serum  um  Bruchteile  der  Immunitätseinheit  und  stellt  dann  fest, 
wieviel  tödliche  Gaben  in  dem  betreffenden,  unvollkommen  neutrali- 
sierten Gemische  vorhanden  sind.  So  fand  z.  B.  Ehrlich^)  bei 
einem  Gift,  bei  dem  Lq=  84  tödlichen  Gaben  war: 


176 
1.    Lo+-2^IE 


150 

3.  Lo+^^IE=    7 
100 

50 
''   ^0+200^  =  ^2 


=  nur  Toxonwirkung, 
also  noch  keine 
tödliche  Gabe  in 
Freiheit 

=     3    tötliche    Gaben 


Unterschied    3  DL, 


>> 


}> 


>) 


>j 


"    \ 


>> 


>) 


9> 


n 


>> 


j> 


>> 


16 


39 


22 


>> 


>> 


>> 


99 


1)  Noch  viel  größere  Unterschiede  erhält  man,  wenn  man  Dysentorie- 
gift  bei  Affen  unter  die  Haut  bzw.  ins  Blut  einführt  (§  289). 

2)  Deutsch,  med.  Woch.    1898.  38  CJift  Nr,  II. 


842  ICap.  XVI.   §  264. 

Man  kann  diese  Ergebnisse  in  ein  Koordinatensystem  eintraget 
dessen  Abszissen  die  Zahl  der  zugefügten  Bruchteile  der  Inununitätaeinhei 
(z.  B.  in  Zweihundertsteln)  angeben  luid  dessen  Ordinaten  die  Giftmenge  (i 
Bruchteilen  einer  tödlichen  Gabe)  darstellen,  die  bei  Weglassung  eine 
Bruchteils  der  Immunitätseinheit  frei  wird.  Wenn  man  die  von  diese 
Ordinaten  eingenommene  Fläche  ausfüllt,  erhält  man  die  Geaamtmeni; 
der  in  Lo  enthaltenen  tödlichen  Gaben.  Dasselbe  Schema  dient  abe 
auch  dazu,  die  neben  dem  eigentlichen  Toxin  in  der  Giftmenge  Lq  ent 
haltenen  Toxoide  und  Toxone  darzustellen,  wenn  man  die  Ordinaten  über 
all  bis  zu  der  Höhe  DL  verlängert:  der  nicht  ausgefüllte  Teil  der  dadurd 
geschaffenen  Fläche  entspricht  den  Toxonen  luid  Toxoiden,  die  ganz« 
Fläche  der  Summe  der  bindenden  Elemente,  die  in  der  Giftmenge  L«  ent 
halten  sind.  Die  Menge  dieser  Elemente,  die  von  einem  zweihundertst«» 
Teil  der  Immunitätseinheit  gesättigt  wird,  •  nennt  Ehrlich  ein< 
Bindungseinheit;  der  Lo-Wert  umfaßt  elao  200  solcher  Ein 
heiten.  Die  Wahl  dieser  Zahl  hat  darin  ihre  Begründung,  daß  in 
manchen  Giften,  wie  z.  B.  den  vorliegenden,  wenigstens  streckenweist! 
die  Bindungseinheit  mit  der  Gifteinheit  (der  einfach  tödlichen  Gabe) 
zusammenfällt. 

In  dem  vorliegenden  Beispiel  würde  dieses  „Giftspektrum *' 

nach  Ehrlich  folgendes  Ansehen  haben.     Auf  der   Strecke  200 — 176 

der  Abszissenachse  werden  die  Ordinaten  gleich  0  sein,  weil  durch  Fort- 

24 
lassung  von    ---  IE  kein  eigentliches  Gift  frei  wird,  es  ist  das  die  Strecke 

der  Toxone.     Von  176 — 160  werden  3  DL  frei,  bei  gleichmäßiger  Vert<»i- 

3 

lung  ergäbe  das  —    =  etwa  V»  I^L  ^ür  jöde  wegfallende  Bindiuigaeinlieit. 

Die  Ordinaten  bleiben  dieselben  auf  der  Strecke  1  öO — 116,  denn  es  kommen  \if  r 

4 
töd  liehe  Gaben  zu  den  drei  schon  vorhandenen  hinzu,  wir  haben  also  -rz  =  et  wa 

o5 

Vs  DL  auf  jede  Bindungseinheit.     Auf  der  Strecke  115 — 100  gehen  plötz- 
lich die  Ordinaten  werte  stark  in  die  Höhe:  es  werden  für  15  wegfallende 

16 
Bindimgseinheiten  16  DL,  also  für  jedes  Bruchteil  -—  =  etwa    1,  d.  h.  flüüo 

lo 

eine  ganze  tödliche  Gabe  (s.  o.)  frei.  Auf  der  Strecke  100 — 50  werden  ^-eitert' 

39 
39  DL  frei,    das  würde    im  Durchschnitt    für  jede  Bindungseinheit   - 

4 
=  etwa    -r-  DL    bedeuten.       Die    Verteilung    könnte    in    Wirklichkeit, 

wie  wir  gleich  sehen  werden,  aber  eine  etwas  andere,  ungleichmäßige  sein. 

Von  50 — 0  werden  weitere  22  DL  entbunden,  das  ergäbe  für  jede  Bindungs- 

22 
einheit  also  —77  DL.     Um  scharfe  Grenzen  zwischen  den  einzelnen  Teilen 

50 

des  Spektrums  und  nicht  zu  viele  Veränderungen  der  Giftaffinität  zu  be- 
kommen, hat  Ehrlich  angenonunen,  daß  sich  die  Giftmengen  auf  der 
Strecke  100 — 50  in  anderer  Weise  verteilen:  von  100 — 72  sollen  28  DL 
und  von  72 — 60  11  DL  frei  werden.  Dadurch  würde  die  Giftverteilunß 
zwischen  100 — 72  der  vorhergehenden  (115 — 100)  und  die  zwischen  72— 5<> 
der    folgenden    (50 — 0)    entsprechen.      Es    würde    das    voraussetzen,  daü. 


Gifte  der  Kleinweeen.  843 

wenn   man    den    Sättigungspunkt    L,  +  ^vrr  IE  geprüft  hätte,  man  dort 

51  DL  in  Freiheit  gefunden  hätte.     So  erhält  man,  vom  Toxon 
abgesehen,  eindrelteiligee  Giftspektrum  (Fig.  1). 

Bei  der  Untersuchung  anderer  Gifte  geben  Ehrlich  und  M  a  d  - 
s  e  n  an,  ähnliche  Verliältniase  gefunden  zu  haben.  Leider  sind  nur  sehr 
wenige  dieser  Versuclie  so  ausführlich  mitf^teilt,  daß  man  sich  ein  ge- 
naues Bild  davon  machen  kann.  Derartige  Giftprüfungen 
Mnd  auOerordentlich  mühsam,  sie  erfordern  sehr 
viele  Tiere  und  lassen  dennoch  der  Willkürdea  Be- 


d 

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sin 

d'). 

Fig.  l. 

lehrendes  Beispiel  dafür  geben  wir  hier  den  ausführlichsten  Versuch,  der 
bisher  veröffentlicht  worden  ist,  wieder.  Es  handelt  sich  um  dos  (.Üft  14  c 
unserer  Tafel  A  {S.  837).  Nachdem  M  a  d  s  e  n  die  einfach  tödliche  Gabe 
DL  dieses  Giftes  durch  24  Versuche  an  Meerschweinchen  von  250  g  auf 
0.126  ccm  und  durch  weitere  22  Versuche  die  Wert«  L,  auf  2,1  =  16.6  DL. 
h+  auf  3,1  =  24,6  DL  festgestellt  hatte,  suchte  er  mit  Hilfe  von 
S4  Heersch weinchen  (Taf.  B)  die  Zusammensetzung  des  Giftes  zu 
iTmitteln. 

1)  Vgl.  darüber  namentlich  die  späteren  Arbeiten  von  Madsen, 
■^  r  r  h  e  n  i  u  s  und  Madsen  (Zentr.  Bakt.  34,  36  und  37)  und  M  o  r  - 
ge  n  r  o  t  h  (Zeitachr.  f.  Hyg.  48).  Die  erateren  Forscher  wiirden,  wie  wir 
später  sehen  werden  ( §  276),  durch  ihre  neuen  Giftanalysen  zu  einer  ganz 
anderen  Auffassung,  insbesondere  zur  l*ugnung  der  Prototoxoide  und 
Toxone  geführt.  Um  die  Zufälligkeiten,  die  sich  aus  der  ungleichen  Wider- 
standsfähigkeit der  Tiere  gegen  die  Vergiftung  ergaben,  auszuschalten, 
benutzten  sie  schließlich  die  Gewichtsverminderung  der  Tiere 
als  Maßstab  der  Giftwirkung.  Mit  welchem  Recht,  bleibt  dahingestellt. 
N'ach  C  r  a  w  und  Dean  ( Journ.  of  hyg.  1907.  512  und  589)  wären  15  Vo 
der  Meerschweinchen  unempfänglich  gegen  Diph- 
theriegift. Innerhalb  gewisser  Grenzen  gelte  die  Regel ;  Letale  Gabe 
>i  letale  Zeit  =  Konstone.  Die  Gewichtskurven  seien  nur  zu  gebrauchen, 
wnn  man  von  dem  Gewicht  nach  24  Stunden  ausgehe,  weil  am  I.  Tage 
noch  Gewichtezunahme  erfolge.  Die  Verfasser  bestätigen  die  Schlussii 
von  ArrheniuB  und  Madsen  nicht. 


844 


Kap.  XVI.    §  264. 


T 

afel    B. 

2,1  ccm  Gift 
abgesättigt 

durch  „^  -  IE 

Die  vorstehen- 
de Mischung 
wird  geteilt  in 
yTeile  u.  diese 

Ergebnis 

der  Einspritzung  in 

Meerschweinchen 

Bemerlningen 

200 

eingespritzt 

von  250  g 

! 

X 

y 

166 

1 

t  an  Lähmung 

Toxongrenzt'!: 

156 

1 

t    „    Abzehrung 

156 

2 

t    »,    Lähmung 

H6 

1 

t  in  7  T. 

146 

2 

t  an  Lähmung 

146 

3 

T    »»             »• 

140 

1 

t  in  47,  T. 

1  DL  frei 

136 

2 

t  an  Abzehrung 

136 

3 

1    >»            »» 

j 

136 

4 

t    »»    Lähmung 

130 

2 

t  in  4  T. 

2  DL  frei 

126 

3 

T    »»    13,» 

126 

4 

t  an  Lähmung 

126 

5 

T    «»             ♦• 

120 

3 

t  6  T. 

3  DLfrei(?) 

120 

4 

t  13  T. 

116 

4 

t  47.  T. 

116 

6 

t  an  Lähmung 

116 

6 

T    »»             »» 

4  DLfrei(?* 

106 

6 

T     *»                 », 

106 

7 

T    »»             »» 

100 

4 

t  in  3  T. 

100 

5 

T   j»    *    »♦ 

5  DL  frei 

100 

5 

T   »»    ^    »» 

100 

5 

t   ..    47.  T.                1 

100 

6 

t   M    8  T. 

100 

6             1 

t  an  Abzehrung 

100 

6 

t    „    Lähmung 

100 

6 

T    >»            >» 

100 

7 

bleibt  leben  ohne 
Lähmung 

100 

9 

t  an  Lähmung 

100 

9 

T    »»             »» 

100 

12 

T    »»             »» 

100 

12 

T    »»              ♦» 

100 

15 

T    »»              »» 

100 

15 

T    »»             »* 

90 

1 

5 

t  nach  37,  T.       •    , 

90 

1 

6 

t  in  5  T. 

6  DL  frei 

90 

7             ' 

t  3V.    ..                      ' 

80 

6             1 

t  3V,    „                      , 

80 

7 

t  in  6   „ 

7  DL  frei 

80 

8              1 

t   »16   .,                      1 

Gifte  der  Kleinwesen. 


845 


2,1  ccm  Gift 

Die  vorstehen- 

TTl                  1 

abgesättigt 

de  Mischung 
wird  geteilt  in 

der 

Ergebnis 
Einspritzung  in     i 

T^                                 1 

lurch^-^lK 

y Teile  u.  diese 

Meerschweinchen 

Bemerkungen 

eingespritzt 

1 

von  250  g 

X 

y 

70 

6 

in  3  T. 

70 
70 

7 
7 

♦  »     •'  /a    !• 
„    6  T. 

8  DL  frei 

70 

8 

tr      3     ,, 

60 

8 

3  T. 

1 

60 

9 

3   ., 

9  DL  frei 

60 

10 

in   12  T. 

1 

50 

10 

.,    4  T. 

50 

50 

10 
10 

»»    **    »» 
..   •*■/,  T. 

10-12  DL  frei  (?) 

50 

12 

„    4  T. 

50 

12 

»»        '        »» 

50 

12 

1          [ 

7 

50 

14 

..    77.  T. 

50 

15 

an  Lähmung 

50 

15 

in  3V.  T. 

50 

20 

an  Lähmrmg 

50 

20 

in  6  T. 

40 

15 

t  6'A  T. 

V     Versuchszalil 

40 

20 

in  12  T. 

ungenügend 

40 

20 

»»    *    »» 

1  16,6  DL  frei  (  ?) 

30 

10 

»»          ''          7  t 

30 

10 

♦♦    3    ,, 

30 

12 

»»    •     »» 

30 

12 

>♦    ^    «» 

16,6  DL  frei  ( ?) 

30 

14 

»»    **    »» 

30 

14 

»»     '    >>                       1 

30 

20 

6V2        M 

30 

25 

an  Lähmung 

30 
25 
25 
25 
25 

25 
12 
15 
15 
20 

in  6     T. 

,»    16  ,, 

an  liähmung 

nicht    mehr    als 
1    12DLfrei(?) 
1     Versuchszahl 
ungenügend 

25 

20 

in  16  T. 

25 

25 

an  Lähmung 

25 

25 

lebt  mit  Lähmung 

20 

25 

1                    1 

an  Lähmung 

( ?)Veröuch8zahl 
ungenügend 

20 

25 

»«              »> 

10 

25 

■f 

,,    Abzehrung 

10 

25 

bleibt    leben   (ort- 

liehe    Schwel- 

lung) 

846 


Kap.  XVI,   §  264. 


M  a  d  6  e  n  entwickelt  nach  diesem  Versuch  das  folgende  Giftspek- 
trum   (Fig.  2). 

Danach  waren  auch  hier  drei  Teile  zu  unterscheiden.  Uns  scheint 
aber  die   Strecke  von   50 — 0  sehr  willkürlich  festgestellt  zu  sein. 

In  einigen  anderen  Fällen  scheinen  die  Giftspektren  mit  größerer 
Sicherheit  bestimmt  worden  zu  sein.    Besonders  interessant  sind  die 


DL 


OL 


1  + 
2 


Prototoxoid  ? 


(winf 


Tritotoxin 


TritofOKOK 


^^yyy^yy^^y^yyyyy/^yA^^^^ 


Toxon 


10 


0 


30  40  50  60       80 


100 
Fig.  2. 


120        140 


166 


200  ^^'^ 


100 
Fig.  3  a.     Gift  12  a. 


Mje 


200 


Fig.  3b.     Gift  12b. 

zahlreichen  Veränderungen,  die  Ehrlich^)  bei  einem  seiner  Gifte 
(Nr.  12  der  Tafel  A)  beobachtet  hat.  Auch  hier  finden  wir  die  D  r  e  i  ■ 
teilung  des   Giftes  schließlich   wieder  (Fig.  3 a — d). 

Ehrlich  unterscheidet  den  Teil  des  eigentlichen  Gifts,  der  dem 
Toxongebiet  am  nächsten  liegt,  d.  h.  denjenigen,  der  bei  der  teilweisen 
Absättigung  am  ersten  frei  wird,  also  die  geringste  Verwandtschaft 
zum  Antitoxin  hat,  als  T  r  i  t  o  t  o  x  i  n;  die  folgenden  mit  etwas  höherer 

1)  Deutsch,   med.   Woch.    1898.   38  imd  Berl.   klin.  Woch.    1903.  3.5 
bis  37.     (Hier  wird  Gift  12  als  Nr.  V  bezeichnet.) 


Gifte  der  Kleinwesen. 


S47 


Verwandtschaft  als  Deuterotoxin,  den  Teil,  der  am  festesten 
oiit  den  Antitoxinen  verkettet  ist,  alsFrototoxin.  Bisher  scheint 
tnan  noch  kein  Diphtheriegift  gefanden  zu  haben,  in  dem  alle  drei 
Giftportionen  als  Vollgifte  vorhanden  gewesen  wären,  wohl  solche 
12  a),  in  denen  sie  gleichmäßig  in  Halbgifte  (Hemitoxin)  und  Toxoid 
verwandelt  waren. 

Das  Tritotoxin  findet  man  gewöhnlich  schon  sehr  früh  größten- 

9        .  .    . 

teils  —  etwa  zu  — -  —  in  ungiftiges  Toxoid  (Tritotoxoid)  umgewandelt, 

loch  ist  es  bei  Gift  12a  (Fig.  3a)  noch  als  Hemitoxin  vorhanden. 


Fig.  3  c.     Gift  12  c. 


200   iP 
200^*^ 


IL 


DL 


i 

2 


10 


L.. 


Prototoxoid 


Deuterotoxoid 


Tritotoxin 


^^Xi^AWA^Miii^A^A 


Toxon 


40 


100 


133 


166 


Fig.  3d.     Gift  12  d. 


200   IC 
200^^ 


Das  Deuterotoxin  ist  verhältnismäßig  am  be- 
ständigsten, es  ist  in  unserm  ersten  Gift  (Fig.  1)  noch  als  Voll- 
gift^)  und  auch  in  Gift  12 d  (Fig.  3d)  noch  als  Halbgift  (Hemitoxin) 
enthalten. 

Das  Prototoxin  endlich  zerfällt  ebenfalls  ziemlich  früh  zu 

Hemitoxin  und  schließlich  noch  vollständiger   als   das  Tritotoxin,  so 

daß  die  erste  Strecke  mancher  Giftspektren  (von  0  an  gerechnet)  von 

dem  ganz  ungiftigen  Prototoxoid  eingenommen  wird  (Gift  12 d  und 

das  M  a  d  8  e  n  sehe  Gift  Fig.  2).    Mit  anderen  Worten  heißt  das :  wir 

40 
finden  dann,  wenn  wir  die  Lo-Menge  des  Giftes  12  d  mit  -_^  der  Immuni- 

1)  Ein  üift,  in  dem  das  Deuterotoxin  ebenfalls  vollständig  erhalten, 
(las  ganze  Prototoxin  aber  zu  Toxoid  zerfallen  ist,  beschreibt  M  a  d  s  e  n 
'1899)  als  Gift  C.  (Nr.  15a  der  Tafol  A). 


848  Kap.  XVI.   §  264  u.  265. 

tätseinheit  absättigen,  die  Giftigkeit  des  Gemisches  ebenso  hoch  als 
die  des  nicht  mit  Serum  vermischten  Giftes.  Das  T  o  x  o  n  braucht 
an  diesen  Veränderungen  des  eigentlichen  Giftes  nicht  teilzunehmen, 
wie  z.  B.  die  Übereinstimmung  zwischen  Gift  12  a  imd  12  b  zeigt,  doch 
lehren  die  Formen  12  c  und  d  desselben  Giftes,  daß  sich  die  Tozon- 
menge  stark  verringern  kann.  E  h  r  1  i  c  h  führt  das  auf  Bildung 
von  „Toxonoiden"  zurück,  die  sich  durch  Veränderung  der  toxischen 
Atomgruppe  von  den  Toxonen  unterscheiden  sollen.  Zwingende  Gründe 
gibt  er  selbst  dafür  freilich  nicht  an  (s.  u.  §  265). 

Durch  das  teilweise  Verschwinden  der  Toxone  wird  der  L  +-Wert 
nicht  berührt,  wohl  aber  Lg.  So  hielt  sich  die  erstere  Zahl  in  allen  Formen 
des  Giftes  12  auf  0,25— 0,26  ccm  (Tafel  A),  während  Lo  von  0,125  auf 
0,210  stieg.  Auch  sonst  ist  es  meist  ebenso.  Doch  ist  das  Gift  14  (Tafel  Ä) 
ein  Beispiel  für  den  umgekehrten  Fall,  indem  Lq  beständig  bleibt  und  L  ^- 
steigt.  M  a  d  s  e  n  möchte  diese  scheinbare  Verbreiterung  der  Toxonzone 
nicht  durch  Vermehrung  der  Toxone  erklären,  sondern  durch  vollständige 
Umwandlung  des  Tritotoxins  in  seinem  letzten  Teil  zu  Toxoid.  Die  bin- 
dende ICraft  des  Giftes  bleibt  so  zwea*  unverändert,  beim  Übergang  von 
Lo  +1  IE  zu  L  4-  +  1  IE  müssen  aber  außer  der  gleichen  Menge  von 
Toxinen  noch  eine  Anzahl  von  Tritotoxoidmolekülen  aus  ihrer  Bindung 
mit  dem  Antitoxin  verdrängt  werden,  ehe  eine  einfache  tödliche  Giftgabe 
frei  werden  kann.  Die  Zahl  der  zuzufügenden  Gifteinheiten  {ß  -^  l)  wird 
also  größer  und  damit  auch  L  +. 

Bemerkenswert  ist  das  regelmäßige  Mengenverhält- 
nis, in  dem  die  einzelnen  Bestandteile  der  Gifte  zueinander  stehen. 

Wenn  man  die  Ziffern  für  sich  ansieht  (Tafel  A  auf  S.  837),  die  die  An- 
zahl *(a)  der  in  der  Lo-Gabe  enthaltenen  einfcush  tödlichen  Gaben  (DL)  bezeich- 
nen, so  sieht  man,  daß  sie  genau  oder  annähernd  einfache  Bruchteile  der  Zahl 
100  darstellen,  z.  B.   16,5;  33;  66;  26;  60;   bei  einigen  besonders  frischen 
Giften  findet  sich  die  Zahl   100  selbst.     Die  Abschwächung  des 
Diphtheriegiftes,      der      Übergang     der     Toxine    in 
Toxoide    scheint    also  in  regelmäßiger  Weise  zu  er- 
folgen,   indem  z.  B.  aus  einem  Molekül  Vollgift  ein  Molekül  Halbgift 
und  ein  Toxoid  hervorgeht.    So  entsteht  aus  dem  Vollgift  das  Halbgift.    Da 
die  drei  Teilgifte  (Proto-,  Deutero-  imd  Tritotoxin)  häufig  auch  in  einem 
einfachen  Zahlenverhältnis  (z.  B.   1:1:1)  zueineaider  stehen  und  unab- 
hängig voneinander  in  ähnlicher  Weise  zerfallen,  so  erklären  sich  dadurch 
die  Zahlen  66,  33,  löVa-     Einen  allzu  großen  Wert  auf  diese  Regelmäßig- 
keiten dcirf  man  übrigens  nicht  legen.     Die  mitgeteilten  Giftepektren  selbst 
sprechen  dagegen. 

Auch  das  Verhältnis,  in  dem  die  Toxone  im  Gift  enthalten  sind, 
ist  ein  ähnlich  regelmäßiges;  in  manchen  Giften  (12a  und  b)  ist  es  in  gleicher 
Menge  wie  das  echte  Toxin  enthalten,  in  vielen  Fällen  umfaßt  es  nur  den 
sechsten  Teil  des  Gif tspektrmns ;  Gift  Nr.  10  (Tafel  A)  ist  vielleicht  ganz 
frei  von  Toxonen,  manche  enthalten  wieder  dreimal  soviel  Toxon  wie 
Toxin  (Nr.  18  Tafel  A).  In  solchen  Fällen  kann  es  vorkonunen,  daß  schon 
Giftmengen,  die  kleiner  sind  als  eine  einfach  tödliche  Gabe,  Toxonwirkiingen 


Gifte  der  Kleinwesen.  849 

entfalten,    ivährend    sonst  nur   ein  mit   Antitoxin   teilweise   abge8ätti^2:tes 
Mehrfaches  von  DL  dazu  imstande  ist^). 

Die  Siunme  der  in  Lq  enthaltenen  Gifteinheiten  (DL)  schwankt  nach 
der  Tafel  A  zwischen  14  und  133.  Höhere  Zahlen  sind  noch  nicht  gefunden 
worden.  Auch  die  in  einzelnen  Bezirken  des  Giftspektrums  (Deutero- 
toxin)  bestimmten  Giftmengen  betragen  für  die  Bindungseinheit  nie  mehr 
als  eine  Gifteinheit.  Die  Einteilung  von  L«  in  200  Bindungseinheiten  hat 
sich  also  bisher  bewährt.  Auch  die  sonstigen  Annahmen  Ehrlichs 
über  den  Bau  des  Diphtheriegifts  darf  man  vielleicht  als  den  Ausdruck 
von  Tatsachen  ansehen.  Einzelheiten,  z.  B.  die  Grenzen  zwischen  dem 
Proto-  und  Deuterotoxin,  sowie  zwischen  dem  Deutero-  und  Tritotoxin- 
bezirk,  und  namentlich  die  Frage  der  Toxonoide,  verdienten  freilich  noch 
aufgeklärt  zu  werden  (§  265). 

§  265.  Epitoxonoide.  Von  vornherein  ist  die  Ehrlichsche 
Ansicht,  daß  aus  den  Toxonen  ungiftige  Körper,  die  „Toxonoide", 
entstehen  können,  wie  die  Toxoide  aus  den  Toxinen,  nicht  unwalirschein- 
lieh.  Aber  auch  wenn  man  von  diesem  vorläufig  nicht  erwiesenen  Zu- 
sammenhang absieht,  wäre  es  trotzdem  denkbar,  daß  in  den  Giftlösim- 
gen  Stoffe  existierten,  die  zwar  die  gleiche  bindende  Gruppe  wie 
die  übrigen  Giftbestandteile  besäßen,  die  sich  aber  wegen  ihrer 
völligen  Unschädlichkeit  im  Tierversuch  und  ihrer  noch  hinter  den 
Toxonen  zurückstehenden  schwachen  Verwandtschaft  zu  den  Anti- 
toxinen auf  die  bisher  übliche  Weise  nicht  nachweisen  ließen.  In  der 
Tat  hat  von  Düngern^)  das  Vorhandensein  derartiger  Stoffe, 
die  er  „Epitoxonoide"  nennt,  im  Diphtheriegift  wahrscheinlich  ge- 
macht, indem  er  die  Absättigungsmethode  Ehrlichs  abänderte. 
Er  ging  dabei  von  der  Beobachtung  D  a  n  y  s  z ' ')  (dem  sog.  „D  a  n  y  s  z  - 
sehen  Versuch")  aus,  daß  die  Menge  des  Rizins  oder  Diphtheriegifts, 
die  nötig  ist,  um  vom  Lq-  zum  L^-Wert  zu  gelangen,  kleiner  ist,  wenn 
man  sie  nicht  auf  einmal  zusetzt,  sondern  erst  einige  Stunden,  nachdem 
man  die  LQ-Antitoxinmischung  hergestellt  hat.  Zunächst  konnte 
von  Dungern  diesen  Befund  vollständig  bestätigen.    Der  Lq-  und 


1)  Die  Bestimmung  der  Toxonmenge  einer  Giftlösung  ist  auch  ohne 
das  Ehrlich  sehe  Absättigungsverfahren  möglich,  wenn  Lq  und  L+  ge- 
geben oder,  was  dasselbe  ist,  a  und  ß  bekannt  sind.     Wir  haben  nämlich 

200 — z         a 

offenbar  das  Verhältnis     ^^^     =  — r-z,  wo  z  die  Bindungseinheiten   der 

200         a+p 

200/9 
Toxone  ausdrückt.     Daraus  folgt  z  =  —  - .     Berechnet  man  z  nach  den 

a-r  p 

in  der  Tafel  A  gegebenen  Werten  für  «  oder  ßy  so  erhält  mcui  Zahlen,  die 
von  25 — 100  schwanken.  Besonders  häufig  ist  33,  was  auf  da.s  im  Text 
angegebene  Verhältnis  hinausläuft. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.   1904.  8/9. 

3)  Annal.  Pastenr  1902. 

Krose,  Mikrobiologie.  54 


850  Ivap.  XVI,    §  265. 

L^-Wert   eines    älteren   Giftes  wurde  nach  der  üblichen  Weise  auf 
0,6  und  0,78  ccm  ermittelt  (vgl.  Nr.  19,  Tafel  A  S.  837). 

Die  betreffenden  Giftmengen  wurden  mit  der  Immunitätseinheit 
des  Serums  auf  einmal  versetzt  und  2  Stunden  später  Meerschweinchen 
von  250  g  mit  folgendem  Ergebnis  eingespritzt. 

0,6  0,63  0,66  0,7  0,74  0,78  ccm 

glatte         geringe  geringe         deutliche         starke        sehr  starke 

Heilimg    Schwellung   Schwellung   Schwellung  Schwellimg   Schwellung 

U.Tod  nach 
3  Tagen. 

Mischte  man  aber  erst  die  Lß-Gabe  (0,6  ccm)  mit  der  Immnnitäte-: 
einheit,  ließ  dann  24  Stunden  bei  Zimmertemperatur  und  noch  1  bis 
2  Stunden  bei  37®  stehen  und  setzte  jetzt  weitere  Mengen  der  Gifte 
zu,  80  ergab  die  Einspritzung  in  einem  ersten  Versuche: 

0,6  0,63  0,66  0,7  0,74  ccm 

glatte  geringe  deutliche  Tod  in  Tod  in 

Heilung       Schwellung        Schwellimg       P/i  Tagen        2  Tagen 

und  in  einem  zweiten  Versuch : 

0,66  0,67  0,68  ccm 

starke  Schwellung         sehr  starke  Schwellung  Tod  in  3^2  Tagen 

und  Tod  in  4  Tagen. 

Statt  0,78  ccm  waren  also  nur  0,67  ccm,  d.  h.  0,11  ccm  weniger  Gift 
nötig,  um  den  L^-Wert  zu  erreichen,  wenn  man  die  Absättigung  des 
Antitoxins  mit  dem  Gift  nicht  auf  einmal,  sondern  in  zwei  Zeiten  vor- ! 
nahm.  Die  Erklärung  dafür  könnte  man  darin  sehen,  daß  nach  Mischung 
der  Lß-Gabe  mit  dem  Antitoxin  nicht  nur  die  darin  ent- 
haltenen Toxin-Toxoid-Bestandteile,  sondern 
auch  die  Toxone  allmählich  so  fest  an  das  Anti- 
toxin gebunden  werden,  daß  nachträglicher  Zu- 
satz von  Toxin  die  T  o  x  onm  ol  e  k  ül  e  nicht  voll- 
ständig aus  ihrer  Bindung  verdrängte.  In  diesem  Falle 
sind  in  der  L^-Gabe  159  Toxin-  bzw.  Toxoideinheiten  und  41  Toxon- 
einheiten  vorhanden,  in  der  gewöhnUchen  L^-Gabe  ungefähr  20*) 
Toxin-Toxoideinheiten  imd  54  Toxoneinheiten,  bei  der  üblichen  Fest- 
stellung des  L_|.- Wertes  müssen  also  47  Toxin-Toxoideinheiten  zu  der 
Lß-Gabe  hinzutreten,  um  die  41  Toxone  zu  verdrängen.  Bei  der  zwei- 
zeitigen Absättigung  sind  0,11  ccm,  d.  h.  29,15  Toxin-Toxoideinheiten^) 


X  159 

^>    0.11   =0,6'  *^««^  =  29,15. 


Gifte  der  KleinweBeii.  851 

weniger  nötig,  es  bleiben  also  noch  29,15  von  den  41  Toxoneinheiten 
in  ihrer  alten  Bindung  mit  dem  Antitoxin,  d.  h.  71%.  DieFestig- 
keit  der  Bindung  zwischen  dem  Toxon  und  Anti- 
toxin steigt  bemerkenswerterweise  mit  der  Zeit. 
Dauert  sie  bloß  2  Stunden,  so  bleibt  nur  39%,  dauert  sie  dagegen 
4  X  24  Stunden,  so  bleibt  78%  des  Toxons  in  seiner  Bindung. 

Schwieriger  wird  aber  die  Erklärung,  wenn  die  Immunitätseinheit 
zunächst  nicht  mit  der  Lg-Menge,  sondern  mit  kleineren  Giftmengen 
abgesättigt  wird.  Man  erhält  dann  nach  v.  Dungern  durch  24  Stun- 
den später  erfolgenden  Zusatz  von  weiterem  Gift  folgende  Werte  für  L_^ : 

Tafel  C. 
l.Bei  vorher. Zusatz  v.0,6ccm beträgt L_^ 0,67  ccm, d.h. 0,11  ccm weniger 

9 


3. 
4. 

0. 

(). 
7. 

8. 


,,  ,,  ,,  ,,     vr,r^          ,,  ,,  *-•_!_  VF,V*V  ,,  ,,  V#^,  AW  ,,  ,, 

„  „  „  ,,0,35,,  „  L^0,62  „  ,,  0,16  „  „ 

n  jj  >j  »>  0,2    ,,  ,,  L_|_0,59  ,,  ,,  0,19  ,,  „ 

jy  >j  »  >»  öjl'5 ,,  „  L^0,6  „  „  0,18  ,,  „ 

»j  »»  j>  >»  0,1    ,,  ,,  L_|_0,63  ,,  ,,  0,lo  ,,  ,, 

„  „  „  „0,05,,  „  L_,.0,68  „  „  0,10  „  „ 

5»  j>  ?i  j>  ^          n  >>  1j_i_U,  lO  ,,  ,,  U  ,,  ,, 


Es  bleibt  also  bei  zweizeitiger  Absättigung  auch 
durch  kleine  Giftmengen  ein  Teil  des  Antitoxins 
dauernd  in  Beschlag  gelegt,  der  bei  gleichzei- 
tiger Absättigung  für  die  Neutralisierung  neuen 
Giftesverfügbarwürde.  Woher  kommen  nun  in  diesen  Fällen 
die  Bindeeinheiten  der  Giftlösung,  die  das  Antitoxin  in  Anspruch 
nehmen?  An  Toxon  ist  nicht  zu  denken,  weil  es  in  viel  zu  geringer 
Menge  vorhanden  ist.  D  u  n  g  e  r  n  glaubt  dafür  andere  Stoffe 
mit  geringerer  Verwandtschaft  zum  Antitoxin, 
ganz  ungiftige  ,,Bpitoxonoide"  verantwortlich  machen 
zu  müssen. 

Sehen  wir  uns  z.  B.  denjenigen  Fall  näher  an,  der  die  größte  Menge 
Antitoxin  beansprucht,  nämlich  die  vorherige  Absättigung  mit  0,2  ccm 
Oift  (Nr.  4  in  Taf.  C).  Mischt  man  der  ImmunitÄtseinheit  Serum  zimäclist 
0,2  ccm  zu,  so  werden  dadurch  53  Toxin -Toxcideinheiten  und  13,6  Toxon- 
einheiten und  daneben  noch  eine  Anzahl,  sagen  wir  ^ Epitoxonoideinheiten 
von  den  überschüssigen  133,3  Bindeeinheiten  des  Antitoxins  besetzt. 
Xach  24  Stunden  Einwirkung  genügt  ein  weiterer  Zusatz  von  0,39  ccm 
Ciift,  d.  h.  0,19  ccm  weniger  als  bei  unmittelbarer  Absättigung,  \xm  den 
L+-Wert  zu  erreichen.  0,19  ccm  entsprechen  50,35  Toxin-Toxoideinheiten. 
Ebenaoviel  Toxon-Epitoxonoideinheiten  bleiben  also  in  ilirer  Bindung  mit 
flem  Antitoxin,  v.  Dungern  rechnet,  daß  hier  wieder  71  Vo  des  vor- 
handenen Toxons,  d,  h.  9,73  Einheiten,  festgebunden  bleiben,  dann  würden 

54* 


852 


Kap.  XVI,   §  265. 


außerdem  noch  40,63  Epi toxonoideinhelten  ihre  Bindung  behalten.  Wir 
wollen  diese  Annahme  zunäelist  der  Einfachheit  halber  zulassen.  Auf  die- 
selbe Weise  erhält  man  für  sämtliche  Fälle  folgende  Werte: 

Tafel    D. 


Zar  YorUofigen  Absät- 
tigang  dienende  Oift- 
menge 

Vielfaches  von  0,05  ccm 

Toxin  -  Toxoideinheiten 

Toxoneinheiten 

1 

§ 

g      d 

•S  ^ 

p 

1 

Festgebondene  Toxon- 
Epitoxonofdeinheiten 

11 
'S  'S 

H 
1^ 

Mindestmenge  der  Bpi- 
toxonoide  in  Sp.  1 

KachtrAglich  zugesetite 
Oiftmenge 

«1 

11 

"'S 

43     d 

^1 

W    U  E   9 

-ßfS 

<*»      e 

1 

2 

3 

4 

6 

6 

7 

8       1        9 

j 

10       j        11 

1 

0,6  ccm 

12 

169 

41 

29,1 

29,1 

0 

289,8 

0,07 

17,8        0 

2 

0,6    „ 

10 

132,6 

34,2 

24,3 

36,8 

11,6 

241,5 

0,145 

37,7 

33.3 

3 

0,35,, 

7 

92,7 

23,9 

17,0 

42,4 

26,4 

169,0 

0,27 

70,8 

83,3 

4 

0,20,, 

4 

53 

13,7 

9,7 

50,3 

40,6 

96,6 

0,39 

102.6 

133,3 

5 

0,I5„ 

3 

39,7 

10,2 

7,3 

47,7 

40,4 

72,4 

0,46 

118,6 

160,0 

6 

0,10,, 

2 

26,6 

6,8 

4,8 

39,7 

34,9 

48,3 

0,63 

139.7 

166.7 

7 

0,06,, 

1 

13,2 

3,4 

2,4 

26,5 

24,1 

24,1 

0,65 

166,2 

183.3 

Die  Zahlen  der  Tafel  D  sind  meist  ohne  weiteres  verständlich.  Die 
Spalten  5  luid  7  ergeben  sich  für  die  festen  Bindungen  der  Toxone  und 
Epitoxonoide  unter  der  von  v.  Dungern  gemachten  Vorausaetzuuf?, 
daß  71  ®/o  der  Toxone  festgebunden  bleiben,  wie  es  in  Versuch  1  wirklich 
der  Fall  ist,  Spalte  6  gibt  die  Summe  von  5  und  7.  In  Spalte  8  habe  ich 
die  Epitoxonoidmengen  berechnet,  die  mindestens  in  den  zur  ersten  Ab- 
Sättigung  dienenden  Giftmengen  vorhanden  sein  müssen:  zugrunde  gele^ 
ist  die  neich  Versuch  7  festgebundene  Epitoxonoidzahl,  die  man  nur  mit 
den  Zahlen  der  Spalte  2  zu  multiplizieren  hat.  Man  sieht  daraus,  daß 
die  Epitoxonoide  in  viel  größerer  Menge  vertreten  sein  müssen,  als  die 
übrigen  Giftbestandteile.  Entspricht  nun  aber  die  hier  angenonunene 
Mindestmenge  der  Epitoxonoide  der  Wirklichkeit ?  v.  Dungern  nimmt 
größere  Mengen  em,  ohne  sich  weiter  darüber  auszulassen.  In  der  Tat  ist 
OS,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  wahrscheinlich,  daß  die  wirklichen  Epi- 
toxonoidmengen etwa  dreimal  so  groß  sind,  als  in  Taf .  D  cuigegeben.  Setzen 
wir  das  vorläufig  als  richtig  voraus,  so  hätten  wir  z.  B.  im  Versuch  6  in  der 
zunächst  mit  0,1  ccm  Gift  abgesättigten  Gift- Antitoxinmischung  26,5 
Toxin-Toxoideinheiten,  6,8  Toxoneinheiten  und  144,9  Epitoxonoidein- 
heiten,  es  bleiben  also  200—26,6—6,8—144,9  =  21,8  Bindeeinheiten 
des  Serums  übrig.  Setzt  man  24  Stimden  später  0,53  ccm  Gift  hinzu, 
so  erhält  man  nach  Taf.  C  eine  Mischung,  die  gerade  ein  Meerschweinchen 
in  vier  Tagen  zu  töten  vermag,  d.  h.  den  L+-W^ert  voll  macht.  In  0,35  ccm 
Gift  sind  nach  Spalte  10  der  Taf.  D  139,7  Toxin-Toxoideinheiten  enthalten. 
Diese  sättigen  zuerst  die  21,8  freien  Bindeeinheiten;  der  Rest  von  117,9 
Einheiten  wird  bestrebt  sein,  die  6,8  +  144,9  =  151,7  Toxon-Epitoxinoid- 
einheiten  aus  ihrer  ursprünglichen  Bindung  mit  den  Antitoxinen  zu  ver- 
drängen.    Die  beiden  miteinander  reagierenden  Mengen  entsprechen  dem 


Gifte  der  Kleinwesen. 


853 


Verhältnis 


117,9 


=  etwa  78  ®/o.     Aus  Spalte  6  der  Taf.  D  ersehen  wir,  daß 


151,7 

in  ihrer  Bindung  mit  dem  Antitoxin  erhalten  bleiben  39,7,  also  verdrängt 

112 


werden  161,7—39,7  =  112  oder 


d.  h.   74  •/,   der   ursprünglich  ge- 


151,7' 

bundenen  Toxon-Epitoxonoidmenge.      'Ea  wäre  nun  wichtig,   zu  wissen, 

wieviel  darunter  Toxone  und  wieviel  Epitoxonoide  sind.     Denkbar  wäre 

es,  daß  die  freien  Toxin-Toxoideinheiten,   solange  genügend  Epitoxonoid- 

bindungen  zur  Verfügung  stehen,  diese  zu  sprengen  versuchten  imd  die 

Toxonbindungen  unberührt  ließen,  dann  verhielten  sich  die  reagierenden 

Toxin-Toxoidinengen     zu     den     ursprünglich     gebundenen     Epitoxonoid- 

117  9 
mengen  wie —--'=  81  Vo  ^ii^d    die    verdrängten    Epitoxonoidmengen    zu 
144,9 

144,9—39,7 
den  ursprünglich  gebundenen  wie TTTn =73 '/q.      v.    Dungern 

macht,  wie  wir  gesehen,  eine  andere  Voraussetzung,  er  nimmt  an,  daß  die 

verfügbaren  Toxin-Toxoideinheiten  sowohl  mit  den  Toxonen  als  mit  den 

Epitoxonoiden   reagieren,   und   zwar   soll   die   Menge   der   festgebundenen 

Toxone  konstant   bleiben,   nämlich    71  '/o  betragen,   wie   im   Versuch    1, 

S.  851.    Es  würden  also  verdrängt  29  "/o  oder  in  unserem  Falle  2,0  Toxon- 

2,0 
emheiten,   denn  r-^  =  29  ®/o.      Danach    blieben    34,9   Epitoxonoide    fest- 

6,8 

144,9—34,9 
gebunden  und  verdrängt  würden  — TVTq »   ^-  "•    "^^  Vo«      Berechnen 

wir  in  derselben  Weise  die  Verhältnisse,  die  sich  in  den  übrigen  Versuchen 
ergeben,  so  bekommen  wir  folgende  Zahlen: 


Ta 

fei    E. 

1               2 

3           1            4 

6                       6 

7                       8 

r     Menge 

Menge 

VerhAltniB  der 

Verhältnis  der 

Verhältnis  der 

=    der  m- 
'r    erat  za- 
>     gcsetx- 
«  itenEpi- 
^      toxo- 

1  noidein- 
;^     heiten 

derur- 

sprQng- 

llch  ge- 

bande- 

nen 

Bpit.- 

Einhei- 

ten 

reagieren-   verdrängten 
den  Toxin-       Toxon- 
Toxoid-Ein-    Epit.-Ein- 
heiteu      i      heiten 

tu.  den  ursprünglich  ge- 
bundenen Toxon-Epi- 
toxonold-Einheiten 

reagieren-   verdrängten 
den  Toxin-      Epitoxo- 
Toxoid-Ein-     noid-Ein- 
heiten           heiten 

zu  den  ursprünglich 

gebundenen  Epitoxo- 

noid-Einheiten 

verdrängten 

_                  Epitoxo- 
Toxone                ,_, 

i      noide    ■ 

zu  den  ursprünglich 

gebundenen  Toxonen- 

Epitoxonoiden 

1     869,9       0 

44  Vo 

29  Vo 

1 

29»/. 

2    724,5      33,3 

56    „ 

47    „ 

113  Vo        95  Vo 

29    „ 

67  Vo 

•^    507,0 

83,3 

66    „ 

60    „ 

85     ,,           78     ,, 

29    „ 

70    ,. 

4    289,8 

133,3 

70    „ 

66    „ 

77    „     ,     72    „ 

29    „ 

70    „ 

>    217,2    150,0 

74    „ 

70    „ 

79    „          75    „ 

29    „ 

72    .. 

fi    144,9    144,9 

78    „ 

74    „ 

81     ,,          73    ,, 

29    ,. 

76    ., 

"      72,3  i 

72,3 

73    „ 

65    „ 

76    „ 

63    „ 

29    „ 

67    „ 

Spalte  3  und  4  lehren  uns,  daß  verhältnismäßig  um  so  mehrToxon-Epi- 
toxonoideinheiten  aus  ihrer  früheren  Bindung  mit  dem  Antitoxin  ver- 
drängt werden,  Je  mehr  Toxin-Toxoideinheiten  mit  ihnen  reagieren.  Wir 
erfahren  aber  dadurch  nichts  über  die  Einzelheiten  der  Toxon-  und  Epi- 
toxonoidverdrängung.     Aus  der   Spalte  5  und  6,  die  auf  unserer  ersten 


854  Kap.  XVL    §  265  u.  266. 

Annahme  beruht,  daß  beim  Vorhandensein  von  genügenden  Mengen  Epi- 
toxonoidbindungen  die  neu  zutretenden  Toxin-Toxoideinheiten  nur  mit 
diesen  und  nicht  mit  den  Toxonen  reagieren,  müßten  wir  den  Schluß  ziehen, 
daß  um  so  mehr  Epitoxonoide  aus  ihrer  Bindung  mit  dem  Antitoxin  ver- 
drängt werden,  je  größer  verhältnismäßig  die  Zahl  der  Toxin-Toxoidein- 
heiten ist,  daß  aber  weder  ein  reichlicher  noch  ein  geringer  Zusatz  der 
letzteren  genügt,  um  gleiche  Mengen  von  Epitoxonoiden  aus  ihrer  Bindung 
freizumachen.  Daraus  würde  zu  folgern  sein,  daß  es  nicht  möglich  wän\ 
durch  Verringerung  der  nachträglich  zugesetzten  Giftmengen  einen  Sät- 
tigungszustand zu  erreichen,  in  dem  die  Gift- Antitoxinmischung  keine 
freien  Toxin-  oder  Toxoidmengen  mehr  enthielte,  also  ganz  unachädlich 
für  Tiere  wäre.  Nun  wissen  wir  aber  aus  den  Versuchen  v.  Dungern s, 
daß  man  z.  B.  in  Versuch  4  dann  diesen  Punkt  —  den  Lo-Wert  —  erreicht, 
wenn  man  nachträglich  nicht  0,39,  sondern  nur  0,26  ccm  Gift  zusetzt. 
Man  ist  also  wohl  durch  die  Tatsachen  gezwungen,  die  Vorraussetzung, 
auf  die  sich  die  Zahlen  der  Spalten  5  und  6  der  Taf.  E  gründen,  fallen 
zu  lassen.     Ganz  anders  steht  es  mit  der  zweiten  Annahme. 

Überraschend  einheitlich  ist  das  Bild,  das  uns  Spalte  7  und  8  bietet: 
wenn  wir  mit  v.  Dungern  die  Voraussetzung  machen,  daß  die  Toxone 
stets  in  bestimmtem  Verhältnis  von  den  Toxinen  aus  ihrer  Bindung  mit 
den  Antitoxinen  befreit  werden,  so  trifft  dasselbe  für  die  Epitoxonoid»» 
zu.  Die  Abweichungen,  die  sich  in  den  Zahlen  der  Spalte  8  zeigen,  sind  i^^ 
geringfügig,  daß  wir  sie  wohl  auf  die  unvermeidlichen  Versuchsfehler  zu- 
rückführen dürfen.  Wir  können  also  den  Satz  aufstellen,  daß  70  *  •  e 
der  Epitoxonoide  und  29  Vo  der  Toxone  nur  in  locke 
rer,  durch  Zusatz  von  Toxin  leicht  zu  trennender 
Verbindung  mit  dem  Antitoxin  stehen.  Bemerkensweit 
ist,  daß  die  Werte  in  Spalte  8  der  Taf.  E  durchaus  nicht  so  einheitlich 
ausfallen,  wenn  man  die  Epitoxonoidmenge  (in  Spalte  1)  verringert  oder 
vermehrt^).  So  werden  die  beiden  Voraussetzungen,  die  wir  gemacht 
haben,  gleichzeitig  bestätigt. 

Es  fragt  sich,  ob  es  möglich  ist,  auch  eine  Regel  zu  finden,  die  den 
Ersatz  der  einmal  an  Antitoxin  gebundenen  Epitoxonoide  durch  neu  zu- 
tretende Toxone  betrifft.  Wir  können  dafür  auf  den  eben  angeführten 
Versuch  v.  Dungerns  zurückgehen.  Sättigt  man  die  Inununität>- 
einheit  Diphtheriesenun  zunächst  mit  0,2  ccm  Gift  ab  (Versuch  4  in  Taf.  D). 
so  verbinden  sich  außer  53  Toxin-Toxoideinheiten  13,7  Toxoneinheiten 
und  133,3  Epitoxonoideinheiten  (Taf.  E)  mit  Antitoxin.  Fügt  man  nach 
24  Stunden  neue  0,25  ccm  Giftlösung  zu  und  spritzt  sie  Meerschweinchen 
ein,  so  ist  sie  ganz  ungiftig,  während  0,26  ccm  schon  eine  leichte  Erkran- 
kung (Toxon Wirkung)  bedingen.  0,25  ccm  enthalten  nun  63,6  Toxin-Toxoid- 
einheiten und  16,6  Toxoneinheiten.  Nach  der  oben  festgestellten  Regel 
verdrängen  die  Toxin-Toxoideinheiten  höchstens  29  ®/o  der  Toxone  und 
70  "/o  der  Epitoxonoide,  in  imserem  Falle  4  Toxone  und  59,6  Epitoxonoide. 
Da,  nach  dem  Ausfall  des  Tierversuches  zu  urteilen,  keine  freien  Toxone 


1)  So  lauten  die  Zahlen  der  Spalte  8,  wenn  man  nur  zwei  Drittel 
der  obigen  Epitoxonoidmengen  in  der  Giftlösung  voraussetzt:  67,  70. 
70,  72,  64,  45,  wenn  man  fünfmal  soviel  aninmmt:  67,  70,  70.  73,  79,  87. 
Die  Zahlen  in  Spalte  2 — 6  derselben  Tabelle  verändern  sich  in  dieeen  beiden 
Fällen  nicht  derart,  daß  man  andere  Schlüsse  daraus  ziehen  könnte. 


Gifte  der  Klein wesen.  855 

übrig  bleiben,  müssen  die  4  +  16,5  =  20,5  Toxoneinheiten  ebensoviel 
Epitoxonoide  in  Freiheit  setzen,  d.  h.  von  den  noch  übrig  bleibenden  133,3 
—59,6  =  73,7  Epitoxonoidbindungen  28  ®/o  lösen.  Jeder  noch  so  kleine 
Zusatz  von  Gift  macht  Toxone  dauernd  frei;  wenn  Toxone  axif 
Ep  i  t  o  X  on  o  i  d  -  A  n  t  i  t  o  X  i  n  b  i  n  d  u  n  g  e  n  wirken,  würden 
sieaIsoimbe8tenFalle28  Vo  der  Bindungensprengen 
können.  Natürlich  ist  das  vorliegende  Versuchsmaterial  noch  zu  be- 
>chränkt,  um  alle  diese  Feststellungen  als  endgültige  anzusehen,  es  würde 
zunächst  nötig  sein,  die  Untersuchungen  v.  Dungerns  mit  anderen 
Diphtheriegiftlösungen  in  erweitertem  Maßstabe  zu  wiederholen. 

Eine  Erklärung  für  die  Tatsache,  daß  die  Verbindungen  der  Toxone 
und  Epitoxonoide  mit  Antitoxin  gegenüber  neu  zutretenden  freien  Toxinen 
<und  Toxonen)  nur  eine  relative,  zahlenmäßig  bestimmt  begrenzte,  dabei 
aber  von  der  Zeitdauer  der  Bindung  abhängige  Festigkeit  haben,  besitzen 
wir  vorläufig  nicht.     Ebensowenig  wissen  wir  etwas  über  einen  etwaigen 
Ursprung  der  Epitoxonoide  aus  den  Toxonen  oder  anderen  Giftbestand- 
teilen.     Der   unmittelbare    Nachweis   der   Epitoxonoide   durch    Trennung 
von   den  übrigen   Giftbestandteilen  könnte  vielleicht  auf  ähnliche  Weise 
geliefert    werden    wie    beim    Toxon    (S.   839).       v.    Dungern    meint, 
die    Möglichkeit    der    Immimisierung    von    Tieren    mit    Hilfe    von    Gift- 
löeungen,    die    Antitoxin    im    Überschuß    enthalten*),    spreche    für    das 
Vorhandensein   freier   bindender    Gruppen   (der   Epitoxonoide).      Indessen 
ist  das  kein  zwingender  Grund,  da  man  auch  an  eine  Sprengung  vorhan- 
dener Bindungen  durch  die  lebenden  Zellen  oder  an  eine  Verschiedenheit 
der  immunisierenden  und  bindenden  Gruppen,  die  unter  Umständen  die 
Betätigung  der  ersteren  trotz  Bindung  der  letzteren  nicht  hindert,  denken 
könnte  (vgl.   §  278  u.  279)). 

§  266.  Sehlußbemerkungen  Aber  die  Ehrlichsche  Gif taua- 
lyse.  Die  in  vorstehendem  gegebene  ausführliche  Darstellung  der 
Ansichten  der  Ehrlich  sehen  Schule  über  den  Bau  der  Diph- 
theriegifte ist  von  verschiedenen  Seiten  angefochten  worden.  Nament- 
lich hat  man  versucht,  die  Ehrlich  sehen  Vorstellungen,  die  mit  den 
Fortschritten  der  tatsächlichen  Kenntnisse  immer  verwickelter  ge- 
worden sind,  durch  „einfachere"  zu  ersetzen  (Bürdet,  Arrhe- 
n  i  u  s  und  M  a  d  s  e  n  u.  a.).  Wir  kommen  später  auf  diese  Bemühun- 
gen zurück  (§  276  u.  277),  wollen  aber  jetzt  schon  bemerken,  daß 
es  ihnen  nicht  gelimgen  ist,  die  Dinge  so  zufriedenstellend  zu  er- 
klären, wie  die  Ehrlich  sehen  Annahmen. 

Diese  Anerkennung  schließt  natürlich  nicht  aus,  daß  wir  über 
die  chemische  Natur  der  Bestandteile  des  Diphtheriegiftes,  über  die 
Zusammensetzung  der  bindenden  und  toxischen  Gruppen,  über  die 
materiellen  Gründe  der  wechselnden  Verwandtschaft  der  einzelnen 
Giftmodifikationen  zu  den  Antitoxinen  nach  wie  vor  im  Dimkeln  sind. 


1)  Dreyer   und   Madsen,    (Zeitschr.  f.  Hyg.   37.  257)   immuni- 

240 
sieren   z.  B.  mit   einer  Mischung    von    0,6  ccm  (Lq)  -f  ---  Tmmuni tätsein- 

heiten.  ^"^ 


856  Kap.  XVI,    §  266  u.  267. 

Ehrlich  selbst  ist  zugestandenermaßen  bei  seinen  Annahmen 
ausgegangen  von  den  Regeln,  die  für  die  Beziehungen  zwischen  den 
Eigenschaften  der  Farbstoffe  und  Arzneimittel  und  ihrem  molekularen 
Bau  gelten^).    Die  Eignung  eines  Stoffes  zum  Farbstoff  setzt  zunächst 
voraus  die  Anwesenheit  einer  bestimmten  ungesättigten  Atomgruppe, 
der  „chromophoren  Gruppe"  (z.  B.  der  Azogruppe  N  =  N)  in  einem 
kohlenstoffreichen  Molekül  (meist  einer  zyklischen  Verbindung).   Diese 
Körper  sind  aber  nur  die  Muttersubstanzen  der  Farbstoffe,  die  „Chromo- 
gene"  (z.  B.  Azobenzol),  sie  werden  zu  Farben  erst  durch  den  Eintritt 
von  „Auxochromen",  d.  h.  von  salzbildenden,  wenn  man  will,  „hapto- 
phoren"  Seitenketten,  mit  Hilfe  deren  sie  an  die  Gewebe  verankert 
werden.     Solche   sind   die   Hydroxylgruppe,   die    „saure"   Farbstoffe, 
z.  B.  Oxyazobenzol,  und  die  Amidogruppe,  die  basische  Farbstoffe, 
z.  B.  Amidoazobenzol,  erzeugen.    Je  mehr  dieser  Gruppen  im  Molekül 
enthalten  sind,  desto  größer  wird  die  Basizität  oder  Azidität,  d.  h.  das 
Bindungsvermögen,  die  „Echtheit"  der  Farbe.  Dazu  können  dann  noch 
andere  salzbildende  Seitenketten  (Karboxyl-,  Sulfo-,  Nitro-,  Nitroso- 
gruppen)  kommen,  oder  Ersatz  der  Atome  durch  andere  „indifferente" 
Atomgruppen  erfolgen,  welche  die  Tiefe  der  Farbe  sowie  ihre  Echtheit 
beeinflussen.    Die  Wirkungsweise  braucht  keine  rein  chemische  zu 
sein;  so  macht  Ehrlich  darauf  aufmerksam,  daß  die  nerven-  und 
fettfärbenden  (neurotropen  und  lipotropen)  Stoffe  durch  Einführung 
des  Sulfosäurerestes  die  Fähigkeit,  Gehirn  und  Fett  zu  färben,  ver- 
lieren, aus  dem  einfachen  Grunde,  weil  sie  dann  nicht  mehr  in  Fetten 
löslich  sind. 

Auch  die  Wirkung  der  Arzneimittel^)  wird  in  eigentümlicher  Weise 
durch  ihren  chemischen  Bau  bestimmt,  so  hebt  die  Einführung  von 
Säureresten  die  antipyretische  Wirkung  der  Fiebermittel  auf,  so  ver- 
danken die  Schlafmittel  und  andere  die  Nerven  beeinflussenden  Stoffe 
ihre  Eigentümlichkeit  vielfach  der  Anwesenheit  von  Äthylgruppen. 
Im  Kokain  stellt  nach  Ehrlich  der  Benzoylrest  CO .  CJHg  die 
„anästhesiophore",  das  im  basischen  Komplex  enthaltene  tertiäre 
Amin  die  „auxotoxe"  Gruppe  vor. 

Natürlich  sind  das  alles  nur  Vergleiche,  die  mehr  oder  weniger 
hinken.  So  fehlt  leider  bei  den  Arzneimitteln  und  Farbstoffen  be- 
kannter Natur  jede  Analogie  für  die  wichtigste  Eigenschaft  der  Bak- 
teriengifte (und  übrigen  Impfstoffe  oder  Antigene)  —  die  Fähigkeit, 
zu  immunisieren.  Man  wird  darum  den  Antigenen  entweder  haptophore 

1)  Über  die  Beziehungen  von  chemischer  Konstitution,  Verteilung 
und  pharmokologischer  Wirkung.  Gesamm.  Arb.  1904.  584  (auch  Festaclir. 
f.  V.  L  e  y  d  e  n  I).    Vgl.  Pappenheim,  Gnmdriß  der  Farbchemie  1901. 

2)  Vgl.   S.   Fränkel,     Arzneimittelsynthese,  2.  Aufl.,   1906. 


Gifte  der  Kleinwesen.  857 

Grappen  eigentümlicher  Art  oder  besondere  immunisierende  Gruppen 
zuschreiben  müssen.  Ihre  Natur  zu  bestimmen,  haben  Obermeyer 
und  P  i  c  k  ^)  in  der  Weise  versucht,  daß  sie  die  als  Impfstoffe  für  Prä- 
zipitine dienenden  Eiweißsubstanzen  —  das  Präzipitinogen  (vgl.  §  342)  — 
verschiedenen  chemischen  Behandlungen,  z.  B.  einer  Nitrierung,  Jodie- 
rung,  Diazotierung  unterwarfen  und  danach  ihre  immunisierende  Fähig- 
keit untersuchten.  Sie  kamen  so  zu  dem  Schluß,  daß  die  letztere 
wesentlich  in  den  aromatischen  Kernen  zu  sitzen  scheine. 
Natürlich  gilt  diese  Feststellung  zunächst  nur  für  die  geprüften  Impf- 
stoffe. 

§  267.    Vorübergehende  Veränderungen  des  Diphtherie- 

und  anderer  Impfgifte.  Auf  den  Bau  der  giftigen  Impfstoffe 
werfen  auch  ein  gewisses  Licht  einige  Erfahrungen  über  ihre  Beein- 
flussung durch  verschiedene  Mittel^).  Daß  Behandlung  mit  Wasser- 
stoffsuperoxyd, Jod  (in  konzentrierter  Lösung  oder  Jodtrichlorid), 
mäßige  Hitzegrade,  den  elektrischen  Strom  nur  die  toxophoren,  nicht 
die  bindenden  bzw.  immunisierenden  Gruppen  zu  schädigen  braucht, 
war  sehr  lange  aus  den  Immimisierungserfolgen  bei  Diphtherie  und 
Tetanus  bekannt  und  hat  ja  zur  Aufstellung  des  Begriffes  der  Toxoide 
(§  262)  geführt.  Starke  Säuren,  denen  man  früher  vielfach  eine  weiter- 
gehende zerstörende  Wirkung  zugeschrieben  hatte,  verhalten  sich 
anders.  Neuerdings  zeigte  zunächst  Morgenroth^),  daß  das 
Hämolysin  und  Neurotoxin  des  Kobragiftes  unter  dem  Einfluß  geringer 
Salzsäuremengen  ihre  Bindekraft  für  die  Antitoxine  verlieren  und 
auch  aus  der  fertigen  Verbindung  mit  den  Antitoxinen  gelöst  werden, 
aber  ihre  bindenden  Eigenschaften  wiedergewinnen,  wenn  die  Säure 
nach  nicht  zu  langer  Einwirkung  wieder  abgestumpft  wird.  Morgen- 
r  0 1  h  und  P  a  n  e  *)  machten  dann  weiter  die  Beobachtimg,  daß  die 
Abschwächung  der  Giftigkeit  des  Kobragiftes,  die  durch  längeres  Auf- 
bewahren in  salzsaurer  Lösung  hervorgerufen  wird,  nach  Neutrali- 
sierung im  Laufe  von  Stunden  und  Tagen  mehr  oder  weniger  vollständig 
zurückgeht.  Diese  „Reversibilität"  oder  besser  gesagt  Wiederherstell- 
barkeit  der  durch  Säuren  behandelten  Gifte,  über  die  übrigens 
schon  R  o  u  X  und  Y  e  r  s  i  n  für  das  Diphtheriegift,  C  h  a  n  t  e  - 
messe  für  das  Typhusgift  und  R  i  t  c  h  i  e  für  das  Tetanusgift  An- 
gaben gemacht  hatten,  untersuchte  D  ö  r  r  ^)  genauer  für  eine  Reihe 
von  Giften.  Bei  den  Vibrio-  und  Staphylolysinen,  dem  Gift  des  Tetanus, 


1)  Wien.  klin.  Woch.   1906.   12. 

2)  Vgl.  dazu  auch  §  274. 

3)  Berl.  klin.  Woch.  1905.  50  und  Arbeit,  a.  Pathol.  Institut  Berlinl906. 

4)  Biochem.  Zeitschr.  1,  1906. 

5)  Wien.  klin.  Woch.   1907  und  Biochem.  Zeitschr.  7,  1907. 


S58  Kap.  XVI,    §  267  u.  268. 

Rausclibrandß  und  Vibrio  El  Tor  wurde  kein  Erfolg  erzielt,  wohl  bei 
Diphtherie-,  Dysenterie-  und  Staphylotoxin.    Alle  starken  Samen 
können  anscheinend,  auch  in  dünner  Lösung  und  in  kurzer  Zeit,  diese 
Wirkungen  hervorbringen,  schwache  nicht.    Einfache  Neutralifeierung 
genügt  nicht,  um  den  abschwächenden  Einfluß  der  Säure  aufzuheben 
und  die  Rückkehr  der  alten  Eigenschaften  einzuleiten.    Nötig  ist  viel- 
mehr Alkalisierung,  daher  bleibt  die  Abschwächung  f^uch  bei  intra- 
venöser, geschweige  denn  bei  subkutaner  Einspritzung  erhalten  und 
verschwindet  erst,  wenn  man  kurz  vorher  Sodalösung  ins  Blut  einführt. 
Besser  wirkt  die  Alkalisierung  im  Reagensglas,  sie  braucht  aber  nicht 
so  lange  Zeit  zu  dauern,  wie  im  Falle  des  Schlangengifts.    Längere 
(wochenlange)  Behandlung  mit  Säuren  entgiftet  namentlich  das  Diph- 
theriegift endgültig.    Die  Prüfung  der  Bindekraft  des  bloß  gesäuerten 
oder  gesäuerten  und  wieder  alkalisierten  Diphtheriegiftes  ergab,  daß 
sie  unter  sich  gleich  und  nur  um  ein  Geringes  kleiner  war  als  die  des 
unveränderten  Giftes,  während  die  Giftigkeit  auch  der  alkalisierten  Gifte 
immer  noch  erheblich  hinter  der  des  unveränderten  zurückblieb.  D  i  e 
haptophoren    Gruppen     scheinen    danach     durch 
die    Säure    viel    weniger    angegriffen    zu    werden 
als  die  toxophoren  und  die  Reversibilität  nur  die  letzteren  zu 
betreffen,  nicht  wie  beim   Schlangengift  auch  die  ersteren.    Da  die 
Säurewirkimg  bis  zur  völligen  Zerstörung  der  Gifte  fortschreitet,  wird 
man  sie  sich  als  eine  molekulare,  aber  bis  zu  einer  gewissen  Grenze 
zur  freiwilligen  Rückbildung  geeignete  Umlagerung,  nicht  einfach  als 
Salzbildung  vorstellen  dürfen. 

§  268.  Die  Eigengifte  der  Kleinwesen  im  allgemeinen. 
Nachdem  das  Eigengift  der  Diphtheriebazillen  nachgewiesen  war, 
folgten  viele  ähnliche  Untersuchungen  über  die  Gifte  der  übrigen 
Mikroorganismen.  Zum  großen  Teil  waren  sie  auch  von  Erfolg  ge- 
krönt, d.  h.  es  ist  in  vielen  Fällen  gelungen,  aus  den  Bakterien  Stoffe 
zu  gewinnen,  auf  die  man  mit  einer  gewissen  Berechtigung  die  Ver- 
giftungserscheinungen zurückführen  kann,  die  bei  den  natürlichen  und 
künstlichen  Bakterienkrankheiten  beobachtet  werden.  Eine  Aus- 
nahme machen  bisher  namentlich  noch  gewisse  Septizämieerreger,  vor 
allem  der  Milzbrand  ( §  292)  und  Schweinerotlauf  ( §  293),  femer  die 
durch  „filtrierbare  Virus"  (Chlamydozoen  §  311)  und  fast  ausnahms- 
los die  durch  die  Protozoen  verursachten  Infektionen  "(§  310).  Die 
Erfolge  wie  die  Mißerfolge  können  übrigens  auch  da,  wo  sie  durch 
zahlreiche  Versuche  genügend  sicher  festgestellt  sind,  verschieden  be- 
urteilt werden.  So  haben  wir  bisher  bei  den  Protozoen  und  Chlamy- 
dozoen vielleicht  wesentlich  aus  dem  Grunde,  weil  wir  nur  ausnahms- 
weise in  der  Lage  sind,  sie  in  Reinkulturen  zu  züchten,  kein  Glück 


Ciifte  der  Kleinwesen.  859 

gehabt.  Nicht  ausgeschlossen  ist  es  allerdings,  daß  da,  wo  wir  bisher 
keine  Gifte  haben  finden  können,  doch  solche  im  Tierkörper  durch 
bestimmte  Umsetzungen  der  lebenden  Substanz  mit  den  In- 
fektionserregern, die  sich  im  Reagensglas  bloß  nicht  nachweisen 
lassen,  gebildet  werden.  Außerdem  wäre  es  denkbar,  daß  örtliche 
Störungen,  die  ursprünglich  nur  durch  die  mechanische  Wirkung  der 
Erreger  (Verstopfung  von  Kapillaren  u.  dgl.)  bedingt  werden,  die  Ent- 
wicklung von  Selbstgiften  im  Körper  oder  wenigstens  Schädigung  der 
betreffenden  Organe  und  damit  Krankheit  imd  Tod  verursachen. 
Hier  ist  nicht  der  Ort,  darauf  genauer  einzugehen  (vgl.  Infektions- 
lehre). Es  sei  nur  bemerkt,  daß  man  früher  wohl  zu  viel  Wert  auf  die 
mechanischen  Einflüsse  an  sich  gelegt  hat.  Ebenso  hat  man  früher 
den  Einfluß  des  Stoffwechsels  der  Parasiten  im  Körper  ihrer  Wirte 
gewiß  überschätzt,  indem  man  z.  B.  annahm,  daß  sie  mit  dessen  Zellen 
im  Kampf  um  die  Nahrung,  z.  B.  den  Sauerstoff,  in  erfolgreichem  Wett- 
bewerb träten.  Selbst  bei  der  reichlichsten  Entwicklung  der  Parasiten 
bleibt  ihre  Masse  gegenüber  der  der  Wirte  so  zurück,  daß  von 
einer  Nahrungsentziehung  kaum  die  Rede  sein  kann,  mindestens  nicht 
bei  den  höheren  Tieren.  Bei  niederen  Wesen  und  den  Pflanzen  mag 
(las  zum  Teil  anders  sein  (vgl.  §  51,  S.  171  und  §  329).  Über  die 
beschränkte  Bedeutung  giftiger  Stoffwechselprodukte  der  Parasiten 
haben  wir  uns  schon  in  §  258 — ^260  ausgelassen^). 

Umgekehrt  ist  man  aber  unseres  Erachtens 
etwas  zu  sehr  geneigt,  die  am  Tier  mit  Bakterien- 
giften erhaltenen  Erfolge  zu  überschätzen.  Man 
hat  meist  angenonmien,  daß  die  an  einzelnen,  vielleicht  durch  be- 
sondere Giftigkeit  ausgezeichneten  Kidturen  und  an  bestinmiten  be- 
sonders empfänglichen  Tieren  gemachten  Erfahrungen  sich  ohne  wei- 
teres auf  den  Menschen  bzw.  auf  die  für  die  natürliche  Infektion  in 
Betracht  konmienden  Tiere  übertragen  ließen.  In  dieser  Beziehung  tut 
jedenfalls  eine  gründUche  Durchsicht  der  bisherigen  Annahmen  not 
(vgl.  namentlich  Rauschbrand  §  281,  Dysenterie  §  289,  aber  auch 
Cholera  §  284  und  Typhus  §  286). 

Die  Giftigkeit  der  einzelnen  Bakterien  zeigt  gewaltige  Unter- 
schiede.    Ich  habe  für  jede  Art  in  der  folgenden  Tafel  (S.  860)  die- 

1)  Eine  andere  Erklärung  suchen  Graßberger  und  Schatten- 
froh für  solche  Fälle  zu  geben,  in  denen  der  Nachweis  des  (iiftes  im  Stich 
läßt  (Sitzungsber.  d.  Akad.  Wiss.  Wien.  Math.-naturw.  Kl.  114  Abt.  III 
133,  1905).  Sie  meinen,  die  Entziehung  eines  vielleicht  nur  in  kleinen 
Mengen  im  Körper  vorhandenen  lebenswichtigen  Stoffes  durch  die  Bak- 
t^rienwirkung  könne  die  Krankheitserscheinungen,  die  wir  als  Vergiftung 
anzusehen  pflegen,  verursachen.  Bestimmte  Anhaltspimkte  dafür  liegen 
nicht  vor  (vgl.  Rauschbrandgift   §  283). 


860 


Kap.  XVI,    $  268  u.  269. 


Vergleich  der  Giftstärke. 


Versuchstier  und 

Verhältnis  des 

Benutztes  Gift 

Mikrobenart 

1 

Einverleibung 

Körpergewichts 
zum  Gift 

( Trockensubstanz ' ) ) 

Diphtherie 

Meerschw.  subk. 

2  Mill. 

Durch  Fällung  ge- 
reinigtes Bouillon- 
filtrat 

Tetanus 

♦»              »» 

1000     „ 

Gereinigtes  Gift 

Wurstgift  (botu- 

»»               »» 

100     „ 

Bouillonfiltrat 

linus) 

. 

Rauschbrand 

*t                                  9* 

300000 

t» 

Cholera 

Meerschw.  intrap. 

125000 

Bakterienleiber 

Typhus 

f »                                  99 

100000 

99 

Dysenterie 

Kanin,  intrav. 

3     100  Mill. 

Auszug  der  Bakte- 
rienleiber 

Pseudodysen- 

1 

terie 

»♦           »» 

100000     1   „ 

Bakterienleiber 

Knteritidis 

(Fleischgift) 

Meerschw.  intrap. 

1500000 

»» 

Influenza 

f»               >» 

100000 

99 

Schweinepest 

f»               ♦» 

100000 

»» 

Schweineseuche 

»»               »» 

100000 

»» 

Hühnercholera 

1»               »» 

80000 

»f 

Wildseuche 

»»               »f 

30000 

»» 

Pest 

Ratten  intrap. 

400000  (  ?) 

Frische  Bazillen 

»» 

»f           f» 

200000 

Alte  Bouillonfiltrate 

Milzbrand  i 
Rotlauf      / 

Meerschw.  u.  Ka- 

1            1000  (  ?) 

ninchen 

BaziUenleiber 

Pneumokokken 

Kaninch.   intrav. 

300     1000 

Infiziertes  Blut 

Malignes  ödem 

Meerschw.  subk. 

500 

Bouillon 

Streptokokken 

99                                    »» 

100000 

Bouillonfiltrat 

Gonorrhöe 

Meerschweinchen 
intrazer. 

600000 

Aszi  tesboui  Hon 

Staphylokokken 

Kanin,  intrav. 

3000 

Alte  Bouillonfiltrate 

»? 

Meerschw.   intrap. 

30000 

Alte  Bakterienleiber 

Pyocyaneus 

»»               y» 

10000 

Bazillenleiber 

9* 

»»               >» 

300000 

Alte  Bouillonkultur 

IVoteus 

Maus  intrap. 

15000 

Bakterienleiber 

Subtilis 

Meerschw.   intrap. 

100000 

99 

Prodigiosus 

j»               »» 

300000 

»» 

Tuberkulose 

Meerschweinchen 
intrazer. 

300000 

T.  0.  (R.  Koch) 

9* 

Meerschw.  intrap. 

1500 

99 

tub.  Meerschw.  ip. 

150000 

Aktinomyces 

Kanin,  intrav. 

5000 

Nuklein 

1)  Als  Trockensubstanz  der  Bouillon  wurden  gewöhnlich  2  Vr  ^*^ 
Serums   10  "/o,  der  Bakterien  20 — 25  °/o  angenommen. 


Gifte  der  Kleinwesen.  861 

jenige    Grewichtsmenge   der   empfänglichen   Versuchstiere   in    Gramm 
berechnet,  die  durch  1  g  des  Giftes  akut,  d.  h.  binnen  24  Stunden  — 
oder  wenigstens  in  einigen  Tagen  (Diphtherie,  Tetanus)  —  bei  der 
günstigsten  Art^)  der  Einverleibung  und  der  kräftigsten  Beschaffen- 
heit des   Giftes   (§  271)  gerade   noch    getötet  wird.      Dabei    ist    zu 
bedenken,  daß  alle  diese  „Gifte^'  auch  nicht  annähernd  reine  Körper 
sondern    im    allgemeinen    nur    einen    ganz    kleinen    Teil    der 
zum  Tierversuch  dienenden  Substanz  darstellen.     In  Wirklichkeit  ist 
die   Giftigkeit  also  fast  durchweg  viel  höher  anzuschlagen.     Um  so 
überraschender  sind  die  Zahlen,  die  wir  in  der  Tabelle  für  das  Tetanus- 
und  Wnrstgift  (Botulotoxin)  —  beides  übrigens  von  Bakterien  stam- 
mend, die  wenig  oder  gar  keine  eigentliche  Infektiosität  besitzen  — 
finden:   sind  sie  doch  imstande,   das   100 — 1000 millionenfache  ihres 
Gewichts  an  Meerschweinchen  zu  töten.    Auch  das  Kaninchengift  der 
Ruhrbazillen  kommt  ihnen  manchmal  nahe.    Die  stärksten  der  chemisch 
bekannten  Gifte   (aus  der  Klasse  der  pflanzlichen  Alkaloide),   femer 
Arsenik  und  Phosphor,  sind  ihnen  nicht  im  entferntesten  zu  vergleichen : 
diese  kommen  höchstens  dem  Diphtherie-  und  manchem  Buhr-  und 
Fleischgift,  die  im  Verhältnis  von  1 : 1 — 3  Millionen  töten,  einigermaßen 
nahe.    In  einigem  Abstand,  aber  auch  noch  sehr  kräftig  (1:100000 
bis  300  000)  wirken  die  Gifte  der  Pest  -,  Cholera-,  Typhus-,  Influenza-, 
Schweinepest-,   Schweineseuchebazillen.     Auf  gleicher  Stufe  mit  den 
genannten   Infektionsgiften  stehen   bemerkenswerterweise   wieder   die 
des  Bac.  pyocyaneus,  eines  meist  ganz  harmlosen  Schmarotzers  mensch- 
licher Wunden  und  des  Bac.  prodigiosus,  der  überhaupt  noch  niemals 
als   Krankheitserreger   im   lebenden   Tiere    oder   Menschen   gefunden 
worden  ist,  vielmehr  zu  den  gewöhnlichsten  Bewohnern  toter  Stoffe, 
den  sog.  Saprophyten,  gehört.     Die  Infektiosität,  d.  h.  das 
Vermögen,  im  lebenden  Körper  zu  wachsen,  hat 
offenbar  wenig  oder  nichts  mit  der  Giftbildung 
zutun  (vgl.  §  257).    Dem  entspricht  ja  auch  die  Tatsache,  daß  die 
sog.  Septizämieerreger,  die  sich  in  imgehexiren  Mengen  im  Tierkörper 
entwickeln,    wie    die   Milzbrand-    und    Rotlaufbazillen,    sehr    wenig 
giftig  sind. 

§  269.  Einfluß  des  Wirkungsortes  und  der  Tierart  auf 
die  Giftigkeit.  Zu  bedenken  ist  freilich  bei  der  Beurteilung  unserer 
Tafel,  daß  namentlich  in  gewissen  Fällen  der  von  uns  angelegte  Maß- 
stab der  Giftstärke  ein  willkürlicher  ist.  So  würde  man  z.  B.  für  das 
Gift  der  Tuberkelbazillen  und  Ruhrbazillen  (bei  Meerschweinchen) 
ganz  andere  Ergebnisse  erhalten,  wenn  man  nicht  nur  den  schnellen, 

1)  Soweit  Versuche  vorliegen.     Vgl.  im  übrigen   §  269, 


862  Kap.  XVI,   §  269. 

sondern  auch  den  schleichenden  Verlauf  der  Vergiftung  berücksichtigte. 
Femer  sind  oft  Tierarten  gewählt,  die  für  die  Gifte  besonders  emp- 
fänglich sind,  aber  unter  natürlichen  Bedingungen  als  Opfer  einer 
Vergiftung  schon  deshalb  nicht  in  Betracht  kommen,  weil  sie  für  die 
betreffende  Infektion  gar  nicht  empfängUch  sind.  Wenn  man  im- 
Stande  wäre,  z.  B.  mit  dem  Buhrgift  am  Menschen  zu  experimentieren, 
würde  man  wohl  viel  schwächere  Wirkungen  erhalten,  als  am.  Kanin- 
chen (s.  u.).  Ebenso  große  Bedeutung  hat  sodann  die  Auswahl  der 
zu  prüfenden  Stämme.  Manche  Ruhrbazillen  z.  B.  —  es  scheinen 
das  gerade  die  am  wenigsten  infektiösen  zu  sein  —  sind  für  die  Kanin- 
chen bis  100  mal  giftiger  als  andere  (§  289).  Gewisse  schnell  tödliche 
Gifte  der  Cholera-  und  Typhusbazillen  scheinen  sogar  nur  ausnahms- 
weise vorzukommen  (§  271,  284,  286).  Besonders  wichtig  ist  femer 
der  Ort  der  Einverleibung  des  Giftes. 

Zu  den  wenig  giftigen  Bakterien  gehören  die  Gonokokken  (§297) 
und  Tuberkelbazillen  (§  304),  wenn  man  ihre  Produkte  den  Versuchs- 
tieren unter  die  Haut  oder  in  das  Bauchfell  einbringt,  sie  werden  aber 
100 — ^200 mal,  ja  1000 mal  giftiger  bei  Einspritzung  in  das  Grehim  oder 
auch  in  das  Blut.  Buhrbazillen  sind  für  Affen  unter  der  Haut  fast  un- 
giftig, im  Blut  sehr  giftig  (§  284).  Wir  haben  hier  einige  besondere 
ins  Auge  springende  Beispiele  für  die  Wichtigkeit  der  Einverleibungs- 
art. Auch  sonst  tritt  diese  fast  allenthalben  hervor,  doch  nicht  immer 
in  demselben  Maße  und  in  derselben  Richtung.  Es  gilt  freilich  die 
Regel,  daß  die  Einspritzung  in  das  Blut  wirksamer  ist  als  die  in  das 
Bauchfell  und  diese  wirksamer  als  die  imter  die  Haut^).  Dafür  scheint 
die  Schnelligkeit  der  Aufsaugung  maßgebend  zu  sein. 
So  sah  V  o  g  e  s  2)  Meerschweinchen  von  300 — 400  g  an  dem  Gift 
der  Schweineseuche  sterben,  wenn  er  ihnen  in  das  Bauchfell  8  mg, 
unter  die  Haut  des  Bauches  20  mg,  unter  die  Haut  des  Rückens  50 
bis  100  mg,  in  die  Muskulatur  der  Beine  100 — 150  mg  einführte.  Aber 
abgesehen  davon  ^)  ist  der  Ort  der  Einspritzung  von  Bedeutung,  weil 

1)  Wenn  es  sich  nicht  darum  handelt,  die  tödliche  Giftgabe  zu  be- 
stimmen, ist  die  subkutane  Einspritzung  wohl  den  übrigen  vorzu- 
ziehen. Mit  ihrer  Hilfe  gelingt  es  noch  z.  B.  beim  Diphtheriegift  mit  dem 
15.  Teil  der  kleinsten  tödlichen  Menge  örtliche  Veränderungen  zu  erzeugen. 
Noch  besser  eignet  sich  dazu  nach  Römer  (Zeitschr.  f.  Immunitäts- 
forschung 3.  208,  1 909 )  die  intrakutane  Einführung.  Durch  sie  werden 
noch   mit   dem  250.  bis  600.  Teil   der   tödüchen  Gabe  Reaktionen  »zieh. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  23.  237,   1896. 

3)  Mit  der  ungleichen  Aufsaugungsgeschwindigkeit  hängt  wohl  such 
die  namentlich  bei  Endotoxinen  oft  gemachte  Beobachtung  zusammen, 
daß  mit  der  Konzentration  der  Giftlösung  bzw.  in  um- 
gekehrtem Verhältnis  zur  Menge  der  einverleibten  Flüssigkeit  die  Giftig- 
keit steigt. 


Gifte  der  Kleinweseii.  SO'J 

die  Organe  nngleich  stark  für  das  Gift  empfänglich  sind.  Bei  den  einzel- 
nen Tierarten  trifft  man  da  häufig  ganz  verschiedene  Verhältnisse.  So 
wirkt  das  Tetannsgift  beim  Kaninchen  in  sehr  viel  kleinerer  Menge, 
wenn  es  in  das  Grehim,  als  wenn  es  unter  die  Haut  gebracht  wird, 
während  beim  Meerschweinchen  kaum  ein  Unterschied  besteht,  luid 
Ratten  und  Mäuse  eher  der  subkutanen  als  der  intrazerebralen  Ver- 
giftung erliegen^).  Das  Tetanusgift  nimmt  auch  insofern  eine  Aus- 
nahmestellimg  ein,  als  es  im  Blut  schwächer  wirkt  als  unter  der  Haut 
usw.  und  namentlich  in  der  Muskulatur  und  den  Nerven.  Wahr- 
scheinlich hängt  das  damit  zusammen,  daß  dieses  Gift  eine  eigen- 
tümliche Beziehung  zum  Nervensystem  hat,  nämlich  in  den  Ner- 
venbahnen von  der  Peripherie  nach  dem  Zentrum 
zu  wandert  (vgl.  §  281  und  Infektionslehre).  Dazu  stimmt  die 
große  Empfänglichkeit  des  Zentralnervensystems  für  dieses  Gift  (s.  o.). 
Auch  das  Gonokokkengift  (s.  o.)  imd  das  der  Influenza  (§  302)  hat  viel 
kräftigere  Wirkung,  wenn  man  es  in  das  Zentralnervensystem  ein- 
bringt, nicht  dagegen  das  Gift  der  Cholera-,  Typhus-,  Pyocyaneus- 
bazillen  und  Staphylokokken.  In  jedem  Falle  sind  übrigens  bei  der- 
artigen Versuchen  im  Gfehim  Kontrollversuche  und  ein  besonders 
streng  aseptisches  Verfahren  nötig.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  daß 
™le  einfache  chemische  Körper,  z.  B.  Salze,  auf  diesem  Wege  viel 
giftiger  sind,  als  auf  anderen  (vgl.  §  304). 

Übereinstimmung  besteht  insofern  für  alle  Eigengifte  der  Bakterien, 
als  sie  vom  Verdauungskanal  aus  sehr  viel  schwä- 
cher oder  gar  nicht  wirken.  In  vielen  Fällen,  so  z.  B.  bei 
der  Diphtherie  und  dem  Tetanus,  hat  man  auf  diesem  Wege  überhaupt 
keine  Vergiftung  erzielen  können,  trotzdem  man  mit  der  100 — 1000-, 
ja  lOOOOOfachen  Menge  arbeitete.  Schlangengift  verhält  sich  ähn- 
lich, während  bekanntlich  die  meisten  chemisch  bekannten  Gifte  auch 
vom  Magen  und  Darm  aus  sehr  energisch  wirken.  Doch  gibt  es  auch 
unter  den  Bakteriengiften  einige,  die  eine  Ausnahme  von  der  allge- 
meinen Regel  bilden,  indem  man,  allerdings  mit  weit  größeren  Gaben 
als  sonst,  auch  Vergiftung  vom  Darm  erzielt,  so  das  Gift  des  Bac.  botu- 
linus  und  einiger  Bakterien  aus  der  Parat}'phusgruppe.  femer  manche 
Pflanzengifte  (Rizin).  Offenbar  hängen  diese  Verhältnisse  mit  dem 
Diffusionsvermögen,  dem  Angriffsvermögen  für  das  Epithel  und  der 
Widerstandsfähigkeit  der  Gifte  gegen  die  Verdauungssäfte  zusammen^). 

Den  größten  Einfluß  auf  die  Bestimmung  der  Giftigkeit  hat,  wie 
schon  aus  dem  Gesagten  erhellt,  dieWahldesVersuchstiers. 

1)  Roux  und  Borrel,  Annal.  Pasteur  1898.  229. 

2)  Siehe  Aufnahme  von  Giften  durch  den  Darm  in  der  Infektions- 
lehre. Vgl.  auch  §  274,  beim  Choleragift  §  284  und  bei  Organgiften  §  318. 


864  Kap.  XVI.   §  279—271. 

Wir  werden  später  sehen,  daß  man  beim  Tetanusgift  zahlenmäßig 
die  verschiedene  Giftempfänglichkeit  der  einzebien  Tierarten  fest- 
gestellt hat.  Mehr  oder  weniger  gelten  derartige  Unterschiede  auch 
bei  den  übrigen  Giften,  doch  ist  der  Grad  der  Empfindlichkeit  in  jedem 
Falle  ein  besonderer,  wechselnder,  so  ist  das  Meerschweinchen  —  immer 
im  Verhältnis  zum  Körpergewicht  betrachtet  —  für  das  Gift  des  Te- 
tanus viel  empfänglicher  als  das  Kaninchen,  für  das  der  Diphtherie 
etwa  gleich,  für  das  der  Djrsenterie  viel  weniger  empfänglich. 

Neben  der  ungleichen  Empfänglichkeit  der  Tierarten  gibt  es  auch 
eine  solche  der  Rassen  und  Individuen,  die  die  Feststellung  der  tod- 
lichen Mindestgabe  recht  erheblich  erschweren  kann  (vgl.  z.  B.  Diph- 
theriegift S.  843  Anm.  1). 

§  270.    Wirkungsweise  der  Eigengifte.  Inkubationszeit. 
Über  die  Art  der   Giftwirkungen,  die  durch  die  Bakterien  bedingt 
werden,  haben  wir  schon  früher  einiges  gesagt  (S.  795  ff.)  und  werden 
ims  darüber  genauer  in  den  pathologischen  Abschnitten  dieses  Werkes 
(Infektionslel]j*e)  auszulassen  haben,  hier,  wo  es  sich  wesentlich  nur 
um  die  Unterscheidung  der  Gifte  voneinander  handelt,  genügen  wenige 
Bemerkungen.    Von  einer  charakteristischen,  leicht  erkennbaren  Wir- 
kung können  wir  nur  bei  verhältnismäßig  wenigen  Giften,  denen  des 
Tetanus,  der  Diphtherie,  des  Botulismus,  der  Dj^enterie,  allenfalls  der 
Influenza   sprechen;    die   Vergiftungserscheinungen   dagegen,    die   bei 
manchen  Versuchstieren  durch  Cholera,  Typhus,  Paratyphus,  Ruhr, 
B.  coli,  hämorrhagische  Septikämie,  Bac.  prodigiosus  usw.  verursacht 
werden,   zeigen  vorläufig    kaum  irgendwelche   Besonderheiten.     Alle 
diese   Gifte  töten  z.  B.   Meerschweinchen  vom  Bauchfell   aus  unter 
Temperaturverminderung  und  schnellem  Körperverfall  binnen  10  bis 
24  Stunden    (sog.   CholerakoUape,  „Endotoxin-",  „Proteinvergiftung" 
§  280).    Vorläufig  sagen  wir,  denn  es  ist  sehr  möglich,  daß  die  Ver- 
feinerung unserer  Beobachtungsmethoden,  andere  Auswahl  von  Tieren 
u.  dgl.  auch  hier  uns  noch  charakteristische  Verschiedenheiten  enthüllen 
wird.  Die  Versuche  am  gesunden  Menschen  müssen  ihrer  Natur  nach  be- 
grenzt sein,  sie  haben  uns  bisher  nicht  viel  gefördert.    Eine  Ausnahme 
macht  bisher  vielleicht  nur  der  Versuch  am  tuberkulösen  Men- 
schen (imd  Tier),  der  für  das  Tuberkulinstudium  von  Bedeutung  ge- 
worden ist.    Auch  er  hat  aber  eigentlich  nur  quantitative,  nicht  quali- 
tative  Unterschiede  in   der  Wirkung   dieser   Bakteriengifte  ergeben. 
Die  Beobachtungen,  die  am  natürlich  erkrankten  Tier  imd  Menschen 
während  des  Lebens  und  nach  dem  Tode  gemacht  wurden,  sind  natür- 
lich für  die  Beurteilung  der  Giftwirkung  von  großem  Werte,  haben  uns 
aber,   gerade  was  die   Unterscheidung  der   Gifte  anlangt,  nicht  viel 
mehr  gelehrt,  als  die  Tierversuche,  sie  geben  uns  außerdem  deswegen 


Gifte  der  Kleinwesen.  SB5 

iiäufig  kein  klares  Bild  der  Vergiftung,  weil  beim  natürlichen  Verlauf 
ler  Infektion  die  Erreger  an  verschiedener  Stelle,  in 
ingleicher  Menge,  mit  wechselnder  Schnellig- 
V  e  i  t  ihre  Giftwirkung  entfalten.  Es  wäre  von  vornherein  nicht  aus- 
schlössen, daß  das  so  verschiedene  Krankheitsbild 
ler  Cholera,  des  Typhus,  der  Ruhr  nicht  auf  we- 
jentlichen  Unterschieden  des  Giftes  selbst,  son- 
lern  nur  auf  jenen  Differenzen  beruhte. 

Sehr  wichtig  für  die  Kenntnis  der  Giftvrirkungen  ist  natürlich 
las  Verhalten  der  Gifte  gegenüber  den  einzelnen  Arten  von  Körper- 
teilen und  Geweben,  das  man  bis  zu  einem  gewissen  Grade  außerhalb 
les  lebenden  Körpers,  im  Reagensglas,  studieren  kann  (s.  o.  S.  796). 
Die  Bemühungen  darum  befinden  sich  noch  im  Anfangsstadium,  sie 
baben  auch  vorläufig  nur  ergeben,  daß  diejenigen  Bakterienstoffe, 
die  z.  B.  rote  und  weiße  Blutkörperchen  schädigen  (Hämolysine, 
Leukozidine),  zu  trennen  sind  von  den  allgemeinen  Giften,  die  den 
schnellen  Tod  bewirken.  Ob  das  gleiche  von  den  sog.  sekundären 
Giften,  die  Entzündimg,  Fieber,  Emähnmgsstörungen  und  den  lang- 
samen Tod  durch  Entkräftung  verursachen  (§  280),  steht  dahin. 
Ebenso  fragt  es  sich,  ob  wir  besondere  Herz-,  Gefäß-,  Nerven-  und  Hirn- 
gifte annehmen  müssen  (§  318).  Pharmakologisch  genau  untersucht 
bezüglich  ihres  Verhaltens  zum  Herzen,  dem  Gefäßsystem,  der  Atmung 
sind  bisher  nur  wenige  Gifte,  so  das  Diphtheriegift,  die  Vibrionengifte, 
das  Anaphylatoxin  (vgl.  Infektionslehre). 

Seitdem  man  die  Eigengifte  der  Bakterien  kennt,  hat  man  es  als 
eine  charakteristische  Eigenschaft  betrachtet,  daß  sie  nicht  unmittel- 
bar nach  ihrer  Einverleibung  wirken,  sondern  erst  eine  gewisse  Zeit 
dazu  brauchen.  Diese  „Latenz-"  oder  „Inkubationszeit"  (Wartezeit)  be- 
trägt beim  Tetanus-,  Diphtherie-,  Botulinus-  und  Dysenteriegift  selbst 
bei  den  gewaltigsten  Gaben  eine  ganze  Reihe  von  Stunden.  Aber  nicht 
alle  Eigengifte  verlangen  zu  ihrer  Wirkung  eine  Inkubationszeit.  So 
tötet  Staphylokokkengift  Kaninchen  vom  Blutwege  aus  in  einer  Stunde, 
das  der  Bubonenpest  Batten  und  Mäuse  auch  binnen  kürzester  Zeit, 
das  des  Vibrio  Nasik  (§  285)  Kaninchen  sogar  binnen  einiger  Minuten. 
Auch  der  Choleravibrio  bildet  wenigstens  nach  Metschnikoffu.  a. 
solche  schnellwirkende  Giftstoffe  und  beim  Pneumoniekokkus  (§  294) 
haben  Kruse  und  P  a n s i  n i ,  beim  Tuberkelbazillus  de  G  i  a  x  a 
ähnliches  beobachtet.  Das  Schlangengift,  das  den  Bakteriengiften  in 
vielen  Beziehungen  an  die  Seite  zu  stellen  ist,  kann  ebenfalls  blitz- 
artig toten.  Umgekehrt  gibt  es  chemisch  bekannte  Gifte  wie  das 
K  0 1  c  h  i  z  i  n  ^),  die  auch  eine  Inkubationszeit  brauchen.     In  dieser 

1)  Vgl.  Hausmann,  Pflügera  Archiv  113.  317. 
Kruse,  Mikrobiologie.  55 


8(56  Kap.  XVI,    §  270  u.  271. 

Beziehung  läßt  sich  also  eine  strenge  Scheidung  der  Eigengifte  von  der 
übrigen  nicht  durchführen  (über  Anaphylatozin  vgl.  §  344). 

§  271.   Bildungsweise  der  Eigengifte.    Was  die  Absonderung 
bzw.  Bildung  der  Bakteriengifte  anlangt,  so  besitzt  zwar  jede  einzelne 
Art  von  Mikroorganismen  ihre  besonderen,  durch  die  Erfahrung  fest- 
gestellten Eigenheiten.    Indessen  lassen  sich  gewisse  allgemeine  Regeln 
aufstellen.     In  erster  Linie  ist  das  Vermögen  der  Giftbildung  nicht 
nur  bei  den  Arten  der  Bakterien  verschieden,  sondern  auch  bei  den 
Abarten  und  Eulturstämmen  ein  wechselndes.     Man  kann 
sagen,  daß  es  mindestens  ebenso  sehr,  wenn  nicht  noch   mehr  der 
Abänderung  unterworfen    ist,   als  die   meisten   übrigen 
biochemischen  Eigenschaften  der  Mikrobien.     Mit  der  sog.   Virulenz 
oder  Infektiosität,  d.  h.  der  Fähigkeit,  im  lebenden  Körper  zu  wachsen, 
mit  anderen  Worten,  die  Rolle  eines  „Parasiten"  zu  spielen,  hat  die 
Giftigkeit,  wie  öfters  gesagt  (§51,  68,  257,  268),  meist  nichts  zu  tun'). 
So  ist  z.  B.  nach  unseren  Erfahrungen  ganz  regelmäßig  die  Giftigkeit 
der  Ruhrbazillen  für  das  Kaninchen  am  größten,  für  das  Meerschwein- 
chen weit  geringer,  die  Infektiosität  für  letztere  umgekehrt  größer  ab 
für  erstere;   Stämme,  die  am  meisten  Eaninchengift  bildeten,  waren 
weniger  infektiös  für  Meerschweinchen.     Doch  gilt  dieser  Gregensatz 
bloß  für  das  sog.  Kaninchengift  der  Ruhrbazillen  (§  289).    Die  Giftig- 
keit  für   das  Meerschweinchen  ging  sogar  in  einigen  Fällen  parallel 
mit   ihrer  Infektiosität  für  dieses  Tier.     Es  muß  aber  dahingestellt 
bleiben,   wieweit   Zufälligkeiten   dies   letztere   Ergebnis  herbeigeführt 
haben.     Das  trifft  auch  für  die  von  mancher  Seite  gemachten  An- 
nahmen zu,  daß  Bakterien  (z.  B.  die  der  Diphtherie  imd  Pest)  ihre 
Giftigkeit,   indem  sie  durch  empfängliche  Tiere 
hindurchgehen,  steigern.     Eine  allgemeine  Erfahrung  ist 
das  keineswegs.     So  sind  auch  nach  Graßberger  und  Schat- 
tenfroh (§283)  Giftigkeit  und  Virulenz  beim  Rauschbrandbazillus 
völlig  getrennte  Eigenschaften.     Auch  die  neuesten  Mitteilungen  über 
schnellwirkende  Toxine  der  Vibrionen,  Cholera-,  Typhus-  und  Para- 
typhusbazillen,   Staphylokokken  zeigen,  daß  für  die   Giftigkeit  eines 
Bakterienstammes  dessen  angeborene,  nichl  von  uns  zu  beeinflussende 
Eigenart  eine  weit  wichtigere  Bedeutung  hat  als  die  Infektiosität. 
Man   muß   sich   alo   einerseits    zwar   zur   Giftdar- 
stellung geeigneter  Stämme  bedienen,  anderer- 
seits aber  nicht  vergessen,  daß  die  gewonnenen 
Ergebnisse  nicht  allgemeingültig  zu  sein  brau- 
chen, d.  h.  das  gefundene  Gift  unter  natürlichen 

1)  Vgl.  auch  das  bei  den  Aggressinen  Gesagte  (§  321  ff.). 


Gifte  der  Klein wesen.  857 

Verhältnissen  wenig  Bedeutung  haben  kann  (s.  o. 
.S.  a59). 

Sehr  viel  hängt,  was  die  Menge  des  gebildeten  Oiftes  anlangt, 
von  der  Zusammensetzung  des  Nährbodens  und  den  sonstigen 
Wachstumsbedingungen,  z.  B.  der  Temperatur  imd  dem 
Sauerstoffzutritt,  ab.  Man  wählt  im  allgemeinen  die 
für  das  Wachstum  günstigsten  Verhältnisse.  In 
den  meisten  Fällen  ist  man  bisher  mit  den  üblichen  künstlichen  Nähr- 
böden zum  Ziel  gekommen,  doch  gibt  es  Ausnahmen,  der  Pneumokok- 
kus (§  299)  bildet  z.  B.  nach  den  bisherigen  Erfahrungen  auf  Bouillon 
etwa  20  mal  weniger  Gift,  als  in  dem  Blut  der  lebenden  Versuchstiere. 
Es  liegt  nahe,  die  Säfte  des  lebenden  Tiers  durch  die  des  toten,  z.  B, 
durch  Blutserum  oder  Organsäfte  oder  lebende  Leukozyten, 
zu  ersetzen,  um  stärkere  Giftbildung  hervorzurufen,  man  hat  deshalb 
vielfach  derartige  Zusätze  zu  den  Nährböden  empfohlen.  Der  Augen- 
schein lehrt  dabei,  daß  ein  Erfolg  nicht  immer  einfach  dadurch  be- 
dingt wird,  daß  das  Wachstum  der  Bakterien  ein  besseres  wird,  sondern 
daß  vielleicht  gewisse  Bestandteile  in  der  Körpersubstanz  vorhanden 
sein  müssen,  die  in  irgendeiner  vorläufig  imbekannten  Weise  gerade 
nur  die  Giftbildung  unterstützen  (vgl.  Streptokokken  §  295).  Noch 
näher  glaubte  man  den  natürlichen  Bedingungen  der  Giftbildung  da- 
durch zu  kommen,  daß  man  die  Mikrobien  in  Zelloidin-  oder  Schilf- 
säckchen  eingeschlossen  innerhalb  des  lebenden  Körpers  (z.  B.  in  der 
Bauchhöhle)  züchtete^).  Bisher  ist  wenig  dabei  herausgekommen. 
Natürlich  sind  die  Bedingungen  ja  auch  keineswegs  dadurch  geworden, 
da  eben  nicht  alle  Stoffe  dxirch  die  Membranen  hindurchgehen;  die 
Aussichten  der  Giftgewinnung  sind  sogar  insofern  imgünstigere,  als 
umgekehrt  die  gebildeten  Gifte  unter  umständen  durch  Diffusion 
nach  außen  verschwinden.  Das  macht  sich  sogar  bei  einer  anscheinend 
noch  natürlicheren  Versuchsanordnung  bemerkbar,  wenn  man  nämlich 
die  Mikrobien  wachsen  läßt  in  serösen  Höhlen  und  dann  das  Exsu- 
dat auf  Gifte  verarbeitet.  Bei  der  Besprechung  der  natürlichen 
oder  tierischen  „Aggressine"  wird  davon  die  Rede  sein,  daß  diese 
Exsudate  keineswegs  so  regelmäßig,  wie  man  annehmen  sollte,  giftig 
wirken  (§  321).  Indessen  glaubt  man  in  anderen  Fällen  doch  auf 
solchem  Wege  besondere  Gifte  erhalten  zu  haben  (vgl.  Typhus,  Milz- 
brand u.  a.  m.).  Auch  das  Blut  (s.  o.)  und  die  Absonderungen 
infizierter  Tiere  hat  man  öfters  in  ähnlicher  Weise  zur  Giftgewinnimg 
benutzt,  aber  die  Verhältnisse  liegen  hier  auch  nicht  so  günstig,  wie 


1 )  Lit.  bei  de  W  a  e  1  e  und   S  u  g  g  Zentr.   Bakt.   42.  636,  vgl.  im 
übrigen  bei  Cholera-  und  anderen  Giften. 

55* 


868  Kap.  XVI,   §  271  u.  272. 

es  auf  den  ersten  Blick  scheint,  weil  die  Gifte  von  den  Organen 
schnell  gebunden  und  nur  mangelhaft  ausgeschieden  zu  werden  pflegen 
(vgl.  Infektionslehre  und  §  274). 

Die  Vorschriften,  die  bezüglich  der  Zusammensetzung  der  künst- 
lichen Nährboden  gemacht  worden  sind,  gelten  immer  nur  für  be- 
stimmte Bakterien.  So  ist  ein  Peptongehalt  der  Bouillon  für 
die  Giftbildung  der  meisten  Bakterien  sehr  förderlich,  nach  der  An- 
sicht Christmas'  bei  den  Gonokokken  nur  hinderlich  (§297). 
Zucker  hemmt  bei  vielen  Mikroorganismen  die  Giftentwicklung  (s.  o. 
Diphtherie  S.  828),  begünstigt  sie  aber  bei  anderen  (Rauschbrand). 
Das  gleiche  gilt  für  die  Temperatur:  die  meisten  Bakterien  ver- 
langen die  Temperatur  der  Warmblüter,  der  Bac.  botulinus  und  pestis 
bubonicae  eher  Zimmertemperatur.  Im  übrigen  haben  wir  schon  bei 
dem  Diphtheriegift  gesehen,  daß  man  auf  verschiedenen 
Wegen  zum  Ziele  gelangen  kann,  und  daß  nicht 
selten  die  erprobtesten  Anordnungen  zu  Mißer- 
folgen führen,  ja  daß  sogar  von  einer  Reihe  unter  ganz  gleichen 
Bedingungen  angelegter  Eulturgefäße  das  eine  viel,  das  andere  wenig 
Gift  erzeugt. 

Über  den  Chemismus  und  Mechanismus  der  Giftbildung  können 
wir  ebensowenig  etwas  Sicheres  aussagen,  wie  über  den  der  Fermente 
bzw.  Enzjrme  (§  68,  250).  Wunderbar  ist  das  ja  nicht,  da  wir  schon 
ihre  chemische  Natur  nicht  kennen  (vgl.  aber  das  Anaphylatoxin  §  344). 

§  272.  Gewinnnngsweise  der  Eigengifte.  Ekto-  und 
Endotoxine.  Die  Verfahren,  durch  die  man  aus  den  fertigen  Kulturen 
das  Gift  gewinnt,  sind,  um  es  mit  einem  Worte  zu  sagen,  etwa  dieselben, 
die  wir  schon  bei  der  Darstellung  der  Fermente  kennengelernt  haben 
(§  240).  Bei  den  Bazillen  der  Diphtherie,  des  Tetanus,  Botulismus, 
Rauschbrands,  den  Staphylo-  und  Gonokokken,  zum  Teil  auch  bei 
den  Ruhrbazillen  hat  man  die  Erfahrung  gemacht,  daß  ältere 
flüssige  Kulturen,  die  schon  längst  den  Höhepunkt  ihres 
Wachstums  überschritten  haben,  das  stärkste  Gift  liefern,  und  daß 
man  es  in  den  keimfrei  durch  Porzellan,  Kieselgur  oder  auch  bloß 
mehrfach  durch  Papier  filtrierten  oder  ausgeschleuderten 
oder  freiwilig  abgesetzten  Kulturen  wiederfindet.  Um- 
gekehrt gewinnt  man  beim  Cholera-,  Typhus-,  Paratyphus,  Schweine- 
pest- und  -Septizämie-,  Influenzabazillus  usw.,  nach  unserer  Erfahrung 
auch  bei  den  Dysenterie-  und  Pseudodysenteriebazillen  das  kraftigste 
Gift  aus  jungen  Kulturen,  und  zwar  aus  den  Leibern  selbst.  Man 
kratzt  dabei  die  Bakterien  vom  festen  Nährboden  ab  oder  ent- 
nimmt sie  aus  dem  flüssigen  durch  Abheben  der  etwa  gebildeten  Decken, 
Abfiltern    oder    Ausschleudern,    tötet   sie    durch    scharfes   Trocknen. 


Gifte  der  Klein weBen.  869 

Temperaturen  von  55 — 120°,  durch  mechanische  Zertrümmerung  (s.  u.), 
durch  (nicht  zu  eingreifende)  chemische  Mittel  wie  Chloroform,  0,5% 
Karbolsäure,  Toluol,  Glyzerin,  Alkalien  und  verwendet  die  Aubchwem- 
mungen  der  Leiber  als  solche,  oder  entzieht  ihnen  die  wirksamen  Stoffe 
durch  dieselben  oder  andere  phjrsikalische  und  chemische  Mittel^). 
Schon  das  1 — ^2  stündige  Erhitzen  in  Kochsalzlösung  bei  55 — 65°  und 
nachfolgendes  Zentrifugieren  setzt  uns  z.  B.  in  Besitz  sehr  kräftiger 
Ruhr-,  Typhus-  und  Choleragiftlösungen ;  Ausziehen  mit  0,5prozentiger 
KaUlauge  und  Niederschlagen  mit  Essigsäure  ergab  Lustig  und  6  a  - 
leotti  zuerst  bei  Pestbazillen,  dann  bei  allen  möglichen  Bakterien 
giftige  „Nukleoproteide"  (s.  u.  §  273) ;  tagelanges  Schütteln  in 
destilliertem  Wasser  oder  anderen  Flüssigkeiten  (vgl.  Angriffstoffe 
§  320),  Verreiben  der  feuchten  Bakterien  mit  Glaspulver,  Sand  oder 
Kieselgur  (H.  B  u  c  h  n  e  r  und  Hahn),  Verreiben  der  trockenen 
Bakterien  in  einem  Mörser  (R.  Koch,  vgl.  Tuberkelbazillen  §  304) 
oder  einer  Kugelmühle  (Lautenschläger)  oder  der  feuchten 
und  gefrorenen  bei  der  Temperatur  der  flüssigen  Luft  in  dem  von 
Macfadyen  und  R  o  w  1  a  n  d  angegebenen  Apparat  eröffnet  die 
Leiber  und  ermöglicht  die  Gewinnung  des  Saftes  durch  Auspressen 
der  „Piasmine"  tmter  hohem  Druck  (wie  bei  der  Zymase  §  89),  Aus- 
ziehen mit  Wasser  (s.  Staphylokokken  §  248),  ganz  schwachen  Al- 
kalien (Macfadyen)  u.  dgl.^).  Auch  die  Autolyse  ist  dazu  seit  C  o  n  - 
radi  öfter  angewendet  worden,  ist  aber  bedenklicher,  weil  die  Ver- 
dauung die  Gifte,  besonders  wenn  sie  lange  einwirkt,  angreift  oder 
auch  erst  giftige  Zerfalktoffe  erzeugt  (vgl.  Pestgift).  Das  gleiche  gilt 
wohl  von  der  Behandlung  mit  alkalischem  Alkohol  (Coligift  Vaughans 
§  288)  oder  Blutserum  (Anaphylatoxin  Friedbergers  §  344). 

Je  nachdem  man  die  Gifte  auf  die  eine  oder  andere  Weise  gewinnt, 
bezeichnet  man  sie  als  Sekretgifte,  Ektotoxine  (auch 
eigentliche  Toxine)  und  als  Leibesgifte  oder  Endotoxinc, 
ähnlich  wie  man  die  Ektofermente  den  Endofermenten  gegenüber- 
stellt (§  240).  Was  die  Berechtigimg  dazu  anlangt,  so  verweisen  wir 
auf  das  an  letzter  Stelle  Gesagte.  Man  kann  die  Scheidung  in  prak- 
tischer Beziehung  für  zweckmäßig  halten,  ohne  doch  von  dem  wissen- 
schaftlichen Wert  der  Trennxmg  überzeugt  zu  sein  (s.  auch  S.  791). 


1)  Fast  sämtliche  Methoden  sind  beim  Cholera-  und  TyphusbazilluH 
284  und   286),   zum   großen   Teil   auch   schon  beim   Diphtheriebazillus 

{§261)  angewandt  worden.  S.  dort  die  Literatiu*.  Praktisch  wichtige 
Einzelheiten,  namentlich  die  Immungifte  betreffend,  s.  auch  im  Handb.  von 
Kraus  und  Levaditi    1.  Band  bei  Pick. 

2)  Vgl.    die   Äthylaminmethode    Aronsons    beim   Diphtheriegift 
<S.  830). 


870  Kap.  XVI,    §  272. 

Wenn  man  nämlich  die  Begriffe  so  auffaßt,  wie  es  seit  R.  Pfeiffer» 
Untersuchungen  über  das  Choleragift  (§  284)  gewöhnlich  geschieht, 
daß  nämlich  die  Ektotoxine  echte  Absonderungen  der  lebenden  Mikro- 
ben, die  Endotoxine  Leibesbestandteile  derselben  seien,  die  erst  durch 
Absterben  oder  Abtöten  in  Freiheit  gesetzt  werden,  oder  wenn  man 
mit  Oppenheimer  u.  a.  gar  die  Ektotoxine  als  immunisierende, 
die  Endotoxine  als  nicht  immunisierende  Gifte,  die  einen  als  hitze- 
empfindlich,  die  anderen  als  hitzebeständig  definiert,  kommt  man 
sofort  in  die  Brüche^).  Wir  gehen  auf  die  Immunisierungsfähigkeit 
(§  275)  und  die  Widerstandsfähigkeit  der  Gifte  (§  274)  später  noch  ge- 
nauer ein. 

Daß  die  Auffassung  der  Ektotoxine  als  echter  Sekrete  lebender 
Zellen  auf  Schwierigkeiten  stößt,  daß  wir  vielmehr  auch  hier  ebensogut 
von  einem  Freiwerden  der  Gifte  beim  Absterben  der  Bakterien  sprechen 
können,  haben  wir  schon  bei  Gelegenheit  des  Diphtheriegifts  (S.  829  ff.) 
gesehen.    Auch  bei  den  meisten  anderen  Sekretgiften  ist  es  wohl  nicht 
anders,  wie  schon  die  Tatsache  bezeugt,  daß  sie  gewöhnlich  erst  aus 
älteren  Kulturen  in  genügender  Menge  erhalten  werden.    Am  klarsten 
sind  aber  die  Verhältnisse  bei  dem  Dysenteriebazillus.     Man  erhält 
das  gleiche  für  Kaninchen  tödliche  Gift  durch  beide  der  obigen  Ver- 
fahren.    Dadurch  wird  bewiesen,  daß  das  in  der  Bouillon  wegen  des 
langsamen  Wachstums  nur  allmählich  gebildete  und  beim  Absterben 
der  Bazillen  ebenso  allmählich  in  sie  ausgeschiedene  Gift  von  vornherein 
in  den  Leibern  der  jungen  Agarkulturen,  die  schon  nach  24  Stunden 
den  Höhepunkt   ihrer  Entwicklung    erreicht   haben,    vorhanden  ist. 
also    zwischen    Endo-     und    Ektotoxin    kein     Gegensatz     besteht, 
vielleicht  alle  Eigengifte  der  Bakterien  als  Endo- 
toxine   in    dem    Pfeifferschen    Sinne    bezeichnet 
werden  könnten,  und  ein  Unterschied  nur  insofern 
hervortritt,  als  das   Gift  mehr  oder  weniger  fest 
amLeibe  derBakterien  haftet.  Es  brauchte  ja  nun  freilich 
nicht  immer  so  zu  sein.     Denn  es  wäre  möglich,  daß  einerseits  die 
Giftbildung  mit  dem  Wachstum  der  Bakterien  und  andererseits  die 
Ausscheidung  der  Gifte  aus  den  Bakterien  mit  dem  Absterben  nicht 
gleichen  Schritt  hielte.    Die  bei  den  Filtratgiften  der  Staphylokokken 
und  namentlich  bei  dem  Hämolysin  (imd  Leukozidin)   der  meisten 
Bakterien  (§  312)  gewonnenen  Erfahrungen  sprechen  dafür,  daß  diese 
giftigen  Stoffe  ursprünglich  nicht  fertig  gebildet  in  den  jimgen  Leibern 
der  Bakterien  vorhanden  sind.     Gerade  hier  könnte  man  am  ehesten 


1)  Vgl.  die  Verhandlung  über  Endotoxine  in  der  2.  Tagung  des  Verein!« 
für  Mikrobiologie.     Zentr.  Bakt.     Ref.  42.  Bd.    Beiheft. 


Gifte  der  Kleinwenen.  871 

daran  denken,  daß  diese  Gifte  wie  viele  Enzyme  nur  in  gewissen 
Zeiten  ihres  Lebens  von  den  Zellen  gebildet  und 
abgesondert  würden.  In  mancben  Fällen  scheinen  die  das  Gift 
liefernden  Bestandteile  durch  den  längeren  Aufenthalt  in  den 
Bakterienleibem  oder  der  Lösung  geschädigt  zu  werden.  In  anderen 
Fällen  wird  das  Gift  aber  vielleicht  gerade  durch  Zersetzungs- 
vorgänge, wie  wir  sie  ja  in  geschädigten  Zellen  so  häufig  eintreten 
s^hen  (Selbstverdauung)  verstärkt  oder  überhaupt  erst  aus  den  un- 
schädlichen Muttersubstanzen  entwickelt  (Pest  ?  §  291).  Meist  dient 
fieilich  die  Selbstverdauung  dazu,  die  Endotoxine  aus  den  Leibern 
zu  befreien  und  schädigt  sie  bei  längerer  Einwirkung. 

Daß  die  Ausscheidung  der  Bestandteile  der  Bakterienleiber  mit 
angleicher  Schnelligkeit  und  Leichtigkeit  erfolgt,  wird  schon  durch  die 
verschiedene  Zusammensetzimg  der  letzteren  wahrscheinlich  ge- 
macht. Der  Fettgehalt  imd  die  dichte  Beschaffenheit  der  säurefesten 
Bazillen  (§19)  wird  ebenso  wie  die  feste  Struktur  der  grampositiven 
(§18)  den  Vorgang  verlangsamen,  es  wird  also  hier  eingreifender  Mittel 
bedürfen,  um  das  Gift  in  Freiheit  zu  setzen. 

Die  Empfindlichkeit  der  Gifte  (§  274)  spielt  bei  allen 
diesen  Vorgängen  wohl  sicher  keine  geringe  Rolle.  Nach  L  ü  b  b  e  r  t 
ist  sie  bei  den  giftigen  Heubazillen  der  Milch  (§  301)  so  groß,  daß  man 
das  Gift  überhaupt  noch  nicht  in  löslichem  oder  unlöslichem  Zustand 
hat  gewinnen,  sondern  sein  Vorhandensein  nur  durch  Versuche  mit 
den  lebenden  Bakterien  hat  nachweisen  können.  Bei  seinen  Studien 
über  das  Choleragift  kam  R.  Pfeiffer  fem  er  zu  dem  Schluß,  es 
gäbe  ein  gegen  alle  Angriffe  sehr  empfindliches,  um  ein  Vielfaches 
stärkeres  „primäres"  und  ein  widerstandsfähigeres,  aber  schwächeres 
„sekundäres"  Leibesgift.  Wir  werden  sehen,  daß  sich  diese  Unter- 
scheidung gerade  für  die  CSiolera  nicht  in  dem  ursprünglichen  Sinne 
aufrecht  erhalten  läßt,  immerhin  ist  sicher,  daß  man  z.  B.  durch  Kochen 
viele,  wenn  nicht  alle  gelösten  Gifte  in  ihrer  Wirkung  abschwächen, 
andererseits  aber  aus  den  Bakterienleibern  durch  längeres  Kochen 
immer  wieder  neue  Giftstoffe  ausziehen  kann.  In  welcher  Beziehung 
diese  kochfesten  Gifte  zu  den  ursprünglichen  stehen,  ist  nicht  ganz 
sicher,  der  Name  „sekundäre"  Gifte  also  vielleicht  nicht  gerecht- 
fertigt. Immerhin  mag  man  ihn,  um  eine  Bezeichnung  zu  haben, 
beibehalten,  wenn  man  nicht  mit  Buchner  von  „Bakterienproteinen", 
mit  Centanni  von  Fiebergiften,  „Pyrotoxinen"  sprechen  will  oder 
aber  den  Namen  Leibesgifte  (Endotoxine)  nicht  ausschließlich  auf  die 
kochfesten,  schwer  aus  den  Leibern  freizumachenden  Gifte  beschränken 
will  (vgl.  §  280). 

Nicht  nur  primäre  und  sekundäre  Gifte  hat  man  übrigens  bei  einem 


872  Kap.  XVI,   §  272  u.  273. 

und  demselben  Bakterium  zu  unteischeiden,  sondern  auch  stets  im 
Auge  zu  behalten,  daß  man  es  möglicherweise  mit  einer  Vielheit 
von  Giften  zu  tim  hat.    Man  hat  verschiedene  Mittel,  um  das  zu 
beweisen.     So  bildet  z.  6.  die  ungleiche  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Temperaturen  von  50 — 60®  ein  Mittel,   das  blutkörperlösende   Teta- 
nolysin  (§312)  und  das  krampferzeugende  Tetanospasmin  (§  281)  zu 
unterscheiden  (vgl.  §  274).    Ebenso  glaubt  man  Ursache  zu  haben,  von 
dem  eigentlichen  allgemeinen  Gift  der  Staphylokokken  (§  298)  das  blut- 
körperlösende   Staphylolysin    (§  312)   und    das   Leukozyten    tötende 
Leukozidin  (§  317)  trennen  zu  müssen.     Ihre  Scheidung  voneinander 
scheint    manchmal   erst    durch    die   Benutzung  der  Immunisierungs- 
verfahren (s.  u.),  andere  Male  durch  den  Vergleich  der  Wirkungen 
von   Giftlösungen,  die  von  verschiedenen  Nährböden,   oder  in  dem- 
selben Nährboden  zu  verschiedenen  Zeiten,   oder  von  verschiedenen 
Stämmen  derselben  Art  gewonnen  sind  (vgl.  Tetanoljrsin,   Staphylo- 
lysin), mögUch  zu  sein.   Weiter  hat  man  bei  den  Pest-,  Typhus-,  Cholera- 
bazillen, Vibrionen  Gifte  gefunden,  die  sich  schon  durch  ihre  kurze 
Inkubationszeit  (§  270)  von  den  gewöhnlichen  unterscheiden. 
Von  den  „Toxonen"  haben  wir  schon  bei  Gelegenheit  des  Diphtherie- 
gifts gesprochen  (§  263).     Bei  ihnen  wurde,  abgesehen  von  anderen 
Dingen,  die  das  Verhalten  zum  Tierkörper  und  Immunserum  betreffen, 
die    mehr    oder    weniger    ausgesprochene    Filtrierbarkeit   zu 
seiner  Trennung  benutzt.     Übrigens  ist  dieses  Merkmal  nur  mit  Vor- 
sicht zu  benutzen,  da  der  ungleiche  Schleim-  und  Eiweißgehalt  der 
Giftlösungen  hierauf  Einfluß  hat  (vgl.  Pyocyaneus  §  299,  Gonokokken 
§  297).    Immerhin  macht  es  den  Eindruck,  als  ob  die  weit  verbreitete 
Ansicht,  daß  alle  gelösten  Bakteriengifte  auch  filtrierbar  sein  müßten, 
nicht  den  Tatsachen  entspräche.     In  manchen  Fällen  ist  es  besser, 
um  das  Gift  frei  von  Bakterien  zu  erhalten,  entweder  —  bis  zur  Klar- 
heit der  Lösung  —  auszuschleudern  oder  durch  Fließpapier  mit  oder 
ohne  Zusatz  von  Talk  u.  dgl.  zu  filtrieren,  als  die  eigentlichen  Bakterien- 
filter  zu  benutzen.     Unterschiede  an  Durchlässigkeit  bestehen  ganz 
sicher  zwischen   den   einzelnen   Filterarten,   am   durchlässigsten  sind 
einige  Kieselgursorten^).     Schon    die   älteren   Filtrierversuche  haben 
femer  gelehrt,  daß  im  Anfange   des  Filtrierens   die  Gifte  oft  in  den 
Poren  zurückgehalten  werden  imd  erst  in  den  späteren  Anteilen  hin- 
durchgehen.   Hin  und  wieder  ist  es  möglich,  auch  die  ungleiche  A  b  - 
sorbierbarkeit  durch  andere   Stoffe  zur  Trennung  der  Gifte 
zu  benutzen,  so  weiß  man,  daß  einzelne  Nervengifte  (Tetanus,  Botn- 


1)  Über   die   Eigenschaften   der   verschiedenen   Filter   vgl.   nament- 
lich Rosenthal,  Zeitschr.  f.  Hyg.  60,   1908. 


Gifte  der  Kleinwesen.  873 

lismus)  durch  Hirn  und  Rückenmark,  die  Hämolysine  durch  rote 
Blutkörperchen  (§  274),  die  inmiunisierenden  Gifte  durch  ihre  Anti- 
toxine gebunden  werden.  Schließlich  ist  die  Fähigkeit  zu  im- 
munisieren selbst  ein  Merkmal  vieler  Gifte,  so  fast  aller  Sekret- 
gifte, aber  auch  einiger  Leibesgifte  (z.  B.  der  Djrsenterie).  Wir  kommen 
im  §  275  auf  diese  „Impfgifte"  zurück. 

§  273.  Reinigung  der  Eigengifte.  Chemische  Natur« 
Durch  einen  Teil  der  eben  angegebenen  Verfahren  sind  uns  sichere 
Büttel  an  die  Hand  gegeben,  dem  Ziele  der  Reindarstellung 
der  Gifte  näherzukommen.  Im  übrigen  gelten  dafür  die  Methoden, 
die  wir  schon  bei  Gelegenheit  der  Enzymdarstellung  (§  240)  kennen 
gelernt  haben.  Die  Schwierigkeiten,  denen  wir  hier  und  dort  begegnen, 
sind  die  gleichen.  Man  wird  vor  allem  erwarten  müssen,  in  diesen 
Giftlösungen  stets  mehr  oder  weniger  große  Mengen  von  Eiweißkörpem, 
namentlich  Albumosen  und  Peptone  zu  finden.  Von  den  ersten  For- 
schem, die  sich  mit  der  Darstellimg  der  Gifte  beschäftigten,  B  r  i  e  g  e  r 
und  F  r  ä  n  k  e  1  (vgl.  S.  824),  ist  dieser  Pimkt  nicht  genügend  be- 
rücksichtigt worden,  sie  glaubten,  als  sie  aus  den  Kulturfiltraten  der 
Diphtheriebazillen,  dann  aber  auch  der  Typhus-,  Tetanus-,  Cholera- 
bakterien und  Staphylokokken  und  aus  den  Auszügen  von  Milzbrand- 
organen durch  Fällung  mit  Alkohol  oder  Ammonsulfat  giftige  Stoffe 
erhielten,  die  eigentUchen  Gifte  vor  sich  zu  haben  und  nannten  sie, 
weil  sie  sich  wie  Eiweißkörper  verhielten,  Toxalbumine.  Die 
weitere  Entwicklung  der  Frage  haben  wir  schon  bei  Besprechung  des 
Diphtheriegiftes  behandelt  (S.  825  ff.). 

In  erster  Linie  gebührt  B  r  i  e  g  e  r  selbst  imd  seinen  Mitarbeitern 
das  Verdienst,  nachgewiesen  zu  haben,  daß,  je  mehr  die  Bak- 
teriengifte von  anhaftenden  Unr  ei  n  li  ch  ke  i  t  e  n 
gereinigt  werden,  sie  desto  mehr  den  Charakter 
von  Eiweißkörpern  verlieren.  Einigermaßen  scheint 
diese  Reinigung  bei  dem  Diphtherie-,  Tetanus-  und  Botulinusgift, 
sowie  einem  Pflanzengift,  dem  Rizin,  geglückt  zu  sein,  bei  den  ersteren 
hauptsächlich  durch  Darstellimg  der  Zinkdoppelsalze,  bei  den  letzteren 
durch  Ausfällimg  und  Verdauung  mit  Trypsin.  Die  Trypsinverdauung 
läßt  sich  bei  den  Bakteriengiften  im  allgemeinen  nicht  anwenden,  weil 
sie  sie  viel  zu  stark  schädigt,  ja  oft  völlig  vernichtet  (s.  u.).  Man 
könnte  daraus  trotz  Fehlens  der  übrigen  Reaktionen  auf  die  Eiweiß- 
'vatur  der  Gifte  schließen,  wenn  man  wüßte,  ob  wirklich  das  Trypsin 
oder  andere  noch  unbekannte  Bestandteile  des  Pankreassaftes  den 
schädigenden  Einfluß  ausüben.  Macht  man  aber  die  Voraussetzung, 
es  handele  sich  hier  um  eine  Hydrolyse  durch  Trypsin,  so  findet  man 
^rin  nur  eine  Bestätigung  der  von  vornherein  wahrscheinlichen  Ver- 


874  Kap.  XVI,   §  273  u.  274. 

mutung,  daß  die  Bakteriengifte  zum  mindesten  verwickelter  gebaut 
sind,  wie  die  Aminosäuren,  etwa  in  ihrer  Zusammensetzimg  Poly- 
peptiden, vielleicht  verbunden  mit  anderen  „spezifischen''  Bestand- 
teilen, entsprächen.  Auch  die  Polypeptide  geben  ja  nicht  immer  die 
bekannten  Eiweißreaktionen.  Umgekehrt  ist  ein  ähnlicher  Bau  aber 
auch  bei  den  übrigen  nicht  durch  Trypsin  zerstörbaren  Giften  nicht  aus- 
geschlossen, weil  es  Polypeptide  gibt,  die  dem  Trypsin  widerstehen^). 

Für  die  übrigen  Bakteriengifte  liegen  so  gründliche  Untersuchungen 
noch  nicht  vor,  man  hat  aber  wohl  das  Recht,  die  „Nukleoproteide", 
die  Lustig  und  Galeotti  aus  allen  möglichen  Bakterien  dar- 
stellten, die  „Toxalbumosen",  „Toxoglobuline",  „Toxopeptone",  „Toxo- 
muzine'*  usw.  der  Autoren  (s.  u.  Cholera,  Tuberkulose)  mit  einigem 
Mißtrauen  zu  betrachten.  Diese  Benennimgen  besagen  wahrschein- 
lich nichts  mehr,  als  daß  die  betreffenden  Giftstoffe  noch  nicht  ge- 
nügend von  den  durch  die  Fällungsmittel  gleichzeitig  niedergeschlagenen 
Albumosen,  Globulinen  usw.  befreit  worden  sind.  Möglich  wäre  es  freilich 
auch,  daß  die  Gifte  nicht  bloß  mechanisch,  sondern  auch  chemisch  — 
als  Seitenketten  (§68)  —  mit  eiweißartigen  Substanzen  ursprünglich  ver- 
bunden wären^)  und  sich  mehr  oder  weniger  von  ihnen  trennen  ließen. 

Ob  die  von  R  u  p  p  e  1  aus  den  Tuberkelbazillen  dargestellte 
,,Tuberkulin8äure",  „Tuberkulosamin"  usw.  (§  304  und  §  25  S.  Ci^) 
eine  Ausnahme  bilden,  d.  h.  leidlich  reine  Körper  sind,  mag  dahin- 
gestellt bleiben.  Wahrscheinlich  ist  es  gerade  nicht,  wirken  sie  doch 
trotz  ihrer  chemischen  Unterschiede  gar  zu  ähnlich. 

Vielleicht  erklärt  sich  die  Giftigkeit  der  alkoholischen,  Äther- 
und  Chloroformauszüge  mancher  Bakterien  und  Pilze  {§  260)  auch  nur 
aus  bloßen  Beimengungen  giftiger  Substanzen  und  läßt  keine  Schlüsse 
auf  die  Natur  der  letzteren  zu. 

Wenn  auch  die  Bakteriengifte  keine  echten  Eiweißkörper  sind, 
so  gilt  doch  von  ihnen  wie  von  den  Enzymen,  daß  sie  verwickelt  ge- 
baute Körper  sind,  die  mehr  oder  weniger  schwer  (S.  840)  diffundieren 
und  gegen  chemische  und  thermische  Eingriffe  häufig  sehr  emp- 
findlich sind  (§  274).  Die  Elementarzusammensetzung  weicht  bei  den 
möglichst  gereinigten  Giften  nicht  wesentlich  von  der  des  Eiweißes 
ab  (s.  Tetanusgift  §  281). 

Obwohl  die  oben  genannten  Darstellungsmethoden,  namentlich 
die  Fällung  mit  Alkohol  oder  Ammonsulfat,  keine  reinen  Gifte  er- 
geben, werden  sie  dennoch  vielfach  gebraucht,  um  die  Gifte  in  ver- 
dichteter, trockener  und  deshalb  haltbarerer  Form  zu  gewinnen.   Das- 

1)  Über  die  Auffassung  des  Anaphylatoxins  als  Verdauungsprodukt 
dos  Eiweißes  vgl.    §   344. 

2)  Vgl.  F  e  r  m  i  und  P  e  rn  o  s  s  i  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.   16.  423,  1894. 


Gifte  der  Kleinwesen.  875 

selbe  Ziel  erreicht  man  häufig  auch  dadurch,  daß  man  die  Giftlösimgen 
bis  zur  Trockne  eindampft.  Gewöhnlich  ist  es  nötig,  um  das  Gift 
nicht  zu  zerstören,  bei  niedriger  Temperatur  (25 — 35°)  —  am  besten 
im  luftleeren  Raum  —  zu  arbeiten  (§  261).  Das  trockene  Gift  be- 
hält am  ehesten  seine  Wirksamkeit,  wenn  man  es  mit  Ehrlich 
unter  Abschluß  von  Sauerstoff  und  Feuchtigkeit  — im  luftleer  gemachten 
T-Röhrchen,  dessen  einer  Schenkel  mit  Phosphorsäure  beschickt  ist  — 
aufbewahrt  (vgl.  Tetanusgift). 

Die  Vorstellungen  über  den  verwickelten  Bau  der  Immungifte, 
zu  denen  man  durch  das  Studium  ihrer  Beziehungen  zu  den  Anti- 
toxinen gekommen  ist,  haben  wir  schon  beim  Diphtheriegift  besprochen 
und  werden  weiter  unten  noch  Ergänzungen  dazu  bringen  (§  275). 

§  274.  Giftzerstörende  und  giftbindende  Einflfisse.  Schon 
bei  der  Darstellung  der  Gifte  (§  272)  haben  Yni  von  ihrem  imgleichen 
Verhalten  gegen  Temperaturen  gesprochen  und  hervorgehoben, 
daß  gerade  die  stärksten  Gifte  wie  die  Enzyme  dagegen  recht  emp- 
findlich sind,  indem  schon  weit  unter  100®  gelegene  Temperaturen 
sie  zerstören.  Für  jedes  Gift  gelten  bestimmte  Temperaturen;  am 
niedrigsten  liegt  die  Grenze  für  das  Tetanolysin,  das  schon  durch 
20  Minuten  lange  Erhitzimg  auf  50**  seine  Wirkung  einbüßt,  am  höchsten 
für  die  Endotoxine,  von  denen  manche  (Tuberkulin),  für  die  mit  ihnen 
verwandten  sekundären  Gifte  (§  280),  die  sämtlich  die  Siedehitze  ver- 
tragen, aber  auch  für  ein  wiederholt  dargestelltes  Choleraektotoxin.  Die 
hitzebeständigen  Gifte  brauchen  nicht  der  Fähigkeit,  Immimkörper 
zu  erzeugen  (§  275),  zu  ermangeln.  Bekanntlich  verhalten  sich  auch 
Schlangengifte  ähnlich.  Auch  unter  den  Endotoxinen  kommen  übrigens 
solche  vor,  die  von  höheren  Temperaturen  z.  B.  von  70 — 80®  (vgl.  Ruhr- 
gift) vernichtet  werden.  In  getrocknetem  Zustand  vertragen 
auch  die  empfindlichsten  Gifte,  wie  die  Enzyme,  die  Erhitzung  selbst 
über  100°  viel  besser. 

Wenn  höhere  Temperaturen  bei  genügend  langer  Einwirkung  für 
die  meisten  Gifte,  namentlich  für  die  Immuntoxine,  schädlich  sind, 
so  ist  damit  nicht  gesagt,  daß  sie  bei  niederen  Temperaturen  un- 
begrenzt haltbar  seien.  Das  ist  sogar  bei  den  kochfesten  Giften  nicht 
immer  der  Fall.  So  verlieren  Tuberkulin-  und  andere  Giftlösungen 
im  verdünnten  Zustande  auch  bei  gewöhnlicher  Temperatur 
ziemlich  schnell  ihre  Wirksamkeit.  Die  Immungifte  gehen  dabei  zum 
Teil  in  ungiftige  „Toxoide"  (§  262  und  275)  über.  Brutschranktempe- 
raturen vermindern,  sehr  niedrige  Temperaturen,  sowie  auch  manchmal 
Zusätze  von  Karbolsäure,  Toluol,  Glyzerin,  Neutralsalzen  (s.  u.)  er- 
höhen die  Haltbarkeit.    Die  Möglichkeit,  die  Gifte  in  völlig  trockenem 


876  Kap.  XVI,   §  274. 

Zustande  und  bei  Sauerstoffabschluß  lange  Zeit  aufzubewahren,  wurde 
schon  oben  erwähnt. 

Das  Licht  (vgl.  §  45  u.245)  schädigt  die  Bakteriengifte  wie  die  Fer- 
mente. So  wird  Tetanusgift  nach  Kitasato^),  Fermi  und 
Pernossi^)  durch  volles  Sonnenlicht  bei  37®  in  etwa  15  Stunden 
zerstört,  freilich  auch  wieder  nur  in  feuchtem  Zustande.  Unter  dem 
Einfluß  des  Lichtes  werden  manche  (fluoreszierenden)  Farbstoffe,  die 
an  sich  unschädlich  sind,  für  ihre  Gifte  gefährlich.  So  geht  die  Giftig- 
keit des  Diphtheriegifts  nach  Jodlbauer  und  Tappeiner') 
in  Berührung  mit  Eosin  durch  dreitägige  Belichtung  auf  weniger  als 
den  hundertsten  Teil  zurück.  Sogar  innerhalb  des  lebenden  Körpers 
soll  sich  dieser  Einfluß  bei  vergifteten  Meerschweinchen  wohltätig  be- 
merkbar machen.  Ebenfalls  vernichtet  der  elektrische  Strom  das 
Tetanus-  und  Diphtheriegift  (Fermi  und  Pernossi,  Mar- 
m  i  e  r  *)) ,  doch  nur  der  kontiniderliche  Strom  z.  B.  von  4  Bunsen- 
elementen,  nicht  der  hochgespannte  Wechselstrom.  Wahrscheinlich 
treten  hierbei  chemische  Wirkungen  (des  Chlors  und  der  unterchlorigen 
Säure)  ins  Spiel  (vgl.  §  45). 

Die  Haltbarkeit  der  Gifte  in  ihren  eigenen  Bakterienkulturen 
ist  keineswegs  unbegrenzt,  im  Gegenteil  pflegen  sie  ihre  höchste  Wirk- 
samkeit, die  sie  früher  oder  später  (s.  o.  S.  830)  erreichen,  nicht  bei- 
zubehalten. Teils  Säure-,  teils  Alkalibildung,  teils  vielleicht  auch 
Fermenteinwirkungen  (Selbstverdauung)  werden  wohl  dabei  mit- 
spielen. Fremde  Bakterien,  die  in  den  Giftlösungen  wachsen, 
brauchen  sie  nicht  zu  zerstören  (Fermi  und  Pernossi).  Nach 
Metschnikoff**),  Garnier  und  Sabar^anu^)  soll  aller- 
dings der  Typhusbazillus  das  Diphtheriegift  zerstören,  das  Tetanus- 
gift aber  verstärken,  der  Milzbrandbazillus  die  umgekehrte  Wirkung 
ausüben.  Wodurch,  steht  dahin.  Auch  Darmbakterien  sollen  nach 
C  a  r  r  i  e  r  e  (s.  u.)  das  Tetanusgift  abschwächen.  Die  Pyoeyanase, 
ein  aus  Pyocyaneuskulturen  hergestellter  Stoff  (§  7  u.  8),  hat  nach  Em- 
merich und  Low')  ebenfalls  eine  gewisse  entgiftende  Wirkimg 
auf  Diphtheriegift.  Ob  dabei  dessen  lipoidartige  (s.  u.)  oder  andere 
Bestandteile  beteiligt  sind,  wäre  noch  auszumachen. 

Von  sonstigen  zerstörenden  Einflüssen  seien  zunächst  genannt  die 
Verdauungsflüssigkeiten,    vor   allem   der   Pankreassaft, 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   10,   1891. 

2)  Ebenda  16,   1894. 

3)  Münch.  med.  Woch.   1904.  737. 

4)  Annal.  Pasteur  1896  mit  Lit. 

5)  Annal.  Pasteur  1897.  802. 

6)  Arch.  m^d.  exp^r.    1904. 

7)  Zeitschr.  f.  Hyg.   31.   50,   1899 


Gifte  der  Kleinweeen.  S77 

dessen  außerordentlich  kräftige  Wirkungen  Nencki,  Sieber  und 
Schoumoff,  Carriere*),  Dörr  u.  a.  für  Diphtherie-,  Te- 
tanus-, Dysenterie-  und  Vibrionengifte  festgestellt  haben.  Speichel 
und  Dannsaft  haben  eine  viel  geringere  Wirkung,  Magensaft  eine 
starke,  die  er  aber  ganz  wesentlich  seinem  Säuregehalt  (vgl. 
§267)  verdankt.  Das  Wurstgift  (Botulotoxin  §282),  Fleischgifte 
(§  287),  manche  Hämoljnsine,  Tuberkulin  und  die  Endotoxine  bzw. 
sekundären  Bakteriengifte  (§  280)  sind  dagegen  mehr  oder  weniger 
widerstandsfähig  gegen  die  Verdauung.  Darauf  beruht  wiederum  zum 
Teil  das  ungleiche  Verhalten  .der  Gifte  bei  Verfütterung.  Einzelheiten 
darüber  bringen  wir  in  der  Infektionslehre.  Bort  werden  wir  auch  die 
giftwidrigen  bzw.  -bindenden  Eigenschaften  anderer  Körperbestand- 
teile, so  der  Galle,  der  Epithelien,  Leukozyten  imd 
Gefäßendothelien  des  Unterbaut- 2)  und  Nervengewebes,  der 
Leber-  und  anderen  Organauszüge,  des  Blutes  normaler  imd  immuni- 
sierter Tiere  behandeln.  Diese  Wirkungen  sind  je  nach  den  Giften 
verschieden  und  noch  keineswegs  vollständig  aufgeklärt.  In  vielen 
Fällen,  so  namentlich  im  Immunserum,  werden  besondere  Gegen- 
gifte (Antitoxine)  in  Anspruch  genommen.  Sie  interessieren  uns  in 
diesem  Teile  unseres  Werkes  nur  so  weit,  als  sie  ein  Licht  werfen  auf 
den  Bau  der  Immungifte  (§  275).  Außerdem  hat  man  aber,  gestützt 
auf  Versuche,  eine  sehr  energische  Giftwirkung  durch  G  e  w  e  b  s  - 
oxydasen  (Sieb  er®)),  durch  Autolyse  entstandene  Gewebs- 
stoffe  (B 1  u  ni  *))  angenommen,  ferner  N  u  k  1  e  i  n  e  imd  andere 
Eiweißkörper,  namentlich  aber  Fette  und  andere  Lipoide 
(Cholestearin,  Lezithin^),  Protagon**))  als  entgiftend  erkannt.  Wir 
halten  es  für  sehr  wahrscheinlich,  daß  auch  die  von  Wassermann 
und  T  a  k  a  k  i  ^),  sowie  ß  a  n  s  o  m  ®)  zuerst  beobachtete  sog.  anti- 
toxische Kraft  des  Zentralnervensystems  gegenüber  dem 

1)  Aimal.  Pasteur  1899  Lit. 

2)  S.  auch  beim  Diphtherie-  (S.  841)  und  Ruhrgift  (§  289). 

3)  ZeitBchr.  phyaiol.  Cham.  32,   1901. 

4)  Hofmeisters  Beitr.  5,  1904. 

5)  Kempner  und  Schepilewski,  Zeitschr.  f.  Hyg.  27,  1898 
(Botulismusgift).  Die  Lezithinverbindung  des  Kobragifts  (Lezithid, 
K  y  e  8)  hat  wohl  keine  Analogie  unter  den  Mikrobengiften.  Sie  stellt 
erst  das  eigentliche  Gift  vor,  deis  aus  dem  Zusammentreten  eines  ungiftigen, 
in  der  Schlange  gelieferten  (ambozep torartigen)  Körpers  mit  dem  Lezithin 
entsteht.    Vgl.  übrigens  d&a  Anaphylatoxin  Friedbergers   §  344. 

6)  Landsteiner  und  v.  Eisler  Zentr.  Bakt.  39.  318,  1905; 
Landsteiner  und  B  o  1 1  e  r  i    ebenda  42.  563,  1906  (Tetanusgift). 

7)  Berl.  khn.  Woch.  1898.  1. ;  vgl.  Kolle-Wassermanns 
Handb.  4.  467,  1904. 

8)  Bei  Behring,  Berl.  klin.  Woch.   1898.  5. 


878  Kap.  XVI,   §  274. 

Tetanusgift,  die  von  mancher  Seite  immer  noch  als  besondere  Stützt 
der  Ehrlich  sehen  Seitenkettentheorie  angesehen  wird,  auf  der- 
artigen nicht  spezifischen  Wirkungen  beruht^).  Außer  für  Tetanus- 
und  Botulinusgift  sind  derartige  Lipoidleistungen  namentlich  für 
hämolytische  Gifte  nicht  bakterieller  (Schlangengift,  Saponin)  und 
bakterieller  Natur*)  (Tetanolysin,  Vibriolysin)  fesl^estellt,  während 
Diphtherie-,  Dysenteriegift  und  Staphylolysin  wenig  oder  gar  nicht 
beeinflußt  werden. 

Daß  auch  andere,  nicht  dem  Tier  entstammende  Körper  von 
verschiedenster  Zusammensetzung  entgiftende  Einflüsse  ausüben  können, 
hat  z.  B.  von  Lingelsheim®)  gezeigt,  indem  er  Diphtherie-  und 
Tetanusgiftlösungen  durch  einige  Tropfen  Earragheenschleim,  und  zwar 
das  letztere  zum  Teil  auf  die  Dauer  unschädlich  machen  konnte.  Längst 
bekannt  ist  ferner  schon  seit  den  Forschungen  von  B  o  u  x  und  Y  e  r  - 
sin  über  das  Diphtheriegift  (S.  824),  daß  man  durch  fein  ver- 
teilte anorganische  Körper,  wie  den  Niederschlag  von 
Kalziumphosphat  und  Aluminiumhydroxyd,  Diphtheriegift  binden 
kann.  Ähnliche  Erfahnmgen  machten  bei  Tetanusgift  Brieger 
mit  Tierkohle  (§281),  Stoudensky*)  mit  Kar  min. 
B  i  1 1  z  ,  M  u  c  h  \md  Sichert^)  bei  verschiedenen  Giften  mit 
Eisenhydroxyd.  Die  Bindung  war  hier  zum  Teil  so  fest,  daß 
man  das  Gift  weder  durch  den  Tier-  noch  durch  den  Reagensglasver- 
such in  dem  bindenden  Körper  nachweisen  konnte. 

Zur  Erklärung  der  Bindxmgsfähigkeit  aller  dieser  Stoffe  hat  man 
teils  die  „Adsorption"  oder  „Oberflächenanziehung",  teils  die  „Ab- 
sorption" oder  ,, feste  Lösung"  herbeigezogen®)  und  im  Anschluß  daran 
auch  die  Bindung  der  Gifte  an  die  oben  genannten  organischen  Kolloide 
einschließlich  der  spezifischen  Antitoxine  als  ähnliche  „physikalische" 
oder  besser  physikalisch-chemische  Vorgänge  zu  deuten  versucht. 
Soweit  die  Beziehungen  zwischen  Toxinen  imd  Antitoxinen  in  Frage 
kommen,  scheint  ims  das  gegenüber  den  anschaulichen  chemischen 
Vorstellungen  Ehrlichs  (§  262)  keinen  Fortschritt  zu  bedeuten 
{ §  276  u.  277),  im  übrigen  aber  beachtenswert  zu  sein.  Die  kolloidale  Natur 

1)  In  der  Infektions-  und  Immunitätslehre  näheres.  Vgl.  M  e  t  s  c  h- 
n  i  k  o  f  f  ,  Annal.  Pasteur  1898,  33;  Marie  ebenda  1898.  92;  D  a  n  y  s  z 
ebenda  1899 ;  Marie  und  M  o  r  a  x  ebenda  1902.  820;  Dmitriewski 
ebenda  1903.   151;  Besredka  ebenda  1903.   140. 

2)  P.  Th.  Müller,  Zentr.  Bakt.  34,  1903;  Landsteinerund 
V.  Eisler  (s.  o.),  Pribram,  Kolle-Wassermanns  HandK 
Erg.-Bd.  1.  297,   1906. 

3)  Zoitschr.  f.  Hyg.   42,   316,   1903. 

4)  Annal.   Pasteur   1899. 

5)  Behrings  Beitr.  exper.  Therap.   10,   1905. 

6)  Über  Absorption  im  Filter  s.  o.   S.  872. 


Gifte  der  Klein weeen.  879 

der  Gifte  wie  der  sie  bindenden  Stoffe  legt  ja  diese  Auffassung  von 
vornherein  sehr  nahe.  Dies  entbindet  uns  aber  nicht  von  der  Verpflich- 
tung, das  ungleiche  Verhalten  der  einzelnen  In- 
fektion sgi  ft  e  auch  gegenüber  den  nicht  spezi- 
fischen Kolloiden,  das  aus  allen  bisherigen  Erfahrungen 
hervorgeht,  zu  beachten.  Auch  die  sog.  Eolloidchemie  gibt  uns  dafür 
bisher  keine  Erklärung. 

Nach  neueren  Mitteilungen  Pribrams^)  würden  dagegen  die 
Toxine  mit  gewissen,  die  Lösungsverhältnisse  beeinflussenden  k  r  i  - 
stalloiden  Stoffen  in  ähnlicher  Weise  reagieren,  wie  andere 
kolloide.  So  sollen  alle  (anorganischen)  Neutralsalze  von  zwei- 
oder  mehrwertigen  Metallen,  femer  die  wasserlöslichen  Narkotika, 
Nervina  und  Anästhetika  (Urethan,  Kokain,  Atropin,  Chinin,  Mor- 
phium, Philokarpin)  die  Gifte  zerstören  oder  wenigstens  abschwächen, 
die  einwertigen  Metallsalze  und  ungiftigen  Alkaloide  aber  nicht.  Die 
Versuche  wurden  freilich  bisher  vorwiegend  an  Tetanusgift  angestellt. 
Sie  erinnern  uns  an  ältere  Erfahrungen  H.  Buchners*)  über  den 
Einfluß  der  Neutralsalze.  Danach  sollen  Natriumsulfat,  weniger  gut 
Kochsak  (nicht  aber  Salpeter)  Tetanus-  imd  Diphtheriegift  geradezu 
konservieren.  Wenigstens  schützen  sie  es  einigermaßen  gegen  die  schäd- 
lichen Einwirkungen  hoher  Temperaturen,  z.  B.  einstündiger  Er- 
hitzung auf  55®.  K  n  o  r  r  ^)  machte  allerdings  die  Beobachtimg,  daß 
Zusatz  von  2 — 10%  Kochsalz  zum  Tetanusgift  zwar  seine  Haltbarkeit 
bei  gewöhnlicher  Temperatur  erhöhe,  sie  aber  gegen  hohe  Temperaturen 
herabsetze. 

Über  den  zunächst  nur  vorübergehenden  entgiftenden  Einfluß 
der  Säuren  haben  wir  schon  früher  (§  267)  gesprochen,  femer  die 
schädliche  Wirkung  der  Eiweißfällungsmittel,  wie  z.  B.  des  Alkohols,  bei 
der  Darstellung  der  Gifte  (S.  825),  die  zum  Teil  eher  nützliche  der 
Antiseptika  soeben  erwähnt.  Die  von  Behring  entdeckte  ab- 
schwächende Wirkung  des  Jodtrichlorids,  der  Lugolschen  Lösung 
und  anderer  Stoffe,  wie  des  Goldnatriumchlorids,  Chlorzinks,  mancher 
Farbstoffe  (Buchner,  Stilling,  Flexner  und  N  o  g  u  c  h  i 
u.  a.)  usw.  hat  man  zu  Immunisierungs-  und  Heilzwecken  öfters 
benutzt  (vgl.  Immunitätslehre). 

Wasserstoffsuperoxyd  zerstört  das  Tetanusgift,  und  zwar  nach 
Löwenstein  (s.  u.  §  278)  sogar,  wenn  es  schon  mit  Antitoxin 
in  Verbindimg  getreten  ist. 


1)  Kolle-Wassennanns  Handb.  2.  Erg.-Bd.  S.  288,  1909. 

2)  Arch.  f.  Hyg.    17.   164,   1893. 

3)  Experim.  Untersuchungen  über  Grenzen  der  Heilungsmöglichkeit 
des  Tetanus.     Marburg.  Habil.   1895. 


880  Kap.  XVI,   §  275. 

§  275.  Bau  der  Impfgifte  (Immantoxine).  Wir  haben  schon 
S.  792  gesehen,  daß  eine  Reihe  von  Giften  die  Eigentümlichkeit 
besitzt,  im  Tierkörper  bei  wiederholter  Behandlung  eine  Art  Gift- 
festigkeit hervorzurufen,  und  daß  diese  „Giftimmunität"  oft  Hand  in 
Hand  geht  mit  der  Bildung  von  Gegengiften  (Antitoxinen)  im  Blut- 
serum der  betreffenden  Tiere.  Zu  den  Impfgiften  oder  Immuntoxinen 
gehören  außer  dem  von  uns  schon  ausführlich  behandelten  Diphtherie- 
gift (§  262  ff.)  auch  die  beiden  Gifte  des  Tetanusbazillus,  das  Tetano- 
spasmin  und  Tetanolysin,  das  des  Bac.  botulinus,  Rauschbrands,  das 
Kaninchengift  und  vielleicht  auch  das  Meerschweinchengift  des  Dysen- 
teriebazillus, drei  Gifte  des  Staphylococcus  pyogenes  (Staphylotoxin, 
Lysin,  Leukozidin),  das  allgemeine  und  das  hämoljrtische  Gift  des 
Pyocyaneus  und  außer  anderen  Bakterienhämolysinen  (§  313)  auch 
noch  einige  neuerlich  beschriebene  allgemeine  Gifte  von  Vibrionen, 
Typhus-,  Paratyphusbazillen,  um  von  anderen  weniger  anerkannten 
nicht  zu  reden. 

Außerdem  sind  aber  hinzuzuzählen  pflanzliche  und  tie- 
rischeGifte^),  wie  Rizin,  Abrin,  Robin,  Aal-,  Spinnen-,  Schlangen- 
gift usw.,  angeblich  auch  das  Heufiebergift  und  die  Hämolysine  und 
Bakteriolysine  der  Immunsera.  Die  übrigen  Gifte,  vor  allem  die  große 
Masse  der  chemisch  bekannten,  sind  dagegen  nicht  imstande,  zu  im- 
munisieren bzw.  Gegengifte,  die  ins  Blutserum  übergehen,  zu  bilden^). 
Im  großen  und  ganzen  sind  die  Impfgifte  imd  ihre  Gegengifte  spezi- 
fisch, d.  h.  nur  die  ihrem  Ursprung  nach  miteinander  zusammen- 
hängenden passen  zueinander,  neutralisieren,  binden  sich.  Einige 
Ausnahmen,  die  zum  Teil  noch  zweifelhaft  sind,  ändern  nichts  an  dieser 
Regel  (vgl.  Immunitätslehre).  Von  mancher  Seite*)  ist  der  Versuch 
gemacht  worden,  die  Impfgifte  noch  durch  andere  Merkmale  von  den 
übrigen  Giften  zu  trennen.  Sie  sollen  stets  Sekretgifte  (Ekto- 
toxine), nicht  Leibesgifte  (Endotoxine),  femer  besonders  emp- 
findlich z.  B.  gegen  Erhitzung  und  Verdauung  sein,  für  ihre  Wir- 
kung im  Tier  auch  eine  Inkubationszeit  verlangen.  Doch  haben 
alle  diese  Regeln  Ausnahmen.  So  vertragen  das  BotuUsmusgift  und  das 
Rizin  die  Verdauung,  das  Schlangengift  und  das  Typhusimmungift  die 

1 )  Vgl.  darüber  in  Kraus*  und  Levaditis  Handbuch. 

2)  Die  Angaben  über  die  Möglichkeit,  echte  Iimniuiität  bzw.  Anti- 
toxin gegen  chemische  bekannte  Gifte  zu  erzeugen,  haben  sich  regelmäßig 
als  unrichtig  erwiesen.  Neuerdings  behauptet  aber  wieder  Ford  ( Journ. 
inf.  diseases  1906  und  1907),  daß  die  giftigen  Glykoside  von  Amanita  phal- 
loides  antitoxische  Immunität  hervorrufen. 

3)  Vgl.  namentlich  Oppenheimer,  Toxine  und  Antitoxine,  1904. 
Über  die  Beschränkung  des  Ausdrucks  „Toxine"  auf  die  Immuntoiine 
s.  o.   S.  792  Anm. 


Gifte  der  Klein wesen.  881 

Siedehitze.  Die  Wartezeit  ist  bei  vielen  Vibrionen-  und  Schlangen- 
giften nicht  vorhanden.  Das  Dysenteriegift  kann  man  ebenso  gut  als 
Leibesgift  wie  als  Sekretgift  bezeichnen  usw.  Selbst  die  Bindefähigkeit 
scheint  keine  den  Immungiften  allein  zukommende  Eigenschaft  zu  sein, 
w^enigstens  nicht  gegenüber  den  Gre weben  (S. 796 ff.);  nur  durch  ihr  Ver- 
bältnis  zum  spezifischen  Antitoxin  des  Immunserums  und  durch  die 
Fähigkeit,  ihren  bindenden  (haptophoren)  Gruppen  die  Zellen,  in 
denen  sie  verankert  sind,  zur  Antitoxinbildung  zu  veranlassen^),  sind 
sie  außgezeichnet  und  verdienen  sie  die  Benennung  als  „Bindegifte". 
Schon  beim  Diphtheriegift  (S.  833)  haben  wir  auseinandergesetzt,  daß 
die  Bindung  des  Giftes  mit  seinem  Antitoxin  nach  dem  „Gesetz  der 
Multipla",  d.  h.  proportional  der  in  Reaktion  tretenden  Menge  des 
Giftes  erfolgt,  was  Ehrlich  durch  das  Vorhandensein  je  einer  zu- 
einander passenden  haptophoren  Gruppe  im  Toxin-  imd  Antitoxin- 
molekül erklärt. 

Wir  kommen  später  auf  einige  Erfahrungen  zurück,  die  zu  dieser 
Regel  nicht  stimmen  sollen  (§  276  u.  278),  halten  aber  vorläufig  daran 
fest,  weil  sie  nicht  nur  im  Falle  des  Diphtheriegiftes,  sondern  auch 
sonst  den  Tatsachen  im  allgemeinen  gerecht  wird. 

Beim  Diphtheriegifte  haben  wir  ferner  ausführlich  die  Vorstel- 
lungen besprochen,  zu  denen  Ehrlich  und  *  seine  Mitarbeiter  beim 
Studium  der  Beziehungen  zwischen  Gift  und  Antitoxin  gekommen 
sind.  Sie  imterscheiden  das  stark  wirksame  Toxin,  dessen  „toxophore" 
(giftige)  Gruppe  unverändert  ist,  von  den  weniger  bzw.  gar  nicht  wirk- 
samen Toxoiden,  bei  denen  sie  eine  Abschwächung  bzw.  Zer- 
störung erlitten  hat,  das  Toxon,  bei  dem  die  toxophore  Gruppe  eine 
andere  Art  Giftwirkung  (chronische  Lähmungen,  Schwellungen  usw.)  aus- 
löst, wie  das  Toxin  (akuter  Tod,  Nekrose  usw.)  und  schließlich  die  un- 
giftigen Epitoxonoide.  Die  bindende  Gruppe  ist  bei  Toxin,  Toxoid, 
Toxon  und  Epitoxonoid  gleich  gebildet,  so  daß  sie  in  die  Antitoxin- 
bindegruppe hineinpaßt,  besitzt  aber  ungleiche  Verwandtschaft  („Avi- 
dität")  zu  ihr:  am  stärksten  ist  sie  beim  Prototoxin  (-toxoid),  dann  folgen 
das  Deutero-  und  Tritotoxin  (-toxoid)  und  schließlich  das  Toxon  und 
Epitoxonoid  (§  262—265). 

Ist  es  erlaubt,  diese  Vorstellungen  auf  die  übrigen  Immungifte 
zu  übertragen  und  hier  auch  Toxoide,  Toxone  usw.  anzunehmen? 
Die  Erfahrung,  daß  Abschwächungen  bei  allen  diesen  Giften  unter  den 
natürlichen  Verhältnissen  sehr  regelmäßig  beobachtet  werden,  imd 
daß  sie  durch  künstliche  Eingriffe,  wie  z.  B.  Erhitzimg,  ferner  durch 


1 )  Über  diese  von  Ehrlich  angenommene  Identität  der  bindenden 
und  immunisierenden  Gruppen  der  Impf  gifte  vgl.    §  279. 

Krnse,  Mikrobiologie.  56 


882  Kap.  XVI,   §  275. 

Chemikalien  hervorgerufen  werden  können,  ohne  daß  das  Vermögen, 
Antitoxine  zu  bilden  und  zu  binden,  dabei  verloren  geht,  spricht 
allerdings  bei  den  meisten  Impfgiften  für  das  Vorkommen  ungiftiger, 
aber  doch  noch  bindender  Giftbestandteile,  die  man  zu  den  Toxoiden 
stellen  könnte,  und  auch  sonst  lassen  sich  viele  Analogien  zvrischen 
Diphtherie-  und  anderen  Giften  feststellen. 

So    fand    Behring^),    daß    von    frischem    Tetanusgift 
(Tetanospasmin)    mehr   tödliche    Gaben    (Gifteinheiten)    zur   völligen 
Neutralisienmg  einer  feststehenden  Antitoxinmenge  (Antitoxin-  oder 
Immunitätseinheit^))  nötig  sind,  als  von  einem  abgelagerten  oder  durch 
Jodtrichlorid  abgeschwächten  Gift.    Behring  und  sein  Mitarbeiter 
K  n  o  r  r  ,  denen  wir  die  wichtigsten  Untersuchimgen  über  das  Tetanus- 
gift  verdanken,  drücken  diese  Erscheinung  auch  so  aus,  daß  der  „direkte" 
(am  Tier  bestimmte)  Giftwert  einer  Tetanusgiftlösung,  wenn  sie  nicht 
frisch  ist,  größer  sei  als  der  „indirekte"  (mit  Hilfe  von  Antitoxin  be- 
stimmte)  Giftwert.    K  n  o  r  r  ^)  bestätigte  femer  bei  demselben  Gift 
den  „Ehrlich  sehen  Versuch"  (S.  838),  indem  er  fand,  daß  zu  dem 
Übergang  von  dem  Lß-Wert  —  dem  Pimkte  vollständiger  Sättigimg 
des  Giftes  durch  Antitoxin  —  zu  dem  L_j_-Wert  —  dem  Giftüberschuß. 
der  gerade  die  tödliche  Wirkung  herbeiführt  —  viel  mehr  als  eine  ein- 
fache tödliche  Gabe  nötig  ist.   Das  würde  auf  das  Vorhandensein  von 
Toxonen  im  Tetanuskrampfgift  schließen  lassen.    Morgen  roth  ^) 
kam  zu  derselben  Folgerung,  indem  er  nach  E  h  r  1  i  c  h  s  Methode 
der  teil  weisen  Absättigimg   (S.   841)   das   Giftspektrum   des  Tetano- 
spasmins  zu  entwerfen  suchte.    Die  Prüfung  gestaltete  sich  allerdings 
schwieriger  als  beim  Diphtheriegift,  weil  sich  die  notwendige  Grundlage, 
die  Gifteinheit,  beim  Tetanus  nicht  mit  der  gleichen  Sicherheit  be- 
stimmen ließ.   M  a  d  s  e  n  ^)  hat  auf  demselben  Wege  für  das  hämoly- 
tische Gift  der  Tetanusbazillen,  das  Tetanolysin,  ebenfalls  ganz 
ähnliche  Bauverhältnisse  aufgedeckt,  wie  Ehrlich  für  das  Diph- 


1)  Fortschritte  der  Medizin  1899.   501. 

2)  Da  das  Antitoxin  im  allgemeinen  besser  haltbar  ist  als  das  Toxin, 
geht  man  gewöhnlich  von  diesem  ersteren  aus  xind  stellt  es  auf  ein  be- 
sonders starkes  Gift  ein-  für  allemal  ein.  Nach  der  für  die  Diphtherie- 
giftmessung gültigen  Bezeichnungsweise  entspricht  eine  Ehrlich  sehe 
Immunitätseinheit  (IE)  100  einfach  tödlichen  Gaben  eines  Mustergiftes. 
Behring  und  K  n  o  r  r  (Zeitschr.  f.  Hyg.  13,  1893)  gehen  beim  Tetanus 
von  einer  Antitoxineinheit  aus,  die  so  bemessen  ist,  daß  sie  eine  für  Töturjr 
von  40  000  000  g  Mäusen  in  3 — 4  Tagen  ausreichende  Giftmenge  neutra- 
lisiert. 

3)  Münch.  med.  Woeh.   1898.   11/12. 

4)  Archiv,  intemat.  pharmacodyn.    1900. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.   32,   1899. 


Gifte  der  Kleinwesen.  883 

theriegift.  Statt  des  Tierversuches  diente  ihm  als  Probe  auf  die  Wirkung 
des  Giftes  die  Lösung  einer  bestimmten  Menge  von  Blutkörpem  im 
Reagensglas  (§  312).  Madsen  unterscheidet  auch  beim  Tetanolysin 
ein  Prototoxin,  das  durch  Umwandlung  in  Prototoxoid  leicht  seine 
blutlösende  Wirksamkeit,  aber  nicht  seine  Bindungsfähigkeit  einbüßt, 
(ks  verhältnismäßig  widerstandsfähigere  Deuterotoxin  und  das  Trito- 
toxin,  das  zum  größten  Teil  in  Toxoid  verwandelt  ist,  und  schließlich 
das  sehr  wenig  giftige  Toxon.  H.  Sachs*)  hat  endlich  den 
.,D  a  n  y  s  z  sehen  Versuch"  (S.  849)  beim  Tetanolysin  nachgeprüft 
und  konnte  zwar  die  Existenz  von  Toxonen  mit  Sicherheit  nachweisen, 
aber  nicht  die  von  Epitoxonoiden. 

Zum  Unterschied  vom  Diphtherie-  und  Tetanusgift  zeigt  das  „Gift- 
spektrum** des  Stapholysins  (§312)  nachNeißerund  W  e  ch  s  - 
b  e  r  g  2)  größere  Schwankungen,  indem  mehrfach  ganz  unwirksame 
Strecken  (Toxoide)  mit  wirksamen  abwechseln.  Das  Ende  des  Spek- 
trums nimmt  auch  hier  das  Toxon  ein,  das  nur  noch  imstande  ist,  die 
empfindlichsten  roten  Blutkörper  des  Kaninchens  zu  lösen.  Die  Menge 
der  Toxoide  ließ  sich  durch  Erwärmen  der  Giftlösung  künstlich  ver- 
mehren, ohne  daß  die  Bindungsfähigkeit  für  Antitoxin  dadurch  herab- 
gesetzt wurde.  Daß  auch  das  Staphylolysin  Epitoxonoide  enthält, 
machte  S  a  c  h  s  ^)  dadurch  wahrscheinlich,  daß  er  den  D  a  n  y  s  z  - 
sehen  Versuch  mit  Erfolg  auch  in  diesem  Fall  wiederholte.  Volk 
und  Lipschütz*)  fanden  im  Vibriolysin  wenigstens  Toxoide. 

Die  Toxoide  und  Epitoxonoide®)  der  Bakteriengifte  finden  übrigens 
weitere  Analogien  beim  Rizin,  Schlangen-  und  Spinnengift,  in  den  Kom- 
plementoiden,  Agglutinoiden  usw.  des  Blutserums  (vgl.  Immunitäts- 
lehre), sowie  in  später  zu  besprechenden  Bestandteilen  anderer  bak- 
teriellen Impfstoffe  (vgl.  Kap.  XVII). 

Das  Rauschbrandgift  zeichnet  sich  nach  Graßberger. 
und  Schattenfroh*)    dadurch   aus,   daß  es   weder  im  frischen 


1)  Berl.  klin.  Woch.   1904.   16. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  36.   1901. 

3)  Zentr.  Bakt.  37.  251. 

4)  Wien.  klin.  Woch.  1903.  1398,  vgl.  Kraus  und  Lipschütz, 
Zeitschr.  f.  Hyg.  46.  62. 

5)  Wenn  Levaditi  (Annal.  Pasteur  1905.  8)  gegen  die  Annahme 
der  Epitoxonoide  geltend  macht,  daß  die  D  a  n  y  s  z  sehe  Erscheinung 
auch  unter  Umstanden  beobachtet  wird,  die  damit  kaum  verträglich  sind, 
so  bei  der  Absättigung  des  Trypsins  durch  Antitrypsin,  so  beweist  das 
nichts  gegen  jene  Auffassung,  da  in  jedem  einzelne  Falle  die  Dinge  natür- 
lich anders  liegen  können. 

6)  Über  die  Beziehungen  von  Toxin  und  Antitoxin,  1904  S.  90. 
Vgl.  auch  Wien.  klin.  Woch.   1905.   15. 

56* 


884  Kap.  XVI,   §  275. 

noch  im  abgelagerten  Zustand  ein  von  seinem  Giftwert  abweichendes 
Bindungsvermögen  für  Antitoxine  besitzt,  d.  h.  jeder  in  L_^  enthal- 
tenen tödlichen  Gabe  immer  dieselbe  Menge  des  Normalsermns  ent- 
spricht. Die  Annahme  von  Toxoiden  ist  hier  also  wohl  überflüssig. 
Wenn  trotzdem  bei  dem  Lagern  des  Giftes  und  sicher  bei  geringen 
Schädigungen,  z.  B.  durch  Erhitzen  auf  50^,  Schütteln  mit  Luft  oder 
dgl.  eine  starke  Abschwächung  beobachtet  wurde,  so  muß  man  sich 
vorstellen,  daß  dabei  gleichzeitig  die  bindende  und  die  giftige  Gruppe 
zerstört  wird.  Die  „Ehrlich  sehe  Erscheinung"  beobachteten  die 
Autoren  auch  bei  dem  Bauschbrandgift,  führen  sie  allerdings  nicht 
auf  das  Vorhandensein  von  Toxonen  zurück.  Als  Grund  geben  sie 
an,  daß  die  Rauschbrandgiftlösungen  regelmäßig  ebensoviel  Anti- 
toxin binden,  als  ihrer  Giftigkeit  entspricht.  Das  solle  im  Sinne  E  h  r  - 
1  i  c  h  s  nicht  für  die  Entstehung  von  Toxonen  sprechen,  da  sonst  die 
Annahme  gemacht  werden  müßte,  daß  Toxin  und  Toxon  in  allen  Fällen 
in  gleichbleibenden  Verhältnissen  in  den  Giftlösungen  gebildet  werden. 
Ehrlich  selbst  hat  aber,  wie  wir  S.  848  gesehen,  gerade  für  frische 
Gifte  selbst  diese  Annahme  gemacht. 

Wenn  man  sich  außerdem  die  Zahlen  von  Graßberger  und 
Schattenfroh  für  Lq  emsieht  —  denn  dieses  allein  kommt  in  Betracht, 
weil  aus  L.^  ja  die  Toxone  ausgeschaltet  sind  — ^,  so  findet  man  durchaus 
keine  vollständige  Übereinstinunung.  So  erfordert  Gift  E  0,033  mg. 
Gift  A  0,044  mg  Normalserum  zur  Neutralisierung  jeder  in  dem  Lo-Wert 
enthaltenen  tödlichen  Gabe.  Zweitens  soll  der  beständige  Pfiurallelismus 
im  Verhalten  verschiedener  Giftlösungen,  der  darin  zum  Ausdruck  kommt, 
daß  konzentrierte  Giftlösungen  eine  relativ  schmälere,  schwächere,  d.  h. 
durch  Lagern  schwächer  gewordenen  eine  relativ  breitere  „SchweUungs- 
zone"  (Toxonzone)*)  zukommt,  für  das  Fehlen  bestimmter,  Schwellimp 
erregender  Stoffe  sprechen.  Warum  sollen  denn  aber  Toxine  und  Toxone 
sich  in  genau  demselben  Maßstabe  abschwächen  oder  verschwinden  ? 
Übrigens  lehrt  auch  die  Geschichte  des  Giftes  A,  daß  in  den  ersten  5  Tagen, 
wo  das  Gift  sich  mäßig  abschwächt,  das  Verhältnis  zwischen  Toxinen 
imd  Toxonen  annähernd  dasselbe  bleibt  (Taf.  F). 

Erst  nach  der  außerordentlich  starken  Abschwächung 
des  Giftes,  die  innerhalb  20  Tagen  erfolgt,  wo  die  Menge  der  Gift- 
einheiten im  Kubikzentimeter  Lösung  auf  den  30.  Teil  heruntergeht,  zeigt 
sich  die  Toxonmenge  im  Verhältnis  zur  Toxinmenge  stark  vermehrt;  das 
Toxon  ist  also  diurch  die  Lagenmg  nicht  so  stark  mitgenonunen  worden 
wie  das  Toxin.  Als  entscheidenden  Punkt  betrachten  aber  Graßberger 
und  Sohattenfroh  ihre  Beobachtung,  daß  „g^enüber  dem  konzen- 
trierten Gifte  eine  aus  demselben  durch  100  fache  Verdünnung  hergestellte 
Lösung,  mit  ebenso  stark  verdünntem  Senmi  titriert,  eine  wesentliche 
relative  Verbreiterung  der  Schwellungszone  zeigt**.     So  tötete  z.  B.  1  com 


1)  Auch  hier  wie  beim  Diphtheriegift  macht  sich  das  Toxon  durch 
veränderte  Erscheinvmgen  am  lebenden  Tier  bemerkbar,  statt  der  Nekrose 
und  des  Haaraiisfalla  zeigt  sich  gewöhnlich  vorübergehende   Schwellung. 


Gifte  der  Kleinwesen. 


885 


konzentrierter  Giftlösung  (die  annähernd  300  tödliche  Giftgaben  enthielt), 
^  7,5  mg  Serum  gerade  noch  ein  Meerschweinchen  von  260  g,  während 
10,5  mg  Serum  glatte  Heilung  bewirkten.  0,01  ccm  Gift,  die  sicher  also 
mehr  als  2  tödliche  Gaben  enthielt^),  tötete  aber  — auf  dasselbe  Flüssigkeits- 
maß verdünnt  —  gerade  noch  bei  Zugabe  von  0,04  mg  Serum  und  ließ 
noch  bei  Zugabe  von  0,06 — 0,13  mg  Schwellungen  zurück.  Ein  zweiter 
Versuch  mit  einem  anderen  Gift  fiel  ähnlich  aus.  Graßberger  und 
Schattenfroh  ziehen  daraus  den  Schluß,  daß  in  der  verdünn- 
ten Giftlösung  die  Bindung  des  Toxins  unvollstän- 
digoder  doch  mitverlangsamter  Keaktionsgeschwin- 
sehwindigkeit  erfolge.  Im  wesentlichen  stimmen  wir  damit 
überein,  nur  scheint  es  nicht  nötig,  hier  das  Toxon  auszuschalten.  Grerade 
dieser  Giftbestandteil  wird  sich  wegen  seiner  geringeren  Verwandtschaft 
zum  Antitoxin  verhältnismäßig  schwer  binden. 

Tafel    F«). 


Alter  des 
Giftes 


1  ccm  Gift-  j         Wird         ;  Tötet  gerade 
lösung  ent-     vollständig        ein  Meer- 
neutralisiert I  schweinchen 
durch        I  n.  Zusatz  von 


hält 
DL- Gaben 


Jede  DL  wird  also 
neutralisiert  durch 

in  Lq  in  L-f. 


frisch .     . 

5  Tage  alt 
20 


f» 


rr 


100 
60 
ca.    3,3 


4,4  mg  Serum 
4,2   „ 
0,26,, 


2.5  mg  Ser. 

1.6  „ 

0,076  „ 


0,044  mg 

0,042 

0,07 


,, 


,, 


0,026  mg 

0,026 

0,023 


Graßberger  und  Schattenfroh  finden  den  Einfluß  der 
Zeit,  die  von  der  Mischung  des  Rauschbrandgifts  bis  zu  der  Einspritzung 
ins  Tier  verstreicht,  bei  konzentriertem  Gift  nur  gering;  beim  100 fach 
verdünnten  mcbcht  aber  schon  eine  Stunde  etwtis  aus.  Eine  Frist  von 
24  Stunden,  die  ja  für  die  vollständige  Bindung  der  Diphtherietoxone  an 
das  Antitoxin  nötig  ist  (S.  840),  würde  wahrscheinlich  auch  das  Er- 
gebnis des  obigen  Versuchs,  auf  den  die  Autoren  soviel  Wert  legen,  nicht 
unerheblich  geändert  haben.  Wir  können  nicht  anerkennen,  daß  die  Er- 
fahrungen mit  dem  Rauschbrandgift  das  Vorhandensein  von  Toxon  bei 
diesem  Gift,  geschweige  denn  die  Toxonhypothese  überhaupt  widerlegt 
hätten. 

Die  Arbeit  über  das  Rauschbrandgift  hat  auch  zu  der  Epitoxo- 
noidfrage  einige  beweiskräftige  Tatsachen  beigebracht,  obwohl  Graß- 
berger und  Sciiattenfroh  selbst  sie  nicht  in  diesem  Sinne  deuten. 
Die  D  a  n  y  s  z  sehe  Erscheinung  wird  nämlich  auch  beim  Rauschbrand- 
gift beobachtet:  stellt  man  Gemische  dieses  Giftes  mit  überschüssigem 
Antitoxin  her  und  prüft  sie  nach  einiger  Zeit,  so  findet  man,  daß  das  neu 


1)  Wir  nehmen  die  niedrigste  Zahl  an,  weil  sonst  der  Versuch  noch 
mehr  Rätsel  aufgeben  würde.  Die  Bestimmung  der  tödlichen  Gaben  ist 
hier,  wie  auch  in  anderen  Fällen,  keine  ganz  sichere. 

2)  Abweichend  von  der  gewöhnlichen  Methode  der  Giftprüfung 
setzen  die  Autoren  zu  einer  und  derselben  Menge  Giftlösung  soviel  Immun- 
serum zu,  wie  nötig  ist,  um  das  Gift  vollständig  oder  bis  auf  eine  tödliche 
Gabe  zu  neutralisieren.  In  diesem  Sinne  sprechen  wir  vom  Lq-  und  L4.- 
Wert. 


886  Kap.  XVI,   §  275  u.  276. 

zugesetzte  Gift  nicht  in  der  Menge  gebunden  wird,  die  dem  berechneten 
Antitoxinüberschuß  entspricht,  sondern  nur  in  geringerer  Menge.  Ks 
findet  also  eine  scheinbare  Einbuße  an  Antitoxin  statt.  Es  liegt  nahe, 
hier  wieder  an  Epitoxonoide  zu  denken,  die  eine  schwächere  Verwandtschaft 
zum  Antitoxin  haben  als  Toxin  und  Toxon  und  daher  bei  der  gewöhnlichen 
Art  der  einzeitigen  Giftabsättigung  nicht  ins  Spiel  kommen,  aber  von 
einem  Überschuß  des  Serums  gebunden  werden  und  aus  dieser  Bindung, 
wenn  sie  eine  gewisse  Zeit  besteht,  von  Toxin  oder  Toxon  nicht  mehr  oder 
nicht  mehr  vollständig  verdrängt  werden. 

Nicht  erklärt  wird  durch  diese  Annahme  die  weitere  von  G  r  a  ß  - 
b  e  r  g  e  r  und   Schattenfroh  gefundene  Erscheinung,  daß  neutrale 
oder  mit  Toxin   (oder  Toxon)   übersättigte   Serumgemische   beim   Lagern 
eine  Einbuße  an  Gift  erleiden,  indem  sie  bei  späterer  Prüfung  ent- 
weder   durch   geringere  Mengen   von  Antitoxin   neutralisiert  werden  oder 
einen  Überschuß  von  Antitoxin  zeigen.     So  wurde  ein  „übertoxingemisch''. 
das  auf  1  ccm  Gift  2  mg  Serum  enthielt,  nachdem  es  24  Stunden  gelagert 
hatte,  durch  4,8  mg  Serum  schon  vollständig  neutralisiert,  während  die- 
selbe  Menge    Gift    allein    8  mg   erforderte.      Diese   Erscheinung   ist   neu: 
V.    Dungern   gebrauchte  beim   Diphtheriegift   (S.  849),    Sachs  beim 
Tetanolysin  (S.  883)  stets  die  gleichen  Serummengen,  ob  sie  es  nun  auf 
einmal   oder   in   kleinen   wiederholten   Mengen   zu   dem   Toxin   zusetzten. 
Es   fragt   sich   wie   die   Tatsache   zu   deuten   ist.      Graßberger  und 
Schattenfroh  nehmen  cm,  daß  sowohl  die  scheinbare  Einbuße  an 
Antitoxin  in  den  Überserumgemischen  als  die  an  Toxin  in  den  Übertoxin- 
gemischen  dadurch  erklärt  werden,  daß  Toxin  und  Antitoxin  sich  nicht 
in    bestimmtem    g  1  e  i  c  h  b  1  ei  b  e  n  d  e  m  M  en  g  e  n  v  er  h  äl  t - 
nis,  sondern  in  wechselndem  miteinander  binden  könnten,  su 
z.  B.  nicht  bloß  t-Toxin  mit  a- Antitoxin,  sondern  auch  2  t  mit  a  oder  t 
mit  2  a.     Unterschiede  beständen  zunächst  schon  insofern  zwischen  beiden 
Arten  von  Übersättigung,  als  verhältnismäßig  ein  viel  größerer  ÜbersehuÜ 
von  Antitoxin  a<n  Gift  gebiuiden  würde  als  mngekehrt.     Die  Übersättigung 
des  Toxins  mit  Antitoxin  führt  ferner  viel  schneller  zur  Bindung  und  die 
Verbindung  ist  dauerhaft  gegen   Hitzegrade   (60°),   die  das   Toxin  allein 
sehr  rasch,  das  Antitoxin  gar  nicht  schädigen,  während  die  Übersättigung 
des  Antitoxins  mit  Toxin  langsamer  erfolgt  luid  die  Verbindung  eine  lockere, 
wenig  hitzebeständige  ist.     Es  folgt  deuraus  wohl,  daß  die  Übersättigung 
mit   Serum,   die  vielfach   auf   Epitoxonoide  ziurückgeführt  werden  kann, 
in    jedem    Falle    eine    andere  Beurteilung    erfordert    als    die    mit    Gift, 
die  bisher  unter  den  Bakteriengiften  keine  Analogie  hat.     Man  könnte 
daran  denken,  zu  der  Erklärung  der  von  Graßberger  und  S  c  h  a  t  - 
t  e  n  f  r  o  h    festgestellten    Verhältnisse   das    Vorhandensein    zweier   Arten 
von  Antitoxinmolekülen  anzunehmen,   von  denen  die    eine,    das   eigent- 
liche Antitoxin,    mit    stärkerer  Verwandtschaft   begabt     sein    müßte   als 
die  andere,    die    man    etwa  „Antitoxinoid"  oder  „Epiantitoxin"  nennen 
könnte.     Daß  der  Bau  der  Antitoxine  nicht  so  einfach  ist,  wie  man  früher 
geglaubt    hat,    leliren    ja    auch    einige    andere    Erfahnmgen    (Pick   und 
S  c  h  w  o  n  e  r  s.  u.   S.  888). 

§  276.  Abweichende  Anffassungen  Aber  den  Ban  der 
Impf  gif  te.  Es  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  die  wesentlich  auf  E  h  r  ■ 
1  i  c  h  8  Forschungen  beruhende  Auffassung  von  dem  Bau  der  Impf- 


Gifte  der  Klein wesen.  687 

gifte,  die  eine  Vielheit  von  Giftbestandteilen  voraussetzt,  allmählich 
recht  verwickelt  geworden  ist  imd  wahrscheinlich  immer  verwickelter 
werden  wird,  wenn  man  die  Verhältnisse  bei  den  einzelnen  Giften  noch 
gründlicher  studiert.  Immerhin  erklären  sich  die  Erscheinungen  so 
gut,  wie  man  es  verlangen  kann  bei  unserer  gänzlichen  Unkenntnis 
der  chemischen  Natur  dieser  Gifte.  Nur  eine  scheinbare  Vereinfachung 
bringt  die  von  D  a  n  y  s  z  ^)  und  B  o  r  d  e  t  2)  aufgestellte  Theorie, 
die  besagt,  daß  das  Gift  selbst  einheitlich  sei,  aber  sich  in  verschiedenem 
Verhältnis  mit  dem  Antitoxin  zu  binden  vermöge').  B  o  r  d  e  t  stützte 
sich  dabei  nicht  auf  Tatsachen,  die  aus  der  Giftlehre,  sondern  auf  solche, 
die  aus  der  Lehre  von  der  Hämolyse,  der  Agglutination  und  der  Prä- 
zipitation bekannt  sind.  Die  roten  Blutkörper  binden  den  Ambozeptor, 
die  Bakterienkörper  die  Agglutinine,  die  Eiweißstoffe  die  spezifischen 
Präzipitine  des  Serums  in  sehr  wechselndem  Verhältnis.  Es  ist  aber 
doch  ein  wichtiger  Unterschied  dabei:  den  Giftmolekülen,  die  sich 
mit  verschiedenen  Mengen  Antitoxin  verbinden,  muß  man  auch  nach 
Bürdet  quantitativ  und  qualitativ  ungleiche  Wirkungen  zuschreiben, 
während  z.  B.  Blutkörper,  die  viel  oder  wenig  hämolytische  Ambo- 
zeptoren  gebunden  haben,  durch  Komplement  in  gleicher  Weise  zur 
Auflösung  gebracht  werden.  So  würde  die  völlige  Unschädlichkeit 
der  Gifte  dem  Zustand  entsprechen,  in  dem  am  meisten  Anti- 
toxin gebimden  ist,  das  Toxon  einem  anderen,  dem  nicht  soviel  Anti- 
toxin zukommt,  und  das  Tritotoxoidgebiet  des  Ehrlichschen  Gift- 
Bpektrums  (S.  846),  einem  Gift,  das  verhältnismäßig  nur  wenig  Anti- 
toxin an  sich  gekettet  hat  usw.  Das  Giftmolekül  verändert  also  seine 
physiologische  Wirkung  je  nach  der  Zahl  der  Antitoxinmoleküle,  die 
es  bindet.  Das  ist  eiue  Voraussetzung,  die  dem  Verständnis  erhebliche 
Schwierigkeiten  bereitet,  jedenfalls  nicht  mehr  einfach  genannt  werden 
kann.  Viel  verwickelter  wird  die  Sache  aber  noch,  wenn  wir  mit  Hilfe 
der  B  0  r  d  e  t  sehen  Vorstellung  die  Wandlungen,  die  das  Giftspektrum 
im  Laufe  der  Zeit  erleidet  —  man  denke  z.  B.  an  die  Prototoxoide !  — 
und  die  ungleiche  Mischung  der  Giftbestandteile  in  den  einzelnen 
Giftlösungen  erklären  soll.  Ein  Versuch,  das  in  zufriedenstellender 
Weise  durchzuführen,  ist  bisher  noch  nicht  einmal  unternommen 
worden.  Vorläufig  ist  also  die  B  o  r  d  e  t  sehe  Theorie  mit  der  Ehr- 
lich sehen  nicht  in  erfolgreichen  Wettbewerb  getreten.  Immerhin 
besteht  natürlich  die  Möglichkeit,  daß  sie  für  gewisse  Fälle  (s.  o.  Rausch- 
brandgift 8.  886)   zur  Hilfe  herangezogen  werden  könnte.    So  haben 


1)  Annal.  Pasteur  1902.  5. 

2)  Annal.  Pasteur  1903.  3. 

3)  Vgl.   Sachs,  Zentr.   Bakt.  37.  398,   1905. 


8S8  Kap.  XVI,    §  276. 

Pick  und  Schwoner^)  gefunden,  daß  beim  Übemeutralisieren 
von  Diphtherielösungen  mit  gewissen  Diphtherieseren  erheblich  mehr 
Antitoxineinheiten  verschwinden,  als  der  Rechnung  entspricht,  während 
bei  anderen  Seren  der  berechnete  Überschuß  wirklich  freibleibt.  Sie 
schließen  daraus,  daß  die  ersteren  Seren  (toxolabile,  meist  hochwertige 
Seren)  Antitoxin  enthalten  müssen,  die  eine  doppelte  Bindung  mit 
Toxin  eingehen,  die  letzteren  (toxostabile,  minderwertige  Seren),  nur 
eine  einfache.  Nach  Kraus  und  Schwoner*)  soll  die  Toxolabilität 
auch  minderwertigen  Seren  zukommen.  Sie  schließen  im  übrigen 
aus  Heilversuchen  an  Tieren  und  Menschen  auf  eine  ungleiche  Avidität 
der  Antitoxine.  Wir  werden  später  sehen  (§  278),  daß  die  Verwandt- 
schaft zwischen  Gift  und  Antitoxin  namentlich  im  Tierkörper  in  mannig- 
facher Weise  beeinflußt  wird.  Die  Dinge  liegen  offenbar  weit  ver- 
wickelter, als  man  ursprünglich  angenommen  hat.  Auch  die  Beobach- 
tungen, die  bei  Mischung  von  Gift  mit  Zitratblut  (R  a  n  s  o  m) 
und  bei  Einspritzung  von  Gift  in  antitoxinhaltige  Blutgefäße  öfters 
gemacht  worden  sind,  daß  nämlich  viel  mehr  Antitoxin  dabei  ver- 
schwindet, als  der  Giftmenge  entspricht,  könnte  man  in  ähnlicher  Weise 
deuten.  Merkwürdig  genug  wäre  freilich  der  große  Unterschied  in  der 
Bindekraft  des  Blutserums  und  des  ungeronnenen  Blutes. 

Auf  den  ersten  Blick  besser  gelungen  und  durch  seine  Einfachheit 
überraschend  erscheint  der  von  Arrhenius  und  M  a  d  s  e  n  ^) 
gemachte  Versuch,  die  verwickelten  Verhältnisse  der 
Bindung  zwischen  dem  Bakteriengift  und  seinem 
Gegengift  durch  die  Beziehungen  zu  erklären, 
wie  sie  zwischen  Körpern  mit  schwacher  Verwandt- 
schaft, also  für  die  sog.  reversiblen  Reaktionen 
bestehen.  Eine  nähere  Betrachtung  zeigt  freilich,  daß  sich  dabei 
bis  jetzt  unüberwindliche   Schwierigkeiten  ergeben. 

Man  kann  nach  Arrhenius  und  M  a  d  s  e  n  die  Vorgänge,  die 
sich  bei  Absättigung  einer  bestimmten  Menge  Ammoniak  mit  steigen- 
den Mengen  Borsäure  ergeben,  in  Form  einer  Kurve  darstellen, 
indem  man  in  einem  Koordinatensystem  die  Säuremenge  als  Ab- 
szisse und  das  ungebunden  bleibende  Ammoniak  a]s  Ordinate  ein- 
trägt. Man  findet,  daß  die  erste  Gabe  Borsäure  50  Vo  Ammoniak, 
die  zweite  Gabe  mu*  noch  16,7  Vo»  die  dritte  Gabe  8,3  Vo.  j^^* 
folgende  immer  weniger  absättigt,  so  daß  ein  geringer  Ammoniakwert 
immer  übrig  bleibt.  Es  erklärt  sich  das  aus  dem  Maasengesetz  von  G  u  1  d- 
b  e  r  g  und  Waage,  das  die  Abhängigkeit  der  Reaktionen  von  der  Kon- 


1)  Wien.  klin.  Woch.    1904.  40  und  Zeitschr.  exper.  Path.   1,  1905. 

2)  Zentr.  Bakt.  48,  1908;  vgl.  ebenda  Ref.  42  Beilage  154,  1908  mit 
Erörterung. 

3)  Zeitschr.  physikal.   Chem.  44,   1903. 


Gifte  der  Kleinwesen.  889 

zentration    der    reagierenden    Körper    und    Reaktionsprodukte    feststellt. 
Betrachtet  man  in  dem  angegebenen  Beispiel  NH,  als  Toxin   —  in  der 
Tat  ist  es  gegenüber  roten  Blutkörperchen  ein  hämolytisches  Gift  —  vmd 
Borsäure  als  Antitoxin,   so  würde  man  ncu;h  der  Ehrlich  sehen  Aus- 
dnieksweise  den  ersten   Giftteil  mit  stärkerer  Bindekraft  als  Prototoxin, 
den  zweiten  mit  weniger  starker  als  Deuterotoxin,  den  dritten  mit  schwäch- 
ster als  Tritotoxin  und  den  Rest  mit  ganz  geringer  Bindekraft  schheßlich 
als  Toxon  bezeichnen  können,  während  doch  das  Gift  in  Wirklichkeit  nur 
ein  einheitlicher  Körper,  das  Anxmoniak  ist,  luid  die  Absättigungskurve 
ohne    Sprünge    durchaus    kontinuierlich    verläuft.       Arrhenius    und 
M  a  d  s  e  n  finden  nun,  daß  die  Absättigung  des  Tetanolysins  durch  sein 
Antitoxin  in  annähernd  derselben  Weise  wie  die  des  Ammoniaks  durch 
Borsäure  vor  sich  geht  und  schließen  daraus,  daß  es  sich  auch  hier  nicht 
um  Giftbestandteile  mit  verschiedener  Verwandtschaft  handelt,  wie  Ehr- 
lich und  M  a  d  s  e  n  selbst  (S.  882)  es  früher  angenommen,  sondern  nur 
um  ein  einheithches  Gift,  das  mit  einer  sehr  schwachen  Verwandtschaft 
zum  Antitoxin  begabt  ist.     Allerdings  liegt  die  Sache  selbst  beim  Teta- 
noljrsin  und  seinem  Antitoxin,  wo  man  noch  am  ehesten  an  eine  Reaktion 
zwischen  Körpern  schwacher  Verwandtschaft  denken  könnte,  doch  nicht 
ganz   so   einfach ;    zunächst   müssen    Arrhenius   und   M  a  d  s  e  n    die 
Existenz   von   Toxoiden,    d.  h.    von   solchen    Giftbestandteilen,    die   zwar 
bindende,    aber    nicht    giftige    Eigenschaften    besitzen,    zugeben,    wollen 
allerdings  nur   „Syntoxoide**,   d.  h.    solche   von  gleicher   Verwandtschaft 
mit  den  Toxinen  gelten  lassen.     Deuieben  bestehen  noch  verschiedene  Ab- 
weichungen in  beiden  Kurven,   die  von  Arrhenius  und  M  a  d  s  e  n 
nicht  erklärt  werden.     Davon  abgesehen  hat  man  aber  gewichtige  Ein- 
wände gegen  die  Zulässigkeit    ihrer    Schlüsse    erhoben.      Erstens    wider- 
sprechen die  älteren  Ergebnisse  Madsens  über  das  Vorkomnaen  von  Proto- 
toxoiden  (s.  o.  S.  883)  beim  Tetanolysin  seinen  späteren.     Zweitens  eignet 
sich  nach   Ehrlich*)   dieses    Gift  wegen   seiner   Unbeständigkeit,   der 
schon  in  wenigen  Stunden  erfolgenden,  unkontrollierbaren  Toxoidbildung 
sehr  wenig  für  genaue  Feststellungen.     Drittens  bestehen  nach  N  e  r  n  s  t  *) 
theoretische   Bedenken    gegen    die    Zulässigkeit   der    Arrhenius  sehen 
Rechnungen.      Schließlich  hat  Sachs  ')  den  Beweis  geführt,  daß  bei  der 
Reaktion   zwischen  Tetanolysin  und  Antitoxin  der  Gleichgewichtszustand 
stets  ein  verschiedener  ist,  je  nachdem  man  das  Gift  auf  einmal  oder  in 
Absätzen  zum  Antitoxin  zusetzt,  während,  wenn  einfach  das  Massengesetz 
gültig  wäre,   das  Endergebnis  ein  gleiches  sein  müßte.     Nach   Arrhe- 
nius und  M  a  d  s  e  n  müßte  die  Reaktion  umkehrbar  (reversibel)  sein, 
was  sie  in  Wirklichkeit  nicht  ist.    Nur  dem  letztgenannten  Einwand  scheinen 
die  beiden  nordischen  Forscher  Wert  beizulegen.    In  einer  späteren  Arbeit*) 
untersuchten  sie  die  „D  a  n  y  s  z  sehe  Erscheinung"  in  gründlicherer  Weise 
am  Tetanolysin  und  konnten  sie  in  gewissen  Grenzen  vollständig  bestätigen. 
Zur  Erklärung  nehmen  sie  aber  nicht  die  Epitoxonoide  v.  Dungerns 


1)  In  der  Sitzung  der  Bimsengesellschaft  vgl.   Zeitschr.  f.   Elektro- 
chemie 1904.  673. 

2)  Ebenda  S.  377  und  676. 

3)  Berl.  kUn.  Woch.   1904.   16. 

4)  Sitzungsber.    Akad.   Wiss.    Stockholm  vom    16.  XII.    1905.      Ref. 
Zentr.  Bakt.  39.  186. 


890  Kap.  XVI,   §  276  u.  277. 

an,  sondern  glauben  an  eine  „langsame  monomolekulare  Umlagerung* 
des  freien  Antitoxins,  bei  der  vielleicht  zwei  Moleküle  des  Antitoxins  mit 
je  einem  Giftmolekül  in  Verbindung  träten.  Die  Wirkung  bleibt  unter 
Umständen  dauernd  bestehen  und  bewirkt  dann  wohl  eine  „Verfestigung" 
der  Giftbindung.  Damit  nähern  sich  die  Verfasser  augenscheinlich  den 
Vorstellungen  Ehrlich  s. 

Noch  größer  sind  die  Schwierigkeiten,  die  d^  Anwendung  des  Massen- 
gesetzes auf  die  Absattigung  des  Diphtheriegiftes  durch   Antitoxin  ent- 
gegenstehen*).   Hier  haben  wir  am  Anfang  der  Kurve  wieder  die  P r  o  t  o- 
t  o  X  o  i  d  e  ,  am  Ende  die  Toxone.     Die  Existenz  der  ersteren  läßt  M  a  d  - 
s  e  n  in  seiner  früheren  Arbeit  noch  gelten,  bestreitet  sie  aber  in  der  S{>ate- 
ren   ebenso   entschieden,    indem   er   die   experimentellen    Grundlagen  auf 
zufällige     Schwankungen    der    Empfänglichkeit    bei    den    Versuchstieren 
zurückführt.      Man   wird   angesichts   dessen   verlangen   dürfen,    daß   ge- 
radedieseFragenocheinmalingründlichsterWeise 
geprüft  wird.     Das  gleiche  Schicksal  lassen  M  a  d  s  e  n  und  A  r  r  h  e  - 
n  i  u  s  den  Toxonen  widerfahren,  obwohl  ihre  eigenen  Bestimmungen  sich 
mit  der  Toxontheorie  offenbar  weit  besser  vertragen,  als  mit  dem  Massen- 
gesetz.     Insbesondere  nach  der  schon  früher  erwähnten  Arbeit  Morgen- 
roths  (S.  840),  die  die  Verfcksser  nicht  mehr  berücksichtigen  konnten, 
bleibt  kaum  ein  Zweifel  daran  übrig,  daß  man  ohne  die  Annahme  solcher 
Stoffe  aiißerstande  ist,  die  nicht  bloß  quantitativ,  sondern  qualitativ  ver- 
schiedene Wirkimg  der  bis  zmn  Toxongebiet  abgesättigten  Gifte  sich  ver- 
ständlich zu  machen.      Schließlich  haben  Arrhenius  und  M  a  d  s  e  n 
kaum  den  Versuch  gemacht,  sich  mit  den  von  Danysz,  v.  Dungern-) 
imd  Sachs  ')  studierten  Erscheinungen,  die  beim  zweizeitigen  Zufügen 
von  Gift  zum  Toxin-Antitoxingemisch   sich  bemerkbar  machen  und  eine 
Nichtumkehrbarkeit   der  Toxin- Antitoxinverbindungen  beweisen  (S.  886). 
abzufinden.     Auch  die  Arbeit,  in  der  M  a  d  s  e  n  und  W  a  1  b  u  m  ')  da-^ 
Massengesetz  auf  die  Reaktion  des  Rizins  mit  seinem  Antitoxin  übertragen 
haben,  öffnet  nach  Sachs  ähnlichen  Einwänden  Tür  und  Tor. 

§  277.    Fortsetzung.    Geschwindigkeit  der  Giftbindnn^. 

Wenn  sonach  die  Bemühungen  von  Arrhenius  und  M  a  d  s  e  n  . 
an  Stelle  der  verwickelten  Ehrlich  sehen  Auffassung  vom  Bau 
der  Toxine  einfachere  Vorstellungen  zu  setzen,  gescheitert  sind^),  so 
wird  man  doch  ihren  Hinweis  auf  die  BedeutungdesMassen- 
g  e  s  e  t  z  e  s  für  die  Reaktion  zwischen  Toxin  \md  Antitoxin,  ebenso 
wie  die  unabhängig  von  Arrhenius  und  M  a  d  s  e  n  geäußerten 


1)  Arrhenius,  Zeitschr.  f.  Elektrochemie  1904.  661 ;  Berl.  klin. 
Woch.  1904.  9;  vgl.  auch  „Immunochemie"  1907;  Madsen,  Zentr.  Bakt. 
34,    1903;   Arrhenius  und  Madsen  36  und  37,    1904. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.  1904  8/9;  Zeitschr.  f.  Elektrochem.  1904.  783. 

3)  Zentr.  Bakt.  37.  251,   1904. 

4)  Zentr.  Bakt.  36.  242,   1903. 

5)  Vgl.  auch  dazu  Manwaring  in  Studies  of  Rockefellers 
Institute  for  medic.  research.  VI  No.  26,  1907  und  C  r  a  w  ,  Joum.  of  hyp- 
1907.  501. 


Gifte  der  Klein wesen.  891 

gleichsinnigen  Bemerkungen  Eisenbergs  ^)  nicht  übersehen  dürfen. 
Ältere  und  neuere  Erfahrungen  (S.  840  u.  §  278)  haben  nämlich  ge- 
lehrt, daß  die  Toxin- Antitoxin-Reaktionen  —  die  Analogien  mit 
Agglutinin-  und  Ambozeptorreaktionen  sollen  ganz  beiseite  bleiben 
(Kap.  XVII)  —  in  der  Tat  in  gewissen  zeitlichen  Gren- 
zen wie  solche  zwischen  Stoffen  mit  schwacher 
Verwandtschaft  verlaufen,  die  umkehrbar  sind  und 
danach  dem  Massengesetz  gehorchen  müssen.  Damit  stehen  wir  aber 
nicht  vor  einer  Vereinfachung  des  Problems,  sondern  eigentlich  vor 
einer  neuen  Verwicklung.  Ehe  wir  die  betreffenden  Erscheinungen 
erörtern,  müssen  wir  noch  einige  andere  Versuche  erwähnen,  die  Toxin- 
und  Antitoxinverbindung  zu  erklären.  Mehrfach  hat  man  zunächst 
die  elektrischen  Eigenschaften  der  Toxine  imd  Antitoxine  studiert, 
um  daraus  unter  Umständen  Schlüsse  zu  ziehen.  Während  B  ö  m  e  r  ^) , 
um  von  den  älteren  Arbeiten  von  Smirnow  u.  a.,  die  die  Zerstör- 
barkeit der  Toxine  durch  die  Elektrolyse  bewiesen,  abzusehen,  keine 
eindeutigen  Ergebnisse  erhielt,  zeigten  F  i  e  1  d  und  T  o  n  g  u  e  ^) , 
dafi  sowohl  Toxin  wie  Antitoxin  in  neutralen  und  alkalischen  Lösungen 
vom  elektrischen  Strom  beide  nach  der  Kathode  übergeführt  werden. 
Auch  Bechhold*)  kam  zu  ähnlichen,  wenn  auch  weniger  ausge- 
sprochenen Ergebnissen.  Bestimmte  Folgerungen  daraus  zu  ziehen, 
also  etwa,  wie  es  die  amerikanischen  Forscher  getan  haben,  aus  der 
gleichen  Richtung  der  Bestandteile  im  elektrischen  Strom  auf  das 
Fehlen  einer  chemischen  Verbindung  zu  schließen,  ist  aber  nach  ihm 
nicht  erlaubt,  da  auch  echte  chemische  Verbindungen,  z.  B.  Phosphor- 
wolframsäure imd  Phosphormolybdänsäure,  in  ihren  Bestandteilen 
gleiche  elektrische  Eigenschaften  besitzen  können,  imd  andererseits 
die  meisten  organischen  Beaktionen  zwischen  Körpern  vor  sich  gehen, 
die  elektrisch  neutral  sind. 

Nur  in  gewisser  Beziehung  besser  begründet  erscheint  die  Auffas- 
sung, man  hätte  es  bei  der  Reaktion  zwischen  Toxin  und  Antitoxin, 
wie  überhaupt  zwischen  Antigen  imd  Antikörper  nicht  mit  chemischen 
Verbindungen  im  eigentlichen  Sinne,  sondern  mit  physikalischen 
Beziehungen,  wie  sie  zwischen  Kolloiden  bestehen,  mit  einer  Art  Ad- 
oder  Absorption  (Oberflächenanziehung,  fester  Lösimg)  zu  tun.  B  o  r  - 
d  e  t  *)  hat  schon  früher  auf  die  Verwandtschaft  der  Agglutination 


1)  Zentr.  Bakt.  34. 

2)  Berl.    klin.    Woch.    1904.    209;    vgl.    auch    Blitz,    Much    und 
S  i  e  b  e  r  t  in  Anm.  6  auf  folgender  Seite. 

3)  Joum.  experim.  Medic.  9. 

4)  Münch.  med.  Woch.   1907.  39. 

5)  Annal.  Paateur  1899  und   1900. 


892  Kap.  XVI,   §  277  u.  278. 

mit  der  Niederschlagsbildung  kolloidaler  Körper  hingewiesen  und  di^ 
Bindung  der  Hämolj^ine  an  die  roten  Blutkörper  mit  der  Absorptioii 
der  Farben  durch  die  Gewebsfasem,  des  Jods  durch  Stärke  verglichen. 
Zangger  ^),    Landsteiner    und    Jagic^),    M.    Neißer,j 
Friedemann  und  Bechhold^),  Biltz,  Much  und  S  i  e  - 
bert*),  Pauli*),  Pribram*),  Porges')  haben  diese   Ge- 
sichtspunkte weiter  verfolgt.    Im  allgemeinen  ist  aber  nicht  zu  über- 
sehen, daß  die  unleugbaren  Analogien,   die  einerseits  zwischen  der 
Bindung  von  Ljrsinen,  Agglutininen  imd  Präzipitinen  und  den  Adsorp- 
tionsvorgängen   und    andererseits    zwischen    der    Agglutination    imd 
Präzipitation  und  den  sog.  Kolloidreaktionen  bestehen,  in  unserem 
Falle,  wo  es  sich  um  die  Beziehungen  zwischen  Toxinen  und  Anti- 
toxinen handelt,  fehlen.  Nur  ausnahmsweise  binden  sie  sich  in  veränder- 
lichen Verhältnissen  und  nur  ausnahmsweise  (beim  Rizin®))  wird  die  Ver- 
bindung mit  dem  Antitoxin  unlöslich.  Femer  werden  wir  bei  Besprechung 
der  Verbindimg  von  Agglutininen,  Präzipitinen  usw.  mit  ihren  Anti- 
genen sehen  (§  339  ff.),  daß  wir  wegen  ihrer  Spezifität  selbst  hier  Ursache 
haben,  von  einer  chemischen  Verbindung  zu  sprechen.    ScUießlieh 
ist  nicht  zu  vergessen,  daß  der  Begriff  der  Ad-  und  Absorption  vor- 
läufig ein  ziemUch  dimkler  imd  schwankender  ist  und  jedenfalls  die 
physikalischen   (Oberflächen-)Wirkungen  chemische   Bindungen  noch 
nicht  ausschließen.   Man  sieht  also  nicht  ein,  was  man  damit  gewinnt, 
wenn  man  statt  der  klaren  chemischen  Bezeichnung  so  unklare  wählt. 
So  ist  denn  auch  B  o  r  d  e  t  von  seiner  ursprünglichen  Ansicht  zurück- 
gekommen und  weicht  nur  darin  ab,  daß  er  eine  Mehrwertigkeit  der 
bindenden  Toxingruppen  annimmt  (S.  887).    Die  genannten  Erörte- 
rungen haben  aber  auch  wieder  ein  Gutes  gehabt,  indem  sie  die  Auf- 
merksamkeit auf  die  kolloidale  Natur  der  Antitoxine  und  Gifte  ge- 
lenkt haben.   Sehr  möglich  ist  es,  daß  dadurch  die  Art  der  Reaktionen 
zwischen  ihnen  beeinflußt  wird.    Ja,  es  liegt  nahe,  das  eigentUch  Be- 
zeichnende an  der  Verbindung  der  Gifte  und  ihrer  Antitoxine,  die 
verhältnismäßig     geringe     Reaktionsgeschwin- 
digkeit und  die  allmähliche  Befestigung  der  Ver- 
bindung, auf  ihre  Kolloidnatur  zurückzuführen.   Nernst')  drückt 

1)  Zentr.  Bakt.  34.  428,  1903  und  Zeitschr.  f.  Elektrochemie  1904.  670. 

2)  Müiich.  med.  Woch.   1903.   18;  Wien.  klin.  Woch.   1904.  5. 

3)  Münch.  med.  Woch.   1903.   11;   1904.   19. 

4)  Behrings  Beitr.  z.  experim.  Ther.   10,   1905. 

5)  Wien.  klin.  Woch.   1905.  25. 

6)  Kolle-Wassermanns  Handb.  2.  Erg.-Bd.  278,  1909. 

7)  Kolloide  u.  Lipoide  usw.  in  Kraus*  u.  Levaditis  Handb.  2,  1909 

8)  Jacoby,  Hofmeisters  Beitr.  ehem.  Physiol.  2,   1902. 

9)  Zeitschr.  f.  Elektrochemie  1904.  379. 


Gifte  der  Klein weeen.  893 

das  so  aus,  daß  die  erste  Phase  der  Einwirkung  in  einer  Adsorption  des 
Toxins  durch  das  größere  Molekül,  des  Antitoxins  —  einem  umkehr- 
baren Vorgang  — ,  die  zweite  in  der  eigentlichen  chemischen  Reak- 
tion —  einem  nicht  reversiblen  Vorgang  —  bestehe.  Wie  dem  auch  sei, 
die  Tatsachen  sind  deutlich  genug. 

§  278.  Bedingungen,  welche  die  Giftbindnng  beein- 
flussen. Schon  Ehrlich  hatte  in  seiner  grundlegenden  Arbeit  über  den 
Bau  des  Diphtheriegifts  (S.834)  im  Hinblick  auf  seine  Erfahrungen  beim 
Tetanolysin  auf  die  Bedeutung  der  Konzentration  und 
Temperatur  für  die  Schnelligkeit  der  Bindung 
des  Toxins  an  das  Antitoxin  hingewiesen.  Ein  im  Jahre  1895  gemachter 
Versuch  zeigte  ihm,  daß  die  Wirkimg  des  Giftes  in  einem  bestimmten 
wenig  konzentrierten  Serum-Tetanolysingemisch,  wenn  man  es  sofort 
benutzt,  40  mal  so  groß  ist,  als  wenn  man  es  2  Stunden  lang  stehen 
läßt.  Ein  älterer  Versuch,  der  ebenfalls  die  Bedeutung  der  Zeit  für 
die  Reaktion  schlagend  beweist,  allerdings  mit  Schlangengift 
angestellt  ist,  stammt  von  Martin  und  C  h  e  r  r  y  ^).  Sie  zeigten 
zunächst,  daß  das  Gift  allein  durch  ein  mit  Gelatine  ausgefülltes  Filter^) 
bei  einem  Druck  von  50  Atmosphären  hindurchgepreßt  wird,  während 
Antitoxin  nicht  hindurchgeht.  Mischten  sie  jetzt  beide  in  dem  Ver- 
hältnis, daß  sie  sich  neutralisierten,  und  unterwarfen  sie  die  Mischung 
der  Filtration,  so  ging  in  der  ersten  Zeit  das  Gift  noch  hindurch,  imd 
erst  wenn  die  Mischimg  30  Minuten  gestanden  hatte,  nicht  mehr. 
Wahrscheinlich  ist  es,  daß  die  folgenden  Versuche  ebenso  gedeutet 
werden  müssen,  ß  o  u  x  und  Calmette^)  fanden,  um  mit  der 
ältesten  Beobachtimg  anzufangen,  daß  eine  10  Minuten  früher  her- 
gestellte Mischung  von  Schlangengift  und  Immunserum,  die  im  Tier 
unwirksam  war,  wieder  giftig  wurde,  wenn  sie  einige  Minuten  auf  68® 
erhitzt  wurde*).  Eine  wirkliche  Sprengung  der  neutralen  Verbindung 
des  Kobragiftes  mit  seinem  Antitoxin  bewerkstelligte  dagegen  Mor- 
genroth*) durch  ein  kräftiges  Mittel,  die  Behandlimg  mit  Salz- 
säure (S.  857).  Auch  bei  den  Serumhämolysinen  will  v.  Lieber- 
m  a  n  n  die  Verbindung  dieser  Stoffe  mit  den  roten  Blutkörpem  durch 
verdünnte  Säure  gelöst  haben  und  vergleicht  ihre  Bindekraft  geradezu 
mit  der  von  Säuren.    Bei  Bakterien-  und  Serumagglu- 


1)  Brit.  med.  Joum.   1898.  II.   1120. 

2)  Joum.  of  physiol.  20,  1896.  In  ein  Chaniberlandfiltor  wird  in  der 
Wärme  unter  Druck  von  10  Atmosphären  lOprozentige  Gelatinelösung 
eingepreßt,  die  überschüssige  Gelatine  abgegossen  und  dann  das  Filter 
oberflächlich  gereinigt. 

3)  Annal.  Pasteur  1895.  250. 

4)  Berl.  klin.  Woch.   1905.  50. 


894  Kap.  XVI,   §  278. 

t  i  n  e  n  gelingt  diese  Abspaltung  allerdings,  und  zwar  auch  ohne  Zu- 
hilfenahme von  Säuren  (§  337  ff.).  K.  Meyer  bestreitet  aber  die 
Tatsache  für  die  Serumhämolysine. 

Eine  ähnliche  Beobachtung  wie  R  o  u  x  und  Calmette  machte 
Wassermann^),   als  er  Pyocyaneusgift  und   Antitoxin, 
die  er  —  wohl  kurz  vorher  —  miteinander  in  neutralisierenden  Mengen 
zusammengebracht  hatte,  zum  Kochen  erhitzte.    Ebenso  vernichtete 
D  a  n  y  s  z^)  durch  IGstündige  Verdauung  mit  Pepsinsalzsäure  (bei  45") 
in  einer  neutralen  Mischung  von  R  i  z  i  n  und  Antirizin  das  letztere 
vollatändig  und  gewann  dann  da»  Gift  zum  Teil  wieder.    M  a  d  «  e  n 
und  W  a  1  b  u  m  ^)  gelang  es,  einer  neutralen  Rizin-Antiriziiiniischung 
auch  nach  2  Stunden  langem  Stehen  durch  Zufügung  von  roten  Blut- 
körperchen einen  Teil  des  Rizins  zu  entziehen.    Es  ist  aber  fraglich, 
ob  ihr  Schluß  gerechtfertigt  ist,  das  fertige  Gleichgewicht  zwischen 
Rizin  imd  Antizrizin  sei  durch  das  Zutreten  der  roten  Blutkörperchen 
gestört   und   die   schon   bestehende   Verbindung   durch   Dissoziation 
wieder  gelöst  worden.    Wahrscheinlich  ist,   daß  es  überhaupt  noch 
nicht  zu  der  vollständigen  Verbindung  gekommen  war,  weil  die  Mischung 
nicht  lange  genug  in  Berührung  gewesen  war.    In  gleicher  Weise  zer- 
störte   Löwenstein*)    in  einer  30  Minuten  vorher  angesetzten 
Mischimg  von  Tetanusgift  und  Antitoxin  das  Gift  und  gewann 
das  Antitoxin  wieder  dadurch,  daß  er  48  Stunden  lang  Wasserstoff- 
superoxyd einwirken  ließ.    Nach  dem  Verfasser  soll  hier  die  schon 
fertige  Verbindung  des  Antitoxins  mit  dem  Gift  durch  Einfluß  des 
HgOg  gesprengt  und  so  das  Antitoxin  freigemacht  worden  sein.  Es  liegt 
wohl  vorläufig  näher,  auch  hier  anzunehmen,  daß  es  in  der  ersten 
halben  Stunde  überhaupt  noch  nicht  zu  einer  festen  Verbindung  ge- 
kommen war.    Schon  K  n  o  r  r  ^)  kam  durch  den  Vergleich  der  Wir- 
kungen des  Antitoxins  in  konzentrierten  und  verdünnten  Tetanus- 
giftlösimgen  imd  die  Verschiedenheit  der  krankmachenden  und  immuni- 
sierenden Antitoxin- Giftmischungen  zu  dem  Schluß,  daß  die  Festig- 
keit der  Bindung  zwischen  Antitoxin  imd  Gift  von  der  Konzentration 
der  reagierenden  Stoffe  und  der  Zeit,  in  der  sie  aufeinander  wirken, 
abhängig  sei.     Behring^)  stellte  dann  fest,  daß  das  „Gesetz  der 
Multipla"  (S.  833)  nur  dann  auch  in  verdünnten  Lösungen  von  Tetanus- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  22.   310,   1896. 

2)  Annal.  Pasteur  1902. 

3)  Zentr.  Bakt.  36.  254. 

4)  Wien.  klin.  Woch.    1903.   50. 

5)  Münch.  med.  Woch.    1898.    11/12  (dort  die  früheren  Arbeiten). 

6)  Allgem.   Therap.   der  Infekt,   in  Eulenburg  und  Samuel- 
Hand,   allgem.  Ther.    1899   S.  1028.     Auch  Beitr.  experim.  Ther.  H.  3. 


Gifte  der  Kleinwesen.  895 

gift  und  Antitoxin  strenge  Gültigkeit  besitzt,  wenn  beide  Stoffe  2  T  a  g  e 
miteinander  in  Berührung  gewesen  sind.  Wahrscheinlich  erklären  sich 
aus  der  Nichtberücksichtigung  der  zeitlichen  Verhältnisse  auch  die 
bekannten  älteren  Versuche  H.  Büchners^),  in  denen  sich  die 
für  Mäuse  unschädlichen  TetanusgSt-Äntitoxingemische  Meeischwein- 
chen  todlich  gezeigt  hatten  und  diejenigen  von  Vaillard  und 
R  0  u  X  *) ,  in  denen  ähnliche  Unterschiede  hervortraten,  wenn  man 
neben  normalen  Meerschweinchen  solche  benutzte,  die  gegen  Vibrionen 
immunisiert  oder  nachträgtich  mit  beliebigen  Bakterienprodukten 
behandelt  worden  waren.  Es  ist  sehr  wohl  denkbar,  daß  entweder 
die  Aufeaugungsgeschwindigkeit  von  der  Unterhaut  aus  oder  die  An- 
ziehungskraft der  giftempfänglichen  ZeUen  für  die  Gifte  verschieden 
ist  und  zur  Trennung  der  Gifte  vom  Antitoxin  führt,  wenn  eine  an 
sich  neutrale,  aber  erst  vor  kurzem  hergestellte  Mischung  von  beiden 
in  den  Körper  eingeführt  wird.  So  würde  sich  auch  am  einfachsten 
die  namentlich  durch  Behring  (a.  a.  0.)  manchmal  beobachtete 
„Cberempfindlichkeit"  immunisierter  und  reichliche  Antikörper  im 
Blute  enthaltender  Tiere  gegen  kleinste  Gaben  Tetanusgift  erklären, 
wenn  sie  nicht  zu  den  ganz  andersartigen  Erscheinimgen  der  „Anaphy- 
laxie" gehört  (S.  793  u.  §  344).  In  die  uns  hier  interessierenden  Gruppen 
von  Erscheinungen  gehören  aber  sicher  die  Ergebnisse,  die  Wasser- 
mann und  B  r  u  c  k  ^)  erhielten,  wenn  sie  neutrale  Tetanusgift- Anti- 
toxinmischungen Meerechweinchen  mit  Adrenalin  zusammen  unter 
die  Haut  einer  Hinterpfote  einimpften.  Es  trat  hier  Tetanus  ein,  wie 
die  Verfasser  annehmen,  deswegen,  weil  durch  die  Adrenalinwirkung 
die  Resorptionsbahn  für  das  Antitoxin  (der  Blut-  oder  besser  der  Lymph- 
weg) versperrt  war,  das  Gift  aber  ungestört  seinen  Weg  in  die  peri- 
pheren Nerven  hinein  nehmen  konnte.  Ließ  man  die  Mischung  vor 
der  Einspritzung  zwei  Stunden  in  Berührung,  oder  nahm  man  von 
vornherein  einen  Überschuß  von  Antitoxin,  so  blieb  der  Tetanus  auch 
bei  dem  Adrenalintiere  aus. 

Auf  andere  Umstände,  die  außer  der  Konzentration  und  Zeit 
noch  für  die  Bindung  zwischen  Tetanusgift  und  Antitoxin  von  Be- 
deutung sind,  haben  Knorr,  Ransom  und  Behring  hinge- 
wiesen. Nach  Knorr  vermag  lOprozentige  Kochsalz- 
lösung die  Bindung  des  Antitoxins,  ebenso  wie  der  Gehirnmasse 
an  Tetanusgift  zu  hemmen  (S.  879).  Ransom*)  machte  dann  die 
eigentümliche  Beobachtung,  daß  in  Zitratblut  gelöstes  Tetanus- 

1)  Münch.  med.  Woch.   1893.  23/24. 

2)  Annal.  Pasteur  1894.  72ö. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.   1904.  21. 

4)  Bei  Behring,  Deutsch,  med.  Woch.   1898.   19. 


896  Kap,  XVI,   §  278. 

gift  25 — 50,  Diphtheriegift  lOOmal  mehi;  Antitoxin  zur  Neutaralimerung 
erfordert  als  sonst.    V.  Behring^)  hat  später  in  Gemeinschaft  mit 
Kitashima   diese   Angaben   R  a  n  s  o  m  s  ,    wenn   auch   nicht  in 
vollem    Umfange,    bestätigen   können.     Mindestens    das    Taubenblut 
und  einige  Male  auch  das  Blutserum  von  Tauben  hatte  eine  solche  bin- 
dungshemmende  Wirkung  imd  zwar  auch  dann,  wenn  man  erst  das 
Blut  mit  dem  Antitoxin  mischte  und  hinterher  das  Gift  zugab.   Da- 
gegen blieb  der  Einfluß  des  Blutes  —  wohl  weil  die  Reaktion  schon 
im  Gange  war  —  anscheinend  gering,  wenn  man  erst  das  Gift  mit  dem 
Antitoxin  mischte  und  dann  das  Blut  hinzufügte.  Dahin  gehört  auch  die 
von  K  n  o  r  r  aufgefundene  und  von  Behring  bestätigte  Tatsache, 
daß  Tetanusgift  nach  kurzem  Aufenthalt  in  der  Blutbahn  von  Hühnern 
und  Gänsen  sehr  viel  schwerer  durch  Antitoxin  zu  neutralisieren  ist, 
als  vor  dem  Eintritt  ins  Blut.    In  gemeinsamen  Untersuchungen  mit 
Römer  ist  Behring^)  dann  zu  der  Vorstellung  gelangt,  daß  in 
jedem  antitoxischen  Serum  neben  dem  Antitoxin  ein  fermentartiger 
Stoff,  ein  „Konduktor"  vorhanden  sei,  der  eigentlich  erst  die  Bindung 
des  Giftes  an  das  Antitoxin  vermittele.    In  frischem  Serum  finde  er 
sich  reichlicher,  als  im  abgelagerten  oder  mehrere  Tage  auf  40—50* 
erhitzten.    Im  lebenden  Körper  wäre  dieser  Stoff  vielleicht  im  Achsen- 
zylinder der  Nerven  vorhanden.    Jedenfalls  zeigen  sich  neutrale  Gift- 
Antitoxinmischungen,  ob  sie  konzentriert  oder  verdünnt  sind,  ob  sie 
kürzere   oder  längere  Zeit  hergestellt  sind,   bei  intrazerebraler  Ein- 
spritzung gleich  ungiftig.    Eine  Wirlomg  des  Konduktormangels  im 
Serum  soll  sich  darin  zeigen,  daß  die  fast  neutralisierten  Gift-Anti- 
toxinmischungen bei  Verdünnung  stärker  giftig  werden.    Ein  Urteil 
über  die  Erscheinungen  wird  dadurch  erschwert,  daß  v.  Behring 
keine  näheren  Angaben  über  die  Bedingungen  des  Versuchs  imd  nament- 
lieh  darüber  macht,  ob  etwa  eine  Verlängerung  der  Beobachtongszeit 
daran  etwas  ändert.    In  diesem  Zusammenhang  sind  Bemerkungen, 
die  zuerst  M  a  d s  e  n  ^)  und  dann  Otto  und  Sachs  *)  am  Botu- 
li s  m  u  s  -  und  Spinnengift  gemacht  haben,  wichtig.   Sie  fanden 
ebenfalls,  daß  verdünnte  Mischungen  dieser  Gifte  mit  Antitoxinen  giftiger 
sind  als  die  konzentrierten.    Otto  und  Sachs  stellten  aber  fest, 
daß  die  durch  Verdünnung  herbeigeführte  Dissoziation  der  Gifte  aus 
ihrer  Verbindung  mit  den  Antitoxinen  schwächer  ist  oder  ganz  aus- 
bleibt, wenn  die  Mischungen  vor  ihrer  Verdünnung  lange  genug,  z.  B. 
24  Stunden,  in  Berührung  geblieben  sind.   Bei  subkutanen  Einspritzun- 

1)  Allgem.  Ther.   (s.  o.)  S.  1032. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.  1903.  36  und  Beitr.  experim.  Therap.  7,  19<>4. 

3)  Zentr.  Bakt.   Ref.   37.   373. 

4)  Zeitachr.  experim.   Pathol.  3,   1906. 


Gifte  der  Klein wesen.  S97 

gen  war  der  Unterschied  weniger  ausgeprägt  als  bei  intravenösen,  was 
auf  eine  Beschleunigung  der  Bindung  durch  das 
subkutane  Gewebe  hinweist  (s.  u.  Diphtherie).  Umgekehrt 
wie  in  den  Behring  sehen  Versuchen  waren  übrigens  gerade  frische, 
nicht  abgelagerte  Sera  der  Dissoziation  unterworfen.  Die  Verfasser 
lassen  dahingestellt,  ob  hier  eine  nachträgliche  Änderung  der  Avidität 
des  Antitoxins  stattgefunden  hat,  oder  ein  „negativer,  die  Verbindung 
hemmender  Katalysator''   aus  dem   Serum  allmählich   verschwindet. 

Bei  Diphtherieimmunisierungen  sind  Salomonsen  und  M  a  d  - 
s  e  n  *)  schon  vor  längerer  Zeit  zu  wichtigen  Ergebnissen  gelangt, 
indem  sie  die  Verändenmgen,  die  im  Antitoxingehalt  des  Blutes  im 
Laufe  der  Zeit  auftreten,  genauer  verfolgten  und  in  Beziehung  setzten 
zu  der  Menge  des  eingespritzten  Giftes.  Dabei  zeigte  sich  nämlich, 
daß  der  Abfall  des  Antitoxins,  der  nach  jeder  Ein- 
spritzung eintritt,  sehr  viel  größer  ist,  als  man  er- 
warten sollte,  wenn  man  die  für  die  Reagensglasversuche  geltenden 
Regeln  der  Giftneutralisierung  als  gültig  auch  für  den  Tierkörper  an- 
sehen könnte.  Er  betrug  z.  B.  V3  des  ganzen  Gehalts,  während  die 
Menge  des  Gifts  nach  der  Rechnung  V13000  entsprochen  hätte.  Nach- 
her stieg  die  Antitoxinmenge  wieder,  die  Immunisierung  hatte  also 
Erfolg.  Man  könnte  daraus  schließen,  daß  das  Gift  nicht  bloß  sich 
mit  dem  Antitoxin  des  Blutes  in  einem  weit  stärkeren  Verhältnis, 
als  es  im  Reagensglas  der  Fall  ist,  zu  binden  vermag,  sondern  noch 
daneben  an  die  antitoxinliefemden  Zellen  herantritt,  also  nicht  einmal 
vollständig  von  den  Blutantitoxinen  gebunden  wird.  Die  Tatsache  selbst 
scheint  allgemein  bei  der  Immunisierung  mit  Bakteriengiften  hervor- 
zutreten und  wurde  z.  B.  auch  von  Forßmann  und  Lundström*) 
bei  Herstellung  von  Botulismusantitoxin  beobachtet^).  Wie  sich  das 
überreichliche  Verschwinden  des  Blutantitoxins  unmittelbar  nach  der 
Einspritzung  erklärt,  ist  noch  nicht  aufgehellt,    die  Annahme  einer 


1)  Annal.  Pasteur  1897.   323. 

2)  Ebenda  1902.  299. 

3)  Ob  bei  passiver  Immunisierung,  z,  B.  bei  vorheriger  Einspritzung 
des  Antitoxins,  ein  ähnlicher  Verlust  eintritt,  ist  nicht  ausdrücklich  fest- 
gestellt. Er  scheint  aber  mindestens  beim  Tetanusantitoxin  viel  geringer 
zu  sein,  denn  nach  Behring  genügt  eine  Antitoxingabe,  die  viermal 
so  groß  ist,  als  die  bei  Mischung  im  Reagensglas  nötige,  imi  die  Vergiftung 
durch  intravenös  eingeführte,  vielfach  tödliche  Giftmengen  zu  verhüten, 
wenn  das  Antitoxin  10  Minuten  vor  dem  Gift  in  das  Blut  eingespritzt 
wird.  Und  auch  beim  Diphtherieantitoxin  hat  D  ö  n  i  t  z  ähnliche  Erfah- 
ningen  gemacht  (vgl.  Infektionslehre).  Dets  maciit  fast  den  Eindruck, 
als  ob  das  passiv  übertragene  (oder  fremde)  Antitoxin  sich  anders  verhielte, 
d.  h.  energischer  wirkte  als  das  durch  aktive  Immunisierung  entstandene. 

Krasc,  Mikrobiologie.  57 


898  Kap.  XVI,   §  278. 

so  gewaltig  verstärkten  Bindekraft  des  Giftes  für  das  intravaskuläre 
Antitoxin  ist  doch  recht  gewagt,  andererseits  aber  die  oben  für  die 
Erfahrungen  R  a  n  s  o  m  s  mit  Zitratbliit  gegebene  Erklärung,  es  werde 
nur  der  Antitoxinmangel  vorgetäuscht  durch  das  Vorhandensein 
eines  bindungshemmenden  Faktors  im  Blut,  für  diese  Veisuche,  die 
doch  nur  mit  kleinen  Mengen  des  Bluts  (oder  mit  Serum?)  angestellt 
worden  sind,  nicht  zulässig.  Jedenfalls  bewirkt  die  regelmäßige  Steige- 
nmg  des  Antitoxingehalts  im  Blut  bei  den  Immunisierungen  ebenso 
wie  die  gelegentlich  vorkommende  Überempfindlichkeit  (s.  o),  daß  bei 
allen  Giften  die  Bindung  an  das  im  Blut  in  Massen  zur  Verfügung 
stehende  Antitoxin  zum  Teil  ausbleibt,  also  auch  beim  Diphtherie- 
gift nicht  so  schnell  und  vollständig  erfolgt,  wie  etwa  die  Reaktion 
zwischen  starken  Säuren  und  Alkalien.  Zu  diesem  Vergleich  war  Ehr- 
lich allerdings  früher  gekonmien  auf  Grund  der  Prüfung  von  Diph- 
theriegift-Antitoxinmisch\mgen  unter  der  Haut  des  Meerschweinchens. 
Hier  erwies  sich  selbst  eine  Berührung,  die  nur  15  Minuten  dauerte, 
als  „überflüssig  lang''^).  Die  späteren  Erfahrungen  v.  Dungerns 
und  namentUch  Morgenroths*)  führten,  wie  wir  schon  früher 
gesehen  (S.  840),  auch  die  Schule  Ehrlichs  zu  einer  anderen  Auf- 
fassung. Es  zeigte  sich,  daß  zu  einer  vollständigen  Absättigung  des 
Diphtheriegifts  mit  seinem  Antitoxin  eine  Stunde  Aufenthalt  bei  40^ 
und  24  Stunden  bei  21^  nötig  sind,  und  daß  die  abweichenden  Prüfungs- 
ergebnisse am  Meerschweinchen  anscheinend  nur  dadurch  zustande 
kommen,  daß  dasUnterhautgewebedieserTiereeine 
beschleunigende  Wirkung  auf  die  Verbindung 
ausübt^).  Im  Blute  der  Meerschweinchen  und  ebenso  wie  bei  anderen 
Tieren  erfolgt  die  Binduütig  viel  langsamer.  Damit  stimmen  denn  auch 
andere  Tatsachen  überein.  So  versteht  man  jetzt,  vrie  es  Madsen 
und  W  a  1  b  u  m  (S.  894)  möglich  wurde,  aus  einer  neutralen  Mischung 
von  Diphtheriegift  und  Antitoxin  das  erstere  dadurch  zu  trennen, 
daß  sie  das  frisch  bereitete  Gemenge  bei  niederer  Temperatur  auf  ein 
Röhrchen  mit  fester  Gelatine  brachten  und  in  diese  hinein  diffundieren 
ließen.  Da  das  Gift  schneller  diffundiert  als  das  Antitoxin,  so  zeigte 
sich,  daß  in  einer  gewissen  Entfernung  von  der  Berühnmgsfläche 
die  Gelatine  gifthaltig  geworden  war.  Zweifelhafter  in  ihrer  Deutung 
sind  andere  Erfahrungen,  so  namentlich  die  von  K  r  e  t  z  *) ,  nach 


1)  Berl.  klin.  Woch.   1903.   35. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  48,   1904. 

3)  Keagensglaeversuche,  die  die  Vermutung  bestätigen,  fehlen.  Vg^- 
o.  S.  896  die  entsprechenden  Erfahrungen  von  Otto  und  Sachs  bei 
Wurstgift. 

4)  Zeitschr.  f.  Heilk.  23.  H.    10,   1902. 


Gifte  der  Klein wesen.  899 

der  es  zwar  nicht  oder  nur  in  ganz  unerheblichem  Maße  gelingt,  normale 
Tiere  mit  einem  neutralisierten  (abgelagerten)  Gemisch  von  Diph- 
theriegift und  Antitoxin  zu  immunisieren,  wohl  aber  solche  Tiere,  die 
vorher  schon  mit  dem  Gift  allein  längere  Zeit  behandelt  worden  waren. 
Man  nimmt  hier  gewöhnlich  an,  daß  die  fertige  Toxin-Anti- 
toxin  ver  bi  n  düng  durch  die  stärkere  Anziehungs- 
kraft derZellrezeptoren  des  aktiv  immunisierten 
Tiers  für  das  Gift  (vgl.  §  279)  gesprengt  werde,  etwa 
wie  die  Salzsäure  im  Mor genrot hschen  Versuche  (S.  857)  das 
Kobragift  aus  seiner  Verbindung  mit  dem  Antitoxin  löse.  Vielleicht 
war  aber  in  den  K  r  e  t  z  sehen  Versuchen  die  Verbindung  doch  nicht 
vollständig  gefestigt,  es  könnte  dann  schon  die  reichliche  Aus- 
stattung der  Zellen  des  immunisierten  Tieres 
mit  Rezeptoren  zur  Erklärung  dieser  „paradoxen  Erscheinung" 
genügen.  Umgekehrt  darf  man  die  aus  Tierversuchen  D  ö  n  i  t  z ' , 
Behrings  u.  a.  folgende  Tatsache,  daß  nämlich  das  bereits  an  die 
Zellen  „gebimdene"  Gift  diesen  entrissen  imd  dadurch  eine  Heilung 
der  beginnenden  Vergiftung  bewirkt  werden  kann,  noch  nicht  ohne 
weiteres  zu  dem  Schluß  verwerten,  daß  das  AntitoxiQ  des  Heilserums 
zu  dem  Gift  eine  größere  Verwandtschaft  besitze  als  zu  den  giftempfind- 
lichen Zellen,  denn  wir  haben  bisher  im  allgemeinen  keine  sicheren 
Mittel,  den  Zeitpunkt  festzustellen,  wo  das  Gift  an  die  Zellen  wirk- 
lich gebunden,  und  zwar  fest  gebunden  ist.  Hier  wie  in  dem  K  r  e  t  z  - 
sehen  Falle  würde  vielleicht  das  Massengesetz  seine  einfache 
Anwendung  finden. 

Ebensowenig  ist  übrigens  die  praktisch  gewiß  sehr  wichtige  Er- 
fahrung D  ö  n  i  t  z ' ,  daß  bei  leichter  Tetanusvergiftung  die  Tiere  noch 
20  Stunden  nach  der  Vergiftung  durch  große  Gaben  Antitoxin  gerettet 
werden  können,  Diphtherietiere  aber  nur  nach  6 — 8  Stimden,  dafür 
beweisend,  daß  das  letztere  Gift  sich  fester  und  schneller 
an  die  Zellen  binde  als  das  erstere,  da  die  Wege,  die  beide  Gifte 
nehmen  müssen,  um  zu  den  giftempfindlichen  Zellen  zu  gelangen, 
sehr  verschieden  lang  und  ihre  Schicksale  dabei  nur  unvollkommen 
bekannt  sind. 

Etwas  klarere  Vorstellungen  gewinnen  wir  über  die  Unterschiede, 
die  in  dieser  Beziehung  bei  den  verschiedenen  Giften  bestehen,  durch 
Reagensglasversuche  mit  Bakteriohämolysin. 
Während  Madsen^)  in  Ehrlichs  Laboratorium  gefunden  hatte, 
daß  es  selbst  15 — 30  Minuten  nach  Einbringen  von  Blutkörperchen 
inTetanolysin  noch  gelingt,  diese  vor  der  Lösung  durch  genügend 


1)  Zeitßchr.  f.  Hyg.  32,   1899. 

57  ♦ 


900  Kap.  XVI,    §  278. 

große  Gaben  Serum  zu  schützen,  obwohl  gewisse  Giftmengen  schon  naeli 
5  Minuten  an  die  Blutkörper  „gebimden"  werden,  und  während  er  die 
Antitoxinmengen,  mit  denen  sich  gleiche  „Heilerfolge  im  Reagensglas'' 
erzielen   lassen,    nach  5  Minuten  ungefähr  auf  das  Doppelte,  nach 
15  Minuten  auf  das  Dreifache,  nach  30  Minuten  auf  das  Fünffache 
derjenigen  Gabe,  die  bei  sofortiger  Anwendung  gebraucht  wird,  be- 
stimmt hatte,  erhielten  Kraus  imd  Lipschütz^)  mit  Tetano- 
lysin   und   anderen    Bakterienlysinen   sehr   verschiedene    Ergebnisse. 
So  konnten  sie  mit  der  einfach  lösenden  Gabe  Tetanolysin  ver- 
giftete Blutkörper  selbst  bei  gleichzeitiger  Zugabe  von  Antitoxin  erst 
mit  einer  100  fach  größeren  Menge  vor  der  Lösimg  schützen,  als  dazu 
nötig  waren,  wenn  Gift  imd  Antitoxin  vorher  eine  Stunde  lang  bei 
37°  miteinander  in   Berührung  gewesen  waren.     10  Minuten  später 
hatte  selbst  die  2000  fache  Menge  keine  Heilwirkimg  mehr.    In  einem 
Versuch  mit  Staphylolysin  schützte  die  10 fache  Menge  Anti- 
toxin nur,  wenn  sie  gleichzeitig  zugefügt  wurde,  vor  der  einfach  lösen- 
den Gabe,  die  200  fache  nicht  einmal  vollständig  unter  gleichen  Be- 
dingungen vor  der  dreifachen  Gabe.    In  einem  zweiten  Versuch  mit 
einem  anderen  Staphylolysin  bewahrte  die  fünffache  Menge  Antitoxin 
bei  gleichzeitiger  Zugabe,  die  zehnfache  nach  5  Minuten,  die  1000  fache 
nach  10  Minuten  vor  der  einfachen  Giftgabe.    Am  schwierigsten  war 
die  Heilung   der   Vi  br  i  ol  y  si  n  vergiftimg,   da   erst   die   500 fache 
Menge  Antitoxin  bei  gleichzeitiger  Zumischung  die  Blutkörper  vor  der 
Lösung  rettete.    Zum  Teil  könnten  diese  Unterschiede  wohl  bedinp:t 
sein  durch  die  GeschwindigkeitderBindungderGifte 
andieBlutkörper^).  Am  größten,  d.  h.  schon  binnen  5  Minuten 
fast  vollendet  ist  sie  beim  Vibriolysin,  wie  Kraus  und  Lipschütz 
feststellten,  indem  sie   die  Blutkörperchen   mit  der  einfachen   Gabe 
Hämolysin   mischten,  nach  verschiedener  Zeit  abzentrifugierten  und 
Bodensatz   und   Flüssigkeit   getrennt   auf   Lösung   prüften,  während 
beim  Tetanolysin   und    Staphylolysin   zwar   eine   gewisse    Giftmenge 
sehr  schnell  gebunden  wird,  aber  noch  nach  30  Minuten  ungebundene 
Teile  nachweisbar  sein  können.    Da  die  Heilungsmöglichkeit,  wenn 
man  nur  die  Antitoxinmenge  groß  genug  wählt,  bei  allen  Giften  in  der 
ersten  Zeit  vorhanden  ist,  so  muß  man  den  Schluß  ziehen,  daß  das 
schon  von  den  Blutkörperchen  aufgenommene  Gift  diesen  durch  das 
Antitoxin  entzogen  werden  kann.    Im  Unklaren  bleiben  wir  freilieb 
auch  hier  wieder  darüber,  inwieweit  die  Aufnahme,  das 
Eindringen  in  die  Zelle  von  vornherein  aufeiner 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   46,   1904. 

2)  Vgl.  dazu  die  Arbeiten  von  Volk,   S  c  h  e  r  u.  a.  bei  den  Häim>- 
lysinen  der  Bakterien   §  313  und  314. 


Gifte  der  Klein wesen.  901 

ehemischen  Bindung  oder  bloß  auf  einer  Art  Ab- 
sorption beruht,  können  aber  sagen,  daß  aller  Wahrscheinüch- 
keit  nach  schließlich  eine  mit  unseren  Mitteln  unlösbare  Bindung 
der  Gifte  an  das  Stroma  der  Blutzellen,  also  eine  ähnliche  Ver- 
festigung erfolgt,  wie  wir  sie  für  die  Reaktionen  der  Gifte  mit 
den  Antitoxinen  kennen  gelernt  haben.  Die  Ehrlich  sehe  Seiten- 
kettentheorie nimmt  daher  an,  daß  die  „Rezeptoren",  d.  h.  die  hämo- 
lysinbindenden  Atomgruppen  der  Blutkörper,  identisch  seien  mit  den 
haptophoren  Gruppen  der  Antitoxine.  Ein  strenger  Beweis  dafür  fehlt 
freilich.  Die  Bindimg  könnte  auch  durch  andere  ,, giftzuleitende" 
^^itenketten  der  Zellen  bewerkstelligt  werden  (§  279). 

Spricht  die  Tatsache,  daß  durch  genügend  große  Mengen  Anti- 
toxin die  Bindung  der  Gifte  an  die  Blutkörper  rückgängig  gemacht 
werden  kann,  dafür,  daß  sie  zunächst  eine  lockere,  die  Reaktion  re- 
versibel ist,  so  zeigen  andererseits  die  oben  angegebenen  Mengen- 
verhältnisse, die  zwischen  Gift  und  Gegengift  bestehen  müssen,  um 
die  Hämolyse  hintanzuhalten,  wenn  man  die  Blutkörper  gleichzeitig 
mit  den  beiden  in  Berührung  bringt,  daß  die  Verwandtschaft 
der  Gifte,  und  zwar  besonders  wieder  die  des  Vi- 
briolysins,  zu  den  Blutkörpern  von  vornherein 
eine  größere  ist  als  die  zum  Antitoxin^).  Selbst- 
verst-ändlich  konmit  neben  der  Bindungsgeschwindigkeit  und  Bindungs- 
kraft als  dritter  Faktor,  der  die  Heilimgsmöglichkeit  beeinflußt,  in 
Betracht  die  Giftigkeit  des  Hämolysins  für  die  Blutkörper,  d.  h.  um 
mit  Ehrlichzu  sprechen,  die  Energie,  mit  der  die  toxophore  Gruppe 
der  Gifte  nach  der  Bindung  ihre  Wirkung  auf  die  Zellen  ausübt.  Man 
wird  sich  vorstellen  dürfen,  daß  die  im  übrigen  uns  noch  völlig  un- 
bekannten chemischen  Prozesse,  die  zur  Lösung  der  Blutkörper  führen 
(§314),  eine  gewisse  Zeit  erfordern,  deren  Länge  von  der  Temperatur 
abhängt,  und  daß  vielleicht  diese  Prozesse  in  gewissen  Stadien  noch 
aufzuheben  oder  rückgängig  zu  machen  sind.  Diese  Reaktionsge- 
.schwindigkeit  der  Lösung  zu  messen,  sind  wir  freilich  bisher  noch  nicht 
imstande,  da  wir  nicht  wissen,  ob  die  Giftwirkung  erst  nach  erfolgter 
Befestigung  der  Gifte  oder  schon  bei  lockerer  Bindung  beginnt.  Also 
gelingt  es  ebensowenig  durch  die  Reagensglasversuche  wie  durch  die 
Tierversuche  mit  anderen  Infektionsgiften,  die  leicht  festzustellende 
Zeit,  die  von  der  Berührung  der  Gifte  mit  den  Zellen  bis  zum  Eintritt 
der  Vergiftungserscheinungen  verstreicht,  die  sog.  Inkubations- 
zeit, in  ihre  drei  Bestandteile,  die  Zeit  des  Eindringens, 
der  Bindung  tmd  der  Vergiftung  selbst,  zu  zerlegen. 

i)  Ob  das  auch  für  den  lebenden  Körper  gilt,  wäre  freilieh  noch  zu 
♦'utHcheiden  (§  315). 


902  Kap.  XVI,   §  278  u.  279. 

Die  in  diesem  Abechnitt  geschilderten  Erfahrungen  über  das  Ver- 
halten der  Immungifte  zu  ihren  Antikörpern  imd  die  daraus  abgeleiteten 
Vorstellmigen  über  ihren  Bau  sind,  wie  man  sieht,  noch  recht  unvoll- 
ständig. Zu  verwimdem  ist  das  aber  nicht,  wenn  man  erwägt,  daß 
uns  die  chemische  Natur  der  beiden  Reaktionskörper^)  noch  völlig 
unbekannt  ist. 

§  279.  Verhältnis  der  zuleitenden  und  impfenden  zu  den 
bindenden   Giftgruppen.      Ehrlich»   Seitenkettentheorie. 

Wie  wir  gesehen  (S.  838),  schreibt  Ehrlich  dem  Diphtherie-  und 
anderen  Impfgiften  neben  einer   „toxophoren",   d.  h.  giftige  Krank- 
heitserscheinungen hervorrufenden  Gruppe  nur  noch  eine  „haptophore". 
d.  h.  bindende  Gruppe  zu  und  erklärt  durch  die  Wirkimg  der  letzteren 
gleichzeitig  dreierlei  Leistungen  dieser  Gifte :   die  Bindung 
an  die  giftempfindlichen  Zellen  (Giftzuleitimg)  als  Vorbedingimg  der 
Giftwirkung,  die  Vereinigung  mit  den  antitoxinliefemden  Zellen  und 
deren  Anregung  zur  Antitoxinbildung  (Immunisierung)  und  schließ- 
lich die  Neutralisierung  (Bindung)  der  freien  Antitoxine.     Nur  von 
der  dritten  Annahme  haben  wir  in  den  vorstehenden  Abschnitten  aus- 
führlich gesprochen,  imd  doch  machen  erst  alle  drei  Voraussetzungen 
den    wesentlichen    Inhalt    der    vielgenannten    „Seitenkettentheorie" 
E  h  r  1  i  c  h  s  aus,  indem  sie  die  merkwürdige  biologische 
Tatsache  erklären  sollen,   daß   dieselben  Stoffe, 
die   den   Tierkörper  in    großen    Gaben   vergiften, 
durch  kleine,  unter  Umständen  wiederholte  Ga- 
ben in  demselben  die  Neubildung  von  Gegengif- 
ten, die  für  jedes  Gift  besonderer  Art  sind,  und 
damit  eine  art  e  i  gen  t  ü  mli  ch  e  („spezifische")  Gift- 
festigkeit   (Giftimmunität)    hervorrufen.      Ehr- 
lich denkt  sich  den  Zusammenhang  so,  daß  zunächst  das  Giftmole- 
kül an  die  giftempfindlichen  Zellen,  z.  B.  des  Nervensystems,  heran- 
tritt, sich  mit  ihren  „aufnehmenden"  Gruppen  (Seitenketten,  Rezep- 
toren) durch  seine  eigene  bindende  Gruppe  verkettet  und  damit  seiner 
giftigen,  etwa  nach  Art  eines  Ferments  gebauten  Atomgruppe  einen 
Angriffspimkt  verschafft.  Erliegt  das  Tier  dem  Gift,  so  ist  damit  der  An- 
griff zu  imgunsten  desselben  erledigt,  übersteht  es  aber,  so  folgt  auf 
den  Angriff  als  eine  Gegenwirkung,  die  den  Schaden 
auszugleichen  sucht,  eben  die  Gegengiftbildung,  die  Gift- 
immunität: die  durch  die  bindende  Gruppe  des  Toxins  besetzten  auf- 
nehmenden Seitenketten   der  Zellen   werden  beseitigt,   und  die  da- 
durch entstandenen  Lücken  durch  Neubildung  gleicher  Seitenketten 


1 )  Über  die  Eigenschaften  des  Antitoxins  selbst  vgl.  Immunitätplebre. 


Gifte  der  Klein wesen.  903 

ausgefüllt.    Es  bleibt  aber,  wie  so  häufig  im  geschädigtea  Tierkörper  — 
man  denke  an  die  Wundheilnng  durch  Granulationen  — ,  nicht  bei 
einfachem  Ersatz,  sondern  die  Seitenketten  werden  überreichlich  ge- 
bildet, oder  weil  sie  keinen  Platz  in  den  Zellen  haben,  nach  außen  ins 
Blut  abgestoßen  imd  bewegen  sich  darin  als  „freie  Seitenketten'*  oder, 
was  bei  der  von  Ehrlich  vorausgesetzten  Identität  ihrer  bindenden 
Gruppen  dasselbe   ist,   als   Gegengifte   oder   Antitoxine.     Diese   be- 
dingen, indem  sie  neuzutretende,  selbst  tödliche  Gaben  desselben  Giftes 
abfangen,  einen  spezifischen  Schutz  gegen  das  betreffende  Gift,  die 
Giftimmunität.     Diese  Auffassung  Ehrlichs  besticht  durch  ihre 
Einfachheit  imd  durch  ihre  Analogie  mit  anderen  Ersatz-  imd  Hei- 
hngsvorgängen^)  im  Tierkörper.     Sie  läßt  sich  femer,  wie  wir  sehen 
werden  (Kap.  XVII  §  327,  333,  334  ff.),  auch  anwenden  zur  Erklärung 
der  übrigen  Arten  von  spezifischer  Inmiunität  gegen  infektiöse  Er 
reger,  andere  Fremdzellen  imd  andere  Fremdstoffe  —  femer  zum  Ver 
ständnis  der  Anpassung  der  Eleinwesen  an  das  parasitäre  Leben  (§  330) 
ja  selbst  zur  Erklärmig  der  sog.  nicht  spezifischen  erworbenen  Immu 
nität,  die  auf  Entzündungs-    imd   Fieberreaktionen   beruht   (§  331) 
Es  fragt  sich  freilich,  ob  sich  Ehrlichs  Voraussetzung,  die  Iden 
tität  der  giftzuleitenden,  antitoxinbildenden  und-bindenden  Gruppen 
unmittelbar  beweisen  läßt.    Wir  können  hier  auf  die  zur  Stütze  der 
„Seitenkettentheorie'*  angeführten  Tatsachen  noch  nicht  ausführlich 
eingehen,  weil  sie  Vorgänge  betreffen,  die  sich  im  lebenden  Tier  ab- 
spielen (vgl.  Infektions-  und  Immunitätslehre),  wollen  aber  doch  schon 
bemerken,  daß  sichere  Beweise  überhaupt  nicht  vorliegen.    Nament- 
lich der  viel  besprochene  „W assermann sehe  Versuch",  der  das 
Vorkommen  spezifischer  tetanusgiftbindender,  den  Antitoxinen  gleich- 
gestalteter Seitenketten  im  Gehim  und  Rückenmark   beweisen  soll, 
ist  wahrscheinlich  anders  zu  deuten,  denn  weder  sind  die  Tetanusgift 
bindenden  Stoffe  des  Gehirns  spezifisch  und  den  Antitoxinen  gleich 
(s.  0.  §  274),  noch  darf  man  annehmen,  daß  das  Tetanusgift  überall 
im  lebenden  Nervensystem  so  gebunden  wird,  wie  im  Reagensglas 
vom  toten,  noch  ist  das  Gehim  wohl  die  Stätte,  wo  das  Tetanusanti- 
toxin neu  gebildet  wird.    Trotzdem  darf  man  sagen,  daß  die  E  h  r  - 
lichsche  Theorie  mit  einigen  Änderungen  an  der 
ursprünglichen  Form  bzw.  gewissen  Zusatzhypo- 
thesen sich  halten  läßt  und  die  Immunisierungs- 


1)  Der  von  Ehrlich  gemachte  Versuch,  die  Immunitätsvorgänge 
zu  denen  der  normalen  Ernährung  in  Beziehung  zu  setzen,  indem  die  Seiten- 
ketten als  „Fangapparate*'  für  Nahrungsstoffe  gedacht  werden,  erscheint 
dagegen  mißlungen  (§  68  und   §  329). 


904  Kap.  XVI,    §  278. 

erscheinungen  besser  als  jede  andere  erklärt^). 
Zunächst  ist  es  sicher  und  auch  durch  Ehrlich  von  Anfang  an  zu- 
gegeben, daß  nicht  bloß  die  eigentlichen  gift«mpfindlichen  Zellen  des 
tierischen  Organismus  das  Gift  binden,  sondern  auch  viele  andere, 
und  wahrscheinlich,  daß  gerade  die  wenig  oder  gar  nicht  für  das  Gift 
empfänglichen  durch  die  Bindung  mit  dem  Gift  in  erster  Linie,  wenn 
nicht  ausschließlich,  zur  Antitoxinbildimg  angeregt  werden  imd  zum  Teil 
durch  „Giftablenkimg"  den  Impfschutz  bewirken.  Es  wäre  deswegen 
nicht  ausgeschlossen,  daß  die  Bindung  der  Gifte  an  die  empfindlichen 
und  an  die  antitoxinbildenden  Zellen  durch  verschiedene  Bindegruppen 
die  wir  als  „giftzuleitende"  und  „giftablenkende"  Gruppen  bezeichnen 
könnten,  verursacht  würden.  Nötig  ist  diese  Annahme  aber  vorläufig 
nicht,  da  die  Unempfänglichkeit  gegen  die  Vergiftung  ja  auch  durch  Eigen- 
tümlichkeit der  Zellen  selbst,  nicht  durch  die  Verschiedenheit  der  Binde- 
gruppen bedingt  sein  könnte.  Wie  dem  auch  sei,  die  teleologische 
Grundlage  für  die  Antitoxinbildung  bleibt  auch  in  den  giftunempfäng- 
lichsten  ablenkenden  Zellen  bestehen,  es  erfolgt  eben  ein  Ausfall  von 
Protoplasmabestandteilen  (Seitenketten),  der  ersetzt  werden  muß 
überall  da,  wo  bindende  Gruppen  des  Protoplasmas  von  Fremdstoffen 
besetzt  werden.  Daß  eine  stärkere  Schädigung  der  Zellen  dazu  nicht 
nötig  ist,  sieht  man  ja  auch  an  den  Antikörpern,  die  gegen  agglutinogene 
Bakterienstoffe,  fremdes  Eiweiß  u.  dgl.  gebildet  werden  (§334  ff.). 
Von  diesem  Standpunkte  aus  wäre  es  verständlich,  daß  die  Toxine 
auch  immunisieren,  wenn  sie  durch  Verwandlung  ihrer  toxophoren 
Gruppe  unschädlich  geworden  sind.  In  der  Tat  hat  man  das  lange 
angenommen  und  seit  den  ersten  Versuchen  von  C.  Fränkel,  Beh- 
ring,   Behring  und  Kitasato  (1890)  giftempfängliche   kleine 


1)  Sonst  in  Betracht  käme  eigentlich  nur  die  Theorie,  welche  die 
Immunkörper  aus  der  Um\%'andlung  der  Impfstoffe  (Antigene)  selbst  her- 
vorgehen lassen  möchte.  Einige  Beobachtungen,  die  in  dem  Sinne  allen- 
falls gedeutet  werden  könnten,  sind  gemacht  worden  von  Kruse  und 
Bonaduce  (Zieglers  Beitr.  12.  368  Übergang  der  Milzbrandangriff?- 
stoffe  im  Reagensglasversuche  mit  Blutserum  in  Schutzstoffe),  S  m  i  r  - 
n  o  w  (Berl.  klin.  Woch.  1894  u.  1895)  und  Krüger  (Deutsch,  med.  Wooh. 
1895,  21  Umwandlung  der  Gifte  in  Impf-  und  Schutzstoffe  durch  d^n 
elektrischen  Strom),  Emmerich  und  Low  (Zeitschr.  f.  Hyg.  31  und 
36  Bildung  von  Immunprot eidinen  im  Reagensglas).  Vgl.  auch  Büch- 
ner (Münch.  med.  Woch.  1893.  380);  M  e  t  s  c  h  n  i  k  o  f  f ,  (Immiuiitat 
in  W  e  y  1  s  Handb.  d.  Hyg.  9.  48  und  „Immunität",  1902  S.  303).  Vitl 
Staat  ist  aber  mit  diesen  Ergebnissen  nicht  zu  machen,  da  sie  entweder 
nicht  aufrecht  zu  erhalten  sind  oder  andere  Deutungen  zulassen.  Schließ- 
lich haben  wir  sonst  für  derartige  Vorgänge  keine  chemischen  Analogien. 
Man  hat  früher  namentlich  die  Tatsache  übersehen,  daß  jedes  Gift-  bzw. 
Impfstoffmolekül  ein  Vielfaclies  an  Gegengiften  bzw.  Schutzstoffen  erzeugt. 


Gifte  der  Klein wesen.  905 

Tiere  überhaupt  nur  mit  künstlich  durch  mäßiges  Erhitzen,  BeUchtung, 
Elektrizität,  Chemikalien  oder  natürlich  abgeschwächten,  d.  h.  wie 
man  auf  Grund  der  von  Ehrlich  u.  a.  später  ausgeführten  Bindungs- 
versuchen annehmen  durfte,  toxoid-  oder  toxonhaltigen  Giften  schützen 
können.  D  r  e  y  e  r  und  M  a  d  s  e  n  ^)  haben  daraus  gefolgert,  daß 
auch  die  Immunisierung  mit  nicht  völlig  neutralisierten,  d.  h.  zwar 
wesentlich  ungiftigen,  aber  noch  bindefähigen  Gift- Antitoxinmischungen 
gelingen  müsse.  Bis  zu  einem  gewissen  Grade  gelingt  das  auch. 
K  r  e  t  z  *)  u.  a.  haben  femer  darauf  hingewiesen,  daß  die  höchsten 
Immunitätsgrade  bei  Pferden  auch  mit  ziemlich  stark  abgeschwächten 
Diphtheriegiften  erreicht  werden.  Andererseits  bedient  man  sich  woh! 
nicht  ohne  Grund  mit  Vorliebe  in  der  Immunisierungspraxis  besonders 
starker  Gifte.  Daß  das  Vorhandensein  giftiger  Bestandteile  (der 
toxophoren  Gruppe)  in  den  immunisierenden  Lösungen  für  den  Er- 
folg nicht  ohne  Bedeutung  sei,  ja  erst  den  eigentlichen  „Immimi- 
äierungsreiz"  (ictus  immunisatorius  Ehrlich  und  Morgenroth) 
abgebe,  hat  sogar  B  r  u  c  k  ^)  im  Laboratorium  Wassermanns 
aus  vergleichenden  Versuchen,  die  er  mit  einer  gänzlich  ungiftigen 
Tetanusgiftlösung  A  und  einer  etwas  giftigen  B  an  Kaninchen  an- 
gestellt hat,  schließen  wollen,  da  er  mit  ersterer  nur  Spuren  von  Anti- 
toxin, mit  letzterer  große  Mengen  erzeugen  konnte.  Leider  fehlt  bei 
Brück  zimächst  schon  der  Vergleich  der  bindenden  Kraft  beider 
Lösungen,  und  auch  manche  sonstige  Tatsachen  lassen  sich  mit  seiner 
Auffassung  nicht  recht  vereinigen .  Im  allgemeinen  hat  j  a  doch  die  Erf  ah  - 
nmg  die  Unabhängigkeit  des  Erfolgs  von  der  Giftigkeit  und  den  Paralle- 
lismus zwischen  immunisierender  und  bindender  Kraft  bestätigt  und  das 
Fehlen  der  ersteren  bei  Mangel  der  zweiten  (mag  er  nun  durch  zu  starke 
Erhitzung,  Verdauung^),  zu  lange  Einwirkung  abschwächender  Chemi- 
kalien u.  dgl.  oder  durch  vollständige  und  feste  Bindung  an  Antitoxin*) 


1)  Zeitsehr.  f.  Hyg.   37,   1901. 

2)  Kraus'  und  Levaditis  Handb.  2.  27,   1908. 

3)  Zeitsehr.  f.  Hyg.  46,   1904. 

4)  Macht  die  meisten  Immungifte  tmschädlich  ( §  274)  und  nimmt 
ihnen  zugleich  die  Immunisierungsfähigkeit,  Das  Bindungs vermögen  ist 
freilich  nicht  untersucht  worden.  Ausnahmen  sind  das  Botulinusgift, 
Huhrgift  (Chvostek,  Wien.  klin.  Woch.  1908,  20),  Rizin  und  Abrin 
(Ehrlich,  Deutsch,  med.  Woch.  1891)  und  Schlangengift  (Fräser 
hei  C  a  1  m  e  1 1  e  in  K  r  a  u  s '  und  L  e  v  a  d  i  t  i  s  Handb.  2.  244),  mit  denen 
denn  auch  zum  Teil  eine  Immunisierimg  durch  Verfüttenmg  gelingt. 

5)  Die  Bindung  muß  nicht  nur  vollständig,  sondern  auch  fest  sein, 
(i.  h.  lange  genug  bestehen.  Daher  ruft  Diphtheriegift  z.  B.  bei  Pferden, 
die  durch  Serum  passiv  immunisiert  wird,  Antitoxinbildung  hervor.  Vgl. 
K  r  e  t  z  ,  Zeitsehr.  f.  Heilk.  23,  1902  und  bei  Kraus  imd  L  e  v  a  d  i  t  i  , 


906  Kap.  XVI.   §  279  ii.  280. 

bewirkt  sein)  gelehrt.  Möglicherweise  erklärt  sich  also  die  schlechte 
Wirkung  der  imgiftigen  Impfilüssigkeit  in  dem  Brück  sehen  Ver- 
suche durch  das  Fehlen  anderer  Stoffe  oder  anderer  »Seitenketten 
im  Toxoidmolekül  als  gerade  der  toxophoren  (s.  u.). 

Übrigens  soll  nicht  verschwiegen  werden,  daß  sich  einige  Angaben, 
die  wir  schon  bei  Fränkel^)  finden,  nicht  mit  der  üblichen  Ansicht 
von  der  Bedeutung  der  haptophoren  Gruppen  für  die  Immunisierung 
vereinigen  lassen.  Sollen  doch,  wenn  auch  nicht  in  so  zuverlässiger 
Weise,  große  Mengen  gekochten  Diphtheriefiltrates  Immuni- 
tät hervorrufen.  Durch  die  Siedehitze  wird  aber  doch  sowohl  die 
toxophore  wie  die  haptophore  Gruppe  zerstört. 

In  diesem  Zusammenhange  bemerkenswert  erscheinen  auch  die 
Erfahrungen,  die  man  mit  anderen  Impfstoffen  gemacht  hat  (§  327. 
335  ff.). 

Weder  die  Bildung  von  Bakteriolysin  noch  die  von  Agglutinin 
steht  in  völlig  gesetzmäßiger  Beziehung  zu  der  Bindungsfähigkeit, 
welche  die  betreffenden  Antigene  zu  ihren  Immunkörpern  im  Reagens- 
glas haben  oder  zu  der  aggressiven  Wirksamkeit  der  Bakterien 
(Virulenz)  und  ihrer  Produkte.  Es  kann  z.  B.  Bindefähigkeit  vorhanden 
sein  und  Immunisierungsfähigkeit  fehlen  und  umgekehrt.  Ob  nicht 
unter  Umständen  auch  ähnliches  für  die  giftigen  Antigene  gilt?  Jeden- 
falls wird  man  sich  nach  alledem  hüten,  die  antitoxinbindende  (hapt^ 
phore)  Gruppe  und  die  antitoxinbildende  (immunisierende)  Gruppe 
der  Gifte  einfach  zu  identifizieren,  sondern,  um  die  Seitenketten- 
theorie zu  retten,  zu  Hilfshypothesen  greifen  müssen,  indem  man 
entweder  neben  den  eigentlichen  mit  Bindegruppen  ausgestatteten 
Molekülen  besondere  Stoffe  oder  in  ihnen  besondere  Atomgruppen 
voraussetzen  wird,  die  nach  der  einen  oder  anderen  Richtung,  d.  h. 
fördernd  oder  hemmend  die  Bindung  im  Reagensglas^)  imd  neben 
der  Bindung  die  Neubildung  der  den  Immimkörper  liefernden  Zellen 
beeinflussen.  Ja,  man  könnte  geneigt  sein,  noch  weiterzugehen  und 
geradezu  zwei  bindende  Gruppen  im  Giftmolekül  annehmen,  von 
denen  die  eine  „antitoxinbindende",  die  Bindung  im  Reagensglas,  die 
andere  „antitoxinbildende"  (impfende,  immimisierende),  die  Bindung 
in  den  antitoxinliefemden  Zellen  und  damit  die  Antikörperbildung 


2.  244,  1908.  Selbst  die  feste  Bindung  soll  allerdings  nach  K  r  e  t  z  durch 
die  Rezeptoren  aktiv  immunisierter  Tiere  aufgehoben  werden.  Vgl-  aber 
das  S.  899  darüber  Gesagte. 

1)  Berl.  klin.  Woch.   1890.  49. 

2)  Auch  die  „Aviditäts "-Unterschiede  der  einzelnen  ToxinbesUnd- 
teile  (Proto-,  Deutero-,  Tritotoxine  usw.)  kann  man  sich  ja  in  ähnlicher 
Weise  zustandegekommen  denken  (s.  o.   S.   846  ff.  u.   856). 


Gifte  der  Kleinwesen.  907 

bzw.  Giftimmiuiität  be^wirkten.  Die  Unmöglichkeit,  durch  neutrale 
und  gefestigte  Toxin-Antitoxinmischungen  zu  immunisieren,  spräche 
nicht  dagegen,  denn  durch  die  Bindung  der  einen  Gruppe  könnte  die 
Wirksamkeit  der  anderen  Gruppe  ja  ausgeschaltet  werden.  Einfacher  und 
theologisch  verständlicher  ist  freilich  wohl  eine  der  ersten  Annahmen. 

Wie  man  sieht,  werden  die  Vorstellungen  über  den  Bau  der  Im- 
mungifte immer  verwickelter,  je  mehr  man  ihre  einzelnen  Eigenschaften 
in  der  von  Ehrlich  vorgeschlagenen  Weise  zu  erklären  sucht.  Ob 
wir  damit  auf  dem  richtigen  Wege  sind,  wird  natürlich  erst  die  Auf- 
klärung der  Giftzusammensetzung  .durch  die  chemische  Analyse 
endgültig  entscheiden.  Vorläufig  müssen  wir  aber  zugeben,  daß  die 
Ehrlich  sehe  Theorie  die  Erscheinungen  der  erworbenen  spezi- 
fischen Immunität  besser  erklärt  als  jede  andere  und  auch  dadurch 
sich  empfiehlt,  daB  sie  die  erworbene  Immunität  nur  als  einen  be- 
sondeienFall  der  Inmiunität  im  allgemeinen  erkennen  läßt.  Wissen 
wir  doch,  daß  auch  im  normalen  Tierkörper,  wenn  auch  hier  in  viel 
geringeren  Mengen  und  vielleicht  da  und  dort  in  etwas  anderer  Be- 
schaffenheit und  Form,  Antitoxine  imd  andere  Antikörper  spezifischer 
Natur  vorkommen.  Die  erworbene  Immimität  steigert  also  nur  die 
Abwehrkräfte,  die  dem  Tiere  angeboren  oder  von  ihm  auf  nicht  spezi- 
fischem Wege  erworben  worden  sind  (vgl.  Infektions-  und  Immunitäts- 
lehre). 

Über  die  Art  und  Weise,  wie  die  Antitoxinbildung,  die  Verviel- 
fältigung der  Seitenketten  zustande  kommt,  lehrt  uns  die  Ehr- 
lich sehe  Theorie  nichts  (vgl.  §  68).  Wir  müssen  uns  damit  begnügen, 
sie  mit  anderen  Sekretionen  oder  Zellenneubildungen  zu  vergleichen^). 

§  280.  Endotoxine,  sekundäre  Gifte,  Bakterienproteine. 
Entzündungs-,  Fieber-,  Darmgifte.  Schon  bei  Besprechung  des 
Diphtheriebazillus  (S.  831  ff.)  haben  wir  gesehen,  daß  mit  dem 
durch  seine  Wirkimgen  im  Tier  gut  charakterisierten,  im  Filtrat 
der  Kulturen  leicht  nachweisbaren,  sehr  kräftigen,  hitzeempfindlichen 
Gifte  die  Giftigkeit  dieser  Bakterien  noch  nicht  erschöpft  ist,  sondern 
daß  auch  seinen  gekochten  Kulturen  und  von  dem  Gift  befreiten 
Bazillen  selbst  eine  gewisse,  allerdings  meist  viel  schwächere  Gift- 
wirkung zukommt,  die  in  verschiedener  Weise  beschrieben  wird.  Wir 
haben  sie  mit  der  durch  andere  Bakterien  hervorgerufenen  „Endotoxin- 
vergiftung"  verglichen.  Beim  Choleraspirillum,  wo  sie  zuerst  genauer 
beschrieben  worden  ist,    glaubte   R.  Pfeiffer   scharf   unterscheiden 


1)  Vgl.  das  a\if  S.  799  Gesagte  über  die  von  Kassowitz  (Meta- 
bolismus lind  Immunität  1907)  aufgestellte  Theorie,  die  sich  im  übrigen 
an  die  Ehrlich  sehen  Vorstellungen  anschließt. 


90S  Kap.  XVI,    §  280. 

ZU  müssen  zwischen  dem  gegen  alle  schädlichen  Einflüsse  sehx  empfind- 
lichen, kaum  in  Lösung  zu  gewinnenden,  schon  in  geringerer  Menge 
wirksamen  „primären"  Gift  der  Bakterienleiber  und  dem  kochfesten  Gift, 
das  zwar  unter  denselben  Erscheinungen  (des  sog.  „Cholerakollapses''), 
aber  erst  in  viel  (10 — 20 mal)  größeren  Gaben  tötet,  und  das  er  s  e  k  u  n- 
d  ä  r  e  s  Gift  nannte,  weil  er  dex  Auffassung  war,  daß  es  aus  dem  ersten 
durch  Hitzewirkung  entstände.    Im  wesentUchen  dieselben  Dinge  meint 
G  a  m  a  1  e  i  a  (§284),  wenn  er  beim  Cholerabazillus  von  einem  hitze- 
empfindlichen „Nukleoalbumin"  und  einem  hitzebeständigen  „Nuklein" 
des  Cholerabazillus  spricht.  ÄhnUches  beobachtet  man  bei  den  meisten 
Leibesgiften   der  Kleinwesen.    Denn  sehr  gewöhnlich  wird  denselben 
durch  das  Kochen  ein  Teil  ihrer  Wirkung  geraubt,  ohne  daß  die  Art 
der  Wirkung  selbst  sich  wesentüch  änderte,  doch  sind  die  Unterschiede 
vielfach   sehr  unbedeutend;    man    hat    daher    auch    die   Endotoxine 
als    hitzebeständig   bezeichnet   im    Gegensatz   zu   den   Ekto- 
toxinen,  die   meist   hitzeempfindlich   sind.    Eine   zweite   Eigenschah 
der  Leibesgifte  sollte  in  der  Unmöglichkeit  bestehen,  gegen  sie 
Immunität  bzw.  Antitoxine  zu  erzeugen.    Wenn  man 
statt  Unmöglichkeit  Schwierigkeit  sagt,  und  zwar  von  einer 
Regel  spricht,  die  aber  Ausnahmen  zuläßt,  so  kann  man  damit  sich 
einverstanden  erklären. 

Eine  dritte  Eigenschaft  der  Endotoxine,  die  ihnen  ihren  Namen 
verschafft  hat,  besteht  darin,  daß  sie  den  Leibern  der  Kleinwesen  mehr 
oder  weniger  fest  anhaften  und  aus  ihnen  sowohl  durch  künsthche  Be- 
handlung —  als  „Bakterienextrakte"  —  als  auch  auf  natürlichem  Wego 
in  alten  Kulturen  als  „ausgelaugte  Bestandteile"  oder  „Zerfallsprodukte" 
der  Leiber  gewonnen  werden  können.  Wir  haben  aber  früher  schon 
gesehen  (§  272),  daß  dieses  Merkmal  gegenüber  den  Ektotoxinen,  die 
als  von  den  bildenden  Zellen  freiwillig  ausgeschiedene  Sekrete  be- 
trachtet werden,  mehr  praktisch,  d.  h.  für  ihre  Darstellung  bedeu- 
tungsvoll als  wissenschaftlich  weitvoll  ist. 

Die  wesentliche  Eigenschaft  der  Endotoxine  liegt  wohl  in  ihren 
physiologischen  Wirkungen  auf  den  Tierkörper.  Sie  rufen  nicht  nur 
—  in  großen  Mengen  und  an  besonders  wirksamen  Stellen  (Bauch- 
höhle, Blut)  verabreicht  —  schwere  allgemeine  Vergiftungserscheimmgen 
(Kollaps)  hervor,  sondern  verursachen  auch  Entzündung  imd  Fieber 
sowie  Störungen  in  einzelnen  Organen^),  namentlich  im  Darm,  und  bei 
schleichender   Wirkung   Schwäche   und   Abmagerung. 

Schon  bevor  die  meisten  der  liier  genannten  Erfahrungen  gemacht 
worden   waren,  hatten  Wyssokowitsch  und  dann  in  urafang- 


1)  Über  Organgifte  vgl.  §  318. 


Gifte  der  Kleinwesen.  909 

reicherem  Maßstabe  H.  Büchner^),  ausgehend  von  den  Studien 
Pasteurs,  Grawitz',  Lebers,  Scheuer lens,  Fehl- 
eisens, Charrins  über  die  chemischen  Ursachen  der  Eiterung 
und  von  den  Beobachtungen  Emmerichs,  Pawlowskys 
u.  a.,  daß  man  mit  Hilfe  verschiedener  wenig  virulenter  Bakterien 
Entzündungen  verursachen  und  zugleich  Infektionen  bekämpfen  könne, 
gezeigt,  daß  nicht  bloß  die  echten  Eiterbakterien, 
j^ondern  auchallemöglichenanderenlnfektions- 
erreger  und  Saprophyten,  wenn  man  sie  durch  stunden- 
langes Kochen  abtötet  und  in  Aufschwemmungen  Kaninchen, 
Meerschweinchen  usw.  unter  die  Haut  spritzt,  Entzündung,  Eiterung 
und  fieberhafte  Allgemeinerscheinungen  erzeugen^).  Dahin  gehören 
^Staphylokokken  und  Sarzinen,  der  Bac.  pneumoniae  {Friedländer), 
der  Bac.  pyocyaneus,  sporenfreie  Milzbrandbazillen,  der  Typhus-, 
Heu-,  Kartoffelbazillus.  Es  gelang  Buchner  dann,  das  wirksame 
Gift  aus  den  Bakterienleibem  darzustellen,  indem  er  sie  durch  stunden- 
langes Kochen  mit  0,5  prozentiger  Kalilauge  auszog,  durch  Papier 
filtrierte,  sie  durch  vorsichtiges  Ansäuern  fällte,  und  das  Gift  durch 
Wiederholimg  des  Verfahrens  reinigt.  Nach  ihrer  chemischen  Reaktion 
und  Darstellungsweise  betrachtet  er  die  wirksame  Substanz  als  Albu- 
minat  imd  nannte  sie  „Bakterienprotein"  (vgl.  S.  63).  Später  zeigten 
R  ö  m  e  r  3)  und  Buchner*)  selbst,  daß  sich  die  Ausbeute  an  wirk- 
samer Substanz  steigern  läßt  —  bei  manchen  Arten  bis  zu  Vs  des  ge- 
samten Trockengehalts  der  Bakterienzelle  — ,  wenn  man  die  Bakterien 
scharf  trocknet  imd  nachher  längere  2feit  einfach  mit  destilliertem 
Wasser  auskocht.  Der  in  diesen  „Bakterienextrakten"  erhaltene 
und  durch  Porzellan  filtrierbare  Eiweißkörper  unterscheidet  sich  von 
dem  ,, Protein"  dadurch,  daß  er  nich  tmehr  durch  schwaches  Ansäuern 
ausgefällt  wird.  Schon  in  kleinen  Gaben  rufen  diese  auf  die  eine  oder 
andere  Weise  hergestellten  Gifte  bei  Tieren,  beim  Menschen  sogar  in  Gaben 
von  einigen  Milligramm  und  weniger  erysipelartige  Entzün- 
dungen, Besohle  unigungderLym  ph  ab  sonderung, 

Leukozytose  und  Fieber  hervor.    Echte  Eiterung  läßt  sich 
mit  ihnen  —  wahrscheinlich,  weil   sie  sonst   zu   schnell    aufgesogen 

1)  Berl.  klin.  Woch.  1890,  10,  30  und  47.  Über  die  Geschichte  und 
die  Bedingungen  der  Eiterung  s.  Infektionslehre. 

2)  Nebenher  machte  B  u  c  h  n  e  r  die  seitdem  nicht  weiter  verfolgte 
bemerkenswerte  Beobachtung,  daß  die  Wirkung  der  Pneumobazillen,  mit 
denen  er  hauptsächlich  arbeitete,  dadurch  sich  aufheben  ließ,  daß  man 
die  Bakterienkörper  mit  Anilinfarben  (Methylviolett)  tränkte.  Auch 
andere  Farbstoffe  scheinen  giftwidrige  Eigenschaften  zu  besitzen  (S.  879). 

3)  Berl.  klin.  Woch.   1891.  51. 

4)  Münch.  med.  Woch.   1891.  49. 


910  Kap.  XVI,   §  280. 

werden  —  nur  erzielen,  wenn  man  sie  in  sehr  erheblichen  Mengen  ein- 
spritzt oder  sie  in  kapillaren  Glasröhrchen  wirken  läßt  (b.  u.). 

In  größeren  Mengen  und  bei  wiederholter  Einverleibung  unter  die 
Haut  töten  die  Bakterienproteine  ebenso  wie  die  toten  Bakterien- 
leiber  nach  Wochen  unter  starker  Abmagerung;  um  Tiere,  nament- 
lich Meerschweinchen,  binnen  24  Stunden  zu  töten,  muß  man  ihnen 
sehr  große  Gaben  —  etwa  0,5 — 2^^^  des  Körpergewichts  in  trockener 
Form  —  am  besten  in  das  Bauchfell  oder  das  Blut  einspritzen. 
Die  Vergiftungserscheinimgen  bestehen  in  Temperaturabfall 
bis  zu  30^  und  weniger,  lähmungsartiger  Schwäche. 
Hypoleukozytose,  kurz,  sie  ähneln  durchaus  dem,  was  man 
auch  als  „Endotoxinvergiftung*'  bezeichnet  hat  (s.  o.  und  bei  Cholera, 
Typhus,  Ruhr  usw.). 

Eine  interessante  Nebenwirkung  der  Bakterienproteine  beobachtet 
man  an  tuberkulösen  Tieren :  sie  rufen  nämlich  bei  ihnen  ähnliche  ört- 
liche und  allgemeine  Reaktionen  hervor  wie  das  Tuberkulin  (§  304)^). 
Da  man  ähnliche  Wirkungen  auch  durch  nicht  bakterielle  Eiweißkörper, 
besonders  durch  Deuteroalbumosen  und  Peptone  aus  künstlichen  Ver- 
dauungsgemischen, Nukleinsäure  usw.  hervorrufen  kann'),  so  hat  man 
die  Tuberkulinreaktion  für  eine  einfache  „Protein-  oder  Albumoeen- 
reaktion"  erklärt.  Doch  sind  quantitative  Unterschiede  nicht  zu  ver- 
kennen (§  304).  Namentlich  beim  tuberkulösen  Menschen  braucht  man 
viel  größere  Gaben,  als  von  dem  Tuberkulin.  Auch  gibt  B  u  c  h  n  e  r 
selbst  an,  daß  die  tödlichen  Gaben  bei  Einverleibung  von  Bak- 
terienprotein ungefähr  gleich  sind  für  tuberkulöse  und  nicht  tuber- 
kulöse Tiere.  Beim  Tuberkulin  ist  das  nicht  der  Fall,  man  wird  daher 
dieses  letztere  Gift  nicht  mit  den  übrigen  kochfesten  Bakterienpro- 
dukten völlig  gleichstellen  dürfen.  Das  gleiche  gilt  für  das  M  a  1 1  e  i  n . 
dessen  Wirkungen  auf  an  Rotz  erkrankte  Tiere  auch  durch 
Bakterienproteine  erhalten  werden  können  (§  305).  Wahrscheinlich 
hat  man  es  hier  mit  einer  Form  der  sog.  Uberempfindlichkeit  gegen 
Gifte,  die  in  hohem  Grade  spezifisch  ist,  zu  tun  (§  344). 

Die  gründliche  Erörterung  der  Entzündimgs-  wie  der  Fieber- 
erscheinimgen,  die  beim  Tiere  imd  noch  deutlicher  beim  Menschen 
nach  Einführung  der  Bakterienproteine  und  -extrakte  eintreten,  müssen 
wir  auf  die  Infektionslehre  verschieben.  Es  sei  hier  nur  erwähnt,  daß 
die  Entzündung  ein  sehr  verwickelter  Vorgang  ist,  bei  dem  Wirkungen 


1 )  Vgl.  außer  B  u  c  h  n  e  r  noch  Gärtner  und  Römer,  Wien, 
klin.  Woch.  1891.  45;  G.  Klemperer,  Zeitschr.  klin.  Med.  20,  1892; 
Schattenfroh,  Zeitschr.  f.  Hyg.  18,  1894;  Matthes,  Arch.  f. 
klin.  Med.  54,  1895;  K  r  e  h  1  und  Matthes,  Arch.  f.  exper.  Path.  36, 1895. 

2.   S.  namentlich  Matthes  a.  a.  O. 


Gifte  der  Kleinwesen.  911 

auf  das  Gewebe  selbst,  Geföße,  Nerven  und  namentlich  die  Wan- 
derzellen eine  Rolle  spielen.  Am  ehesten  zugänglich  der  Prüfung 
erscheinen  die  letzteren,  weil  man  den  Versuch  wagen  könnte,  mit 
ihnen  auch  im  Reagensglas  zu  arbeiten.  Jedoch  ergeben  sich  nach 
unseren  Erfahrungen  dabei  größere  methodische  Schwierigkeiten,  als 
man  gewöhnlich  annimmt.  Ein  von  Pfeffer  für  die  Untersuchung  der 
chemischen  Bewegungsreize  der  Pflanzenzellen  zuerst  angewandtes 
und  dann  von  Leber,  Massart  und  Bordet^),  Gabri- 
tschewsky*)  und  H.  B u c h n e r  für  die  Leukozyten  benutztes 
Verfahren  besteht  (s.  o.)  darin,  daß  man  Glaskapillaren  mit  den  Bak- 
terienstoffen füllt,  an  einem  Ende  schließt  und  imter  die  Haut,  in  die 
Bauchhöhle,  die  vordere  Augenkammer  usw.  einbringt.  Aus  der  An- 
wesenheit und  der  Länge  des  Leukozytenpfropfes,  der  sich  nach  einigen 
Stunden  oder  später  an  dem  offenen  Ende  der  Glasröhrchen  bildet, 
hat  man  auf  das  Vorhandensein  von  Leukozyten  anlockenden  („positiv 
chemotaktischen")  Stoffen  geschlossen.  Nach  Sicherer^)  soll 
man  ähnUche  Erfolge  haben,  wenn  man  die  Kapillarröhrchen  in  künst- 
lich hergestellte  Leukozytenaufschwemmungen  einsenkt.  Nachprü- 
fungen, die  Bürgers  und  H  ö  s  c  h  *)  in  meinem  Laboratorium  an- 
stellten, haben  aber  die  Unzuverlässigkeit  beider  Methoden  ergeben. 
Man  ist  meines  Erachtens  zur  Feststellung  der  Chemotaxis  ausschließ- 
lich auf  die  Beobachtungen  der  frei  in  dem  tierischen  Gewebe  erfolgen- 
den Vorgänge  angewiesen.  Besonders  die  an  dem  gefäßlosen  Gewebe 
der  Hornhaut  angestellten  Versuche  L e b e r s  und  Ribberts 
sprechen  denn  auch  klar  genug  für  das  Vorhandenseinleuko- 
zytenanlockender  Stoffe  in  den  Bakterien-  und  Pilz- 
leibem  (vgl.  Infektionslehre)  und  gestatten,  der  positiven 
Chemotaxis  (Leukotaxis)  eine  wichtige  Rolle  bei 
der  Entstehung  dieser  Erscheinung  zuzuschrei- 
ben. Eben  diese  Versuche  dienen  aber  auch  dazu,  eine  zweite,  der 
ersten  entgegengesetzte  Eigenschaft  der  Proteine,  eine  abstoßende, 
hemmende,  „negativ  chemotaktische''  Wirkimg  auf  die  Leukozyten  zu 
verdeutlichen.  Li  vielen  Fällen,  namentlich  wenn  man  die  Proteine 
in  konzentrierter  Form  verimpft,  macht  nämlich  die  Zuwanderung  der 
Leukozyten  in  einer  gewissen  Entfernung  von  der  Impfungsstelle  Halt, 
und  es  bildet  sich  ein  Leukozytenwall  um  die  letztere.  Weniger 
deutlich  sind  nach  unseren  Erfahrungen  diese  Erscheinungen,  wenn 
man   statt  in  die  Hornhaut   in  gefäßhaltiges   Gewebe,  z.  B.  in  die 

1)  Joum.  SOG.  roy.  scienc.  ni6d.  Bruxelles  1890;  Annal.  Pasteur  1891. 

2)  Ebenda  1890. 

3)  Münch.  med.  Woch.   1896.  41. 

4)  Zeitßchr.  f.  Immunitätsforschung  2.  70,   1909. 


912  Kap.  XVI,    §  280. 

Bauchhöhle  impft.     Dann   erfolgt  früher   oder  später  die  Zu- 
wanderung von  Leukozyten,  aber  nur  im  Falle,  daß  man  nicht  zu 
große  Gaben  anwendet,  und  zwar  um  so  schneller,  je  kleiner  die  (Jabe 
ist.     Bei  größeren   Gaben  bleiben  zunächst  die  Leukozyten  aus,  es 
bildet  sich  ein  seröses,  manchmal  etwas  blutiges  Exsudat,  und  erst 
später  wird  dieses  mit  Leukozyten  bevölkert.     Größte  Gfiben  töten 
endlich,  ehe  die  Umwandlung  des  serösen  in  ein  eitriges  Exsudat  er- 
folgt.    Man  könnte  auch  hier  die  Erklärung  für  das  Ausbleiben  der 
Leukozytenzuwanderung    in     einer    negativen    Chemotaxis     suchen, 
wenn  man  nicht  mit  einer  Beeinflussung  der  Gefäße,  die  unter  Um- 
ständen  auch   die   Auswanderung  verhindern   könnte   —  durch   Be- 
schleunigung des  Blutstroms  — ,  rechnen  müßte.  Versuche  haben  es 
uns   jedoch   wahrscheinlich   gemacht,   daß   die   negative   Chemotaxis 
mindestens  mitspielt,   denn  spritzt  man  eine  konzentrierte  Protein- 
lösung in  eine  Bauchhöhle,  deren  Leukozytengehalt  durch  vorherige 
Behandlung  mit  Aleuronatlösung  oder  dergleichen  erhöht  ist,  so  ver- 
schwinden die  Leukozyten  aus  dem  Exsudat  imd  lagern  sich  auf  das 
Netz  imd  die  Wände  der  Bauchhöhle  ab  (vgl.  §  322  u.  331). 

Das  Zustandekommen  des  Fiebers  imd  der  übrigen  Allgemein- 
erscheinungen, unter  denen  namentlich  die  Hyperleukozytose  zu  er- 
wähnen ist,  können  wir  an  dieser  Stelle  erst  recht  nicht  ausführlich 
besprechen,  wiederholen  aber,  daß  es  ebenfalls  von  der  Höhe  der 
Proteingabe  abhängig  ist,  denn  große  Gaben  erzeugen  kein  Fieber 
und  keine  Hyperleukozytose,  sondern  ein  Sinken  der  Temperatur  bis  zum 
Tod  im  Kollaps  und  Hypoleukozytose  d.  h.  die  „Endotoxinvergiftung\ 

Wir  haben  bisher  öfter  mit  B  u  c  h  n  e  r  von  Bakterienproteinen 
gesprochen,  müssen  aber  zugeben,  daß  die  Eiweißnatur  der  in  den 
Bakterienextrakten  wirksamen  Stoffe  wie  bei  den  übrigen  Bakterien- 
giften in  Frage  gestellt  werden  kann.  Schon  die  von  uns  u.  a.  sicher 
festgestellte  Tatsache,  daß  Bakterien  derselben  Art  (z.  B.  Ruhrbazillen. 
Cholerabazillen)  ungleich  giftige  Extrakt«  geben  können,  obwohl  ihr 
Gehalt  an  Eiweißstoffen  im  wesentlichen  gleich  ist,  spricht  dafür,  daß 
der  wirksame  Stoff  dem  Bakteriengift  nur  beigemischt  ist.  Cen- 
t  anni  ^)  machte  den  Versuch,  diese  Stoffe  zu  gewinnen,  indem  er  die  zu- 
nächst in  ähnlicher  Weise  wie  oben  hergestellten  wässerigen  Bakterien- 
extrakte filtrierte,  zu  Sirupdicke  einengte,  mit  absolutem  Alkohol  fällte, 
in  Wasser  aufnahm  und  unter  Zusatz  von  Chloroform  und  Thymol 
der  Dialyse  gegen  destilliertes  Wasser  unterwarf.  Das  Wasser,  das 
nach  24  Stunden  verhältnismäßig  reich  war  an  Salzen  und  Farbstoffen, 
wurde  dann  weggegossen,  alle  paar  Tage  erneuert,  die  neuen  Zusätze 


1)   Deutsch,  med.  Woch.    1894.   7/8. 


Gifte  der  Klein wesen.  913 

aber  vereinigt,  auf  einen  sehr  kleinen  Rauminhalt  eingedampft,  mit 
Alkohol  gefällt,  der  Niederschlag  wieder  gelöst  und  durch  mehrmalige 
Fällung  mit  Alkohol  und  darauffolgende  Lösung  weiter  gereinigt.  Das 
so  gewonnene  Pyrotoxin  oder  „Fiebergift"  ist  grauweiß,  zieht 
das  Wasser  sehr  schnell  an,  ist  darin,  in  Glyzerin  und  in  Alkohol  bis  zu 
W%  löslich,  nicht  in  reinem  Alkohol,  Äther  imd  Chloroform;  es  ist  kein 
Eiweißstoff,  denn  es  gibt  keine  der  bekannten  Farbreaktionen,  wird 
durchPepsin  oder  Trypsinverdauung  nicht  verändert;  es  ist  femer  kein 
Xanthinkörper,  denn  es  wird  durch  Bleiessig  gefällt;  von  den  Alkaloid- 
reaktionen  gibt  es  die  meisten,  wird  aber  von  Platinchlorid,  Gold- 
chlorid,  schwefelsaurer  Ammoniakmagnesia,  starken  Säuren  und  Basen 
nicht  niedergeschlagen.  Über  die  chemische  Natur  des  Pyrotoxins  ist 
also  fast  nur  Negatives  zu  sagen.  Die  physiologischen  Wirkungen  sind 
nach  Centanni  dieselben,  wie  die  der  Bakterienproteine,  vor  allem 
erzeugt  es  Fieber  mit  allen  seinen  Erscheinimgen,  Entzündimg  und 
Eiterung,  Diarrhöe  (s.  u.)  und  Abmagerung.  Von  allen  Bakterien, 
ob  pathogenen  oder  nicht  pathogenen,  wird  es  erzeugt,  doch  kann 
man  aus  der  Arbeit  Centannis  nicht  ersehen,  ob  er  aus  allen  Bak- 
terien, die  er  aufzählt,  auch  das  Gift  in  derselben  Weise  dargestellt 
hat,  oder  ob  er  seine  Schlüsse  aus  den  Tierversuchen,  die  mit  den  ab- 
getöteten Bakterien  oder  ihren  Extrakten  angestellt  sind,  zieht.  Auch 
macht  Centanni  keine  Angaben  über  die  tödlichen  Gaben^)  seines 
reiaen  Giftes  imd  über  die  Mengen,  in  denen  es  erzeugt  wird,  sondern 
spricht  nur  davon,  daß  er  keine  Methode  kenne,  um  es 
vollständig  zu  gewinnen. 

Sind  wir  nun  aber  durch  die  Untersuchimgen  Centannis  über 
das  Fiebergift  erheblich  weitergekommen  ?  Wir  möchten  es  bezweifeln. 
Zunächst  schon  aus  dem  Grunde,  weil  es  fraglich  ist,  ob  das 
Pyrotoxin  in  den  Bakterien  als  solches  vorgebildet  ist.  Das  Verfahren 
zu  seiner  Gewinnung  ist  schon  sehr  eingreifend  und  genügend,  die  Körper- 
gifte der  Bakterien  teilweise  zu  zerstören.  Man  bekommt  den  Ein- 
diuck,  als  ob  die  wirksamen  Stoffe  in  den  toten  Bakterien  und  den 
gewöhnlichen  Endotoxinpräparaten  (§  272)  in  weit  kräftigerem  Zustand 
oder  mindestens  in  viel  größeren  Mengen  enthalten  seien.  Vielleicht 
handelt  es  sich  bei  dem  Pyrotoxin  nur  um  Abspaltung  gewisser 
Bestandteile    (Seitenketten)    aus   dem  ursprüng- 


1)  V  o  g  e  s  (Zeitschr.  f.  Hyg.  17.  480,  1894)  hat  mit  0,3  g  eines  genau 
nach  Centanni  dargestellten  Pyrotoxins  des  Bac.  prodigioaus  (von 
Uschinsky-Agar)  beim  Meerschweinchen  von  300  g  (vom  Bauchfell  aus  ?) 
zwar  Krankheitserscheinungen  (Kollapstemperatiu*),  aber  nicht  den  Tod 
erzielen  können.  Danach  wäre  die  Wirkung  des  reinen  Giftes  also  kaum 
kräftiger  als  die  der  unverarbeiteten  Bakterienleiber. 

Kr  ose,  Mikrobiologie.  58 


914  Kap.  XVI,   §  280. 

liehen  Gift.  Daraus  würde  sich  seine  verhältnismäßig  bedeu- 
tende Diffundierbarkeit  erklären.  Möglicherweise  beginnt  eine  solche 
Substanzveränderung  schon  bei  dem  durch  weniger  stcurke  Eingriffe 
verursachten  Übergang  von  dem  primären  Zustand  des  Endotoxins  iu 
den  sekundären  (s.  o.  S.  908).  Daß  das  ursprüngliche  Leibesgift  ein 
echter  Eiweißkörper  sei,  brauchen  wir  darum  noch  nicht  anzunehmen. 
Seine  chemische  Natur  ist  uns  vielmehr,  ebenso  wie  die  der  Ektotoxine, 
noch  unbekannt. 

Zu   einem  ähnlichen  Schlüsse  führen  die  Erfahrungen,  die  beim 
Studium  einer  anderen  physiologischen  Wirkung  der  Endotoxine  ge- 
macht  worden  sind.   Daß  Fäulnisbakterien  für  Darm  (und  Nerven) 
von   Fleischfressern  eine  eigentümliche  Giftigkeit  besitzen, 
haben  wir  schon  bei  Besprechung  der  „putriden   Intoxikation''  bzw. 
Sepsinvergiftung    gesehen   (§  259).      Die  von  mir   mit     Selter^) 
ausgeführten    Untersuchimgen    lehrten    dann    folgendes:    nicht    nur 
„Fäulnisbakterien",     sondern    auch    Dysenterie-,    Pseudodysenterie-, 
Typhus-,  Paratyphus-,  Prodigiosusbakterien  usw.  verursachten  durch 
ihre     Leiber     bzw.     Leibesextrakte     ganz     ähnliche     Krankheitser- 
scheinungen, d.  h.  nach  Einspritzung  in  das  Blut  von  Fleischfressern 
(Hunden)  plötzliche  Störungen  des  Kreislaufes,  des  Brechzentrums  und 
des  Bewußtseins  imd  im  Anschluß  daran  blutige  Entzündun- 
gen des  Magendarmkanals,  die  sich  mit  Vorliebe 
auf  den  Zwölffinger-  und  Dickdarm  beschränken 
und  später  zu  Nekrosen  führen  können.    Das  Studium  der  Literatur 
zeigt   aber,  daß  andere  Forscher  auch  Cholera-*)  und  Diphtherie-'), 
Proteus-*),  Colibazillen^)   und  Streptokokken*)   u.   a.*)   ähnliche  Wir- 
kungen  zugeschrieben  haben,  ohne  sie  aber  meist  zu  der  Sepsinver- 
giftung in  Beziehung  zu  bringen.    Offenbar  handelt  es  sich 
um  dieselben  nicht  spezifischen  Erscheinungen, 
die    nicht    mit    der    spezifischen    D  ysenterie  Ver- 
giftung bei  Kaninchen  (§  289)  verwechselt  werden 
dürfen.    Man  köimte  hier  also  um  so  eher  von  einer  Endotoxin- 
vergiftung     des    Fleischfresserdarms    sprechen.    In 
der  Tat  bleiben  die  Erscheinungen  die  gleichen,  weim  man  die  Bat- 
terien bzw.  die  daraus  hervorgegangenen  Stoffe  auf  100°  erhitzt.  Immer- 


1)  Zeitöchr.  Iinnumitätsforscli.  5.  492,   1910. 

2)  K  1  e  ni  p  e  r  e  r  s.    §  284. 

3)  Courmont  und  D  o  y  o  n  s.  unter  6. 

4)  Levy  a.    §  300. 
ö)  C  e  1 1  i  s.    §  288. 

6)  Vgl.  bei  A  r  t  a  u  d  Toxines  microbiennes.   Paris  1896.  T  e  i  s  9  i  e  r 
und  Guinard  Arch.  espdrim.  m^d.    1897. 


Gifte  der  Kleinwesen.  915 

dn  scheinen  größere  Gaben  nötig  zu  sein,  um  die  gleichen  Wirkungen 
:n  erzielen.  Eine  genaue  Angabe  über  das  Maß  der  Abschwächung 
ler  Darmgifte  durch  die  Siedehitze  wird  durch  die  ungleiche  Emp- 
angUchkeit  der  Hunde  sehr  erschwert,  ebenso  ein  Vergleich  der  Darm- 
lifte einzelner  Bakterien.  Nach  unseren  Erfahrungen  scheinen  aber 
loch  zum  Teil  recht  erhebliche  Unterschiede  zu  bestehen.  Auch  bei 
len  gewöhnlichen  pflanzenfressenden  Versuchstieren  werden  durch 
ahlreiche  Bakterien  bzw.  deren  Extrakte  Darmerscheinungen  hervor- 
;erufen  (s.  o.  z.  B.  B  u  c  h  n  e  r  und  C  e  n  t  a  n  n  i),  sie  sind  aber  nicht 

0  charakteristisch  wie  die  oben  beschriebenen,  weil  meist  die  Blutungen 
ind  auch  häufig  Durchfälle  fehlen^).  Über  die  chemische  Natur  dieser 
.Darmgifte"  der  Bakterien  wissen  wir  ebensowenig  wie  über  die  der 
ündotoxine  überhaupt.  Man  könnte  freilich  geneigt  sein,  das  Darm- 
ih  mit  dem  Sepsin  von  Bergmann  und  Schmiedeberg,  dessen 
Bau  Faust  neuerdings  aufgeklärt  hat  (S.  816),  zu  identifizieren,  weil 
lie  physiologischen  Wirkungen  übereinstimmen.  Wahrscheinlicher  dünkt 
ins  aber  auch  hier  wieder,  daß  das  Sepsin  nur  ein  Spaltungsprodukt 
ies  echten  Darmgiftes  bzw.  Endotoxins  ist.  Bemerkenswert  genug 
bleibt  seine  Entdeckung  immerhin,  weil  sie  uns  einen  ersten 
Einblick  in  den  chemischen  Bau  der  Eigengifte 
5u  liefern   scheint. 

Wenn  uns  somit  die  hier  besprochenen  mehr  oder  weniger  ein- 
greifenden Darstellungsmethoden  der  Bakterienproteine,  des  Pyro- 
lOxins  und  Sepsins  nur  unvollkommenen  Ersatz  bieten  für  das  ursprüng- 
lich im  Leibe  der  Bakterien  enthaltene  Gift,  so  müssen  wir  zu  den 
in  §  272  angeführten  schonenderen  Verfahren  zu  seiner  Darstellung 
zurückkehren.  Benutzen  wir  z.  B.  das  mehrstündige  Ausziehen  der 
Bakterienleiber  bei  Temperaturen  von  etwa  60®,  das  sich  wegen  seiner 
Einfachheit  am  meisten  empfiehlt,  so  zeigen  sich  große  Unterschiede 
in  der  Wirksamkeit  dieser  Extrakte  bei  den  einzelnen  Bakterienarten. 
Bakterien,  die  in  älteren  Kulturen  leicht  zerfallen,  wie  Pyocyaneus-, 
Cholera-,  aber  auch  Typhus-,  Ruhr-,  Colibazillen  liefern  kräftige,  Heu-, 
Milzbrand-,  Staphylo-,  Streptokokken,  Tuberkelbazillen  sehr  schwache 
Giftlösungen.  Sieht  man  sich  die  beiden  Gruppen  von  Bakterien  an, 
so  bemerkt  man,  daß  die  erste  die  gramnegativen,  die  zweite 
die  g  r  a  m  -  oder  säurefesten  enthält.  Uns  scheint  das  kein  Zu- 
fall zu  sein,  sondern  in  der  Natur  der  gram-  und  säurefesten  Keime 
begründet  zu  liegen,  daß  sie  ihre  Leibesbestandteile  schwerer  nach 
außen  abgeben,  weniger  gut  löslich  sind  (vgl.  S.  44).  Erst  stärkere 
Eingriffe,  wie  lange  dauernde  Wirkung  hoher  Temperaturen  u.  dgl., 

1)  Dagegen  fällt  ein  nach   einiger  Zeit  auftretender   Darmpro- 

1  a  p  s  bei  Meerschweinchen  auf. 

58* 


916  Kap.  XVI,   §  280. 

gestatten  auch  aus  den  säurefesten  Bakterien  die  Endotoxine  in  Lösung 
zu  bringen  (vgl.  Tuberkulin*  §  304).  Bemerkenswert  ist  in  diesem  Zu- 
sammenhange auch  die  Beobachtung  Centannis,  daß  Milzbrand- 
und  Heubazillen  vor  der  Sporenbildung  Fiebergift  enthalten 
sollen,  nachher  nicht  mehr.  Wahrscheinlich  wird  der  wirksame  Stofl 
bei  der  Bildung  der  Sporen  in  diese  eingeschlossen  und  kann  aus  ihnen 
wegen  der  Widerstandsfähigkeit  ihres  Körpers  nicht  mit  dem  gewöhn- 
lichen Verfahren  freigemacht  werden^). 

Nach  diesen  Erfahrungen  wird  man  erwarten  dürfen,  daß  die 
Endotoxine  auch  im  Tierkörper  erst  frei  werden  imd  dadurch  Ent- 
zündung, Fieber,  in  großer  Menge  Kollaps  und  Darmerscheinungen. 
bei  schleichender  Wirkung  Abmagerung  und  Schwäche  erzeugen  werden, 
wenn  die  Bakterien,  die  sie  enthalten,  der  Auflösung  verfallen,  und 
daß  diese  Wirkungen  um  so  deutlicher  hervortreten,  je  schneller  der 
Zerfall  vor  sich  geht.  Indessen  fragt  es  sich  doch,  ob  eine  vollständige 
Auflösung  der  Bakterienleiber,  die  natürlich  ohne  ihr  Absterben  nicht 
denkbar  wäre,  notwendig  vorauszusetzen  ist,  um  die  Endotoxinvergif- 
tung  zu  erklären.  Mindestens  könnte  man  sich  ganz  gut  vorstellen, 
daß  die  Auflö  img  nicht  alle  infizierende  Bakterienindividuen  trifft, 
sondern  daß  nur  ein  Teil  den  keimwidrigen  Eörperkräften  zu  erhegen 
braucht,  während  der  andere  Teil  am  Leben  bleibt  und  unter  Um- 
ständen weiterwächst  (vgl.  S.  761).  Es  wäre  aber  nicht  ausgeschlossen, 
daß  Endotoxine  auch  durch  lebende  Keime,  die  unter  dem  EiniluB 
der  Abwehrkräfte  des  Körpers  zwar  in  gewisser  Weise  geschwächt, 
aber  nicht  vernichtet  werden,  also  nach  Art  eines  Sekretes  ausgeschieden 
würden.  Beobachten  wir  doch  gerade  mit  Vorliebe  auch  bei  ganz  frischen 
Infektionen  Entzündung  imd  Fieber  und  bei  tödlichen  Infektionen 
Kollapserscheinungen,  ohne  daß  wir  imstande  wären,  als  Ursache  dafür 
absterbende  Bakterien  nachzuweisen. 

Sind  im  vorstehenden  schon  manche  Fragen  angedeutet,  die  der 
endgültigen  Beantwortung  harren,  so  kommen  noch  einige  weitere 
hinzu.  Daß  die  Endotoxine  der  Bakterien  trotz  aller  Ähnlichkeit  im 
ganzen  doch  in  ihrem  Bau,  ihrer  Bildungs-  und  Wirkungsweise  vonein- 
ander Verschiedenheiten  aufweisen  können,  ist  wohl  selbstverständ- 
lich, ebenso  daß  ihnen  öfters  Ektotoxine  mit  eigentümlichen  Leistungen 
beigemischt  sind.    Bei  den  „spezifischen"  Entzündungen^)  (Diphtherie. 

1 )  Vor  kiirzcm  habe  ich  ein  Endotoxin  durch  dreistündiges  Erhitzen 
bei  120°  auch  aus  sporenlialtigen  Milzbrandfäden  gewinnen  können.  & 
waren  260  mg  der  trockenen  Sporenmasse  nötig,  um  ein  Meerschweinchen 
von  260  g  binnen  24  Stunden  zu  töten  (vgl.   §  292). 

2)  Auch  das  Fiebergift  kann  spezifisch  sein,  so  erzeugt  nach  Krebl 
(Arch.  experim.  Path.  35)  das  Diphtheriegift  Fieber  und  verliert  seine 
fiebererregende  Wirksamkeit  wie  zu  erwarten  durch  Kochen. 


Gifte  der  Kleinwesen.  917 

jrsenterie,  Rauschbrand,  malignes  ödem)  wird  davon  weiter  die  Rede 
^  (vgl.  §  332).  Zweifelhaft  ist  es  dagegen  noch,  ob  wir  es  in  den 
idotoxinen  jeder  einzelnen  Art  mit  einem  einheitlichen  Stoff  zu  tun 
.ben,  ob  namentlich  die  anscheinend  entgegengesetzten  physiologischen 
listungen,  die  positive  und  negative  Chemotaxis,  die  Erzeugimg  von 
eber-  und  Kollapstemperaturen,  mit  anderen  Worten  die  nützlichen 
leizwirkungen"  und  die  eigentlichen  Giftwirkungen  auf  die  gleichen 
offe  zurückfuhren.  Die  Möglichkeit,  diese  verschiedenen  Erschei- 
ingen  durch  ungleiche  Menge  und  Dichtigkeit  derselben  Stoffe  zu 
klären,  wird  zwar  von  vornherein  nicht  bestritten  werden  können. 
?r  sichere  Beweis,  daß  dem  wirklich  so  ist,  bleibt  aber  noch  zu  liefern 
gl.  §  322  und  331). 

Eine  weitere  Frage  ist  die  nach  dem  Verhältnis  der  fieber-  und 
itzündungerregenden  Stoffe,  die  nicht  bakteriellen  Ursprungs  sind, 
i  dem  Endotoxin  der  Bakterien.  Es  gibt  bekanntlich  auch  ein  asep- 
sches  Fieber,  das  durch  zahlreiche  organische  Stoffe  hervorgerufen 
erden  kann*).  Gesprochen  haben  wir  schon  oben  von  der  tuberkulin- 
inlichen  Wirkung  der  Albumosen,  Peptone,  Nukleinsäuren;  Bu  eh- 
er hatte  femer  schon  früh  die  entzündungserregende  Eigenschaft 
s  Pflanzenkaseins,  des  aus  Fleisch  imd  anderen  Organen  dargestellten 
Ikalialbuminats,  des  Leuzins  und  Glykokolls  erkannt.  Daß  bei  der 
esorption  von  Blutergüssen  und  anderen  abgestorbenem  Gewebe, 
i  Transfusion  von  Blut  Fieber  entstehen  kann,  auch  wo  jede  Bak- 
rienbeteiligung  auszuschließen  ist,  ist  lange  bekannt.  Die  neueren 
rfahrungen  über  Giftigkeit  von  Blutserum  und  allen  möglichen 
ideren  (Jewebebestandteilen  gehören  ebenfalls  hierher.  Die  Giftig- 
st von  Enzymlösungen*)  wurde  schon  früher  erwähnt.  Zum  Teil  erhält 
an  mit  ihnen  auch  die  oben  beschriebenen  Darmerscheinungen. 

Wie  man  sieht,  sind  es  hier  nicht  nur  „körperfremde"  Stoffe,  wie 
e  der  Bakterien  es  ja  auch  sind,  sondern  auch  Bestandteile  des  eigenen 
örpers,  die  unter  Umständen  giftig  werden  können.  Es  scheint  sich 
ibei  regelmäßig  um  Stoffe  zu  handeln,  die  durch  den  Zerfall 
on  Zellen  frei  werden.  Da  nun  derartige  Zerfallsvorgänge  auch 
irch  Mikroorganismen  verursacht  werden  können  (vgl.  z.  B.  Hämo- 
sine  §  317),  so  wird  das  Fieber  bei  manchen  Infektionen  sich  viel- 
icht  auf  diese  Weise  am  besten  erklären  können.  Es  ist  möglich, 
iß  z.  B.  die  Fieberanfälle  bei  der  Malaria,  die  jedesmal  mit  dem  Zerfall 
>n    Blutkörperchen     zusammenfallen,    so    zu    deuten    sind.     Viel- 


1)  Vgl.  z.  B.  Krehl    a.  a.  O. 

2)  Hüppe  (Berl.  klin.  Woch.   1802.  17)  betrachtet  die  Endotoxin- 
srgiftting  geradezu  als  Vergiftung  mit  proteolytischem  'Enzym. 


918  Kap.  XVI,   §  280  u.  281. 

leicht  wird  sogar  ganz  regelmäßig  ein  Teil  der  Fieber-  und  Entzündungs- 
Stoffe,  die  bei  Infektion  zur  Wirkung  gelangen,  von  dem  eigenen  Körper 
geliefert.    Unsere  Kenntnis  von  diesen  Vergiftungen  steckt,  wie  man 
sieht  und  wie  auch  aus  den  folgenden  erhellt,  noch  in  den  Anfängen. 
Eine  Immunisierung  gegen  sekundäre  Gifte  ist  bisher  nur  unvoll- 
kommen gelungen.    Doch  haben  fremde  Erfahrungen  bei   Cholera-, 
Typhus-  und  eigene  bei  Dysenteriebazillen  gezeigt,  daß  man  ein  Serum 
gewinnen  kann,  das  eine  mehrfach  tödliche  Gabe  toter  Leiber  oder 
deren  Extrakte  neutralisiert.    Vielleicht  macht  man  bei  genauerem 
Zusehen  auch  sonst  ähnliche  Beobachtungen.    Sehr  häufig  beobachtet 
man  bei  Immunisierung  großer  Tiere  eine  allmähliche^  Angewöhnung 
an  die  Leibesgifte  der  meisten  Bakterien,  z.  B.  auch  an  das  Tuberkulin. 
Mit  echter  antitoxischer  (Serum-)Inmiunität  hat  sie  aber  wohl  nichts 
zu  tun.  In  anderen  Fällen  entsteht  das  Bild  der  „Uberempfindlichkeit ' 
oder  Anaphylaxie  (S.  793  u.  §  344).    Ob  es  die  gleichen  Stoffe  sind 
die  das  eine  Mal  die  Endotoxinvergiftung  und  das  andere  Mal  die  Über- 
empfindlichkeit   bewirken,   ist  vorläufig  nicht  sicher  zu  sagen.    Am 
besten  ist  es,  zimächst  die   Scheidung  aufrecht  zu  erhalten,  obwohl 
neuerdings  von  manchen  Forschem  die  Endotoxinvei^tung  geradezu 
in  nächste  Beziehungen  zur  Vergiftimg  durch  das  „Anaphylatoxin" 
gebracht  worden  ist.     Ebensowenig  vdssen  wir  Endgültiges  über  das 
Verhältnis  der  Endotoxine  zu  den  Angriffsstoffen  auszusagen,  obwohl 
manche   Tatsachen    für    die   Verschiedenheit  beider   Stoffe  sprechen 
(§  321).    Sicher  ist  aber,  daß  sie   schon   ihrer   Darstellung  nach  in 
den  Bakterienextrakten  nebeneinander  vorhanden  sind.  Das  gilt  auch 
von  den  verschiedensten  Arten   der  Impfstoffe,  zu  denen  die  lysino-, 
tropino-,  agglutino-,  präzipitino-,  reaginogenen  außer   den  schon  ge- 
nannten  anaphylaxogenen   gehören   (Kap.    XVII).    Schließlich    sind 
auch  noch  die  Weichardt schen^)  „Ermüdungstoxine"  hier  zu  er- 
wähnen. Weichardt  selbst  betrachtet    sie    als    Abspaltungspro- 
dukte  aus  den  eigentlichen    Giften  bzw.  eiweißartigen  Stoffen  über- 
haupt.   Eine  reinliche  Scheidimg   aller  dieser    Stoffe    zu    bewirken, 
geht  vorläufig  über  die  Leistungsfähigkeit  unserer  Methoden. 

§  281.  Die  Eigengifte  der  einzelnen  Bakterien.  Tetanns- 
gift.  Im  folgenden  setzen  wir  die  beim  Diphtheriegift  unterbrochene 
(§  261 — ^267)  Beschreibung  der  einzelnen  Bakteriengifte  fort,  ver- 
weisen aber  auf  die  Bemerkungen    der    vorhergehenden   Abschnitte. 

Durch  seine  überaus  kräftige  und  charakteristische  Wirkung 
zeichnet  sich  das  Tetanusgift  vor  allen  anderen  Giften  aus.    Cm  es 


1)  Manch,  med.  Woch.   1904.   1  und  48;  1905.  26;  1906.   1  und  35; 
Zentr.  Bakt.  43,  312,   1907;  Über  Ermüdungsstoffe,   1910. 


Gifte  der  Kleinwesen.  919 

:u  erhalten,  muß  man  sich  in  erster  Linie  den  richtigen  Bazillenstamm 
aussuchen.  Zur  Beförderung  der  Giftbildmig  werden  als  Zusätze 
air  gewöhnlichen  Fleischpeptonbouillon  empfohlen  Gips,  1 — 2% 
Cochsak,  Blutserum,  alte  Tetanusbouillon,  die  Alkoholfällimg  alter 
r^'phusladturen  oder  gefaulter  Fleischau&chwemmungen^).  Zugaben 
'on  Glyzerin  und  namentlich  von  Traubenzucker  sind  schädlich,  ob- 
wohl sie  das  Wachstum  verbessern.  Bei  Reinkulturen  ist  strenge 
üiaerobioae  selbstverständlich,  doch  soll  die  Symbiose  von  Tetanus- 
)azillen  und  Heubazillen  bei  Luftzutritt  auch  kräftige  Toxine  er« 
;eben^).  Junge  Kulturen  sind  häufig  selbst  in  Gaben  von  1  ccm  im- 
nrksam  (v.  H  i  b  1  e  r  ^)).  Schon  nach  1 — 2  Wochen  kann  man  aber 
mter  günstigen  Umständen  Kulturen  bekommen,  die  filtriert  oder 
infiltriert  eine  Maus  in  Gaben  von  0,005  mg  und  sogar  noch  weniger 
0,001  mg)  toten*).  Knorr^)  und  Behring*)  haben  die  Emp- 
'änglichkeit  der  einzelnen  Tiere  für  das  Tetanusgift  genauer  festge- 
stellt. Verhältnismäßig  am  empfänglichsten  ist  das  Pferd,  dann  das 
Meerschweinchen  und  die  Maus,  viel  weniger  das  Kaninchen  und  am 
wenigsten  das  Huhn.  Wenn  man  die  tödliche  Gabe  bei  sub- 
cutaner Einspritzung  für  1  g  Maus  gleich  L  setzt,  so  ist  sie  nach 
Behring  für  je  1  g  Pferd  y^g,  Meerschweinchen  Y^,  Ziege  5, 
Kaninchen  150,  Gans  1000,  Huhn  30000.  Bei  manchen  Tieren,  z.  B. 
beim  Kaninchen  und  Huhn,  braucht  man  sehr  viel  geringere  Gaben, 
wenn  man  sie  in  das  Gehirn  einspritzt,  erzeugt  freilich  dabei  ein  anderes 
Krankheitsbild,  den  Tetanus  cerebralis').  Vom  Blut  aus  ist  die  Wirkung 
eher  geringer,  in  nervenreichen  Organen,  z.  B.  Muskeln  und  den 
Xervenstämmen  selbst,  am  größten,  offenbar,  weil  das  Gift  durch  die 
Nerven  (Achsenzylinder)  zum  Rückenmarke  und  Gehirn  geleitet  wird 
(vgl.  Infektionslehre).  Vom  Darm  aus  erfolgt,  selbst  bei  riesigen 
Mengen  (1000—100000  tödlichen  Gaben)  keine  Wirkung,  weil  das 
Gift  durch  die  Verdauxmgssäfte  zerstört  vörd®). 

Das  Tetanusgift  hält  sich  schlecht  in  den  Lösungen,  es  wird  durch 
Erhitzen  während  90  Minuten  auf  55°,  während  20  Minuten  auf  60°, 
während  weniger  Minuten  auf  65°  zerstört,  aber  auch  schon  durch 

1)  Brieger  und  Cohn,  Zeitsclir.  f.  Hyg.   15,   1893. 

2)  Debraud,  Annal.  Pasteur  1900. 

3)  Untersuchungen  über  pathogene  Anaeroben  1908. 

4)  Brieger,  Zeitschr.  f.  Hyg.  19,  1895;  K  n  o  r  r  ,  Experim.  Untor- 
suchung  über  Heilungsmöglichkeit  des  Tetanus  usw.  Habilitatioiissclir. 
Marburg  1895.     Vgl.  auch  Marx,  Festschrift  für  Koch  1903. 

5)  Münch.  med.  Woch.   1898.   11/12. 

6)  Fortschr.  d.  Mediz.   1899.  501. 

7)  R  o  u  X  und  B  o  r  r  el ,  Annal.  Pasteur  189*8. 

8)  Carriöre,  Annal.  Pewteur  1899  mit  Lit. 


920  Kap.  XVI,   §  281  u.  282. 

Temperaturen  von  40*^  wesentlich  geschädigt,  wenn  der  Salzgehalt 
des  Nährbodens  ein  höherer  ist  als  gewöhnlich  (S.  879).  Recht  haltbar 
ist  das  Tetanusgift  dagegen  im  trockenen  Zustande,  den  man  am 
einfachsten  nach  wiederholter  Fällung  mit  Ämmoniumsulfat,  kräftigem 
Ausdrücken  tmd  Eintrocknen  auf  Tontellem  im  Vakuum  erreicht^). 
Um  die  im  ersten  Niederschlag  noch  reichlich  vorhandenen  Tetanius- 
sporen  zu  entfernen,  zentrifugiert  man  die  Lösung  sehr  kraft^,  fällt 
noch  einmal  und  wiederholt  das  Verfahren  so  lange,  bis  die  Sporen 
nicht  mehr  in  wahrnehmbarer  Menge  vorhanden  sind. 

B  r  i  e  g  e  r  xmd  seine  Mitarbeiter  (vgl.  S.  825)  haben  durch  ihre 
Methode  trockene  Gifte  erhalten,  die,  abgesehen  von  der  Biuretreak- 
tion,  keine  Eiweißreaktion  mehr  gaben  und  in  Mengen  von  0,0001  mg 
Mäuse  töteten.  In  hochgiftigen  Kulturen,  die  keine  Albumosen  mehr 
enthalten,  gelingt  die  Fällung  durch  Ammonsulfat  nach  Brieger 
nicht  mehr,  wohl  durch  Uranazetat  oder  Ammoniumsidfat  und  Aiu- 
miniumsulfat  (5%).  Die  Biuretreaktion  läßt  sich  stark  vermindern, 
aber  nur  selten  gänzlich  beseitigen;  die  reinsten  Toxine  enthalten 
übrigens  noch  immer  ebenso  viel  Stickstoff  wie  Eiweißkörper. 
Hayashi^)  konnte  die  Albumosenreaktion  aus  seinen  Präparaten 
nicht  entfernen  und  hält  daher  das  Gift  für  eine  Albumose.  Auch  das 
Tetanusgift  verändert  sich  in  alten  Lösungen  und  durch  chemische 
und  physikalische  Einflüsse  (Toxoide!)  und  scheint  auch  in  Form 
von  Toxonen  vorzukommen  (S.  882).  Ob  es  wirklich  nur  einen  einzigen 
Giftkem  enthält,  wie  Behring^)  annimmt,  ist  doch  wohl  noch  zweifel- 
haft^). 

Eine  eigentümliche  Abart  des  Tetanusgiftes,  die  zwar  Krämpfe 
erzeugt  aber  nicht  tötet,  beschreibt  Wolff-Eisner^). 

Der  Nachweis  des  Tetanusgiftes  im  Körper  vergifteter  Tiere  mid 
Menschen  ist  nur  möglich  durch  Verimpfung  von  Organen  und  beson- 
ders von  Blut  (0,2 — 1  ccm  auf  Mäuse),  nur  ausnahmsweise  von  Sekreten 
und  Zerebrospinalflüssigkeit.  Stammt  das  Blut  aus  gefaulten  Leichen, 
so  muß  es  filtriert  werden®).  Verwechselungen  mit  anderen  Krampf- 
giften, die  aus  dem  normalen  Körper  dargestellt  werden  können,  sind 
öfters  vorgekommen,  werden  aber  vermieden,  wenn  man  daran  denkt, 
daß  das  Tetanusgift  eine  Inkubationszeit  braucht  (Marie ')).   Die 

1)  Brieger  und  Fränkel  vgl.    S.    824;   Buchner,  MüneJi. 
med.  Woch.   1893.  24/25. 

2)  Arch.  f.  experim.  Pathol.  47,   1901. 

3)  Beitr.  experini.  Ther.   7,   1904. 

4)  Vgl.  Hüppe,  Kochs  Festschr.   1903. 

5)  Münch.  med.  Woch.   1906.  44. 

6)  Symanski,  Zentr.  Bakt.   30.  25. 

7)  Annal.   Pasteur   1897. 


Gifte  der  Kleinwesen.  921 

uffassung,  das  langsam  wirkende  Gift  verwandele  sich  im  lebenden 
LÖrper  in  ein  schnellwirkendes  oder  erzeuge  ein  solches  erst  fermentativ 
?ourniont  imd  Doyon,  Blumenthal),  ist  durch  nichts 
ewiesen.  Die  Organe  tetaniscber  Tiere  enthalten  das  Gift  in  sehr 
ngleichem  Maße,  die  der  Kaninchen  überhaupt  nicht  (Marie), 
benso  gewöhnlich  nicht  das  Gehirn  und  Bückenmark,  am  regel- 
läßigsten  vielleicht  noch  die  peripherischen  Nerven,  besonders  der- 
^nigen  Gregend,  die  von  dem  Tetanus  zuerst  betroffen  wird  (Marie 
ndMorax, Meyer  und  R  a  n  s  o  m).  Der  Grund  dafür  liegt  darin, 
aß  die  peripherischen  Nerven  das  Gift  zum  Rückenmark  und  Gehirn 
iiten  (s.  o.).  Umgekehrt  erklärt  sich  die  Ungiftigkeit  des  zentralen 
«^ervensystems  nicht  etwa  allein  aus  dem  Umstand,  daß  es  die  Fähig- 
:eit  besitzt,  das  Tetanusgift  so  fest  zu  binden,  daß  es  nachträglich 
m  Tierversuch  nicht  mehr  zur  Wirkung  gelangt  (S.  877),  sondern  schon 
^us  der  Tatsache,  daß  es  von  den  Blutgefäßen  aus  nicht  in  die  Lymphe 
les  Gehirns  und  Rückenmarks  übergeht  (R  a  n  s  o  m). 

Mit  dem  bisher  besprochenen  Krampfgift  des  Tetanusbazillus, 
iem  „Tetanospasmin'S  hat  nichts  zu  tun  ein  zweites  Gift,  das  T  e  t  a- 
1 0 1  y  s  i  n  ,  das  gewöhnlich  gleichzeitig,  aber  in  verschiedenen  Mengen- 
rerhältnissen,  mit  dem  ersteren  in  den  Tetanuskulturen  enthalten 
st^).  Eine  Trennung  beider  Gifte  ist  dadurch  möglich,  daß  man  die 
jiftlösungen  mit  roten  Blutkörperchen  (Kaninchen,  Ziege,  Hammel, 
Pferd  usw.)  in  Berührung  bringt:  das  Tetanolysin  bindet  sich  an  diese 
ind  löst  sie,  das  Tetanospasmin  bleibt  zurück.  Die  Verschiedenheit 
Deider  Gifte  wird  auch  dadurch  bewiesen,  daß  die  hämolytische  Wir- 
nmg  sich  in  den  Giftlösungen  schneller  abschwächt,  als  die  krampf- 
erzeugende, tmd  daß  beide  Gifte  besondere  Gregengifte  bilden.  Aus 
ier  Kultur  läßt  sich  das  Tetanolysin  mit  dem  Tetanospasmin  zusammen 
iurch  Ammonsidfat  ausfällen.  Über  seine  Wirlomg  im  Reagensglas 
^'gl.  §  312.  Bei  der  Tetanuserkrankung  scheint  das  Lysin  keine  Rolle 
zu  spielen^). 

§  282.  Wurstgift.  Ein  nur  in  toten  Nährböden  lebender,  aber 
durch  sein  starkes  Gift  dem  Menschen  gefährlicher  Bazillus  ist  der 
Bac.  botulinus*),  die  Ursache  der  Schinken-  und  Wurstvergiftimg. 
Er  schließt  sich  durch  sein  streng  anaerobes  Wachstum  und  die  ner- 
vösen Störungen,  die  sein  Gift  bewirkt,  an  den  Tetanusbazillus  an. 
Zur  Kultur  benutzt  man  am   besten  Traubenzuckemährböden   mit 


1)  Ehrlich,  Berl.  klin.  Woch.  1898.  12.     Ein  lysinfreies  Gift  be- 
schreibt Behring,  Beitr.  experim.  Ther.  7,  1904. 

2)  Miyamoto,  Deutsch,  med.  Woch.  1900.  30. 

3)  van  Ermengem,  Zeitschr.  f.  Hyg.  26,  1897  und  in  Handb. 
fler  pathogenen  Mikroben  von  Kolle-Wassermann  2,   1903. 


922  I^p.  XVI,  §  282  u.  283. 

deutlicher  alkalischer  Reaktion,  die  Temperatur  darf  aber  dabei  25*^  C 
nicht  überschreiten.  Filtrierte  ältere  Bouillonkulturen  töten  Kaninchen 
von  der  Unterhaut  aus  in  einer  Grabe  von  0,3 — ^1  mg,  Meerschweinchen 
in  solchen  von  0,05 — 0,1  mg  binnen  2 — 4  Tagen  unter  Lahmungs- 
erscheinimgen,  bei  größeren  Gaben  (0,1 — 0,5  g)  binnen  einigen  Stunden 
unter  Lähmung,  dyspnoischen  Anfällen  und  Zuckungen.  Katzen 
sterben  nach  Einspritzimg  großer  Mengen  unter  dem  echten  Bilde 
des  menschlichen  Botulismus.  Zum  Unterschied  von  den  meisten 
anderen  Giften  wirkt  das  Wurstgift  auch  vom  Darmkanal  aus,  aller- 
dings beim  Kaninchen  erst  in  größeren  Gaben,  bei  Meerschweinchen, 
Mäusen  und  Affen  in  wenigen  Tropfen. 

In  Schinken  imd  Würsten  bildet  der  Bazillus  ebenfalls  ein  starkes 
Gift,  das  man  durch  Verfütterung  an  Mäuse  und  Meerschweinchen  oder 
nach  Filtrieren  der  wässerigen  Auszüge  durch  Einspritzung  nach- 
weisen kann. 

Statt  der  Filtrate  lassen  sich  durch  Toluol  abgetötete  Kulturen 
verwenden.  Das  Gift  ist  auch  gegen  andere  Einflüsse  als  die  Ver- 
dauungskräfte widerstandsfähiger  als  das  Tetanusgift,  läßt  sich  z.  B. 
lange  Zeit  im  Dunkeln  und  in  zugeschmolzenen  Röhrchen  aufbewahren, 
wird  aber  auch  durch  Temperaturen  von  60"  stark  geschädigt  nnd 
durch  halbstündiges  Erhitzen  auf  80"  vernichtet.  G^gen  Alkalien 
ist  es  sehr,  gegen  Säuren  wenig  empfindlich.  Aus  den  Kulturen  bzw. 
Kulturfiltraten  läßt  es  sich  nach  den  von  B  r  i  e  g  e  r  beim  Diphtherie- 
gift zuerst  angewandten  Methoden  durch  Zinksulfat^)  ausfällen  und 
rein  darstellen.  Größere  Tiere  lassen  sich  gegen  das  Botulinusgift 
immimisieren.  Außer  dem  spezifischen  Serum  wirkt  auch  die  Sub- 
stanz des  Nervensjrstems,  femer  Lezithin  und  Cholesterin  giftwidrig 
(K  e  m  p  n  e  r  und  Schepilewsky  S.  877). 

§  283.     Rauschbrand  und  andere  Anaörobiergifte.    Der 

Rausch brandbazillus  erzeugt  nach  neueren  Forschimgen  ein  starkes 
Gift,  das  wie  die  bisher  besprochenen  zu  den  immunisierenden  gehört. 
Während  frühere  und  spätere  Forscher*)  den  Rauschbrandbazillen  meist 
nur  eine  geringe  Giftigkeit  zuschreiben,  fanden  Leclainche  und 
V  a  1 1 6  e  ^) ,  daß  sie  in  Martin  scher  Bouillon  gezüchtet  nach 
5  Tagen  ein  kräftiges  Gift  erzeugen,  das  einfach  durch  Absetzenlassen 


1)  B  r  i  e  g  e  r  und  K  e  m  p  n  e  r  ,  Deutsch,  med.  Woch.  1897.  33. 

2)  K  o  u  X  und  Chamberland,  Annal.  Pasteur  1887 ;  K  i  t  a  - 
sato,  Zeitschr.  f.  Hyg.  6  und  8,  1889—1890;  Sanfelice,  Zeitschr. 
f.  Hyg.  14.  383,  1893;  Dunschmann,  Annal.  Pasteur  1894;  Kitt. 
Handb.  d.  pathogenen  Mikroben  (Kolle-Wassermann)  1903; 
V.  H  i  b  1  e  r  ,  Untersuchungen  über  pathogene  Anaöroben,    1908  S-  245. 

3)  Annal.  Pasteiu-  1900. 


Gifte  der  Kleinwesen.  923 

von   den   Bakterien  befreit  oder  auch  in  Filtraten  zu  wenigen  com 
Kaninchen  und  sogar  Pferde  vom  Blut  aus  in  einigen  Minuten 
töten  kann;    Meerschweinchen  erliegen,  wenn  ihnen  Gaben  von  5  ccm 
intraperitoneal  verabreicht  werden,  binnen  12  Stunden  unter  starkem 
Temperaturabfall;   an  geringeren  Mengen  sterben  sie  erst  nach  einer 
Reihe  von  Tagen  unter  erheblicher  Gewichtsabnahme.  Graßberger 
und  Schattenfroh  ^)  stellten  dann  durch  Zusatz  von  gärfähigen 
Substan^n  wie  Traubenzucker  und  milchsaurem  Kalk  zu  den  Nähr- 
lösungen noch  wirksamere  Kulturen  her,  die  filtriert  Meerschweinchen 
von  der  Unterhaut  aus  in  Mengen  von  0,005 — 0,01  ccm,  unter  Um- 
ständen   sogar  in  zehnfach  geringeren  Gaben  binnen  einigen  Tagen 
unter   starken    örtlichen    (hämorrhagisches  Odem!)    und    allgemeinen 
Erscheinungen  töteten,  auch  für  Kaninchen  und  große  Tiere  stark  giftig 
waren,   aber  immer  mit  Inkubation  wirkten.    Die  Angaben  über  die 
Widerstandsfähigkeit  des  Bauschbrandgiftes  widersprechen  sich  eben- 
falls.   Die    französischen  Forscher  halten  es  zwar  für  hitzebeständig, 
aber   für    sehr    empfindlich    gegen    Sauerstoffzutritt,    nach    Graß- 
berger   und    Schattenfroh    genügt    schon    einstündige    Er- 
hitzung auf  50 — 60°  zur  Zerstörung  des  Gifts.    In  Filtern  wird  es  zum 
großen  Teil  zurückgehalten.  Die  Verfasser  benutzen  daher  die  Filtration 
durch  Papier  und  Watte.    Karbolsäurezusatz  wirkt  sehr  schädlich, 
weniger  Formalin,  am  wenigsten  Chloroform.    Beim  Lagern  verliert 
es  bald  seine  Wirksamkeit  xmd  zwar  im  Gegensatz  zu  dem  Diphtherie- 
gift auch  seine  Antitoxin  bindende  Kraft.  Über  die  letztere  vgl.  S.  883  ff. 
Wahrscheinlich  erklären  sich  die  verschiedenen  Angaben  aus  der  großen 
Veränderlichkeit    der    Bauschbrandbazillen.     Ebenso    wie    das    Gär- 
vermögen   (§  113)    wechselt    die   Giftigkeit  imd  Virulenz,  und  zwar 
wie  so  oft  nach  der  Richtung  hin,  daß  die  Giftigkeit  um  so 
größer  ist,  je  geringer  die   Virulenz  und  umgekehrt. 
Gärvermögen  für  Zucker  und  Giftigkeit  scheint  dagegen  nach  Graß- 
berger und  Schattenfroh  parallel  zu  gehen.   Das  beste  Impf- 
material zur  Gewinnung  von  giftigen  Kulturen  wird  dadurch  erhalten, 
daß  man  die  auf  Zuckeragarplatten  vom  Tier  gewonnenen  Kolonien 
auf  Rindermuskeln,    die    mit    Kreidezuckerbouillon    vermischt    sind, 
überträgt  tmd  dort  sporulieren  läßt.    Die  im  Kreideschlamm  scharf 
getrockneten  Sporen  sind  jahrelang  unverändert  wirksam. 

Da  gerade  den  virulenten  Bakterien  die  Giftigkeit  mangelt,  liegt 
ea  nahe,  anzunehmen,  daß  das  Gift  bei  den  Krankheits- 
erscheinungen   im    infizierten    Tier    keine    Rolle 

1)  „Über  das  Kauschbrandgift  und  ein  anti toxisches  Serum"  und 
Ȇber  die  Beziehungen  von  Toxin  und  Antitoxin"  Leipzig- Wien  1904. 
Handb.  v.  Kraus  und  L  e  v  a  d  i  t  i  ,  1  und  2,  1907/08. 


924  Kap.  XVI,   §  283  u.  284. 

spielt  (vgl.  S.  859).  In  der  Tat  vermochten  Graßberger  und 
Schattenfroh  weder  durch  aktive  noch  durch  passive  Immuni- 
sierung gegen  das  Gift  Tiere  vor  der  Infektion  zu  schützen.  Trotz  der 
Ähnlichkeit  der  Vergiftimgserscheinimgen  bei  infizierten  Tieren  muß 
hier  also  wohl  ein  anderes  Gift  wirksam  sein,  wenn  nicht,  wie  Graß- 
berger undS  chattenfro  h  vermuten  (Anm.  1.  S.  859),  die  Krank- 
heitserscheinungen im  infizierten  Tier  dadurch  ausgelöst  werden,  daß 
von  den  Erregem  ein  lebenswichtiger  Stoff  aus  dem  Körper  entfehit  vrird. 

Auch  bei  den  Bazillen  des  malignen  Ödems  sind  nur  geringo 
toxische  Wirkungen  festgestellt  worden:  die  Kulturfiltrate  töten  nur  in 
gewaltigen  Mengen,  z.  B.  nach  Sanfelice  (s.  o.)  Meerschweinchen, 
wenn  man  ihnen  26 — 30  ccm  unter  die  Haut  spritzt.  Die  Gifti^eit  der 
Filtrate  soll  nach  K  o  u  x  und  Chamberland  durch  Kochen  nicht 
geschädigt  werden.  Es  fragt  sich  aber,  ob  man  hier  nicht  ähnliche  Erfah- 
rungen wie  beim  Rauschbrand  machen  wird.  Die  Tatsache,  daß  B  e  s  s  o  n  *) 
aus  Kulturen  in  10  prozentiger  Peptonlösung  oder  Fleischbrei  ein  Filtrat 
gewann,  das  zwar  nur  eine  geringe  allgemeine  Giftigkeit,  aber  starke  ödem- 
erregende ,, negativ  chemotaktische"  Eigenschaften  besaß  und  diese  durch 
Erhitzen  auf  80 — 100^  einbüßte,  spricht  dafür,  daß  neben  den  gewöhn- 
lichen entzündungserregenden,  positiv  chemotaktischen  und  hitzebestän- 
digen  Leibesgiften,  die  allen  Bakterien  eigen  sind  (§  280),  hier  besondere 
Entzündungsgifte   (§   332)  gebildet  werden. 

Fast  nichts  wissen  wir  von  den  Giften  der  ebenfalls  anaeroben  Bazillen 
des  Bradsots  ')  und  der  Renntierpest  ').    Dagegen  hat  Pas- 
sini *)  bei  den  Gasphlegmone bazillen  (B.  emphysematicus)  Gifte 
nachweisen  können,  und  zwar  sollen  es  zwei  sein:  Das  eine  kräftigere  wird 
dadiu*ch  gewonnen,  daß  man  die  Bazillen  züchtet  in  einer  Mischung,  die 
durch  Trypsinverdauiuig  aus  frischem  Rindermuskel  luid  Zusatz  von  1  bis 
2%   Traubenzucker  hergestellt  ist.     Nach   2 — 4  wöchentlichem  Wachstum 
tötet  das  Filtrat   der  Kulturen   Kaninchen   von  1kg    vom   Blut   aus 
binnen  ein  er  Minute  unter  Krämpfen  und  allgemeiner 
Lähmung.    Kleine  Gaben  überwindet  das  Tier.  Meerschweinchen  sterben 
an  größeren  Gaben  binnen    Yz — 1  Stunde  mit  Störungen  der  Atmung.  Be- 
merkenswerterweise erzeugten  andere  Anaeroben  wie  B.  putrificus,  oedematüi 
maligni  oder  botulinus  in  dieser  Nährlösung  kein  ähnliches  Gift.  Ein  zweiter 
Giftstoff,  der  in  Zuckerbouillonkultm*en  gebildet  wird,   bewirkt  am  Orte 
der   Einspritzimg   bei  Meerschweinchen  in  Gaben  von  3  ccm  ein  leuko- 
zytenarmes,    serös-hämorrhagisches      Exsudat     und 
danach    Nekrose    der    Haut,    Erscheinungen,   wie  sie  B  e  s  s  o  n 
(s.    o.)    mit   Filtraten   des  Ödembazillus    erhalten  hatte.     Große   Mengen 
töten    Meerschweinchen    von    der    Bauchhöhle    aus,    Hunde   vom    Blut 


1)  Annal.  Pasteur  1895. 

2)  Jensen,    Handb.   pathog.   Mikroorganismen   (K  olle- W as- 
ser m  a  n  n). 

3)  Lundgren,     Zeitschr.    f.    Tiermediz.     1898 ;    Bergmann, 
ebenda  1901. 

4)  Wien.  klin.  Woch.   1905.   36. 


Gifte  der  KleinweBen.  925 

aus.  Bei  dem  letzteren  Tiere  finden  sich  Veränderungen  im  Darm,  die 
durchaus  an  die  Sepsinvergiftung  erinnern.  Sie  sind  wohl,  wie  wir  schon 
gesehen  haben,  nicht  spezifisch  (S.   814). 

Neuerdings  macht  Korentschewsky  ^)  einige  Angaben  über 
ein  Filtratgift  bei  dem  Bac.  perfringens,  einem  den  normalen  Darm  bewoh« 
nenden  Anaerobier,  der  dem  Emphysembazillus  nahesteht,  und  beim  Bac. 
putrificus  coli.  Sie  sollen  junge  Tiere  vom  Rektum  aus  teils  vergiften, 
teils  immunisieren. 

Über  hämolytische  und  leukozide  Gifte  der  Anaerobier 
vgl.   §  312  u.  317. 

§  284.  Choleragift.  Die  Arbeiten  über  die  Giftbildimg  des 
Choleravibrio  sind  sehr  zahlreich^).  Trotzdem  ist  noch  keine 
Übereinstimmimg  der  Meinungen  herbeigeführt  worden.  Die  einen 
suchen  die  Gifte  in  Sekretionen  der  Cholerabakterien,  die  anderen, 
die  übrigens  jetzt  wohl  in  der  großen  Mehrzahl  sind,  in  ihren  Leibern ; 
bald  soll  das  Choleragift  der  Kochhitze  widerstehen,  bald  sehr  empfind- 
lich gegen  Erhitzung  sein,  bald  mit,  bald  ohne  Inkubation  töten,  bald 
spezifisch,  bald  nicht  spezifisch  sein,  bald  antitoxisches  Serum  erzeugen, 
bald  nicht. 

Daß  nuui  mit  Kulturen  des  Choleravibrio  Giftwirkungen  auslösen 
kann,  ist  eine  Erfahnuig,  die  man  bald  nach  seiner  Entdeckung  gemacht 
hat,  man  konnte  auch  das  Gift  von  den  Bakterienleibem  diu*ch  Filtra- 
tion trennen,  doch  erhielt  man  im  allgemeinen  dadurch  nur  dann  kräftige 
VVirkungen,  wenn  man  alte  Kulturen  imd  große  Mengen  verwendete.  So 
starben  in  Sobernheims')  Versuchen  Meerschweinchen  nicht,  wenn 
^nan  ihnen  20  ccm  Filtrat  einer  zehntägigen  Bouillon  ins  Bauchfell  spritzte, 
wohl  nach  Einverleibung  von  5  ccm  einer  30 — 45  tägigen  Kultur.  Ein- 
stündige Erhitzung  des  Filtrats  auf  80*  C  änderte  nichts  an  seiner  Giftig- 
keit. Um  sie  zu  erklären,  könnte  man,  wenn  man  nicht  mit  E  m  m  e  r  i  c  h 
<üe  Cholera  für  eine  Nitritvergiftung  hält  (S.  804),  an  basische  Körper, 
Ptomaine  denken,  doch  ist  bisher  nur  das  wenig  giftige  und  für  die  Cholera 
durchaus  nicht  charakteristische  Kadaverin  neben  Spiu'en  anderer  Pto- 
maine (S.  820)  aus  Cholerakulturen  dargestellt  worden.  Auch  sprechen 
zahlreiche  Untersuchungen,  die  sich  mit  der  Natur  des  Choleragiftes  be- 
schäftigt haben,  dafür,  daß  es  sich  da  um  verwickelter  gebaute  Stoffe  handeln 
muß,  die  mit  den  Eiweißstoffen  geringe  Diffusionsfähigkeit  und  die  Eigen- 
schaft gemein  haben,  durch  deren  Fällungsmittel  nachgewiesen  zu  werden. 
Manche  Forscher  halten  sie  für  eine  Art  Eiweißkörper.  So  erhielt 
zuerst  Petri*)  aus  alten  Kultviren  des  Choleraspirillums  auf  lOprozen- 
tigem  Pepton  durch  Ausfällung  mit  Alkohol  ein  ,,Toxopepton",.  Es  ist 
Hitzebeständig,  wie  das  Gift  der  Bouillonfiltrate,  kann  aber  als  Choleragift 
deswegen  kaum  betrachtet  werden,  weil  es  erst  in  einer  Menge  von  0,1  bis 
*^«4  g  Meerschweinchen  zu  töten  vermag.     Den   Globulinen  nahe  stehen 


1)  Annal.  Pastenr  1909. 

2)  Ältere  Literatur  bei   Scholl,  Arch.   f.  Hyg.    15,    1892. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.   14,   1893. 

4)  Arbeit.  Gesundheitsamts  6,    1890. 


926  Kap.  XVI,    §  284. 

soll  das  „Toxalbumin",  das  B  r  i  e  g  e  r  und  C.  Fränkel  *)  aus  Cholera- 
filtraten  durch  Fällung  mit  Alkohol  darstellten.  Es  ist  für  Meerschwein- 
chen, nicht  für  Kaninchen  giftig  und  geht  nur  schwer  in  Losung. 
Doch  fehlen  genauere  Angaben  über  seine  Wirksamkeit  und  seine  Eigen- 
schaften. Aus  Filtraten  älterer  Kulturen,  die  er  mit  Alkohol  und  Anunon- 
sulfat  fällte,  gewann  auch  Wesbrook  *)  giftige  Substanzen  der  Cholera* 
Spirillen,  ob  er  sie  nun  auf  Alkalialbuminat,  Eiern,  echtem  Pepton,  Aspara- 
gin  oder  auf  gewöhnlicher  Bouillon  züchtete.  Leider  gibt  der  Verfasser 
nichts  an  über  die  Giftausbeute,  die  er  erzielte,  und  über  das  Verhalten 
des  Giftes  gegen  Erhitzung,  doch  hat  er  wahrscheinlich  wenig  wirksame, 
hitzebeständige  Stoffe  in  Händen  gehabt.  Da  die  Giftwirkung  im  wesent- 
lichen stets  die  gleiche,  die  chemischen  Reaktionen  aber  bald  die  des  Alkali- 
albuminats,  bald  die  der  Albumosen  oder  Peptone  waren,  kam  Wes- 
brook zu  der  Ansicht,  daß  das  Choleragift  ein  einheitlicher,  aber  unbe- 
kannter Körper  sei,  der  den  genannten  Eiweißstoffen  nur  beigemischt  sei. 

Von  den  bisher  besprochenen  Erfahrungen,  die  für  eine  verhältnis- 
mäßig geringe  Wirksamkeit  der  Cholerafiltrate  sprechen,  weichen  die 
folgenden  ab,  was  wohl  dafür  spricht,  daß  sie  nicht  als  allgemeingültige 
betrachtet  werden  dürfen,  sondern  nur  für  bestimmte  Cholera- 
stämme gelten. 

Mit  ziemlich  jimgen  Filtraten,  etwa  5 — lOtägigen  Kulturen,  arbeitete 
K  a  n  s  o  m  *).    Der  Filtration  schickte  er  eine  kurze  Erhitzung  auf  100* 
voraus,  was  darauf  deutet,  daß  durch  die  Wärme  aus  den  Bakterienleibem 
erst  die  giftigen  Stoffe  ausgelaugt  werden  müssen,  ehe  man  sie  in  Lösung 
bekommt.    0,07  g  des  durch  Niederschlagen  mit  Alkohol  gewonnenen  Giftes 
waren  für  Meerschweinchen  tödlich.    Noch  eher  einem  echten  Sekret  ähnlich 
ist  das  Gift,  das  Metschnikoff,  Roux  imd  Salimbeni-Tau- 
r  e  1 1  i  *)  mit  Hilfe  von  Cholerabazillen  gewannen,  die  sie  durch  ein  be- 
sonderes Verfahren  virulent  gemacht  hatten.    Sie  brachten  zu  dem  Behufe 
3  ccm  einer  Peptonlösung,  die  mit  Kommabazillen  geimpft  war,  in  sterile 
Kollodium  säckchen    eingeschlossen    in    die    Bauchhöhle    von   Meer- 
schweinchen.   Diese  starben  nach   3 — 5  Tagen  unter  den  Erscheinungen 
des  Cholerakollapses,  die  Bakterien  zeigten  damit  also  ihre  Fähigkeit,  durch 
die  Kollodiumwand   hindurch   ein  tödliches   Gift  abzusondern,   behielten 
auch  ihre  Giftigkeit,  wenn  sie  weiter  in  Peptonkochsalzlösimg  (besonders 
mit  Zusatz  von  Serum)  imd  bei  reichlichem  Luftzutritt  (in  Petrischalen) 
gezüchtet  wurden:  0,25  ccm  des  Filtrats  von  viertägigen  Kulturen  töteten 
schon  Meerschweinchen,    große  Mengen   sogar   in  wenigen  Minuten. 
Auch  dieses  Gift  vertrug  das  Kochen,  ließ  sich  durch  Anunoniumsulfat 
oder  Alkohol  fällen,  konnte  luftdicht  verschlossen  Monate  lang  aufbewahrt 
werden,  verlor  aber  seine  Wirksamkeit  in  Berühnmg  mit  dem  Luftsauer- 
stoff.   Es  hat  also  ganz  den  Anschein,  daß  es  unterUm- 
ständen  gelingt,   auch  die  Choleraspirillen  wie  die 
Diphtherie-  oder  Rauschbrandbazillen  zur  „Sekre- 
tion** eines  Giftes  zu  veranlassen,  das  sich  allerdings  durch 


1)  Berl.  klin.  Woch.   1890.   12. 

2)  Annal.  Pasteur  1894. 

3)  Deutsch,    med.   Woch.    1895.    29;   vgl.    auch   Behring  ebenda 
1898.  294. 

4)  Annal.  Pasteur  1896. 


Gifte  der  Kleinwesen.  927 


ae  geringe  Wirksamkeit  und  seine  Hitzebeständigkeit  sowie  durch  die  I 

mlich  geringe  Fähigkeit,  Antitoxin  zu  erzeugen,  von  jenen  unterscheidet.  | 

H  ü  p  p  e  *)  und  sein   Schüler   Scholl*)  gingen  bei  ihren  Unter- 
;hungen  über  das  Choleragift  von  der  Voraussetzung  aus,  daß  die  Cholera-  I 

kterieii  nur  unter  ganz  bestimmten  Bedingungen  ihr   Gift  absondern  j 

nnten,  wenn  sie  nämlich  wie  im  Darm  der  Cholerakranken  ohne  Sauer-  i 

»ff  fortkommen  und  von  echten  Eiweifistoffen  sich  nähren  müßten.    Um  ! 

i  natürlichen  Verhältnisse  möglichst  nachzuahmen,  wurden  daher  die 
brionen  in  frische  Hühnereier  geimpft,  deren  Schale  vorher  mit 
blimat  desinfiziert  worden  war.  Nach  wochenlangem  Wachstum  bei 
**  erwies  sich  das  Eiweiß  als  stark  giftig.  InScholls  Versuchen  genügte 
?  aus  dem  Eiweiß  eines  einzigen  Eis  durch  Alkohol   gefällte  und  dann  j 

eder   in  Wasser  gelöste   Substanz,   um    10  Meerschweinchen  binnen 

Minuten  zu  töten.    Wegen  seiner   Reaktion  bezeichnet   Scholl 
s  Gift  als  Choleratoxopepton,  muß  aber  selbst  zugeben,  daß 

zum  Unterschied  von  den  bekannten  Peptonen  sehr  unbeständig  ist, 
B.  durch  die  Kochhitze  augenblicklich,  durch  Erhitzung  auf  75°  binnen 
'  Minuten  und  selbst  dmrch  Eintrocknen  der  wässerigen  Lösung  bei  40 — 45  •* 
i  luftleeren  Raum  zerstört  wird.  Neben  diesem  Gift  stellte  Scholl 
>ch  aus  denselben  Eikulturen,  sowie  aus  Kulturen  des  Cholerabazillus, 
e  unter  Luftabschluß  auf  lOprozentiger  Peptonlösung  oder  unter  Luft- 
1  tritt  auf  demselben  Nährboden  gewachsen  waren,  ein  „Toxoglobulin" 
id  ein  hitzebeständiges  giftiges  Pepton  dar,  das  er  mit  dem  P  e  t  r  i  sehen 
.  o.)  identifiziert.  Doch  haben  diese  beiden  nur  geringe  Bedeutung.  Pto- 
aine  ließen  sich  überhaupt  nicht  gewinnen. 

Gegen  die  Untersuchungen  von  H  ü  p  p  e  und  Scholl  wurden 
ancherlei  Einwände  erhoben.  So  gibt  nach  der  übereinstinmienden  Fest- 
ellimg  einer  Reihe  von  Forschem')  die  Züchtung  auch  in  ganz  frischen 
iihnereiem  keine  Gewähr  dafür,  daß  die  Kulturen  rein  bleiben.  Es  be- 
ände  daher  die  Möglichkeit,  daß  wenigstens  ein  Teil  der  obigen  mit 
ikulturen  gewonnenen  Ergebnisse  durch  Verunreinigungen  erklärt  werden 
öimte.  Schwerer  wiegt  der  Nachweis,  den  G  r  u  b  e  r  und  Wiener*) 
rbracht  haben,  daß  man  auch  aus  ungeimpften  Eiern  nach  Alkoholfällung 
toffe  ausziehen  kann,  die  ähnUche  stürmische  Erscheinungen  (Krämpfe 
nd  Lähmungen)  hervorrufen,  wie  die  Extrakte  der  mit  Cholera  geimpften 
lier.  Der  spätere  Verlauf  der  Vergiftung  ist  allerdings  bei  den  Cholera- 
eren  ein  etwas  anderer.  Immerhin  haben  dadurch  die  Versuche  von 
t  ü  p  p  e  und  Scholl  sehr  an  Beweiskraft  verloren.  Es  kommt  hierzu, 
aß  auch  die  Voraussetzung,  von  der  H  ü  p  p  e  ausgegangen  ist,  kaum 
egründet  ist:  das  Wachstum  in  den  Eiern  ist  durchaus  kein  anaerobes, 
ie  Eischale  ist  für  die  Luft  durchgängig,  bei  wirklich  vollständiger  Anaero- 
»iose  sind  die  Choleraspirillen  auf  keinem  Nährboden  zum  Wachstum  zu 
bringen. 

In  den  letzten  Jahren  ist  die  Frage  der  löslichen  Toxine  bei  der  Cholera 
'on  neuem  aufgetaucht.    Zuerst  fanden  R.  Kraus  und  Pribram  *) 

1)  Zentr.  Bakt.  4.  3,   1888. 

2)  Berl.  klin.  Woch.  90.  41  und  Arch.  f.  Hyg.   15,   1892. 

3)  Zenthöfer,  Zeitschr.  f.  Hyg.    16;  Hammerl,   ebenda   18; 
Abel  und  Dräer  ebenda  19;  Dönitz  ebenda  20,   1894—1895. 

4)  Arch.  f.  Hyg.   15,   1892. 

5)  Zentr.    Bakt.    41;  Wien.    klin.   Woch.    1905.    39. 


928  Kap.  XVI,    §  284. 

bei  den  sog.  El-Tor- Vibrionen,  die  Gotschlich  aus  dem  Dann  von 
Dysenterieleichen  isoliert  hatte,  später  R.  Kraus  und  Ruß')  auch 
bei  Choleravibrionen  sicheren  Ursprungs  in  alkalischer  Peptonbouillon 
schon  vom  3.  Tage  an  neben  Hämolysin  (§  312)  ein  Gift,  das  sich 
—  am  besten  durch  Papier  —  filtrieren  ließ,  bei  70*  schon  stark 
abgeschwächt,  auch  durch  HsOg,  Säuren  (Dörr  S.  857),  sowie 
Trypsinverdauung  zerstört  wurde,  aber  sonst  sehr  haltbar  war. 
Die  tödliche  Wirkung  de»  Giftes  trat  nach  intravenöser  Eünspritzunjr 
(0,5  ccm)  bei  Kaninchen  in  10 — 30  Minuten,  also  ohne  Wartezeit 
(Inkubation)  *)  ein,  ganz  ähnlich  wie  bei  dem  früher  von  K r a u <: 
gefundenen  Toxin  des  Vibrio  Nasik  (s.  u.  §  285),  nach  intraperitonealer 
Einverleibung  allerdings  erst  in  8 — 16  Stunden,  nach  subkutaner  noch 
später.  Meerschweinchen,  Tauben,  Hühner,  Mäuse  waren  gleich  emp- 
fänglich, etwas  weniger  Katzen.  Mit  dem  Gift  ließ  sich  ein  freilich  schwache« 
Antitoxin  erzeugen,  das  auch  die  Gifte  des  Saigonbazillus  (s.  u. )  und  anderer 
Vibrionen  (Newik  s.  o.),  aber  nicht  die  fernerstehender  Bakterien  beeinflußte. 
Bemerkenswert,  weil  es  hier  zum  erstenmal  ausdrücklich  ausgesprochen 
wurde,  ist,  daß  bei  weitem  nicht  alle  echten  Cholera- 
stämme dieses  Gift  bilden*).  Ob  es  daher  für  die  mensch- 
liche Cholera  in  Betracht  kommt,  muß  sehr  dahin- 
gestellt bleiben.  Ebenso  scheint  das  von  Brau  imd  Denier*) 
und  nachher  von  Kraus  tmd  Ruß  gewonnene,  aus  einer  Epidemie  von 
Saigon  stammende  Choleragift  nicht  allgemein  verbreitet  zu  sein.  Durch 
seine  Hitzebeständigkeit  und  sonstige  leichte  Zer- 
setzlichkeit  ähnelt  es  den  Giften  von  Ransom,  Metschni- 
k  o  f  f  usw.  (s.  o. ).  Meerschweinchen  sterben  nach  subkutanen  und  intra- 
peritonealen, Kaninchen  nach  intravenösen  Einspritzungen  von  etwa 
1  ccm  des  auf  Pferdeserum-Blutnährböden  gewonnenen  Giftes  im  Laufe 
von  5 — 24  Stunden  unter  den  Erscheinungen  des  Cholerakollap>ses.  Auch 
dieses  Gift  bildet  schwaches  Antitoxin. 

Während  die  bisher  genannten  Forscher  die  von  ihnen  gefundenen 
Gifte  als  Absonderungen  des  Cholerabazillus  betrachten,  hatte  schon 
Cantani^)  die  Ansicht  ausgesprochen,  daß  die  toten  Cholera- 
bazillen den  Körper  so  vergiften,  wie  es  die  genossenen  giftigen 
Schwämme  tun.  Aber  nur  für  den  Typhus  führte  zunächst  S  i  r  o  - 
t  i  n  i  etwa  gleichzeitig  mit  C  a  n  t  a  n  i  schon  beweiskräftige  Versuche 
aus  ( §  286).  Daß  es  sich  bei  der  Cholera  ebenso  verhielte,  dafür  brachten 
später  unabhängig  voneinander  Gamaleia  und  R.  Pfeiffer, 
und  zwar  auf  verschiedenen  Wegen,  Beweise  bei;  der  erstere  ging 
von  alten  Kulturen  in  flüssigen  Nährböden,  der  letztere  von  jungen 
Kulturen  auf  festen  Nährböden  aus. 


1)  Zentr.  Bakt.  45,   1907. 

2)  Nach  Rothberger  ist  es  ein  Herzgift. 

3)  Nach  R  u  a  t  a  ,  Zentr.  Bakt.  44,  387  soll  das  Gift  nur  in  einer 
ganz  bestimmten  kurzen  Periode  ausgeschieden  werden.    S.  u.  Bürgers. 

4)  Annal.  Pasteur  1906. 

5)  Deutsch,  med.  Woch.   1886.  45. 


Gifte  der  Klein weaen.  929 

Xach  G  a  m  a  1  e  i  a^)  ist  die  Existenz  des  echten  Choleragiftes  am 
jten  dcurzuttin  durch  Versuche  am  Kaninchen.  Wenn  man  15 — 20  ccm 
ler  14  tagigen  Kultur  des  Clioleraspirillums  in  Kalbsfußbouillon  einem 
?r  in  das  Blut  spritzt,  erliegt  es  binnen  15  Stunden  unter  Krankheits- 
cheinungen,  die  durch  die  Beeinflussung  des  Dünndarms  an  Cholera  er- 
lern. Werden  dieselben  Kulturen  filtriert,  so  sind  sie  viel  weniger  wirk- 
n  und  verurscu^hen  bloß  eine  schnell  vorübergehende  Diarrhöe.  Offenbar 
rden  die  giftigen  Stoffe  der  Hauptsache  naq|i  zurückgehalten.  Dagegen 
rden  sie  nicht  verändert  durch  eine  Erhitzimg  bei  55 — 60".  Geschieht 
i  an  drei  aufeinander  folgenden  Tagen  je  eine  Stunde  lang,  so  sind  die 
ilturen  (5 — 15  ccm)  sogar  jetzt  giftiger  als  die  nicht  sterilisierten  luid 
t  Krankheitserscheinungen  (Diarrhöe,  Schwäche,  Muskelkrampf,  Durst) 
3h  mehr  der  Cholera  ähnlich.  Es  liegt  nahe,  das  daraus  zu  erklären,  daß 
ts  Gift  durch  die  Hitze  allmählich  den  Bakterien- 
ibernentzogenwird.  In  demselben  Sinne  spricht  die  Tatsache, 
3  die  Giftigkeit  noch  zimimmt,  wenn  man  die  Kultur  nach  der  Erhitzung 
ige  Wochen  stehen  läßt.  In  der  klaren  Flüssigkeit,  die  über  den  Bak- 
ienleibem  steht,  sammelt  sich  das  Gift  immer  mehr  an;  diu*ch  Filtra- 
n  büßt  es  aber  wieder  einen  Teil  seiner  Wirksamkeit  ein,  weil  auch  das 
öste  Gift  im  Filter  stehen  bleibt.  Daß  die  Bakterienleiber  die  Giftquelle 
rstellen,  kann  man  unmittelbar  beweisen,  indem  man  sie  aus  den  Kul- 
'en  durch  sauren  Alkohol  oder  verdünnte  Schwefelsäure  oder  Bleizucker- 
img  niederschlägt  und  mit  kohlensaurem  oder  doppeltkohlensaurem 
trium  auszieht :  der  Extrakt  ruft  Diarrhöe  hervor.  Durch  Erhitzung 
er  60"  hinaus  verliert  das  Gift  seine  spezifische  Wirkimg,  behält  aber 
ch  noch  eine  gewisse  Giftigkeit  bei:  de»  ,,Nukleoalbumin"  wandelt  sich, 
?  Gamaleia  sich  ausdrückt,  in  de^s  ,, Nuklein**  um.  Seine  Eigen- 
laften  sind  folgende:  Durch  sauren  Alkohol  wird  es  niedergeschlagen, 
'  Niederschlag  löst  sich  in  Wasser,  das  nut  doppeltkohlensaurem  Natrium 
alisch  gemacht  ist,  wird'  aber  beim  Kochen  mit  fixen  Alkalien  zerstört, 
»nso  durch  Kochen  mit  kohlensaurem  Blei  oder  Zink.  Die  Lösungen 
rden  nicht  gefällt  durch  Übersättigung  mit  Kochsalz.    Seinen  Charakter 

„Nuklein*'  verrät  nach  Gamaleia  dieses  hitzebeständige  Gift  auch 
iurch,  daß  es  aus  den  Bakterienleibern  ausgezogen  werden  muß,  die 
:;h  wesentlich  aus  Kemsubstanz  bestehen  (vgl.  S.  66  ff.).  Werden  die 
Jturen  von  vornherein  bei  60 — 100"  erhitzt,  so  sind  sie  weniger  giftig, 

wenn  man  sie  bei  120"  sterilisiert,  unnüttelbar  nach  der  Erhitzung 
aiger,  als  wenn  sie  einige  Zeit  danach  stehen.  Besonders  Meerschweinchen 
d  für  das  Nuklein  empfänglich,  sie  sterben  schon  nach  subkutaner  Ein- 
itzung  verhältnismäßig  kleiner  Mengen  unter  beständiger  Temperatur- 
liedrigung  mit  einer  hämorrhagischen  Entzündung  am  Orte  der  Ein- 
•itzung.  Niedrige  Dosen  rufen  umgekehrt  Fieber  hervor.  Tuberkulöse 
erschweinchen  reeigieren  wie  auf  Tuberkulin.  Um  Kaninchen  zii  töten, 
d,  wenn  man  Kulturen  unmittelbar  nach  der  Erhitzung  bei  120°  he- 
tzt, sehr  große  Gaben  nötig,  länger  ausgezogene  Kulturen  töten  aber 
lon  in  ähnlichen  Mengen  (5 — 10  ccm)  wie  die  nur  unter  60°  sterilisierten, 
?  das  Gift  noch  als  Nukleoalbumin  enthalten.  Die  Erscheinungen  dabei 
len  aber  nicht  charakteristisch  sein^). 

1)  Arch.  mMec.  exp6rim.   1892. 

2)  Eine  ähnliche  Giftlösung  bereitete  Sanarelli  (Annal.  Pasteur 
95. 133)  aus  Kommabazillen,  indem  er  sie  in  2  Litern  2prozentiger  Pepton- 

Kruse.  Mikrobiologie.  59 


930  Kap.  XVI,   §  284. 

Den  geraden  Weg  schlug  R.  Pfeiffer^)  ein,  um  die  Frage 
nach  der  Giftigkeit  der  GiolerabaziJlen  zu  beantworten.  Er  prüfte 
Aufschwemmungen  der  Bazillen,  die  frisch  auf  der  Agaroberfläche 
gewachsen  waren,  durch  Einspritzung  in  die  Bauchhöhle  von  Meer- 
schweinchen und  fand,  daß  im  Durchschnitt  10  mg  (d.  h.  etwa  ein 
Drittel  des  Bakt-erienrasens)  einer  20  stündigen,  durch  10  Minuten  lange 
Einwirkung  von  Chloi*oform  abgetöteten  Cholerakultni 
auf  schrägem  Agar  genügten,  um  Tiere  von  200  g  Gewicht  unter  starker 
Temperaturemiedrigung,  Muskelschwäche  —  Erscheinungen,  die  dem 
Stadium  algidum  der  Cholera  entsprechen  —  und  schließlich  klonischen 
Krämpfen  binnen  etwa  12  Stunden  zu  töten.  Lebende  Cholera- 
bakterien töteten  etwa  in  einer  zehnfach  geringeren  Menge,  aber  mit 
denselben  Krankheitserscheinungen,  \md  die  Untersuchung  ergab  dabei, 
daß,  in  vielen  Fällen  wenigstens,  die  Bakterien  beim  Tode  des  Tiers 
nur  in  geringer  Zahl  vorhanden,  also  ebenfalls  zugrunde  gegangen 
waren.  Der  Schluß  lag  nahe,  daß  die  Cholerabazillen  durch  ihr  Zu- 
grundegehen im  Tier  die  Vergiftung  erzeugt  hatten.  Die  intravenöse 
Verabreichung  tötete  in  etwas  kleineren,  die  subkutane  erst  in  größeren 
Gaben,  aber  unter  denselben  Erscheinungen.  Vom  normalen  Darm- 
kanal aus  ist  das  Gift  unwirksam,  wirkt  aber  wieder,  wenn  die  Tiere 
durch  Opiumtinktur  geschädigt  sind^).  Kaninchen')  sind  für  das 
Choleragift  weniger  empfänglich,  sie  brauchen  bei  intravenöser  Ein- 
spritzung je  nach  ihrer  Größe  und  individuellen  Anlage  10 — 120  mg 
abgetöteten  Bakterienrasens  imd  sterben  unter  Diarrhöe  gewöhnlich 
erst  nach  einer  Reihe  von  Tagen.  —  Der  wirksame  Giftstoff  soll  gegen 
schädigende  Einflüsse  äußerst  empfindlich  sein.    Am  wenigsten  werde 

gelatine  zu  gleichen  Teilen  einen  Monat  lang  bei  37®  züchtete,  die  Kultur 
nach  starker  Alkalisierung  bei  60°  zum  Sirup  eindampfte,  mit  10  com 
Glyzerin  2  Wochen  bei  37"  auszog,  mit  destilliertem  Wasser  auf  U  Liter 
auffüllte,  mit  Milchsäure  neutralisierte  \ind  bei  120*  sterilisierte;  3  ccni 
des  Giftes  töteten  selbst  vom  Magen  aus  (nach  Alkalisierung),  0,6 — 1  ccni 
vom  Peritoneum  aus  Meerschweinchen  in  einigen  Stunden  unter  den  Er- 
scheinungen der  Cholera.  Übrigens  waren  die  Kommabazillen  aaiseheinend 
keine  echten  Cholerabazillen,  sondern  teils  Vibrio  Ghinda,  dessen  Gift  am 
kräftigsten,  teils  Vibrio  Paris  und  Metschnikoffii,  die  am  schwächsten 
wirkten. 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  11,  1892  imd  „Mikroorganismen"  von  F 1  ü  g  g  e . 
3.  Aufl.  2.  551,  1896;  vgl.  Wassermann,  Zeitschr.  f.  Hyg.  U,  P f  ei f • 
f  e  r    und  Wassermann  ebenda. 

2)  Vgl.  weiter  unten.  Näheres  über  die  Vergiftimgen  vom  Darm  aus 
in   der   Infektionslehre. 

3)  Issaeff  vmd  K  o  1 1  e  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  18.  39,  1894.  Mäuse 
scheinen  gegen  Choleragift  besonders  widerstandsfähig  zu  sein,  wenn  man 
die  erfolglosen  Versuche  Kochs  und  seiner  Mitarbeiter  in  Indien  (vgl 
G  a  f  f  k  y  ,  Arb.   Gesundheitsamt  3.   174)  betrachtet. 


Gifte  der  Klein wesen.  931 

geschädigt  duich  die  Behandlung  mit  Chloroform  oder  Thymol 
r  durch  Eintrocknen,  stärker  durch  Erhitzen  bei  60^  und  besonders 
höheren  Temperaturen,  ferner  durch  Alkohol  und  schwefelsaures 
mon.  Glyzerin  sei  kein  Mittel,  das  zum  Ausziehen  der  Gifte  ge- 
let  sei.  Infolgedessen  ist  es  Pfeiffer  nicht  gelungen,  das  Cholera- 
in  Lösung  darzustellen. 

Durch  die  verschiedensten  schädigenden  Eingriffe  entsteht  nach 
e  i  f  f  e  r  aus  dem  beschriebenen  „primären"  Gift  ein  „sekun- 
es",  das  gegen  Kochen,  Verdauimg  usw.  beständig  ist,  aber  erst 
iner  10 — ^20  mal  größeren  Gabe  der  Leiber  mit  ähnlichen,  wenn  auch 
as  weniger  akuten  Erscheinungen  tötet. 

Die  späteren  Erfahrungen  haben  diese  Schilderung  Pfeiffers 
großen  und  ganzen  bestätigt,  nur  besteht  im  allgemeinen  kein 
lieblicher  Unterschied^)  zwischen  den  primären 
d  sekundären  Leibesgiften  der  Cho  le  r  a  vi  b  r  i - 
e  n  ,  sondern  es  ist  nur  sicher,  daß  wie  bei  anderen  Bakterien,  z.  B. 
3hus-,  Ruhr-,  Colibazillen,  die  länger  dauernde  imd  höher  getriebene 
litzung  die  Leibesgifte  etwas  abschwächt.  Vielleicht  erklärt  sich 
r  die  ursprüngliche  Schilderung  Pfeiffers  daraus,  daß  er  bei 
len  ersten  Untersuchungen  sich  hauptsächlich  nicht  eines  Cholera- 
aimes,  sondern  des  sog.  Vibrio  Massaua  bedient  hat.  Nach  Ver- 
ben, die  in  meinem  Laboratorium  im  Laufe  der  Jahre,  zuletzt  von 
i  r  g  e  r  8  *)  angestellt  worden  sind,  beträgt  bei  intraperitonealer 
Verleihung  die  tödliche  Gabe  vorsichtig  abgetöteter  Cholerabazillen, 

frisch  isoliert  waren,  meist  ^/^ — 1  Agarkultur,  ausnahmsweise 
liger  oder  auch  mehr*).  Bei  stärker  erhitzten  Bazillen  sind  meist 
as  höhere  Gaben  nötig,  doch  macht  die  recht  ungleiche  Giftemp- 
Uichkeit  der  Meerschweinchen  genauere  Angaben  ziemlich  schwierig, 
nche  Versuchsreihen  fallen  geradezu  umgekehrt  aus,  als  man  er- 
rten  sollte.  Mit  der  Giftigkeit  der  künstlich  abgetöteten 
siUenleiber  stimmte  diejenige  der  lebendindie  Bauchhöhle  ein- 
ütrten  Bazillen  in  imseren  Versuchen  nahe  überein.    Sie  betrug  näm- 


1)  S  1  u  y  t  8  (Cellule  10,  1894),  der  freilich  wesentlich  mit  Kaninchen 
i  Hunden  arbeitete,  fand  gar  keinen  Unterschied  zwischen  primären  und 
undären  Giften.  Klemperer  (Zeitschr.  f.  klin.  Med.  26,  1894)  schrieb 
i  hitzeempfindlichen  imd  -beständigen  Giften  verschiedene  Wirkungen 
und  beobachtete  bei  Hunden  einen  hämorrhagischen  Darmkatarrh.  Es 
das  eine  auch  sonst  bekannte  Bakterienproteinwirkung  (s.  o.   S.  914). 

2)  Mitgeteilt  auf  der  82.  Versammig.  D.  Naturf.  u.  Ärzte  in  Königs- 
g  1910,  28.  Abteil. 

3)  Vgl.  die  Angaben  von  G  r  u  b  e  r  und  Wiener,  Arch.  f.  Hyg. 
und  G  r  u  b  er  ,  Münch.  med.  Woch.  1896.  9. 

59* 


932  Kap.  XVI,   §  184. 

lieh  bei  unseren  frisch  vom  Kranken  gezüchteten  Vibrionen  —  unter 

2         1  .     .  1 

Schwankungen  von  — durchschnittlich  etwa  -^Agarkultur. 

Li)         1  ^ 

Andere  Forscher  erhielten  freilich  weit  kleinere  Zahlen,  weil  die  von 
ihnen  geprüften  Vibrionen  größere  Infektionskraft  besaßen.  Als  wir 
durch  den  Tierversuch  die  Virulenz  unserer  Kulturen  erheblich  ge- 
steigert hatten,  behielten  nebenbei  bemerkt  die  abgetöteten  Bazillen 
ihre  alte  Giftigkeit  (s.  u.). 

Es  gelang  uns,  wenn  auch  nicht  ganz  so  leicht  wie  beim  Typhus-, 
Ruhrbazillus  usw.,  das  Leibesgift  in  Lösung  zu  bringen;  so  wurde  min- 
destens die  Hälfte  des  Giftes  bei  1 — ^2  stündiger  Erhitzung  auf  55 — 65° 
durch  Kochsalzlösung  ausgezogen  (1  ccm  auf  1 — 2  Kulturen^)),  während 
andere  Verfahren  wie  Selbstverdauung  mit  Chloroform,  tagelanges 
Schütteln  mit  Kochsalzlösung  oder  destilliertem  Wasser  uns  weit 
schlechtere  Ergebnisse  lieferten. 

K  o  1 1  e  und  seine  Mitarbeiter  Carriere  und  Tomarkin-) 
empfehlen  dagegen  gerade 'die  Schüttelmethode,  sie  erhielten  damit 
im  destillierten  Wasser  Gifte,  die  in  1,2 — 1,5  ccm  —  entsprechend 
dem  Extrakt  aus  2^4 — 3  Agarkulturen  —  Meerschweinchen  von  300  g 
töteten.  Es  waren  also  doch  gegen  die  imserigen  nur  ziemlich  schwache 
Giftlösungen.  Auffällig  ist  die  Bemerkung,  daß  Erhitzen  auf  60°  die 
Giftigkeit  aufhob,  es  hat  sich  aber  wohl  nur  um  eine  Abschwachong 
gehandelt. 

Andere  ältere  Verfahren,  die  darauf  ausgingen,  die  Bakterien- 
leiber aufzulösen,  hatten  kein  besseres  Ergebnis.  Die  Preßsaftmethode, 
die  zur  Darstellung  der  Zymase  angewandt  wird,  ergab  H  a  h  n  ^) 
zwar  ein  örtlich  stärker  reizendes,  aber  nur  wenig  giftiges  „Plasmin", 
ebenso*)  die  tage-  oder  wochenlang  fortgesetzte  Selbstverdauimg  in 
Kochsalzlösung  oder  einem  aus  der  Darmwand  hergestellten  Preßsaft. 
Der  Verfasser  betont,  daß  Blutungen  auch  auf  der  Magendann- 
schleimhaut vorkamen,  daß  die  subkutane  Darreichung  ebenfalk 
erfolgreich  war  und  Erhitzen  auf  55 — 60^  keine  Abschwächung  verur- 
sachte. Wesentlich  stärker  wirkten  auch  nicht  die  von  Macfad  yen^) 
durch  Verreiben  der  Bazillen  bei  der  Temperatur  der  flüssigen  Luft 
und  Auflösung  in  der  zehnfachen  Menge  0,1  prozentiger  Kalilauge 
erhaltenen  Lösungen,  wenn  man  bedenkt,  daß  0,1  ccm  derselben  töd- 


1)  Wie  bei  allen  anderen  Endotoxinen  darf  man  nicht  zuviel  Flüssig- 
keit nehmen,  wenn  man  die  volle  Giftigkeit  erhalten  will. 

2)  Zeiteohr.   f.  Immunitätsforschung  4.    40,    1909. 

3)  Münch.  med.  Woch.   1897,  48. 

4)  Ebenda  1906.  23. 

5)  Zentr.  Bakt.  42.  365,   1905. 


Gifte  der  Klein wesen.  933 

ch  waren.  Die  Giftigkeit  stieg  mit  der  Virulenz  der  lebenden  Kul- 
iiren,  während  Hahn  und  wir  das  nicht  beobachteten.  Carriere 
nd  T  o  m  a  r  k  i  n  (s.  o.)  sahen  bei  ähnlich  hergestellten  Giften  den 
od  erst  bei  Gaben  von  0,15 — 0,25  ccm  eintreten.  Wurden  die  zer- 
ebenen Bazillen  statt  mit  Kalilauge  mit  Kochsalzlösung  aufgelöst, 
3  wurde  an  den  Ergebnissen  kaum  etwas  geändert.  Auffällig  ist  auch 
ier  wieder  ihre  Angabe,  daß  einstündige  Erhitzung  auf  55^  die  Giftig- 
eit  aufhebt.  Macfadyen  hatte  dasselbe  gefunden  und  durch 
Qscheinend  einwandfreie  Versuchsreihen  belegt.  Vielleicht  ist  die 
tarke  Konzentration  bzw.  der  Eiweißreichtum  des  Saftes 
iaran  schuld,  wenn  der  Unterschied  in  der  Widerstandsfähigkeit  nicht 
twa  darin  liegen  sollte,  daß  die  übrigen  Verfahren  die  Verbindung 
les  Giftes  mit  dem  Eiweiß  der  Zelle  lösen. 

Nach  Schurupow^)  kann  man  auch  die  nach  dem  Verfahren 
on  Lustig  und  G  a  1  e  o  1 1  i  (s.  Pest  §  291 )  durch  Ausziehen  der 
^iber  mit  0,5 — 1  prozentiger  Kalilauge  und  Fällung  mit  Essigsäure, 
Vaschen  und  Trocknen  dargestellten  ,,Nukleoproteide"  als  Endo- 
oxine  betrachten.  Ob  das  Verfahren  Vorzüge  bietet,  steht  dahin, 
s  sollen  sich  damit  aber,  wie  übrigens  auch  mit  den  folgenden  und  vor- 
lergehenden  Präparaten,  antitoxische  Sera  herstellen  lassen, 
vrawkow*)  benutzt  ein  mittelst  Kupferazetat  imd  Kalilauge  aus 
len  Bazillen  gewonnenes  Nukleoproteid  (vgl.  Iwanoff  S.  67). 
)ie  tödliche  Gabe  beträgt  0,01 — 0,02  g,  ist  also,  da  es  sich  um  ein 
Prockenpräparat  handelt,  recht  hoch.  Die  Vergiftungserscheinungen 
m  großen  Tieren  sollen  —  mehr  als  sonst  ?  —  denen  der  Cholera  ähneln. 

Die  mit  Cholera-Endotoxinen  und  Ektotoxinen  (s.  o.  S.  926  u.  928) 
lergestellten  Antitoxine  ähneln  sich  darin,  daß  sie  recht  schwach 
ind,  kräftigere  hat  anscheinend  nur  Macfadyen  erhalten. 

Überschaut  man  die  vorliegenden  Untersuchungen  über  die  Cholera- 
[ifte^),  so  macht  es  den  Eindruck,  als  ob  die  Endotoxine,  schon  weil 
ie  regelmäßig  aus  den  Bazillen  zu  erhalten  sind,  bei  weitem  die 
rrößte  Bedeutung  besitzen.  Ob  die  einzelnen,  auf  so  verschiedene  Weise 
gewonnenen  Leibesgifte  aber  untereinander  völlig  gleich  sind,  müssen 
rir  noch  offen  lassen.  Ebenso  ist  hier  wie  bei  den  übrigen  Endotoxinen 
licht  ganz  sicher,  ob  Pfeiffer  recht  hat,  wenn  er  annimmt,  daß 
lie  Bakterien  bei  der  Infektion  im  Tier  oder  Menschen  nur  dadurch 
;iftig  wirken,  daß  sie  im  Körper  zugrunde  gehen  und  sich  auflösen. 
Vlan  sieht  nämlich  nach  unseren  Erfahrungen  im  erfolgreich  infizierten 


1)  (Russisch.)    Ref.    Zeitschr.  f.    Immun.    1.   610   und    Zentr.   Bakt. 
49,  1909. 

2)  (Russisch.)    Ref.  Zeitschr.  f.  Immun.   1.  609,   1909. 

3)  Vgl.  auch  das  über  die  Nitritlehre  Emmerichs  Gesagte  S.  804. 


934  Kap.  XVI,  284  u.  285. 

Tier  nicht  soviel  Bakterien  zugrunde  gehen,  als  man  erwarten  müßte, 
wenn  das  dabei  freiwerdende  Endotoxin  den  Tod  verursachen  sollte. 
Eine  Lösung  des  Rätsels  in  dem  von  Pfeiffer  verteidigten  Sinne 
würde  man  allerdings  haben,  wenn  man  annehmen  dürfte,  daß  die 
Keime  beim  Zugrundegehen  im  lebenden  Körper  ein  viel  kräftigerem 
Gift  abgeben,  als  bei  unseren  künstlichen,  auch  den  schonendsten 
Gewinnungsverfahren.  Aber  vorläufig  scheint  mir  eine  andere  Mög- 
lichkeit daneben  beachtenswert:  auch  diejenigen  Bazillen,  die 
längere  oder  kürzere  Zeit  überleben,  könnten  zur  Endotoxinbildimg 
beitragen,  indem  sie  \mter  dem  Einfluß  der  Widerstandskräfte  des 
Körpers  giftige  Bestandteile  abgeben  (vgl.  das  Anaphylatoxin  §  344;. 

Der  Nachweis  von  Giften  in  den  Säften  des  mit  Cholera  infizierten 
Körpers  ist,  abgesehen  von  Emmerich  (S.  804),  mehrfach  versucht 
worden.  So  hat  B  o  s  c  ^)  gefunden,  daß  3,6—5,5  ccm  Blutserum 
von  cholerakranken  Menschen  Kaninchen  (auf  1  kg  berechnet)  unter 
Erscheinungen  töteten,  die  sonst  mit  Cholerakulturen  hervorgerufen 
werden  können,  während  erst  15  ccm  normalen  Blutserums  die  töd- 
liche Gabe  darstellten.  Es  fragt  sich,  ob  man  daraus  Schlüsse  ziehen 
darf.  Daß  auch  die  tierischen,  aus  Exsudaten  gewonnenen  Aggressine 
Bails  giftig  sind,  hat  namentlich  Sauerbeck  betont  (§  .^21). 
Auch  in  den  Darmentleerungen  kann  man  natürUch  das  Gift  voraus- 
setzen. Je  nach  der  Zusammensetzung  wird  es  aber  darin  in  sehr 
wechselnden  und  oft  sehr  geringen  Mengen  vorhanden  sein.  Tatsachlich 
sind  die  Versuche  damit  (vgl.  Hahn)  bisher  ohne  klares  Ergebnis 
geblieben. 

Da  die  menschliche  Cholera  eine  derjenigen  Infektionen  ist,  bei  denen 
die  Erreger  nur  ganz  oberflächlich  in  die  Gewebe  eindringen,  so  fragt  »v 
sich,  wie  sie  denn  eigentlich  ihre  Giftigkeit  zur  Geltung  bringen.  Man 
könnte  zunächst  annehmen,  daß  entweder  aus  den  in  gewaltigen  Massen 
im  Darminhalt  entwickelten  Vibrionen  große  Giftmengen  aiu«- 
geschieden  und  durch  das  unveränderte  Epithel  aufgesogen  würden,  oder 
daß  diese  Aufsaugung  erst  diu'ch  eine  zerstörende  Wirkung  der  Cholera- 
gifte auf  die  Epithelien  ermöglicht  würde.  Die  Versuche  (vgl.  namentlich 
bei  Bürgers)  lehren  nun  aber,  daß  von  den  für  die  Darminfektion 
in  gewisser  Weise  empfänghchen  Meerschweinchen  und  Kaninchen  geradezu 
riesige  Mengen,  z.  B.  200  Kulturen  von  toten  oder  lebenden  Cholerabazillen 
und  ihren  gelösten  Giften,  ohne  jede  Erkrankung  vertragen  werden,  und  da.*, 
obwohl  die  Verdauungssäfte  dem  Choleragift  keinen  oder  nur  wenig  Schaden 
tun.  Beide  erwähnten  Auffassungen  haben  also  nicht  viel  für  sich.  Nun 
gelingt  es  zwar  nicht  bloß  die  Infektion,  sondern  auch  die  Vergiftung  vom 
Magendarmkanal  aus  dadurch  zu  befördern  bzw.  zu  ermöglichen,  daü 
man  gleichzeitig  andere  schädHche  Einflüsse,  namentlich  Opiumtinktur. 
auf  den  Körper  der  Versuchstiere  wirken  läßt.    Wie  diese  Schädlichkeiten 


1)  Annal.   Pasteur  1895. 


Gifte  der  Kleinwesen.  935 

irken,  ist  aber  noch  dunkel,  und  da  sie  unseres  Wissens  für  die  Entstehung 
er  Cholera  beim  Menschen  nicht  in  Betracht  kommen,  geben  uns  auch  diese 
iini  Teil  gelungenen  Versuche  keinen  Aufschluß  über  die  Art  der  Ver- 
iftung.  Man  wird  deshalb  annehmen  dürfen,  daß  die  lebenden  Bazillen 
ie  Dannwand  so  beeinflussen,  daß  sie  Gift  aufnimmt.  Bestimmte  Unter- 
igen dafür  bietet  uns  die  doppelte  Erfahrung,  daß  bei  der  Cholera  nament- 
ch  das  epithel  des  Darmes  in  weitestem  Umfange  verloren  geht,  und  daß 
ie  Bazillen  innerhalb  und  unterhalb  desselben,  ja  auch  noch  darüber  hinaus 
•n  eigentlichen  Darmgewebe  gefimden  werden.  Sie  werden  also  wohl 
mindestens  bei  den  von  schwerer  Infektion  betroffenen  Personen  eine 
renn  auch  beschränkte  Angriffsfähigkeit  für  das  Gewebe  besitzen.  Ist 
ias  einmal  zugegeben,  so  würde  sich  die  Aufsaugung  ihrer  Leibesgifte 
uf  doppelte  Weise  erklären  lassen :  einmal  aus  der  Aufnahme  des  im  Darm- 
ahalt  gebildeten  Giftes  durch  die  ihres  Epithels  beraubte  Schleimhaut 
und  zweitens  aus  der  Auflösung  der  in  das  Gewebe  selbst  eingedrungenen 
ribrionen.  Welcher  Anteil  der  wichtigere  ist,  bliebe  noch  auszumachen 
\'gl.  Infektionslehre).  Für  die  Cholera  nostras  gilt  wohl  dasselbe  (vgl.  S.  808). 

§  285.  Vibrionengifte.  Mit  den  Giften  der  Choleraspirillen  scheinen 
iie  Giftstoffe  der  choleraähnlichen  Kommabazillen,  deren  es  namentlich 
im  W^asser  eine  große  Zahl  gibt,  wesentlich  übereinzustimmen.  Wenn  sie 
trotzdem  beim  Menschen  keine  Cholera  erzeugen,  so  liegt  das  wohl  daran, 
daß  sie  nicht  die  Fähigkeit  besitzen,  im  Darm  desselben  sich  zu  vermehren. 
Wir  übergehen  die  namentlich  beim  Studium  des  Spirillum  Met- 
schnikoff  *)  und  Spirillum  Massaua")  gewonnenen  Erfah- 
rungen, weil  sie  uns  nichts  Neues  sagen.  Insofern  bleiben  sie  aber  be- 
merkenswert, als  gerade  sie  es  waren,  die  Gamaleia  und  Pfeiffer 
zu  ihren  Untersuchungen  über  das  Choleragift  führten. 

Besonders  giftig  ist  eine  andere  Spirillenart,  der  Vibrio  N  a  s  i  k , 
da  er  nach  R.  Kraus')  Kaninchen  bei  intravenöser  Injektion  von  4tägigen 
oder  älteren  Bouillonkulturen  in  Gaben  von  0,5 — 1  ccm  binnen  15  Minuten, 
wahrscheinlich  durch  Herzbeeinflussimg,  tötet.  Bei  intraperitonealer  oder 
subkutaner  Einverleibung  tritt  der  Tod  bei  Kaninchen  und  Meerschweinchen 
erst  nach  1  bis  mehreren  Tagen  ein,  und  Agarkulturen  sollen  viel  weniger 
giftig  sein.  Das  Gift  geht  wenigstens  durch  manche  Filter  hindurch,  es 
wird  diffch  Erwärmen  auf  58®  zerstört  und  durch  Alkohol,  Chloroform, 
Karbolsäure,  Ammonsulfat  geschädigt.  Nur  Toluol  läßt  es  unberührt. 
Das  Gift  besitzt  stark  lösende  Wirkungen  auf  rote  Blutkörper,  im  Gegen- 
satz zum  Choleragift  (§312).  Es  gelingt,  Ziegen  dagegen  zu  immunisieren. 
Doch  zeigt  sich  die  merkwürdige  Tatsache,  daß  normales  Ziegenserum  in 
denselben  Gaben  gegen  das  Vibrionengift  schützt,  wie  das  Immunserum, 
wenn  es  vorher  eine  Stunde  lang  bei  37°  mit  ihm  in  Berührung  bleibt.  Das 
normale  Antitoxin  scheint  bei  der  Immunisierung  nur  eine  qualitative 
Änderung  zu  erfahren,  indem  es  größere  Verwandtschaft  zum  Vibrionen- 
gift annimmt.  Nur  gegenüber  Mäusen  geprüft,  versagt  dstö  normale  Anti- 
toxin, während  das  des  Immunserums  auch  hier  schützt:  da«  scheint  dafür 


1)  Gamaleia,  Annal.  Pasteur  1889  und  Semaine  m^dicale  1890. 
56;  P  f  e  i  f  f  e  r  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  11,  Sanarelli,  Annal.  Pasteur  1893 
und  besonders  W  o  1  k  o  w  ,  Arch.  m6dec.  exp6rim.   1892. 

2)  Pfeiffer  a.  a.  O. 

3)  Zentr.  Bakt.  34.  488,   1903 


936  Kap.  XVI,    §  285  u.  286. 

zu  sprechen,  daß  im  Gesamtgifte  verschiedene   Gifte  vorhanden  sind 
(vgl.  Pest). 

§  286.  Typhusgift.  Über  das  Gift  des  T  y  p  h  u  s  b  a  z  i  1 1  u  5 
ist  ebensowenig  völlige  Übereinstimmung  erzielt  worden,  wie  über 
das  der  Cholera  (s.  o.).  Schon  von  den  ersten  Untersuchem  wurde  aber 
hier  die  Bedeutsamkeit  der  Leibesgifte  festgestellt. 

Umfangreiche  Untersuchungen  wurden  schon  von  Sirotinin  *)  mit 
Aufschwemmungen   von   Typhusbazillen   angestellt  und 
zeigten,  daß  sie  Kaninchen  und  Hiuide  auf  dem  Blutwege,  Meerschweinchen 
und  Mäuse  vom  Bauchfell  und  der  Unterhaut  aus,  Meerschweinchen  gelegent- 
lich auch  vom  Magen  aus  töten,  wenn  sie  in  größeren  Mengen  einverleibt 
werden,  und    zwar   sowohl  wenn  die  Bazillen  lebenskräftig,  als  wenn  sie 
durch  ca.  zehnminutenlanges  Erhitzen  auf  100°  abgetötet  sind.    Offenbar 
wird  von  den  Bazillen  aber  auch  ein  lösliclies  Gift  gebildet,  denn  Gelatine- 
strichkulturen, die  durch  sorgfältiges  Abkratzen  von  den  Bakterienrasen 
befreit  und  nachher  noch  auf  75°  erwärmt  wurden,  waren  ebenfalls  noch 
giftig.    Sirotinin  hat  meist  ziemlich  frische  Kulturen  benutzt,  maclit 
aber  die  Angabe,  daß  es  besser  wäre,  ältere  Kulturen  zu  verwenden,  um 
möglichst  viel  „Ptomain"  zu  erhalten.    War  doch  gerade  damals  soeben 
d&s  Typhotoxin  von  Brieger  entdeckt  worden  (S.  818).    Der  Verlauf 
der   Vergiftung  ist  wenig   charakteristisch:   leichte,   aber  auch   schwerere 
und  blutige  Diarrhöe,  in  tödlichen  Fällen  Schwäche  und  Sinken  der  Teni- 
peratiu*,  in  nicht  tödlichen  Fieber  und  bei  der  Sektion  katarrhalische  Ver- 
änderungen, auch  Hämorrhagien  des  Dünndarms,  Schwellung  der  P  e  y  e  r  - 
s  c  hen  Platten  der  Milz,  und  Mesenterialdrüsen  beherrschen  das  Bild.  Ahn- 
liche Erscheinungen  beobachtet  man  aber  auch  bei  vielen  anderen  Bak- 
terien,  z.    B.   dem   Bac.   neapolitanus   (coli   communis),   Indicus  und  wie 
B  e  u  m  e  r  imd  P  e  i  p  e  r  ')  gleichzeitig  mit  Sirotinin  nachgewiesen 
haben,   sogar   bei   den   gemeinsten    „Saprophyten",   wie  Bac.    fluaresceni? 
liquefaciens  und  non  liquefaciens,  subtilis,  wenn  man  sie  ninr  in  genügend 
großer  Meinge  einspritzt.    Die  letzteren  beiden  Forscher  sprechen  daher 
auch  ausdrücklich  der  Vergiftung  der  Versuchstiere  durch  den  Typhus- 
bazillus den  spezifischen  Charakter  ab.    Auch  sie  arbeiteten  ganz  wesent- 
lich mit  lebenden  oder  abgekochten  Aufschwemmimgen  der  Bazillenleiber 
imd  weichen  nur  darin  von  Sirotinin  ab,  daß  sie  die  lebenden  Kulturen 
erheblich  wirksamer  fanden  als  die  abgetöteten.     Sie  erklären  das  damit, 
daß  die  Bazillen,  wenn  sie  auch  schnell  im  Körper  der  Versuchstiere  zu- 
gnmde  gehen,  doch  noch  Zeit  finden,  Gifte  zu  erzeugen  und  auszuscheiden. 

Während  die  meisten  späteren  Autoren  sich  mehr  mit  den  löslichen 
Giftstoffen  (Sekretgiften)  des  Typhusbazillus  beschäftigten,  gingen 
ß.  Pfeiffer  und  K  o  1 1  e  ^)  auf  dem  von  Sirotinin,  Beumer 
und  P  e  i  p  e  r  angebahnten  Wege  weiter,  indem  sie  die  von  Pfeiffer 
bei  dem  Studium  des  Choleragiftes  gewonnenen  Erfahrungen  zth 
Richtschnur  nahmen.    Es  stellte  sich  dabei  heraus,  daß  die  Verhält- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1.  465,   1886. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1.  489  und  2.   110,   1886/87. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  21,   1896. 


Gifte  der  Klleinwesen.  937 

lisse  beim  Typhusbazillus  ähnlich  liegen  wie  beim  Choleraspiiillum: 
las  Gift  findet  sich  ebenfalls  in  den  Leibern  junger  Bazillen :  es 
ind  etwa  15  mg  des  Bakterienrasens  von  einer  vorsichtig  (durch  ein- 
rtündige  Einwirkung  von  Chloroform  oder  Erwärmung  auf  60*^)  ab- 
getöteten 20  stündigen  Agarkultur  nötig,  um  Meerschweinchen  von  300  g 
jJewicht  vom  Bauchfell  aus  binnen  24  Stunden  zu  töten,  während  die 
lO — 100  fach  kleinere  Menge  von  lebenden  Bakterien  dazu  genügt, 
•^icht  nur  die  tödliche  Gabe  des  Giftes  ist  ungefähr  dieselbe,  sondern 
iiucli  die  Vergiftung  verläuft  unter  denselben  Eollapserscheinungen 
vie  bei  der  Cholera.  Allenthalben  ist  der  Pfeiffer  sehe  Befund 
)est^tigt  worden.  Von  Spezifität  der  Giftwirlnmg  scheint  also  min- 
lestens  beim  Meerschweinchen  keine  Rede  zu  sein.  Das  gleiche  gilt 
iber  anscheinend  auch  von  der  Wirkung  der  T3rphu8bazillenleiber 
luf  Kaninchen  und  auf  Hunde.  Namentlich  bei  den  letzteren  werden 
wie  bei  anderen  Endotoxinen  bzw.  den  „sekundären"  Giften  oder 
Bakterienproteinen  hämorrhagische  Darmentzündungen  beobachtet 
Seiter  S.  914).  Die  Veränderungen,  die  stärkere  Erhitzung  und 
ähnlich  eingreifende  Verfahren  der  in  den  Leibern  enthaltenen  Gifte 
bewirken,  sind  wie  beim  Choleragift  gering:  sie  schwächen  die  Wirksam- 
keit des  Endotoxins,  ohne  sie  wesentlich  zu  verändern.  Die  Schwächung 
scheint  aber  zum  mindestens  was  die  Wirksamkeit  gegenüber  den 
Meerschweinchen  anlangt,  auch  hier  wie  bei  dem  Choleragift  nicht 
sehr  erheblich  zu  sein  (P  a  n  e  und  L  o  1 1  i  s.  u.). 

Die  Lösung  des  Giftes  aus  den  Leibern  der  Tjrphusbazillen  ist 
wie  bei  den  Cholerabazillen  auf  verschiedene  Weise  versucht  worden. 

Sie  gelingt  nach  Hahn  ^)  durch  Auspressen  der  zerriebenen  Bazillen 
unter  hohem  Druck,  noch  besser  nach  Macfadyen  und  Rowland*), 
wenn  man  die  Zerreibimg  bei  der  Temperatur  der  flüssigen  Luft  vornimmt. 
Der  Preßsaft  war  aber  auch  erst  tödlich  in  Mengen  von  0,02 — 0,05  ccro, 
was  einer  sehr  bedeutenden  Bakterienmasse  entspricht.  Besser  ist  es,  die 
Lösung  des  Giftes  durch  Zusatz  von  10  Teilen  O,lprozentiger  Kalilauge 
zu  den  zerkleinerten  Bazillen  zu  befördern  und  dann  auszuschleudern 
(M  a  cf  ad  y  en  •)).  Die  Lösung  enthält  nur  1%  feste  Bestandteile  und 
war  schon  in  Gaben  von  1 — 2  Tropfen  (intravenös)  für  Ziegen  tödlich. 
In  dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle  verliert  das  Gift  rasch  seine  ursprüng- 
liche Wirksamkeit,  länger  aufbewahrte  Zellsäfte  haben 
geringe  oder  gar  keine  Giftigkeit.  Über  die  Widerstands- 
fähigkeit gegen  Hitze  erfahren  wir  nichts.  Es  gelang  Macfadyen  mit 
diesem  „Endotoxin"  ziemlich  kräftige  Antitoxine  herzustellen. 

Durch  Behandlung  mit  chemischen  luid  physikalischen  Mitteln,  die 
die  Osmose  erleichtern  sollen,   zog  Balthazard  *)  das   Gift  aus  den 

1)  Münch.  med.  Woch.   1897.  48. 

2)  Zentralbl.  Bakt.  34.  7/8,  1903. 

3)  Zentr.  Bakt.  41.  266,  1906. 

4)  These  de  Paris  1903,  ref.  Bull.  Pasteur  1904,  35 


938  Kap.  XVI,    §  286. 

J^eibem  der  Typhusbazillen  aus.    Doch  ißt  das  Ergebnis  kein  sehr  befrie- 
digendes, da  eine  Petrische  Doppelschale  der  Kultur  schließlich  nur  zwei 
tödliche  Dosen  Gift  lieferte.    Einfacher,  aber  noch  weniger  ergiebig  ist  da« 
Verfahren   von   C  o  n  r  a  d  i  *) ,    das   übrigens   vielleicht   auf    den   älteren 
Erfahrungen  von  Sirotinin  *)  aufgebaut  ist:  man  braucht  die  Typhus- 
bazillen nur  in  0,8prozentige  Kochsalzlösung  aufzuschwemmen  tm.d  1  bL<( 
2  Tage  bei  37®  zu  halten.   Das  Filtrat  davon  kann  bei  35*  eingeengt  werden 
und  tötet  Meerschweinchen  von  300  g  vom  Bauchfell  aus  in  24  Stunden 
in  freilich  verhältnismäßig  großen  Mengen.    M.  H  a  h  n  ^)  erhielt  ähnliche 
Ergebnisse  mit  dicken  Aufschwemmungen  von  Bazillen  in  Kochsalzlösung 
oder  Darmpreßsaft,  tind  zwar  war  es  ziemlich  gleichgültig,   ob   er  diese 
„Autolyse*'  2  Tage  oder  viel  länger  wirken  ließ.    Antitoxine  ließen  sich 
gewinnen,  waren  aber  wenig  kräftig.    Man  braucht  auch  nicht  die  Auto- 
lyse,   sondern   man  kann  schon  durch  Ausschütteln  der  lebenden 
Bazillen  mit  destilliertem  Wasser  bei  gewöhnlicher  Temperatur  (F.  Meyer  u. 
Berg  eil*))  Gifte  erhalten.   Ähnliche  Erfahrungen  wurden  mit  chemischen 
Extraktionsmitteln  gemacht.    So  engte  Bitter')  14  tägige  Kulturen  der  Ty- 
phusbazillen in  5prozentiger  Glyzerinbouillon,  denen  er  noch  die  BeJcterien- 
rasen  von  Agarkulturen  zugesetzt  hatte,  im  luftleeren  Kaum  bei  30*  auf 
den  zehnten  Teil  ein  und  gewann  daraus  durch  Filtration  mittelst  KieseJ- 
guhr  ein  haltbares  Gift,  das  Kaninchen  in  Gaben  von  0,5  bis  1,0  ccm  von 
der  Blutbahn  aus  schnell  tötete.   Nach  Bitter  soll  dabei  das  Glyzerin 
(wie  im  Tuberkulin)  als  EytreJctionsmittel  für  das  Gift  wirken.    Mit  nodi 
besserem  Erfolge  benutzt  Besredka*)  zum  Ausziehen  des  Giftes  aa< 
den  trockenen  Bazillen  das  normale  Pferdeserum.    Die  Bazillen 
werden  dadurch  so  vollständig  von  ihrem  Gift  befreit,  daß  sie  erst  in  der 
zehnfachen  Gabe  für  Meerschweinchen  tödlich  sind.    Später')  zog  er  ein 
anderes  Verfahren  vor:  etwa  eine  Stunde  bei  60 •  erhitzte  Aufschwemmungen 
von   Typhusbazillen   in   Kochsalzlösung   wurden   im   Vakuum   getrocknet 
imd  mit  V»  ^is  V«  Teil  Kochsalz  verrieben.    Dann  setzt  man  imter  be- 
ständigem Verreiben  tropfenweise  destilliertes  Wasser  zu  und  füllt  bis  zur 
Konzentration  einer  physiologischen  Lösung  auf.    Durch  zweistündiges  Er- 
hitzen auf  60^  und  Absetzenlassen  erhält  man  schließlich  die  Giftlösung, 
die  sehr  haltbar  ist  und  sogar  Temperaturen  von  120®  verträgt.    0,125  bis 
0,25  ccm  töten  Meerschweinchen,   1, — 1,5  ccm  Kaninchen.    Auch  Bc8- 
r  e  d  k  a  gewann  mit  diesem  Gift  ein  anti  toxisch  es  Serum.    Weitere  Ver- 
fahren,  lim  das  Gift  den  Bazillen  zu  entziehen,  sind  die  Darstellung  des 
Nukleoproteids  durch  0,5%  Natronlauge  (T  u  r  r  o  •)) ,  die  Ver- 
dauung  mit  Trypsin  (Matthes  und  Gottstein*),  die  Be- 
handlung mit  wasserfreier  Salzsäure   (Meyer  und   Bergeil  s.  o.). 


1)  Deutsch,  med.  Woch.   1903.  2.  vgl.  Neisser  und  Shiga  ebenda 
1903.  4. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4.  289,   1888. 

3)  Münch.  med.  Woch.   1905.  23. 

4)  Borl.  klin.  Woch.   1907.   18. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.   12,   1892. 

6)  Armal.  Pasteur  1905. 

7)  Ebenda  1906. 

8)  Soc.  biol.  20.  VII.   1907. 

9)  24.  Kongf.  f.  innere  Medizin  1907. 


Gifte  der  Kleinwesen.  939 

Es  bedarf  aber  nach  unseren  Erfahrungen  (P  a  n  e  und  L  o  1 1  i , 
Bürgers  und  Hösch,  Jessner,  vgl.  §  319)  gar  nicht  dieser 
nehr  oder  weniger  umständlichen  Verfahren,  um  das  Endotoxin  der 
Typhusbazillen  in  Lösimg  zu  bringen;  wie  bei  den  Cholera  Vibrionen 
genügt  es,  die  Bazillen  —  in  kleinen  Mengen  Kochsalzlösung  (1  ccm 
luf  Vg — 1  Agarkultur)  aufgeschwemmt  —  bei  55 — 65°  1 — 2  Stimden 
iang  zu  erhitzen  und  dann  die  ausgeschleuderte,  wenn  man  will, 
loch  filtrierte  klare  Flüssigkeit  zu  benutzen.  Sie  tötet  Meerschwein- 
?hen  von  der  Bauchhöhle  aus  in  Gaben  von  etwa  1  Agarkultur  binnen 
20  Stunden,  und  zwar  gleichgültig,  ob  die  Bazillen  virulent  oder  nicht 
virulent  sind.  Kochen  des  Extraktes  verringert  die  Wirksamkeit 
etwa  auf  die  Hälfte.  Sehr  wahrscheinlich  beruht  die  starke  Wirksam- 
keit der  von  M.  N  e  i  ß  e  r  xmd  S  h  i  g  a  durch  „Autolyse"  erhaltenen 
Typhußgifte    (s.  o.)    auch    nur   auf    der   vorhergehenden    Erhitzung. 

Wie  bei  den  Cholerabazillen  lassen  sich  aber  auch  Gifte  aus  flüssigen 
Kulturen  der  Typhusbazillen  durch  Filtration  gewinnen.  Man 
kann  sie  als  Sekretgifte  (Ektotoxine)  bezeichnen,  zum  Teil  enthalten 
sie  aber  sicher  auch  die  gewöhnlichen  Endotoxine. 

Züchtet  man  freilich  die  nicht  besonders  ausgesuchten  Bazillen  in 
^gewöhnlicher  Bouillon,  so  sind  die  Filtrate  davon  nach  einigen  Tagen  so 
^it  wie  ungiftig  und  toten  mit  Sicherheit  selbst  nach  einigen  Wochen 
Wachstums  Meerschweinchen  von  300  ccm  höchstens  in  Mengen  von  4  bis 
6  ccm  (Sanarelli^),  Pfeiffer  und  Kolle).  Rodet,  Lagrif- 
f  o u  1  und  Wahlberg  *)  geben  sogar  an,  daß  unter  den  günstigsten 
Vinständen,  wenn  die  Bouillon  den  Bazillen  nur  in  dünner  Schicht,  d.  h. 
bei  reichlichem  Sauerstoff  zutritt  dargeboten  und  für  starke  Alkalisiening 
Sorge  getragen  wird,  das  Filtrat  erst  in  Gaben  von  4 — 6%  des  Körper- 
gewichts für  Meerschweinchen  (intraperitoneal)  imd  von  0,75%  für 
Kaninchen  (intravenös)  tödlich  wird.  Kräftiger  soll  das  Filtrat  erst  wirken, 
wenn  man  die  Typhusstämme  auswählt  und  auf  besonderen  Nähr- 
böden züchtet.  Chantemesse')  nimmt  dazu  ein  Verdauungsprodukt 
von  Pferdemilz,  das  er  sich  selbst  mit  Pepsin  und  Salzsäure  herstellt.  5-  bis 
^^*^gigo  Kulturen  sind  am  giftigsten,  immerhin  töten  auch  erst  10  ccm, 
intravenös  eingespritzt,  Kaninchen  von  2  kg.  Aber  selbst  dafür 
ist  die  Voraussetzung,  daß  die  Bazillen  von  vorn- 
herein eine  hohe  Giftigkeit  besitzen,  eine  Eigen- 
schaft, die  verhältnismäßig  selten  zu  sein  scheint 
und  durch  Übertragung  auf  Tiere  durchaus  nicht  immer  hervorzurufen 
ist.  Mittelst  seines  Typhusgiftes  gewann  Chantemesse  ein  Serum, 
das  antitoxisch  wirken  soll.  Später  haben  auch  andere  Forscher  mit  giftigen 
Filtraten  antitoxische  Sera  hergestellt,  so  Kr  aus  und  von  Stenitzer*), 
^eyer  und  Berg  eil  (s.  o.)  solche  aus  gewöhnlicher  Peptonboiüllon. 

1)  Annal.   Pasteur   1894.    199  (empfiehlt  subkutane  Impfimg). 

2)  Arch.  m6d.   exp^rim.    1904.   404  imd  Zentr.   Bakt.    36. 

3)  Presse  m^icale  1898  xmd  1902. 

4)  Wien.  klin.  Woch.   1907.   12. 


940  Kap.  XVI,   §  286  u.  287. 

Aronson^)  legte  Wert  darauf,  ein  üppiges  Oberflächenwachstuin  der 
Bazillen  zu  erzielen.  Die  Hauptsache  ist  auch  hier  wohl 
wieder  wie  bei  der  Gewinnung  der  Ektotoxine  von 
Choleravibrionen  dieEigenartdesbenutzten  Stam- 
mes. 

Mit  Fil traten  arbeitete  auch  Lange  *);  er  filtrierte  aber  nicht  künst- 
liche Kulturen,  sondern  das  Exsudat,  das  sich  unter  dem  Einfluß 
der  Typhusbazillen  in  der  Bauchhöhle  des  Meerschweinchens  bildet.  Da 
es  sich  schon  zu  einer  Zeit  giftig  erwies,  wo  die  Bazillen  im  Exsudat  noch 
auf  der  Höhe  ihrer  Lebensfähigkeit  standen,  so  schließt  Lange  daraus, 
daß  das  Gift  von  den  lebenden  Bazillen  ausgeschieden  würde.  Sicher  L^t 
dieser  Schluß  aber  keineswegs,  da  wir  wissen,  daß  im  ganzen  Verlauf  der 
Infektion  Bazillen  in  der  Bauchhöhle  absterben.  Schließlich  scheint  auch 
die  Giftmenge  in  dem  filtrierten  Exsudat  im  Vergleich  zu  der  Zahl  der 
im  Exsudat  vorhandenen  Bazillen  keine  sehr  bedeutende  zu  sein.  Die 
„Aggressinversuche"'  Bails  u.  a.  (§  319  u.  321)  beweisen  das,  Baii 
selbst*)  hat  in  Kaninchenexsudaten  eine  höhere  Giftigkeit  beobachtet, 
aber  nur  für  Kaninchen. 

Nach  der  Meinung  der  meisten  Forscher  wäre  das  Filtratgift  nicht 
als  ein  Sekret,  sondern  als  ein  Endotoxin  zu  betrachten,  das  erst  aus  den 
absterbenden  Bazillen  frei  wird.    Einen  mimittelbaren  Beweis  dafür  haben 
Rodet,    Lagriffoul   luid   Wahlberg    erbracht,    indem   sie   die 
Giftigkeit  der  Filtrate  und  der  auf  dem  Filter  zimickbleibenden  Bazillen- 
leiber miteinander  verglichen*):  in  jüngeren  Kulturen  waren  die  letz- 
teren, in  älteren  die  ersteren  giftiger.    Die  Autoren  selbst  neigen  freilich 
der  Ansicht  zu,  daß  die  Bazillen  das  Gift  bei  lebendigem  Leibe  sezemiereii, 
weil  die  lebenden  Bazillen  kräftigere  Giftwirkungen  entfalten,  als  die 
in  irgendeiner  Weise  abgetöteten  oder  freiwillig  abgestorbenen.    Man  kann 
diese  letztere  Tatsache  hier  wie  bei  der  Cholera  zugeben,  wird  sie  aber  wohl 
besser  in  dem  Sinne  deuten,  daß  die  Art,  wie  das  Absterben  erfolgt,  nicht 
gleichgültig  ist:  der  lebende  Körper  vermag  das  Gift  aus  den  Bazillen  ent- 
weder vollständiger  auszulaugen  oder  schädigt  es  dabei  weniger  (vgl.  das 
Anaphylatoxin  §  344).     Wenn  man  hieran  festhält,  so  ist  es  nichtsdesto- 
weniger sicher,  daß  eine   besonders    starke    Giftigkeit  der 
Typhusbazillen  nur  einzelnen  Typhusstämmen  eigen  ist. 
Wie  bei  der  Cholera  und  der  Dysenterie  u.  a.  scheint  es  sich  also  bei  dem 
Filtratgift  des  Typhus  um  ein  oder  mehrere  zu  den  gewöhn- 
lichen Endotoxinen  hinzutretende  Gifte  zu  handeln,  die  wegen 
ihrer  Unbeständigkeit  im  allgemeinen  keine  große  Bedeutung  haben  werden. 
Beim  Zustandekommen  der  Typhusvergiftung  fällt  die  Schwierigkeit  fort, 
die  sich   unserem   Verständnis   der   Choleravergiftung   dadurch   entgegen- 
stellte, daß  wir  erst  die  Aufnahme  der  Endotoxine  in  die  Säfte  beweisen 


1)  Berl.  klin.  Woch.   1907. 

2)  Compt.  rend.  soc.  biol.  1905,  771. 

3)  Wien.  kUn.  Woch.   1907. 

4)  Ein  einwandfreies  gesondertes  Studium  des  Filtrats  und  der  Bak- 
terienleiber gelang  freilich  nicht,  denn  die  ganze  Kultur  war  giftiger  als  die 
Mischung  von  Filtrat  und  Leibern;  es  muß  also  bei  der  Filtration  ein  Teil 
des  Giftes  verloren  gegangen  sein,  wenn  nicht  der  Unterschied  auf  der  un- 
gleichen Konzentration  des  Giftes  berulit. 


Gifte  der  Klein weeen.  941 

iiiissen.     I^t  doch  der  Typhus  im  Gegensatz  zu  der  Cholera  im  wenent- 
ichen  eine   Gewebs-,  ja  im  gewissen  Sinne  eine  Blutinfektion*). 

§  287.    Paratyphus-  und  Fleischgift.    Dem  Typhusbazillus 
schlieBt  sich  eng  an  die  Gruppe  des  Paratyphus*)  —  auch  Hogcholera 
)der  Salmonellagruppe  genannt  — ,  zu  der  die  Bac.  enteritidis, 
paratyphiA  undB,  des  Mäusetyphus,  der  Schweine- 
pest und  noch  manche  andere   für  Tiere  und  Menschen  pathogene 
Bakterien  gehören.    Die  giftigsten  imter  ihnen  scheinen  die  Bazillen 
der  unter  dem  Bilde  des  Brechdurchfalls  verlaufenden  Fleisch- 
vergiftung en  —  nicht  zu  verwechseln  mit  der    sog.   Wurst- 
vergiftung (§  282)  —  zu  sein,  die  freilich  zum  Teil  wieder  von  denen 
des  Paratyphus  nicht  zu  trennen  sind.   An  erster  Stelle  ist  zu  nennen 
der  Bac.  enteritidis  Gärtners^),  dessen  Gift  alskoch- 
fest bezeichnet  wird  imd  Mäusen,  Meerschweinchen,  Affen  ebenso 
wie   Menschen  auch  bei   Verfütterung  gefährlich  ist. 
Er  wurde  bei  einer  ganzen  Beihe  von  Epidemien  z.  B.  von  v.  Ermengem, 
de   Nebele,    B.   Fischer*)   wiedergefunden.    Das    Gift  steckt 
ursprünglich  wohl  in  den  Bakterienleibem  und  kann  aus  ihnen  im- 
mittelbar  oder  durch  Autolyse^)  gewonnen  werden,  geht  aber  auch  in 
älteren  Kulturen  in  Lösung  über,  ist  also  sowohl  in  frischen  Agarrasen 
wie  in  Filtraten  anzutreffen.    Beispielsweise  töteten  von  dem  Stamm 
der  Haustedter  Epidemie  (Fischer)  schon  0,8  mg  eines  bei  55** 
abgetöteten  Bakterienrasens  Meerschweinchen  von  220  g  binnen  24 
Stunden.    Andererseits   tötete   das   Filtrat  einer  7tägigen   Bouillon- 
Iniltur   aus   der  Riunflether   Epidemie*)   Mäuse   (intraperitoneal)   zu 
0,1  ccm,  Kaninchen  (intravenös)  zu  3  ccm  und  machte  Meerschweinchen 
zu  0,5  ccm  wenigstens  sehr  krank.    Ähnlich  verhalten  sich  die  Gifte 
des  von  Känsche,   Trautmann  u.   a.  imtersuchten  Fleisch- 
vergiftungsbazillus  (Bac.   Breslaviensis),    der  sonst  die  größte  Ähn- 
lichkeit mit  dem  Paratyphusbazillus  B  hat.     Die  Gifte  des  letzteren 
sollen  freilich  nach  Kutscher  und  M  e i  n i  c k e  ®)  u.  a.  nicht  koch- 
fest sein  oder  wenigstens  in  gekochtem  Zustand  Mäuse  erst  in  Gaben, 
die  sehr  groß  sind  (14  Agarkultur)  töten. 


1)  Über  die  mangelnde  Giftigkeit  bei  Einßpritzung  in  den  Magen 
<ider  Darm  vgl.  Sirotinin,  Beumer  und  P  e  i  p  e  r  (a.  a.  O. ),  S  a  n  a  - 
relli  (Annal.   Pasteur   1892  imd   1894),  Tschitkine  (ebenda   1904). 

2)  Vgl.  Trautmann,  Zeitschr.  f.  Hyg.  45.  168,  1903,  van  Er- 
"^  engem  im  Handb.  der  path.  Mikroorgan.  2.  639,  1903  und  Kut- 
scher, ebenda  Ergänzungsband  1,   1907. 

3)  Korrespondenzbl.   allgem.   ärztl.   Verein  Thüringens    1888.    9. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  39,  1902. 

5)  Cathcart,  Joxun.  of  hyg.   1906. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  52,  352. ' 


942  Kap.  XVI,   §  287. 

Nach  dem,  was  wir  früher  über  die  verhältnismäßig  geringe  Ab- 
Schwächung  des  Cholera-  und  Typhusendotoxins  durch  die  Siedehitze 
gesagt,  sollte  man  die  Kochfestigkeit  des  Fleischgiftes  nicht  für  eine 
bemerkenswerte  Eigenschaft  desselben  halten.  Indessen  sind  die  für 
diese  Versuchstiere  tödlichen  Gaben  des  Giftes  so  gering  und  weicht 
deren  Fähigkeit,  vom  Dannkanal  aus  zu  wirken,  so  von  der  aller  übrigen 
Endotoxine  ab,  daß  man  vielleicht  berechtigt  ist,  das  Fleischgift  doch 
als  einen  besonderen  Stoff  anzusehen,  der  von 
diesenBazillen  neben  demgewöhnlichschwächer 
wirksamen  Endotoxin  in  wechselnder  Menge 
gebildet  wird.  Möglich  wäre  es,  daß  gerade  besonders  stark 
infektiöse  Paratyphusbazillen,  wie  sie  Kutscher  und 
M  e  i  n  i  c  k  e  prüften,  dieser  „spezifischen^'  Giftigkeit  entbehrten.  Xui 
da,  wo  das  Fleischgift  außerhalb  des  Körpers  in  den  Nahrungsmittebi 
in  genügender  Menge  erzeugt  wird,  könnte  man  die  akuten  Sym- 
ptome des  Brechdurchfalles  als  Folge  seiner  Einverleibung  erwarten*). 

Mäusetyphusbazillen  sollen  nach  Löffler*)  —  aller- 
dings in  getrocknetem  Zustande  —  auch  noch  nach  zweistündiger  Er- 
hitzung auf  120°  in  Gaben  von  0,001 — 0,1  für  Feldmäuse  tödlich  sein. 

Für  die  gleichfalls  hierher  gehörigen  Schweinepest bazillen 
(Suipestifer,  Hogcholera)  liegen  mehr  Erfahrungen  vor.    Als  tödliche 
Mindestgabe  der  durch  Chloroform  abgetöteten  Bakterien  ermittelte 
V  o  g  e  s  ^)   10  mg  für  Meerschweinchen  von  200 — 300  g   bei   intra- 
peritonealer Einspritzimg.    Das  ist  ungefähr  dieselbe  Menge,  die  wir 
auch  bei  Cholera-  und  Typhusbakterien  gefunden  haben.    Die  Giftig- 
keit der  Bazillen  war  die  gleiche  bei  Abtötung  durch  Toluol  oder  2^pro- 
zentiges  Karbol,  etwas  geringer  nach  Behandlung  mit  Iprozentigem 
Trikresol  oder  einstündigem  Kochen,  am  geringsten,  d.  h.  kaum  halb 
so  groß  nach  halbstündiger  Einwirkung  von  Alkohol  absolutos.   Wir 
haben  also  auch  beim  Bac.  suipestifer  ein  hitzebeständiges  Gift  in  den 
Leibern,  das  aber  viel  weniger  kräftig  ist  als  das  des  Bac.  enteritidis, 
also  wohl  der  spezifischen  Eigenschaften  entbehrt.    Vielleicht  kommen 
daneben  aber  unter  Umständen  noch  andere  Giftstoffe  vor. 

Das  Siieholotoxin  de  Schweinitz'  wurde  schon  unter  den  Pto- 
inainen  (§  259)  erwähnt;  derselbe  Forscher*)  stellte  aus  3  Wochen  alten 
Milchkulturen  von  Hogcholerabakterien  durch  Fällen  mit  Alkohol,  Auf- 
lösen in  Wasser,  Niederschlagen  mit  basischem  Kalziumphosphat,  noch- 


1)  Vgl.  auch  Trautmann,  ebenda  48. 

2)  (iedenkschrift  f.  L  e  u  t  h  o  1  d  ,  1,   1906. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  23.  207,   1896. 

4)  15.   annual    report  of  the  bureau  of  chemical  industrv  for  1898 
S.  266,  1899. 


Gifte  der  Kleinwesen.  943 

ualigeB  Auflösen  mit  Wasser  und  Fällen  mit  Alkohol  ein  ,, Enzym**  dar, 
las  Gelatine,  Fibrin,  Albumin  und  Stärke  auflöste  und  daneben  auch  in 
iaben  von  0,05  g  tödliche  Vergiftimg  von  Meerschweinchen  erzeugte.  Be- 
nerkenswert  sind  femer  die  Ergebnisse  von  Seiander  *),Met8chni- 
k  o  f  f  ')  nnd  Silberschmidt  ').  Sie  fanden,  daß  sehr  bazillenreiches 
Blut  von  Kaninchen,  die  an  ganz  akuter  Hogcholera  zugrunde  gegangen 
ü^ren,  bei  57^  eine  Stunde  lang  erhitzt  \uid  dadurch  sterilisiert,  andere 
Tiere  derselben  Art  schon  in  verhältnismäßig  geringer  Menge  (0,5 — 3,5  ccm) 
ödlich  vergiftete.  Wirhaben  hier  also  die  sonst  nicht  beobachtete  Tatsache 
Is.  die  folgenden  Paragraphen),  daß  Tiere,  die  an  Bakterien- 
'«eptizäniie  sterben,  schon  in  einem  kleinen  Bruch- 
teil ihres  Blutes  soviel  Gift  enthalten,  daß  andere 
Tiere  derselbenArtund  Größedadurch  getötetwer- 
den.  Geringere  Blutmengen  rufen  eine  länger  dauernde  Vergiftung  hervor. 
Wird  das  Blut  bei  ÖO'*  sterilisiert,  so  verliert  es  viel  von  seiner  Wirksam- 
keit, ebenso  durch  Filtration.  Man  sollte  danach  denken,  daß  das  Gift 
im  Blutserum  nachweisbar  bliebe,  wenn  es  durch  Ausschleudern  von  Bak- 
terien befreit  würde.  Das  ist  aber  nach  E.  L  e  v  y  und  Beckmann*) 
nicht  der  Fall.  Selbst  in  großen  Gaben  (bis  zu  45  ccm)  war  es  für  andere 
Tiere  derselben  Art  ungiftig,  wenn  man  von  einer  Temperatursteigerung, 
die  auch  bei  Einspritzung  normalen  Blutes  eintritt,  absieht.  Ob  sich  dieses 
abweichende  Ergebnis  vielleicht  diu-ch  eine  geringere  Virulenz  der  von 
L  e  V  y  und  Beckmann  benutzten  Schweinepestbazillen  erklärt,  steht 
dahin  (vgl.  auch  Milzbrand   §  292). 

Bouillonkulturen  sind  übrigens  nach  Seiander  u.  a. 
beraerkenswerterweise  viel  weniger  giftig,  als  Blut,  obwohl  sie  ebenso- 
viel Bazillen  enthalten  als  das  letztere,  ein  Zeugnis  dafür,  wieviel  unter 
Umständen  auf  die  Beschaffenheit  des  Nährbodens  an- 
kommt. 

Die  Giftigkeit  der  Schweinepestbazillen  für  Schweine  studierten 
neuerdings  Uhlenhuth,  Hübener,  Xylander  und  B  o  h  t  z  ^). 
Sie  fanden,  daß  bei  60®  abgetötete  Bazillenleiber  intravenös  eingespritzt 
Tiere  unter  ähnlichen  Erscheinungen,  d.  h.  namentlich  mit  hämorrhagisch- 
diphtherischen  Veränderungen  im  Dickdarm  erkranken  ließen,  als  lebende 
Bazillen.  Eigentümlich  sind  diese  Wirkungen  aber  nicht,  denn  Bac.  enteri- 
ditis,  B.  coh,  dysenteriae  (und  schließlich  das  filtrierbare  Virus  der  eigent- 
lichen Schweinepest)  verursachten  ähnliche  Erscheinungen,  die  der  Endo- 
toxinvergiftung  der  Fleischfresser  ähneln  (S.   914). 

Hitzeempfindliche  Giftstoffe  haben  ferner  Kraus  und  v.  S  t  e  - 
n  i  t  z  e  r  •)  aus  manchen  Paratyphus-,  Mäusetyphus-  und  Schweinepest- 
kulturen gewonnen.  Sie  sollen  dem  Typhusgifte  derselben  Forscher  (S.  939) 
ähnlich  sein  und  auch  von  den  Typhusantitoxinen  neutralisiert  werden. 
Bisher  ist  es  sonst  noch  nicht  gelungen,  Tiere  gegen  die  Gifte  der  Para- 


1)  Annal.  Pasteur  1890. 

2)  Ebenda  1892. 

3)  Ebenda  1895. 

4)  Zentr.  Bakt.  43,   1907. 

5)  Arbeit,  d.   Gesundheitsamts  30.  69,   1909. 

6)  Wien.  klin.  Woch.   1907.  25. 


944  Kap.  XVI,   §  287  u.  288. 

typhusgruppe,  z.  B.  des  Bac.  enteritidis^)  oder  suipestifer')  zu  inuiiuni- 
nieren.  Die  wiederholt  geimpften  Tiere  erwiesen  sich  V  o  g  e  s  sogar  "wider- 
standsloser gegen  das  Gift  des  Suipestifer  als  normale. 

Die  Vergiftung  von  Tieren  und  Menschen  durch  die  Bazillen  der 
Paratyphusgruppe  ähnelt  in  vielen  Beziehungen  der  durch  den  Typhus- 
bazillus (§  286).  Doch  treten,  wenigstens  bei  den  kleinen  Versuchstieren, 
wenn  der  Tod  nicht  zu  schnell  erfolgt,  bei  der  Paratyphusvergiftung  häufig 
noch  spezifische  S3m[iptome  hervor,  nämlich  Lähmungen  *),  die  an 
den  Hinterbeinen  anfangen,  auch  Krämpfe  luid  in  den  inneren  Organen, 
besonders  der  Leber,  herdförmige  Gewebsne  kr  o  s  e  n.  Die 
letzteren  Veränderungen,  die  beim  Typhus  auch  nicht  ganz  fehlen,  bei 
der  (bazillären)  Hogcholera  bedeutenden  Umfang  erreichen,  verdanken 
nicht  etwa  Gefäßverstopfungen  durch  Bakterien  ihren  Ursprung,  sondern 
sind  Wirkungen  des  gelösten  Giftes*). 

§  288.    Gifte  des  Colibazillus.     Die   Gifte  des  Bac.  coli 
communis   oder  vielmehr   der  ganzen  hierher  gehörigen  großen 
Gruppe  verwandter  Bakterien  (einschl.  des.Bac  aerogenes,  pneumoniae, 
der  Eapselbazillen  usw.)  sind  bisher  nur  wenig  studiert  worden.     Was 
man  davon  weiß,  entspricht  im  allgemeinen  der  Schilderung,  die  wir 
von  dem   Gifte  des  Typ'iusbazillus  entworfen  haben.    Doch  werden 
wohl    Unterschiede    vorl: )mmen.     Nach    Sanarelli^)    wären   die 
Wirkungen  des  B.  coli  au.  den  Verdauungskanal  —  vom  Blute  aus  — 
lange  nicht  so  heftig,  als  die  des  Typhusbazillas.  Nach  Celli*)  sollen 
die  Abarten  des  B.  coli  je  nach  ihrem  Ursprung  verschiedene  toxische 
Wirkungen  auf  den  Darm  der  Feischfresser  (Hunde  und  Katzen)  hervor- 
rufen: der  Bac.  coli  der  Pflanzenfresser  soll  ihn  gar  nicht  beeinflussen, 
der  des  Menschen  blutige  Entzündimgen  im  Dünndarm,  der  von  Dysen- 
teriefällen und  aus  dem  Darm  junger  Katzen  stammende  „Bac.  coli 
dysentericus«  ebensolche  im  Dickdarm  verursachen. 


1)  Fischer  a.  a.  O. 

2)  Seiander,  Voges  a.  a.  O. 

3)  Auch  von  Citren  bei  Immunisierungen  mit  Schweinepest  be- 
obachtet (Zeitschr.  Hyg.  53,  545). 

4)  Vgl.  z.  B.  Fischer  a.  a.  O.,  S.  478.  Boxmayer  ( Joiim.  of 
raedic.  research.  1903)  und  Mallory  (Journ.  of  experim.  medic.  1903) 
erklären  sie  teils  durch  Verklumpung  einzelner  großer  Zellen,  die  phago- 
zytäre Eigenschaften  besitzen  sollen,  über  deren  Herkunft  aber  Zweifel 
bestehen,  teils  durch  hyaline  Thromben  aus  roten  Blutkörpem,  teils  durch 
unmittelbare  Veränderungen  der  Leberzellen  durch  das  Gift,  während  e« 
fraglich  sei,  ob  hyaline  Entartung  der  Kapillaren  allein  Nekros^i  machen 
könne.  Über  entsprechende  Veränderungen  durch  das  Diphtheriegift  vgl. 
Welch  und  Flexner,  John  Hopk.  Hosp.  Bull.  1891,  Nr.  15  und 
Babes  Baumg.   Jahresb.  1891.  231.    S.  auch   §  318  imd  Infektionslehre. 

5)  Annal.  Fast.   1894.  38. 

6)  Annali  d'igiene  sperim.  1896  vgl.  auch  Valenti,  ZenU^lbl. 
Bakt.  25,  C  e  1 1  i  in  der  Leyden-Festschrift  1,  1900,  Valagussa,  Annali 
d'igien.   1900. 


Gifte  der  Kleinweeen.  945 

XHe  Wirkung  des  GifteB  tritt  ein  nach  Einspritzung  in  den  Mast- 
u:m,  unter  die  Haut  oder  ins  Blut,  nicht  nach  Fütterung  oder  Einführung 
s  Duodenum.  Das  Gift  läßt  sich  aus  dem  Filtrat  3 — 12  tägiger  Bouillon- 
ilturen.  durch  Fällung  mit  2  Teilen  Alkohol  oder  durch  Extraktion  der 
if  Agar  gewachsenen  Leiber  mit  Iprozentiger  Natronlauge  gewinnen. 
)  mg  des  trockenen  Niederschlags^),  entsprechend  ungefähr  10  ccm  Fil- 
■^at,  toteti  junge  Kätzchen  von  der  Subkutis  aus.  Auch  das  Blut  von 
ysenteriekranken  oder  an  der  Vergiftung  gestorbenen  Katzen  soll  das  Gift 
ithalten.  Durch  Temperaturen  über  80"  soll  es  zerstört  werden.  Sehr 
npfindlich  ist  der  Esel  gegen  das  Celli  sehe  Gift.  Er  läßt  sich  aber 
äran  gewöhnen  und  liefert  schließlich  ein  Serum,  das  auch  am  ruhrkranken 
Menschen  anti toxische  Eigenschaften  entfalten  soll  (Celli  imd  V  a  1  a  - 
u  s  s  a). 

Die  Angaben  C  e  1 1  i  s  verlieren  an  Wert  durch  die  Feststellung, 
aß  alle  mögliclien  anderen  Leibesgifte  von  Bakterien  bei  Fleisch- 
'essem  ganz  ähnlich  wirken,  wie  das  des  B.  coli  dysentericus.  Schon 
1  u  y  1 8  (S.  931,  Anm.  1)  erzeugte  mit  reinem  Choleri^fte  bei  Hunden 
ämorrhagische  Darmentzündungen,  die  sich  vorwiegend  im  Dick- 
larm,  daneben  aber  auch  im  obersten  Teil  des  Dünndarms  lokalisierten, 
nd  hebt  ausdrücklich  hervor,  daß  das  Gift^des  gewöhnlichen  Coli- 
»azilliis  die  gleichen  Eigenschaften  habe.  Wir^ 'haben  dann  die  Sache 
reiter  studiert  imd  mit  vielen  anderen  Bakteriengiften  die  gleichen 
Ergebnisse  gehabt  (S.  914).  Es  handelt  sich  offenbar  bei  den  einzelnen 
Bakterien  nur  um  quantitative  Unterschiede.  Auch  die  Wirkung  auf 
.ndere  Tiere  (Meerschweinchen  und  Kaninchen)  ist  nach  S  1  u  y  t  s 
mm  Cholera-  und  Colibazillengift  die  gleiche.  Nur  überwiegt  bei  den 
Pflanzenfressern  die  Veränderung  des  Dünndarms. 

Neuerdings  haben  Carega,  Vaughan  und  W  h  e  e  1  e  r  aus 
'olibazillen  Gifte  mit  besonderen  Eigentümlichkeiten  dargestellt, 
Iber  die  das  letzte  Wort  noch  nicht  gesprochen  ist. 

Nach  Carega*)  erhält  man  durch  Eindicken  12  tägiger  Bouillon- 
culturen  bei  45®,  Niederschlagen  mit  Alkohol  und  Ausziehen  des  Nieder- 
ichlags  mit  0,5  prozentiger  Natronlauge  ein  lösliches,  durch  Essigsäure 
ällbares  „Nukleoalbumin"  imd  ein  unlösliches  ,, Nuklein".  Das  erstere 
'ötet  in  Gaben  von  0,02 g  auf  d&a  kg  Kaninchen  binnen  wenigen 
^linuten  vom  Blute  aus  und  ist  kochfest,  das  zweite  tötet  ebenso 
'chnell  in  Gaben  von  0,06 — 0,15,  wird  aber  durch  Kochen  zerstört.  Nach 
Vaughan  und  Wheeler  *)  bewirken  die  abgetöteten  getrockneten 
Mid  mit  Alkohol  und  Äther  entfetteten  Leiber  der  Colibazillen  bei  Meor- 
ichweinchen  vom  Bauchfell  aus  in  Gaben  von  5 — 10  mg  schnellen  Tod 
inter  den  Erscheinimgen  einer  blutigen  Peritonitis  und  einem  Temperatur- 


1)  Nach  Valagussa   (s.   o.)  waren   100 — 500  mg  nötig. 

2)  Zentr.  Bakt.  34,   1903. 

3)  Joum.  americ.  medic.  association  1905;  Journ.  of  medic.  research 
^^05  vgl.  Bull.  Paflteur  1905.  841  u.   1906,  576. 

Kruse,  Mikrobiologie.  60 


946  Kap.  XVI,   §  288  u.  289. 

abfall,  der  nach  einer  Wartezeit  von  4  Stunden  eintreten  soll.    Aus  diesem 
in  Wasser  unlösliohen  Bazillenpulver  erhält  man  ein  in  Wasser  und  Alkohol 
lösliches   Gift    dadurch,  daß  man  es  mit  einer  2  prozentigen  Lösung  von 
Natriumhydroxyd  in  absolutem  Alkohol  auskocht  und  dann  mit  Salzsäure 
neutralisiert.    Dies  Gift  tötet  Meerschweinchen  schon  in  8 — 10  mal  kleineren 
Gaben  und  binnen  einer  Stunde,  also  fast  ohne  Wartezeit,  unterKrämp- 
fen    durch    Stillegung    der    Atmung    und    verursacht    keine 
Peritonitis,   ist  also  dem  ursprünglichen   Coligift  unähnlich.     Dor   Rück- 
stand ist  in  Wasser  löslich,   aber  ungiftig.     Ganz   ähnliche  Erfahrungen 
machten   nun   aber   V  a  u  g  h  a  n   und   Wheeler^),    wenn   sie    Eiweiß 
u.  dgl.  einer  ähnlichen  Behandlung  unterwarfen;  auch  aus  diesen  an  sich 
ungiftigen    Körpern    ließ    sich    ein    alkohollösliches    Gift    mit 
gleichen  Eigenschaften,  wie  sie  ihr  Coligift  besaß,  und  ein  ungiftiger  Rück- 
stand gewinnen.    Diese  Ergebnisse  beweisen  luiseres  Erachtens  in  erster 
Linie,   wie  vorsichtig  man  sein  muß,   wenn  man   eingreifende  Methoden 
zur  Darstellung  von  Giften  anwendet.    Sie  sind  aber  auch  dazu  benutzt 
worden,    die  Frage    der    sog.    Überempfindlichkeit    zu    klären. 
Die     Krankheitserscheinungen,     welche     die     mit     alkalischem     Alkohol 
aus  Bakterien-  und  Eiweißstoffen  erhaltenen  Gifte  verursachen,  stimmen 
nämlich  überein  mit  dem  Vergiftungsbilde  beim  überempfindlichen  Tier. 
N  i  c  o  1 1  e  •)    hat,   wie  wir  weiter    unten    (§    344)   sehen  werden,  darauf 
eine  Theorie  der  Überempfindlichkeit  gegründet.    Die  bei  der  Behandlung 
von    Tieren  'mit    Giften    oder    Eiweißkörpern    entstehenden    Antikörper 
(„Toxine-"  und  „Albuminolysine")  sollen   nämlich    das  von    Vaughan 
gefiuidene  akute  Gift  erzeugen.  Über  eine  von  Friedberger  auf  eigene 
Versuche  gestützte  Abänderung  dieser  Theorie  s.  a.  a.  O. 

§  289.  Ruhrgifte.  Die  Giftigkeit  der  echtenRuhrbazil- 
1  e  n  fällt  jedem,  der  versucht,  Tiere  mit  ihnen  zu  immunisieren,  auf: 
die  meist  benutzten  Kaninchen  vertragen  die  Behandlimg  besonders 
schlecht,  imd  auch  Pferde  oder  Esel  reagieren  schon  auf  Bruchteile 
von  Agarkulturen,  die  bei  60°  sterilisiert  sind,  sehr  stark,  ja  gingen 
uns  sogar  einige  Male  schon  in  der  ersten  Zeit  der  Behandlung  zu- 
grunde. Die  nähere  Prüfung  der  Giftstoffe  hat  verwickelte  Verhältnisse 
aufgedeckt. 

C  o  n  r  a  d  i  ')  war  der  erste,  der  nachwies,  daß  abgetötete  Rulir- 
bazillen  oder  ihre  durch  Autolyse  erhaltenen  Stoffe  Kaninchen  nach  Ein- 
spritzimgen  ins  Blut  unter  charakteristischen  Vergiftungserscheinimgen. 
luiter  denen  namentlich  Lähmungen  und  blutige  Entzün- 
dungen im  Blinddarm  und  Dickdarm  hervortreten,  töt^n. 
N  e  i  ß  e  r  und  S  h  i  g  a  *)  erhielten  dasselbe  Bild  mit  Giften,  die  sie  diircli 
mehrtägigen  Aufenthalt  auf  60®  erhitzter  Bazillen  bei  37®  aus  diesen  auf- 
gezogen hatten,  nach  ähnlichem  Verfahren  auch  Vaillard  und  D o p - 


1)  Journ.  of  infect.  diseases  1907;  Zeitschr.  f.  Immunitätsforsch.  1,  IW- 

2)  Annal.  Fast.   1908.   1—3. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.  1903.  2,  vgl.  auch  v.  Dr  i  galski  in  der 
Veröffentl.   aus  dem   Gebiete  des  Militärsanitätswesens  H.   20,   1902. 

4)  Ebenda  1903.  4. 


Gifte  der  Klein wesen.  947 

>r^),  Flexner  und  Sweet*),  während  Rosenthal*),  Todd*), 
raus  und  Dörr  *)  mit  Filtraten  älterer  Kulturen  in  alkalischer  Boml- 
Q,  L  ü  d  k  e  ')  mit  dem  Safte  getrockneter,  in  flüssiger  Luft  zerriebener 
»Zilien,  Besredka')  mit  der  beim  Tjrphusbazillus  (S.  938)  be- 
hriebenen  Serum-Extri^tionsmethode,  Kraus  und  Dörr  durch  ein- 
ches  AuBT^aschen  der  Bazillen  mit  Kochsalzlösung,  K  i  k  u  c  h  i  *) , 
1  e  X  n  e  r  und  Sweet  durch  keimfrei  zentrifugierte  Exsudate  aus  der 
»uehhöhie    infizierter  Meerschweinchen   Erfolg  hatten. 

Vergleichende  Versuche  von  bedeutendem  Umfange,  die  diese  Be- 
nde   im    'wesentlichen  bestätigten  und   erweiterten,  wurden  außer  von 
ö  r  r  ,  von  Kolle,  Heller  und  deMestral*),    E.  Schotte- 
ns^^), sowie  von  mir^^)  und  meinen  Mitarbeitern,  namentlich  Selter^*) 
igestellt.     Als   bestes   und     einfachstes   Verfahren   zur 
ewinnung  des  für  Kaninchen  tödlichen  Giftes   be- 
ährte  sich  uns  die  Ausschleuderung  der  2  Stunden 
ang    bei    60 — 65°    erhitzten    Bazillenaufschwemmung 
1  wenig    Kochsalzlösung  (1  Agarkultur  auf  0,5  ccm).    Von  diesem 
ixtrakt   tötete  durchschnittlich  ^/^o — ^/4o  Agarkultur,  entsprechend  1  mg 
Züchter  Bazillen,  bei  manchen  Stämmen  war  mehr  erforderlich,  bei  einigen 
enügte  weniger,  selbst  der  30.  Teil  der  genannten  Gabe  (0,03  mg,    d.  h. 
twa  0,003  des  trockenen  Extraktes).    Durch  wiederholte  und  längere  Er- 
itzung    bei    60*   wird  das  Gift  den  Bazillen  zum  grösten  Teil  entzogen, 
s  ist  also  zwar  eui  „Endotoxin*',  aber  lockerer  gebunden  als  z.  B.  das 
"holeragift.    Autolyse,   oder  Ausschütteln  der  Bazillen  in  Wasser  ergeben 
weniger  kräftiger  Gifte,  aber  die  Filtration  2 — 3  Wochen  alter  stark  alkä- 
ischer Bouillonkulturen  solche  von  ähnlicher  Wirksamkeit.     Man  könnte 
aber  ebensogut  von  einem  „Ektotoxine"  sprechen. 

Die  wichtigsten  und  allein  beständigen  Erscheiniuigen  beim  Kaninchen 
►«stehen  in  Lähmungen,  die  von  hinten  nach  vorn  schreiten  und  in  Tagen 
•der  Wochen  unter  Hinzutreten  klonischer  Krämpfe  zum  Tode  führen. 
*^'ur  in  einem  Teil  der  Fälle  —  nach  unseren  eigenen  Beobachtimgen  ziem- 
ich  selten,  nach  anderen  häufiger  (bis  zu  33%^*))  —  meldet  sich  die  oben 
'rwähnte  hämorrhagische  Typhlitis.  Subkutane  Einverleibung  tötet 
•Kaninchen  viel  weniger  sicher  und  gewöhnlich  erst  in  größeren  Gaben.    Von 


1)  Annal.  Pasteur  1903. 

2)  Joum.  of  experim.  med.   1906. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.   1904.  7. 

4)  Joum.   of  hyg.    1904. 

5)  Wien.  klin.  Woch.  1905,  7  und  42;  Zeitschr.  f.  Hyg.  55,  1906;  vgl. 
mch  Dörr,  Das  Dysenterietoxin  1907  mit  Lit. 

6)  Zentr.  Bakt.  38,  1905. 

7)  Annal.  Pasteur  1906. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  52,   1905. 

9)  Arbeiten  des  Instit.  f.  Infekt.    Bern  1908;  vgl.  Zentr.  Bakt.  Ref. 
(2.  Bd.    Beilage  S.  30. 

10)  Med.  Klinik  1908.  32. 

11)  Deutsch,   med.  Woch.    1907.    9.      Verh.    Naturf.    Gesellsch.    Köhx 
1908,  n.  2,  670. 

12)  Zeitschr.   f.   Immunitätsforschg;  5,    1910. 

13)  Ob  diese  Schwankungen  davon  abhängen,  daß  gewisse  Bestand- 
teile der  Gifte  veränderlich  sind,  stellt  dahin. 

60* 


948  Kap.  XVI,   §  289. 

der  Dannoberfläche  aus  wirken  selbst  nach  unmittelbarer  Einspritzung 
in   den   Dünndarm   größte  Mengen  nicht.     Den  nervösen   Erscheinungpn 
liegt  eine  Poliomyelitis  anterior  (D  o  p  t  e  r  i) ,  Dörr)  zugrunde.  Dörr 
konnte  aber  eine  besondere  Verwandtschaft  der  Nervensubetanz  zu  dem 
Gift  ebensowenig  feststellen,  wie  eine  solche  der  betreff^iden  Abschnitte 
der  Darmwand.    F  1  e  x  n  e  r  und  Sweet  sowie  Dörr  nehmen  zur  Er- 
klärung der  Entzündung  des  Darms  an,  daß  durch  ihn  das  Gift  a  u  s  > 
geschieden  werde,  die  ersteren,  daß  auch  die  Leber  das  tue.    Da& 
erstere  ist  nicht  bewiesen,  das  letztere  durch  Dörr  widerlegt.     Das  ge- 
löste  Gift  wird  durch  Hitzegrade  zwischen  76  und  85*  angegriffen  und 
schließlich,  wenn  auch  langsamer  als  durch  die  Siedehitze,  zerstört.    Durch 
Alkohol  und  andere  Eiweißfällungsmittel  wird  es  mitgerissen  und  kann 
aus   dem   Niederschlag,    aber  nur   mit   Verlust,   wiedergewonnen   werden. 
24 stündige  Verdauung  in  Pepsinsalzsäure  schädigt  das   Gift  (Fl  e  x  n  e r 
und  Sweet),    nicht  Behandlung  mit  Glyzerin,  Trypsin,  Darmsaft  oder 
Galle  (Dörr),  wohl  wieder  längere  Verdauung  mit  Trypsin  (Fl  exner 
und  Sweet,  wir  selbst).    Die  Dünndarmwand  des  Kaninchens,  nicht  die 
anderer  Tiere  oder  Darmteile,  entzieht  merkwürdigerweise  das  Gift  seinen 
Lösungen   (D  ö  r  r).     Kaninchen   sind   schwer,   größere  Tiere,   namentlich 
Pferde  und  Esel,  leicht  gegen  das  Gift  zu  immunisieren,  von  den  letzteren 
erhält  man  dann,  wie  seit  Rosenthal  und  T  o  d  d  alle  Forscher  fest- 
gestellt haben,  sehr  kräftige  Antitoxine  imd  zwcu*  gleichgrültig,   ob  man 
mit  Filtrat-  oder  Extraktgiften  behandelt. 

Affen  sind  bei  Einspritzung  ins  Blut  für  dieses  hitzeempfindliche 
Gift  ähnlich  empfänglich  wie  die  Kaninchen,  vertragen  aber  von  der  Unter- 
haut aus  geradezu  riesige  Mengen  davon,  ohne  erheblich  zu  erkranken 
(Dörr,  Kruse  und  Bürgers).  Woran  das  liegt,  sind  wir  gerade  dabei, 
zu  ermitteln.  Esel  und  Pferde  sind,  wie  oben  bemerkt,  auch 
recht  empfänglich  für  die  giftigen  Wirkiuigen  der  Ruhrbazillen,  es  wäre  aber 
noch  festzustellen,  ob  sie  diu-ch  dasselbe  Gift  beeinflußt  werden  wie  die 
Kaninchen.     Schafe  und  Ziegen  sind  weit  unempfänglicher. 

Mäuse  sollen  nach   Kolle,   Heller  und  de  Mestral  für 
Versuche  mit  dem  „Kaninchengift*'  besonders  brauchbar  sein,  wir  haben 
aber  das  Gegenteil  gesehen.    Meerschweinchen  sind  dag^en  nach 
übereinstimmender  Angabe  fast  aller  Forscher  dc^ür  so  gut  wie  unemp- 
fänglich, wie  schon  daraus  folgt,  daß  imser  Ruhrbazillenextrakt  im  ge- 
kochten Zustand  für  sie  nicht  viel  weniger  —  etwa  halb  so  —  gi/tig  ist 
als  in  ungekochtem.   Außerdem  bedarf  man,  tun  Meerschweinchen  zu  töten, 
erheblich  größerer  Mengen  als  bei  Kaninchen;  durchschnitthch  genügt  der 
Extrakt  von  1  bis  höchstens  2  Agarkulturen,  um  den  Tod  eines  200—250  g 
schweren  Tieres  in  weniger  als  24  Stimden  herbeizuführen.    Die  Erschei- 
nungen entsprochen  genau  den  bekannten  der  Endotoxinvergiftung  (siehe 
Cholera  und  Typhus).    Es  gibt  aber  echte  Ruhrkulturen,  die  für  das  Meer- 
schweinchen   noch    weit    ungiftiger    sind.     Das    sind    bezeichnenderweise 
solche,  die  ihre  Virulenz  für  diese  Tiere  fast  völlig  eingebüßt  haben, 
während  sie  umgekehrt  für  Kaninchen  besonders  giftig  zu  sein  scheinen. 
Wieder    ein   Beweis    der   völligen   Verschiedenheit   des   Meerschweinchen- 
und  Kaninchengiftes. 


1)   Annal.  Pasteur  1905. 


Gifte  der  Klein wesen.  949 

DaraoB  folgt,  daß  in  den  Buhrbazillen  mindestens  zwei  Endo- 
•xine  zu  unterscheiden  sind:  das  in  seinen  Wirkungen 
urchaus  eigentümliche  hi  t  z  ee  mpf  in  dl  i  ch  e  „Kanin- 
hengif  t'^  und  ein  gewöhnliches  hitzebeständiges 
ndotoxin.  Die  nähere  Prüfung  hat  tms  aber  gezeigt  (vgl. 
*i  S  e  1 1  e  r) ,  daß  dieses  letztere  „Meerschweinchengift^'  vielleicht 
ich  nicht  ein  einheithcher  Körper  ist,  sondern  wieder  in  zwei  Formen 
iftritt,  die  sich  mindestens  durch  ihr  Verhalten  zu  unserem  mit  ab- 
?toteten  Kulturen  vom  Esel  gewonnenen  Immunserum  und  ihre 
agleiche  Löelichkeit,  vielleicht  aber  auch  durch  ihre  physiologischen 
rirkimgen  xinterscheiden.  Behandelt  man  nämUch  Meerschweinchen 
dt  unserem  Extraktgift,  so  pflegen  sie  nur  an  großen  Gaben  in  einem, 
pätestens  einigen  Tagen  zu  sterben,  erholen  sich  aber  nach  kleinen 
raben  ziemlich  schnell.  Verimpft  man  dagegen  die  einmal  ausgezogenen 
(aziUenleiber  (oder  die  daraus  neu  gewonnenen  Extrakte),  so  sterben 
ie  Tiere  zwar  an  großen  Gaben  unter  ähnlichen  Erscheinimgen,  er- 
legen aber  auch  sehr  viel  kleineren  —  ebenso  wie  an  nicht  akut  töd- 
ichen  Mengen  lebender  Bazillen  —  noch  nach  Tagen  imd  Wochen 
inter  starker  Abmagerung.  Gegen  die  Vergiftungen  ebenso  wie  gegen 
lie  Wirkungen  der  durch  wiederholtes  Ausziehen  der  Leiber  bei  60 — 100® 
rhaltenen  zweiten  Extrakte  schützt  unser  Immunserum  in  gewissem 
Trade,  während  das  erste  Extraktgift  durch  dasselbe  nicht  beeinflußt 
rird. 

Auch  Hunde  imd  andere  Fleischfresser  werden  durch  Ruhr- 
»azillen  vergiftet,  und  zwar  sterben  sie,  wie  ich  mit  Seiter  festgestellt, 
besonders  nach  intravenöser  Darreichtmg  unter  dem  bekannten  Bilde 
1er  putriden  Intoxikation  oder  der  Sepsinvergiftung  (S.  914),  d.  h. 
Lach  schnell  einsetzenden  imd  vorübergehenden  nervösen  Erschei- 
nungen (Zittern,  Brechen,  Kraftlosigkeit)  mit  blutiger  Darm- 

ützündung,  die  sich  hauptsächlich  in  den  oberen  und  unteren 
Öarmabschnitten,  oft  aber  auch  in  der  ganzen  Länge  oder  nur  im 
interen  Teil  bemerkbar  macht.    Andere  Forscher,  vor  allem  V  a  i  1  - 

a  r  d  und  D  o  p  t  e  r  ,  sowie  Dörr  glaubten  darin  die  spezifischen 
*^irkungen  des  Kaninchengiftes  erkennen  zu  sollen,  aber  wir  erhielten 
tue  gleichen  Veränderungen,  wenn  auch  erst  mit  größeren  Gaben  ge- 
kochter Bazillen,  sowie  mit  vielen  anderen  Bakterien.  Eine  Verwandt- 
schaft unseres  Hundegiftes  zum  Ruhrimmunserum  haben  wir  mit 
Sicherheit  nicht  feststellen  können. 

Die  Pseudodysenteriebazillen  sind  nur  ausnahms- 
weise für  Kaninchen  so  giftig  wie  die  Ruhrbazillen,  immerhin  haben 

^  selber  einige  Fälle  beobachtet,  wo  die  charakteristischen  Erschei- 

^^gen  am  Darm  auftraten,  und  vielleicht  istVaillard  und  Dop- 


950  Kap.  XVI.   §  289  u.  290. 

t  e  r  dasselbe  begegnet.   Im  allgemeinen  bedarf  man  aber  viel  größerer 
Mengen,  um  Kaninchen  zu  töten,  und  es  fehlen  die  bekannten  Eischei- 
nungen.     Der   regelmäßige   Mangel    des    „Kaninchengiftes"^    bei   den 
Pseudodysenteriebazillen  entspricht  auch  der  von  uns  und  anderen 
gemachten  Erfahrung,  daß  man  diese  Tiere  leicht  gegen  sie  immuni- 
sieren kann.    Gregenüber  Meerschweinchen,  Himden  und  anscheinend 
auch  Pferden  verhalten  sie  sich  ähnlich  wie  echte  Dysenteriebazillen. 
Es  fragt  sich,  welche  von  den  verschiedenen  Giften  der  Buhr- 
bazillen  für  die  Ruhr  der  Menschen^)  in  Betracht  konmaen.    Aus  dem 
Umstände,   daß  die  Pseudodysenteriebazillen,  die  des  Kaninchengifts 
ermangeln,  beim  Menschen  im  wesentlichen  die  gleichen  Veränderungen 
setzen  wie  die  Dysenteriebazillen,  kann  man  schon  den  Schluß  ziehen, 
daß  das  letztere  Gift  hier  ebenso  bedeutungslos  ist  wie  für  Meerschwein- 
chen; auch  die  für  die  Kaninchen  so  wichtigen  Lähmungen  kommen 
bei  der  Ruhr  ja  nur  außerordentlich  selten  vor,  wohl  nicht  häufiger 
wie  bei  allen  möglichen  anderen  Infektionen.   Umgekehrt  gleichen  die 
Schwächezustände,  die  starke  Abmagerung  der  Ruhrkranken  den  Krank- 
heitserscheinungen bei  den  Meerschweinchen,  die  auch  in  der  Beziehung 
dem  Menschen  näher  stehen  als  die  Kaninchen,  daß  sie  der  Infektion 
mit  Ruhrbazillen  viel  zugänglicher  sind.   Bisher  ist  es  freilich  noch  bei 
keinem   Tier  gelungen,   die   örtliche   Infektion   im   Darm 
wiederzuerzeugen.    Da  diese  aber  gerade  das  wesentlichste  Merkmal 
der  menschlichen  Erkrankung  darstellt  und  die  örtlichen  Verände- 
rungen in  der  Darmwand  ausreichend  erklärt,  ist  es  ganz  überflüssig, 
für  die  letzten  wieder  das  Darmgift  des  Kaninchens  verantwortlich 
zu  machen  und  auch  beim  Menschen  die  Darmverändenmg  auf  dem 
Umwege  über  die  Blutbahn  zustande  kommen  zu  lassen. 

§290.    Die  Gifte  der  hämorrhagischen  Septizämien.    Am 

längsten  bekannt  ist  die  Giftigkeit  der  Bazillen  der  hämor- 
rhagischen Septizämie*),  die  auch  als  P  as  teure  11a- 
g  r  u  p  p  e  zusammengefaßt  werden.  Schon  Pasteur*)  erzielte 
durch  Einspritzen  größerer  Mengen  von  durch  Porzellan  filtrierten 
Bouillonkulturen  des  Hühnercholerabakteriums  zwar  nicht  den  Tod, 
aber  deutliche  Erkrankung  der  Hühner.  V  o  g  e  s  *)  stellte  aber  erst 
genauer  die  Bedingungen  für  die  Giftigkeit  der  Kulturen  dieser  und 
der  verwandten  Bazillen  fest.  Er  fand  zunächst  für  filtrierte  Bouillon- 
kulturen der  Kaninchenseptizämie,  daß  sie  Meerschweinchen  vom  Bauch- 

1 )  Über  einige  Versuche  mit  Ruhrgift  am  Menschen  vgl.  Pfeiffer 
imd  Ungermann,  Zentr.  Bakt.  50,   1909. 

2)  Über  ein  Ptomain  der   Schweineeeuchebakterien  vgl.   S.  819. 

3)  Compt.  rend.  ac.  sc.  90,  1880. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  23,   1896. 


Gifte  der  Kleinweeen.  951 

II  in  Gaben  von  2- — 3  ccm  nicht  töten,  so  lange  sie  nicht  älter  sind 
s  1 — 6  Wochen,  nach  einem  Wachstum  von  9  Wochen  aber  doch 
idlich  werden.  Ganze,  d.  h.  imfiltrierte  Bouillonkultnren,  die  durch 
hlorofonn  oder  Trikresol  abgetötet  worden,  riefen  schon,  wenn  sie  nicht 
?hr  alt  waren,  und  in  kleineren  Mengen  den  Tod  hervor.  Die  Ursache 
afür  liegt  wohl  zum  Teil  darin,  daß  das  Gift  ursprünglich  in 
en  B  a  k  t  e  r  i  en  1  e  i  her  n  sitzt  und  daraus  erst  all- 
lählich  in  Lösung  übergeführt  wird^). 

Für  ganz  junge  durch  Chloroform  abgetötete  Bakterienrasen  von 
Li^arkulturen  der  einzelnen  Bakterienvarietäten  stellte  V  o  g  e  s  folgende 
tufenleiter  der  Giftigkeit  auf.  Es  wurden  Meerschweinchen  von  200  bis 
?»0  g  vom  Bauchfell  aus  getötet  durch: 

8 — 10  mg  des  Bazillus  der  deutschen  Schweineseuche  (B.  suisepticus) 
12    „      „  „         der  amerikanischen       „ 

16    „      „  „         der  Hühnercholera 

20    „      „  „         Kaninchenseptizämie 

40    „      „  „         der  Wildseuche. 

^fan  sieht  aus  diesen  erheblichen  Unterschieden,  daß  es  nicht  etwa  die 
.^anze  Masse  der  Bakterienleiber  ist,  die  giftig  wirkt,  sondern  daß  das  Gift 
lur  einen  (wahrscheinlich  kleinen)  Bestandteil  des  Bakterienleibes  aus- 
nacht.  Es  werden  auch  hier  wie  bei  anderen  Bakterien  bei  einer  luid  der- 
selben Abart  je  nach  der  Rasse  Schwankungen  der  Giftigkeit  vorkommen 
v?l.  Cholera,  Fleischgift  usw.).  Das  schließt  aber  nicht  aus,  daß  die  Giftig- 
keit eine  unter  Umständen  ziemlich  beständige  Eigenschaft  deurstellt;  so 
and  sie  V  o  g  e  s  völlig  gleich  bei  seinen  Kulturen  der  deutschen  Schweine- 
Seuche,  ob  er  sie  nun  in  stark  abgeschwächtem  oder  hochinfektiösem  Zu- 
stand verwandte.  Das  Verfahren,  durch  welches  die  Abtötung  der  Bak- 
terien bewirkt  wurde,  war  nicht  gleichgültig  für  ihre  Giftigkeit.  Am  wirk- 
•«amsten  waren  die  Leiber,  wenn  sie  durch  Erhitzung  auf  55 — 60®,  oder 
C'hloroform  oder  Karbolsäure  abgetötet  waren,  die  übrigen  chemischen 
und  physikalischen  Mittel  (Trikresol,  Toluol,  Abkochen)  waren  bald  mehr 
bald  weniger  geeignet  zur  Konservierung  des  Giftes;  der  Alkohol  absolutus 
erwies  sich  am  schädlichsten.  Bemerkenswert  ist  auch  für  diese  Endo- 
toxine,  daß  die  Siedehitze, besonderswennsienurlOMi- 
nuten  einwirkte,  die  Giftigkeit  der  Bazillen  ver- 
hältnismäßig wenig  oder  überhaupt  nicht  beein- 
trächtigte*). 

Es  gelang  V  o  g  e  s  nicht,  Versuchstiere  gegen  das  Gift  der  hämor- 
rhagischen   Septizämie    zu   immunisieren.     Die  länger   behandelten   Tiere 


1)  Doch  zeigt  ein  Vergleich  der  Giftmengen,  die  in  den  frischen 
Bakterienleibem  und  in  Fil traten  älterer  Bouillonkulturen  enthalten  sind, 
<iaß  die  ersteren  kleiner  sind.  Es  scheinen  also  die  Gifte  wenigstens  zum 
Teil,  wie  bei  der  Diphtherie  und  der  Bubonenpest  (s.  u.),  erst  in  späteren 
Gnt Wicklungsstadien  der  Kultiur  zu  entstehen.  Weitere  Untersuchiuigen 
darüber  wären  erwünscht. 

2)  Über  die  ungleiche  Wirksamkeit  des  Giftes  von  verschiedenen 
Körperstellen  aus  vgl.   S.  862. 


952  Kap.  XVI,   §  290  u.  291. 

wurden  sogar  weniger  widerstandsfähig.  Macfadyen^)  hat  durch 
Verreibung  der  Schweineseuchebazillen  bei  der  Temperatur  der  flüssigen 
Luft,  Behandeln  mit  l®/oo  Kalilauge  und  Zentrifugieren  eine  Lösung  er- 
halten, die  in  Mengen  von  0,1 — 0,5  ccm  (1,5  mg  Trockensubstanz)  Meer- 
schweinchen akut  tötete  und  auch  für  Mäuse  und  Kaninchoi  giftig  war. 
Später  zeigten  sich  gelegentlich  der  Aggressin-  und  Immunisieningsversuche 
mit  Schwöineseuche  und  Hühnercholera  auch  die  serösen  und  nament- 
lich die  wässerigen  Extrakte  dieser  Bakterien  giftig  (C  i  t  r  o  n  \md  Pütz 
§  319). 

§  29L  Pestgifte.  Der  hämorrhagischen  Septizämie  reiht  sich 
die  Bubonenpestan.  Doch  sind  die  Verhältnisse  der  Giftbildung 
bei  der  Pest,  soweit  man  bisher  sehen  kann,  verwickelter.  Besonders 
M  a  r  k  1  2)  und  K  o  11  e  ^)  haben  sich  um  ihr  Studium  verdient  ge- 
macht. Zunächst  stimmen  alle  Untersucher*)  darin  überein,  daß 
frische  Pestkulturen  ziemlich  wenig  giftig  sind.  Am  ehesten  läßt 
sich  hier  noch  die  Giftigkeit  der  Bazillenleiber  nach- 
weisen. Doch  werden  Meerschweinchen  und  andere  Tiere  bei  intra- 
peritonealer und  Kaninchen  bei  intravenöser  Einspritzung  erst  durch 
etwas  größere  Mengen  der  Bazillenleiber  akut  getötet,  als  wir  bei  Cholera. 
Typhus  usw.  angegeben  haben. 

So  töteten  nach  Albrecht  und  G  h  o  n  selbst  V» — Vs  des  3  Stunden 
bei  55®  und  danach  1  Stunde  bei  60®  sterilisierten  Bakterienrasens  einer 
Petrischale  Meerschweinchen  von  260  g  erst  binnen  einem  Monat.  Affen 
(Macacus)  vertrugen  nach  der  deutschen  Konunission  55  mg  getrockneter 
Pestbazillen,  die  entweder  durch  zweistündiges  Erhitzen  auf  51°  oder  ein- 
stündiges Erhitzen  auf  65®  oder  20  stündige  Einwirkung  von  0,5%  Phenol 
oder  30 stündige  Behandlung  mit  Chloroform  abgetötet  waren,  d.  h.  250 
bis  300  mg  der  feuchten  Bazillensubstanz  bei  intraperitonealer  Einspritzung 
ohne  irgendwie  erhebliche  Vergiftungssymptome.  Mäuse  blieben  nach 
M  a  r  k  1  ebenfalls  gestmd,  wenn  ihnen  etwa  1  mg  der  erhitzten  Bcoillen- 
leiber  intraperitoneal  einverleibt  wurde,  starben  allerdings  schon  an  0,1  mg 
der  durch  Chloroform  sterilisierten  Pestbazillen  binnen  24  Stunden.  Graue 
Ratten  sind  nach  K  o  1 1  e  besser  zur  Prüfung  der  Giftwirkung  geeignet, 
weil  sie  gleichmäßiger  refkgieren  als  Mäuse  und  empfindlicher  sind  als  die 
übrigen  Tiere.  Eine  Angabe  über  die  tödliche  Dosis  macht  er  aber  nicht. 
Nach  Lustig  imd  G  a  1  e  o  1 1  i  soll  das  „Nukleoproteid",  das  man  aas 
den  Pestbazillen  durch  Ausziehen  mit  0,75prozentiger  KaUlöeung  und 
Fällen    mit   Essig-    oder    Salzsäure   gewinnen   kann.    Hatten,    Mäuse  luid 


1)  Zentr.  Bakt.  43,   143,   1907. 

2)  Zentr.  Bakt.  24,  1898  und  Zeit«chr.  f.  Hyg.  37. 

3)  Festschrift  für  Koch  1903. 

4)  Yersin,  Calmette  und  B  o  r  r  e  1 ,  Annal.  Pasteur  1895; 
Lustig  imd  G  a  1  e  o  1 1  i ,  Deutsch,  med.  Woch.  1897.  15  und  19;  W  er • 
nicke,  ref.  Zentr.  Bakt.  24.  859,  1898;  Bericht  der  Deutschen  Pest- 
kommission (Arb.  d.  Gesundheitsamts  16.  300,  1899);  der  Österreichißclien 
Pestkommission  (Albrocht  und  G  h  o  n ,  Denkschr.  klin.  Akad.  Wi»». 
nmlli.-naturw.    Kl.    Bd.    66,   Teil   III,    S.    780,    1900). 


Gifte  der  Kleinwesen.  953 

vaninchen  in  Mengen  von  1 — 8  mg  der  Trockensubstanz  auf  je  100  Körper- 
rewicht  töten.  Doch  bestimmt  M  a  r  k  1  nach  derselben  Methode  die  töd* 
iche  Mininoialdosis  für  Mäuse  auf  3,5  mg  der  trockenen  Präparate.  Der 
^^ßt«  Teil  des  Giftes  geht  also  bei  dieser  Art  der  Darstellung  verloren. 
kV  e  rn  i  c  k  e  hat  dagegen  mit  Glück  versucht,  das  Gift  aus  den  Bazillen- 
leibem  durch  Glyzerin  auszuziehen.  Es  gelang  ihm,  Mäuse  mit  0,5  mg 
i;eines  Präparate  zu  töten.  Besredka  ^)  konnte  ebenso  wie  aus  den 
Fyphusbazillen  (S.  938)  das  Gift  aus  den  getrockneten  Pestbazillen  durch 
Behandlung  mit  normalem  Pferdeserum  oder  Verreiben  mit  Koch- 
salz und  Ausziehen  mit  Wasser  gewinnen.  Es  soll  im  Gegensatz  zu  dem 
Typhusgift    Erhitzen  auf   70®  nicht  vertragen. 

Frisclie  Bouillonkulturen  sind  nach  Kollo  für  Ratten  in 
Gaben  von  0,5 — 1  com  tödlich,  wenn  sie  im  ganzen  durch  y^prozentige 
Karbolsäure  oder  t)berschichtung  mit  Toluol  sterilisiert  sind.  Ihre 
Filtrate  sind  5 — 10  mal  weniger  wirksam.  Die  Vergiftnmg  tritt  immer 
erst  nach  einer  Inkubationszeit  von  6 — 8  Stunden  zutage  unter  dem 
bekannten  Bilde  des  Kollapses  ohne  Krämpfe.  K  o  1 1  e  schließt,  daß 
das  eigentliche  Festgift  in  den  Leibern  sitze  und  nur  allmählich  aus 
ihnen  ausgelaugt  werde.  Er  setzt  sich  dadurch  in  Widerspruch  zu 
M  a  r  k  1 ,  der  das  Pestgift  für  ein  Sekretionsprodukt  der  Bakterien 
ansieht.  Sehrviel  kräftigere  Gifte  erhält  man  näm- 
lich, wenn  man  ältere  Bouillonkulturen  filtriert. 

Doch    sind    dabei    verschiedene    Vorsichtsmaßregeln    zu    beobachten. 
Zunächst   ist    es   nicht   gleichgültig,    welchen    Pest- 
bazillenstamm    man    benutzt,    vielleicht    ein    Beweis    dafür, 
vlaß  die  Feetbazillen,  wie  Cholera-  und  Typhusbazillen  usw.  gewisse  Gifte 
nur  gel^entlich  erzeugen,  diese  daher  auch  wohl  für  die  natürliche  In- 
fektion  nur   geringe   Bedeutung  haben.     Bei   längerer   Fortzüchtung  auf 
künstlichen    Nährböden,    insbesondere     bei    Bruttemperatur,     kann    die 
Giftigkeit  der  Bazillen  größtenteils  verloren  gehen,  ohne  daß  ihre  Infek- 
tiosität,  d.  h.   ihre  Wirksamkeit  im  lebenden  Zustand,  dabei   wesentlich 
litte.    Werden  dergleichen  Stämme  aber  wiederholt  durch  Tiere  hindurch- 
geschickt, so  können  sie  wieder  giftig  werden.    Hat  man  giftige  Bazillen 
zur  Verfügung,  so  muß  man  dafür  Sorge  tragen,  daß  sie  bei  Zimmer- 
temperatur (20®)  und  reichlichem  Sauerstoffzutritt  wach- 
sen, dia  Bruttemperatur  und  vor  allem  beschränkte  Luftzufuhr  die  Bildung 
des  Giftes  hintanhalten.    Die  Reaktion  des  Nährbodens  hat  viel  weniger 
Einfluß;  nützlich  erweist  sich  ein  Zusatz  von   Serum  zur  Bouillon;  am 
giftigsten  sind  die  Filtrate  nach   1 — 2  Monaten.     Sie  töten  Mäuse  intra- 
peritoneal  schon  in  Mengen   von   0,005 — 0,02  ccm    binnen   24    Stimden, 
Ratten  in  der  10  mal  größeren  Gabe.    Kaninchen  erliegen  manchmal  schon 
nach    intravenöser    Einspritzung    von    Y^ — 1  ccm,   Meerschweinchen    erst 
nach  solcher  von  10  ccm  (intraperitoneal)  in  demselben  Zeitraiim,  doch 
genügen    bei    Hatten,    Meerschweinchen   und    Kaninchen    schon    kleinere 
Giftgaben,  um  schleichendes  Siechtum  und  Tod  zu  bewirken. 
Die  Krankheitserscheinungen  bestehen  bei  der  akuten  Vergiftung  in  Tem- 

1)  Annal.  Pasteur  1905.  7  und  1906.  4. 


954  Kap.  XVI,   §  291  u.  292. 

peraturabfall  und  oft  lange  dauernden  Krämpfen,  die  ohne  Inkubation^«- 
zeit  auftreten,  bei  der  chronischen  in  Abmagerung,  BEaarausfall  und  schließ- 
lich ebenfalls  in  Krämpfen.  In  den  Organen  finden  sich,  namentlich  bei 
Ratten,  Hämorrhagien  und  Gewebsnekrosen  neben  Atrophie  und  Ver- 
f  ettiuig.  Nach  M  a  r  k  1  wirkt  die  viertelstündige  Erhitzung  der  Filtrate 
auf  70 **  auf  deren  Giftigkeit  in  verschiedener  Weise.  Mäuse  sterben  danach 
überhaupt  nicht  mehr,  die  übrigen  Versuchstiere  später  als  sonst.  Selbst 
sehr  viel  größere  Dosen  verursachen  dann  keine  akute  Vergiftung  mehr. 
Aber  auch  schon  niedrige  Temperaturen  (25 — 37®)  schädigen  das  Gift 
auf  die  Dauer.  Es  liegt  nahe,  aus  dieser  Tatsache  auf  die  Bildimg  x'w  ei  er 
verschiedener  Bouillongifte  oder  aber  auf  die  Um^eandlung 
eines  primären  in  ein  sekundäres  zu  schließen,  welches  letztere  für  Mäuse  un- 
schädlich zu  sein  scheint.  Vielleicht  hat  aber  K  o  1 1  e  recht,  wenn  er  d  a  « 
starke  Gift,  das  aus  älteren  Bouillonkulturen  ge- 
wonnenwird,  überhatipt  nicht  für  ein  ursprüngliches 
Gift  der  P  es  t  b  a  z  i  11  en  ,  sondern  für  ein  nachträg- 
liches Zerfallsprodukt  hält.  Versuche  mit  Autolyse  von 
Pestbazillen  würden  die  Frage  möglicherweise  entscheiden. 

Die  Darstellung  des  Giftes  der  Filtrate  ist  bisher  nur  unvollkommen 
gelungen.  Nach  M  a  r  k  1  erhält  man  durch  Fällung  mit  Alkohol  ein  stark 
verunreinigtes  Gift,  das  in  einer  Dosis  von  18  mg  Mäuse  in  24  Stiuiden 
tötet.  Ammoniiunsulfat  soll  das  Gift  überhaupt  nicht  fällen,  Zinkchlorid 
einen  unlöslichen  Niederschlag  geben.  Wernicke  hat  allerdings  aus 
8 — 12  Wochen  alten  Kulturen,  die  mit  0,25%  Formalin  oder  Toluol  ab- 
getötet waren,  diu'ch  Anunonsulfat  ein  trockenes  Gift  gewonnen,  das  Mäuse 
in  Bruchteilen  eines  Milligramms  tötete,  während  das  Kulturfiltrat  zu 
0,1  ccm  giftig  war. 

Aus  den  bazillenreichen  Organen  von  Pesttieren  erhielt  M  a  r  k  1 
durch  Ausziehen  mit  Glyzerin  imd  Filtrieren  durch  Porzellan  einen  Aus- 
zug, der  Mäuse  freilich  erst  in  großen  Gaben  (von  0,5  ccm)  vergiftete  (Gly- 
zerinwirkimg?). Der  wässerige  Auszug  war  unwirksam.  Daß  in  solchen 
Pesttieren  ein  Gift  vorhanden  ist,  folgert  Wernicke  aus  der-  Tatsache, 
daß  ein  Pleuraexsudat  von  einem  pestinfizierten  Meerschweinchen  in  der 
Menge  von   1  ccm  Mäuse  unter  lange  andauernden  Krämpfen  tötete. 

Durch  Behandlung  mit  dem  Pestgift  kann  man,  wie  alle  Forscher 
versichern,  Versuchstiere  gegen  dasselbe  immunisieren,  und  zwar 
am  besten  mit  dem  hitzeempfindlichen  Gift.  Mäuse  vertragen  dann  z.  B. 
mehr  als  die  1000  fache  Giftmenge.  Das  Blutserum  der  immunisierten 
Tiere  besitzt  auch  eine  gewisse  Schutzkraft  gegen  das  Gift  und  zwar  gegen 
dets  Leibesgift  (B  e  s  r  e  d  k  a)  ebenso  wie  gegen  das  Sekretgift  (Wernicke), 
doch  ist  dieser  Schutz  nicht  bedeutend  und  wird  von  K  o  1 1  e  sogar  voll- 
ständig geleugnet  oder  vielmehr  dem  Pferdeserum  als  solchem  zugeschrieben. 
Ob  die  Wirkiuig  des  Senuns  beim  pestkranken  Menschen  darauf  beruht, 
ist  zweifelhaft. 

§  292.  Milzbrandgift.  Im  Gegensatz  zu  den  bisher  besprochenen 
Bakterien  ist  über  die  Giftbildtmg  beim  Milzbrandbazillns  bisher  nichts 
Sicheres  bekannt,  obwohl  es  an  Bemühungen  wahrlich  nicht  gefehlt 
hat,  eine  solche  auch  bei  diesen  viel  studierten  und  am  längsten  be- 
kannten Bakterien  nachzuweisen. 


Gifte  der  Kleinwesen.  955 

Vor  einigen  Jahren  hat  sich  C  o  n r  a  dl  ^)  der  Aufgabe  unterzogen, 
lie  Frage  an  der  Hand  der  neuesten  Untersuchungsmethoden  noch  einmal 
EU  bearbeiten.    Die  Ergebnisse  dieser  Abhandlung  sind  folgende:  Wenn 
der  Milzbrandbazillus  Gifte  bildet,  so  liegt  es  am  nächsten,  anziuiehmen, 
iaß  sie  in  den  Säften  des  infizierten  Tieres  gelöst  vorhanden  seien.    C  o  n  - 
r  a  d  i  ge^irann  solches  Material,  indem  er  Meerschweinchen  ins  Bauchfell 
impfte  und  das  reichliche  Exsudat,  das  sich  bis  ziun  Tode  des  Tieres  im 
Bauchraum  gebildet  hatte,  mit  allen  Vorsichtsmaßregeln  sammelte  und 
dann  durch  Kieselgur  oder  Porzellanfilter  von  den  Bakterien  und  anderen 
körperlichen  Bestandteilen  möglichst  schnell  befreite.  Mäuse,  die  2 — 4  ccm, 
Ratten,   die  5 — 12  ccm  der  Filtrate  unter  die  Haut  gespritzt  bekamen, 
zeigten  bis  zu  2  Monaten  nachher  keine  Krankheitserscheinungen,  eben- 
sowenig Meerschweinchen,  die  4 — 16,  Kaninchen,  die  10 — 20,  Hunde,  die 
25  ccm  der  Filtrate  in  den  Bauchraum,  in  die  Venen  oder  unter  die  Haut 
gespritzt    erhielten.     Insbesondere   die   Versuche   an   Mäusen    erscheinen 
ziemlich    beweiskräftig,    weil  die    Exsudatmengen,    die   ihnen    einverleibt 
wTirden,    den    neunten    bis    fünften    Teil    ihres    Körper- 
gewichts darstellten.    In  den  Säften  der  Milzbrandtiere 
ließen  sich  also  mit  Hilfe  der  Filtration,   die  frei- 
lich   möglicherweise    das  Gift    zurückgehalten    hat 
(s.    u.),    keine    Giftstoffe   nachweisen.     Ebensowenig   gelang 
das  in  den  Auszügen  der  Leber  und  Milz,  die  in  der  Weise  hergestellt  wur- 
den, daß  die  Organe  unmittelbar  nach  dem  Tode  der  Tiere  mit  Sand  und 
etwas  Kochsalzlösung  sorgfältig  verrieben  und  dann  durch  Chamberlemd- 
filter  unter  dem  Druck  von  4  Atmosphären  filtriert  wurden.    Die  Tiere, 
die  in  derselben  Weise,  wie  oben,  mit  diesen  Filtraten  behandelt  wurden, 
blieben  gesund.    Natürlich  wurde  darauf  geachtet,  daß  die  Filtration  eine 
vollständUge  war,  und  nicht  etwa  der  zuerst  durch  das  Filter  gehende  Teil 
des   Saftes  zur  Einspritzung  benutzt.     Es  blieb  nun  noch  der  Einwand 
übrig,  daß  durch  die  Filter  der  größte  Teil  der  wirksamen  Stoffe  zurück- 
gehalten worden  sei.    E.  L  e  v  y ,  in  dessen  Laboratoriiun  die  Conradi- 
schen  Versuche  vorgenommen  worden  waren,  hat  diesen  Einwand  selbst 
in  Gemeinschaft  mit  Beckmann  ')  deulurch  erledigt,  daß  er  das  Blut 
von  Kaninchen,  die  im  Begriff  waren,  an  Milzbrand  zu  sterben,  gerinnen 
ließ  und  das  durch  Zentrifugieren  gereinigte   Serum  in  größeren   Gaben 
(bis  zu  43  ccm)  anderen  Kaninchen  einspritzte.    Wie  bei  der  Schweine- 
pest (S.  943)  blieb  jeder  Erfolg  aus.    Demgegenüber  will  es  kaum  etwas 
besagen,  wenn  Sauerbeck  ')  nach  Einspritzung  von  großen  Mengen 
filtrierter  Milzbrandexsudate  Meerschweinchen  zum  Teil  in  ein  chronisches 
Biechtum  versetzte.    Man  kann  damit  wenig  anfangen,  zumal  da  es  sich 
ja  für  die  Versuchstiere  um  körperfremde  Stoffe  handelte,  die  ihnen  kaum 
gleichgültig  sein  konnten. 

Durch  diese  Versuche  sind  wohl  die  vereinzelten  Erfolge  früherer 
Forscher,  die  mit  Filtraten  von  künstlichen  Milzbrandkulturen  oder  Organ- 
extrakten gewonnen  waren,  hinfällig  geworden.  Es  lohnt  sich  daher  nicht, 
iiäher  auf  die  diirch  verschiedene  chemische  Verfahren  erhaltenen   Gift- 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   31,   1899  mit  Literatur;  vgl.  auch  Sobern- 
^ e i m  im  Handb.  path.  Mikr.  v.  Kolle-Wassormann  1,   1903. 

2)  Zentr.  Bakt.  43,  1907. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  56,  25,   1907. 


956  Kap.  XVI,   §  292  u.  293. 

Präparate  (Toxalbumine,  Ptomaine  usw.)  einzugehen.    Zum  Überfluß  hat 
sich  C  o  n  r  a  di  die  vergebliche  Mühe  gemacht,  aus  der  zerriebenen  Milz 
und  Leber  von  Milzbrandtieren  nach  dem  Vorgang  von  B  r  i  e  g  e  r  und 
Fränkel  (S.  824)  Gifte  zu  gewinnen.    Auch  wenn  er  die  Organe  nicht 
vorher  filtrierte,  sondern  nach  dem  Verfahren  von  M  a  r  m  i  e  r   erst  mit 
42%  Alkohol  von  der  Hauptmenge  der  Eiweißstoffe  befreite  und  die  übrig 
bleibende  Lösung  mit  Alkohol  absolutus  fällte,  erhielt  er  keine  Präparate, 
die  in  dem  Verhältnis  von  0,2 — 2,2%  zum  Körpergewicht  giftig  gewesen 
wären.    Noch  weniger  wea  von  der  Wiederholung  des  von  M  e  t  s  c  h  n  i  - 
k  o  f  f  und  R  o  u  X  (vgl.   S.  926)  vorgeschlagenen  Versuchs,  die  Bildung 
von   löslichen  Giften   durch  Kultur   der   Bakterien    in   Kollodium-    oder 
Schilfsäckchen,  die  in  den  Bauchraum  der  Tiere  eingebracht  wurd^i,  nach- 
zuweisen.   Die  Giftmenge,  die  durch  diese  Membran  hindurch  diffondieren 
könnte,  würde  ja  gerade  bei  einer  Krankheit,  die  wie  der  Milzbrand  meist 
erst  bei  massenhaftem  Wachstum  der  Erreger  im  Körper  tötet  (vgl.  übrigens 
Schweinepest  S.  943),  nicht  ausreichend  sein,  um  erhebliche  Krankheits- 
erscheinungen zu  veranlassen.    0  o  n  r  a  d  i   hatte  demnach  auch  mit  eine^ 
großen  Zahl  von  derartigen  Experimenten  an  Meerschweinchen,  Kaninchen 
und  Hunden  keine  Erfolge. 

Es  mußte  noch  die  Möglichkeit  ins  Auge  gefaßt  werden,  daß  die 
Milzbrandbazillen  in  ihrem  Leibe  selbst  giftige  Stoffe  enthalten. 
Allerdings  hatten  schon  frühere  Forscher  gefunden,  daß  MilzbrandbazilleD, 
die  durch  Hitze  sterilisiert  sind,  selbst  in  großen  Mengen  wirkungslos 
bleiben.  So  konnte  der  Verfasser  in  Gemeinschaft  mit  BonaduceM 
Meerschweinchen  3 — 5  ganze  Agarkulturen  (300 — 500  mg),  die 
durch  Kochen  oder  sechsstündiges  Erhitzen  bei  58 — 60^  abgetötet  waren, 
ohne  Schaden  in  die  Bauchhöhle  einbringen.  C  o  n  r  a  d  i  benutzte  zur  Steri- 
lisierung statt  der  Wärme  Iprozentiges  Formalin  oder  Toluol  oder  Tem- 
peraturen von  16'  unter  Null,  die  er  110  Stunden  einwirken  ließ.  Weder 
die  bazillenhaltigen  Milzbrandexsudate  noch  Bazillenaufschwemmungen 
aus  asporogenen  Kulturen  waren  so  behandelt  in  den  größten  Mengen 
(0,3 — 15,8%  des  Körpergewichts)  giftig.  Zum  Schluß  prüfte  Conradi 
noch  die  Preßsaftmethode  E.  Buchners.  Milzbrandorgane 
wurden  verrieben,  unter  500  Atmosphären  Druck  ausgepreßt  und  durch 
Porzellan  filtriert.    Auch  sie  zeigten  keine  Spur  von  Giftigkeit. 

Spätere  Versuche  haben  allerdings  gezeigt,  daß  sich  durch  stärker 
eingreifende  Verfahren  aus  Milzbrandbazillen  ein  Gift  gewinnen  läßt,  das 
in  sehr  großen  Gaben  tödhch  wirkt.  So  fanden  E.  L  e  v  y  und  P  f  e  r  s  - 
d  o  r  f  f  *)  asporogene  Milzbrandrasen,  die  sie  mit  der  gleichen  Menge 
destillierten  Wassers  aufschwemmten  imd  mit  Toluol  versetzt  4  Wochen 
unter  wiederholtem  Umschütteln  bei  37®  stehen  ließen,  in  Gaben  von  ^u 
des  Körpergewichts  (auf  die  feuchte  Masse  berechnet)  für  Mäuse  todlich. 
Man  wird  denn  doch  zugeben  müssen,  daß  hiemüt  für  die  natürlichen 
Verhältnisse  nichts  bewiesen  ist.  Erstens  ist  die  Masse  der  Bazillen,  die 
den  Versuchstieren  einverleibt  wird,  etwa  gleich  der  ihres  gesamten  Blut«'. 
In  Wirklichkeit  tötet  aber  eine  viel  geringere  Masse  der  Bazillen,  selbst 
wenn  man  bedenkt,  daß  manche  Gefäßbezirke  der  Milzbrandtiere  buch- 
stäblich mit  Bazillen  vollgestopft  sind.    Zweitens  bilden  sich  durch  die 


1)  Zieglers  Beitr.  path.  Anat.   12.  369,  1893. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.   1902. 


Gifte  der  Kleinwesen.  957 

elbstverdauung  der  Bazillen  nach  L  e  v  y  und  Pfersdorff 
is  den  Bazillenleib em  alle  möglichen  Stoffe  neu,  die  sehr  wohl  giftig 
irken  könnten,  z.  B.  aromatische  Produkte  (vgl.  S.  808).  Ähnliche  Ein- 
ände  lassen  sich  erheben  gegen  das  Verfahren  von  V  a  u  g  h  a  n  ^) ,  das 
i  der  Behandltmg  der  Bazillen  mit  schwefelsaurem  Alkohol  bestand. 
icht  ganz  so  gewaltig  ist  die  tödliche  Gabe  nach  einigen  eigenen  nicht 
eröffentlichten  Versuchen,  wenn  man  die  von  Agarkulturen  gesammelten 
^>orenhaltigen)  Milzbrandrasen  mit  destilliertem  Wasser  3  Stunden  lang 
ei  120**  auskocht  (vgl.  S.  916  Anm.  1).  Ein  weiterer  Versuch  ist  von 
>  r)  i  d  i  n  •)  mit  Hilfe  von  Chloroform-  oder  Ätherauszügen  gemacht 
orden.  Er  will  dabei  aiißer  örtlichen  Wirkimgen  den  Tod  von  Kaninchen 
1  1 — 28  Tagen  erhalten  haben,  aber  nur,  wenn  er  den  Extrakt  in  öl  auf- 
elöftt  ins  Blut  spritzte.  Die  Unbeständigkeit  des  Ausfalls  seiner  Versuche 
rweckt,  von  allem  anderen  abgesehen,  erheblichen  Zweifel.  D  e  y  c  k  e 
nd  M  u  c  h  ')  haben  schließlich  aus  Milzbrandbazillen,  die  sie  nach  Trock< 
ung  und  Entfettiuig  mit  Äthylamin  auszogen,  durch  Fällung  mit  Essig* 
äiire  ein  giftiges  Eiweiß  gewonnen.  Es  ist  aber  sehr  zweifelhaft,  ob  nicht, 
vie  in  den  obigen  Versuchen,  die  tödliche  Gabe  zu  groß  ist,  um  die  natür- 
iche  Vergiftung  erklären  zu  können.  Wenn  man  bedenkt,  wie  große  Gaben 
n  den  Versuchen  von  Levy,  Pfersdorff  und  uns  erst  tödlich  wirk- 
en» begreift  man  nicht,  wie  Simon  cini  *)  schon  mit  9  mg  der  bei  lOO* 
terilisierten  Bazillenleiber  Erfolge  haben  konnte. 

Man  darf  ans  diesen  vielen  vefgeblichen  Versuchen  wohl  nicht 
len  Schluß  ziehen,  daß  die  Milzbrandbazillen  überhaupt  kein  Gift 
bilden.  Wir  brauchen  ein  solches  notwendig,  um  die  Krankheits- 
erscheinungen und  den  Tod  bei  Milzbrand  zu  erklären,  namentlich 
iueh  in  solchen  Fällen,  wo  die  Infektion  im  wesentlichen  örtlich  begrenzt 
öleibt.  Es  bleibt  also  nichts  übrig,  als  bessere  Methoden  des  Giftnach- 
rases  zu  schaffen.  Wie  das  geschehen  kann,  ist  freilich  schwer  anzu- 
stehen*). Die  Giftwirkungen  der  Milzbrandbazillen  scheinen  nicht 
besonders  charakteristischer  Art  zu  sein,  abgesehen  vielleicht  von  dem 
l^influß  auf  das  Blut  und  die  Blutgefäße.  Hämorrhagien,  aber  auch 
Hämolyse  werden  nicht  selten  beobachtet  (§  315). 

§  293.  Rotlanfgift.  Wie  verhalten  sich  nun  die  Gifte  anderer 
"^eptizämieerreger?  Bei  einigen  liegen  die  Dinge  ähnlich  wie  beim 
Milzbrand.  Dahin  gehört  in  erster  Linie  der  Rotlauf  der  Schweine 
md  die  nahe  verwandte,  wenn  nicht  mit  ihr  zusammenfallende  Mäuse- 
septizämie.    Nach  P  e  t  r  i  und  M  a  a  ß  e  n  ®) ,  V  o  g  e  s  ')  u.  a.  kann 


1)  Ref.  Zentr.  Bakt.  34. 

2)  Arch.  m6d.  experim.   1905.  706. 

3)  Mediz.  Klin.   1908.  40. 

4)  Annal.   d'igine  sperim.    1906. 

5)  Vielleicht  wäre  der  Weg,  der  bei  den  Streptokokken  zum  Ziel  ge- 
führt hat,  zu  erproben  (s.  u.   S.  926). 

6)  Arbeit,   k.    Gesundheiteamt   8.    394. 

7)  Zeitechr.  f.  Hyg.  22.  533,   1896. 


958  Kap.  XVI,   §  293  u.  294. 

man  Tieren  riesige  Mengen  abgetöteter  oder  filtrierter  Kulturen  oder 
Krankheitsprodukte,  z.  B.  Mäusen  bis  zu  5  com  und  kleinen  Kaninchen 
bis  zu  200  ccm  Bouillonkultur  ungestraft  einspritzen. 

Erst    die    Bazillenleiber,    die    durch    Zentrifugierung    von    300    com 
Bouillonkultur  gewonnen  waren,   töteten  nach  V  o  g  e  s  Mäuse.     P  e  t  r  i 
und  M  a  a  ß  e  n  erhielten  aber  auch  dabei  keine  Erfolge,  gleichgültig,  ii. 
welcher  Weise  sie  die  Bazillen  sterilisierten.    Wässerige  und  alkoholische 
Aiiszüge  von  Rotlauf  Organen  veranlassen  nach  Donath  ^)  bei  Kaninchen 
Fieber  und  gelegentlich  den  Tod,  während  P  e  t  r  i  und  M  a  a  ß  e  n  auch 
hier  wieder  keinen  Erfolg  hatten,  ob  sie  nun  frische  Organe  mit  Glyzerin 
auszogen   oder   den   Alkoholniederschlag   der   Organsäfte   trockneten   und 
mit  Wasser,  Kochsalz-  oder  Sodalösung  auszogen.    Die  Verfasser  sind  nach 
allen  diesen  fehlgeschlagenen  Versuchen  geneigt,  die  Giftigkeit  der  Kot- 
laufbazillen auf  einen  anderen  Stoff  zurückzuführen,  den  sie  regelmäßig 
in  Kulturen  und  sehr  häufig  in  Rotlauf tieren  nachweisen  konnten,  näm- 
lich  den    Schwefelwasserstoff    (S.    806).     Ehe   man   sich   dazu 
verstehen  kann,  wird  man  stärkere  Beweise  abwarten  müssen.    Bekannt- 
lich sind  Rotlauf bazillen  nicht  die  einzigen  Bakterien,  die  dieses  Gas  bilden. 
Im  Dsurm  entsteht  es  sehr  häufig,  kann  auch  von  dort  in  das  Innere  d^r 
Organe  übergehen.    Vergiftungen  sind  aber  nur  größte  Ausnahmen. 

Es  bleibt  also  voriäufig  nichts  anderes  übrig,  als  beim  Schweine- 
rotlauf  wie  beim  Milzbrand  festzustellen,  daß  die  Bemühimgen,  ein 
Gift  aufzufinden,  bisher  vergeblich  gewesen  sind*). 

§  294.  Pneumoniegift.  Etwas  günstiger  liegen  die  Dinge  bei 
den  Pneumoniekokken  (Streptoc.  lanceolatus).  Es  will  aller- 
dings nicht  viel  sagen,  daß  man  mit  sterilisierten  Kulturen  oder  daraus 
gewonnenen  Präparaten  Entzündung  und  Fieber  bewirken  oder  durch 
wiederholte  große  Gaben  solcher  Kulturen  Marasmus  hervorrufen 
kann,  wie  es  vielen  Autoren  gelungen  ist,  man  muß  das  Gift,  das  oft 
in  akutester  Weise  zu  töten  vermag,  in  die  Hand  zu  bekommen  suchen. 
Das  ist  nicht  leicht,  solange  man  mit  künstlichen  Kxdturen  der  Pneumo- 
kokken arbeitet. 

Bouillonkulturen  sind  sehr  wenig  giftig,  ob  man  junge  oder  altf 
Kulturen  benutzt  und  sie  durch  Filtration  oder  durch  vorsichtiges  Er- 
hitzen (58 — 60°)  oder  durch  Behandeln  mit  Chloroform,  Phenol  usw.  von 
lebenden  Keimen  befreit,  oder  das  natürliche  Absterben  der  Bakterien 
in  den  Kulturen  abwartet.  Darin  stimmen  alle  Beobachter*)  überein:  es 
bedarf  riesiger  Mengen,  um  den  Tod  der  für  die  Septizämie  empfanglichen 
Tiere  herbeizufüliren.  So  bewirkten  nach  G.  und  F.  Klemperer  30  ccm 
Filtrat  bei  kleinen  Kaninchen]  nur  Tage  lang  andauerndes  Fieber  und 
erst  50  ccm  den  Tod.    Nach  I  s  s  a  e  f  f  töten  die  frischen  Bouillonfiltrato 


1)  Zentr.   Bakt.    15.   900,    1894. 

2)  S.  aber  die  Erfolge  bei  Streptokokken  S.  926. 

3)  Kruse  und  P  a  n  s  i  n  i .  Zeitschr.  f.  Hyg.  11.  344,  1891;  Klem- 
perer, Berl.  klin.  Woch.  1891.  35;  Issaeff,  Annal.  Pastwir  1893: 
Mennos,  Zeitschr.  f.  Hxg.  25,  1897;  P  a  n  e ,  Zentr.  Bakt.  21.  666,  1897. 


Gifte  der  Kleinweeen.  959 

selbst  bei  intravenöser  Injektion  noch  nicht  in  Gaben,  die  3,5%  des  Körper- 
rewiehts  betragen,  ältere  sind  noch  weniger  wirksam.  P  a  n  e  gibt  aller- 
iings  für  alte  freiwillig  abgestorbene  Kulturen  die  tödliche  Dosis  auf  2% 
ies  Körpergewichts  an,  aber  4%  unbeimpfter  Bouillon  sollen  nach 
hm  schon  tödlich  wirken;  wir  können  also  bei  solchen  Mengen  schon  nicht 
nehr  sicher  sagen,  wieviel  der  giftigen  Wirkung  den  Bakterien  zuzuschreiben 
st.  Erhitzen  über  60"  setzt  die  Giftigkeit  noch  weiter  herab.  Nur  wenig 
lesteigert  wird  sie,  wenn  man  der  Nährbouillon  Blutserum  zusetzt  oder  die 
[\okken  in  reinem  Blutserum  züchtet.  So  erwiesen  sich  nach  Kruse 
ind  Pansini  40  ccm  einer  bei  60"  sterilisierten  Kultur  in  Aszitesflüssig- 
ieit  für  Kaninchen  unschädlich.  Auch '  die  Versuche,  durch  Einengiuig 
größerer  Kulturmengen  de»  Gift  zu  gewinnen,  führten  vuis  nicht  zum 
Ziel.  150  ccm  einer  dreitägigen  Bouillonkultur  virulenter  Diplokokken 
wurden  bei  37"  unter  der  Luftpumpe  auf  den  zehnten  Teil  eingedickt  und 
lann  einem  Kaninchen  von  700  g  unter  die  Haut  gespritzt.  An  der  Impf- 
stelle bildete  sich  nur  ein  kleines  Eiterknötchen,  das  aufbrach  und  sich 
iteril  erwies;  sonst  blieb  das  Tier  gesund.  Die  Kultur  war  bemerkenswerter- 
weise weder  filtriert  noch  über  37"  erhitzt  worden,  enthielt  also  auch  die 
Bakterienleiber,  deren  Masse  freilich  in  den  Pneumokokken- 
kulturen  viel  luibedeutender  ist,  als  in  den  meisten  übrigen  Bakterien- 
kulturen- Immerhin  wird  man  sie  in  diesem  Versuch  auf  20 — 30  mg  schätzen 
können.  I  s  s  a  e  f  f  hatte  bei  der  Einengung  seiner  Kultur  ähnliche  Er- 
gebnisse. Etwas  giftiger  erscheint  das  „Pneumotoxin",  das  die  Gebrüder 
Klemperer  durch  Fällung  einer  zweitägigen  Bouillonkidtur  mit  Alkohol 
erhielten.  Der  Niederschlag  wurde  in  Wasser  gelöst  und  zur  einen  Hälfte 
einem  Kaninchen  von  765  g,  zur  anderen  einem  solchen  von  1300  g  ein- 
gespritzt: nur  das  erste  starb  mit  Durchfällen  in  22  Stunden,  es  hatte 
aber  auch  den  Alkoholniederschlag  von  250  g  Bouillon- 
kultur erhalten!  F  o  ä.  und  Carbone^)  stellten  durch  Fällen  mit 
Ammonsulfat  aus  Diplokokkenkulturen  einen  Giftstoff  her,  dem  die  Ver- 
suchstiere erst  nach  längerer  Zeit  an  Marasmus  erlagen.  Auf  einem  cuideren 
Wege  suchten  Carnot  und  Fournier")  das  Gift  zu  gewinnen:  sie 
kultivierten  die  Kokken  in  KoUodiumsäckchen,  die  in  ein  größeres  Gefäß 
mit  steriler  Flüssigkeit  eingehängt  wurden.  In  die  letztere  hinein  diffun- 
dierten die  Giftstoffe  und  konnten  durch  Einengen  im  luftleeren  Raum 
bei  22"  oder  Niederschlagen  mit  Natriumphosphat  und  Kalziumchlorid 
erhalten  werden.  Ihre  Wirkung  soll  ähnlich  sein  derjenigen,  die  lebende 
Kokken  im  infizierten  Körper  entfalten.  Angaben  über  die  Giftmengen, 
die  in  erster  Linie  wichtig  wären,  fehlen.  Nach  alledem  war  wenig  Aus- 
sicht Vorhemden,  daß  es  gelingen  sollte,  das  echte  Pneumokokkengift  aus 
künstlichen  Kulturen  zu  gewinnen.  Jedoch  glückte  es  Macfadyen^) 
durch  Verreibung  der  gefrorenen  Pneumokokkenleiber,  Be- 
handeln mit  IV 00  Kalilauge  ein  Gift  zu  erhalten,  das  lun  so  stärker  war, 
je  größer  die  Virulenz  der  Kokken,  namentlich  für  Meerschweinchen,  die 
durch  0,05  ccm  getötet  wurden.  Ob  die  große  Empfindlichkeit  dieses 
Giftes  gegen  Hitze,  Chloroform    usw.  es    erkläi*t,    daß    es    den    früheren 


1)  Ref.  Zentralbl.  f.  Bakt.  IQ.  223. 

2)  Arch.  m6d.  eyp6rim.   1900. 

3)  Zentr.  Bakt.  43,  1907. 


960  Kap.  XVI,   §  294  u.  295. 

Forschem  entgangen  ist,  steht  dahin.  Ebenso  ist  fraglich,  ob  das  von  Hey  • 
ro  wsky*)  gefiindene  hämorrhagische  Gift  regelmäßig  von  den  Pneu- 
mokokken (und  Strept.  mucosus)  gebildet  wird.  Es  wurde  nachgewiesen  in 
den  Filtraten  von  24  stündiger  (nicht  von  Stägiger)  Traubenzuckerbouillon. 

-Die   Produkte    der  Pneumokokken  im   lebenden   Körper 

besitzen    allerdings   auch  nicht  immer,   aber  doch  öfters   erhebliche 

Giftigkeit. 

So  fanden  z.  B.  die  Gebrüder  K  1  e  m  p  e  r  e  r  20  ccm  eines  eitrigen 
metapneumonischen    Pleuraexsudats    vom   Menschen    für    Kcminchen    un- 
schädlich.   Hier  war  aber  der  Einwand  möglich,  daß  die  Gifte,   weil  die 
Infektion  schon  vorher  zum  Stillstand  gekommen  war,  aus  dem  £xBudat 
verschwunden  war.    Darum  versuchte  es  F.  Klemperer*)  mit  dem 
frischen   Pleuraexsudat  von   einem  Hunde  und  fand  das   in   der 
Tat  nach  Filtration  durch  Kieselgur  noch  giftig  für  andere  Hunde.    Nach 
denselben  beiden  Forschern  verhält  es  sich  ebenso  mit  dem  Blutserum 
von  infizierten  Kaninchen,  die  sie  kurz  vor  dem  Tode  entbluteten:  in  der 
Tat  töteten  schon  10 — 20  ccm  davon,  d.  h.  etwa  2%  des  Körpergewichte, 
kleine  Kaninchen.   Ähnliche  Mengen  des  nur  schlecht  gerinnenden,  2  Sttm- 
den  bei  58®  sterilisierten  Blutes  oder  der  ebenso  behandelten  Peritoneal- 
exsudate  von  septizämischen  Kaninchen  sind  nach  I  s  s  a  e  f  f  giftig.   Nach 
diesem  Forscher  kann  man  das  Gift  auch  dadurch  nachweisen,  daß  man 
das  Blut  der  an  Septizämie  gestorbenen  Kaninchen  mit  gleichen  Teilen 
einer  Iprozentigen  leicht  alkalischen  Glyzerinlösung  vermischt,  durch  Por- 
zellan filtriert  imd  intravenös  Kaninchen  einspritzt.  Manchmal  war  es  dann 
schon   zu  1%  des  Körpergewichts  wirksam.     Man  würde  daraus  schließen 
können,  daß  die  Tiere  bei  ihrem  Tode  an  der  Diplokokkenseptizamie  etwa 
siebenmal  zuviel  Gift  in  ihrem  Blute  enthalten.    Kruse  und  P  a  n  s  i  n  i 
suchten  dieses  Blutgift  auf  folgende  Weise  darzustellen.     Sie  entnahmen 
das  Blut  von  Kaninchen,  die  an  der  Infektion  gestorben  waren,  unter  allen 
Vorsichtsmaßregeln,  ließen  es  in  dünner  Schicht  bei  37*  trocknen  und  be- 
wahrten es  bei  gewöhnlicher  Temperatiu*  auf,  bis  sie  52  g  trockenes  Blut 
gesammelt  hatten.   Dieses  Material  wurde  fein  pulverisiert  imd  mit  saurem 
Alkohol  einige  Stimden  stehen  gelassen.    Der  alkoholische  Auszug  wurde 
—  ohne  Erfolg')  —  auf  Alkaloide  verarbeitet.    Das  durch  den  Alkohol 
koagulierte  Blut  wurde  mit  100  g  Chloroformwasser  einige  Stunden  lang 
bei  37®  ausgezogen  und  unter  der  Luftpumpe  filtriert.    6  ccm  der  Losung, 
entsprechend   17,5  g  flüssigen  Blutes,   riefen  bei  Meerschweinchen  eigen- 
tümliche Vergiftungserscheinungen,   nämlich  langdauemde  Krämpfe  her- 
vor, während  ein  Kaninchen  von  700  g  auf  dieselbe  Gabe  nur  vorüber- 
gehende Schwäche  xmd  Lähmimg  zeigte.    Leider  versäumten  wir,  die  tod- 
liche Menge  des  Giftes  für  die  Kaninchen  zu  bestimmen,  weil  wir  den  Rest 
des  wässerigen  Blutauszuges  zur  reinen  Darstellung  des  giftigen  Körpers 
benutzen  wollten.  Die  FäUimg  mit  Alkohol  ergab  aber  nur  ein  viel  schwacher 
wirkendes  Präparat,  das  allerdings  noch  Mäuse  unter  Krämpfen  in  wenigen 
Minuten  tötete.    Bei  der  Wiederholung  des  Versuchs  mit  7,5  g  frisch  ge- 


1)  Wien.  klin.  Woch.   1907.  9. 

2)  Ar  eh.  experim.  Path.  31,  1893. 

3)  B  o  n  a  r  d  i  will  allerdings  sogar  aus  Bouillonkulturen  ein  sehr 
giftiges  Alkaloid  dargestellt  haben  (Baumgartens  Jahresb.   1889.  56). 


Gifte  der  Kleinwesen.  961 

"ockneten  Blutes  erhielten  wir  ähnliche  Ergebnisse.    Es  lohnte  sich  wohl, 
er  Sache  weiter  nachzugehen. 

Die  bisherigen  Beobachtungen  sprechen  nach  I  s  s  a  e  f  f  nicht  dafür, 
aß  eine  Immunisierung  gegen  d€ts  Pneumokokkengift  möglich  ist;  M  en  - 
e  s  fand  allerdings,  daß  das  Serum  von  immunisierten  Pferden  die  fieber- 
regende  und  marasmuserzeugende  Wirkung  der  Pneumokokkenfil träte 
[?rhindere,  während  normales  Pferdeserum  nicht  dazu  imstande  sei. 
'ahingestellt  soll  bleiben,  ob  man  auf  ähnlichem  Wege  wie  bei  den  Strepto- 
ükken  (s.  u.),  durch  richtige  Zusammenstellung  des  künstlichen  Nähr- 
odens,  nicht  ebenso  gute  oder  noch  bessere  Ergebnisse    erzielen   könnte. 

§  295.    Streptokokkengift.    Widerspruchsvoller  erscheinen  zu- 

ächst    die   Erfahrungen,   die   man   mit  Eiterstreptokokken   (Strept. 

yogenes)   gemacht  hat.    Wahrscheinlich  hängt  das  zum  Teil  damit 

usammen,  daß   es  mehr  oder  weniger  giftige  Stämme  dieser  Mikro- 

rganismengibt,  und  liegt  zum  anderen  Teil  an  der  Wahl  des  Nährbodens. 
Manchen  Forschern^)  ist  es  nicht  gelungen,  in  jungen  oder  älteren 
iltrierten  Kultiuren  oder  den  durch  Hitze  oder  Chloroform  abgetöteten 
Bakterien  Gifte,  die  mehr  als  örtliche  Wirkungen  entfalten,  nachzuweisen. 
i  e  G  i  a  X  a  und  P  a  n  e  spritzten  z.  B.  einem  ^Kaninchen,  dfiks  1820  g 
chwer  war,  227  ccm  einer  37  Tage  alten  Streptokokkenkultur  ohne  Erfolg 
n  das  Blut.  Ebenso  unschädlich  erwiesen  sich  nach  v.  Lingelsheim  *) 
lie  bei  65"  abgetöteten  Leiber  der  Streptokokken,  die  den  Bodensatz 
ines  halben  Liters  Bouillonkultur  bildeten,  für  ein  Kaninchen  von  1000  g. 
)erselbe  Autor  erhielt  aber  gelegentlich  auch  eine  Kultur,  deren  F  i  1 1  r  a  t 
n  Mengen  von  2,5  ccm  jiuige  Kaninchen  und  Meerschweinchen  vom  Bauch- 
ell  aus  schnell,  häufig  unter  Krämpfen  tötete.  Man  wird  wohl  daraus  den 
Schluß  ziehen  können,  daß  die  Giftigkeit  eine  nur  bestimmten  Strepto- 
vokken  angehörige  Eigenschaft  sei*),  Marmorek*)  gibt  allerdings 
m,  daß  durch  Züchtung  in  bestimmten  Nährböden  die 
Giftigkeit  aller  Streptokokken  soweit  getrieben  werden  könne,  daß  ihre 
ilten  Filtrate  in  Mengen  von  0,25 — 0,5  ccm  Kaninchen  in  einigen  Tagen 
öten*).    Er  empfiehlt,  sie  zuerst  in  Blutseriun  von  nicht  empfänglichen*) 

1)  Aronson,  Berl.  klin.  Woch.  1896.  32;  d  e  G  i  a  x  a  und  P  a  n  e  , 
Riforma  medica  1896  (Baumgartens  Jahresber.);  H  i  1  b  e  r  t ,  Festschrift 
"ür  Jaff  e  (Deutsch.  Arch.  klin.  Med.   1902). 

2)  Handb.   path.   Mikr.    (Kolle-Wassermann)   3.    356,    1903. 

3)  Vgl.  S.  960  die  Angaben  Heyrowskys  über  das  Vorkommen 
hämorrhagischen  Giftes  beim  Strep.  mucosus.  Die  Arbeiten  Ho- 
me n  s  und  seiner  Schüler  über  die  Wirkungen  der  Streptokokkengifte  auf 
bestimmte  Organe  werden  uns  in  der  Infektionslehre  beschäftigen.  Auch 
äie  beziehen  sich  wohl  auf  besonders  gif tige  Abarten  (vgl.  u.  Laitinen). 

4)  Annal.  Pasteur  1896  und  1902  (auch  Berl.  klin.  Woch.  1902.  253). 

5)  Kaczynski  (D.  Arch.  klin.  Med.  58,  1897)  hatte  einen  Strepto- 
kokkus in  Händen,  der  in  gewöhnlicher  Bouillon  ebenso  starke  Gifte 
bildete   (vgl.   die  Blutdruckversuche  in  der  Infektionslehre). 

6)  In  den  Bauchraum  eines  immtmisierten  Meerschweinchens  werden 
10  ccm  steriler  Bouillon  gespritzt,  die  Bauchhöhle  am  folgenden  Tage  mit 
Kochsalzlösung  ausgewaschen  und  die  so  erhaltene  Leukozytenaufschwem- 
mung im  Verhältnis  von  1  :  3  mit  dem  Serum  eines  anderen  immunisierten 
Meerschweinchens  vermischt. 

Kruse,  Mikrobiologie.  61 


962  Kap.  XVI,    §  295  u.  296. 

oder  künstlich  immunisierten  Tieren,  das  mit  Leukozyten  derselbt^n 
Tiere   gemengt    ist,    zu    kultivieren    und  sie  dann  in  Bouillon  mit  einem 
Gehalt  von  Leuzin  und  G ly kokoll  ^)  zu  übertragen,  indem  er  von  der  Er- 
fahrung ausgeht,  daß  die  Giftbildung  einerseits  eine  gewisse  Widerstands- 
fähigkeit   des    Organismus    gegen    eine    zu    frühzeitige    Überschwemmung 
mit  lebenden  Bakterien  voraussetzt,  andererseits  der  Nährboden  ein  mög- 
lichst   lange  dauerndes  Wachstum     gestatten     müsse,     wenn     genügende- 
Mengen  des  Giftes  entstehen  sollen.   Simon  *)  kommt  neuerdings  zu  einem 
ähnlichen  Ergebnis:  die  Streptokokken  sollen  ihr  Gift  besonders  dami  aus- 
scheiden, wenn  sie  der  Einwirkung  bakterienwidriger  Kräfte  unterliegen: 
in  künsthchen  Kultiu*en  kann  man  das  am  besten  dadurch  erreichen,  daU 
man  die  Kokken  imter   Sauerstoffabschluß  in  einem    Gemisch 
von   2  Teilen    Streptokokkenexsudat   mit    1   Teil   Bouillon   züchtet.     l>a* 
Wachstum  ist  zwar  darin  nur  spärlich,   die   Giftigkeit  der  Filtrate  aber 
keine  geringe,  da  sie  Kaninchen  bei  subkutaner  Einspritzung  in  Mengen 
von    2 — 7 %  ccm    töteten,    v.  Bardeleben')    erhielt   ebenfalls  keine 
Giftwirkungen  mit  Kultimnaterial  oder  auch  mit  Blutfiltraten  von  Tieren, 
die  an  der  Infektion  gestorben  waren.    Sobald  er  aber  Streptokokken  in 
eine   durch   Aleuronat   entzündete   Pleurahöhle   einspritzte,    wurde   dies 
Exsudat   giftig,    und   zwar   stärker   bei   Verwendung 
von    wenig    virulenten    als    von    virulenten    Kokken. 
Auch  in  künstlichen  Nährböden,  die  mit  Leukozyten  versetzt  waren,  erhielt 
sich  dann  diese  Giftigkeit  bis  zu  einem  gewissen  Grade.    Über  die  Unter- 
suchungen desselben  Forschers,   die  die  geriiuiungserzeugenden  und  zer- 
störenden Wirkungen  der  Streptokokken  auf  Leukozyten  und  Blutköq>er 
betreffen,  werden  wir  an  anderer  Stelle  (§  317)  sprechen. 

Mehrere    Forscher     glauben,    durch    Wahl    einfacherer    künstlicher 
Nährböden  oder  Verändenmg  der  Darstellungsmethoden  Erfolge  erzielen 
zu    können.     Nach    Parascandolo*)    wäre    schon    eine    2 prozent ige 
Zuokerbouillon    zur   Gewinnung    des   Giftes    ebensogut    geeignet    \*'ie   die- 
Serumnüschung.     Aronson*)   empfiehlt  neuerdings  eine   Pferdefleisch- 
bouillon mit  nur  0,1%  Zucker  und  0,5%  Pepton  und  Kochsalz,  auch  seien 
nicht  die  Filtrate,  wohl  aber  die  ganzen  Kulturen, 
die  bei  70®  oder  diu*ch  Chloroform  abgetötet  seien,  in  Mengen  von  2 — 3  ccm 
für  Kaninchen  tödlich.    Die  Giftigkeit  der  Streptokokkenleiber 
konnten  auch  Macfad  yen  und  R  o  w  1  a  n  d  •)  bestätigen,   indem  sie 
die   gut   gewaschenen    Streptokokken   (aus   Kulturen   von    Peptonbouillon 
mit  Zusatz  von  frischem  Pferdeserum)  in  der  schon  öfter  erwähnten  Weise 
bei  der  Temperatiu*  der  flüssigen  Luft  zerrieben  und  auspreßten.    Von  der 
lOprozentigen   Lösung    des    Bakteriensaftes    genügte    0,1    ccm,    intraperi- 
toneal  eingespritzt,   um  Meerschweinchen  in  wenigen   Stimden  zu  töten. 

Auch    aus   verhältnismäßig  wonig  giftigen  älteren   Bouillonkulturen 
gelang  es    L  a  i  t  i  n  e  n  ')  diu-ch  Fällung  mit  Ammoniumsulfat  und  nacli- 

1)  Zu  250  g  Peptonbouillon  werden  je   10  ccm  einer  Leuzinlösiin^- 
(0,4  :  150  Bouillon)  und  einer  Gly kokoll ösung  (0,5  :  100  Bouillon)  gesetzt. 

2)  Zentr.  Bakt.   35,   1904. 

3)  Arch.  f.   Gynäk.  83.   62,   1907. 

4)  Wien,  klin!^  Woch.    1897.   38/39. 

5)  Berl.  klin.  Woch.   1902.   42. 

6)  Zentralbl.  Bakt.   35,   1904. 

7)  Zieglers  Beitr.  25.    10,   1899. 


Gifte  der  Kleinwesen.  963 

render  Dialyse,  noch  besser  durch  Aiisschütteln  mit  Amylalkohol 
auf  500  ccm  Kultur),  Trocknen  des  danach  sich  oben  absetzenden 
laumes  und  Auflösen  in  Kochsalzlösung,  kräftige  Gifte  zu  erhalten, 
Kaninchen  in  großen  Gaben  schnell,  in  kleinen  Gaben  langsam  töteten 
i  in  den  einzelnen  Organen  (Lungen,  Nerven  u.  a.  m.)  charcdcteris tische 
rkiuigen    entfalteten   (vgl.   Infektionslehre). 

Auch  über  die  Widerstandsfähigkeit  des  Streptokokkengiftes  lauten 
Angaben  verschieden.  Die  meisten  Forscher  halten  es  für  hitzeempfind- 
i,  doch  scheint  Erhitzimg  auf  60 — 70"  (L  a  i  t  i  n  e  n)  und  selbst  auf  100° 
nur  teilweise  zu  schädigen  (v.   Lingelshei  m). 

Nach  Marmorek  unterliegt  es  keinem  Zweifel,  daß  man  Tiere 
en  das  Streptokokkengift  immunisieren  kann;  allerdings  ist  die 
ützende  Wirkung  ihres  Blutserums  keine  erhebliche.  So  neutralisierten 
B.  5  ccm  nur  eine  tödliche  Gabe. 

Mit  dem  echten  Gifte  der  Streptokokken  haben  anscheinend  ihre 
imolysine  nichts  zu  tun  ( §  312  u.  315).  —  Sehr  wahrscheinlich  sind 
Streptokokken,  wie  die  allermeisten  anderen  Bakterien,  in  den  Magen- 
>  r  m  k  a  n  a  1  eingeführt,  imgif tig.  Dafür  spricht  die  Tatsache,  daß 
>ße  Mengen  von  saprophy tischen  (Str.  lac'icus)  \md  tierpathogenen  (Str. 
.stitidis)  Streptokokken  in  roher  oder  saurer  Milch  und  Milchpräparaten 
iktobazillen,  Seiferts  Uviolmilch)  vcn  Erwachsenen  und  Kindern  ohne 
tiaden  genonunen  werden.  Der  Versuch  Petruschkys  *),  die 
)mmerdiarrhöe  der  Säuglinge  auf  die  Leibesgifte  der 
•pptokokken  zurückzuführen,  erscheint  daher  mißlungen.  Ganz  will- 
rlich  ist  die  Annahme  dieses  Forschers,  diese  Gifte  würden  durch  Säuren 
niiehtet  und  seien  daher  in  saurer  Milch  unschädlich.  Das  ist  bei 
1  übrigen  Endotoxinen  keineswegs  der  Fall  und  würde,  wenn  es  zuträfe, 
stets  die  Harmlosigkeit  der  mit  dem  Magensaft  in  Berührung  kommen- 
1  Milchstreptokokken   bedingen. 

§  296.  Meningokokkengift.  Die  Giftigkeit  der  Meningokokken 
icroc.  intracellularis  meningitidis)  ist  erst  in  letzter  Zeit  studiert 
•rden.  Albrecht  und  6  h  o  n  2)  geben  nur  ganz  kurz  an,  daß 
'■  abgetöteten  Bakterienleiber,  nicht  die  Kulturfiltrate, 
i  intraperitonealer  Einverleibung  Mäuse  töten.  MarkH),  Plex- 
'  r  *) ,  Kraus  und  D  ö  r  r  ^)  haben  das  im  wesentlichen  bestätigt, 
ch  gelingt  es  ziemlich  leicht,  das  Gift  aus  den  Leibern  auszuziehen, 
lern  man  sie  entweder  einer  kurzen  Selbstverdauung  mit 
»luol  überläßt  oder  mit  destilliertem  Wasser  bzw.  ^/\^^  Normalsoda- 
5ung  auszieht.    Immerhin  sind  große  Mengen,  z.  B.  25 — 50  ccm  des 


1)  Ursache  der  Sommersterblichkeit  der  Säuglinge  in  der  Gesund- 
it  1904  und  1908  (auch  Sonderabdruck  bei  Leineweber).  Vgl.  dazu  die 
Thandlungen  der  vereinigten  Abt.  für  Kinderheilkunde  und  Hygiene  auf 
r  Xaturf.-Versamml.  in  Königsberg  1910  mit  dem  Vortrage  von  P  u  p  p  e  1 
id  den  Bemerkungen  von  Kruse  (auch  Zeit  sehr.  f.  Hyg.   1911). 

2)  Wien.  kUn.  Woch.   1901.  41. 

3)  Zentr.  Bakt.  43.  95,   1907. 

4)  Ebenda  43.   101. 

5)  Wien.  kün.  Woch.   1908.   1. 

Ol* 


964  Kap.  XVI,   §  296  u.  297. 

Autolysats,  einer  Halbliterkultur  nötig,  um  ganz  junge  Meerschweinchen 
vom  Bauchfell  aus  zu  töten  (F  1  e  x  n  e  r  ).  Das  Immimserum  vermag 
zwar  die  doppelte  tödliche  Giftgabe  zu  neutralisieren,  aber  nur  bei 
vorheriger  Einspritzung,  ist  also  vielleicht  nicht  antitoxisch  im  eigent- 
lichen Sinne  (Kraus  und  Dörr). 

§  297.  Gonokokkengif  t.  Ein  ziemlich  ähnliches  Ergebnis  haben 
die  zahlreichen  Arbeiten  über  das  Gift  der  nahe  verwandten  Gono- 
kokken ergeben.  Daß  die  Gronokokken  giftig  sind,  kann  man  schon 
daraus  ersehen,  daß  ihre  lebenden  Kulturen,  wenn  sie  üppig  entwickelt 
sind,  in  großen  Mengen  Mäuse  (0,3 — 1  ccm)  und  Meerschweinchen 
(5 — 10  ccm)  ins  Bauchfell  eingespritzt,  aber  auch  Kaninchen  vom 
Blutwege  aus  töten,  obwohl  die  Kokken  sich  in  ihnen  nicht  vermehren, 
sondern  absterben.  Die  nähere  Untersuchung^)  hat  gezeigt,  daß  Kul- 
turen, die  durch  Hitze  von  50 — ^70®  abgetötet  sind,  die  gleiche  Wirkung 
zeigen,  daß  die  Giftigkeit  von  Filtraten^)  zuerst  gering  ist,  aber  mit 
dem  Alter  wächst.  Es  macht  ganz  den  Eindruck,  daß  das  Gift  all- 
mählich aus  den  absterbenden  Gonokokken  in  die  Flüssigkeit  diffun- 
diere. Dementsprechend  kann  man  auch  die  Leiber  der  Kokken  allein 
benutzen.  Nach  Nicolaysen  töten  z.  B.  10  mg  der  gewaschenen 
und  getrockneten  Bakterien  aus  einer  Ttägigen  Aszitesbouillon  Mäuse 
vom  Bauchfell  aus  in  24  Stunden.  Durch  Kochen  mit  Wasser  oder 
Vio  Normalnatronlauge  ließ  sich  das  Gift  nicht  aus  den  Bakterien 
ausziehen,  wurde  aber  auch  nicht  dadurch  zerstört. 

Gegen  die  Anschauung,  daß  das  Gift  beim  Absterben  der  Gono- 
kokken frei  würde,  führt  de  Christmas  ins  Feld,  daß,  wenn  man 
in  einer  frischen  Kidtur,  die  nur  gut  färbbare  Kokken  enthält,  die  Flüssig- 
keit, die  kaum  giftig  ist,  abhebt,  durch  neue  ersetzt  und  dann  die  Kultur 
bei  20^  stehen  läßt,  diese  auch  nach  acht  Tagen  noch  nicht  giftig  ist, 
obwohl  alle  Kokken  durch  ihre  mangelnde  Färbbarkät  sich  als  ab- 
gestorben erweisen,  de  Christmas  betrachtet  deshalb  das  Gift 
als  Produkt  der  Lebenstätigkeit.  Eher  scheint  ims  aus  seinen  wie  aus 
Nicolayens    Versuchen    hervorzugehen,    daß    das    Gift   nur 


1)  de  Christmas,  Aimal.  Pasteur  1897  und  1900;  Schaff  er. 
Ergebn.  d.  allgem.  Pathol.  (Lubarsch-Ostertags)  2.  Jahrg.  1897. 
131.  Nicolaysen,  Zentr.  Bakt.  22.  12/13,  1897;  Wassermann, 
Berl.  klin.  Woch.  1897.  32  und  Zeitschr.  f.  Hyg.  27,  1898;  Laitinen, 
Zentr.  Bakt.  23.  20,  1898;  Moltschanoff,  Münch.  med.  Woch.  1899. 
31;  Scholtz,  Arch.  f.  Dermatol.  49,  1899;  C  a  n  t  a  n  i  ,  ref.  Zentralbl. 
Bakt.  29.   1899;  Vannod,  Zentr.  Bakt.  44,  1907. 

2)  Chamberlandfilter  halten  die  Gifte  zurück,  weniger  Bwkefeki- 
filter;  e«n  besten  filtriert  man  durch  Papier,  das  man  mit  etwas  Talk  be- 
streut hat. 


Gifte  der  Klein wesen.  965 

nter    bestimmten    Ab  s  t  e  r  b  eb  e  dingunge  n  ,    wozu 

uch    die   Temperatur    von  37®  b i s  40**  gehört,  frei 

r i r d.    Berechtigt  ist  dagegen  vielleicht  der  Einwand  de  Christ- 

1  a  3 ,    daß   die  meisten  Forscher  nur  mit  wenig  giftigen  Kulturen, 

berhaupt    nicht  mit  dem  echten  Gonokokkengift  gearbeitet  haben. 

Nach  ihm  sind  die  gewöhnlichen  Aszitesbouillonkulturen  ziemlich 
inwirksam;  viel  giftiger  erweisen  sich  die  Gonokokken,  wenn  man  sie 
1  einer  Mischung  von  Aszitesflüssigkeit  (Vi — Vs)  und  stark*)  eingeengter 
^)uilIon  ohne  Pepton  züchtet.  Die  Kulturen  sind  am  giftigsten 
Ach  2 — 4  Wochen,  und  zwar  macht  es  dann  für  den  Erfolg  wenig  aus, 
b  man  den  Niederschlag  der  Kultur,  der  aus  den  Bakterienleibern  besteht, 
der  die  darüber  stehende  klare  Flüssigkeit  benutzt.  Die  Giftigkeit  bleibe 
erner  unberührt  durch  1  ^^stündiges  Erhitzen  auf  60 •,  wird  aber  durch 
Inwendun^  höherer  Temperaturen  stark  herabgesetzt  und  verschwindet 
wischen  75 — 80".  Der  Zusatz  von  etwas  Glyzerin  vermindert  die  Emp- 
indlichkeit  gegen  höhere  Temperatiuren.  Am  schönsten  läßt  sich  nach 
le  Christmas  die  Wirksamkeit  dieses  Cronokokkengiftes  nachweisen, 
venn  man  es  Meerschweinchen  unter  die  Hirnhaut  einbringt.  Die 
Operation  ist  bei  einiger  Übung  sehr  einfach.  Mit  einem  kleinen  Trepan 
von  1  mm  Durchmesser)  bohrt  niAn  etwa  1  cm  hinter  den  Augenhöhlen 
gerade  neben  der  Mittellinie  ein  Loch  durch  den  Schädel.  Eine  Blutung, 
iie  etwa  eintritt,  läßt  sich  leicht  stillen.  Dann  führt  man  das  Gift  diu'ch 
nne  Kanüle  ein,  die  man  2  mm  oberhalb  der  Spitze  mit  einem  Ring  ver- 
^hen  hat,  um  nicht  zu  tief  einzudringen.  Das  Gonokokkengift  tötet,  auf 
üese  Weise  eingeführt,  Meerschweinchen  schon  in  Mengen  von  0,001  bis 
XOl,  während  die  unbeimpfte  Kulturflüssigkeit  ohne  Schaden  ertragen  wird. 
Die  Vergiftung  macht  sich  schon  nach  einigen  Stimden  bemerkbar:  das 
Tier  bleibt  unbewegUch,  wird  von  kurz  dauernden  Krämpfen  geschüttelt, 
fällt  auf  die  Seite  und  stirbt  in  6 — 10  Stunden.  Diese  Angaben  deChrist- 
^  a  s '  kann  ich  vollständig  bestätigen.  Das  Gift  ist  auch  leichter  zu  ge- 
iv'innen,  als  auf  einem  der  sonst  empfohlenen  Nährböden;  z.  B.  hat  mir 
das  Verfahren  Wassermanns  *)  keine  guten  Ergebnisse  geliefert; 
^ninchenserum,  das  sich  ebenfalls  gut  eignen  soll,  konunt  im  allgemeinen 
Qicht  in  Betracht,  weil  es  nur  schwer  in  den  nötigen  Mengen  zu  erhalten 
i^t.  Eine  stark  örtHche  Einwirkung  zeigt  das  Gift  an  anderen  Körper- 
stellen, namentlich  nach  Christmas  in  der  vorderen  Augenkammer, 
»uf  Schleimhäuten  fast  gar  nicht  bei  Tieren,  wohl  beim  Menschen 
(vgl.  Infektionslehre). 

Nach  de  Christmas  können  Tiere  nicht  nur  durch  intrazere- 
brale Einspritzung  kleiner  Mengen,  sondern  ebenso  durch  subkutane  Be- 
handlimg,  zu  der  stets  viel  größere  Mengen  nötig  sind,  gegen  da.8  Gono- 
kokkengift immunisiert  werden.  Das  Senun  der  giftfesten  Tiere  (Ziegen) 
"»U  antitoxisch  wirken;  z.  B.  neutralisieren  0,6  ccm  Serum  10  ccm  Gift- 
lösung, d.  h.  5000  tödliche  Dosen.  Eigene  nicht  veröffentlichte  Versuche, 
vom  Pferde   ein  antitoxisches    Serum   zu   gewinnen,   sind  fehlgeschlagen. 

1)  Auf  den  vierten  Teil. 

2)  Hämoglobinfreies  Schweineserum  15  ccm  +  35  Wasser  +2 — 3  ccm 
f'lyzerin  +  0,8  g  Nutrose,  über  der  freien  Flamme  unter  Umschütteln  zu 
kochen. 


966  Kap.  XVI,   §  297  u-  298. 

Neuerdings  gibt  V  a  n  n  o  d  an,  das  Gonokokkengift  Christmas'  sei 
nur  für  Meerschweinchen  giftig  und  eigne  sich  nicht  zur  Immunisienmg. 
Dagegen  sei  das  „Nukleoproteid"  der  Gronokokken,  d.  h.  das  durch  Aus- 
ziehen mit  Alkali  gewonnene  Eiweiß,  für  Kaninchen  vom  Blut  au-; 
in  Gaben  von  0,05  g  tödlich.  Die  ohne  Wartezeit  eintretenden  Elrschei- 
nungen  sollen  von  Alkaloiden,  die  neben  den  Nukleoproteiden  in  den 
Giften  enthalten  seien,  abhängen.  Eine  Inununisierung  gegen  dieses  Gift 
sei  in  freilich  sehr  beschränktem   Grade  möglich. 

Eine  praktische  Bedeutung  haben  wohl  alle  diese  Angaben  üher 
Gonokokkengift  nicht,  da  Allgemeinerscheinungen  bei  der  natürlichen 
Infektion  meist  fehlen  und  die  örtlichen  sich  aus  den  entzündungser- 
regenden Eigenschaften  der  Gonokokken  genügend  erklären. 

§  298.  Staphylokokkengift.  Die  Giftigkeit  des  Staphylo- 
coccuB  pyogenes  schwankt  in  weiten  Grenzen.  Man  muß  nach  v.  Lin- 
gelsheim^)  die  der  Eulturfiltrate,  die  bei  weitem  größer  ist,  und 
der  Staphylokokkenleiber  scharf  unterscheiden. 

Daß  die  Filtrate  giftig  sein  können,  zeigten,  von  alteren  Be 
obachtungen  Ribberts*)  u.  a.  abgesehen,  zuerst  Courmont  und 
namentlich  M  o  s  n  y  und  Marcano  ').  Sie  konnten  Kaninchen  auf 
dem  Blutwege  durch  5 — 10  ccm  Filtrat  virulenter  Kulturen  schnell  töten 
Gewöhnlich  bedeurf  man  aber  viel  größerer  Mengen,  so  mußte  Peter- 
sen*) 70 — 100  ccm  einspritzen,  um  Wirkungen  zu  erzielen.  Auf  der  anderen 
Seite  gelingt  es  nach  v.  Lingelsheim,  die  Giftigkeit  so  zu  steigern, 
daß  2  ccm  eines  lOtägigen  Filtrats  Kaninchen  von  1000  g  Gewicht  naoh 
Einspritzimg  ins  Blut  binnen  einer  Stiuide,  luiter  die  Haut  in  2 — 3  Tagen 
töten.  Die  Virulwiz*)  un<J  Herkunft  sollen  dabei  eine  viel  geringere  Rollt- 
spielen  als  das  Züchtungsverfahren,  dessen  Eigentümlichkeiten  frei  lieh 
nicht  näher  angegeben  werden.  Exsudate  von  Tieren  enthalten  nach  der- 
selben Quelle  mehr  Gift  als  Kulturen.  Vielleicht  ist  mit  diesem  Filtrst- 
gif  t  verwandt  das  von  Kraus  und  P  r  i  b  r  a  m  •)  gefundene.  Sie  stu- 
dierten namentlich  die  akute  Wirkung  im  Blute  von  Kaninchen,  die  sie 
als  Herzvergiftung  auffeissen  (über  Antitoxin  s.  u.).  Neben  den  allgemeinen 
Vergiftungsersoheinungen  bewirken  die  Staphylokokkenfiltrate  noch  eine 
starke  örtliche  Reizung,  die  übrigens  bei  Gelegenheit  der  Untersuchungen 
über  die  Ursache  der  Eiterung  schon  viel  früher  gefimden  wurde  (vgl. 
S.  909),  femer  zerstören  sie  weiße  Blutkörperchen,  besonders  die  der 
Kaninchen  (§  317),  rote  Blutkörperchen  (§  312),  Nierenepithelien  (§  318). 
rufen    Darmerscheinungen    und    allgemeinen    Marasmus    (M  o  s  n  y    und 

1)  Ätiologie  und  Therapie  der  Staphylokokkeninfekt.  (Behring.* 
Beitr.  experim.  Ther.  1900). 

2)  Vgl.    §  318. 

3)  Semaine  m^dicale  1894.  549. 

4)  Bruns  Beitr.  z.  Chir.  19,  1879. 

5)  Nach  van  deVelde  (La  Cellule  10,  1894)  wäre  gar  kein  Unter- 
schied zwischen  dem  Gifte  virulenter  und  abgeschwächter  Staphylokokken, 
doch  zeigten  sich  seine  Gifte  überhaupt  sehr  wenig  wirksam.  Für  d&= 
Leukozidin  und  Lysin  der  Staphylokokken  scheint  der  Satz  besser  be- 
wiesen zu  sein, 

6)  Wien.  klin.  Woch.   1906.   17. 


Gifte  der  ICleinweeen.  967 

U  a  r  c  a  n  o)  hervor.  In  welcher  Beziehung  dieses  „Leukozidin",  „Hämo- 
lysin" (Staphylolysin),  „Nephrotoxin"  usw.  zueinander  und  dem  Haupt- 
zifte  stehen,  ist  noch  nicht  ganz  sicher^).  Für  die  Einheit  aller  dieser  Gifte 
ipricht,  daß  sie  gewöhnlich  und  zwar  in  entsprechendem  Verhältnis,  neben- 
einander gefunden  werden  (von  Lingelsheim)  imd  sämtlich  emp- 
findlich gegen  Erhitzung  (56 — 60°)  sind.  Doch  machten  N  e  i  ß  e  r  und 
VVechsberg  die  Beobachtung,  daß  Hämolysin  und  Leukozidin  vonein- 
ander unabhängig  auftreten  (vgl.  §  317).  Auch  findet  von  Lingels- 
heim, daß  der  Alkoholniederschlag  der  Filtrate  diese  starken  örtlich 
reizenden  Gigenschaften  noch  zeigt,  aber  eine  Einbuße  an  der  allgemeinen 
Giftigkeit  und  einen  vollständigen  Verlust  seiner  leukozytentötenden 
Wirkung  aufweist.  Auch  bei  längerem  Aufbewahren  der  Filtrate  machen 
sich  ähnliche  Veränderungen  des  Giftes  bemerkbar.  Eine  wichtige  Eigen- 
schaft des  Staphylokokkengiftes  ist  nach  v.  Lingelsheim,  daß  es 
viel  energischer  auf  Kaninchen  wirkt  als  auf  Mäuse 
und  Meerschweinchen.  Das  obenerwähnte  Filtrat  tötete  Mäuse 
erst  bei  intraperitonealer  Einverleibung  in  einer  Menge  von  1  ccm  binnen 
4  Tagen  und  Meerschweinchen  auf  demselben  Wege  erst  in  Gaben  von 
mehr  als  5  ccm.  Die  Giftempfindliclikeit  der  Mäuse,  Meerschweinchen 
und  Kaninchen  verhält  sich  also  etwa  wie  2:3:  30. 

Was  die  Xatur  des  Staphylokokkenfiltratgiftes  anlangt,  so  hat  man 
auch  hier  nach  Ptomainen  gesucht  und  glaubte  sie  auch  teilweise  entdeckt 
iu  haben.  Doch  hat  Leber  selbst  sein  „Phlogosin"  (S.  820),  das 
übrigens  aus  den  Staphylokokkenleibem  dargestellt  war,  später  nicht  mehr 
wiedergefunden,  ebensowenig  wiev.  Lingelsheim.  Letzterer  Forscher 
liat  auch  in  den  nach  dem  Verfahren  von  de  Christmas*),  sowie 
von  Rodet  und  Courmont  *)  aus  Staphylokokkenkulturen  dar- 
gestellten alkohollö;ilichen  Stoffen  keine  erhebliche  Giftwirkung 
nachweisen  können.  Daß  organische  Säuren,  wie  Ameisen-,  Butter-,  Bal- 
driansäure, die  im  Stoffwechsel  der  Staphylokokken  gebildet  werden,  nicht, 
wie  T  e  r  n  i  *)  es  will,  diese  Giftigkeit  bedingen  können,  folgt,  abgesehen 
davon,  daß  sie  hitzebeständig  sind,  schon  aus  der  geringen  Menge,  in  der  sie 
♦entwickelt  werden.  Es  unterliegt  dagegen  keinem  Zweifel,  daß  das  Gift 
wenigstens  zmn  allergrößten  Teil  durch  Alkohol  oder  Ammonsulfat  aus  dem 
t^iltrate  niedergeschlagen  werden  kann*).  Ob  es  als  Ferment  (deChrist- 
ni  a  8)  oder  Toxalbumin  (B  r  i  e  g  e  r  und  Fränkel*))  zu  bezeichnen 
wäre,  ist  aber  freilich.  In  der  Gabe  von  0,04  g,  in  welcher  nach  v.  Lingels- 
heim bestenfalls  die  Alkohol fällung  der  Bouillonfiltrate  Kaninchen  von 


1)  Nach  P.  Th.  Müller  gibt  es  ferner  in  den  älteren  Filtraten  (und 
in  den  Leibern)  der  Staphylokokken  gewisse  Stoffe,  die  im  Knochenmark 
reichliche  Fibrinogenbildung  hervorrufen  (Sitzungsber.  Wien. 
Akad.  114  u.  116,  1906  u.  1906),  und  die  mindestens  von  den  Leuko-  imd 
Hämolysinen  verschieden  sind. 

2)  Rech.  exp6rim.  sur  la  suppuration.    Paris  1888. 

3)  Province  m^dicale  1891.  481  und  Bull.  m6d.  1892.  84;  Semaine 
mädicale  1894.  669. 

4)  Rivista  d'igine  1893  (Baumgartens  Jahresber.). 

5)  Vgl.  M.  N  e  i  ß  e  r  und  L  i  p  s  t  e  i  n  ,  Handb.  pathog.  Mikr. 
(Kell  e-Wass  ermann)  3.   124,   1903. 

6)  Berl.  klin.  Woch.   1890. 


968  I^p.  XVT,   §  298  u.  299. 


1000  g  tötet,  wird  jedenfalls  der  bei  weitem  größte  Teil  aus  dem  Gift  an-j 
hängenden  unwirksamem  Material   (Eiweiß  u.  a.)  bestehen. 

Gegen  das  Filtratgift  der  Staphylokokken  lassen  sich  Tiere  auch 
immunisieren  (Reichel,  Mosny  ynd  Marcano,  Capmann, 
Kraus  luid  P  r  i  b  r  a  m) ,  ebenso  gegen  das  Leukozidin  (Den  y  a 
und  vandeVeldeu.  a.)  und  Staphylolysin  (N"  e  i  ß  e  r  imd  W  e  c  h  s  - 
b  e  r  g).  Die  Schutzkraft  tritt  auch  im  Serum,  allerdings  nur  gegenüber 
den  letzteren  beiden  Giften,  in  erheblichem  Grade  hervor;  dabei  hat  sich 
herausgestellt,  daß  dcw  Staphylolj^in  durch  Lagern  eigentümliche  Ver- 
änderungen erleidet,  die  der  Toxoidbildung  bei  Diphtherie-  tind  TetaniL^- 
gift  entsprechen  (S.  833). 

Die  Leibessubstanz  der  Staphylokokken  ist  nach 
den  meisten  Forschem  sehr  wenig  giftig. 

Der    Bakterienrasen    von    3 — 6    dreitägigen    Agarkulturen,     der    in 
feuchtem   Zustand   300 — 600  mg,   im  trockenen   40 — 90  mg  wiegt,   tötet 
nach  V.  Lingelsheim,  25  Minuten  auf  100*  erhitzt,  Meerschweinchen 
von  300  bis  400  g  vom  Bauchfell  aus  binnen  24  Stunden  unter  den  be- 
kannten Erscheinungen  des  Cholerakollapses.    Kaninchen  und  Mäuse  sind 
für  dieses  Leibesgift  verhältnismäßig  ebenso  empfänglich  wie  Meerschwein- 
chen, man  bedarf  daher  riesiger  Mengen,  um  erstere  Tiere  zu  töten.    Nach 
Kutscher   imd   Konrich*)   werden   bei   intravenöser   Einspritzung 
selbst  20 — 30  Agarkulturen  auf  einmal  von  ihnen  übertragen.    Wenn  man 
so  große  Mckssen  den  Tieren  einverleiben  will,  muß  man  natürlich  an  die 
möglicherweise  eintretenden  mechanischen  und  thermischen  Schädigungen 
denken:   am  besten  ist  es,   man  entnimmt  vor  der   Einspritzung  diesen 
Tieren  entsprechende  Mengen  Blutes  und  erwärmt  die  Injektionsflüssigkeit 
auf  Bluttemperatur.    Man  darf  nicht  etwa  denken,  daß  das  Leibesgift  der 
Staphylokokken  durch  die  Erhitzung  bis   100*  stark  geschwächt  würde, 
denn  bei  den  Endotoxinen  anderer  Bakterien  ist  das  auch  nicht  der  Fall. 
Nach  V.  Lingelsheim  sind  auch  die  Leiber  der  Staphylokokken,  wenn 
man  sie  gar  nicht  erhitzt,  sondern  nur  nach  der  von  R.   Koch  für  die 
Tuberkelbazillen    vorgeschlagenen   Methode    durch   gründliches    Zerreiben 
in  trockenem  Zustande  abtötet,  nicht  giftiger.   Auch  macht  es  keinen  Unter- 
schied,   ob  man  virulente   oder  wenig  virulente  Kokken  verwendet.     Be- 
merkenswert ist,  daß  etwa  90%  des  dabei  erhaltenen  trockenen  Pulvers 
in  Wasser   löslich  ist;    die  Lösung  besitzt  eine  schwach  alkalische  Reak- 
tion, wird  durch  Kochen  nicht  koaguliert,  aber  durch  Essigsäure  gefällt. 
Der  Niederschlag  löst  sich  nicht  in  einem  Überschuß  von  Essigsäure,  wohl 
in  schwachen  Alkalien  wieder  auf,  aber  mu*  wenn  er  frisch  ist.    Einmal 
getrocknet,  wird  die  Substanz  in  allen  Lösungsmitteln  unlöslich.   Die  Lösung 
gibt  die  bekannten  Eiweißreaktionen,  wird  femer  gefällt  durch  Alkohol, 
zum  Teil  durch  Sättigung  mit  Kochsalzlösung,  durch  Kupfer-,  Blei-  und 
Quecksilbersalz,  auch  durch  die  basischen  Anilinfarben,  die  sie  aber  im 
Überschuß  wieder  auflösen.    Das  Leibesgift  der   Staphylokokken  besitzt 
auch  örtlich  reizende,  eiterungerregende  Eigenschaften,  doch  nicht  in  so 
erheblichem  Grade  als  das  Filtrat,  Leukozidin  enthält  es  nur  in  Spuren. 
Wenn  man  daher  auch  nicht  leugnen  kann,  daß  in  älteren  Kulturen  ein 
Teil  dieses  Giftes  in  Lösung  gehen  wird,  so  spielt  es  gegenüber  dem  in  den 
Filtraten  enthaltenen   Gift  keine  wesentliche  Rolle. 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  48.  260,   1904. 


Gifte  der  Klein wesen.  969 

Mit  dieser  schwachen  Wirkung  der  Staphylokokkenleiber  stimmt 
nun  freilicli  nicht  der  Umstand  zusammen,  daß  sich  nach  dem  Ver- 
fahren von  Macfadyen  xmd  Rowland^)  auB  den  Leibern  der 
Staphylokokken  ein  starkes  Gift  gewinnen  läßt.  Eine  lOprozentige 
Lösung  des  Preßsaftes  tötet  Meerschweinchen  vom  Bauchfell  aus  in 
einer  Menge  von  0,3  ccm  binnen  8  Stunden.  Wie  sich  dieser  Wider- 
spruch löst,  wäre  noch  auszumachen.  Zu  bedenken  ist  femer,  daß  die 
Wertschätzung  der  Filtratgifte  dadurch  sehr  beeinträchtigt  wird, 
daß  es  auch  in  den  virulenten  Kokken  nicht  beständig  gebildet  wird. 
Man  könnte  deshalb  ihre  Bedeutimg  für  das  natürliche  Infektionsbild 
leugnen.  Allerdings  haben  B  a  i  1  und  W  e  i  1  ^) ,  wie  schon  v.  L  i  n  - 
gelsheim,  auch  in  Staphylokokkenexsudaten  giftige  Wirkungen 
gefunden.  Es  fragt  sich  aber  wieder,  ob  das  eine  beständige  Eigen- 
schaft ist. 

Gerade  bei  den  Staphylokokken  ist  die  Frage,  ob  die  Filtratgifte 
als  echte  Sekrete  aufzufassen  sind,  vielleicht  am  ehesten  zu  bejahen. 
Immerhin  ist,  wenn  man  sich  auch  auf  den  Standpunkt  stellt,  daß  die 
jungen  Leiber  die  charakteristischen  Gifte  noch  nicht  enthalten,  damit 
noch  nicht  ganz  sicher  gestellt,  daß  sie  Sekrete  seien,  denn  in  ganz 
jungen  Kulturen  fehlen  sie  auch  in  den  Filtraten,  und  wenn  sie  später 
in  den  letzteren  auftauchen,  könnten  sie  ebensowohl  durch  die  regel- 
mäßig in  älteren  Kulturen  stattfindende  Entartung  bzw.  den  Zerfall 
der  Leiber  frei  werden.  Vielleicht  bringen  autolytische  Versuche  eine 
Entscheidimg  der  Frage;  allerdings  leistet  dem  Augenschein  nach  zu 
urteilen  (§  9)  die  Selbstverdauimg  bei  den  Staphylokoken  wie  bei 
den  meisten  grampositiven  Bakterien  viel  weniger  wie  bei  den  gram- 
negativen (vgl.  Pestbazillen  S.  954). 

Von  den  Staphylokokken,  die  bei  Krankheitsprozessen  vorkommen, 
unterscheiden  sich  die  in  der  Luft,  auf  der  normalen  Haut  und  Schleim- 
haut usw.  gefundenen  saprophytischen  Staphylokokken  dadurch,  daß 
sie  weder  Hämolysin  noch  Leukozidin  bilden  (N  e  i  ß  e  r  und  W  e  c  h  s  - 
berg,  Kutscher  und  K  o  n  r  i  c  h).  Wahrscheinlich  fehlt  ihnen 
überhaupt  jdie  Fähigkeit,  Filtratgifte  zu  bilden,  sie  werden  aber  wohl 
ein  ähnliches  hitzebeständiges  Leibesgift  erzeugen  wie  die  pathogenen 
Staphylokokken   und   alle   anderen   Bakterien. 

§  299.  Pyocyaneusgifte.  Der  Bazillus  des  blauen  Eiters  ist 
zwar  beim  Menschen  gewöhnlich  ein  harmloser  Schmarotzer,  aber  nicht 
für  unsere  Versuchstiere.  Die  Giftigkeit  des  Bac.  pyocyaneus  für  diese 
ist  ebenso  lange  bekannt  wie  seine  Infektiosität.     C  h  a  r  r  i  n  ^)  be- 

1)  Zentr.  Bakt.  35,   1904. 

2)  Wien.  klin.  Woch.   1906.   14. 

3)  MalGMÜe  pyocyanique  1889. 


964  Kap.  XVI,   §  296  u.  297. 

Autolysats,  einer  Halbliterkultur  nötig,  um  ganz  junge  Meerschweinchen 
vom  Bauchfell  aus  zu  töten  (F 1  e  x  n  e  r  ).  Das  Immimserum  vermag 
zwar  die  doppelte  tödliche  Giftgabe  zu  neutralisieren,  aber  nur  bei 
vorheriger  Einspritzung,  ist  also  vielleicht  nicht  antitoxisch  im  eigent- 
lichen Sinne  (Kraus  und  Dörr). 

§  297.  Gonokokkengift.  Ein  ziemlich  ähnliches  Ergebnis  haben 
die  zahlreichen  Arbeiten  über  das  Gift  der  nahe  verwandten  Gono- 
kokken ergeben.  Daß  die  Gonokokken  giftig  sind,  kann  man  schon 
daraus  ersehen,  daß  ihre  lebenden  Kulturen,  wenn  sie  üppig  entwickeh 
sind,  in  großen  Mengen  Mäuse  (0,3 — 1  ccm)  imd  Meerschweinchen 
(5 — 10  ccm)  ins  Bauchfell  eingespritzt,  aber  auch  Kaninchen  vom 
Blutwege  aus  töten,  obwohl  die  Kokken  sich  in  ihnen  nicht  vermehren, 
sondern  absterben.  Die  nähere  Untersuchung^)  hat  gezeigt,  daß  Kul- 
turen, die  durch  Hitze  von  50 — ^70°  abgetötet  sind,  die  gleiche  Wirkung 
zeigen,  daß  die  Giftigkeit  von  Filtraten^)  zuerst  gering  ist,  aber  mit 
dem  Alter  wächst.  Es  macht  ganz  den  Eindruck,  daß  das  Gift  aU- 
mähUch  aus  den  absterbenden  Gonokokken  in  die  Flüssigkeit  diffun- 
diere. Dementsprechend  kann  man  auch  die  Leiber  der  Kokken  allein 
benutzen.  Nach  Nicolaysen  töten  z.  B.  10  mg  der  gewaschenen 
und  getrockneten  Bakterien  aus  einer  Ttägigen  Aszitesbouillon  Mäuse 
vom  Bauchfell  aus  in  24  Stunden.  Durch  Kochen  mit  Wasser  oder 
Vio  Normalnatronlauge  ließ  sich  das  Gift  nicht  aus  den  Bakterien 
ausziehen,  wurde  aber  auch  nicht  dadurch  zerstört. 

Gegen  die  Anschauung,  daß  das  Gift  beim  Absterben  der  Gono- 
kokken frei  würde,  führt  de  Christmas  ins  Feld,  daß,  wenn  man 
in  einer  frischen  Kultur,  die  nur  gut  färbbare  Kokken  enthält,  die  Flüssig- 
keit, die  kaum  giftig  ist,  abhebt,  durch  neue  ersetzt  und  dann  die  Kultur 
bei  20^  stehen  läßt,  diese  auch  nach  acht  Tagen  noch  nicht  giftig  ist, 
obwohl  alle  Kokken  durch  ihre  mangelnde  Färbbark^t  sich  als  ab- 
gestorben erweisen,  de  Christmas  betrachtet  deshalb  das  Gift 
als  Produkt  der  Lebenstätigkeit.  Eher  scheint  uns  aus  seinen  wie  aus 
Nicolayens    Versuchen    hervorzugehen,    daß    das    Gift  nur 


1)  deChristmas,  Annal.  Pasteur  1897  und  1900;  S  c  h  ä  f  f  e  r . 
Ergebn.  d.  allgein.  Pathol.  (Lubarsch-Ostertags)  2.  Jahrg.  1897. 
131.  Nicolaysen,  Zentr.  Bakt.  22.  12/13,  1897;  Wassermann, 
Berl.  klin.  Woch.  1897.  32  und  Zeitschr.  f.  Hyg.  27,  1898;  Laitinen, 
Zentr.  Bakt.  23.  20,  1898;  Moltschanoff,  Münch.  med.  Woch.  1899. 
31;  Scholtz,  Arch.  f.  Dermatol.  49,  1899;  Cantani,  ref.  Zentralbl. 
Bakt.  29.   1899;  Vannod,  Zentr.  Bakt.  44,   1907. 

2)  Chamberlfioidfilter  halten  die  Gifte  zurück,  weniger  Berkefeld- 
filter;  am  besten  filtriert  man  durch  Papier,  das  man  mit  etwas  Talk  be- 
streut hat. 


Gifte  der  Klein wesen.  965 

nter  bestimmten  Ab  s  t  e  r  be  b  e  di  ngunge  n  ,  wozu 
ucb  die  Temperatur  von  37°  bis  40°  gehört,  frei 
i  r  d.  Berechtigt  ist  dagegen  vielleicht  der  Einwand  de  Christ- 
a  s  ,  daß  die  meisten  Forscher  nur  mit  wenig  giftigen  Kulturen, 
)erhatLpt   nicht  mit  dem  echten  Gonokokkengift  gearbeitet  haben. 

Nach  ihm  sind  die  gewöhnlichen  Asziteebouillonkulturen  ziemHch 
iwirksam;  viel  giftiger  erweisen  sich  die  Gonokokken,  wenn  man  sie 
einer  Mischung  von  Aszitesflüssigkeit  (Vs — '/s)  und  stark  ^)  eingeengter 
Duillon  ohne  Pepton  züchtet.  Die  Kulturen  sind  am  giftigsten 
ich  2 — 4  Wochen,  und  zwar  macht  es  dann  für  den  Erfolg  wenig  aus, 
)  man  den  Niederschlag  der  Kultur,  der  aus  den  Bakterienleibern  besteht« 
ler  die  darüber  stehende  klare  Flüssigkeit  benutzt.  Die  Giftigkeit  bleibt 
mer  unberührt  durch  1  ^stündiges  Erhitzen  auf  60^,  wird  aber  durch 
nwendung  höherer  Temperaturen  stark  herabgesetzt  und  verschwindet 
vischen  75 — 80®.  Der  Zusatz  von  etwas  Glyzerin  vermindert  die  Emp- 
tidlichkeit  gegen  höhere  Temperaturen.  Am  schönsten  läßt  sich  nach 
e  Christmas  die  Wirksamkeit  dieses  Gonokokkengiftes  nachweisen, 
enn  man  es  Meerschweinchen  unter  die  Hirnhaut  einbringt.  Die 
peration  ist  bei  einiger  Übung  sehr  einfach.  Mit  einem  kleinen  Trepan 
•  on  1  nun  Durchmesser)  bohrt  man  etwa  1  cm  hinter  den  Augenhöhlen 
erade  neben  der  Mittellinie  ein  Loch  durch  den  Schädel.  Eine  Blutung, 
ie  etwa  eintritt,  läßt  sich  leicht  stillen.  Dann  führt  man  das  Gift  durch 
ine  Kanüle  ein,  die  man  2  nun  oberhalb  der  Spitze  mit  einem  Ring  ver- 
ehen  hat,  lun  nicht  zu  tief  einzudringen.  D€ts  Gonokokkengift  tötet,  auf 
iese  Weise  eingeführt,  Meerschweinchen  schon  in  Mengen  von  0,001  bis 
.01,  während  die  unbeimpfte  Kulturflüssigkeit  ohne  Schaden  ertragen  wird. 
)ie  Vergiftung  macht  sich  schon  nach  einigen  Stunden  bemerkbar:  das 
'ier  bleibt  unbeweglich,  wird  von  kurz  dauernden  Krämpfen  geschüttelt, 
ällt  auf  die  Seite  und  stirbt  in  6 — 10  Stunden.  Diese  Angaben  deChrist- 
las'  kann  ich  vollständig  bestätigen.  Das  Gift  ist  auch  leichter  zu  ge- 
winnen, als  auf  einem  der  sonst  empfohlenen  Nährböden;  z.  B.  hat  mir 
as  Verfahren  Wassermanns  ')  keine  guten  Ergebnisse  geliefert; 
w^aninchenserum,  das  sich  ebenfalls  gut  eignen  soll,  kommt  im  allgemeinen 
icht  in  Betracht,  weil  es  nur  schwer  in  den  nötigen  Mengen  zu  erhalten 
it.  Eine  stark  örtliche  Einwirkung  zeigt  das  Gift  an  anderen  Körper- 
teilen, namentlich  nach  Christmas  in  der  vorderen  Augenkammer, 
uf  Schleimhäuten  fast  gar  nicht  bei  Tieren,  wohl  beim  Menschen 
vgl.  Infektionslehre). 

Nach  de  Christmas  können  Tiere  nicht  nur  durch  intrazere- 
>rale  Einspritzung  kleiner  Mengen,  sondern  ebenso  durch  subkutane  Be- 
handlung, zu  der  stets  viel  größere  Mengen  nötig  sind,  gegen  das  Gono- 
wkkengift  immiuiisiert  werden.  Das  Serum  der  giftfesten  Tiere  (Ziegen) 
»11  antitoxisch  wirken;  z.  B.  neutralisieren  0,5  ccm  Serum  10  ccm  Gift- 
ösung,  d.  h.  5000  tödliche  Dosen.  Eigene  nicht  veröffentlichte  Versuche, 
k'om  Pferde  ein  anti toxisches    Serum   zu   gewinnen,   sind  fehlgeschlagen. 

1)  Auf  den  vierten  Teil. 

2)  Hämoglobinfreies  Schweineserum  15  ccm  +  35  Wasser  -\-2 — 3  ccm 
Glyzerin  -}-  0,8  g  Nutrose,  über  der  freien  Flamme  unter  Umschütteln  zu 
kochen. 


966  Kap.  XVI,   §  297  u.  298. 

Neuerdings  gibt  V  a  n  n  o  d  an»  das  Gonokokkengift  Christmas^  sei 
nur  für  Meerschweinchen  giftig  luid  eigne  sich  nicht  zur  Immunisierung. 
Dagegen  sei  das  „Nukleoproteid"  der  Gonokokken,  d.  h.  das  durch  Aus- 
ziehen mit  Alkali  gewonnene  Eiweiß,  für  Kaninchen  vom  Blut  aiis 
in  Gaben  von  0,05  g  tödlich.  Die  ohne  Wartezeit  eintretenden  Erschei- 
nungen sollen  von  Alkaloiden,  die  neben  den  Nukleoproteiden  in  den 
Giften  enthalten  seien,  abhängen.  Eine  Immunisierung  gegen  dieses  Gift 
sei  in  freilich  sehr  beschränktem  Grade  möglich. 

Eine  praktische  Bedeutung  haben  wohl  alle  diese  Angaben  über 
Gonokokkengift  nicht,  da  Allgemeinerscheinungen  bei  der  natürlichen 
Infektion  meist  fehlen  und  die  örtlichen  sich  aus  den  entzündungser- 
regenden  Eigenschaften  der  Gonokokken  genügend  erklären. 

§  298.  Staphylokokkengift.  Die  Giftigkeit  des  Staphylo- 
coccus  pyogenes  schwankt  in  weiten  Grenzen.  Man  muß  nach  v.  Lin• 
g  e  1  s  h  e  i  m  ^)  die  der  Kulturfiltrate,  die  bei  weitem  größer  ist,  mid 
der  Staphylokokkenleiber  scharf  unterscheiden. 

Daß  die  Filtrate  giftig  sein  können,  zeigten,  von  älteren  Be- 
obachtungen Kibberts*)  u.  a.  abgesehen,  zuerst  Courmont  und 
namentlich  M  o  s  n  y  und  Marcano  ').  Sie  konnten  Kaninchen  auf 
dem  Blutwege  durch  5 — 10  ccm  Filtrat  virulenter  Kulturen  schnell  toten. 
Gewöhnlich  bedarf  man  aber  viel  größerer  Mengen,  so  mußte  Peter- 
sen*) 70 — 100  ccm  einspritzen,  um  Wirkungen  zu  erzielen.  Auf  der  anderen 
Seite  gelingt  es  nach  v.  Lingelsheim,  die  Giftigkeit  so  zu  steigern, 
daß  2  ccm  eines  10  tagigen  Filtrats  Kaninchen  von  1000  g  Gewicht  nAch 
Einspritzung  ins  Blut  binnen  einer  Stunde,  unter  die  Haut  in  2 — 3  Tagen 
töten.  Die  Virulenz*)  und  Herkunft  sollen  dabei  eine  viel  geringere  Rolle 
spielen  als  das  Züchtungsverfahren,  dessen  Eigentümlichkeiten  freilich 
nicht  naher  angegeben  werden.  Exsudate  von  Tieren  enthalten  nach  der- 
selben Quelle  mehr  Gift  als  Kulturen.  Vielleicht  ist  mit  diesem  Filtrat- 
gif t  verwandt  das  von  Kraus  und  P  r  i  b  r  a  m  *)  gefundene.  Sie  stu- 
dierten namentlich  die  akute  Wirkung  im  Blute  von  Kaninchen,  die  sie 
als  Herzvergiftung  auffassen  (über  Antitoxin  s.  u.).  Neben  den  allgemeinen 
Vergiftungsersoheinungen  bewirken  die  Staphylokokkenfiltrate  noch  eine 
starke  örtliche  Reizung,  die  übrigens  bei  Gelegenheit  der  Untersuchungen 
über  die  Ursache  der  Eiterung  schon  viel  früher  gefunden  wurde  (vfrl- 
S.  909),  femer  zerstören  sie  weiße  Blutkörperchen,  besonders  die  der 
Kaninchen  (§  317),  rote  Blutkörperchen  (§  312),  Nierenepithelien  (§  318). 
rufen    Darmerscheinungen    und    allgemeinen    Marasmus    (M  o  s  n  y   und 

1 )  Ätiologie  und  Therapie  der  Staphylokokkeninfekt.  (Behrings 
Beitr.  experim.  Ther.  1900). 

2)  Vgl.    §  318. 

3)  Semaine  m6dicale  1894.  549. 

4)  Bruns  Beitr.  z.  Chir.   19,  1879. 

5)  Nach  van  deVelde  (La  Cellule  10,  1894)  wäre  gar  kein  Unter- 
schied zwischen  dem  Gifte  virulenter  und  abgeschwächter  Staphylokokken, 
doch  zeigten  sich  seine  Gifte  überhaupt  sehr  wenig  wirksam.  Für  d»^ 
Leukozidin  und  Lysin  der  Staphylokokken  scheint  der  Satz  besser  be- 
wiesen zu  sein. 

6)  Wien.  klin.  Woch.   1906.   17. 


Gifte  der  KleinweBen.  967 

M  a  r  c  a  n  o)  hervor.  In  welcher  Beziehung  dieses  ,,Leukozidin*\  ,,Hämo- 
lysin"  (Staphylolysin),  „Nephrotoxin"  usw.  zueinander  und  dem  Haupt- 
gifte stehen,  ist  noch  nicht  ganz  sicher^).  Für  die  Einheit  aller  dieser  Gifte 
spricht,  daß  sie  gewöhnlich  und  zwar  in  entsprechendem  Verhältnis,  neben- 
einander gefunden  werden  (von  Lingelsheim)  imd  sämtlich  emp- 
findlich gegen  Erhitzung  (55 — 60®)  sind.  Doch  machten  N  e  i  ß  e  r  und 
Wechsberg  die  Beobachtung,  daß  Hämolysin  und  Leukozidin  vonein- 
ander unabhängig  auftreten  (vgl.  §  317).  Auch  findet  von  Lingels- 
heim, daß  der  Alkoholniederschlag  der  Filtrate  diese  starken  örtlich 
reizenden  Eigenschaften  noch  zeigt,  aber  eine  Einbuße  an  der  allgemeinen 
Ciiftigkeit  und  einen  vollständigen  Verlust  seiner  leukozytentötenden 
Wirkiuig  aufweist.  Auch  bei  längerem  Aufbewahren  der  Filtrate  machen 
sich  ähnliche  Veränderungen  des  Giftes  bemerkbar.  Eine  wichtige  Eigen- 
i^chaf t  des  Staphylokokkengif tes  ist  nach  v.  Lingelsheim,  daß  es 
viel  energischer  auf  Kaninchen  wirkt  als  auf  Mäuse 
und  Meerschweinchen.  De»  obenerwähnte  Filtrat  tötete  Mäuse 
erst  bei  intraperitonealer  Einverleibimg  in  einer  Menge  von  1  ccm  binnen 
4  Tagen  imd  Meerschweinchen  auf  demselben  Wege  erst  in  Gaben  von 
mehr  als  5  ccm.  Die  Giftempfindlichkeit  der  Mäuse,  Meerschweinchen 
und  Kaninchen  verhält  sich  also  etwa  wie  2  :  3  :  30. 

Was  die  Natur  des  Staphylokokkenfiltratgiftes  anlangt,  so  hat  man 
auch  hier  nach  Ptomainen  gesucht  und  glaubte  sie  auch  teilweise  entdeckt 
zu  haben.  Doch  hat  Leber  selbst  sein  „Phlogosin"  (S.  820),  das 
übrigens  aus  den  Staphylokokkenleibem  dargestellt  war,  später  nicht  mehr 
wiedergefunden,  ebensowenig  wie  v.  Lingelsheim.  Letzterer  Forscher 
hat  auch  in  den  nach  dem  Verfahren  von  de  Christmas*),  sowie 
von  Rodet  imd  Courmont  ')  aus  Staphylokokkenkulturen  dar- 
pjeatellten  alkohollödlichen  Stoffen  keine  erhebliche  Giftwirkung 
nachweisen  können.  Daß  organische  Säuren,  wie  Ameisen-,  Butter-,  Bal- 
driansäure, die  im  Stoffwechsel  der  Staphylokokken  gebildet  werden,  nicht, 
wie  T  e  r  n  i  *)  es  will,  diese  Giftigkeit  bedingen  können,  folgt,  abgesehen 
davon,  daß  sie  hitzebeständig  sind,  schon  aus  der  geringen  Menge,  in  der  sie 
entwickelt  werden.  Es  unterliegt  dagegen  keinem  Zweifel,  daß  das  Gift 
wenigstens  zum  allergrößten  Teil  durch  Alkohol  oder  Ammonsulfat  aus  dem 
Filtrate  niedergeschlagen  werden  kann^).  Ob  es  als  Ferment  (deChrist- 
m  a  s)  oder  Toxalbumin  (B  r  i  e  g  e  r  und  F  r  ä  n  k  e  l  •))  zu  bezeichnen 
wäre,  ist  aber  fraglich.  InderGabevon  0,04  g,  in  welcher  nach  v.  Lingels- 
heim bestenfalls  die  Alkoholfällung  der  Bouillonfiltrate  Kaninchen  von 


1)  Nach  P.  Th.  Müller  gibt  es  ferner  in  den  älteren  Filtraten  (und 
in  den  Leibern)  der  Staphylokokken  gewisse  Stoffe,  die  im  Knochenmark 
reichliche  Fibrinogenbildung  hervorrufen  (Sitzungsber.  Wien. 
Akad.  114  u.  115,  1905  u.  1906),  und  die  mindestens  von  den  Leuko-  und 
Hämolysinen  verschieden  sind. 

2)  Rech,  exp^rim.  sur  la  suppuration.    Paris  1888. 

3)  Province  m^dicale  1891.  481  und  Bull.  m6d.  1892.  84;  Semaine 
mMicale  1894.  559. 

4)  Rivista  d'igine  1893  (Baumgartens  Jahresber.). 

5)  Vgl.  M.  N  e  i  ß  e  r  und  Lipstein,  Handb.  pathog.  Mikr. 
(Kolle- Wassermann)  3.   124,   1903. 

6)  Berl.  klin.  Woch.   1890. 


974  Kap.  XVI,   §  300  u.  301. 

krankten  sie,  wenn  sie  Stückchen  davon  erhielten,  die  einige  Zeit  in  Bouillon 
oder  Milch  gelegen  hatten.  Ihre  Organe  waren  frei  von  Proteus,  im  Darm- 
inhalt ließ  er  sich  nachwiesen.  30  ccm  einer  Bouillonkultur  vertrug  ein 
Kaninchen  ohne  Schaden  bei  Einführung  in  den  Magen.  Ein  Extrakt, 
der  aus  den  Würsten  mit  leicht  angesäuertem  Wasser  hergestellt  war, 
war  umgekehrt  für  Kaninchen  giftig,  nicht  für  Mause  und  Meerschweinchen. 
Wesenberg  verfütterte  seine  aus  Fleisch  gewonnenen  Reinkulturen 
in  Agar  oder  Milch  an  Mäuse,  ohne  mehr  als  vorübergehende  Krankheite- 
erscheinungen zu  erzielen.  Meyerhof  hatte  gar  keine  Erfolge  bei  Ver- 
fütterung  von  Kulturen  oder  Proteusleichen,  ebensowenig  T  i  s  s  i  e  r 
luid  Gasching^),  die  faules  Fleisch  und  stark  zersetzte  Milch  jungen 
Tieren,   aber  auch  erwachsenen  Menschen  zur  Nahrung  gaben*). 

Nach  alledem  ist  die  Frage,   die  wir  oben  aufgeworfen  hatten, 
nicht  ganz  einfach  zu  entscheiden.   Weder  die  Gifte  des  Proteus  noch 
die  lebenden  Bazillen  sind  für  den  Darm  des  Menschen  und  der  Tiere 
unter  allen  Umständen  schädlich,  selbst  dann  nicht,  wenn  sie  in  großen 
Mengen  eingeführt  werden.  Wenn  man  femer  die  Tatsache  erwägt,  daß 
der  Proteus  einer  der  am  weitesten  verbreiteten  Mikrobien  ist,  der  mit 
allen  möglichen  Nahrungsmitteln  sicher  unzählige  Male  in  den  Darm 
des  Menschen  hineingelangt,  so  wird  man  ihn  nicht  als  echten  In- 
fektionserreger in  Anspruch  nehmen  können.    Vorläufig   scheint  es 
am  besten  unseren  bisherigen  Erfahrungen  zu  entsprechen,  wenn  wir 
annehmen,  daß  der  Bac.  proteus  nur  ausnahmsweise  indennötigen 
Mengen   und  mit   der   nötigen   Virulenz    behaftet 
in  den  Magen  aufgenommen  wird,  um  sich,  etwa 
wie  die  Cholerabazillen,  im  Darm  zu  vermehren 
undkrankmachendeGiftezubilden.   Ob  er  auch  unter 
diesen  Umständen  imstande  ist,  beim  Menschen  nicht  bloß  in  die 
Schleimhaut,  sondern  in  die  inneren  Organe  einzudringen  bzw. 
in  ihnen  zu  wachsen,  ist  vorläufig  sehr  fraglich.    Bei  kleinen  Tieren 
scheint  es  eher  möglich.   Die  fertigen  Gifte  des  Proteus  werden 
wohl  niemals  imter  natürlichen  Verhältnissen  in  solchen  Mengen  ge- 
nommen werden,  daß  sie  Krankheit  hervorrufen  können,  weil  sie  wegen 
ihrer  unangenehmen  äußeren  Eigenschaften  von  vornherein  zurück- 
gewiesen werden.    Sie  würden  aber  auch  wohh  unschädlich  bleiben, 
weil  sie  wie  die  meisten  anderen  Endotoxine  vom  Darmepithel  nicht 
aufgenommen  werden  und  die  Schleimhaut  nicht  reizen. 

Der  von  J  ä  g  e  r  '^)  als  Erreger  des  sogenannten  fieberhaften 
Ikterus  (der  Weil  sehen  Krankheit)  beschriebene  Bac.  proteus  fluo- 
rescens,  der  allerdings  eine  große  Ähnlichkeit  mit  dem  gewöhnlichen 
Proteus  hat,  kann  nicht  ohne  weiteres  mit  letzterem  identifiziert  werden. 

1)  Annal.  Pasteur  1903.  361. 

2)  Vgl.  auch   §  188. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.   12,   1892 


Gifte  der  Kleinwesen.  975 

Mindestens  müßte  er  eine  für  den  Menschen  sehr  virulente  Spielart  sein, 
da  er  schon  in  den  verhältnismäßig  geringen  Mengen,  die  mit  dem 
Trinkwasser  oder  beim  Baden  aufgenommen  werden  können,  Krank- 
heit bzw.  Infektion  erregen  soll.  C  o  n  r  a  d  i  und  V  o  g  t  ^)  haben  sich 
vergebens  bemüht.  Gifte  in  den  Organen  und  Exsudaten  der  von  ihm 
getöteten  Tiere  nachzuweisen. 

Ebenso  ist  es  nicht  wahrscheinlich,  daß  die  gewöhnlichen  Fäidnis- 
erreger  die  Gifte  der  sogenannten  „Fischvergiftimg"  erzeugen,  sondern 
soweit  es  nicht  die  gewöhnlichen  Bazillen  der  Fleischvergiftung  (§  287) 
sind,  besondere  Krankheitserreger  der  Fische*). 

§  301.  Gifte  Ton  Heubazillen,  Prodigiosus  und  anderen 
Saprophyten,  Es  spricht  alles  dafür,  daß  es  auch  unter  den  sonstigen 
„Saprophyten"  Bakterien  gibt,  die  imter  Umständen  giftig  wirken 
können.  Das  hat  z.  B.  Wyssokowitsch^)  von  dem  Bac.  indicus, 
E.  Klein*)  von  dem  Bac.  prodigiosus,  Sobernheim^)  von  dem 
Bac.  subtilis  nachgewiesen. 

In  ziemlich  kleinen  Mengen,  d.  h.  Vio — ^/lo  Agarkultur  in  das  Blut 
von  Kaninchen  oder  in  das  Bauchfell  von  Mereschweinchen  eingespritzt, 
töten  lebende  Aufschwemmungen  dieser  Bazillen  die  Tiere  binnen  24  Stun- 
den unter  starker  Vermehrung  der  Bazillen  und  den  Vergiftungserschei- 
nungen, die  wir  bei  der  Cholera  und  dem  Typhus  kennen  ge'.ernt. 

Es  liegt  daher  nahe,  anzunehmen,  daß  auch  diese  früher  für  ganz 
liarmlos  gehaltenen  Bakterien,  die  gewöhnlich  nur  tote  vegetabilische 
Substanzen  bewohnen,  in  ihren  Leibern  ähnliche  Gifte  bilden,  wie  die 
zenannten  Infektionserreger.  Auch  Stregulina®)  kommt  mit 
Heubazillen  zu  diesem  Ergebnis,  doch  nicht  mit  allen  Varietäten  der- 
jelben.  Das  entspricht  auch  imseren  eigenen  Erfahrungen.  Daß  patho- 
^ene  Heubazillen  vorkommen,  hat  übrigens  schon  Buchner')  im 
Jahre  1882  beobachtet:  es  waren  das  die  bekannten  Versuche,  die  ihn 
lazu  führten,  eine  Umwandlung  des  Heubazillus  in  Milzbrandbazillen 
inzunehmen.  Später  haben  Flügge  und  Lübbert®)  unter  12 
genauer  studierten  „peptonisierenden  Bakterien"  der  Milch,  d.  h. 
ieu-  oder  Kartoffelbazillen,  drei  gefunden,  die  bei  V  e  r  f  ü  1 1  e  r  u  n  g 
hrer  Milchkultur  an  Tiere,  namentlich  junge,  unter  heftigen  Diarrhöen 


1)  Ebenda  37,   1901. 

2)  Vgl.  Konstantonoff,   Arch.  biol.  russ.  10  ref.  Bull.  Pasteur 
904.  871.    S.  auch  Hof  er,  Handb.  d.   Fischkrankheiten,    1904. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1,  1886. 

4)  Zentr.  Bakteriol.   13.  426,   1893. 

5)  Hygien.  Rundschau  1893.  22. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  51,   1905. 

7)  Nägelis  „niedere  Pilze"   1882.   163. 

8)  Zeitschr.  f.  Hyg.  22,   1896. 


976  Kap.  XVI,   §  301  u.  302. 

deren  Tod  verursachten.  Bei  einem  dieser  Bazillen  ergab  sich  weiter, 
daß  schon  1 — 2  ccm  der  Milchkultur,  die  etwa  25  Millionen  Keime 
enthielt,  vom  Peritoneum  aus  Meerschweinchen  mit  Sicherheit  töteten. 
Allerdings  waren  nur  die  lebenden  Bazillen  dazu  imstande,  nicht 
die  keimfreien  Filtrate  der  Kulturen,  auch  nicht  die  durch  Chloroform 
oder  Hitze  abgetöteten  Bazillenleiber.  Daß  nur  ein  gegen  alle 
Eingriffe  sehr  empfindliches  Gift  in  Frage  kommen 
konnte,  wurde  aber  dadurch  bewiesen,  daß  die  lebenden  Bazillen  sich 
im  Körper  der  Versuchstiere  nicht  vermehrten. 

W  e  b  e  r  ^)  hat  in  einer  anderen  größeren  Versuchsreihe  nur  selten 
—  in  3  von  150  Milchproben  —  das  Vorkommen  solcher  giftigen  Heu- 
bazillen bestätigt.  Flügge  ist  jedoch  der  Ansicht,  daß  die  Sommer- 
diarrhöe  (Cholera  nostras)  der  Säuglinge  zum  Teil  auf  derartige 
Gifte  zurückzuführen  sei.  Die  weite  Verbreitung  der  Heubazillen, 
die  unvollkommene  Entkeimung  der  Milch  beim  Kochen  und  die  hohe 
Sommertemperatur  namentlich  der  proletarischen  Wohnungen  er- 
klären das  Aufkommen  der  Heubazillen  in  der  Milch. » —  Mit  den  starken 
Wirkimgen  des  hier  beschriebenen  Subtilisgiftes  hat  die  Wirkung, 
die  man  mit  sehr  großen  Gaben  abgetöteter  Heubazillen  wohl 
stets  erzielen  kann,  nichts  zu  tun^).  Es  handelt  sich  hier  vielmehr  um 
die  allen  Bakterien  zukommenden  und  gerade  bei  den  gramfesten 
Bakterien  wenig  wirksamen  Proteine  oder  Endotoxine  (S.  915). 

Für  den  Prodigiosus  hat  Bertarelli  •)  den  Beweis  der 
Giftigkeit  genauer  geführt.  Filtrate  sind  auch  hier  nur  in  großen  Gaben 
und  wenn  sie  von  alten  Kulturen  stammen,  giftig,  so  töten  6 — 10  ocni 
lOtägiger  Kulturen  des  Prodigiosus  in  Bouillon  von  der  Bauchhöhle  aus 
Meerschweinchen  von  300  g  in  einem  Tage.  Die  abgetöteten  Bakterien- 
leiber sind  dagegen  schon  in  Gaben  von  1  mg  wirksam.  Nimmt  man  an, 
daß  damit  d€bs  Trockengewicht  gemeint  ist,  so  kommen  wir  zu  nur  wenig 
niedrigeren  tödlichen  Gaben  beim  Prodigiosus  wie  beim  „primären"  C?holera- 
und  Typhusendotoxin.  Nicht  mit  diesem  starken  Gift  zu  verwechseln  ist 
das  „Kernpro teid",  das  Bertarelli  selbst  durch  Ausziehen  der  Bak- 
terienleiber mit  Iprozentiger  Sodalösung  in  der  Kälte  und  Fällung  mit 
Essigsäure  erhalten  hat,  und  das  erst  in  sehr  viel  höheren  Gaben  —  ge- 
nauere Angaben  fehlen  —  tötet.  Man  könnte  es  dem  „sekundären"  Endo- 
toxin  R.  Pfeiffers,  dem  Bakterienprotein  Buchners  und  dem 
Pyrotoxin  Centannisan  die  Seite  stellen.  Mit  Vorliebe  hat  man  gerade 
den  Bac.  prodigiosus  zur  Herstellung  derartiger  Präparate  gewählt,  aber 
freilich  die  ursprüngliche  Giftigkeit  sehr  herabgesetzt  gefunden  (§  280). 
V  o  g  e  s  *)  erzielte  bei  einem  Meerschweinchen  von  250  g,  dem  er  300  mg 


1)  Arb.  d.  k.  Gesimdheitsamts  17,  1900. 

2)Voges,    Zeitschr.    f.    Hyg.     17.    475;    vgl.    aber     Spiegel 
b  e  r  g  ,  Jahrb.  f.  Kinderheilkunde  49. 

3)  Zentr.  Bakt.  34.  3/4,   1903. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.   17.  480,   1894. 


Gifte  der  Kleinwesen.  977 

eines  nach  Centanni  hergestellten  trockenen  Prodigiosuspyrotoxins  in 
den  Bauch  spritzte,  sehr  starken  Temperaturabfall.  Doch  erholte  sich  das 
Tier  wieder  von  dem  Kollaps.  Es  wäre  also  das  sekundäre  Prodigiosusgift 
mindestens  300  mal  weniger  wirksam  als  das  primäre.  Auf  tuberkulöse 
Tiere  wirkt  das  Protein  des  Prodigiosus  allerdings  schon  in  einer  etwas 
iieringeren    Gabe  (160  mg  Trockensubstanz)   tödlich*). 

Die  filtrierten  und  noch  mehr  die  nichtfiltrierten  Prodigiosuskulturen 
besitzen  nach   Bertarelli  auch  hämolytisches  Vermögen  ( §  312). 

Über  die  Gifte  amderer  nicht  oder  selten  pathogener  Bakterien  wurden 
fMnige  Erfahrungen  bei  Besprechung  der  Bakterienproteine  mitgeteilt 
(§  280).  Wenn  man  übrigens  mit  der  Gabe  hoch  genug  steigt,  so  kann 
man  mit  allen  Bakterienleibern  schließlich  den  Tod  der  Versuchstiere 
erzielen.  •^' 

§  302.  Influenzagift.  Obwohl  die  Influenza  eine  nur  selten 
tödliche  Krankheit  ist,  sind  die  Vergiftungserscheinungen  bei  ihr  stark 
ausgesprochen.  Nach  R.  Pfeiffer  und  B  e  c  k  2)  lassen  sie  sich  bei 
einigen  Tierarten  wie  Affen  und  Kaninchen  wiedererzeugen. 

Spritzt  man  ihnen  die  Aufschwemmung  nur  einer  Agarkultur,  ent- 
sprechend einigen  Milligrammen  feuchter  Bazillen,  durch  die  Brustwand 
in  die  Lunge  ein,  so  zeigen  sie  ta.gelang  Fieber,  ebenso  beim  Aufstreichen 
der  Kultur  auf  die  ^  äsen  Schleimhaut.  Drei  Agarkulturen  vermochten 
sogar,  in  die  Luftröhre  eingebracht,  einen  Affen  zu  töten.  Die  Temperatur 
stieg  zunächst  und  fiel  dann  auf  32®,  wo  dann  der  Tod  unter  starkem  Kräfte- 
verfall eintrat.  Die  Bazillen  erwiesen  sich  dabei  fast  sämtlich  als  abge- 
storben, hatten  also  durch  ihre  Gifte  gewirkt.  Kaninchen  kann  man  vom 
Blut  aus  durch  die  gleiche  Kulturmenge  vergiften;  die  Tiere  zeigen  Tem- 
peraturanstieg und  eine  höchst  charakteristische  Muskelschwäche. 
Das  Ergebnis  bleibt  dcisselbe,  wenn  man  nicht  lebende,  sondern  durch 
Chloroform  oder  Erhitzung  auf  57°  abgetötete  Bazillen  verwendet.  Bei 
Einbringung  in  das  Gehirn  nach  Trepanation  des  Schädels  (vgl.  das  Ver- 
fahren S.  965)  ist  die  Wirkung  besonders  kräftig,  so  sterben  nach  C  a  n  - 
tani  ')  große  Kaninchen  bei  dieser  Art  der  Einverleibung  an  3 — 6  mg 
der  feuchten  Bakteriensubstanz  binnen  1 — 3  Tagen  unter  Lähmungs- 
orscheinungen.  Bei  kleineren  Gaben  pflegen  sie  sehr  stark  abzumagern. 
Andere  Tiere  sind  weniger  empfänglich.  Doch  kann  man  nach  D  e  1  i  u  s 
lind  K  o  1 1  e  *)  Meerschweinchen  von  200  g  von  der  Bauchhöhle 
aus  mit  10  mg  bei  56®  abgetöteter  frischer  Bazillenleiber  ^)  binnen  24  Stunden 
töten.  Die  Gabe  ist  annähernd  die  gleiche  wie  bei  den  Typhus-  und  Cholera- 
bazillen. Das  Gift  wird  aber  auch  in  reichlichen  Mengen  in  flüssige  Nähr- 
böden abgeschieden.  So  führten  8  com  einer  filtrierten  3 — 8  tägigen  Blut- 
bouillon*) und  5  ccm  der  nicht  filtrierten,  sondern  2  Stunden  bei  56*  sterili- 

1)  Buchner,  Münch.  med.  Woch.   189L  49. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   13,   1898. 

3)  Ebenda  23,   1896. 

4)  Zeitschr.   f.   Hyg.   24,    1897. 

5)  Von  Agar,  der  mit  Taubenblut  gemischt,  nicht  bestrichen  war. 

6)  50  ccm  Bouillon  mit  0,2 — 0,5  ccm  defibrinierten  Taubenbluts  ge- 
mischt wird  zum  Gefrieren  gebracht  und  nach  einigen  Stvmden  wieder 
aufgetaut. 

Kruse,  Mikrobiologie.  62 


978  I^p.  XVI,   §  302—304. 

sierten  Bouillon  den  Tod  herbei.  Bei  der  leichten  Zerstörbarkeit  der  Bazillen 
(durch  Selbstverdauung  ?)  wird  man  das  Influenzagift  aber  dennoch  als 
ein  Leibesgift  auffassen  dürfen,  dos  freilich  bei  empfänglichen  Tieren  be- 
sondere Eigenschaften  entwickelt.  Ältere  14tägige  Kulturen  sind  weniger 
giftig,  vielleicht  weil  das  Gift  durch  den  Luftsauerstoff  allmählich  zerstört 
wird.  In  der  Giftigkeit  der  einzelnen  Kulturstänmie  bestehen  große  Unter- 
schiede. Es  wäre  wichtig,  zu  wissen,  ob  man  auch  mit  den  z.  B.  bei  Masern, 
Keuchhusten  usw.  weit  verbreiteten  sogenannten  Pseudoinfluenza- 
bazillen,  d.  h.  hämoglobinophilen  Bakterien,  die  bisher  durch  kein 
durchgreifendes  Merkmal  von  den  echten  Influenzabazillen  zu  trennen 
sind,  ähnliche  Vergiftungen  erzeugen  kann. 

Eine  gewisse  Gewöhnung  gegen  das  Gift  der  Influenzabazillen  tritt 
bei  Behandlung  von  Tieren  ein,  ihr  Serum  besitzt  aber  nach  D  e  1  i  ii  > 
und  K  o  1 1  e  nicht  eine  Spur  von  Schutzkraft. 

§  303.  Keuchhusteiigift.  Die  AUgemeinerscheinimgen  beim 
Keuchhusten  sind  weniger  ausgeprägt.  Nach  B  o  r  d  e  t  und  G  e  n  - 
g  o  u  ^)  besitzen  aber  die  von  ihnen  gefundenen  Bazillen  ziemlich 
starke  Giftigkeit.  Man  gewinnt  das  Gift  nicht  in  Filtraten,  sondern 
als  „Endotoxin"  nach  dem  Verfahren  Besredkas  (S.  938)  durch 
Trocknen  und  Verreiben  der  Leiber  mit  Kochsalz.  Etwa  Vg  des  Rasens 
von  einer  Blutagarkultur  genügt,  um  Meerschweinehen  von  der  Bauch- 
höhle —  etwa  ^  —  um  Kaninchen  von  der  Blutbahn  aus  in  24  Stunden 
zu  töten.  Die  örtlichen  Erscheinungen  beim  Meerschweinchen  bestehen 
in  einem  hartnäckigen,  in  Nekrose  ausgehenden  hämorrhagischen 
ödem.  Auch  im  Kehlkopf  des  Meerschweinchens  sollen  ähnliche  Pro- 
zesse vorkommen.  Die  Herstellung  eines  antitoxischen  Immunserums 
gelang  nicht. 

§  304.  Tnberkelgif t.  Über  das  Gift  oder  die  Gifte  der  T  u  b  e  r  - 
kelbazillen  ist  zwar  viel  gearbeitet,  aber  noch  kein  völliges  Ein- 
verständnis erzielt  worden.  Soviel  scheint  allerdings  sicher,  daß  das 
Gift  den  Bazillen  sehr  fest  anhaftet  und  nur  durch 
eingreifende  Mittel  in  gr  ö  ß  e  ren  M  e  n  ge  n  von  ihnen 
getrennt  werden  kann,  also  ein  „Endotoxin"  ist. 

Immerhin  sind  Spuren  giftiger  Wirkung  auch  in  den  Fil  traten 
von  alten  Bouillonkulturen  mehrfach  gefunden  worden.  So 
spricht  Pansini  *)  dem  Kulturfiltrat  eine  gleiche,  aber  viel  schwächen' 
Wirkung  zu  wie  den  Bazillen  selbst.  Maragliano  *)  hat  durch  vor- 
sichtige Eindickung  der  Filtrate  hitzeempfindliche  „Toxalbumine"  erhalten, 
die  Meerschweinchen  töten.  Ledoux-Lebard  *)  möcht«  allerdings 
die  geringe  Giftwirkung  (Fieber),  die  auch  er  beobachtete,  auf  die  Bestand- 


1)  Annal.  Pasteur  1909.  5. 

2)  Baumgartens  Jalu^esber.   1894.  699. 

3)  Berl.  klin.  Woch.   1896.   35. 

4)  Arch.  exp^r.  mM.    1898.   601. 


Gifte  der  Kleinwesen.  979 

teile  des  Nährbodens  selbst  zurückführen.    Es  ist  ja  klar,  daß  diese  bei 
stärkerer  Konzentration  nicht  gleichgültig  sind.    Doch  bestehen  Besan- 
nen und   G  o  u  g  e  t  *) ,  sowie  F  r  e  n  k  e  1  und  Bronstein*)  auf  der 
spezifischen    Wirkung   des   Toxalbumins').     Auch   B^raneck  *)   unter- 
scheidet ein  „Basitoxin'S  das  er  durch  vorsichtiges  Einengen  des  Filtrats 
möglichst    alkalischer    Bouillonkulturen    erhielt,    von    dem    „Azidotoxin", 
einem  phosphorsauren  Auszug  der  Bazillenleiber.    Ebenso  gelang  es  R  u  p  - 
p  e  1  *)  in  seiner  gründlichen  Arbeit  zur  Chemie  der  Tuberkelbazillen  (vgl. 
S.  68),  aus  dem  Filtrat  von  50  Liter  Bouillonkultur,  nachdem  er  sie  im 
Vakuum   bei  30 — 40**  auf  den  20.  Teil  eingeengt  hatte,  auf  zwei  Wegen 
wirksame  Gifte  zu  gewinnen.    Entweder  versetzte  er  allmählich  mit  dem 
doppelten   Volumen  absoluten  Alkohols,   ließ  den  Niederschlag  absetzen, 
wusch  ihn  mit  60%  etwas  kochsalzhaltigen  Alkohols,  schließlich  mit  abso- 
lutem Alkohol,    sammelte   auf    einer  Nutsche  vermittelst  der  Saugpumpe 
luid  trocknete  im  Vakuumexsikkator  über  Schwefelsäure.    Oder  er  begann 
damit,  die  eingeengte  Kultur  vier  Tage  lang  gegen  strömendes  Wasser  zu 
dialysieren,  engte  dann  wieder  auf  den  20.  Teil  ein  und  fällte  mit  absolutem 
Alkohol  unter  Zusatz  von  etwas  Kochsalz  und  Salzsäure.    Die  besten  Prä- 
parate bestehen  zum  großen  Teil  aus  Deuteroalbumose,  sie  werden  in  einer 
Menge  von  5  bzw.   4  g  aus  dem  Liter  Kultur  gewonnen  und  sind  nach 
Behring  (s.  u.)  annähernd  so  giftig  wie  die  aus  den  Bazillen  selbst  her- 
gestellten Körper.     Aber  um  gesunde  Meerschweinchen  zu  töten,  würde 
man  freiUch  von  dem  ursprünglichen  Filtrat  ganz  riesiger  Mengen  bedürfen. 
Leider  sagt  R  u  p  p  e  1  nichts  über  die  Widerstandsfähigkeit  seines  Filtrat- 
giftes  gegen  Erhitzmig.    Daß  durch  die  letztere  gewisse  Veränderungen  in 
dem   Tuberkelbazillenfiltrat   gesetzt    werden,    ist    wohl   sicher    (Speng- 
ler*)), aber  gerade  die  giftigen  Bestandteile  kömiten  dabei  weniger  leiden, 
als  die  immunisierenden.    W^enigstens  beruht  auf  dieser  zunächst  zweifel- 
haften Annahme  die  Darstellung  der  zu  Heilzwecken  dienenden  Tuberkel- 
präparate nach  Denys'),    Spengler*),    Landmann   (s.    u.). 

Daß  die  Leiber  der  Tuberkelbazillen  giftig  sind,  folgt 
zunächst  schon  aus  den  zahlreichen  Versuchen,  die  mit  durch  Kochen 
abgetöteten  Bazillen  gemacht  worden  sind').  Nach  Einspritziuig  größerer 
Mengen  ins  Blut  oder  in  die  Trachea  entwickelt  sich  eine  Art  von  Miliar- 
tuberkulose, die  sich  von  der  echten  wesentlich  nur  durch  die  mangelnde 
tbertragbarkeit  unterscheidet.     Bei   subkutaner   Einverleibung  toter   Ba- 


1)  Ebenda  1901.  861. 

2)  Compt.  rend.  soc.  biol.   1899,  521. 

3)  Vgl.  unten  Landmann;  ferner  Koppen,  Zeitschr.  f.  Hyg. 
52,  1905. 

4)  Compt.  rend.  ac.  sc.   137.  889,   1903. 

5)  Zeitschr.  f.  physiol.  Chem.  26,   1899. 

6)  Festschrift  für  Koch  1903. 

7)  Le  bouillon  filtrö  du  bacille  de  la  tuberculose  etc.     Paris   1905. 

8)  Zeitschr.  f.  Hyg.  26,  1897;  Deutsch,  med.  Woch.  1905.  31  und  34. 

9)  Wyssokowitsch,  Mitteil,  aus  Brehmers  Heilanstalt 
1890;  P  r  u  d  d  e  n  ,  New -York  med.  Joiurn.  1890;  S  t  r  a  u  s  und  G  a  m  a  - 
leia,  Arch.  exp^rim.  med.  1891;  Abel,  Deutsch,  med.  W^och.  1892. 
22.  K  o  s  t  a  n  i  t  s  c  h  ,  Arch.  exp^rim.  med.  1893 ;  M  a  s  u  r  u.  K  o  c  k  e  1  , 
Zieglers  Beitr.   16. 

62* 


980  Kap.  XVI,    §  304. 

Zilien  bekommt  man  hauptsächlich  starke  entzündungserregende 
und  in  gewissem  Grade  gewebsabtötende  Eigenschaften  zu  sehen ; 
es  entwickelt  sich  ein  fibröser  oder  fibrös-käsiger  Knoten.    Daneben  treten 
aber    auch     allgemeine    Vergiftungssymptome    auf,    vr\o 
Fieber,   Abmagerung  und  Entartung  der  Unterleibsorgane,   die  bei   Ein- 
verleibimg größerer  Mengen  zum  Tode  führen^).    Wir  haben  hier  also  ganz 
ähnliche  Erscheinungen  wie  bei  dem  Infektionstode.    Was  die  Größe  d«'r 
t<)dlichen  Gaben  anlangt,  so  töten  nach  Aronson*)   z.  B.  getrock- 
nete und  entfettete  Tuberkelbazillen,  bei  110°  abgetötet,  in  einer 
Menge   von    10 — 30  mg   Meerschweinchen   von   mittlerer    Größe   in    3~H 
Wochen,  nach  F  r  e  n  k  e  1  luid  Bronstein  in  einer  Menge  von  100  h\< 
200  mg  in  5  Tagen.    Nicht  unwichtig  ist,  daß  Hühner  für  tote  Tuberkel - 
bazillen  vom  Menschen  empfänglicher  sind  als  für  ihre  eigenen,  und  daü 
lebende  Bazillen  weniger  schnell  ihre  Giftwirkung  entfalten,  als  die  gleiche 
Gabe  abgetöteter  (P  a  n  s  i  n  i).     Die  letztere  Tatsache  erklärt  sich  wohl 
aus  der  leichteren   Resorbierbarkeit  der  getöteten  Bakterien,  die  erstere 
wird    verständlich,    wenn    wir    die    riesigen    Mengen     von     Bazillen« 
die  sich  im  infizierten  Huhn  finden,  mit  den  viel  kleineren,  die  sich  im 
infizierten  Menschen  finden,  vergleichen.   Im  Blute  von  Meerschweinchen 
entfalten  übrigens  auch  lebende  Bazillen  sehr  große  Giftigkeit;  sie  töten 
in  Gaben  von  5 — 10  mg  in  6 — 8  Tagen,  wahrscheinlich  weil  sie  hier  schneller 
aufgelöst  werden  (s.  u.). 

Auf  die  verschiedenste  Weise  ist  es  gelungen,  die  Leibesgifte  aus  den 
Bazillen   auszuziehen.     Der   erste   Versuc\i   dazu   stammt   von   Robert 
Koch').     Sein   „altes"   Tuberkulin   wird   hergestellt   aus   Kulturen  auf 
4prozentiger  Glyzerinbouillon,   die  nach    6 — 8   Wochen   bei   90®   auf  den 
zehnten   Teil   ihres  Volumens   eingedampft  und  durch   Porzellan  filtriert 
wird.    Das  Glyzerin  dient  dabei  gleichzeitig  als  Extraktions-  und  Kon- 
servieningsmittel.      Das    Tuberkulin    ist    für    tuberkulöse 
Tiere  und  Menschen  stark,  für  gesunde  viel  weniger 
giftig*).    Wir  haben  hier  den  ersten,  allerdings  in  mancher  Beziehung 
eigentümlichen  Fall  von  sogenannter  Überempfindlichkeit  gegen  Bakterien- 
gifte vor  luis  (vgl.   §  344  und  Immunitätslehre).    Die  Empfänglichkeit  der 
einzelnen   Tiere   ist   verschieden   groß,    am   größten   beim   M  enschen. 
Hier  erzeugen  schon  0,025  ccm  beim  Gesunden  kräftige  örtliche  und  all- 
gemeine Wirkungen  (Fieber),   während  beim  Tuberkulösen  wenig©  Milli- 
gramme und  Bruchteile   von   einem  Milligramm   genügen,    ja    selbst   die 
Impfmig  mit  der  Lanzette  in  die  Haut  oder  die  Einträufelung  in  die  Binde- 
haut noch  sichtbare  Reaktionen  veranleissen.      Bei  großen  Haustieren 
sind  weit  erheblichere  Gaben  nötig,  \un  selbst  beim  Vorhandensein  von 
Tuberkulose  Reaktionen  zu  erzeugen.    Wir  gehen  auf  diese  für  die  D  i  a  - 


1)  Maffucci,  Baumgartens  Jahresber.  1 892.  692 ;  Höricourt 
und  Riebet,    Semaine  m6d.    1891.    14;   P  a  n  s  i  n  i  a.   a.   O. 

2)  Berl.  klin.  Woch.   1898.  22. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.  1890.  46  a;  ebenda  1891.  3  und  besonders 
43;  vgl.  auch  Dönitz,  Klin.  Jahrb.  7.  225.  1898. 

4)  Die  geringe  Giftigkeit  des  Tuberkulins  für  Gesunde  kann  man 
namentlich  am  Säugling  beobachten,  da  bei  diesem  ja  auch  die  latenten 
Infektionen  fehlen  (Schloßmann  und  Binswanger,  Arch.  f. 
Kinderheilk.  43,   1906). 


Gifte  der  Kleinwesen.  981 

^nose  der  tuberkulösen  Erkrankung  äußerst  wichtigen 
Verhältnisse  hier  nicht  weiter  ein,  ebensowenig  auf  die  Heil-  und  Schutz- 
versuche mit  Tuberkulin,  die  bald  mit  der  „Reaktion*'  in  Verbindung 
gebracht  werden,  bald  auf  echte  immunisierende  Einflüsse  bezogen 
werden. 

Gesunde   Meerschweinchen   vertragen    von   der   Haut    oder 
der  Bauchhöhle  aus  mehrere  Kubikzentimeter  ohne  erheblichen  Schaden 
und  erliegen  erst  bei  Gaben  von  10 — 15  ccm,  sterben  dagegen,  wenn  sie 
tuberkulöd  sind,  an  0,5  cm  binnen  24  Stimden  unter  starkem  Temperaturab- 
fall und  örtlicher  Reaktion  an  der  tuberkulösen  Stelle.    Koch  hat  aus  dem 
rohen  Tuberkulin  (s.  o.)  durch  mehrmalige  Ausfällung  mit  60  prozentigem 
Alkohol    ein  reineres  hergestellt,   das  viel  giftiger  ist,   aber  dennoch 
nicht  als  reines  Gift  betrachtet  werden  kann.    Es  gibt  alle  Eii^ißreak- 
tionen  und  steht  den  Albumosen  und  Peptonen  am  nächsten,  unterscheidet 
s^ich   aber   von  den   ersteren  durch  seine  Beständigkeit   gegenüber  lang- 
dauernder   Anwendung   höherer  Temperaturen  (120®)  und  seine  leichtere 
Dialysierbarkeit,  von  den  Peptonen  durch  seine  Fällbarkeit  durch  Eisen- 
azetat.    Bemerkenswert   ist,   daß   wässerige   Lösungen   ihre  Wirksamkeit 
bald    einbüßen.     Ein    Zusatz    von    Glyzerin    (5%)    macht    sie    haltbarer. 
W.  K  ü  h  n  e  ^)  hat  nachgewiesen,  daß  die  aus  dem  Tuberkulin  isolierten 
Albuminate,  Albumosen   und  Peptone   zum  größten  Teil  oder  ganz  dem 
Nährboden  entstanunen,   zum  Teil  aus  ihm  auch  durch  die  angreifende 
Behandlung  abgespaltet  sein  können.    Der  oder  die  wirksamen  Stoffe  sind 
wohl  nur  den  EiweißkÖrpem  beigemengt.     Ganz  ähnlich  wirkende  Prä- 
parate   haben   Maragliano,    Helman')    u.    a.    durch    Auskochen 
der  Bazillen  mit  Wasser  hergestellt,   sie  sollen  nach  F  r  e  n  k  e  1  und 
Bronstein  giftiger  als  das  Koch  sehe  Tuberkulin,  aber  wegen  des 
fehlenden   Glyzerins  weniger  haltbar  sein.     Auch  durch   V^o  Normal- 
natronlauge   kann  man   nach   Koch')   aus   den   Tuberkelbazillen 
ein  tuberkulinähnliches,  aber  schwer  filtrierbares  Gift  ausziehen^).    Wirk- 
same Stoffe  gewann  er  aber  auch,  wenn  er  die  schützende  Fetthülle  der 
Bazillen   durch  scharfes   Trocknen   und   Zerreiben   der   lebenden 
Bazillen  zerriß,  so  daß  ihr  Leibesinhalt  mit  dem  Lösungsmittel  in  unmittel- 
bare Berührung  kommen  konnte.     Die  wasserlöslichen  Bestandteile,   die 
etwa  50%  der  Bazillenkörper  ausmachen,  nennt  er  TG,  die  unlöslichen 
TR.     V.    Lingelsheim^)    hat   die    Giftigkeit    aller   dieser    Präparate 
genauer  zu  dosieren   versucht,   und  zwar   dadurch,    daß    er   sie  in    einer 
physiologischen     Kochsalzlösung     (0,2    ccm)    Meerschweinchen     unter 
die   harte   Hirnhaut    einspritzte    (vgl.    S.  965).     Für    gesunde 
Meerschweinchen    von    etwa    250  g    erwiesen   sich  so  binnen  24   Stunden 
als  tödlich 


1)  Zeitschr.  f.  Biol.  30,   1893. 

2)  Arch.  biolog.  Petersbourg  l.  139,  1892  (benutzt  Kartoffel kulturen 
und  erhält  dadurch  ein  sehr  eiweißarmes  Tuberkulin). 

3)  Deutsch,  med.  Woch.  1897.   14. 

4)  Durch  Ausziehen  mit  warmer  \'erdünnter  Natronlauge  gewann 
schon-  Weyl  (Deutsch,  med.  Woch.  1891)  ein  „Toxomuzin*',  das  bei 
Mäusen  örtliche  Nekrosen  erzeugte. 

5)  Deutsch,  med.  Woch.  1898.  37. 


982  Kap.  XVI,   §  304, 

TO  1  mg  Trockengewicht,  TR  3  mg;  TO  +  TR  (die  getrockneten  und 

zerriebenen  Bazillen)  2  mg; 
Rohtuberkulin  (Alkoholfällung)  4,4  mg*); 
Rohtuberkiilin  in  Lösung  0,022  ccm. 

Bei  subkutaner  oder  intraperitonealer  Einverleibung  mußten  etwa  180  mal 
so  große  Gaben  verwendet  werden,  um  die  Tiere  schnell  zu  töten,  wir 
kommen  also  für  die  getrockneten  und  zerriebenen  TuberkelbaasiUen  aii/ 
etwa  220  mg  als  akut  tödliche  Gabe.  Sie  sind  danach  ungefähr  ebenso  giftig, 
wie  die  entfetteten  Bazillen  nach  F  r  e  n  k  e  1  und  B  r  o  n  s  t  e  i  n  (s.  u.) 
und  Cantacuzene  *).  Die  Gabe  dieser  Gifte,  die  tuberku- 
löse Meerschweinchen  tötete,  war  etwa  100  mal  kleiner  (s.  u.  Behring). 

Statt  die  Bazillen  nach  dem  Vorgange  von  Koch  trocken  zu  zer- 
reiben, kann  man  sie  auch  nach  H.  Buchner  und  Hahn  *)  im  f  e  u  c  h  - 
tenZustandzerkleinern  und  auspressen:  der  so  gewonnene 
Preßsaft,  das  „Tuberkulopla8min^\  soll  übrigens  nach  Landniann^) 
nur  einen  kleinen  Teil  des  Tuberkelgiftes  enthalten.  Dieser  Autor  seilet 
ist  zu  sehr  wirksamen  Giften  dadurch  gelangt,  daß  er  die  Bazillen  naoh- 


1)  Nach  Neufeld  (Deutsch,  med.  Woch.  1899.13)  wäre  die  Lin- 
g  eis  heim  sehe  Zahl  für  das  Tuberkulin  nicht  richtig.     Selbst  0,1  ccm 
Rohtuberkulin  erwies  sich  als  ungiftig  bei  Einspritzung  ins  Gehirn.    Der 
Niederschlag,   der   aus   Alkohol   absolutus   aus   Tuberkulin   erhalten   wird 
und  nach  N  e  u  f  e  1  d  und  Koch  nur  10%,  nicht  20%  des  Tuberkulins 
(v.   Lingelsheim-Behring)  ausmachen  soll,  tötete  zwar  in  einer 
Menge  von  0,03  g  (entsprechend  0,3  ccm  Tuberkulin),  aber  ebenso  giftig 
war  der  Alkoholniederschlag  aus  einer  zehnmal  konzentrierten  imgeimpften 
Peptonbouillon.     Ebensowenig  spezifisch  war  die   Giftwirkung  des  durch 
Fällung  mit  ÖOprozentigem  Alkphol  aus  Rohtuberkulin  gewonnenen  Rein- 
tuberkulins    (1,8%    des    Rohtuberkulins).      Das    Tuberkulosamin    Ruji- 
p  e  1  s  (s.  u.   S.  982)  war  bei  dieser  Art  der  Einverleibung  sogar  weniper 
giftig  als  ein  aus   Lachssperma  dargestelltes   Protamin   (0,005  :  0,002  gi. 
Interessant  ist  auch,  daß  selbst  anorganischen  Salzen  wie  Natrium-  und 
Ammoniumsulfat,   Chlorammon  \md  Kaliumphosphat  (in   1 — 2%  Lösiinp) 
eine  starke  Giftwirkung  zukommen  soll,  wenn  sie  zu   1 — 2  mg  ins  (Jehim 
gespritzt  werden.    Nur  Kochsalz  war  weniger  giftig,  20  mg  töteten  nicht. 
Die   Giftprüfungsmethode  muß  also  sehr  vorsichtig  gehcmdhabt  werden, 
wenn  sie  einwandfrei  sein  soll.    Das  Institut  für  experimentelle  Theraj>ie 
in  Frankfurt  hat  dagegen  mit  dem  von  Koch,  Dönitz  (Klin.  Jahrb.  7. 
1898)    und    Otto    (ebenda    13,    1904)    ausgebildeten    Prüfungsverfahren 
bessere  Ergebnisse  erzielt.    Meerschweinchen  von   etwa  400  g,  die  4  bi> 
5  Wochen  vorher  mit  0,5  mg  frischer  Tuberkelbazillen  subkutan  infiziert 
waren  und  schon   eine  deutliche   Gewichtsabnahme  zei- 
gen,  erhalten  0,05 — 0,3  ccm  Tuberkulin  subkutan  eingespritzt.    Durch- 
schnittlich genügen  0,1 — 0,25  ccm,  um  den  Tod  binnen  24  Stunden  herbei- 
zuführen.    Der   Vergleich   mit   einem  Muster-Tuberkulin  schützt  vor  zu- 
fälligen Schwankungen,  die  durch  verschiedene  Virulenz  der  Kultur  u.  a. 
hervorgerufen  werden. 

2)  Annal.  Pasteur  1905.   11. 

3)  Münch.  med.  Woch.   1897. 

4)  Hygien.  Rundschau  1900.   363. 


Gifte  der  Kleinwesen.  983 

einander  bei  verschiedenen  Temperaturen  (40 — 100^)  auszog,  die  Extrakte 
vereinigte  und  bei  37^  im  Vakuum  eindampfte.  Meist  genügten  schon 
0,1  ecm  dieser  konzentrierten  Flüssigkeit,  um  gesunde  Meerschweinchen 
zu  töten.  Die  ebenfalls  bei  niedriger  Temperatur  eingeengte  Bouillon,  auf 
der  die  Tuberkelbazillen  gewachsen  waren,  setzt  Landmann  dazu, 
filtriert  durch  Tonkerzen,  versetzt  mit  0,5%  Karbolsäure  und  erhält  so  ein 
..Tuberkulol"",  das  alle  von  den  Tuberkelbazillen  etwa  gebildeten  wasser- 
löslichen Gifte  enthält  und  schon  in  Gaben  von  1  ccm  tötet.  Daß  hierunter 
auch  Giftstoffe  sind,  die  durch  höhere  Temperaturen  geschädigt  werden, 
folgt  aus  der  Abnahme  der  Giftigkeit,  die  die  Flüssigkeit  beim  Kochen 
erleidet.  Wie  alle  wässerigen  Lösungen  des  Tuberkelgiftes,  büßt  auch  das 
Tuberkulol  beim  Stehen  eui  Wirksamkeit  ein.  Der  ausgezogene  Rest  der 
Bazillenleiber  soll  luigiftig  sein. 

Marmorek  ^)  stellt  ein  lösliches  Tuberkelbazillengift  in  einer  ganz 
anderen  eigentümlichen  Weise  her.    Er  ging  von  dem  Gedanken  aus,  das 
Tuberkulin  sei  nicht  das  eigentliche  Gift  der  Tuberkulinbazillen,  sondern 
rege  diese,  luid  zwar  nur,  wenn  sie  sich  im  Jugendzustande  im  Tierkörper 
befinden,  zur  Produktion  ihres  Giftes  an.   Um  es  außerhalb  des  Tierkörpers 
zu  gewinnen,  setzte  er  sich  nach  verschiedenen  fehlgeschlagenen  Versuchen 
folgenden  Nährboden  zusanunen:  ein  leukotoxisches  Serum,  erhalten  durch 
Behandlung  von  Kälbern  mit  Leukozyten  des  Meerschweinchens,  wird  mit 
glyzerinhaltiger  Leberbouillon  vermischt.    Die  Tuberkelbazillen  gewöhnen 
^ich  erst  allmählich  an  diesen  Nährboden,  wachsen  dann  aber  schließlich 
darin  und  erhalten  sich  lange  im  ,, primitiven",  d.  h.  jugendlichen  Zustand. 
Dabei  scheiden  sie  ein  Gift  aus,  das  mit  dem  Tuberkulin  nichts  zu  tun 
haben  soll.    5 — 10  ccm  des  Filtrates  töten  Kaninchen  imd  Meerschweinchen 
von  der  Haut  aus  binnen  8  Tagen,  und  zwar  gesunde  Tiere  eher  als 
tuberkulöse.     Beim    Pferde  erzeugt  das   Gift  schmerzhafte  Schwel- 
lungen und  Temperatursteigerung,  schließlich  aber  Immunität.    Dtis  Serum 
der  so  behandelten  Pferde  enthält  ein  Antitoxin,  mit  dem   die  Heilung 
von  tuberkulösen  Tieren  und  Menschen  gelingen  soll. 

Die  große  Beständigkeit  der  Tuberkelbazillengifte  gegen  die  Siede- 
hitze bedingt  noch  nicht  seine  Widerstandsfähigkeit  gegen  andere  Ein- 
flüsse. Daß  es  von  selbst  seine  Wirksamkeit  verlieren  kann,  haben  wir 
schon  mehrfach  bemerkt.  Schnell  gelingt  es,  die  Bazillen  wenigstens  für 
Meerschweinchen  unschädlich  zu  machen,  dadiu'ch  daß  man  sie  der  Ein- 
^viTkung  des  Chlors  unterwirft.  Die  immunisierenden  Stoffe  sollen 
dabei  nicht  geschädigt  werden  (M  o  u  s  s  u  und   G  o  u  p  i  1  *)). 

Während  alle  bisher  genannten  „Tuberkuline"  verwickelte  Gemische 
darstellen,  haben  mehrere  Forscher  versucht,  daraus  die  wirksamen  Stoffe 
zu  gewinnen.  Wir  haben  von  den  Methoden  schon  früher  gesprochen 
(S.  68  ff.  u.  74  ff.).  Fast  alle  Präparate  sind  giftig,  in  kleinen  Mengen  aller- 
dings nur,  wenn  sie  in  das  (»ehirn  oder  das  Blut  eingespritzt  werden.  Nach 
Behring  ')  tötet  1  g  der  Tuberkulinsäure  R  u  p  p  e  1  s  besonders  auf 
dem  ersten  Wege  90  000  g  Meerschweinchen,  von  der  Haut  aus  nur  600  g. 
Die  entsprechenden  Zahlen  für  tuberkulöse  Meerschweinchen  sind  sogar 
40000000  und  60000,  also  150—100  mal  größer.    Die  Tuberkulinsäure  ist 


1)  Berl.  klin.  Woch.   1903.  48. 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.  6.  und  23.  XII.   1907. 

3)  Berl.  klin.  Woch.   1899.  28. 


984  Kap.  XVI,    §  304. 

sonach  ebenso  giftig  wie  das  Präparat  TR  nach  v.  L  i  n  g  e  1  s  h  e  i  m  (s.  o. 
S.  982).  Beim  Vergleich  der  verschiedenen  Tuberkulosepräparate  an  tuber- 
kulösen Rindern,  einer  Methode  der  Giftbestimmung,  die  freilich  höchstens 
annähernde  Resultate  geben  kann,  findet  Behring  etwas  abweichende 
Werte.    Es  entsprechen  nämlich  im  Trockengewicht: 

1  Teil  TR  („Neutuberkuhn"  Kochs  s.  o.)  2  Teilen  Alttuberkulin 

(Alkoholniederschlag) 

1     „     durch  verdünnten  Alkohol  gereinig- 
ten Alttuberkulins 4 — 6 

1     „     entfettete  luid  zerkleinerte  Bazillen  3% — 4^2 

1     „     getrocknete  und  zerkleinerte  Bazillen  4 — 5 

1     „     dialysiertes   Kulturfiltrat  R  u  p  p  e  1  3 — 4 

1     t,     Glyzerinextrakt  der  ganzen  Bazillen 

(Ruppel) 2^2 — 3 

1     „     Nukleinsubstanz  der  zerriebenen  Ba- 
zillen (R  u  p  p  e  1)   SVa— 4y2 

1     „     Tuberkulinsäure   (Ruppel)    .    .    .  3% — 4 

1     „     Tuberkulosamin   (Ruppel)    .    .    .  3 — 3^ 


Dazu  kommen  noch  die  von  Ruppel  und  Kitashima  durch  Spaltung 
der  Tuberkulinsäure  erhaltenen  Tuberkulothyminsäure  und 
das  kristallisierte  Tuberkulosin,  von  dem  1  g  so  giftig  ist  wie  20  bis 
30  ccm  Tuberkidin,  d.  h.  auf  den  Alkoholniederschlag  berechnet  ungefähr 
ebenso  wirksam  wie  die  anderen  Präparate.  Die  Unterschiede  sind  ai^) 
trotz  der  abweichenden  J  .     ^^  ^r  Gifte,  wenn  man  von  dem  Roh- 

tuberkulin,    das   viele   B*  'es    Nährbodens   beigemengt    enthält 

und  durch  das  anhaltend.^  Wirksamkeit  verloren  hat,  absieht, 

nicht  sehr  erheblich.  Die  l\iberkuHnsäiu*e  soll  aber  nach  Behring  da- 
durch Vorteil  bieten,  daß  ilure  wässerige  Lösung  nicht  so  schnell  ihre  Wirk- 
samkeit einbüßt. 

Das  „Nuklein''  de  Giaxas  tötet,  obwohl  unlöslich  in  Wasser  luid 
Kochsalzlösung,  schon  in  Gaben  von  1  auf  10  000 — 50000  Hunde,  Kaninchen 
und  Meerschweinchen,  wenn  es  in  feiner  Aufschwemmung  in  die  Venen 
gespritzt  wird^).  Der  Tod  kaim  sogar  ganz  plötzlich  eintreten  und  erfolgt 
dann  durch  Koagulation  des  Blutes,  sonst  unter  Bildung  von  hämorrhagi- 
schen oder  nekrotischen  Herden.  Einige  Zentigramme  genügen,  um  von  der 
Haut,  dem  Bauchfell,  der  Luftröhre  und  den  Lungen  aus  starke  entzündhche 
Veränderungen  und  Nekrosen  zu  bewirken*).  Das  gleichzeitig  dargestellte 
,,Nukleoproteid"  de  Giaxas  besaß  merkwürdigerweise  keine  erhebhclie 
Giftigkeit.  Dagegen  erzeugte  der  Alkohol-  und  Ätherextrakt 
luiter  der  Haut  Entzündimg  und  Verschwäning  ohne  Allgemeinerscheinun- 
gen.     Nach  de  G  i  a  x  a  ist  diese   Substanz  stickstoffhaltig,  sie  ist  aber 


1)  Eine  so  starke  Giftwirkung  der  Tuberkelbazillen  hat  sonst  mir 
Bail  (Wien.  klin.  Woch.  1905.  46)  beobachtet.  Bei  intravenöser  Ein- 
verleibung genügten  5 — 10  mg  (lebender)  Bazillen,  um  Meerschweinchen 
binnen  8  Tagen  unter  dem  Bilde  einer  Kachexie  ohne  Tuberkelbildiing 
zu  töten.  Die  gleiche  und  selbst  10 fache  Gabe  wurde  intraperitoneal  ver- 
tragen. 

2)  Die  tödliche  Gabe  ist  leider  nicht  angegeben. 


Qifte  der  lOeinweeen.  985 

völlig  iinlÖBlich  in  Wasser  und  wird  aus  der  alkoholischen  Lösung  durch 
Säuren  mit  der  Fettsäure  ausgeschieden.  Schon  Hammerschlag 
( S.  74)  hatte  die  Giftigkeit  des  Tuberkelbazillenfettes 
behauptet.  Allerdings  löste  er  das  Gift  aus  dem  Alkohol  ex  trakt  durch  ver- 
dünnten heißen  Alkohol  oder  kochendes  Wasser.  Nach  AuclairM 
luit erscheidet  §ich  der  Atherextrakt  der  Tuberkelbazillen  in  seinen  Wir- 
kungen von  dem  Alkoholextrakt.  Der  erstere  erzeugt  käsige  Prozesse,  der 
letztere  fibröse.  Ein  neuerdings  von  A  u  c  1  a  i  r  und  Paris  ■)  aus  ent- 
fetteten Tuberkelbazillen  durch  Ausziehen  mit  konzentrierter  Essigsäure 
bei  80*  hergestelltes  „Bazillenkasein"  erzeugt  nur  lymphatische,  später 
resorbierbare  Knoten,  daneben  allgemeine  Abmagerung  und  Dyspnoe  durch 
lymphatische  Infiltration  der  Lungen. 

Den  Befund  einer  wjtöser-  und  ätherlöslichen  giftigen  Fettsäure 
(Terakonsäure  de  Schweinitz)  in  Tuberkelbazillenkulturen  haben  wir 
schon  S.  822  erwähnt,  ebenso  das  D  e  y  c  k  e  sehe  Tuberkulonastin.  Durch 
Ausziehen  der  entfetteten  Tuberkelbazillen  mit  Lezithin  (Tb.-L)  bzw. 
Äthylamin  (Tb.-A) erhielten Deycke  und  Much  •)  ungiftige  (aber  immuni- 
sierende) Präparate. 

Schließlich  wurden  auch  öfter  Erfahrungen  gemacht,  die  dafür  zu 
sprechen  scheinen,  daß  die  Exsudate  tuberkulöser  Tiere 
(wift  enthalten.  Da  es  sich  inmier  um  chronische  Vergiftungen  und  große 
Mengen  körperfremder  Flüssigkeiten  handelt,  ist  eine  Deutimg  schwierig. 

Aus  allen  diesen  Angaben  erhellt,  daß  die  Giftwirkungen  der 
Tuberkelbazillen  fast  allen  aus  seinem  Leib^  ausgezogenen  oder  frei- 
willig von  ihm  abgegebenen  Stoffen  anhaften  4^d  nach  kleineren  Gaben 
bestehen  in  Entzündung,  Fieber,  Abmagerun^^  in  großen  in  Kollaps 
und  schnellem  Tod.  Das  sind  im  wesentlicheii  die  gleichen  Erschei- 
nimgen,  die  wir  auch  bei  anderen  Leibesgiften  beobachten  können. 
Nur  kommen  bei  den  Tuberkelbazillen  doch  noch  einige  Eigenschaften 
hinzu,  die  sich  bei  anderen  Bakterien  lange  nicht  so  ausgesprochen  finden: 
in  erster  Linie  die  von  allen  Forschem  beobachtete  schwierige 
Darstellbarkeit  der  Endotoxine.  Ihr  entspricht  die 
weit  langsamere  Resorbierbarkeit  der  toten  Bazillenkörper; 
beides  erklärt  sich  sehr  wahrscheinlich  aus  dem  starken  Gehalt  an 
Pett-(Wachs-)  Stoffen,  der,  wie  wir  gesehen,  ein  Drittel 
vom  Gewicht  und  mehr  ausmachen  kann  (S.  74).  Die  Tuberkelbazillen 
müssen  also  im  lebenden  Gewebe  als  dauernde  Fremdkörper  wirken, 
daraus  entspringen  denn  wohl  die  reaktiven  Wachstumsvorgänge  im 
Gewebe  (Knötchenbildung),  die  gerade  die  Tuberkulose  auszeichnen. 
Daneben  läßt  sich  nicht  leugnen,  daß  der  durch  das  Tuberkelgift  ge- 
setzte Reiz  häufiger  als  bei  anderen  Bakteriengiften  Absterben 
des  Gewebes  bedingt  (vgl.  §  332).  In  diesem  beschränkten  Sinne  dürfte 


1)  Arch.  m6d.  exp6rim.   1899  und   1900. 

2)  Gompt.  rend.  ac.  sc.  146.  301,  1908  und  Arch.  med.  experim.  1908. 

3)  Mediz.  Klin.   1908.  40. 


986  Kap.  XVI,   §  304—306. 

• 

man  also  schon  von  einer  spezifischen  Wirkung  der  Tuberkelbazillen 
sprechen.  Noch  deutlicher  tritt  deren  Spezifität  hervor  in  der  sog. 
Tnberkulinreaktion,  d.  h.  der  Überempfindlichkeit  tuber- 
kulöser Tiere  gegen  Einverleibung  des  Tuberkelgiftes. 

Freilich  ist  sie  keine  unbedingte,  denn  man  weiß  durch  Römer. 
Buchner,  Matthes,  Krehl  und  M  a  1 1  h  e  s  ,  daß  die  gleiche 
Reaktion  durch  Verabreichung  anderer  Bakterienextrakte  und  nicht 
bakteriellen  Eiweißes  (Albumosen,  Peptone,  Nukleinsäuren)  erhalten  wird 
( §  280).  Immerhin  zeigt  ein  Vergleich  der  Mengen,  die  dazu  nötig  sind,  daß 
das  Gift  der  Tuberkelbazillen  auf  tuberkulöse  Indi- 
viduen sehr  viel  kräftiger  wirkt.  Es  werden  tuberkulöse 
Meerschweinchen  getötet  bei  subkutaner  Einspritzung  durch 

Deuteroalbumose  (Matthes) 100  mg     Trockengewicht 

reines  Pepton  (Matthes)       10 

Pyocyaneusprotein  (Römer, Buchner)  120 

Prodigiosusprotein  (Buchner) 160 

Pneumobazillenextrakt  (Römer).    .    .    .  120 

mit  Pepsinsalzsäure    verdaute   Colibazillen 

(Kr  ehl  und  Matthes) 30 

K  o  s  s  e  1  sehe  Nukleinsäiire  (Behring).  400 

Kochs  Rohtuberkulin  (Alkoholnieder- 
schlag)     10—30 

R  u  p  p  e  1  s  Tuberkulinsäure  (Behring)  4 


»»  >» 

»»  »• 

»»  »» 

»»  »» 

»f  »» 


>»  »» 


Nur  das  reine  Pepton  und  dcks  Verdauungspräp<urat  aus  Colibazillen  können 
es  also  mit  dem  Tuberkulin  aufnehmen,  aber  auch  sie  stehen  noch  erheb- 
Uch  hinter  dem  gereinigten  Tuberkelgift  zurück.  Wahrscheinlich  weit 
größer  sind  die  Unterschiede,  die  sich  bei  Prüfung  dieser  Stoffe  am  tuberku- 
lösen Menschen  ergeben.  Vor  allem  aber  ist  die  Wirkung 
der  nicht  von  Tuberkelbazillen  abstammenden 
Stoffe  bei  gesunden  Tieren  nur  wenig  geringer  als 
bei  tuberkulösen.  Es  fehlt  also  das  Hauptmerkmal 
der  Überempfindlichkeit. 

Die  einzelnen  aus  den  Tuberkelbazillen  dargestellten  Giftpräparate 
sollen  sich  nach  manchen  Forschem  (Maragliano)  durch  ihre  Wir- 
kungen voneinander  unterscheiden.  Nach  den  Behring  sehen  Mittei- 
lungen ist  davon  aber  wenig  zu  merken.  Ebenso  sind  zwar  von  Speng- 
1er*)  Unterschiede  zwischen  den  Tuberkulinen  aus  den  verschiedenen 
Abarten  der  Tuberkelbazillen  (vom  Menschen,  Rind  und  Huhn)  gefiuiden 
worden,  andererseits  hat  man  aber  auf  Grund  von  Vergleichen  der  Tuber- 
kuline mit  ähnlichen  aus  säurefesten  Bakterien  imd  Strahlenpilzen  her- 
gestellten Präparaten  ein  gattungs-,  nicht  artspezifisches  Merkmal  sehen 
wollen*).     Völlig  geklärt  ist  die  Sachlage  also  noch  nicht. 


1)  Deutsch,  mediz.  Woch.    1904.  31. 

2)  Zupnik,  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  76,  1903;  Feistmantel. 
Zentr.  Bakt.  36.  282,  1904;  vgl.  Deycke,  Über  die  Ähnlichkeit  dw 
Xastins  und  Tuberkuloncwitins. 


Gifte  der  Klein wesen.  987 

Die  Möglichkeit  liegt  schließlich  noch  vor,  daß  es  gelingen  wird, 
die  Gifte  der  Tuberkelbazillen  von  anderen  durch  ihr  Verhalten  zu 
antitoxischem  Serum  zu  trennen.  Immer  wieder  werden 
Angaben  über  der^uüge  Seren  gemacht.  Bisher  befriedigen  aber  die 
Erfolge  damit  recht  wenig. 

§  305.  Aus  den  Kulturen  des  Rotzbazillus  sind  auf  ähn- 
lichem Wege  giftige  Präparate  hergestellt  worden,  wie  aus  denen  der 
Tuberkelbazillen.  Es  handelt  sich  vorwiegend  um  hitzebestän- 
dige Leibesstoffe.  Auch  hier  stellt  dich  eine  ähnliche  Über- 
empfindlichkeit heraus,  wie  beim  Tuberkulin,  indem  das  „Mallein'^ 
(H  e  1  m  a  n  n)   für  rotzkranke  Tiere  giftiger  ist  als  für  gesunde^). 

Auch  die  Giftwirkung  des  Malleins  ist  aber  keine  ganz  spezifische, 
insofern  auch  andere  Bakterienextrakte  dieselben  Erscheinungen,  wenn 
auch  in  etwas  geringerer  Intensität,  hervorrufen*).  Bisher  ist  es  noch  nicht 
gelungen,  ein  chemisch  gut  charakterisiertes  Gift  aus  dem  Mallein  zu  iso- 
lieren. Einen  Anhaltspunkt  für  die  Giftigkeit  des  Malleins  bekommt  man 
durch  die  Angabe'),  daß  6  ccm  eines  guten  Präparats  Kaninchen  bei 
subkutaner  Einspritzung  in  8 — 15  Tagen  unter  starkem  Gewichtsverlust 
töten. 

§  306.  Gifte  der  Strahlenpilze.  Die  Gifte  der  den  Tuberkel-, 
Kotz-  und  Dipbtheriebazillen  verwandten  Strahlenpilze  sind  noch 
wenig  studiert  worden.  Daß  die  pathogenen  Strahlenpilze  aber  wirk- 
lich Gifte  bilden  können,  ist  nicht  zu  bezweifeln. 

Gasperini  *)  gibt  an  —  leider  ohne  genaue  Dosierung  — ,  daß 
die  sterilisierten  Kulturen  von  Actinorayces  bovis  die  wenig  für  die  In- 
fektion empfänglichen  Tiere  wie  Tauben,  Hühner,  Mäuse,  Eidechsen  und 
Schildkröten  unter  akuten  Erscheinungen,  die  empfänglichen  Meerschwein- 
ehen und  Katzen  durch  langsame  Vergiftung  töten.  Mac  Callums*) 
Actinomyces  asteroides  scheint  nach  den  Erscheinungen  zu  urteilen,  die 
lebende  Kulturen  veranlassen,  auch  kräftige,  besonders  örtlich  wirkende 
Gifte  zu  bilden.  Ihr  Nachweis  gelang  aber  weder  in  den  Filtraten  der 
Kulturen,  noch  in  den  Glyzerinauszügen  der  Pilze  selbst,  ü  i  Donna*) 
glaubte  dagegen  aus  einer  recht  virulenten  Actinomycesart,  die  er  aus 
menschlichem  Auswin-f  gezüchtet  hatte,  ein  Nuklein  zu  gewinnen,  das  für 
Kaninchen  auf  dem  Blutwege  ebenso  giftig  war,  wie  das  Nuklein  der  Tuber- 
kelbazillen, denn  es  tötete  sie  intravenös  in  Gaben  von  0,02  g.  Ziemlich 
unschädlich  waren  selbst  große  Mengen  (0,5 — 0,7  g),  wenn  sie  in  die  Brust- 


1)  Vgl.    die   umfangreiche   Literatur    über   Mallein    in    Baumgartens 
Jahresber.   1891  u.  ff. 

2)  Schattenfroh,  Zeitschr.  f.  Hyg.   18,   1894. 

3)  Deutsch  und  Feistmantel,   Impfstoffe  und   Sera    1903, 
S.  239. 

4)  Annali  d'igine  1896.  478. 

5)  Zentralbl.  Bakt.  31.   12,   1902. 

6)  Annali  d'igiene  1904.  454. 


988  Kap.  XVI,   §  306  u.  307. 

höhle  gebracht  wurden.  Ähnliche  Versuche  Barones*)  schlugen  bei 
Pseudodiphtherie bazillen  und  nicht  pathogenen  Actinomyces- 
arten    fehl:  die  dargestellten  Nukleine  waren  ungiftig. 

Auclair  •)  wies  wie  bei  vielen  Bakterien  auch  in  den  Ätherextrakten 
des  Actinomycespilzes  entzündungserregende,  im  Wasser  unlösliche  Stoffe 
nach. 

Nach  Feistmantel  ^)  Tcagieren  Tiere,  die  mit  dem  Actino- 
myces  farcinieuB  geimpft  sind,  auf  kleine  Mengen  des  Glyzerinextrakts 
des  Pilzes;  aber  auch  auf  Tuberkulineinspritzungen;  umgekehrt  lea- 
gieren  auch  tuberkulöse  Tiere  auf  den  Extrakt  des  Farcinicus. 

Über  das  Nastin  Deyckes,  das  Fett  eines  säurefesten 
Strahlenpilzes,  der  von  einem  Leprakranken  stammte  und  bei  solchen 
wie  bei  Tuberkulösen  starke  Reaktionen  veranlassen  soll,  vgl.  S.  822. 

§  307.   Gifte  von  Schimmelpilzen.    Die  echten  PiLse,  die  auf 

und  in  Menschen  imd  Tieren  leben,  bilden  keine  so  kraftigen  Gifte, 
wie  viele  Hutpilze  und  der  auf  Pflanzen  schmarotzende  Mutterkoro- 
pilz  (s.  u.),  doch  kann  man  ihnen  die  Giftigkeit  nicht  vollkommen 
absprechen.  Zunächst  zeigen  schon  die  örtlichen  Veränderungen,  die 
z.  B.  die  pathogenen  Schimmelpilze  (namentlich  Mucor),  aber  auch 
Favus,  Trichophyton  (und  Soor)  erzeugen,  daß  sie  entzündliche  Reize 
setzen.  Dann  hat  man  auch  häufig  genug  beobachtet,  daß  Tiere,  die 
der  Infektion  entgangen  zu  sein  scheinen,  später  doch  imter  Abmage- 
rung zugrunde  gehen,  ohne  daß  man  besondere  Organerkrankungen 
findet.  Es  handelt  sich  also  wohl  um  eine  langsame  Vei^;;iftang,  wie 
wir  sie  oft  von  den  Leibesgiften  der  Bakterien  und  namentlich  der 
Tuberkelbazillen  ausgehen  sehen.  Wenn  die  Pilze  schneller  töten, 
findet  man  gewöhnlich  so  erhebliche  Veränderungen  der  Organe, 
namentlich  der  Nieren  und  der  Lungen,  daß  dadurch  allein  sich  viel- 
leicht der  Tod  erklärt. 

Vom  Magendarmkanal  aus  sind  die  Gifte  der  Schimmelpilze,  die 
in  Nahrungsmitteln  gewachsen  sind,  wie  die  gewöhnliche  Erfahrung 
lehrt  (S.  586),  imschädlich,  doch  sind  mehrfach  bei  Haustieren  nach 
dem  Genuß  von  Futter,  das  mit  Rost-  oder  Brandpilzen  ver- 
unreinigt war,  Erkrankungen  beobachtet  worden.  Die  von  Franck*) 
mit  Rostpilzen  bei  Kaninchen  angestellten  Versuche  ergaben  ganz 
das  Bild  einer  Fleischvergiftung  (§  287).  Die  dabei  wirksamen  Gifte 
sind  bisher  noch  unbekannt.    Wohlbekannt  ist  dagegen  die  K  r  i  e  b  e  1  - 


1)  Baumgartens  Jahresber.   1901.  2  a. 

2)  Areh.  mM.  ex|)4r.   1903.   725. 

3)  Zentralbl.  Bakt.  36,   1904. 

4)  Aams  Wochenschr.   1866  u.   1867  (Friedberger  u.  Froh 
n  e  r  ,    Spez.    Path.   u.   Ther.   d.  Haustiere  1.  226,   1889). 


Gifte  der  Kleinwesen.  989 

• 

krankheit  (Ergotismus),  die  durch  Mutterkorn  (Claviceps  purpurea) 
entstellt.  Nach  J  a  c  o  b  y  ist  das  Hauptgift  das  Sphazelotoxin, 
ein  harzartiger  stickstoffreier  Körper.  Schließlich  soll  nach  manchen 
Forschem  die  Pellagra  eine  Vergiftung  durch  verpilzten  Mais  sein. 

Den  meisten  Forschern  ist  es  nicht  gelungen,  aus  den  Kulturen  der 
Pilze  oder  der  von  ihnen  befallenen  Organe  kräftige  Gifte  zu  gewinnen^). 
Selbst  das  Entzündungsgift»  das  die  Sporen  des  Aspergillus  fumigatus 
enthalten,  würde  nach  M  a  c  6  *)  durch  Temperaturen  geschädigt,  die  nötig 
sind,  um  ihre  Lebensfähigkeit  zu  vernichten.  Diesen  erfolglosen  Bemühungen 
stehen  allerdings  Erfolge  gegenüber.  Nachdem  schon  ältere  Forscher  Pilze 
üs  Ursache  der  Verderbnis  des  Mais  luid  damit  der  Pellagrakrankheit  an- 
i^eschuldigt  hatten,  glaubte  G  o  s  i  o  *)  das  Penicillium  glaucum,  und  zwar 
namentlich  zwei  Abarten  desselben,  dafür  verantwortlich  machen  zu  können. 
Es  sollen  dabei  Karbolsäure  und  andere  aromatische  Pro- 
dukte als  Giftstoffe  wirken.  Iwanoff  ^)  fand  alkaloidähnliche 
Stoffe  in  Penicilliumkulturen.  Die  späteren  Forscher  kamen  bei  ihren 
Untersuchungen  von  Pilzen  aus  verdorbenem  Mais  zu  anderen  Ergeb- 
nissen. C  e  n  i  und  B  e  s  t  a  *)  gewannen,  indem  sie  die  Rasen  des  A  s  p  e  r  - 
(;illus  fumigatus  tagelang  in  Alkohol  (90%)  oder  Äther  auszogen 
lind  die  Extrakte  in  Wasser  aufnahmen,  ein  Gift,  das  Kaninchen  und 
Hunde,  aber  auch  Meerschweinchen  vom  Bauchfell  aus  unter  heftigem  Zit- 
tern und  Krämpfen  tötet.  Wenn  die  Tiere  davonkommen,  zeigen  sich 
lange  Zeit  noch  Schwäche  und  Durchfall.  Freilich  waren  zum  Erfolge 
2:roße  Mengen  nötig:  so  starb  ein  Kaninchen  von  2500  g  nach  Ein- 
spritzung von  20  ccm  der  wässerigen  Lösung,  die  20  g  des  Pilzrasens  ent- 
iprach,  binnen  1  ^  Stimden.  Meerschweinchen  wurden  nach  Einverleibung 
i'on  1  —  5  ccm  (entsprechend  l — 5  g  der  Pilzsubstanz!)  kaum  krank 
xler  erholtoi  sich  nach  einer  vorübergehenden  Erkrankung  wieder.  Außer- 
iem  sind  noch  folgende  Bedingungen  zu  beachten:  die  Pilzrasen  müssen 
'eichlich  Sporen  enthalten  und  nicht  zu  alt,  femer  bei  28 — 30^,  nicht  bei 
n°  gewachsen  sein.  Merkwürdigerweise  bilden  die  Pilze 
las  Gift  nur  in  der  warmen  Jahreszeit,  nicht  oder 
loch  nur  in  geringer  Menge  in  den  Monaten  Oktober 
3  i  s  März.  Das  Gift  widersteht  dem  Kochen,  zersetzt  sich  aber  allmäh- 
ich  in  wässeriger  Losung.  Welcher  Xatin*  es  ist,  bedarf  noch  der  Fest- 
stellung. Mit  Phenolverbindungen  hat  es  aber  nichts  zu  tun.  Das  Gift  des 
fVspergillus  flavescens  ist  ähnlich,  aber  schwächer,  und  läßt 
«ich  nur  aus  dem  Ätherextrakt  gewinnen.  Beim  Penicillium  glau- 
;  u  m  wurde  auf  ähnliche  Weise  Gift  gefunden,  das  aber  eine  andere,  mehr 
ahmende   Wirkimgen    zeigt.     Ebenfalls    solche  Wirkung    hatte   das   Gift, 

1)  Vgl.  z.  B.  Lode,  Arch.  f.  Hyg.  42  (Schimmelpilze);  Citron, 
Seitschr.  f.  Hyg.  49,  1905  (Favus  und  Trichophyton).  Andere  Literatur 
>ei  C  e  n  i  und  B  e  s  t  a. 

2)  Etud.  myc.  exp^rim.  These  de  Paris  1903,  ref.  Bull.  Pasteur 
1903.  788. 

3)  Rivista  d'igiene   1896.   21   u.    24   (Baumgartens   Jahresber.). 

4)  Baumgartens  Jahresber.   1898.  635. 

5)  Zentr.  allgem.  Pathol.  1902.  930;  Ceni,  Zieglers  Beitr.  path. 
\nat.  35,  528,   1904  und  37.  568,   1905. 


990  Kap.  XVI,   §  307—310. 

das  sich  durch  Wasser  oder  Alkohol  aus  den  Sporen  des  Aspergillus 
niger  ausziehen  ließ.  Neuerdings  berichtet  Ceni*)  über  weitere 
Untersuchungen  an  Peni.cillium,  die  ergaben,  daß  die  Giftigkeit 
dieser  Pilze  an  Qualität  und  Intensität  eigentümlichen  zeit- 
lichen Schwankungen  unterliegt,  für  die  eine  Regel  noch 
nicht  gefunden  werden  konnte.  An  dem  Zusanunenhang  zwischen  der 
Pellagra  und  dem  Pilzgift  hält  C  e  n  i  fest.  Auch  von  Deckenbach') 
betrachtet  einen  Schimmelpilz,  die  Oospora  verticilloides, 
die  aber  schon  ein  Parasit  der  lebenden  Maispflanzen  sein  soll,  als  Erreger 
der  Pellagra.  Alkoholauszüge  aus  den  Kulturen  auf  Mais  gaben  ein  giftige« 
rubinrotes  ö  1 ,  dessen  in  Alkalien  löslicher  Farbstoff  in  Äther  ein  leicht 
kenntliches  Absorptionsspektrum  besitzt  und  daher  zur  Erkennung  ver- 
dächtigen Maises  dienen  kann.  S  t  u  r  1  i  ')  bestätigte  die  Existenz  des 
Penicilliengiftes. 

Neben  den  spezifischen  Giften  müssen  die  Pilze  aber  noch  ein  Gifi 
erzeugen,  das  die  oben  erwähnten  örtlichen  Erscheinungen  bewirkt,  jedoch 
sich  bisher  nicht  aus  den  Pilzen  ausziehen  ließ:  Die  Pilzleiber  wirken  wahr- 
scheinhch  wegen  ihrer  schweren  Resorbierkeit  als  Fremdkörper  wie  die 
Tuberkelbazillen  (S.  985)  und  erzeugen  daher  knötchenartige  Wucherungen. 

§  .308.  Gifte  von  Hefepilzen.  Für  die  pathogenen  Hefepilze 
(und  „Oidien'')  gilt  im  allgemeinen  dasselbe,  was  von  den  Schimmel- 
pilzen gesagt  wurde. 

Große  Mengen  Kulturfiltrats  der  Soorhefe  (20 — 40)  töten  allerdings 
Kaninchen,  geringere  erzeugen  Fieber  usw.,  doch  sind  die  Haupterschei 
nungen  durch  die  örtlichen  Wirkungen  bedingt*),  die  von  den  Pilz- 
leibern selbst  ausgehen.  Geradezu  geschwulstartig  sind  nach 
Sanfelice^)  die  Gewebsveränderungen,  die  die  Gifte  des  S  a  c  c  h  a  r. 
neoformans  erzeugen.  Er  benutzte  meist  Aufschwemmungen  alter 
freiwillig  abgestorbener  Kulturen  auf  Kartoffeln.'  Wenn  er  auch  von  lös- 
lichen Giften  spricht,  so  bleibt  man  doch  im  Zweifel  darüber,  ob  nicht 
etwa  die  ungelösten  Bestandteile  dabei  eine  Rolle  spielen  und  s^s 
Fremdkörper  wirken,  ähnhch  wie  abgetötete  Tuberkelbazillen  und  Schimmel- 
pilze (s.  o.).  Für  die  Erklärung  der  bösartigen  Neubildungen,  wie 
Sanfelice  meint,  haben  diese  V^ersuche  wohl  keine  Bedeutung.*) 

Auch  die  nicht  pathogenen  Hefepilze  sind  wohl  giftig,  w^ui  man 
sie  in  sehr  großer  Menge,  z.  B.  ins  Bauchfell  von  Tieren,  einspritzt.  Schon 
H  ü  p  p  e  ')  konnte  so  das  Bild  des  Cholerakollapses  erzeugen  durch  Rauen- 
thaler  Weinhefe.  Hahn*)  sah  nach  Einverleibung  des  Preßsaft c« 
der  Bierhefe  oder  steriler  Dauerhefe  ( §  89)  Eiterung  und  allgemeinen  Maras- 

1)  Zieglers  Beitr.   39,   1906. 

2)  Zentr.  Bakt.  45.  507. 

3)  Wien.  kUn.  Woch.   1908.  20. 

4)  C  h  a  r  r  i  n  und  Ostrowsky,  Compt.  rend.  biol.  1896.  743: 
Ostrowsky,  Rech,  sur  le  muguet,  These  de  Paris  1896;  N  o  i  s  e  1 1  e . 
Rech,  sur  le  muguet,  These  de  Paris  1898;  C  a  o  ,  Zeitschr.  f.  Hyg.  34,  191K». 

5)  Annali  d'ig.  sperim.   1907  und  1908. 

6)  Über  pathogene  Hefen  vgl.  Bvischke  und  Stemberg  S.  248. 

7)  Berl.  klin.  Woch.   1892.   17. 

8)  Münch.  med.  Woch.   1903.   50. 


Gifte  der  Kleinwesen.  991 

muä  eintreten.  Kaninchen  gingen  nach  Einspritzung  von  2  —  4  g  Dauer- 
hefe in  das  Bauchfell  meist  zugrunde,  ebenso  eine  Ziege,  die  mehrmals 
40 — 150  com  Preßsaft  —  im  ganzen  490  ccm  —  erhalten  hatte.  Dabei 
fand  sich  eine  eitrige  Peritonitis  mit  starker  Gasentwicklung  durch  die 
Wirkung  der  Zymase. 

Vom  Verdauungskanal  des  Menschen  werden  sehr  große  Mengen 
von  Hefen  vertragen,  wie  die  bekannte  Hefetherapie  gelehrt  hat  (vgl. 
Cerolin   S.   73). 

§  309.   Oifte  bei  Pflanzenkrankheiten.  Es   liegt   nach   den 
Erfahrungen  des  §  307  nahe,  anzunehmen,  daß  auch  die  Pilze,  die  auf 
Pflanzen    schmarotzen,    auf   das    pflanzliche    Protoplasma   giftig 
wirken.     Die  mechanische  Wirkung  allein  genügt  wohl  nicht,  um  die 
bei    der  Infektion  auftretenden  Erscheinungen  zu  erklären,   ebenso- 
wenig  die  Ausscheidimg  von  Enzymen.    In  manchen  Fällen  scheint 
das  Gift  eine  organische  Säure,  die  Oxalsäure  zu  sein  (S.  808),  es  werden 
aber  auch  noch  andere  Gifte  ins  Spiel  kommen.    Bisher  sind  solche 
nur   nachgewiesen    bei   Bakterien,    die   Pflanzenkrank- 
leiten  verursachen  (S.  226).    Sie  sind  entweder  hitzebeständig 
und  werden  dann  in  ihrer  Wirkung  durch  Säuren  unterstützt,  wie  Lepou- 
t  r  e  für  den  Bac.  fluorescens  fand,  oder  sie  bedürfen  der  sauren  Reak- 
tion nicht  imd  werden  durch  Kochen  zum  größten  Teil  zerstört,  wie 
Spieckermann  bei  der  „bakteriellen  Wundfäulnis"  von  Möhren, 
Kartoffeln  und  Rüben  feststellte.  Eine  Isolierung  dieses  letzteren  Giftes 
gelingt  nicht,  wenn  es  sich  auch  in  Alkohol  fällen  und  wieder  in  Wasser 
lösen  läßt.     Es  diffundiert  sehr  schwer  und  geht  durch  Bak- 
terienfilter nicht   hindurch.    Um  daher  auf  das  Proto- 
plasma der  Pflanzen  wirken  zu  können,  muß  es  vergesellschaftet  sein 
mit  einem  membranlösenden  Enzym  (der  Pektinase  §  74  oder  Zellu- 
lase  §  76),  das  ihr  den  Weg  vorbereitet.   Van  Hall  scheint  bei  dem 
Bacillus  omnivorus,  der  Irispflanzen  befällt,  ein  ähnliches   Gift  ge- 
funden zu  haben.    Die  Wirkungsart   der   Gifte  und  auch  der  Säuren 
besteht  stets  darin,  daß  das  Protoplasma  der  Zellen  sich  zusammen- 
zieht imd  anscheinend  abstirbt. 

§  310.  Gifte  der  Protozoen.  Die  Gifte  der  Protozoen  sind  bisher 
sehr  wenig  bekannt,  obwohl  diese,  nach  den  Erscheinungen  am  infizierten 
Tier  imd  Menschen  zu  schließen,  solche  zu  bilden  scheinen.  Schon 
bei  den  freilebendenAmöben,  Ziliaten  usw.,  die  andere  Klein- 
wesen fressen,  ist  es  wahrscheinlich,  daß  sie  Giftstoffe  absondern,  durch 
die  letztere  getötet  werden,  denn  es  ist  nachgewiesen,  daß  z.  B.  Bak- 
terien in  den  Verdauungsenzymen  der  Amöben  nur  verdaut  werden, 
wenn  sie  abgetötet  sind  (M  o  u  t  o  n  S.  500),  ja,  ältere  Forscher  schon 
(Ehrenberg,  Max  Schultz  e)  haben  beobachtet,  daß  beweg- 
liche Tierchen,  wenn  sie  von  den  Scheinfüßchen  der  Rhizopoden  be- 


992  Kap.  XVI.   §  310—312. 

rührt  werden,  gelähmt  werden.  Der  dabei  wirksame  Stoff  ist  zwar 
noch  unbekannt.  Man  könnte  aber  daran  denken,  daß  er  Ähnlich- 
keit besäße  mit  den  Abwehrstoffen  (Alexinen  und  Leukineii)  höbeier 
Tiere.  Nur  in  wenigen  Fällen  ist  es  gelungen,  aus  parasitischen  Proto- 
zoen Gifte  zu  gewinnen.  Der  erste  und  am  besten  gesicherte  Fall  be- 
trifft jedoch  eigentümlicherweise  eine  Infektion,  die  unter  sehr  geringen 
oder  ohne  AUgemeinersoheinungen  verläuft,  die  Sarkospo- 
ridienkrankheit. 

Schon  L.  Pfeiffer*),  dann  Kasparek*),  Laveran  und 
Mesnil'),  Rievel  und  Behrens^)  haben  mit  Auszügen  aus  dein 
leicht  zu  erhaltenden  Zysteninhalt  der  Miescher sehen  Schläuche  Ent- 
zündung imd  Fieber,  Diarrhöe,  Abmagerung,  in  großen  Gaben  Kollaps 
und  Tod  erzielt.  Nach  Laveran  und  M  e  s  n  i  1  genügt  der  filtrierte 
Glyzerinextrakt  von  1  mg  frischer  Sarkosporidien,  um  1  kg  Kaninchen 
von  der  Unterhaut  binnen  5 — 10  Stunden  zu  töten.  Meerschweinchen, 
Hatten,  Mäuse,  Hunde,  Hühner,  Tauben  sind  wenig,  Hammel,  Schild- 
kröten und  Frösche  gar  nicht  für  das  „Sarkozystin*'  empfänglich.  Wir 
haben  hier  also  wohl  wieder  mu'  ein  Beispiel  von  zufälliger  Giftigkeit  (S.  859). 
Xach  Rievel  und  Behrens  soll  sich  übrigens  das  Gift  in  der  Him- 
subatanz  anhäufen,  denn  das  Hirn  der  vergifteten  Kaninchen  ist  selbst  giftijr- 

Auch    die    Plasmodiophora    brassicae    bildet    nach 

V.  Prowazek^)    ein    Gift,  dessen  Extrakt  Paramäcien  in  l—V> 

Stunden  tötet.     Sonst  liegt  zunächst  noch  ein  gelimgener  Versuch 

vor,  den  außer  Mannaberg  namentlich  Rosenau,  Parker, 

Francis     und    Beyer®)    mit    Malariablut    vorgenommen 

haben. 

9  ccm  Serum  des  nach  Defibrinieriing  und  Verdünnung  mit  Zugabe 
gleicher  Mengen  Kochsalzlösung  durch  ein  Berkefeldfilter  geschickten 
Blutes  eines  am  Tertianfieber  im  Froststadium  leidenden  Menschen  er- 
zeugten bei  einem  Gesunden  intravenös  eingeführt  einen  Fieberanfall,  der 
35  Minuten  später  auftrat,  38,7®  erreichte  und  zwei  Stunden  dauerte.  Ohne 
Wirkung  blieb  ein  ähnlicher  Versuch  mit  Blutserum  eines  Tropenfiebers 
bei  abnehmender  Temperatur.  Man  wird  sich  nach  den  Erfahrungen,  die 
man  mit  Senuuhämolysinen,  Hämoglobin  usw.  gemacht  hat,  hüten  müssen. 
Schlüsse  daraus  zu  ziehen. 

Am  nächsten  lag  es,  mit  Trypanosomen,  die  man  ver- 
hältnismäßig leicht  aus  infiziertem  Blut  in  Kultur  gewinnen  kann. 
Versuche  anzustellen. 

1)  Protozoen  als  Krankheitserreger  1891;  Untersuchungen  über  den 
Ivrebs  1893. 

2)  Zentr.  Bakt.   18. 

3)  Compt.  rend.  soo.  biol.    1899,  I.  311. 

4)  Zentr.  Bakt.   35,   1903. 

5)  österr.  bot.  Zeitschr.   1902. 

6)  Ref.  Bull.   Pasteur  1905.   705. 


Gifte  der  Kleinwesen.  993 

Kanthack,  Durham  und  Blanford^)  hatten  aber  kein 
Ert?ebnis,  in  welcher  Weise  sie  auch  das  Gift  aus  den  Parasiten  auszu- 
ziehen suchten.  L  a  v  e  r  a  n  und  M  e  s  n  i  1  *)  hatten  ebensowenig  Erfolg 
l>t*i  Verwendung  von  Berkefeldfiltraten  von  Blut,  auf  50°  erhitztem  Blut, 
Organextrakten,  Trypanosomenauszügen,  ob  sie  die  Einspritzungen  unter 
die  Haut  oder  in  das  Gehirn  vornahmen;  desgleichen  M.  Mayer  ')  mit 
autolytischen  Extrakten  von  Bluttrypanosomen.  N  o  v  y  und  M  e  N  e  a  1  *) 
.<a!ien  höchstens  örtliche  Erscheinungen,  wenn  sie  die  von  ihnen  rein 
aeziichteten  Trypanosomen  im  nicht  virulenten  oder  sterilen  Ziistand 
nder  in  Extraktfonn  verwendeten. 

Diese  mangelhaften  Ergebnisse  rechtfertigen,  da  ja  bei  Bakterien- 
krankheiten (Milzbrand  u.  a.  m.)  ähnliche  Erfahrungen  gemacht  sind, 
noch  nicht  die  Vermutung,  daß  die  pathogenen  Protozoen  keine  all- 
gemeinen Gifte  bilden  (vgl.  S.  859  ff.).  Immerhin  wird  man  gerade 
bei  den  Blutparasiten  imter  ihnen  am  ehesten  daran  denken  dürfen, 
daß  sie  allein  schon  durch  ihren  mechanischen  Einfluß  (z.  B.  auf  Blut- 
körper bzw.  durch  mehr  oder  weniger  vollständige  Verstopfung  ganzer 
Gefäßbezirke)  schädlich  wirken  können.  Die  mit  Trypanosomen  er- 
haltenen örtlichen  Reizwirlamgen  erinnern  daran,  daß  auch  bei 
der  Trypanosomiasis  des  Menschen  (Schlafkrankheit)  und  der  Tiere 
(z.  B.  der  Dourine)  entzündliche  Veränderungen  an  der  Tagesordnung 
sind.  Die  Erklärung  der  eigentümlichen  Veränderungen  der  nervösen 
Zentralorgane  bei  der  Dourine  wird  aber  dadurch  noch  nicht  geliefert, 
denn  hier  wurden  bisher  die  Parasiten  ebenso  vermißt  wie  bei  der 
Tabes  und  Paralyse  die  Spirochaeten  der  Syphilis. 
Die  letzteren  sollen  hier  nur  erwähnt  sein  wegen  der  Ähnlichkeit,  die 
sie  mit  den  Trypanosomen  haben,  obwohl  wir  sie  nicht  zu  den  Proto- 
zoen stellen  (vgl.  §359).  Experimentelle  Erfahrungen  über  Spirochaeten- 
gifte  fehlen  im  übrigen,  obwohl  sie  jetzt  mit  Hilfe  von  Kulturen 
vielleicht  möglich  wären. 

§  311.  Gifte  der  Chlamydozoen.  Über  die  Gifte  der  von 
Prowazek  so  genannten  ultramikroskopischen  Krankheitserreger 
wissen  wir  noch  weniger.  Die  Schwierigkeiten  der  Untersuchung  werden 
Wer  dadurch  vermehrt,  daß  diese  Keime  oft  durch  die  Filter  hindurch- 
gehen („filtrierbare  Virus"  vgl.  S.  2,  Anm.  2),  daß  femer  bisher  die 
Möglichkeit,  mit  Reinkulturen  —  auf  künstlichen  Nährböden  —  zu 
arbeiten,  noch  nicht  gegeben,  man  daher  fast  ausschließUch  mit  Be- 
standteilen des  tierischen  Körpers  oder  dessen  Extrakten,  die  selbst 
nicht  unschädlich  sind,  zu  arbeiten  gezwungen  ist. 


1)  Hyg.  Rundschau  1898.  24. 

2)  Trypanosomes  et  trypanosomiaÄes  Paris  1904. 

3)  Zeitschr.  experim.  Path.   1.  542,   1905. 

4)  Vgl.  die  zahlreichen  seit  1903  erschienenen  Arbeiten  dieser  Forscher. 
Kruse,  Mikrobiologie.  G3 


994  Kap.  XVI,   S  311  u.  312. 

So  sind  denn  auch  die  Angaben  Babes'^)  über  die  Gewinnung 
langsam  tötender  Gifte  aus  dem  Gehirn  von  anHundswut  verstorbener 
Tiere  und  Menschen  von  Heller  imd  Bertarelli  •)  nur  insofern 
bestätigt  worden,  als  die  Stoffe  aus  kranken  Gehirnen  etwas  kräftiger 
wirkten  als  aus  gesunden.  Ob  daher  die  pcuraly tischen  S3niiptoine,  die 
nach  Remlinger')  in  sehr  seltenen  Fällen  (1  :  1000)  bei  Personen 
auftreten,  die  der  Wut- Schutzimpfung  unterworfen  gewesen  sind,  al^ 
Wirkimgen  des  Wutgifts  aufzufassen  sind,  steht  dahin. 

Ebenso  zweifelhaft  in  ihrer  Deutung  sind  die  Versuche  Wilms'*) 
mit  dem  Wasser  sog.  Kropfbrunnen.  Es  gelang  ihm  nicht  mir 
nach  dem  Vorgange  Birchers  *)  durch  die  Aufnahme  solchen  Wassers 
bei  Ratten  Kröpfe  zu  erzielen,  sondern  er  erhielt  auch  noch  Erfolge,  wenn 
das  Wasser  durch  Berkefeldfilter  hindurchgegangen  oder  auf  60 — 70'  er- 
hitzt war,  während  bei  Erhitzimg  auf  80"  die  Kropfbildung  fehlte.  Vn> 
scheint  die  Möglichkeit  nicht  ausgeschlossen  zu  sein,  daß  es  sich  hier  lun 
die  Wirkung  eines  filtrierbaren  Virus,  nicht,  wie  W  i  1  m  s  meint,  um  die 
eines  Toxins  handelt. 

§  312.  Blutgifte  (Hämolysine)  der  Bakterien«),  Unter  den 
Giften  der  Bakterien  verdienen  diejenigen,  deren  Wirkung  sich  schon 
außerhalb  des  Körpers,  im  Beagensglas  oder  unter  dem  Mikroskop, 
nachweisen  läßt,  eine  besondere  Besprechung.  Das  sind  in  erster  Linie 
die  Hämoljrsine  (Hämotoxine),  die  rote  Blutkörperchen  aufzulösen 
vermögen.  Während  man  bis  dahin  nur  blutlösende  Wirkungen  lebender 
Kulturen  gekannt  hatte"^),  fand  das  erste  Beispiel  eines  blutlösenden 
Giftes  Ehrlich®)  in  dem  Tetanolysin,  das  neben  dem  die 
eigentliche  Krankheit  bedingenden  Tetanospasmin  in  Kulturen  und 
Giftlösimgen  der  Tetanusbazillen  vorkommt. 

Ehrlich  stellte  schon  die  Verschiedenheit  beider  Gifte  durch 
folgende  Beobachtungen  fest: 

1.  In  verschiedenen  Giftlösimgen  (Ammoniumsulfatfällungen  vgl. 
S.  921)  findet  sich  die  hämolytische  imd  toxische  Wirkung  in  ungleichen) 
Verhältnis,  bald  mehr  die  eine,  bald  die  andere. 

2.  Das  Tetanolysin  wird  schon  durch  20  Minuten  dauernde  Erhitzung 
auf  50°  vernichtet,  das  Tetanospasmin  erst  durch  höhere  Temperaturen. 


1)  Zentr.  Bakt.  27,   1900;  Festschr.  f.  Leyden,   1902. 

2)  Zentr.  Bakt.  36,   1904;  vgl.  auch  Marie,  Compt.  rend.  ac.  sc. 
14.  VII.   1905. 

3)  Annal.  Pasteur  1905. 

4)  Deutsche  med.  Woch.   1910.   13. 

5)  D.  Zeitschr.  f.  Cliir.   103. 

6)  Vgl.  P  r  i  b  r  a  m  ,  Über  Bakterienhämotoxin  und  Antihämotoxiii 
(in  Kolle-Wassermanns  Handb.  1,  Erg.-Heft  1906,  S.  291—346). 

7)  Längst  bekannt  ist  die  Blutlösung  durch  Fäulnisbakterien.  Dann 
kamen  (1884)  R.  Kochs  und  (1886)  B  i  1 1  e  r  s  Beobachtungen  an  Rein- 
kulturen vom  Choleravibrio.  Andere  Funde  betrafen  Hämolyse  in  lebenden 
Tieren. 

8)  Berl.  klin.  Woch.    1898,   12  (Gesellsch.  d.   Cliarit^-Ärzte). 


Gifte  der  Kleinwesen.  995 

3.  Den  GiftlÖsungen  läßt  sich  das  Tetanolysin  durch  rote  Blut- 
körperchen zum  größten  Teil  entziehen. 

4.  Jedes  Gift  bildet  ein  eigenes  Antitoxin;  das  Serum  kann  z.  B. 
5tark  antispastisch  und  gar  nicht  antilytisch  sein  und  umgekehrt. 

M  a  d  s  e  n  *)  hat  dann  im  Laboratorium  Ehrlichs  weiter  fest- 
gestellt, daß  das  Tetemolysin  in  seinem  Bau  eine  große  Ähnlichkeit  mit 
lern  Diphtheriegift  hat,  indem  es  eine  „haptophore"  (blutkörperchen- 
ind  antitoxinbindende)  imd  eine  toxophore  (lösende)  Gruppe  besitzt,  die 
jede  für  sich  veränderlich  ist.  Man  kommt  so  zu  der  Vorstelliuig, 
laß  neben  den  „Hämotoxinen"  auch  hier  „Toxoide"  (Lysinoide)  und 
.Toxone"  möglich  sind.  Mit  Hilfe  des  Tetanolysins  und  Antilysins  hat 
«eiter  Madsen  seine  interessanten  „Heilversuche  im  Reagensgltis"  an- 
gestellt. Wir  haben  von  diesen  Verhältnissen,  an  die  sich  später  die  wider- 
spruchsvolle Erörterung  über  den  Bau  der  Bakteriengifte  imd  die  Wir- 
kungsweise des  Antitoxins  geknüpft  hat  (Arrhenius  und  Madsen) 
\n  anderer  Stelle  (§  275  u.  276),  gesprochen  und  kommen  weiter  unten 
(§  313)  darauf  zurück. 

Später  folgten  die  systematischen  Untersuchungen  von  Kraus 
und  Clairmont^)  und  vielen  anderen  Forschem  über  die  Hämo- 
lysine aller  möglichen  Bakterien. 

Man  prüft  die  blutlösende  Fähigkeit  gewöhnlich  in  der  Weise,  daß 
tnan  1  ccm  einer  5  prozentigen  Aufschwemmung  von  gewaschenen  Blut- 
körperchen in  0,85%  der  Kochsalzlösimg  im  Reagensglas  mit  abgemessenen 
VIengen  abgetöteter  Kulturen,  Bakterienaufschwemmungen,  Kulturfil- 
traten  oder  Zentrifugaten  versetzt,  wenn  nötig  mit  Kochsalzlösiuig  auf 
2  ccm  auffüllt,  die  Mischung  2  Stunden  bei  37°  im  Weisserbad  oder  Brut- 
ofen hält  und  dann  über  Nacht  im  Eisschrank  läßt.  Ist  die  Lösung  voll- 
ständig („komplett"),  so  ist  die  Flüssigkeit  klar  (lackfarben)  und  kein 
Bodensatz  (oder  nur  ein  solcher  von  Bakterien)  vorhanden.  Bei  weniger 
vollständiger  Lösung  tritt  ein  gefärbter  Bodensatz  auf.  Beim  weiteren 
Sinken  der  hämolytischen  Kraft  wird  der  Bodensatz  immer  stärker  und 
öter  und  die  darüber  stehende  Flüssigkeit,  namentlich  in  ihrer  oberen 
"Schicht,  hell  und  heller  rot,  beim  Fehlen  der  Hämolyse  schließlich  ganz 
arblos.  In  einzelnen  Fällen  ist  die  Benutzung  von  Agarplatten  mit  Blut- 
susatz vorzuziehen,  in  anderen  ist  sogar  dieser  feste  Nährboden  zum  Nach- 
veis  der  Lösung  allein  zu  gebrauchen  (S.  1001).  Über  die  Messung 
ier  Hämolyse  auf  kolorimetrischem  Wege  vgl.   S.   1007. 

Die  Blutkörper  der  einzelnen  Tiere  verhalten  sich  verschieden  gegen 
lie  Lysine').  Allgemein  läßt  sich  Kaninchenblut  verwenden,  meist  auch 
^undeblut,  die  Blutkörper  des  Menschen  und  der  Ziege  sind  gewöhnlich 
-^derstcttidsfähiger,  doch  gilt  für  jedes  Hämolysin  eine  besondere  Reih  en- 
dige; z.  B.  für  das  Staphylolysin  steht  das  Kaninchen  an  erster  Stolle, 
lann  folgen  Hammel,  Schwein,  Hund,  Meerschweinchen,  Pferd,  Ziege, 
^iensch  und  Gans.    Die  entsprechende  Reihe  für  das  Colilysin  ist:  Himd, 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  23.  214,   1899. 

2)  Wien.  klin.  Woch.   1900  und  190L 

3)  Vgl.    darüber   auch   die  neueste   Arbeit   von    B  a  c  h  r  a  c  h   und 
Urafe,  Arch.  f.  Hyg.  70,  1909. 

63* 


996  Kap.  XVI,   §  312. 

Pferd,  Rind,  Kaninchen,  Meerschweinchen,  Mensch;  die  Körperchen  von 
Hammel,  Schwein,  Taube,  Gans  scheinen  gar  nicht  zu  reagieren.  Bvi 
Streptokokken  (in  Blutagarplatten)  ist  die  entsprechende  Reihenfolge: 
Ziege,  Rind,  Kaninchen,  Mensch  (Puppel  s.  u.).  Für  Pestbazillen 
eignen  sich  Menschen-  und  Pferdeblutkörper,  wenn  auch  nicht  ausschließ- 
lich, aber  doch  besser  als  solche  von  Kaninchen,  für  Cholerabazillen  Kanin- 
chen- besser  als  Ziegenblut. 

Im  allgemeinen  ist  es  sicherer,  gewaschene  Blutkörper  zu 
verwenden,  weil  das  Serum,  z.  B.  des  Menschen,  der  Ziege,  des  Pferdes, 
viel  seltener  das  des  Kaninchens  (Kay  s er)  die  Lösung  hemmt  (vgl.  S.  10i>9). 
Niedrige  Temperaturen  hemmen  sie  ebenfalls,  doch  findet 
dabei  schon  eine  Bindung  des  Hämolysins  an  die  Blutkörper  statt;  sehr 
hohe  Gaben  des  Lysins  können  aber  auch  dann  die  Lösung  bewirken,  s^« 
braucht  man  nach  M  a  d  s  e  n  bei  24  stündiger  Anwendung  einer  Teni- 
peratiu*  von  0  —  1°  ungefähr  100  mal  soviel  Tetanolysin  wie  bei  der  gt- 
wöhnlichen  Anordnung.     Vgl.    §  314. 

Blutkörper  verschiedener  Individuen  derselben  Art 
können  verschieden  empfindüch  sein.  So  lösten  z.  B.  0,05  ccm  eines  Staphy- 
lolysins  das  Blut  dreier  Kaninchen  vollständig,  die  Mengen,  die  noch  spuren- 
weise lösten,  schwankten  aber  von  0,005  —  0,0005  ccm.  Ebenso  zeigten 
sich  Unterschiede  in  dem  Verhalten  des  Blutes  bei  niederen  Temperaturen, 
manche  Blutkörper  wurden  bei  0®  schon  gelöst,  andere  nicht  (Neißer 
und  W  e  c  h  s  b  e  r  g  s.  u.). 

Die  von  R  a  y  b  a  u  d  und  Hawthorn  *)  gemachte  Beobachtunc 
daß  Tuberkelbazillenkulturen  nur  das  Blut  von  tuberkulösen,  nicht  von 
gesunden  Meerschweinchen  auflösen,  berulit  vielleicht  auf  einer  geringeren 
Widerstandsfähigkeit  der  ersteren. 

Die  hämolj^ische  Fähigkeit  der  einzelnen  Bakterienarten  und 
auch  ihrer  einzelnen  Stämme  ist  selbst  unter  den  geeignetsten  Wachs- 
tumsbedingungen (s.  u.)  eine  sehr  verschiedene.  Letztere  Tatsache 
hat  man  besonders  bei  Staphylokokken  imd  Strepto- 
kokken festgestellt  und  glaubt  sie  mit  einem  gewissem  Recht  in 
Beziehimg  setzen  zu  dürfen  zur  Virulenz  der  betreffenden  Stämme. 
Neißer  und  Wechsberg*)  wiesen  zuerst  darauf  hin,  daß  die 
eitenmgerzeugenden  gelben  oder  weißen  Staphylokokken  stet»  Hämo- 
lysin bildeten,  und  zwar  betrug  bei  der  obigen  Versuchsanordnimg 
die  gerade  zur  vollständigen  Lösung  von  Kaninchenblutkörpem  aus- 
reichende Menge  der  Bouillonfiltrate  0,0075 — 1  ccm  oder  mehr.  Andere 
aus  der  Luft,  von  der  Haut  stammende,  meist  ungefärbte  und  schlecht 
verflüssigende  Staphylokokken  lösten  überhaupt  nicht.  Die  späteren 
Untersuchungen^)  bestätigten  das  im  wesentlichen,  doch  scheinen 
Ausnahmen  und  Übergänge  vorzukommen.  Vor  allem  muß  man  im 
Auge  behalten,  daß  einundderselbe  Stamm,  wie  es  nament- 

1)  Soc.  biol.   1903  Nr.  55  (nach  P  r  i  b  r  a  m). 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   36,   1901. 

3)  Kutscher  und  K  o  n  r  i  e  h  ebenda  48,  1904  mit  Lit.,  F  r  ä  n  - 
k  o  1  und  B  a  u  m  a  n  n  ,  Münch.  med.  Woch.   190ö.  20. 


Gifte  der  Klein wesen.  997 

lieh  auch  bei  Diphtheriebazillen^)  nachgewiesen  ist,  während  der  künst- 
lichen Kultur  die  Fähigkeit,  Blut  zu  lösen,  verlieren 
kann.  In  dieser  Beziehung  scheinen  die  Streptokokken^) 
weit  beständiger  zu  sein,  während  sie,  mindestens  nach  der  Meinung 
mancher  Forscher  (N  a  t-v  i  g  ,  Z  a  n  g  e  m  e  i  s  t  e  r),  unter  natürlichen 
Bedingungen,  d.  h.  in  und  auf  lebenden  Menschen  und  Tieren,  sehr 
wohl  derartige  Wandlungen  und  auch  die  umgekehrte  —  aus  nicht  hämo- 
lytische in  hämolytische  Rassen  —  durchmachen  sollen.  Der  strenge 
Beweis  dafür  ist  freilich  sehr  schwer  zu  führen,  imd  die  Bedingungen, 
unter  denen  die  Umwandlung  erfolgt,  sind  noch  dunkel.  Jedenfalls 
steht  auch  hier  wie  bei  den  Staphylokokken  fest,  daß  die  Strepto- 
kokken, die  aus  pathologischen  Prozessen  gezüchtet  werden,  gewöhn- 
lich hämolytisch  sind,  die  von  gesunden  Schleimhäuten,  Mimd  imd 
Rachen,  Darm,  Scheide,  von  der  Haut,  aus  der  Milch  stammenden 
dagegen  ebenso  gewöhnlich  nicht  hämolytisch.  Allerdings  hat  diese 
Regel  Ausnahmen,  nach  Ansicht  mancher  Forscher  sogar  sehr  viele, 
indessen  rührt  das  wohl  zum  Teil  daher,  daß  man  nicht  immer  ge- 
nügend auf  die  Art  der  gefundenen  Streptokokken  geachtet  hat. 
Der  pathogene  Str.  lanceolatus  (und  mucosus)  ist,  wie  schon 
Sehottmüller  beobachtet,  ebenso  häufig  nicht  hämolytisch,  wie 
der  Str.  pyogenes  hämolytisch.  Außerdem  ist  es  nach  den  in 
meinem  Laboratorium  von  P  u  p  p  e  1  gemachten  Erfahrungen  unbe- 
dingt nötig,  auf  den  Grad  der  Hämolyse  zu  achten.  Um  so  sicherer 
scheinen  die  hämolytischen  Streptokokken  für  die  Menschen  pathogen 
zu  sein,  je  ausgesprochener  sie   M  e  n  s  c  h  e  n  b  1  u  t  *'')   lösen    (s.  o.). 

1)  Schwoner,  Zentralbl.  Bakt.  35.  613,   1904. 

2)  Besredka,  Annal.  Pasteiir  1901 ;  Marmorek,  Berl.  klin. 
Woch.  1902.  14;  Lubenau,  Zentr.  Bakt.  30,  366,  1901;  Schott- 
rn  ü  1 1  e  r  ,  Münch.  med.  Woch.  1903.  20/21 ;  Schlesinger,  Zeitschr. 
f.  Hyg.  44,  1903;  Simon,  Zentr.  Bakt.  35,  1904;  Kern  er  ebenda 
38.  223,  1905;  Bau  mann,  Münch.  med.  Woch.  1906.  25;  Natvig, 
.Vrch.  f.  Gyn.  76,  1906;  P.  Th.  M  ü  1 1  e  r  ,  Arch.  Hyg.  56.  1906;  Nieter, 
Zeitechr.  f.  Hyg.  56,  1907;  v.  Bardeleben,  Arch.  Gyn.  83,  1907; 
Rüdiger,  Joum.  of.  inf.  dis.  1907;  Salomon,  Zentr.  Bakt.  47,  1908; 
Fromme  u.  Heynemann,  Berl.  klin.  Woch.  1908.  919;  Heynemann, 
Arch.  f.  Gyn.  86;  Fromme  ebenda  87;  C.  F  r  ä  n  k  e  1 ,  Münch.  med. 
Woch.  1909,  311 ;  L  ü  d  k  e  und  P  o  1  a  n  o  ,  ebenda  S.  9;  Zange- 
meister.  Deutsch,  med.  Woch.  1909.  10/11  und  Verh.  Ges.  f.  Gynäk. 
1909;  GeseUsch.  f.  Cliir.  1910;  Z  ö  p  p  r  i  t  z  ,  Verh.  Ges.  f.  Gynäk.  1909; 
E.  S  a  c  h  8  ,  Zeitschr.  Hyg.  63,  1909;  P  u  p  p  e  1 ,  Verh.  Naturf.  Versamml. 
Königsberg  1910  (Zeitschr.  Hyg.   1911). 

3)  Zweifelhaft  ist  es  dagegen,  ob  die  für  MäiLse,  Kaninchen,  Rinder 
virulenten  Streptokokken  in  deren  Blut  die  größte  Wirkung  äußern.  Die 
ganze  Frage  verdiente  namentlich  auch  für  andere  Bakterien  noch  gründ- 
licher studiert  zu  werden. 


998  Kap.  XVI.    §  312. 

Mit  diesen  Bemerkungen  wollen  wir  aber  nicht  sagen,  daß  die  Fähig- 
keit, Blut  zu  lösen,  immer  mit  der  Virulenz  des  Strept.  pyogenes 
parallel  gehe,  sondern  nur  die  Ansicht  begründen,  daß  die  Hämo- 
Ijrse  ein,  bei  dem  fühlbaren  Mangel  anderer  Mittel^)  nicht  unwichtiger 
Anhalt  für  die  Beurteiltmg  seiner  Virulenz  ist.  < —  Wohl  im  Auge  zu  be- 
halten ist,  daß  das  hämolytische  Vermögen  in  Filtraten  je  nach 
dem  Alter  der  Kultur,  die  man  untersucht,  wechselt. 

Beim  Staphyiococcus  pyogenes  ist  sie  am  größten  zwischen  deni 
3.  und  20.  Tage,  beim  Bac.  pyocyaneus*)  zwischen  dem  7.  und  34.  Tage. 
beim  Typhusbazillus')  nach  14  Tagen,  beim  Colibazillus^)  nach  4 — 6  Tagen, 
beim  Diphtheriebazillus^)  nach  1 — 14  Tagen,  beim  Hülmercholerabazilluä 
nach  12  Tagen.  Lubenau  findet  sogar  von  einem  zum  anderen  Tage 
beim  Staphyiococcus  sehr  erhebliche  Schwankungen  des  hämolytischen 
Vermögens,  so  daß  es  heute  da  sein,  morgen  verschwinden  und  übermorgen 
wiedererscheinen]  kann.  Um  sicher  zu  sein,  daß  man  die  hämolytische 
Fähigkeit  nicht  übersieht,  empfehlen  Kutscher  und  K  o  n  r  i  c  h  dlo 
Filtrate  der  Staphylokokken  vom  3.  bis  zum  20.  Tage  täglich  zu  prüfen. 

Unter  den  stärker  hämolytischen  Bakterien  sind  in  erster  Linie 
zu  nennen  außer  vielen  Staphylokokken  und  Streptokokken  (vom 
Tj^us  des  Str.  pyogenes),  Bac.  pyocyaneus,  die  Bazillen  des  Tetanus 
(a.  a.  0.),  malignen  Ödems  und  Rauschbrandes'),  der  Hühnercholera"), 
Bac.  megatherium®),  virulente  Pestbazillen')  und  manche  Coliarten 
(s.  o.),  viele  choleraähnliche  Vibrionen,  wie  z.  B.  der  Vibrio  Nasik, 
Metschnikoff,  Finkler-Prior,  Berolinensis^®),  aber  auch  die  vielleicht 
zu  den  echten  Choleravibrionen  gehörigen  El-Tor-Stämme*^).    Geringer 


1)  Das  beste  besteht  wohl  in  der  Prüfung  auf  Phagozytose  bzw,  Op- 
sonierbarkeit  in  dem  betreffenden  Blutserum,  vgl.    §  322. 

2)  B  u  1 1  o  c  h  und  H  u  n  t  e  r  ,  Zentr.  Bakt.  28.  265.  1900;  W  e  i  n  - 
g  er  off  ebenda  29.  277,  1901;  Lubenau  a.  a.  O. ;  Breyraann 
ebenda  31,   1902. 

3)  E.  und  P.  L  e  V  y  ebenda  30.  405,  1901 ;  Castellani,  Lanwi 
15.   II.    1902;  Williamson,  Biochem.   Zentr.   3. 

4)  Kays  er,  Zeitschr.  f.  Hyg.  42,  1903;  Mori,  Zentr.  Bakt.  38. 
1905. 

5)  Schwoner,  Lubenau  a.  a.  O. 

6)  Eisenberg,   Soc.  biol.   16.  III.   1907. 

7)  Calamida,  Zentr.  Bakt.  35,   1904. 

8)  T  o  d  d ,  Lancet  14.  XII.  1901  und  Transact.  Pathol.  Society 
London  1902;  Drey  er  und  Blake,  Lancet  1904   (nach   Pribram). 

9)  R  a  y  b  a  u  d  ,  ref .  Biochem.  Zentralbl.  1 ;  U  r  i  a  r  t  e  ebenda 
(P  r  i  b  r  a  ni). 

10)  M  a  s  i  (bei  Pribram).  Kraus,  Wien.  klin.  Woch.  1903.  50: 
1905.  999;  1906.  11;  Meinicke,  Deutsch,  med.  Woch,  1904.  23  und 
Zeitschr.  f.  Hyg.   50;   Prausnitz,  Berl.  klin.  Woch.    1905.   19. 

11)  Kraus  imd  Pribram,  Wien.   klin.  Woch.    1905.   39. 


Gifte  der  Klein wesen.  999 

und  lange  nicht  so  beständig  ist  die  Hämolysinbildiing  bei  Milzbrand^), 
Typhus  (s.  o.),  Ruhr^),  Proteus^),  Diphtherie  (a.  a.  0.),  vielen  Stämmen 
des  Streptococcus  pyogenes  (s.  o.)  und  namentlich  des  Strept.  lanceo- 
latus^)  und  Strept.  lacticus^),  Diplococcus  catarrhalis  und  Micr.  tetra- 
genus*).  Gar  kein  Hämolysin  (in  dem  gewöhnlichen  Sinne,  s.  u.)  er- 
zeugen Cholerabazillen,  Pseudodiphtherie'')  imd  Xerose®),  Bac.  botu- 
linus  \md  putrificus  coli,  Paratyphus*),  Sarcina  lutea^®)  und  viele  andere 
Saprophyten,  wozu  ja  auch  viele  Staphylo-  imd  Streptokokken  (s.  o.) 
gehören.  Im  übrigen  besitzen  diese  Angaben  keinen  unbedingten 
Wert,  da  offenbar  viel  auf*  die  veränderliche  Stammeseigentümlichkeit, 
die  Untersuchungsmethode  sowie  den  Nährboden  ankommt.  Im 
Blutagar  (s.  u.)  scheinen  sogar  die  allermeisten  Bakterien,  die  bei  der 
gewöhnlichen  Prüfung  dazu  imfähig  sind,  Hämolyse  zu  verursachen. 

Für  viele  Bakterien  ist  es  nötig,  die  flüssigen  Nährböden  in  be- 
stimmter Weise  zusammenzusetzen,  um   gute  Hämolyse  zu  erzielen. 

So  soll  für  die  Streptokokken  die  Reaktion  der  Bouillon  schwach 
alkalisch,  für  den  Bac.  inegatheriiim  stärker  alkalisch,  für  die  Colibakterien 
schwach  sauer  sein.  Streptokokken  verlangen  einen  Zusatz  von  Blutserum, 
und  zwar  ist  die  Wirkung  verschieden,  je  nach  dem  Serum,  das  man  wählt; 
so  lösten  nach  Besredka  Kulturen  in  Menschenserum  auch  die  Blut- 
körper  der  Ziege  und  des  Lanmies,  solche  in  Ziegenserum  nicht.  Diphtherie- 
bazillen, die  ihre  hämolytische  Kredt  verloren  haben,  können  sie  nach 
Schwoner  wiedergewinnen,  wenn  man  der  Bouillon  Pferdeserum  zu- 
setzt. Traubenzuckerbouillon  wäre  nach  L  u  b  e  n  a  u  wenig  geeignet,  weil 
sie  schon  ungeimpft  Hämolysine  bewirkte.  Andererseits  schädigt  der  Trau- 
benzucker die  Hämolysinbildung  öfters.  Wittepepton  beeinträchtigt  nach 
M  a  d  s  e  n  und  W  a  1  b  u  m  * *)  die  Bildung  des  Tetanolysins,  nach  H  e  y  - 
r  o  w  8  k  y  und  Landsteiner  die  des  Antraxlysins,  besser  eignet  sich 
nach  den  letzteren  Forschern  I^epton  C  h  a  p  o  t  e  a  u  in  y^ — V»  prozentiger 
Lösung. 


l)v.  Wunschheim,  Arch.  f.  Hyg.  54.  253,  1905;  vgl.  auch 
Casagrandi  ,  Annali  d'igiene  1902 ;  Heyrowsky  und  L  a  n  d  - 
Steiner,  Zentr.  Bakt.  44,  1907. 

2)Castellani,  Lancet  15.  IL  1902;  Schöbl,  Wien.  klin. 
Woch.   1908.    1442.     Eigene  Beobachtungen. 

3)  Kraus  und  C 1  a  i  r  m  o  n  t  a.  a.  O. 

4)  Martelli,  Annali  d'igine  1901  ;Casagrandi,  her.  Biocliem. 
Zentralbl.  1903.  200;  vgl.  auch  S  c  h  o  1 1  m  ü  1 1  e  r  a.  a.  O. 

5)  S.  o.  Baumann,  Nieter,  Puppel  a.  a.  O. ;  Baehr, 
Arch.  Hyg.  72,   1910. 

6)  Lubenau  s.  o.     Lode,  Zentr.  Bakt.  33. 

7)  S.  Anm.  8. 

8)  S.  o.   Schwoner. 

9)  S.  o.  K  a  y  s  e  r. 

10)  S.  Anm.  6. 

11)  Zentr.  Bakt.  40.  409. 


1000  Kap.  XVI,    §  312. 

In  den  oben  aufgeführten  Fällen  läßt  sich  gewöhnlich  die  Hämo- 
lyse  auch  ohne  lebende  Bakterien  erhalten.  Manche  der  als  Gewährs- 
männer genannten  Forscher  haben  allerdings  angegeben,  daß  sie  die 
Blutlösung  nur  mit  lebenden  Kulturen  erzielen  konnten,  nickt 
mit  Filtraten  oder  durch  Hitze,  Chemikalien  u.  dgl.  abgetöteten  Kul- 
turen (Pyocyaneus,  Streptokokken,  Diphtheriebazillen),  andere  sind 
aber  glücklicher  gewesen.  Wahrscheinlich  hängen  die  gefundenen 
Unterschiede  entweder  von  den  benutzten  Bakterienstämmen  und 
Nährböden  oder  von  der  Durchlässigkeit  der  Filter  und  der  sonstigen 
Methodik  oder  aber  von  der  Empfindlichkeit  der  betreffenden 
Hämolysine  ab.  Die  gewöhnliche  Auffassung,  daß  die  meisten  Hämo- 
lysine als  echte  Sekrete  zu  gelten  hätten,  ist  schwer  zu  beweisen, 
immerhin  wahrscheinlicher  als  dieselbe  Annahme  für  andere  Toxine 
(S.  870).  In  jedem  Fall  werden  sie,  bis  auf  die  unten  zu  erwähnenden 
Fälle,  wo  man  von  Stoffwechselprodukten  (Ammoniak)  sprechen  darf, 
Bestandteile  der  B  akt  er  i  e  n  1  ei  b  e  r  sein,  die  aus 
letzteren  schwerer  oder  leichter,  aber  oft  wohl 
auch  nicht  ohne  vorhergegangene  Schädigung 
der  Zelle  ausgeschieden  werden.  Leider  hat  man  es 
bisher  versäumt,  Methoden,  die  eine  vollständige  Auflösung  der  Bak- 
terienleiber ermöglichen,  wie  das  Preßsaftverfahren,  hier  anzuwenden. 
Sie  würden  vielleicht  auch  überall  da,  wo  bisher  der  Nachweis  von 
Hämolysin  in  flüssigen  Nährböden  nicht  gelungen  ist,  es  auffinden  lassen. 
Daß  übrigens  die  in  Alkohol,  Äther  usw.  löslichen  Bestandteile  aller 
möglichen  Bakterien  und  auch  von  Trypanosomen  für  sich 
in  Extraktform  dargestellt,  hämolytisch  wirken,  haben  L  a  n  d  - 
Steiner  und  Raubitschek^)  sowie  Muttermilch*)  nach- 
gewiesen. Es  ist  das  aber  kaum  zu  verwundern,  da  Lipoide  Blut  eben- 
so wie  manche  andere  Zelle  zu  lösen  pflegen  (§  8  vgl.  aber  S.  1009). 

Mag  unsere  Auffassung  berechtigt  sein  oder  nicht,  die  Tatsache 
steht  fest,  daß  lebende  Kulturen  regelmäßig  eine 
viel  kräftigere  Blutlösung  hervorrufen  als  Fil- 
träte  usw.  —  für  die  übrigen  Giftwirkungen  gilt  ja  meist  das  gleiche  — 
und  daß  wir  in  zahlreichen  Fällen  ausschließlich 
mit  Hilfe  der  lebenden  Kulturen  hämolytische 
Wirkungen  hervorrufen  können.  Am  längsten  bekannt 
sind  solche  von  den  Choleraspirillen  (R.  Koch  1884).  Wenn 
man  sie  in  flüssigen  oder  festen  Nährböden  mit  Blut  züchtet,  beob- 
achtet man  gewöhnlich,  aber  nicht  immer    eine  Auflösimg  der  roten 


1)  Zentr.  Bakt.   45.   660  und  46.   508. 

2)  Soc.  biol.   24.  X.    1908. 


Gifte  der  Kleinweeen.  1001 

Blutkörper,  bei  weitem  am  schönsten  und  sichersten  aber  in  A  g  a  r  - 
platten,  die  man  nach  dem  Vorgange  von  E  i  j  k  m  a  n  n  ^)  durch 
Zumischung  von  Blut  (10%)  zum  Agar  anlegt.  Die  Kolonien  zeigen 
sich  da  umgeben  von  scharf  umgrenzten  farblosen  Höfen. 

Die  genaue  Untersuchung  des  Vorganges  durch  Schottmüller*), 
R.  Kraus,  Prausnitz,  und  namentlich  Meinecke  und  P  r  i  - 
b  r  a  m  ')  ,  sowie  in  meinem  eigenen  Laboratorium  durch  Bürgers  *) 
lehrte,  daß  einzelne  Cholerastämme  und  eine  Anzckhl  von  Vibri- 
onen, die  sich  auch  durch  die  Gemeinsamkeit  mancher  anderen  Charak- 
tere als  eine  natürliche  Gruppe  erweisen,  weder  in  Filtraten  noch  auf  Blut- 
agar  Hämolyse  mit  Hofbildung  (M  e  i  n  e  c  k  e)  bewirken,  oder  höchstens 
nach  einer  Reihe  von  Tagen  im  Blutagar  den  Beginn  einer  Auflösimg  von 
Blutkörperchen  durch  Aufklärung  (Lackfcu-bigwerden  der  Platte)  anzeigen 
(P  r  1  b  r  a  m).  Die  großeMehrzahl  der  Cholerastämme,  gleichgültig 
ob  sie  vom  Menschen  frisch  gezüchtet  sind  oder  lange  in  künstlichen  Nähr- 
böden gelebt,  sowie  zahlreiche  andere  Vibrionen  zeigen  dagegen  im  Blut- 
agar*) mehr  oder  weniger  ausgesprochene  Hämolyse,  während  sie  in  Fil- 
traten stets  fehlt.  Nur  bei  den  sogenannten,  aus  Dysenterieleichen  stam- 
menden, Vibrionen  von  E 1  -  T  o  r ,  die  doch  in  allen  ihren  sonstigen  Eigen- 
schaften mit  echten  Cholerabakterien  übereinstinunen,  ergeben  Filtrate 
und  Blutplatten  ebenso  starke  Hämolyse')  wie  z.  B.  bei  dem  Vibrio  Nasik 
lind  anderen  sicher  von  der  Cholera  verschiedenen  Kommabazillen  (s.  o.). 
Rechnet  man  die  El-Tor-Vibrionen  zur  echten  Cholera'),  so  haben  wir 
also  alle  Möglichkeiten  bei  der  Cholera  vertreten.  Die  choleraähnlichen 
Vibrionen  zeigen  die  gleiche  Mannigfaltigkeit. 

Auch  in  zahlreichen  anderen  Fällen  hat  die  Blutagarmethode  in 
der  Hand  Pribrams  viel  häufiger  Hämolyse  ergeben  als  die  übliche 
Untersuchimg  in  flüssigen  Nährböden  bzw.  mit  Filtraten.  Bei  der 
von  diesem  Forscher  geübten  reichlichen  Beimpfimg  der  Platten  fehlt 
fast  bei  keinem  Bakterium  die  Hämolyse,  die  sich  freilich 
oft  nicht  in  einer  Hofbildung  wie  bei  den  Vibrionen,  d,  h.  in  einem 
(scheinbaren)  Verschwinden  des  Farbstoffs  oder  wie  bei  verschiedenen 
Kokken  in  einer  Farbenveränderung  des  Hämoglobins  (s.  u.),  sondern 
in  einem  einfachen  Lackfarbigwerden  äußert.  Beobachtung  der  Platten 
bis  zum  3. — 5.  Tage  ist  dazu  nötig.  Während  im  allgemeinen  die  Hämo- 
lyse auf  Agarplatten  besser  zu  beobachten  ist  als  in  flüssigen  Nähr- 


1)  Zentr.  Bakt.  29,   1901. 

2)  Münch.  med.  Woch.   1904.   7. 

3)  Kolle-Wassermanns  Handb.  Erg.-Bd.   1,   1906.  291. 

4)  Hyg.  Rundschau  1910.  4. 

5)  Auch  in  Agar  mit  Ziegenblut,  wie  Bürgers  im  Gegensatz  zu 
Kraus  hervorhebt. 

6)  Sie  scheinen  das  hämolytische  Vermögen  aber  auch  in  einzelnen 
Kulturen  verlieren  zu  können. 

7)  Vgl.  Erörterung  in  der  1.  Tag.  der  Vereinig,  f.  Mikrobiol.  (Zentr. 
Bakt.  Ref.  38,  Beil.  S.  90)  u.  auf  d.  Naturf.  Vers.  Königsberg.  1910  Abt.  28. 


1002  Kap.  XVI,  §  312. 

böden,  scheint  das  Umgekehrte  zu  gelten  für  Streptokokken, 
denn  auch  die  Saprophyten  unter  ihnen  bilden  nach  B  a  u  m  a  n  n 
u.  a.  mehr  Hämol3^in  in  den  letzteren  als  in  den  ersteren,  weswegen 
sich  gerade  die  Blutplatten  zur  Unterscheidung  der  pathogenen  von 
den  nicht  pathogenen  (S.  997)  besser  eignen. 

Man  hat  versucht,  dies©  Hämolyse  durch  lebende  Bakterien  und 
namentlich  in  der  Blutagarplatte  als  in  ihrem  Wesen  verschieden  von  der 
Filtrathämolyse  hinzustellen  und  sie  durch  Wirkung  des  lebenden  Proto- 
plasmas oder  proteolytischer  imd  anderer  (lezithinspaltender)  ElnzymeM 
zu  erklären.  Die  letztere  Annahme  läßt  sich  aber  nicht  beweisen,  wenn 
auch  in  vielen  Fällen  ein  Parallelismus  zwischen  Gelatineverflüssigung 
und  Hämolyse  besteht,  und  die  erster e  ist  nach  den  Erfahrungen,  die  wir 
bei  Gärungsenzymen  (Zymase)  und  vielen  anderen  Giften  gemacht 
haben,  überflüssig  und  unwahrscheinlich.  Der  Unterschied  beruht  imseres 
Erachtens  hauptsächlich  darauf,  daß  dieHämolysinederleben- 
den  Bakterien  ebenso  wie  die  Zymase  und  manche 
Gifte  viel  vergänglicher  sind  als  die  hämolytischen 
Stoffe,  die  wir  durch  Filtration  usw.  von  den  leben- 
den Bakterien  trennen  können.  Außerdem  mögen  sonst 
noch  Unterschiede  bestehen,  aber  solche  finden  sich  auch,  wenn  man  die 
Filtrathämolysine  imtereinander  vergleicht. 

Der  Umstand,  daß  die  Blutlösung  auf  Agar  bzw.  Gelatine  viel  deut- 
licher ist  als  die  in  flüssigen  Kulturen,  erklärt  sich  vielleicht  einfach  daraus. 
daß  bei  dem  reichlichen  Sauerstoffzutritt  auf  der  Oberfläche  fester  Nähr- 
böden das  Wachstum  viel  stärker  zu  sein  pflegt,  und  man  braucht  wohl  nicht 
auf  enzymatische  Wirkungen  kolloidaler  Stoffe  (S.  1009)  zurückzugreifen. 

Daß  die  hämolytischen  Höfe  von  den  Kolonien  auf  Platten  farblos 
erscheinen,  liegt,  wie  Zangemeister  mit  Recht  sagt,  nicht  daran, 
daß  der  Blutfarbstoff  selbst  nach  der  Lösung  verändert  wird,  sondern  sich 
auf  dem  übrigen  Teil  der  Platte  diu*ch  Diffusion  gleichmäßig  vert^lt. 

Die  hämolytischen  Wirkungen  lebender  Bakterien  zeichnen  sich 
vor  denen  der  Filtrate  femer  dadurch  aus,  daß  die  Blutkörper  nicht 
bloß  gelöst  werden,  sondern  daß  der  gelöste  Farbstoff  auch  vielfach 
weitere  Veränderungen  erfährt.  Sehr  auffällig  ist  das  bei  der  \iel 
studierten  Hämolyse  durch   Strepto-  und  Pneumokokken. 

Zuerst  hat  Schottmüller')  darauf  hingewiesen,  daß  man  je 
nach  dem  Verhalten  in  Agar  und  Bouillon  mit  Menschenblut  folgende  Ab- 
arten unterscheiden  könne:  Der  Strept.  longus  oder  erysipelatL-« 
(d.  h.  pyogen  es)  bilde  durch  Lösung  (oder  Aufsaugung  bezw.  Zerst-örung?) 
des  Hämoglobins  helle  Höfe  um  seine  Kolonien  und  verwandele  die  hell- 
rote Farbe  der  Blutbouillon  allmälilich  in  Burgunderrot;  der  Strept.  mitis 
oder  viridans  löse  die  Blutkörperchen  nur  schwach,  bilde  grüne  Kolonien 
und  bräune  die  Bouillon ;  der  Strept.  mucosus  wachse  in  saftigen  Kolonien, 
die  in  der  Tiefe  des  Nährbodens  dunkelgrün  erscheinen,  löse  das  Blut  nur 


1)  Über  Ammoniak-  und  Säurewirkungen  s.  u. 

2)  Münch.  med.  Woch.    1903.  20/21. 


Gifte  der  Kleinwesen.  1003 

sehr  langsam  und  färbe  die  Blutbouillon  grünlich;  der  Pneumokokkus 
(Strept.  lanceolatus)  zeige  für  das  bloße  Auge  überhaupt  keine  Hamolyse, 
bilde  aber  in  der  Umgebung  seiner  Kolonien  und  in  Bouillon  einen  schönen 
grünen  Farbstoff .  Grünlich  wächst  auch  oft  der  Strept.  lacticus  (Puppel 
a.  a.  O.)  Über  das  eigentümliche  Verhalten  des  Tetragenus  siehe  bei  L  o  d  e 
a.  a.  O.  Wie  alle  diese  Veränderungen  erzeugt  werden,  ist  noch  luiklar,  viel- 
leicht spielen  saure  und  alkalische  Stoff  Wechselprodukte  dabei  eine  Rolle  ^). 
Die  spektroskopische  Prüfung  ergibt,  daß  die  burgunderrote  Färbung  durch 
Oxyhämoglobin,   die  braunrote  durch  Methämoglobin  verursacht   wird*). 

Kehren  wir  zu  den  am  besten  studierten  Filtratlysinen  zurück, 
so  gibt  es  einige  unter  ihnen,  deren  starke  Wirkung  sich  wahrscheinlich 
daraus  erklärt,  daß  einfache  Stoffwechselprodukte  mit  hämolytischer 
Kraft,  insbesondere  Ammoniak,  den  echten  hämolytischen 
Giften  beigemischt  sind. 

Man  ist  auf  diesen  Unterschied  aufmerksam  geworden  durch  den 
Umstand,  daß  die  Kulturen  (und  Filtrate)  des  B.  coli  und  pyocyaneus 
sowie  des  Typhusbazillus,  abweichend  von  den  übrigen  Bakterien,  das 
Vermögen,  Blut  zu  lösen,  nicht  verlieren  diu*ch  Erhitzen  auf  höhere  Tem- 
peraturen, sondern  es  sogar  noch  beibehalten,  wenn  sie  stundenlang  bei 
100*^  oder  120°  gekocht  werden.  Gleichzeitig  hat  sich  gezeigt,  daß  Neutrali- 
sierung ihrer  stark  alkalischen  Kulturen  die  Hämolyse  sehr  staj*k  herab- 
setzt'). Da  nun  Ammoniak  nachweislich  von  den  Bakterien  reichlich  ge- 
bildet wird  (Kap.  IX)  und  schon  in  starken  Verdünnungen  Blutkörperchen 
löst  (L  u  b  e  n  a  u) ,  so  ist  wohl  anzunehmen,  daß  mindestens  ein  großer 
Teil  der  Hämolysinwirkung  bei  den  genannten  Bakterien  auf  der  Ammoniak- 
bildung beruht*).  Es  bleibt  aber  doch  ein  Rest  von  Wirkung  übrig,  der 
nicht  anders  als  durch  das  Vorhandensein  eines  echten,  aber  hitzebestän- 
digen Hämolysins  erklärt  werden  kann  (vgl.  §  313).  Daß  die  mehrfach 
für  die  Hämolyse  verantwortlich  gemachte  Säurebildung  nicht  in  Frage 
kommt,  ist  sicher  (vgl.  z.  B.  Zangemeister  und  Sachs).  % 

Bei  den  meisten  Hämolysinen  ist  von  Kochfestigkeit  so  wenig 
die  Rede,  daß  bei  Tetanolysin  Temperaturen  von  50°,  beim  Staphylo- 
und  Vibrionenlysin  solche  von  56°  oder  mindestens  65°^),  beim  Diph- 
therielysin  von  58°,  beim  Hühnercholeralysin  von  70°,  wenn  sie  20  bis 
30  Minuten  einwirken,  hinreichen,  um  die  blutlösende  Kraft  zu  ver- 


1)  Boxer,  Vortrag  in  der  pathol.  Abteil,  der  Naturforscher-Ver- 
samml.  in  Meran  1905  —  bei  Pribram;  Rüdiger,  Joum.  of  inf. 
diseas.  1906. 

2)  R  i  e  k  e  ,  Zentr.  Bakt.  36,  1904. 

3)  Vgl.  auch  Jordan,  Journ.  of  med.  research.  10,  1903. 

4)  Vielleicht  erklärt  sich  so  die  von  Abbott  und  Gilders- 
leave  u.  a.  (ebenda)  gefundene  Regel,  daß  bei  saprophytischen  Bak- 
terien ein  gewisser  Parallelismus  zwischen  Hämolyse  und  Proteolyse  be- 
steht. Sind  doch  die  eiweißspaltenden  Bakterien  gewöhnlich  auch  die 
stärksten  Ammoniakbildner.  Die  Ausnahmen  von  der  Regel  (s.  bei  Pri- 
bram) müssen  auch  in  letzterer  Beziehung  noch  genauer  geprüft  werden. 

5)  Abweichungen  s.  bei  F  r  ä  n  k  e  1  und  B  a  u  m  a  n  n. 


1004  Kap.  XVI,   §  312  u.  313. 

nichten.  Das  Hämolysin  der  Streptokokken  wird  dagegen  erst  durch 
zweistündige  Erhitzung  auf  70®  zerstört.  Das  Megatherioljrsin  wird 
nach  D  r  e  y  e  r  und  Blake  (s.  o.)  zwar  bei  56 — 60®  unwirksam, 
gewinnt  aber  durch  Erhitzen  auf  100®  seine  ursprüngliche  Kraft  zum 
großen  Teil  wieder.  Auch  niedrigere  Temperaturen  und  schon  das 
Aufbewahren  im  Zimmer  oder  im  Eisschrank  schwächen  die  Gifte 
schnell  ab,  doch  läßt  sich  das  Staphylolysin  durch  Zusatz  von  Karbol- 
glyzerinlösung länger  wirksam  erhalten. 

§  313.  Hämolysine  als  spezifische  Oifte.  Die  Reindarstellimg 
dieser  „echten"  Hämolysine  ist  noch  nicht  geltmgen.  Allerdings  erhäk 
man  z.  B.  durch  Fällung  mit  Ammonsulfat  ein  trockenes  Tetano- 
lysin,  das  sich  ziemlich  gut  hält,  aber  eine  Trennung  der  Lysinen 
von  anderen  Bakteriengiften,  in  diesem  Fall  von  Tetanospasmin,  macht 
bisher  unüberwindliche  Schwierigkeiten,  weil  die  ersteren  empfind- 
licher gegen  alle  chemischen  Eingriffe  zu  sein  pflegen  als  die  letzteren. 
Daß  sie  aber  als  besondere,  voneinander  imd  von  den  übrigen  Giften 
verschiedene,  in  ihrem  Bau  freilich  den  letzteren  ähnliche  Stoffe  zu 
betrachten  sind,  kann  nach  den  Erfahrungen  Ehrlichs  imd  M  a  d  • 
s  e  n  s  mit  dem  Tetanolysin  (s.  o.  S.  994)  imd  ähnlichen  anderer  Forscher 
nicht  bezweifelt  werden.  Wichtig  ist  vor  allem  neben  der  Absorption 
durch  Blutkörper  die  Möglichkeit,  mit  den  einzelnen  Hämolysinen 
spezifische  Antitoxine  zu  erzeugen. 

Sie  ist  nachgewiesen  für  das  Hämolysin  der  Tetanusbazillen  (Ehr- 
lich und  M  a  d  s  e  n) ,  Staphylokokken  (N  e  i  ß  e  r  und  Wechsberg), 
des     Streptococcus    lanceolatus     (Casagrandi),     des    Typhusbazillus 
(E.  imd  P.  L  e  V  y  ,  C  a  s  t  e  1 1  a  n  i) ,  Dysenteriebazillus  (Castellani). 
Cölibazillen   (Kays  er)  und  Vibrionen  (Kraus,   Meinecke  u.  ä.). 
der    Bac.    Megatherium    (Tod  d).     Unter    Umständen,    aber    keineswegs 
immer  (Staphylokokken),   gelang  die  Immunisierung  auch  mit   Filtraten. 
die  ihre  hämolytische  Kraft  im  Reagensglas,  z.  B.  durch  Altern,  verloren 
hatten.    So  stellten  T  i  z  z  o  n  i  und  Centanni  *)  das  fest  für  Tetanus. 
Volk    und   Lipschütz  ■)  für  Vibrionen.    Man  wird  daraus  auf  das 
Vorhandensein  von  Lysinoiden  (Hämotoxoiden),  die  zwar  ihre  giftige,  aber 
nicht  ihre  bindende    bzw.   immunisierende  Fähigkeit  verloren  haben,  in 
den  Kulturen  schließen  dürfen.     In  demselben   Sinne  sprechen  die  Bin- 
dungsversuche  Madsens,   Neißers  und  Wechsbergs  im  Rea- 
gensglas (vgl.  dazu   §  275). 

Das  Blutserum  der  mit  den  genannten  Kulturen  behandelten  Tiere 
bewirkt  in  mehr  oder  weniger  beträchtlichem  Maße  Hemmung  der  Hämo- 
lyse,  z.  B.  neutralisierte  das  Serum  von  Hunden,  die  innerhalb  zwei  Wochen 
bis  zu  20  ccm  einer  bei  56  •*  abgetöteten  Typhuskultur  unter  die  Haut  ge- 
spritzt erhalten  hatten,  in  einer  Gabe  von  0,025  ccm  die  doppelte  vollständig 
lösende  Menge  des  Typhusfiltrats,  während  normales  Hundeserum  ganz 
unwirksam  war.    Die  Immunisierung  gegen  das  allgemeine  Gift  aller  dieser 

1)  Riforma  medica  1900.  2.   1—3. 

2)  Zentr.  Bakt.   34,    1903. 


Gifte  der  Kleinwesen. 


1005 


Bakterien  hat  deigegen,  wenn  wir  vom  Tetanus  absehen,  höchstens  zu 
zweifelhaften  Ergebnissen  geführt  ( §  285  ff. ),  ein  Beweis,  daß  die  Hämoly- 
sine mit  den  anderen  Giften  nichts  zu  tun  haben.  Mit  dem  Hämolysin  der 
Diphtherie-,  Pyocyaneusbazillen  und  Streptokokken  ist  es  bisher  nicht 
gelungen,  spezifisch  schützende  Sera  zu  erzeugen,  das  berechtigt  uns  aber 
noch  nicht,  die  Bildung  spezifischer  Hämolysine  für  diese  Bakterien  zu 
leugnen.  Die  näheren  Verhältnisse  dieser  Gifte  sind  noch  nicht  ganz  klar, 
aber  wir  kennen  doch  schon  manche  wichtige  Tatsachen.  So  fand  W  e  i  n  - 
g  e  r  o  f  f  ,  daß  die  Giftigkeit  der  Pyocyaneuskulturen  mit  ihrer  hämoly- 
tischen  Wirkung  parallel  geht,  daß  aber  durch  Bindung  an  rote  Blutkörper- 
ehen oder  Verdauung  mit  Pankreas-  und  Magensaft  das  Hämolysin  ent- 
fernt werden  kann,  während  die  allgemeine  Giftigkeit  davon  nicht  be- 
rührt wird.  Was  d€tö  Streptolysin  anlangt,  so  scheinen  die  Reagensglas- 
versuche Schlesingers  zu  beweisen,  daß  die  Streptokokken  auch 
Lysinoide  bilden,  indem  durch  Bindung  imwirksam  gewordenes  Strepto- 
lysin die  Blutkörperchen  vor  der  Auflösung  durch  wirksames  Gift  schützt; 
das  Diphtherielysin  schließlich  muß  verschieden  sein  von  dem  Diphtherietoxin, 
weil  Diphtherieheilsenun  zwar  das  Toxin  neutralisiert,  aber  nicht  das  Lysin. 

Der  Vergleich  der  Hämolysine  untereinander  ergibt  in  vielen  Fällen 
(s.  o.)  schon  dadurch  eine  Verschiedenheit,  daß  die  einzelnen  Blutkörper- 
arten in  ungleicher  Weise  von  ihnen  beeinflußt  werden.  Aber  auch  mit 
Hilfe  der  antilytischen  Sera  ist  eine  Trenmuig  möglich.  N  e  i  ß  e  r  und 
W'echsberg  haben  so  gefunden,  daß  gegen  Tetanolysin  wirksames 
Tetanusserum  Staphylolysin  nicht  stärker  beeinfliißt,  wie  normales  Pferde- 
»enim  oder  Schweinerotlaufserum,  also  Tetanolysin  mit  Staphylolysin 
nicht  identisch  sein  kann.  Andererseits  haben  Kraus,  Pribram 
und  Prantschoff  ^)  wahrscheinlich  gemacht,  daß  die  Hämolysine  von 
zahlreichen  Vibrionen  —  darunter  auch  die  bekannten  El -Tor- Cholera- 
vibrionen — ,  die  sich  durch  andere  Eigenschaften  (z.  B.  ihr  Verhalten 
im  agglutinierenden  Serum)  unterscheiden  lassen,  gleiche  Antilysine  er- 
zeugen, also  wohl  identisch  sind^). 

Gegenüber  den  Kraus  sehen  Erfahrungen,  die  für  eine  weitgehende 
Ubereinstinuniuig  von  Lysinen  verschiedenen  Ursprungs  sprechen,  be- 
sitzen wir  in  Wechsbergs®)  Versuchen  über  das  Staphylolysin 
Beweise  dafür,  daß  selbst  das  von  einem  und  demselben 
Bakterium  stammende  Hämolysin  eine  verwickelte  Zusammensetzung 
haben  kann.  Wechsberg,  der  verschiedene  Tiere  mit  Staphylolysin 
immtmisiert  hatte,  fand,  daß  bei  Benutzung  verschiedener  Blutkörperarten 
die  Immunserummenge,  die  1  ccm  des  Staphylolysins  neutralisierte,  folgende 
Werte  annahm: 


Ziegen-        Kanin- 
serum    i  chenserum 


Himde- 
serum 


Pferde- 
serum 


Kaninchenblutkörper  . 
Hammelblutkörper  .  . 
Ziegenblutkörper  .  .  . 
Hundeblutkörper      .    . 


0,2 
0,1 
0,0025  „ 


ccm    0,78  ccm      0,2    ccm 


»> 


1,56 
1,25 
0,25 


»» 


>» 


0,2 

0,02 

0,25 


»» 


»» 


n 


0,2    ccm 
0,025 
0,04 
1,0 


,, 


,» 


0,06       „ 

1)  Zentr.  Bakt.  41.  377.  480,   1906. 

2)  Das  gleiche  gilt  für  die  akuten  Toxine  dieser  Gruppe  (§  285). 

3)  Zentr.  Bakt.  34.  849,  1903. 


1006  Kap.  XVI,   §  313  u.  314. 

Ohne  Serumzusatz  löste  1  com  des  Staphylolysins  10  Tropfen.  Kaninchen- 
blut, 100  Tropfen  Hammelblut,  fast  einen  Tropfen  Ziegenblut  und  2  Tropfen 
Hundeblut.  Eine  Erklärung  dieser  Zahlen  scheint  ganz  unmöglich,  wenn 
wir  annehmen,  daß  das  Hämolysin  ein  einheitliches  Gift  ist,  das  nur  in 
verschiedenen  Mengen  von  den  roten  Blutkörperchen  der  einzelnen  Tiere 
gebunden  wird,  aber  einen  einheitlichen  Immunkörper  erzeugt,  denn  in 
diesem  Falle  müßte  die  Reihenfolge  der  Blutkörper  immer  dieselbe  sein. 
Der  Augenschein  lehrt  das  Gegenteil.  Man  wird  die  Tatsachen  eher  dahin 
deuten  können,  daß  das  Gesamthämolysin  der  Staphylo- 
kokken aus  verschiedenen  Teillysinen  zusammen- 
gesetzt ist,  die  mit  ungleicher  Kraft  von  den  Blutkörpem  gebunden 
werden  und  bei  den  einzelnen  Tieren  verschiedene  Immunkörper  erzeugen. 
Doch  können  hier  nur  genaue  Bindimgsversuche  Klarheit  schaffen, 

§  314.  Der  Vorgang  der  Hämolyse.  Wir  kommen  jetzt  zu  einer 
Reihe  anderer  Untersuchungen,  die  sich  mit  der  näheren  Auiklärung 
des  Vorgangs  der  Hämolyse,  ihrer  Hemmung  und  Begünstigung  durch 
nichtspezifische  Einflüsse  beschäftigen.  Gerade  mit  den  Hämolysmen 
hat  man  mehr  wie  mit  anderen  Bakteriengiften  gearbeitet,  weil  die 
Versuche  im  Beagensglas  ausgeführt  werden  können. 

Schon  Eh'rlich  fand,^daß  das  Hämolysin  sich  durch  die  Be- 
handlung von  Tetanusfiltraten  durch  rote  Blutkörperchen  ausziehen 
läßt,  d.  h.  an  sie 'gebunden  wird.  In  zahlreichen  anderen  Fällen  wurde 
der  Satz,  daß  ohne  Bindung  keine  Hämolj^e  erfolgt,  bestätigt,  anderer- 
seits nachgewiesen,  daß  die  Bindung  allein  noch  keine  Hämolyse  be- 
wirkt. So  besitzen  unwirksam  gewordene  Filtrate  (Lysinoide  s.  o. 
S.  1004)  Bindekraft.  Und  so  haben  die  roten  Blutkörper  nach  N  e  i  s  - 
s  e  r  und  Wechsberg  nicht  bloß  die  Fähigkeit,  hämolytisches  Gift, 
sondern  auch  Leukozidin  (§  317)  zu  binden,  während  umgekehrt  die 
weißen  Blutkörperchen  nur  das  letztere  an  sich  ketten,  nicht  das  erstere. 

Die  Menge  des  Staphylo-  xmd  Vibriolysins,  die  durch  die  Blut- 
körper des  Kaninchens  bei  veränderlichem  Zusatz  von  überschüssigem 
Lysin  gebunden  wird,  haben  Volk^)  und  Schur ^)  bestimmt.  Sie 
kommen  zu  dem  Ergebnis,  daß  bei  gleichbleibender  Menge  die  Blut- 
körper ein  Vielfaches  der  einfachen  lösenden  Gabe  absorbieren;  und 
zwar  wächst  die  absolute  Absorptionsgröße  mit  der  zugegebenen 
Lysinmenge  beständig,  während  die  relative  fällt.  Die  Bindung 
erfolgt  zum  größten  Teil  bei  nicht  zu  niedriger  Tempe- 
ratur schon  in  den  ersten  Minuten  der  Berührxmg,  und  zwar  um  so 
schneller,  je  mehr  Lysin  zur  Verfügung  steht. 

Es  ist  nicht  etwa  das  Hämoglobin,  das  sich  mit  dem  Lysin  verbindet, 
sondern    das    Protoplasma    (Stroma,    Gerüst)    der   roten    Blutkörperchen 


1)  Zentr.  Bakt.  34.   843.   1903. 

2)  Hofmeisters  Beitr.  3,   1903. 


Gifte  der  Kleinwesen. 


1007 


(Volk  und  Lipschütz  ^)).  Denn  wenn  man  rote  Blutkörperchen  in 
destilliertem  Wasser  auflöst,  eine  geringe  Menge  Kochsalz  zusetzt 
niid  die  Blutschatten  ausschleudert,  beeinflussen  nur  sie  eine  Hämolysin- 
lösung,  nicht  die  darüberstehende  gefärbte  Flüssigkeit. 

Zu  seinen  ausführlichen  Versuchen  über  das  Staphylolysin  benutzte 
Schur,  wie  schon  früher  M  a  d  s  e  n,  als  Maß  der  Hämolyse  die  k  o  1  o  r  i  - 
metrische  Bestimmung  mittelst  des  Hämometers 
von  Fleischl*):  die  Blutlösung  wird  zu  dem  Behuf e  zentrifugiert, 
abgehoben  und  unter  Umständen  noch  einmal  zentrifugiert.  Sind  die 
Blutkörper  gut  agglutiniert,  wie  es  häufig  der  Fall,  so  ist  das  Ausschleudern 
überflüssig.  Die  Färbekraft  der  Hämolysinlösung  hält  sich  gut,  wenn 
Bakterien  femgehalten  werden.  Schur  unternahm  zunächst  eine  Reihe 
von  Versuchen,  in  denen  er  einerseits  die  L3rsinmenge,  andererseits  die 
Blutmenge,  die  er  zu  je  5  ccm  0,85%  Kochsalzlösung  setzte,  veränderte. 
Xach  24  Stiuiden  erhielt  er  z.  B.  in  einem  Versuch,  in  dem  die  Blutmenge 
wechselte,  folgende  Hämolysinmengen  (in  Fleischlzahlen): 

0,5  Tropfen  Lysin  löst  aus  1  Tropfen  Blut    85,  also  auf  jeden  Tropfen    85 

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In  einem  zweiten  Versuch,  in  dem  die  Lysinmenge  wechselte,  ergab  sich: 
aus  8  Tropfen  Blut  lösten  0  Tropf en  Lysin  40Flei8chl  (Kontrolle) 


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8 
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0,2 
0,4 
0,8 
1,0 
2,0 
4,0 


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50 
80 
123 
200 
230 
290 
350 


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also  auf  0,1  Tropf.  20 
0,1       ,.      20 


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0,1 
0,1 
0,1 
0,1 
0,1 


21 
20 
19 
12,5 

7,75 


Aus  diesen  und  ähnlichen  Versuchen  folgen  zwei  Sätze: 

1.  Die  Menge  des  nach  24  Stunden  von  einer  und  derselben  Lysin- 
menge gelösten  Hämoglobins  wächst  mit  der  Blutmenge  absolut  genonunen, 
doch  nur  bis  zu  einem  bestimmten  Punkte,  von  dem  aus  eine  Abnahme 
erfolgt.    Die  relative  Lösungsmenge  sinkt  dabei  stetig. 

2.  Die  Lösungskraft  steigender  Lysinmengen  auf  die  gleiche  Blut- 
menge steigt  bei  den  kleinsten  Mengen  für  die  Lysineinheit  zuerst  stark 
an,  bleibt  bei  mittlerer  Gabe  ziemlich  beständig*  um  bei  größeren  wieder 
abzufallen. 

In  einer  weiteren  Versuchsreihe  studierte  Schur  den  zeit- 
lichen Ablauf  der  Hämolyse. 

Es  fand  sich  z.  B.  folgende  Hämoglobinmenge  gelöst,  wenn  8  Tropfen 
Blut  mit  Lysin  11  Tage  lang  bei  Zimmertemperatur  (in  5  ccm  Kochsalz- 
lösung aufgeschwemmt)  in  Berührung  blieben. 

1)  Wien.  klin.  Woch.   1903.  50. 

2)  Statt  des  ihm  beigegebenen  Kapillarpipette  wendet  man  hier 
Pipetten  von  1  ccm  Inlialt  an,  die  in  Vioo  ccm  geteilt  sind. 


1008  Kap.  XVI,    §  314. 

0  Lysin  löste  nadi  1  Tag   30,  n.  3  T.    30,  n.  5  T.  30,  n.  8  T.   30,  n.  11  T.  6u 

"»1     ,,  t»  ft       »      >»       ^»f  »»     »»      ö7,ö,  ,,     „  ,,    117,  ,,     ,,  ,,    loU,  „      ,.     «,  *Z!LV 

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1,0   „         „        „      „     „    290,  „   „      320,  „    „  „  380,  „    „  „  510,  .,   ,.    ,,  550 
2,0   „         „         „      „    „    400,  „   „      400,  „    „  „  480,  „    „  „  570,  , 50o 

Es  folgt  aus  diesen  Versuchen: 

3.  daß  die  Blutkörper  in  Kochsalzlösung  ohne  Lysin  zunächst  i)ir 
Hämoglobin  festhalten,  es  später  aber  doch  abgeben.  Schließlich  erfi)l(rt 
sogar  vollständige  Lösung,  ohne  daß  Bakterien  dabei  ins  Spiel  kommen. 
Diese  Spontanhämolyse  ist  vielleicht  der  Autolyse  anderer  Zellen  ver- 
gleichbar. 

4.  Das  Staphylolysin  löst,  je  länger  es  mit  den  Blutkörpern  in  He- 
rühnuig  bleibt,  um  so  mehr  Hämoglobin;  die  Steigerung  ist  um  so  deut- 
licher, je  geringer  die  Lysinmenge  ist;  bei  kleinen  Lysinniengen  geht  der 
Lösung  eine  Wartezeit  vorher,  die  in  obigem  Beispiel  noch  bf i 
0, 1  ccm  Lysin  mehr  als  24  Stunden  betrug.  Schon  M  a  d  s  e  n  hat  bei  dem 
Tetanolysin  eine  solche  allerdings  kiirze  ,, Latenzzeit"  beobachtet. 

Schur  schließt  aus  diesen  Untersuchungen,  daß  das  Bak- 
terienhämolysin ähnlich  einem  Enzyme  wirke. 
Auch  bei  Zersetzung  des  Rohrzuckers  imd  Amygdalins  durch  Invertin 
und  Emulsin  wachse  die  absolute  Menge  der  durch  gleiche  Enz}Tn- 
mengen  aus  wachsenden  Stoffmengen  umgewandelten  Stoffe  bis  zu 
einer  gewissen  Grenze  und  sinke  die  relative  Menge.  Auch  der  zeit- 
liche Verlauf  sei  ein  ähnlicher.  Die  0  s  t  w  a  1  d  sehe  Auffassung 
der  Katalyse  als  Beschleunigung  eines  auch  freiwillig,  aber  langsam 
vor  sich  gehenden  Vorgangs  finde  in  der  Hämolyse  eine  Stütze,  da 
sie  auch  freiwillig  vor  sich  gehe. 

Zu  einer  anderen  Auffassung  gelangten  Arrhenius  und  M  a  d  - 
s  o  n  ^)  bei  Prüfung  des  Vorgangs  der  Blutlösung  durch  Tetanolysin. 

Es  ergab  sich  nämlich,  daß  die  Hämolyse  bei  Zunahme  der  Häiii«^- 
toxinmengo  ungefähr  proportional  ist  dem  Quadrate  der  Hämotoxin- 
konzentration.  Mit  einigen  durch  besondere  Verhältnisse  bedingten  Ab- 
änderungen soll  dasselbe  Gesetz  auch  für  die  Blutlösung  durch  Alkalien 
gelten*).  Die  gelöste  Blutmenge  hätte  ferner  nach  Rechnung  der  Ver- 
fasser dem  Quadrat  der  Reaktionszeit  und  dem  Quadrat  der  Toxinmenge 
proi)ortional  sein  sollen,  war  aber  bei  einer  bestimmten  Beobachtungs- 
dauer nur  der  einfachen  Toxinmenge  proportional.  Ein  Steigen  der  Tem- 
peratur erhöhte  die  Reaktionsgeschwindigkeit  in  etwas  geringerem  Grade 
als  bei  anderen  chemischen  Prozessen.  Die  stärkste  Hämolyse  erfolgt 
bei  Tetanus-,  Staphylokokken-,  Streptokokken-  und  Vibrionen tox ine« 
ungefähr  bei  35°,  doch  kommen  Abweichimgen  nach  unten  vor  (Mad- 
s  e  n  und  W  a  1  b  u  m  ')). 

1)  Zeitschr.  physikal.   Chem.   44,    1903. 

2)  Vgl.  dagegen  die  Einwendungen  Kopp  es  (Pflügers  Arcli.  1''3) 
und  bei  P  r  i  b  r  a  m. 

3)  Acad.  roy.  d.  scienc.  et  des  lettres  de  Danemark  1904.    Nr.  6. 


Gifte  der  Kleinwesen.  1009 

AttBer  durch  die   Temperatur  erzielt  man  eine  erhebliche 
Steigerung  der  Blutlösung  durch   Zufügung  geringer  Mengen  kol- 
loidalen  Silbers   (Hamburger*)  und  H  e  r  m  a  n  ),   wäh- 
rend größere  Mengen  sie  hemmen  (vgl.   §  274).     Ob  andere  Kolloide 
ähnhch  wirken,  ist  zweifelhaft,  selbst  von  dünnen  Eiweißlösun- 
gen hat  man  nur  hemmende  Wirkungen  beobachtet  (Arrhenius 
und  Madsen).    Salzlösungen  sollen  nach  denselben  Forschern 
in  kleinen  Mengen  keinen  Einfluß  ausüben,  bei  etwas  größeren  die 
Wirkung  verstärken,  in  starker  Konzentration  aber  nach  Volk  imd 
Lipschütz^)  wieder  deutlich  hemmen.     Schwache  Alkalien, 
von  denen  man  eine  Verstärkung  der  Wirkung  erwarten  sollte,  üben  eine 
solche  nach  Arrhenius  imd  Madsen  nicht  aus.     Normales 
Blutserum  hemmt  auch  in  erhitztem  Zustand  nach  vielen  Er- 
fahrungen die  Hämoljrse  durch  Bakterienstoffe  und  manchmal  auch  die 
durch  lebende  Bakterien.    Vom  Pferdeserum  genügt  manchmal  schon 
0,01  ccm,  um  eine  lösende  Gabe  des  Staphylolysins  zu  neutralisieren. 
Zum  Teil  beruht  das  nach  Arrhenius'  und  M  a  d  s  e  n  s  Beobach- 
tungen am  Tetanolysin  auf  dem  Eiweißgehalt.     P.  Th.  Müller^) 
leugnet  wohl  nicht  ganz  mit  Becht  diesen  Einfluß,  beweist  aber  die 
schon   von   Noguchi*)   ausgesprochene   Vermutung,    daß   den   im 
Serum  enthaltenen  Lipoiden  (vgl.  §  274),  und  zwar  dem  C  h  o  1  e  - 
Stearin,  mindestens  eine  wichtige  Bedeutung  zukomme ;  der  alko- 
holische Extrakt  des  Serums  war  sogar  stärker  antilytisch  gegenüber 
Tetanolysin  als    das   Serum.     Lezithin    ist    dagegen    unwirksam 
(P  r  i  b  r  a  m).     Wahrscheinlich  bestehen  aber  Unterschiede  bei  den 
einzelnen  Lysinen,  denn  nach  v.  E  i  s  1  e  r  ^)  hemmt  der  Ätherextrakt 
aus  roten  Blutkörperchen  zwar  die  Kraft  des  Tetanolysins  sehr  stark, 
die  des  Vibrionenlj^ins  aber  schon  schwächer  und  die  des  Staphylo- 
lysins überhaupt  kaum®).    Neben  diesen  Hemmungskörpern  muß  man 
dem  Normalserum  noch   einen    Gehalt    an    echten    Antilysinen    zu- 
schreiben, die  den  spezifischen  Lysinen  vergleichbar,  viel- 
leicht sogar  mit  ihnen  identisch  sind.    Denn  nach  Kraus  und  L  i  p  - 
schütz'')    wirken    sie    unter    Umständen    (Pferdeserum    gegenüber 
Staphylolysin)  ebenso  schnell  und  auch  nach  dem  Gesetz  der  Multipla 

1)  Osmotischer  Druck  und  lonenlehre  in  der  Medizin  Bd.   3. 

2)  Zentr.  Bakt.  34,  1903. 

3)  Ebenda. 

4)  Ebenda  32,  1902. 

5)  Wien.  klin.  Woch.  1905;  vgl.  auch  L  a  n  d  s  t  e  i  n  e  r  u.  v.  Eial  er 
f^benda  1904.  24  u.  Pr  i  b  r  a  m  a.  a.  O.  (Kolle-Wassermann)  S.  297. 

6)  Über  die  verwickelte  Zusammensetzung  der  Atherextrakte  s.  bei 
Bang  und  Forßmann,  Hofmeisters  Beitr.  8,   1906. 

7)  Zeitschr.  f.  Hyg.  46. 

Kruse,  Mikrobiologie.  64 


1010  Kap.  XVI,   §  314  u.   31ß. 

und  vermögen  ebenso,  wie  das  M  a  d  s  e  n  für  sein  Tetanusserum  fand, 
bereits  vergiftete  Blutkörper  vor  der  Auflösung  zu  schützen.  Nur 
die  Intensität  der  Wirkung  ist  meist  geringer  als  die  der  Immunsera. 

Von  diesen  letzteren  haben  wir  schon  an  anderer  Stelle   (S.  883 
u.    1004)  gesprochen. 

Über  den  Vorgang,  durch  den  die  Hämolyse,  d.  h.  die  Trennung 
des  Hämoglobins  von  dem  Gerüst  des  Blutkörperchens  erfolgt,  wissen 
wir  ebensowenig  Sicheres,  wie  bei  andeem  Blutgiften,  vor  allem  schon 
deswegen,  weil  uns  auch  der  Bau  der  Blutzellen,  der  Zusammenhang 
des  Hämoglobins  mit  denselben  noch  eine  große  Unbekannte  ist.   Man 
könnte  an  eine  physikalische  Einwirkimg  auf  das  Gerüst  der  Blut- 
körperchen, die  dieses  zur  Quellung  oder  zur  Aullösung  bringt,  wie 
destilliertes  Wasser  oder  andere  hypotonische  Lösungen  und  Fett- 
lösungsmittel, oder  an  eigentliche  chemische  Einflüsse  auf  die  eiweiß- 
und  fettartigen  Bestandteile  der  Zelle  (Nukleoproteid  und  -albumin, 
Cholestearin,    Lezithin    usw.)    denken.      Beziehungen    zwischen    der 
proteolytischen  und  hämolytischen  Wirksamkeit  der  Bakterien  sind 
zwar    öfters    vorhanden,    aber    nicht    regelmäßig    genug    (S.    1003). 
Neuerdings  sind  die  Beziehungen  der  Hämolysine  zu  den  Lipoidstoffen 
der  Blutkörper  mehr  in  den  Vordergrund  getreten.    Über  Vermutungen 
kommen  wir  aber  bisher  nicht  hinaus^). 

Über  die  agglutinierende  Wirlamg  mancher  Hämolysine  und  die 
„Hämatolyse"  v.  Lingelsheims  werden  wir  später  sprechen  (§  316). 

§  315.  Hämolytische  Wirksamkeit  der  Kleinwesen  im 
Tierkörper.  Weil  die  Hämolysine  auch  im  Beagensglas  wirken, 
liegt  es  nahe,  die  dabei  gewonnenen  Erfahrungen  auf  die  Vorgänge 
im  Tierkörper  zu  übertragen.  Wir  begegnen  dabei  freilich  erheb- 
lichen Schwierigkeiten. 

Daß  bei  Infektionen  und  infektiösen  Vergiftungen  die  roten  Blutkörper- 
chen vielfach  der  Zerstörung  anheimfallen,  ist  sicher,  zweifelhaft  aber, 
wieweit  dies  auf  einer  echten  Hämolyse  und  namentlich  auf  einer  blut- 
lösenden Tätigkeit  der  Krankheitskeime  beruht.  Die  Anämie  und  Hämo- 
globinurie im  Verlaxif  der  natürlichen  Infdction,  einschließlich  der  Blut- 
erkrankungen durch  Protozoen,  besprechen  wir  in  der  „Infektionslelire", 
hier  sollen  uns  nur  die  experimentellen  Erfahrungen,  die  man  bei  den  Tier- 
versuchen mit  Bakterien  gemacht  hat,  beschäftigen.  Anämien  im  Gefolge 
von  chronischen  bakteriellen  Infektionen  oder  Vergiftungen*)  sind  jedem 


1 )  Vgl.  bei  P  r  i  b  r  a  m  a.  a.  O.  S.  294;  femer  Hamburger  a.  a.  ()., 
Bd.  I — IIT,  Koppe,  Pflügers  Ar  eh.  107;  Passini,  Hofmeisters  Beitr. 
6,   1905;  s.  auch  die  Untersuchungen  über  die  Senimhämolysine. 

2)  Bei  wiederholter  Einspritzimg  von  schwach  yindenten  Colibazillen 
sah  z.  B.  Charlton  ( Journ.  med.  research.  8  nach  P  r  i  b  r  a  m)  eine 
Veränderung  der  Blutkörperzahl  von  5  auf  1  Million  eintreten. 


Gifte  der  Kleinweeen.  101 1 

Experimentator  bekannt,  auch  die  Anhäufung  von  aus  Blutfarbstoff  her- 
vorgegangenem Pigment  in  der  Milz  ist  leicht,  z.  B.  bei  Pneumokokken- 
infektion  in  größtem  Maßstabe,  zu  beobachten.    Die  ersten  ausführlichen 
Mitteilungen   über   die  Wirkung  der   löslichen   Stoffe  von   Typhus-, 
Milzbrand-,      Pyocyaneus-,     Oholerabakterien      und 
iStaph  ylokokken  verdanken  wir  Bianchi-Mariotti  ^).    Ent- 
sprechend der  eingespritzten  Menge  nimmt  der  Hämoglobingehalt  des  Blutes 
ab.    Gleichzeitig  aber  erfolgen  Veränderungen  der  Isotonie ,  und  zwar  be- 
merkens^veerterweise   eine    Steigerung   nach    mittleren    Gaben    (3 — 6    com 
auf  das  kg  Körpergewicht),  ein  Abfall  erst  nach  größeren.    Wiederholte 
kleine  Mengen  haben  geringeren  Einfluß.   Von  Hämoglobinurie  wird  nichts 
berichtet.    Auch  Kraus  und  Ludwig'),  die  nur  mit  kräftigen  Hämo- 
lysinen (von  Staphylokokken  und  Vibrio  Nasik)  arbeiteten, 
beobachteten  nur   Verringerung   des  Hämoglobingehaltes,   konnten   aller- 
dings durch  Inununsenun  die  Blutschädigung  verhindern.    T  o  d  d  (s.  o. 
S.  998)  sah  nach  Einspritzung  von  Megatheriolysin  ins  Blut  auch 
Hämoglobin  im  Blut  gelöst  und  im  Harn  ausgeschieden.    Daß  unter  Um- 
ständen die  Einwirkung  des   Staphylolysins  auch  als  Hämolyse  bemerk- 
bar wird,  fand  S  c  h  u  r  ^) ,  aber  sie  tritt  erst  einige  Zeit  nach  der  Entnahme 
des  Blutes  aus  den  Gefäßen  als  „Nachhämolyse"  auf.    Nach  seiner  Ansicht 
wären   selbst  kleine  Gaben  des   Staphylolysins  im  Körper  der  Versuchs- 
tiere wirksam,  indem  sie  wie  ein  Ferment  wirkten  (s.  o.  S.  1008) ;  d««  dabei 
in  Spuren  freiwerdende  Hämoglobin  würde  aber  in  der  Leber  zu  Gallen- 
farbstoff verwandelt  und  deshalb  nicht  im  Blute  als  solches  erkenntlich, 
während  das  noch  an  den  Blutkörpern  haftende  Hämolysin  sie  nachträg- 
lich im  Reagensglctö  löse.     v.  Wunschheim*)  stellte  dann  in  genauen 
Versuchen  an  Kaninchen  fest,  daß  nach  Einspritzung  großer  Mengen  von 
Staphylolysin  dasselbe  schon  nach    10 — 20  Minuten  nicht  mehr  frei  im 
Serum  vorhanden,  sondern  an  die  roten  Blutkörperchen  gebimden  sich 
vorfindet,   so  daß   Nachhämolyse  eintritt.     Vergleiche  zeigten,   daß   im 
Keagensglasdie  Bindungdes  Hämolysinsnicht  ent- 
fernt so  schnell  und  vollständig   eintritt.     Ob  bei  der 
schnellen  Bindung  im  lebenden  Körper  auch  andere  Organzellen  beteiligt 
sind,  wurde  nicht  geprüft.    Weitere  Versuche  bewiesen,  daß  die  intra- 
venöse Einspritzung  großer  Mengen  von  Staphylolysin    —  aber   auch 
nicht  immer  —  eine  echteHämoglobinurie  verursacht,  während 
subkutane  oder  intraperitoneale  Einverleibung  nur  Nachhämolyse  bewirkt. 
Bei  immunisierten  Tieren  blieb  die  letztere  selbst  nach  intravenöser  Ein- 
führung   aus.     Der    Antikörper    scheint    ausschließlich 
im   Blutserum   vorhanden   zu   sein   und   nicht   in   den   Blut- 
körpem,  denn  die  letzteren  allein  erwiesen  sich  gegenüber  dem  Lysin  gleich 
empfänglich  wie  normale. 

Umfangreiche  Erfahrungen  liegen  vor  über  das  Vorkommen  der  Hämo- 
lyse nach  Infektion  mit  lebenden  Erregern,  doch  sind 
die  älteren  insofern  nicht  einwandfrei,  als  nicht  sorgfältig  genug  zwischen 


1)  Wien.   med.    Presse    1894.    36   (Baumgartens   Jahrosber.). 

2)  Wien.  klin.  Woch.   1902.   15. 

3)  Hofmeisters  Beitr.  3.   117,   1903. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  54.  199,  1905,  mit  Lit. ;  vgl.  auch  Münch.  med.  Woch. 
1903.  26. 

64* 


1Ö12  Kap.  XVI,    §  315  u.   316. 

Hämoglobinurie  und  Nachhäniolyse  unterschieden  worden  ist.  Mit  einem 
gewissen  Recht  erhebt  v.  Wunschheim  den  gleichen  Einwand  gegen 
einen  Teil  der  am  Menschen  gemachten  Befunde.  Seine  eigenen 
Versuche  führten  zu  folgenden  Ergebnissen.  Es  sind  drei  Fälle  zu 
unterscheiden.  Eine  erste  Gruppe  von  Infektionen  (mit  Strepto  - 
kokken*),  Pyocyaneus,  Hühnercholera*),  Coli-  und 
Typhusbazillen)  zeigt  im  Augenblick  des  Todes,  also  auf  der  HiVh«* 
der  Infektion,  keine  Blutlösung,  wohl  aber  eine  Nachhämolyse. 

Beim  Milzbrand  und  bei  schweren,  schnell  verlaufen- 
den Staphylokokkeninfektionen  tritt  dagegen  die  Schädi- 
gung des  Blutes,  allerdings  auch  erst  kurze  Zeit  vor  dem  Tcde  und  meist en.s 
nur  in  einer  Nachhämolyse,  hervor,  beim  Tcde  selbst  pflegt  also  das  Bhit 
Hämoglobin  gelöst  zu  enthalten.  Hämoglobinurie  fehlt  stets,  auch  beim 
Tcde. 

Bei  einer  dritten  Gruppe  von  Infektionen  (Pneumokokken  - 
septikämie,  gewöhnliche  Staphylokokken  pyämie,  Te- 
tanus '))  wird  Hämolyse  überhaupt,  auch  nach  dem  Tode,  nicht  be- 
merkbar. 

Diese  Versuchsergebnisse,  die  einwandfrei  gewonnen  scheinen, 
aber  natürlich  noch  nicht  als  abgeschlossen  zu  betrachten  sind, 
lassen  sich  nicht  ohne  weiteres  aus  den  Erfahrungen,  die  über  die  Hämo- 
lysine im  Reagensglas  gewonnen  sind,  deuten.  Auffällig  ist  sicher 
die  Tatsache,  daß  der  Tetanusbazillus,  der  außerhalb  des  lebenden 
Körpers  das  kräftigste  Hämolysin  erzeugt,  im  lebenden  dazu  nicht 
imstande  ist,  und  daß  umgekehrt  der  Milzbrandbazillus,  in  dessen 
Kulturen  es  nur  mit  Mühe  und  Not  gelingt,  Hämoljrse  nachzuweisen, 
im  Tier  der  am  ausgesprochensten  wirksame  ist.  Nebenbei  bemerkt 
ist  dieser  letztere  Bazillus  einer  der  wenigen,  bei  dem  bisher  trotz 
aller  Bemühungen  die  Suche  nach  allgemeinen  Giften  vergeblich  ge- 
wesen ist.  Jedenfalls  ersieht  man  aus  diesen  und  aus  den  oben  be- 
richteten Versuchen  über  die  Wirkungen  des  Staphylolysins  im  lebenden 
Körper,  daß  man  mit  der  Verallgemeinerung  der  im 
Reagensglas  erhaltenen  Funde  vorsichtig  sein 
muß.  Man  hat  sich,  um  sich  mit  den  Tatsachen  abzufinden,  zweierlei 
Fragen  vorzulegen.     Ist  zunächst  die  Hämolyse,  die  man  bei  der  In- 


1)  Andere  Angaben  bei  B  o  r  d  e  t ,  Annal.  Pasteur  1897;  v.  L  i  n  - 
g  e  1  s  h  e  i  m ,  Ätiol.  und  Ther.  der  Streptokokken  inf.  (Behrings  Beitr. 
z.  exp.  Ther.  1900) ;  Besredka,  Annal.  Pasteur  1901 ;  Marmorek. 
Berl.  klin.  Woch.  1902;  v.  B  a  r  d  e  1  e  b  e  n  ,  Arch.  f.  Gynäk.  83  (vgl.  auch 
Hämagglutinine  §  316).  Simon,  Zentr.  Bakt.  35  sah  keine  Hämolyse  bei 
Tieren,  die  mit  Filtraten  vergiftet  waren,  wohl  bei  infizierten  nach  dem 
Tode. 

2)  Bei  Taubon  imd  Hühnern  ist  das  Blutplasma  manchmal  schon 
beim  Tode  hämoglobinhaltig. 

3)  Bei  Infektionen  mit  Gartenerde  wurde  gelegentlich  Hämolyse 
beobachtet,   die  wahrscheinlich   auf  Mischinfektion   beruhte. 


Gifte  der  Kleinwesen.  1013 

fektion  im  Tiere  beobachten  kann,  überhaupt  auf  hämolytische  Stoffe 
der  Bakterien  zurückzuführen,  oder  ist  sie  anders  zu  erklären,  z.  B. 
etwa,  wie  die  Versuche  Bianchi-Mariottis  (s.  o.)  denken 
ließen,  durch  Änderungen  der  Isotonie  des  Blutes,  v.  Wunsch- 
heim hat  es  für  den  Milzbrand  wahrscheinlich  gemacht,  daß  diese 
Möglichkeit  wohl  nicht  in  Betracht  kommt,  indem  er  einerseits  den 
Chlorgehalt  des  Blutes  bei  infizierten  und  nicht  infizierten  Tieren 
verglich  und  andererseits  das  Blutserum  infizierter  Tiere  auf  normale 
Blutkörperchen  wirken  ließ.  Eine  andere  Erklärung,  die  auf  die  Bil- 
dung von  Antihämolysinen  hinausläuft,  ist  nicht  genügend  gestützt. 

Die  von  Pribram  (a.  a.  O.)  dafür  angeführten  Beobachtungen 
Casagrandis*)  sind  kein  Beweis.  Wenn  dieser  Forscher  nämlich 
fand,  d^ß  ein  Milzauszug  von  gesunden  und  mit  Milzbrand  infizierten  Tieren 
rote  Blutkörperchen  gesiuider  Tiere  nicht  löst,  wohl  aber  die  von  Milz- 
brandtieren, so  spricht  d€tö  im  Gegenteil  dafür,  daß  diese  letzteren  mit 
Milzbrandhämolysin  vergiftet  sind.  v.  Wunsch  heim  sah  die  Blut- 
körperchen eines  Milzbrandtieres  sich  schon  in  physiologischem  Kochsalz- 
wasser lösen. 

Wir  haben  also  vielleicht  beim  Milzbrand  und  noch  mehr  bei  der 
Staphylokokkenerkranlnmg  ein  Recht,  die  Hämolyse  im  Tierkörper 
auf  Bakterienhämolysin  zurückzuführen.  Die  mangelhafte  Nach- 
weisbarkeit des  Milzbrandlysins  würde  dann  eine  Parallele  haben  in 
dem  Mißlingen  der  Versuche,  ein  allgemeines  Milzbrandgift  nachzu- 
weisen. Gerade  beim  Milzbrand,  bei  dem  die  Bazillen  ja  selbst  in 
die  Blutbahnen  eindringen  können,  wäre  übrigens  am  ehesten  die 
hämolytische  Fähigkeit  auf  Blutplatten,  die  nach  Pribram  eine 
ausgesprochene  ist,  zur  Erklärung  heranzuziehen.  Es  ist  aber  auch 
nicht  unmöglich,  daß  bei  den  infektiösen  Anämien,  die  ohne  nachweis- 
baren Austritt  von  Hämoglobin  verlaufen,  das  Hämolysin  nicht  un- 
beteiligt ist  (s.  o.  Schur,  Kraus  imd  Ludwig).  Der  Beweis 
wird  freilich,  solange  eine  Trennimg  des  Hämolysins  von  anderen 
Bakteriengiften  im  Tierkörper  nicht  möglich  ist,  kaum  zu  führen  sein. 
Es  ist  ja  denkbar,  daß  auch  auf  andere  Weise,  z.  B.  durch  mangel- 
hafte Tätigkeit  der  blutbildenden  Organe,  die  ihrerseits  durch  andere 
Gifte  bewirkt  wird,  eine  Schädigung  der  roten  Blutkörper  zustande 
kommt,  durch  die  ihre  Empfindlichkeit  gegen  normale  Einflüsse  ge- 
steigert wird. 

§  316.  Hämagglutinine  der  Bakterien.  Es  ist  von  verschie- 
denen Seiten  nachgewiesen  worden,  daß  die  Bakterien  auch  Hämag- 
glutinine»  d.  h.  Blutkörper  zur  Verklebung   bringende    Stoffe   bilden 


1)  Anm.   1,  auf  S.  999. 


1014  Kap.  XVI,   §  316  u.  317. 

(Kraus   und  Ludwig^),  Volk  2),  Pearce  und  W  i  n  n  e  ') , 
G  u  y  o  t  *). 

Am  vollständigsten  sind    die  Versuche    des    letzten    Forschers.     Er 
prüfte  18  Stämme  des  Bact.  coli,  4  des  Typhusbaz.,  2  des  Staphylococcus 
pyogenes,  je  einen  des  Pneumo-  und  Meningococcus   zunächst,   indem   er 
je  eine  Öse  des  Bakterienbelags  in  1  ccm  des  Kondenswassers  der  Agar- 
kulturen  aufschwemmte  und  gleiche  Teile  davon  mit  einer  5  prozentigen 
Aufschwemmung     gewaschener     Blutkörperchen     in     Kochsalzlösung    im 
hängenden  Tropfen  zusammenbrachte.   Binnen  5  Minuten  trat  eine  Aggluti- 
nation ein,  aber  nur  bei  12  Colistämmen,  und  auch  gegenüber  diesen  rea- 
gierten nicht  die  Blutkörper  aller  daraufhin  untersuchten  Tierarten  gleich- 
mäßig, sondern  bald  diese,  bald  jene  in  mehr  oder  weniger  ausgesprochenem 
Grade.    Die  Blutkörper  verschiedener  Individuen  derselben  Art  verhielten 
sich  aber  annähernd  gleich.    Die  Reaktion  der  Aufschwemmungsflüssigkeit 
bedingte  auch   keine  wesentlichen   Unterschiede,   ebenso   zeigte  sich  die 
Agglutination,   wenn  man  Bouillonkulturen  oder  Aufschwemmungen  der 
Bakterien  in  Kochsalzlösiuig  u.  dgl.  verwandte.    Das  Verklebungs- 
vermögen  haftete  aber  stets  den   Bakterienleibern 
selbst    an    und    ging    nicht    in    das    Filtrat    über.     Er- 
hitzung  auf    60—80°    zerstörte   es,    nicht   Behandlung 
der  Leiber  mit  10%  Formalinlösung.    Danach  will  G  u  y  o  t 
nicht  von  löslichen  Stoffen  sprechen,  die  den  Bakteriolysinen  an  die  Seite 
zu  stellen  seien.   Wahrscheinlich  ist  dieses  Ergebnis  aber  nur  der  Versuchs- 
anordnung   des    Verfassers     zu    verdanken.     Daß    die    Agglutinine 
auch  aus    den  B  ak  t  er  i  en  1  ei  b  er  n  abgegeben  werden, 
folgt  aus  eigenen  Versuchen  G  u  y  o  t  s  ,  die  auch  in  anderer  Beziehung 
bemerkenswert  sind.  Wurde  eine  agglutinierende  Aufschwemmung  1  Stunde 
lang  mit  viel  roten  Blutkörpem  einer  bestimmten  Art  behandelt,  so  verlcr 
sie  die  Fähigkeit,  Blutkörperchen  derselben  und  auch  anderer  Arten  zu 
verkleben.    Verfasser  schließt  daraus  auf  die  Einheit  der  Agglutinine  bei 
der  gleichen  Bakterienart.    Die  anderen  Forscher  sahen  übrigens  Agglu- 
tination auch  inFiltraten,  z.   B.  von  Staphylokokken,  er- 
scheinen.   Um  sie  nachzuweisen,  muß  man  nach  Volk  nur  die  Kultur- 
filtrate  in  Gaben  anwenden,  die  keine  vollständige  Hämolyse  hervorrufen. 
Pearce  und  W  i  n  n  e  fanden,  daß  die  Fähigkeit  der  Bakterienfiltrate. 
Agglutination  zu  erzeugen,  dadurch  gesteigert  wird,  daß  man  die  Keime 
in  Blutnährböden  wachsen  läßt.    Alle  Forscher  sind  darin  einig,  daß  die 
Bakterienagglutininevon  den  Lysinen  verschieden 
seien. 

Nach  Pearce  und  W  i  n  n  e  bewirken  dieselben  Filtrate  auch  bei 
Hunden  und  Kaninchen  Lebernekrose  und  hyaline  Throm- 
ben in  der  Leber  imd  anderen  Organen,  deren  Entstehung  aus  zusammen- 
gebackenen roten  Blutkörperchen  übrigens  auch  von  anderer  Seite  (B  o  x  - 
mayer,  Mallory    vgl.  S.  944  Anm.  4)  angenommen  wird. 


1)  Wien.  khn.  Woch.   1902.  6. 
\         2)  Zentr.  Bakt.  34.  844. 

3)  Americ.   Journ.  of  the  medic.  sciences  Oktober   1904  (bei  Pri- 
bram    in  Kolle-Wassermanns    Handb.    1.    Erg.^Heft    S.   430). 

4)  Zentr.  Bakt.   47.  640,   1908. 


Gifte  der  Kleinwesen.  1015 

Nicht  eine  bloße  Agglutination,  sondern  Verschmelzung  und 
Zerstörung  der  roten  Blutkörper  unter  Auflösung 
d  es  Farbstoffs,  „Hämatolyse"  beobachteten  v.  Lingelsheim, 
B  o  r  d  e  t  und  namentlich  v.  Bardeleben*)  innerhalb  und  außer- 
halb des  Tierkörpers  luiter  dem   Einfluß  von    Streptokokken. 

§  317.  Leukozidine.  Den  Hämolysinen  und  Agglutinininen 
schließen  sich  die  Bakterienleukozidine  an.  VandeVelde^)  hat 
zaerst  in  den  Exsudaten,  die  durch  Einspritzung  von  virulenten 
iStaphylokokken  in  die  Bauchhöhle  von  Kaninchen  erzeugt  wurden, 
ein  sehr  kräftiges  Vermögen,  die  weißen  Blutkörperchen  zu  schädigen, 
aufgefunden.  Schon  in  dem  Exsudat  selbst  sind  die  Leukozyten  sicht- 
lich entartet,  bringt  man  etwas  von  dem  Exsudatserum  mit  frischen 
Leukozyten»)  des  Kaninchens  im  hängenden  Tropfen  zusammen,  so 
sieht  man,  wie  nach  kürzester  Zeit,  unter  Umständen  schon  nach 
den  ersten  Sekunden  die  Bewegungen  der  Leukozyten  aufhören,  ihre 
Pseudopodien  eingezogen  werden,  das  Protoplasma  kömig  wird,  der 
Kern  und  Zellmembran  deutlich  hervortritt,  und  schließlich  der  In- 
halt der  Zelle  bis  auf  eine  aufgequollene  Blase  mit  wenigen  glänzenden 
Körnchen  verschwindet.  Selbst  bis  zu  einer  500 — 1000  fachen  Ver- 
dünnung kann  das  Serum  noch  diese  Erscheinungen  hervorrufen,  doch 
erfolgen  sie  dann  langsamer  und  erfordern  Stimden  statt  Minuten. 
Die  Wirksamkeit  der  Exsudate  ist  übrigens  eine  sehr  verschiedene. 
Auch  die  Kulturen  der  Staphylokokken  und  ihre  F  i  1 1  r  a  t  e  ent- 
halten, wenn  sie  älter  werden  xmd  besonders,  wenn  sie  mit  Blut  oder 
Serum  zusammengesetzt  sind,  dieses  Leukozidin,  und  zwar  viru- 
lente und  ni  cht  virulent  e  in  ziemlich  gleicher 
Menge;  im  Tiere  bilden  nur  die  ersteren  ein  kräftiges  Gift,  weil 
die  abgeschwächten  Kokken  zu  frühzeitig  in  ihnen  erliegen.  10  Mi- 
nuten lange  Erhitzung  auf  58 — 60°  zerstört  das  Leukozidin*).     Nur 


1)  Arch.   f.    Gynäk.   83.    52,    1907. 

2)  La  Cellule  10,  1894;  Annal.  Pasteur  1896.  580  (vgl.  auch  D  eny  s 
und  van  de  Velde  Cellule  11). 

3)  Van  de  Velde  benutzte  zur  Gewinnung  von  frischen  Leuko- 
zyten das  Pleuraexsudat,  das  er  durch  Einspritzung  von  gekochten  Staphy- 
lokokkenkulturen  erzeugte.  Allgemeine  Verwendung  gefimden  hat  jetzt 
nach  dem  Vorgange  von  H.  Buchner  das  Exsudat,  das  nach  Ein- 
spritzung von  5  —  10  ccm  Aleuronatmischung  (z.  B.  3  AI.  +  1  g  Stärke 
+  200  Kochsalzlösimg  gut  verrührt  und  gekocht)  binnen  24  Stunden  in 
der  Brust-  oder  Bauchhöhle  von  Kaninchen,  Meerschweinchen  usw.  ent- 
steht. Zmc  Verhütung  der  Gerinnung  kann  man  es  nach  Neißer  und 
Wechsberg  ohne  Schaden  für  seine  übrigen  Eigenschaften  mit  gleichen 
Teilen  Iprozentigen  Natriumoxalats  versetzen.  Auch  Kochsalzlösung  oder 
Bouillon  in  größeren  Mengen  ergibt  ziemlich  brauchbare  Exsudate. 

*)  Vgl.   aber  Neißer  und  Wechsberg  (s.  u.). 


KM  6  Kap.  XVI,   §  317. 

mit  nicht  erhitzten  Exsudaten  gelingt  es,  Kaninchen  gegen  dieses 
Gift  zu  immunisieren,  ihr  Serum  enthält  dann  Antileukozidin. 
Bail^),  V.  Lingelsheim^)  und  N  e  i  ß  e  r  und  Wechsberg  ^) 
bestätigten  diese  Ergebnisse  van  de  Veldes  im  wesentlichen. 

Nach  V.  L  i  n  g  e  1  s  h  e  i  in  sind  die  Leukozyten  anderer  Warmblüter» 
namentlich  der  Meerschweinchen  und  Mause,  viel  widerstandsfähiger  als 
die  des  Kaninchens,  die  des  Frosches  ganz  unempfindlich.     Die  allgemeine 
Giftigkeit  der  Staphylokokkenkulturen  (§  298)  geht  mit  ihrer  leukoziden 
Kraft  Hand  in  Hand,  dieselbe  Temperatur  zerstört  beide.     Dem  entspricht 
auch,    daß    Meerschweinchen   und    Mäuse   gegen   das    Staphylokpkkengift 
viel  weniger  empfindlich  sind  als  Kaninchen,  doch  haben  wir  andere  Be- 
bachtimgen,  die  für  die  Verschiedenheit  dieser  Gifte  sprechen,  schon  S.  967 
erwähnt.      Sicher    verschieden    von    dem    Leukozidin    ist    jeden- 
falls   das     Staphylolysin,    das    die     roten     Blutkörper    löst.     N  e  i  ß  e  r 
und  Wechsberg  haben  nämlich  gefunden,  daß  sie  in  ungleichen  Mengen 
und  zu  verschiedener  Zeit  in  den  Staphylokokkenkulturen  auftreten.     Diese 
Forscher  bedienten  sich  dabei  nicht  des  Mikroskops  zur  Prüfung  des  Leuko- 
zidingehalts,  sondern  der  sog.  bioskopischen  Methode,  die  sie 
auch  bei  anderen  Untersuchungen  über  die  Lebensfähigkeit  von  Zellen  er- 
probt hatten*).     Bringt  man   Vj  ccm  eines  zu  gleichen  Teilen  mit  einer 
Lösung    von   oxalsaurem    Natron    vermischten    Aleuronatexsudats    (s.   o.) 
vom   Kaninchen    in  nicht   zu   weite   Reagensröhrchen,   füllt  mit  0,85  pro- 
zentiger  Kochsalzlösung  zu  2  ccm  auf,  fügt  2  IVopf en  einer  dünnen  Methylen- 
blaulösung*)   hinzu  und  überschichtet  mit  Paraffinum  liquidum  zur  Ab- 
haltung   des   Luftsauerstoffs,   so   entfärbt  sich  das   Röhrchen  nach  zwei- 
stündigem Aufenthalt  im  Brutschrank  (37®)  in  der  unteren  Hälfte,  wenn 
genügende   Mengen    lebender    Leukozyten    im    Exsudat    vorhanden   sind. 
Fügt  man  aber  so  viel  Leukozidin  hinzu,  daß  die  Zellen  abgetötet  werden, 
so  bleibt  die  Entfärbung  aus.     Um  den  Versuch  zur  quantitativen  Färbung 
des  Leukozidingehalts   zu  benutzen,  hat  man  zunächst,  da  die  Zalil  der 
lebenden   Zellen   im   Exsudat   wechselt,    diejenige   Exsudatmenge  festzu- 
stellen,  die  noch  reduziert.    Sie  sei  z.  B.  0,25  ccm.    Man  ninunt  die  doppelt 
Menge,  also  0,5  ccm,  fügt  das  Staphylokokkenfiltrat  hinzu,  füllt  mit  Koch- 
salzlösung auf  2   m  auf  und  läßt  es  1  \<i  Stunden  im  Brutschrank  einwirken, 
dann  gibt  man  2  Tropfen  Methylenblaulösung  hinzu,   überschichtet  mit 
flüssigem   Paraffin   und   beobachtet  die  Färbimg  der  über   dem  Nieder- 
schlag  stehenden   Flüssigkeit   nach    zweistündigem    Aufenthalt   im  Ofen. 
Die   Ergebnisse  des   Verfahrens   entsprechen  denen  der   mikroskopischen 
Prüf img  der  Lebensfähigkeit  der  Leukozyten.     N  e  i  ß  e  r  und  Wachs- 
b  e  r  g  fanden  auf  diese  Weise  z.  B.,  daß  von  dem  Filtrate  der  Bouillon 
nach  2   Tagen  0,75  ccm  höchstens  spurenweise,   nach  6  Tagen  0,1  ccm, 
nach  8  Tagen  0,025  ccm  vollständig  reduziert,  und  die  Wirksamkeit  älterer 


1)  Arch.  f.  Hyg.   32. 

2)  Ätiol.  und  Ther.  der  Staphylokokkeninfekt.  1900  (Behrings  Beitr. 
z.  experim.  Ther.). 

^3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  36,   1901. 

4)  Münch.  med.  Woch.   1900.   37. 
f  6)  Von  einer  Stammlösung  (1  :  20  Alkoh.  -f-   29  Wasser)  wird  1  ccm 
mit  49   ccm   0,85  prozentiger  Kochsalzlösung  verdünnt. 


Gifte  der  Kleinwesen.  1017 

Kulturen  bis  zum   16.  Tage  sieh  noch  änderte.     Wurden  die  Filtrate  mit 
Karbolsäure  im   Eisschrank  aufgehoben,  so  sc  >i  wachte  sich   ilire 
leukozide   Wirkung    schon   nach    1  —  2   Wochen    stark 
ab,   während   die   hämolytische   ziemlich    beständig 
blieb.    Umgekehrt  trat  das  blutlösende  Vermögen  in  der  Kultur  manch- 
jual  später   auf,    als   das   leukozytentötende.      Die   virulenten    Staphylo- 
kokken, die  Hämolysin  bildeten,  entwickelten  zwar  gewöhnlich  auch  Leuko- 
zidin,  doch  nicht  immer,  und  das  Mengenverhältnis  beider  Stoffe  war  ein 
sehr  schwankendes.     Ein  gewisser  Unterschied  besteht  auch  in  der  Wider- 
standsfähigkeit beider  Gifte  gegen  Hitze:  20  Minuten  lang  dauernde  Er- 
hitzung auf  50*^  zerstört  das  Leukozidin  völlig,  während  Spuren  von  Hämo- 
lysin dabei  übrig  bleiben.     Immerhin  ist  kein  großes  Gewicht  darauf  zu 
le^en,   weil   kleine   Mengen   des   Hämolysins   leichter   nachzuweisen   sind. 
Wichtiger  ist  dagegen,   daß   die   Leukozyten  das   Leukozidin 
einem    Filtrat    völlig    entziehen    können,    nicht    das 
Hämolysin.      Etwas  Hämolysin  verschwindet  allerdings   bei   solchen 
Bindungsversuchen,   wohl  schon  aus  dem   Grunde,   weil  die  Exsudate  ja 
stets  auch  rote  Blutkörperchen  enthalten.     Man  darf  aus  diesen  Tatsachen 
auf  die  Verschiedenheit  der  beiden  Gifte  schließen.  Einiges 
andere  spricht  nur  scheinbar  dagegen,  so  ist  der  L^mstand,  daß  rote  Blut- 
körper aus  dem  Staphylokokkenfiltrat  nicht  nur  das  Hämolysin,  sondern 
auch  das  Leukozidin  absorbieren,  vielleicht  daraus  zu  erklären,  daß  gerade 
diese  Zellen  für  beide  bindende  Gruppen  besitzen  —  wenn  es  sich  nicht 
um  eine  physikalische  Absorptionswirkung  handelt.      Ferner  beruht  die 
von  N  e  i  ß  e  r  und  Wechsberg  hervorgehobene  Möglichkeit,  nicht  nur 
mit  leukozidinreichen,   sondern  auch  mit  hämolysinhaltigen,   aber  leuko- 
zidinfreien  Filtraten  im  Serum  von  Tieren  die  Entwicklung  von  A  n  t  i  - 
1  eukozidin  zu  veranlassen,  vielleicht  darauf,  daß  die  immunisierenden 
(^iruppen    des    Leukozidins    in   den    betreffenden  Filtraten    in  Form  von 
Leukozidinoiden    —  den  Toxoiden  vergleichbar  ( §  275)  —  vorhanden  sind. 
Die  Existenz  derartiger   Körper  müßte  aber  durch   Absorptionsversuche 
mit  Leukozyten  noch  näher  begründet    werden.     Soviel   steht   jedenfalls 
fest,  daß  Immunisierung  gegen  das  Leukozidin  mit  der  erhitzten  Staphylo- 
kokkenkultur  ebensowenig  gelingt,  wie  gegen  das  Hämolysin;  die  immuni- 
sierende Gruppe  beider  Körper  scheint  also  im  Gegensatz  zu  den  anderen 
„Toxoiden"  dem  Erhitzen  nicht  standzulialten. 

Im  normalen  Blutserum  mancher  Tiere,  insbesondere  des 
Pferdes,  und  beim  Menschen  finden  sich  Gegenkörper  sowohl  gegen  Hämo- 
lysin wie  Leukozidin,  zweifelhaft  ist  es  aber  nach  N  e  i  ß  e  r  und  W  e  c  h  s  - 
b  e  r  g  ,  ob  das  auch  für  das  Kaninchen  gilt,  wie  D  a  n  y  s  z  und  van 
de  V  e  1  d  e  annehmen.  Ebenso  muß  die  Natur  dieser  normalen  Gegen- 
körper noch  unentschieden  bleiben  (s.   o.    S.  1009). 

Von  vornherein  ist  es  sehr  wahrscheinlich,  daß  es  nicht  bloß  ein 
Leukozidin  gibt,  doch  ist  die  Frage  noch  nicht  so  gründlich  geprüft 
worden  wie  bei  dem  Hämolysin  (S.  1006).  N  e  i  ß  e  r  und  W  e  c  h  s  - 
b  e  r  g  geben  an,  daß  die  Filtrate  aller  Staphylokokken,  die  überhaupt 
Leukozidin  enthalten,  durch  dasselbe  Immunserum  neutralisiert  werden; 
das  spricht  für  die  Einheit  des  Staphylokokkenleukozidins.  —  Die  Unter- 
suchungen über  die  Beeinflussung  der  Leukozyten  durch  andere  Bak- 


1018  Kap.  XVT,   §  317  u.  318. 

teriengifte  sind  viel  weniger  zahlreich;  soweit  man  sehen  kann,  bildet 
auch  kaum  ein  anderes  Bakterium  Leukozidine,  die  im  Reagensglas 
eine  ähnliche  Kraft  entwickeln,  wie  das  der  Staphylokokken.  Immer- 
hin haben  C  a  s  a  g  r  a  n  d  i  ^)  bei  manchen  Abarten  des  S  t  r  e  p  t  o  • 
coccus  lanceolatus,  Calamida^)  bei  Hühnercho- 
lerabazillen, Gheorgiewski®)  auch  bei  dem  P y o c y a - 
n  e  u  s  leukozides  Vermögen  gefunden.  Eisenberg*)  hat  femer 
in  den  Filtraten  der  Rauschbrand-  und  Odembazillen 
neben  Hämolysin  Leukozidin  gefunden.  Bei  Gelegenheit  von  Aggressin- 
versuchen  untersuchten  Bürgers  imd  H  ö  s  c  h  ^)  in  meinem  Labo- 
ratorium auch  die  Wirkungen  des  Ruhrbazillen extraktes  auf 
Leukozyten,  fanden  aber  höchstens  geringe  Wirkungen®).  Am  wichtigsten 
wäre  es  natürlich,  wenn  die  Bakterien  im  Tierkörper  selbst  Leukozidin 
bildeten.  Denys  und  Vandevelde  (s.  o.)  fanden  aber  in  Pleuraexsu- 
daten, die  durch  Streptokokken,  Typhus-  und  Diphtherie- 
bazillen hervorgerufen  waren,  kein  leukozjiientötendes  Vermögen, 
wenn  sie  die  Prüfung  außerhalb  des  Tierkörpers  anstellten.  Weil 
und  Nakayama*^)  waren  glücklicher  bei  Prüfung  des  Exsudats 
(des  „tierischen  Aggressins"  S.  1024)  von  Heubazillen,  Weil  iind 
T  s  u  d  a  ®)  vermißten  ein  Leukozidin  aber  wieder  im  Exsudat  von 
Ruhrbazillen.  Helly  ®),  der  freilich  nur  die  Exsudate  selbst  unter- 
suchte, fand  Entartungserscheinungen  an  den  Leukozyten  auch  in 
Exsudaten,  die  durch  lebende  Diphtherie-  oder  Pneumobazillen  oder 
durch  ihre  mit  Aleuronat  gemischten  Mltrate  hervorgerufen  waren, 
während  Aleuronat  allein  die  Leukozyten  nicht  verändert«,  v.  Bar- 
de 1  e  b  e  n  schreibt  namentlich  den  virulenten  Streptokokken  im 
Tierkörper  selbst  (im  Aleuronatexsudat)  eine  starke  leukozytenauf- 
lösende Wirkung  zu  und  konnte  sie  auch  im  Reagensglas  wiederfinden, 
wenn  er  die  an  anderer  Stelle  beschriebenen  (§  295)  mit  Exsudat  her- 
gestellten Giftlösungen  der  Streptokokken  verwandte.  Nach  dem- 
selben Forscher  beruht  die  gerinnungerzeugende  Fähig- 
keit der  Streptokokken  in  Blutgefäßen  auf  dieser  leukoziden 


1)  Bullet.    Soc.   Lancis.   Roma   1902,  ref.   Biochem.   Zentralbl.   1903. 
200  und  Baiungartens  Jahresber.   1902.  60. 

2)  Zentralbl.  Bakt.  35,  618,  1904. 

3)  Annal.  Pasteur  1899. 

4)  Soc.  biol.   16.  3.   1907. 

5)  Zeitschr.   f.   Immunitätsforschung  2,   65,    1909. 

6)  Auch   Galeotti  ( Sperimentale   1900)  schreibt  seinen  Nuldeo- 
proteiden  keine  schädlichen  Wirkungen  auf  Leukozyten  zu  (a.  u.   §  318). 

7)  Berl.  klin.  Woch.   1906.  3. 

8)  Ebenda   1907.   33. 

9)  Ziegl.  Beitr.  37  u.  Zentr.  Bakt.  39.  94,  1905. 


Gifte  der  Klein wesen.  1019 

Eigenschaft.  Weitere  Versuche  innerhalb  und  außerhalb  des  Tier- 
körpeiB  waren  zu  vriinschen.  Übrigens  ist  die  Beobachtung  der  Vor- 
gänge im  lebenden  Tiere  nur  vorsichtig  zu  verwerten,  weil  hier  mehrere 
Fehlerquellen  in  Frage  kommen. 

Von  dem  Verschwinden  der  Leukozyten,  die  man 
nBch  allen  möglichen  Einspritzungen  ins  Bauchfell  beobachtet,  als  Ursache 
der  sog.  Phagolyse,  sprechen  wir  in  der  Infektionslehre ;  sie  be- 
ruht wohl  zum  großen  Teil  auf  einer  mechanischen  Zusanuuenballung 
und  Niederschlagung  der  Leukozyten  auf  dem  Netz  usw.,  nicht  auf  ihrer 
Auflösung.  Allerdings  scheint  auch  die  letztere  bei  Entzündiuigen  und 
Eiterungen  aller  Art  nicht  zu  fehlen.  Es  ist  aber  fraglich,  ob  nicht 
andere  als  bakterielle  Einflüsse,  z.  B.  Zersetzungsprodukte  der  tierischen 
Grewebe  oder  Sekrete  ihrer  Zellen,  namentlich  aber  auch  autolytische 
Wirkungen,  die  Selbstverdauung  der  Leukozyten  dafür  in  Frage 
kommen.  Man  pflegt  den  Leukozyten  ihrer  ganzen  Beschaffenheit  nach 
ja  nur  eine  kurze  Lebensdauer  zuzuschreiben. 

Welche  Bedeutung  haben  nun  die  Leukozidine  für  die  Bakterien, 
die  sie  erzeugen?  Diese  Frage  ist  nicht  so  einfach  zu  entscheiden, 
wie  es  wohl  scheinen  könnte.  Stellt  man  sich  auf  den  Standpunkt, 
daß  die  lebenden  Leukozyten  und  nur  diese  an  der  Stelle  der 
Infektion  die  Obliegenheit  haben,  letztere  zu  bekämpfen,  so  wird  man 
geneigt  sein,  daraus  zu  schließen,  daß  die  Leukozidine  die  Infektion 
begünstigen,  den  Widerstand  des  infizierten  Körpers  herabsetzen, 
also  zu  den  „Angriffsstoffen"  (§  319)  gehören.  Hält  man  es  anderer- 
seits für  wahrscheinlich,  daß  die  Leukozyten  auch  oder  gar  in  erster 
Linie  durch  die  Stoffe,  die  sie  nach  außen  abgeben,  schädlich  auf  die 
Bakterien  wirken,  so  wird  man  umgekehrt  in  den  Leukozidinen 
Stoffe  sehen  können,  die  für  die  angegriffenen  Organismen  günstig, 
also  als  „Reizstoffe"  (§  331)  wirken.  Durch  Versuche  Bails  scheint 
die  Streitfrage  eher  in  letzterem  Sinne  beantwortet  worden  zu  sein  (S. 
1033).  Bei  der  Besprechung  späterer  Aggressinversuche  Bails  mit 
Staphylokokken-Exsudaten  (S.  1025)  werden  wir  sehen,  daß  die 
allgemeine  Giftigkeit  dieser  Flüssigkeiten  eine  Deutung  erschwert. 
Immerhin  macht  es  den  Eindruck,  als  ob  die  aggressiven  Leistungen 
von  den  leukoziden  zu  trennen  seien  (S.  1033). 

Von  den  Leukozyten  lähmenden  bzw.  eine  negative  Leuko-  und 
Phagotaxis  ausübenden  und  daher  infektionsbegünstigenden  Bakterien- 
stoffen (S.  1034  ff.)  sind  die  Leukozidine  sicher  verschieden. 

§  318,  Organgifte.  Bei  Besprechimg  der  Veränderungen,  die 
durch  Infektionsgifte  im  Tierkörper  verursacht  werden,  sind  wir  schon 
wiederholt  auf  Organveränderungen  gestoßen.  Wir  erwähnen  hier  nur 
die  Wirkungen,  die  die  Endotoxine,  wenn  sie  im  Blute  kreisen,  auf  den 
Darm   namentlich   der   Fleischfresser   ausüben    (S.  914),   femer   die 


1020  Kap.  XVI,   §  318  u.  Kap.  XVII,   §  319. 

Störungen  in  den  nervösen  Zentralorganen  durch  Tetanus,  Botulinus 
und  namentlich  das  „Kaninchengift"  der  Dysenterie  (§  289),  die  ent- 
zündlichen und  nekrotischen  Wirkungen  der   Fleischgifte,   der  H(^- 
cholera  usw.,  die  nicht  nur  in  den  inneren  Organen,  z.  B.  der  Leber, 
sondern  auch  auf  den  Schleimhäuten  des  Darms  bei  Einführung  in  den 
Magen  sich  bemerkbar  machen  (S.  944),  die  Reiz  Wirkung  der  Gono- 
kokkengifte    auf    die    Epithelien    der    Urethralschleimhaut    (S.  965). 
Bisher  hat  man  sich  aber  nur  selten  Mühe  gegeben,  durch  Versuche 
im   Reagensglas   derartige   Wirkungen   zu   erklären.     N  e  i  ß  e  r  und 
Wechsberg  ^)    beobachteten    nach    Einspritzung    von    Staphylo- 
kokkengift  unter  die  Haut  und  namentlich  ins  Blut  von  Kaninchen 
nekrotische   Herde   in   den   Nieren   (Nephrotoxin).     Nach  ihnen  be- 
ruhen sie  auf  der  Verstopfung  von  Gefäßen  durch  Leukozyten  bzw. 
den  abgestorbenen  Resten  von  solchen,  d.  h.  in  letzter  Linie  auf  Leuko- 
zidinwirkung.     Sie  glaubten  den  Beweis  dadurch  zu  erbringen,  daß 
das  unmittelbar  in  die  Nieren   eingespritzte   Gift   ebensowenig  diese 
verändert,  wie  die  Nierenepithelien  im  Reagensglas  durch  Staphylo- 
kokkengift    im    bioskopischen  Versuch  (S.  1016)    eine    Beeinflussung 
zeigten.    Man  wird  die  Frage  aber  noch  nicht  ab  völUg  geklärt  hinstellen 
können,  da  schon  früher  Ribbert^)  auch  mit  starker  erhitzten,  also 
ihres  Leukozidins  beraubten  Staphylokokkenkulturen  von  der  Blut- 
bahn aus  ähnliche  Nierenstörungen  erzeugte.     Übrigens  werden  auch 
den  Hämolysinen  und  Hämagglutininen  {§  317)  auf  Grund  von  Reagens- 
verversuchen Wirkungen  zugeschrieben,   die    sich    im  letzteren   Tier 
durch  Gefäßverstopfung  äußern  könnten.     Sonst  wäre  noch  zu  er- 
wähnen die  Mitteilung    Galeottis^),    nach    der    die    alkalischen 
Extrakte   der  Bakterienleiber,  bezw.  ihre  „Nukleoproteide"  (S.  869), 
auf   isolierte  Flimmerepithelien   tmd   Samenfäden    zerstörend 
wirken  oder  mindestens  ihre  Bewegimgen  hemmen,  Leukozyten  aber 
umgekehrt  zu    größerer    Beweglichkeit    zu    reizen   scheinen. 
Auch    andere  Körpergewebe,  wie  Niere  und  Leber,   sollen   schädKch 
beeinflußt   werden,    das   wird   aber   wieder  nur  auf  Grund  der  Ver- 
änderungen im  lebenden   Körper   behauptet,    wie  wir  sie   oben  von 
dem  Versuche  mit  Hogcholeragift  usw.  erwähnt  haben*). 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.  36.  343,  1901. 

2)  Pathol.  Anat.  und  Heilung  der  durch  den  Staphylococcus  pyo- 
genes  hervorgerufenen   Erkrankungen.     Bonn    1891. 

3)  Sperimentale  1900.  554. 

4)  Auf  die  Bindungsversuche,  die  mit  verschiedenen  Giften  und 
Organen  angestellt  worden  sind  (vgl.  Dysenterie,  Tetanus  tmd  Diphtherie), 
gehen  wir  hier  nicht  ein,  weil  die  Bindung  an  sich  noch  keine  Verände- 
rimgen  der  Zellen  zu  bewirken  braucht. 


Kapitel    XVII. 

Angriffs-,  ßeiz-  und  Impfstoffe. 

§  319.  Geschichte  und  Vorkommen  der  Angriffsstoffe 
(Aggressine).  Schon  mehrfach  ist  in  diesem  Buche  von  den  Angriffs- 
stoffen oder  Aggressinen  der  Mikroben  die  Rede  gewesen,  zuerst  an 
der  Stelle,  wo  es  sich  darum  handelte,  das  Wachstum  der  infektiösen 
Keime  im  Tierkörper,  in  dem  ja  die  große  Mehrzahl  der  Mikroben 
nicht  zu  gedeihen  vermag,  d.  h.  die  sogenannte  Virulenz 
oder  Infektiosität  zu  erklären  (§  51).  Gerade  die  „An- 
griffsstoffe" sollen  jene  dazu  befähigen,  die  Wachstumswiderstände 
im  Tierkörper,  d.  h.  die  Wirkungen  der  tierischen  Ab  Wehrkräfte  (vgl. 
Infektions-  und  Immunitätslehre)  zu  überwinden,  in  erster  Linie,  in- 
dem sie  die  „Abwehrstoffe"  der  Tiere  neutralisieren.  Die  Angriffs- 
stoffe sind  wesentlich  spezifische  Stoffe,  weil  sie  das  Gedeihen  ihres 
eigenen  Erzeugers  befördern,  können  unter  Umständen  aber  auch  fremden 
Keimen  nützlich  werden  und  so  die  Erscheinungen  der  Misch-  und 
Sekundärinfektion  erklären.  Im  weitesten  Sinne  darf  man  aber  auch 
da  noch  von  „nicht  spezifischen"  aggressiven  Wirkungen  sprechen,  wo 
Stoffe,  die  überhaupt  nicht  von  Mikroben  stammen,  Infektionen  be- 
günstigen^). Die  Grundlagen  für  diese  unsere  Lehre  sind  schon  früh 
gelegt  worden. 

Einer  der  ersten  Forscher,  die  Beobachtungen  gemacht  haben,  welche 
für  das  Vorhandensein  von  Angriffsstoffen  sprechen,  ist  Wyssoko- 
witsch.  Er  fand  bei  seinen  im  Laboratorium  Flügges  ausgeführten 
Untersuchungen  über  den  Verbleib  der  in  das  Blut  von  Versuchstieren 
eingespritzten  Mikroben^),  daß  eine  Gruppe  von  Bakterien,  die  in  kleinen 
Gaben  nicht  pathogen  waren,  aber  in  großen  Gaben  giftige  Wirkungen, 
namentlich  Gastroenteritis,  hervorriefen,  sich  auch  dadurch  vor  den  anderen 
auszeichneten,  daß  sie  sich  im  strömenden  Blute  und  auch  in  den  Organen 
länger  als  die  übrigen  lebendig  erhielten  und  sich,, später   soejar   bis    zum 


1 )  Die  dfibs  Wachstum  in  toten  Nährböden  durch  Neutralisierung 
von  (Jiften  befördernden  Stoffe,  deren  Vorhandensein  wir  mehrfach  (§  49, 
50,  57)  betont,  gehören  schließlich  auch  hierher. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1.   11,   1886. 


1022  Kap.  XVII,   §  319. 

Tode  des  Tieres  reichlich  vermehrten.    Zu  diesen  gehörten  der  Bac.  Indicus, 
ruber,  pneumoniae,  crassus  sputigenus  u.  a.  m.     Man  bekommt  den  Ein- 
druck, als  ob  Wyssokowitsch  den   Giften  dieser  Bakterien  ihre 
Haltbarkeit  bzw.  ihre  Wachstumsfähigkeit  im  Tiere  zuschreibe.     Freilich 
hält  er  diese  Gifte  nicht  für  spezifisch,  denn  bei  Sirotinin^) 
finden   wir    die  Bemerkung,   Wyssokowitsch   habe  in   einer  nicht 
veröffentlichten  Versuchsreihe  festgestellt,   daß   „unter   dem   Einfluß  ge- 
wisser, von  verschiedenen  Bakterien  erzeugter  Ptomaine  eine  solche  Herab- 
setziuig  der  Zellenenergie  des  Körpers  hergestellt  werden  kann,  daß  nun- 
mehr Bakterien,  die  bis  dahin  selbst  in  großen  Gaben  nicht  infektiös  waren, 
es  zu  einer  lebhaften  Veränderung  im  Körper  der  Versuchstiere  bringen". 
Am  wirksamsten  erwies  sich  Wyssokowitsch  eine  sterilisierte  wiU- 
serige  Aufschwemmung  des  Bac.    Neapolitanus   (B.    coli).      Sirotinin 
konnte  freilich  in  eigenen  Versuchen  diese  Angaben  nicht  bestätigen,  wohl 
aber    Chantemesse    und  W  i  d  a  1  *).     Unabhängig  kam  eine  Reihe 
von  Forschem,  die  sich  mit  der  Ursache  der  Eiterung  beschäftigten,  auf 
ähnliche    Vorstellimgen    wie    Wyssokowitsch.       Grawitz     und 
de  B  a  r  y  ')  beobachteten  z.  B.,  daß  Eiterkokken    in  an  sich    unschäd- 
lichen Gaben  durch  Beigabe  ihrer  eigenen  und  fremder  Bakterien- 
produkte infektiöse  Eigenschaften  gewannen,  und  nach  Fehleisen*) 
sind   die  im   Tierkörper   selbst   gebildeten   Erzeugnisse  der   Eiterkokken, 
wie  Eiter  selbst,  Auszüge  davon  und  durchtränkte  Muskelstücke  aus  der 
Nachbarschaft  von  Eiterherden  ganz  besonders  geeignet,  ihre  Entwicklung 
zu  fördern.     In  ähnlicher  Richtung  bewegten  sich  die  bald  danach  ge- 
machten Erfahrungen    der    französischen  Schulen    Bouchards*)   und 
Arloings').     Kulturfil träte  nicht  bloß  von  Staphylokokken  und  Strepto- 
kokken,   sondern    auch     von     Pyocyaneus,      Prodigiosus,     Rauschbrand. 
Hühnercholera,  Pseudotuberkulose  und  echter  Tuberkulose  beschleunigten 
namentlich    nach    intravenöser    Einführung    den    Verlauf    der   be- 
treffenden subkutan  oder  intravenös  erfolgenden  Infektionen.     Roger'), 
der  mit  einem  Auszug  von  Rauschbrandmuskeln  arbeitete,  stellte  dabei 
ausdrücklich    fest,    daß    der    begünstigende   Einfluß    schon, 
wenn    die  Infektion  24  Stunden  später  eintrat,  aus- 
blieb   und    nach     3 — 4   Tagen  einem  „vaccinierenden" 
Platz  machte.     Wie  sich  später  herausstellte,  ist  das  überhaupt  die 
Regel,   denn  Kulturfiltrate  besitzen  ja  nach   den   ziemlich   gleichzeitigen 
späteren  Feststellungen  französischer  und  anderer  Forscher  immunisierende 
Eigenschaften  (s.  u.   §  327,  331  u.  333).     Eine  Ausnahme  sollen  aber  die 
Fi  1  träte  der    Staphylokokken  und   der   Pseudotuberkelbazillen*)   machen. 


1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   1.  485. 

2)  Annal.  Pasteur  1892. 

3)  Virchows  Archiv  108  und  110,   1887. 

4)  Arch.  f.  klin.  Chir.  36,  977,   1887. 

ö)  Verh.  X.  intemat.  Kongr.  Berlin  (1890)   1.  68,  ausführlicher  in 
Rev.  de  m^decine  1890.  637. 

6)  Vgl.   Courmont,   ißtudes  sur  les  substances  solubles  pr^diß- 
posant  &  l'action  pathogene.    These  de  Lyon  1891,  Nr.  612.  Lit. 

7)  Soc.  biol.   1889,  277. 

8)  B.   pseudotuberculosis   similis  Kruse  in  Flügges  Mikroorg. 
3.  Aufl.  2.  454. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1023 

insofern  sie  noch  eine  Wochen  und  Monate  später  erfolgende 
Infektion  begünstigen^)  und  bei  den  letzteren  soll  die  Begünstigung  nicht 
sofort,  sondern  erst  nach  24  Stunden  eintreten  (Courmont). 

Bouchard  begründete  auf  diese  Fiuide  seine  Theorie  der  Infektiosität, 
indem  erden  „begünstigenden  Stoff  en'*  der  Bakterien  die  Fähigkeit  zu<4chrieb, 
die  Phagozytose  unmittelbar  und  durch  Lähmung  der  gefäßerweiternden 
Nerven  bzw.  Verhinderung  der  Auswanderung  mittelbar  unmöglich  zu 
machen.  Weiterhin  haben  andere  französische  Forscher,  Vaillard  und 
Vincent'),  für  den  Tetanus  und  B  e  s  s  o  n  *)  für  das  maligne 
ödem,  ähnliche  Ansichten  vertreten.  Nach  ihm  sollen  die  von  ,,Gift" 
befreiten  Sporen  im  Körper  der  Versuchstiere  nicht  auswachsen,  sondern 
von  den  Phagozyten  zerstört  werden.  Sind  dagegen  die  eigenen  Gifte 
oder  die  Stoffwechselprodukte  fremder  Bakterien  zugegen,  so  keimen  die 
Sporen  aus.  Nach  Dunschmann  *)  sollen  sich  die  Sporen  der  Ödem- 
bazillen ähnlich  verhalten.  Gleichzeitig  mit  Bouchard  teilte  G  a  - 
m  a  1  e  i  a  *)  in  einer  wenig  beachteten  Arbeit  mit,  da0  man  bei  Kaninchen, 
die  sonst  dagegen  unempfänglich  seien,  durch  intravenöse  Einspritzung 
ins  Blut  eine  Darmcholera  erzeugen  könne,  wenn  man  ihnen  daneben 
Prodigiosusgift,  Papain,  Pankreatin,  Methämoglobin,  Nitrite  oder  Nitrate, 
GlykokoU  oder  Leuzin  beibringe.  Alle  diese  Stoffe  besäßen  die  Fähigkeit, 
die  bakteriziden  Eigenschaften  der  Körpersäfte  aufzuheben  und  in  dem 
Vermögen,  derartige  Stoffe  zu  erzeugen,  bestände  die  Infektiosität  der  Bak- 
terien. 

Etwas  später  habe  ich  mich  mit  diesen  Dingen  befaßt®),  stellte 
im  Verein  mit  Bonaduce  fest,  daß  die  Infektion  von  Kaninchen 
und  Meerschweinchen  mit  Milzbrand  sich  durch  gleichzeitige  Ein- 
spritzung großer  Mengen  abgetöteter  Bazillen  beschleunigen  bzw. 
befördern  ließ,  führte  aber  im  wesentlichen  auf  Grund  von  Reagens- 
glasversnchen  (s.  u.)  die  Leistung  der  in  den  Leibern  und  den  Ab- 
sonderungen der  infektiösen  Bakterien  vorausgesetzten  „Angriffs- 
stoffe"'') auf  ihre  alexinneutralisierenden  Eigenschaften  zurück,  wäh- 
rend ich  das  Vorhandensein  von  Wirkungen  auf  die  Leukozyten  — 
die  „negativ  chemotaktischen"  Wirkungen  der  französischen  Forscher 
—  in  den  Aggressinen  unentschieden  ließ.  Die  Angriffsstoffe  selbst 
sollten  es  sein,  die  im  Tierkörper  nach  einiger  Zeit  die  Bildimg  von 


1)  Eine  Tage  und  selbst  Wochen  dauernde  Überempfänglichkeit 
gegen  dieselben  und  fremde  Infektionen  ist  auch  nach  Schutzimpfungen 
häufig  beobachtet  worden.  Experimente  an  kleinen  Versuchstieren  stützen 
diese  Erfahrungen  freilich  nicht  (vgl.   S.   1072,  Anm.   1). 

2)  Annal.  Pasteur  1891. 

3)  Ebenda  1895. 

4)  Ebenda  1894. 

5)  Verh.  X.  internat.  Kongr.  Berlin  (1890)  Bd.  2,  Abt.  3,  S.  34: 
M Bemerkungen  über  Infektion,  Immunität  und  Heilung". 

6)  Zieglers  Beitr.   12.  339,  347,  366  ff.,   1892. 

7)  Zuerst  auch  „Lysine",  später  (seit  1905),  um  Mißverständnisse 
XU  vermeiden,  ,,Agre8sine"  genannt  (in  einem  Briefe  an  B  a  i  1). 


1024  Kap.  XVII,   §  319. 

Schutzkörpern^)  und  damit  Immunität  veranlaßten.  Später*)  habe 
ich  diese  Theorie  noch  weiter  ausgeführt.  Obwohl  einige  Forscher 
durch  ßeagensglasversuche  im  Laufe  der  Zeit  weitere  Stützen  für  sie 
beibrachten,  wurde  die  Zahl  der  beweisenden  Tierversuche  zunächst 
nicht  wesentlich  vermehrt,  bis  1899  Deutsch^)  mit  toten  Typhus- 
bazillen,  1902  Wilde*)  mit  toten  Typhus-  und  Cholerabazillen,  K. 
B  a  u  e  r  ^)  mit  Gewebsauszügen  von  Eiterherden  und  —  seit  1905  — 
B a i  1  *^)  und  seine  Mitarbeiter  Weil,  Kikuchi,  Salus,  Hoke, 
Nakayama  mit  „tierischen  Aggressinen"',  d.  h.  in  vorsichtiger 
Weise  keimfrei  gemachten  Exsudaten  (oder  Blutseren)  von  Milzbrand-. 
Hühnercholera-,  Schweineseuche-  und  -pest-,  Dysenterie-,  Cholera-, 
Typhus-,  Pest-,  Coli-,  Heubazillen-,  Staphylokokken-,  Pneumokokken-, 
Tuberkulosetieren  aggressive  Erfolge  erzielten  bzw.  zu  erzielen  ver- 
meinten. .  Für  viele  gewann  dadurch  erst  die  Aggressintheorie  Leben, 
und  zwar  ausschließlich  in  der  ihr  von  B  a  i  1  gegebenen  Form,  nach  der 
die  Angriffsstoffe  in  erster  Linie  dort  zu  finden  sein  müßten,  wo  die 
infektiösen  Bakterien  in  der  Lage  wären,  die  Abwehrkräfte  der  tierischen 
Körper  zu  überwinden,  d.  h.  in  den  Exsudaten  der  Infektionsstelle 
oder  im  Falle  der  Septizämie  im  Blut,  femer  im  wesentlichen  dadurch 
wirkten,  daß  sie  die  Phagozytose  hemmten,  und  schließlich  durch  Bil- 
dung von  Antia^ressinen  die  eigentliche  Ursache  der  Immunität  ab- 
gäben. Nach  B  a  i  1  wäre  sogar  bei  septizämischen  Krankheiten  die 
Behandlung  mit  tierischen  Aggressinen  die  sicherste  oder  einzig  brauch- 
bare Art  der  Immunisierung.  Das  Vorkommen  von  Angriffsstoffen 
im  infizierten  Tiere  ist  im  übrigen  eine  alte  Erfahrung  (s.  o.  Fehl- 
eisen,  Roger,  Bauer)  und  die  Angaben  der  B  a  i  1  sehen  Schule 
sind  später  vielfach  bestätigt  bzw.  erweitert  worden,  so  von  Was- 
sermann     und      Citron'),       Dörr®),       Sauerbeck®), 


1)  Antilysinen  oder  An tiaggr essinen. 

2)  Krankheitserregung  in  Flügges  Mikroorg.  3.  Aufl.  1.  409  und 
413,   1896. 

3)  Wien.  med.  Presse  1 899  (nach  Deutsch  und  Feistmantel. 
Impfstoffe  und  Sera  1903.) 

4)  Arch.  f.  Hyg.  44. 

5)  Deutsch,  med.  Woch.  1902.  13.  Ver.-Beil.  S.  99:  Über  „lokale 
Toxine". 

6)  Zahlreiche  Arbeiten  in  Zentr.  Bakt.  36;  40;  42,  Arch.  f.  Hyp. 
52  imd  ff.;  Wien.  klin.  Woch.  1905  und  1906.  Vgl.  deren  ausführliche  kri- 
tische Bearbeitung  bei  Sauerbeck  in  Ergebn.  allg.  Path.  v,  L u - 
bar8ch-Ostertag,ll.  J.   1.  Abt.  S.  806,   1907. 

7)  Deutsch,  med.  Woch.   1905.  28. 

8)  Wien.  klin.  Woch.    1905.   42;   1906.  25;  Zentr.  Bakt.  41,  1906. 

9)  Zeitschr.  f.  Hyg.  56,   1907. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1025 

Friese^),  Ballner  ^),  Nieter®),  Levy  und  Bach- 
mann*),  Jürgens^),  Bürgers  und  H  ö  s  c  h  •).  In  einigen 
der  von  B  a  i  1  studierten  Fälle  hat  freilich  Sauerbeck'')  mit 
Recht  den  Beweis  einer  eigentlichen  Aggressinwirkung  in  den  Ex- 
sudaten, d.  h.  eine  Steigerung  des  Bakterienwachstums  durch  sie 
vermißt  und  —  namentlich  bei  den  Staphylokokken-  und  Tuberkulose- 
versuchen —  die  Beschleunigung  nach  erwiesener  Erkrankung  auf 
die  Giftigkeit  der  Exsudate  zurückgeführt  (vgl.  §  321  ff.). 
Wahrscheinlich  gilt  diese  Erklärung  auch  für  manche  der  älteren  An- 
gaben namentlich  der  französischen  Forscher  über  begünstigende 
Wirkungen  von  Kulturfiltraten.  Gar  nicht  so  selten  fehlen  ferner 
die  aggressiven  Leistungen  der  Exsudate  bei  Infektionen,  wo  man 
sie  sonst  findet  (Bürgers  und  Hösch,  Huntemüller®)) 
und  bei  anderen,  wo  man  sie  erwarten  sollte  (Pfeiffer  und  H  e  1  - 
I e r ®)).  Man  kann  also  nicht  zugeben,  daß  gerade 
die  Exsudate  eine  so  ideale  Fundstelle  der  An- 
griffsstoffe seien,  wie  Ba.il  es  hingestellt  hatte. 
Auf  der  anderen  Seite  ist  das  Vorkommen  von  Aggressinen  in  den 
Kulturfiltraten  und  den  Bakterienleibern  aus  künstlichen  Kulturen 
durch  die  zahlreichen  älteren  Versuche  (s.  o.)  und  die  neueren  von 
Wassermann  imd  seinen  Mitarbeitern  C  i  t  r  o  n  ^®)  und  P  üt  z  ^*), 
femer  von  Dörr,  Sauerbeck,  Friese,  Ballner,  Levy 
und  Fornet  ^^),  Levy  imd  Gr  a  n  s  t  r  ö  m -W  osk  o  b  oi  n  o - 
nikow^^),Flexner^*),Turr6^^),  Simoncini  und  Pino^®), 
L  i  v  i  e  r  a  t  o  ^'') ,    P  r  e  i  s  z  ^®) ,    B  a  i  P®)    und    seinen  Mitarbeitern 

1)  Arch.  f.  Hyg.   60. 

2)  Zentr.  Bakt.  42.  343. 

3)  Zeitschr.    f.    Hyg.    56,    1907,     Streptokokkenexsudate. 

4)  Zentr.  Bakt.  43.  47,  1907,  Schweinepest-  und  Milzbrandblutserum. 

5)  Z.   experim.    Path.    3.   249,   Filtrat  von   Pneumokokkensputum. 

6)  Zeitschr.  f.  Immunitätsforschung  2,   1909. 

7)  Vgl.  Anm.  6  auf  voriger  Seite. 

8)  Zentr.  Bakt.   42.   170  (Hühnercholera). 

9)  Ref.  Zentr.  Bakt.   38  Beiheft  21   (Metschnikoff- Vibrionen). 

10)  a.  a.  O.  und  Zentr.  Bakt.  40,  41  und  43.    Zeitschr.  f.  Hyg.  52  und 
ö3,   1905  und    1906. 

11)  Ebenda  56. 

12)  Deutsch,   med.  Woch.    1906.   26,  Typhus,   Parat>i>hus. 

13)  Zentr.   Bakt.  45.   360,   1907,  Pyocyaneus  und  Proteus. 

14)  Ebenda  43,   1901,  Meningokokken. 

15)  See.  biol.  25,  I.   1908. 

16)  Baumgartens    Jahresber.    1904.    896,    Prodigiosus. 

17)  Zentr.   Bakt.   43.    134,    1907,  Influenza. 

18)  Ebenda  44,    1908,   Agressine  aus  Milzbrandkapseln  dargestellt. 

19)  Wien.  klin.  Woch.   1906.  43,  Milzbrandextrakte. 
Kruse,  Mikrobiologie.  65 


1026  Kap.  XAai,   §  319. 

Weil  und  A  x  a  m  i  t  ^) ,  schließlicli  von  P  a  n  e  und  L  o  1 1  i  *) , 
Bürgers  und  H  ö  s  c  h  ^) ,  J  e  ß  n  e  r  *)  so  sicher,  und  zwar  nicht 
nur  für  alle  von  B  a  i  1  studierten  Erreger,  sondern  auch  für  manche 
andere*)  bewiesen  worden,  daß  kein  Zweifel  daran  möglich  ist.  Ja, 
namentlich  die  letzten  drei  in  meinem  Laboratorium  ausgeführten 
Arbeiten  haben  gezeigt,  daß  die  „K ulturaggressine"  in  vie- 
len Fällen  unvergleichlich  mehr  und  beständiger 
wirksam  sind  als  die  tierischen.  Genügt  doch  z.  B.  ein 
durch  zweistündige  ErUtzimg  auf  60 — 65®  und  gründliches  Aus- 
schleudern gewonnenes  „Kochsalzaggressin"  einer  frischen  Agar- 
kultur  von  Buhrbazillen,  um  den  1000.  Teil  der  sonst  infektiösen  Gabe 
dieser  Bakterien  in  der  Bauchhöhle  von  Meerschweinchen  zum  üp- 
pigen Wachstum  zu  bringen,  und  wirkt  doch  noch  der  20.  Teil  dieser 
Extraktmenge  ebenso  auf  die  halbe  sonst  infektiöse  Gabe.  Ähnlich 
liegen  die  Verhältnisse  bei  Pseudodysenterie,  Typhus,  Cholera  usw. 

Die  energischen  Leistungen  der  künstlichen  Aggressine  ermutigten 
uns  daher,  die  für  die  Erklärung  der  Virulenz  grundlegende  Frage 
nach  den  Unterschieden  dör  Aggressinerzeugung  bei  Bakterien  un- 
gleicher Virulenz  experimentell  in  Angriff  zu  nehmen.  In  der  Tat 
gelang  es  H  ö  s  c  h  und  Bürgers  sowie  J  e  ß  n  e  r ,  nachzuweisen, 
daß  Ruhr-  und  Cholerabazillen,  die  hohe  Virulenz 
gegenüber  dem  Meerschweinchen  besitzen,  weit 
reichlichere  Aggressine  ergeben,  als  abge- 
schwächte Bakterien  derselben  Art.  Ebenso 
zeigten  sich  virulente  Pse  udo  dys  enter  i  e  bazil- 
len  mit  stärkeren  Aggressinen  begabt,  als 
schwach  virulente. 

Damit  schien  eine  der  Hauptgrimdlagen  für  unsere  Aggressin-  bzw. 
Infektionstheorie  geliefert  zu  sein.  Nicht  überall  liegen  allerdingB  die 
Dinge  so  klar,  nach  H  ö  s  c  h  luid  Bürgers  waren  wenigstens  die  Koch- 
salzaggressino  ,, tierisch  er",  d.  h.  unmittelbar  dem  Tierkörper  entnommener 
und  daher  virulenter  Typhusbazillen  .ebenso  wie  ihre  abgetöteten  Leiber 
(,, seßhafte"  Aggressine)  eher  etwas  weniger  aggressiv,  als  die  abgeschwächten 
Typhusbazillen  aus  Kulturen.  Das  ändert  natürlich  nichts  an  der  Tatsache, 
daß  die  Kulturaggressino  auch  bei  den  Typhusbazillen  sehr  energisch 
wirken,  sondern  macht  uns  nur  Vorsicht  zur  Pflicht,  wenn  wir  die  Bedeut^ing 
der  darstellbaren  Aggressine  für  die  Virulenz  beurteilen  wollen  (vgl.  §  328). 

i)  Berl.  klin.  Woch.   1906.  53. 

2)  Zentr.  Bakt.  43,  1907  außer  Ruhr,  auch  Typhus,  Cholera  und 
Pseudodysenterie. 

3)  a.  a.  O.  Cholera. 

4)  Königsbergor  mediz.  Dissert.   1911. 

5)  Vgl.  o.  die  Anmerkimgen;  die  aggressive  Wirkung  der  Diphtherie- 
erzeugnisse gegenüber  Diphtheriebazillen  (C  i  t  r  o  n)  wird  von  Salus 
(Arch.  f.  Hyg.  60)  bestritten. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1027 

Man  könnte  auf  den  ersten  Blick  geneigt  sein,  den  Umstand,  daß 
man  gerade  die  besten  Erfolge  mit  künstlichen,  nicht  mit  tierischen 
oder  „natürlichen"  Aggressinen  erhält,  in  dem  Sinne  zu  verwerten,  daß 
man  die  ersteren  Stoffe  für  reine  Kunstprodukte  erklärt,  die  für  die  Vor- 
gange im  lebenden  Körper  keine  Bedeutung  hätten.  Die  Vorzüge  der  künst- 
lichen Aggreesine  können  aber  kaum  wundernehmen,  wenn  wir  bedenken, 
daß  die  im  lebenden  Körper  abgesonderten  Aggr essine  vielfach  teils  auf- 
gesogen, teils  an  Ort  und  Stelle  von  den  Abwehrstoffen  des  Tieres  neu- 
tralisiert werden  müssen.  Übrigens  haben  wir  auch  bei  den  Enzymen 
öfter  die  Erscheinung,  daß  sie  nicht  bloß  da,  wo  sie  nötig  sind,  sondern 
auch  bei  anderer  Gelegenheit  gebildet  werden,  (S.  775)  und  auch  bei  den 
Bakterien  giften  machen  wir  die  Erfahrimg,  daß  sie  durchaus  nicht 
immer  am  Orte  der  Infektion  am  leichtesten  nachweisbar   sind  (S.   867). 

Mit  Hilfe  der  kräftigen  künstlichen  Aggressine  läßt  sich  nun  auch 
die  Frage  nach  der  Spezifizität  der  Aggressinwirkungen  sicherer  be- 
bntworten  als  mit  den  tierischen  Aggressinen,  deren  Spezifizität  B  a  i  1 
aehauptet,  Dörr,  Sauerbeck  u.  a.  aber  geleugnet  haben.  P  a  n  e 
und  Lotti,  Bürgers  und  Hösch  sowie  Jeßner  zeigten  durch 
Versuche  am  Tier,  bei  denen  nicht  bloß  die  Aggressinmengen  und 
infizierenden  Gaben  genau  abgestuft,  sondern  auch  die  Veränderimgen 
der  Bakterienzahl  im  Tier  möglichst  während  des  ganzen  Verlaufes 
der  Infektion  festgestellt  wurden,  daß  die  Aggressine  unzwei- 
felhaft in  gewissen  Grenzen  spezifisch  wirken, 
daneben  aber  auch  eine  Beeinflussung  der  Er- 
reger durch  fremde  Aggressine  oft  genug  vor- 
kommt. So  wirkt  das  Ruhraggressin  am  stärksten  infektionsbe- 
günstigend  auf  Euhrbazillen,  etwas  schwächer  auf  Pseudodysenterie- 
und  Typhusbazillen,  sehr  viel  schwächer  auf  Cholerabazillen  und  Sta- 
phylokokken; das  Typhusaggressin  sehr  stark  auf  die  eigenen  Bazillen, 
aber  nur  schwach  auf  Ruhr-  und  Cholerabazillen,  das  Choleraaggressin 
beiweitem  am  stärksten  auf  die  eigenen  Bakterien.  Die  nicht  spezi- 
fischen Leistungen  der  Aggressine  können  uns  in  keiner  Weise  in  Er- 
staunen setzen,  da  wir  seit  lange  nach  den  bei  Misch-  und  Sekundär- 
infektionen  gemachten  Erfahrungen  wissen,  daß  sich  Infektionen  gegen- 
seitig unterstützen.  Über  die  Begrenzung  der  Aggressinwirkungen 
nach  Ort  und  Zeit  werden  wir  bei  Besprechung  ihrer  „defensiven" 
Leistungen  sprechen  (S.  1072  u.  1075). 

Auch  sonst  hat  die  „Aggressintheorie"  Balls  vor  der  Ivritik  nicht 
standgehalten.  So  ist  die  immunsierende  Leistung  gegenüber  Hühner- 
cholera, Schweineseuche  und  Schweinepest  nach  Wassermann,  Ci- 
tren und  Pütz  bei  den  künstlichen  Bakterienauszügen  keine  geringere 
als  bei  den  natürlichen  Angriffsstoffen,  namentlich  wenn  man  die  Aiiszüge 
nait  Blutserum  statt  mit  Wasser  herstellt.  Vielleicht  gilt  das  gleiche  für 
die  Immunisierimg  gegen  Milzbrand.  SchließUch  ist  auch  die  Axiffassimg 
der  Ball  sehen  Schule,  daß  die  Angriffsstoffe  der  Bakterien  im  wesent- 

65* 


1028  Kap.  XVII,   §  319  u.  320. 

liehen  gegen  die  Phagozyten  gerichtet  seien,  nur  eine  Wiederholung  der 
älteren  französischen  Lehre  (S.  1023),   die  auch  noch  kurz  vor  Bail  von 
Deutsch  und  Feistmantel  (S.  1031)  in  etwas  veränderter  Form  auf- 
genonimen  war,  und  wird  wie  diese  den  Tatsachen  nicht  gerecht  (Bürgers 
und  Hösch  s.  u.)-     Man  wird  freilich  jetzt  nach  der  Entwicklung,  die 
unsere  Kenntnisse  im  letzten  Jahrzehnt  genommen  haben,  zugeben  müssen. 
daß  die  Phagozytose  von  der  deutschen  Schule  und  so  auch  von  mir  ur- 
sprünglich in  ihrer   Bedeutung   als   Abwehrmittel   erheblich   unterschätzt 
worden  ist.    So  habe  ich  jetzt  selbstverständlich  allen  Anlaß,  von  vornherein 
den  Angriffsstoffen  auch  die  Rolle  zuzuschreiben,  die  Freßtätigkeit  zu  be- 
kämpfen.    Es  geschieht  da.s  aber,  wie  die  Untersuchungen  von  Bürgers 
und  Hösch  gezeigt  haben  ( §  322),  in  erster  Linie  nicht  durch  unmittel- 
bare Beeinflussung  der  Freßzellen  selbst,  sondern  auch  wieder  auf  „hunio- 
ralem**  Wege,  d.  h.  mittelbar  durch  Neutralisierung  der   die  Phagozytose 
anregenden   Schutzstoffe,   der   Opsonine.     Im   übrigen  bestehen,   wie  wir 
gleich  sehen  werden,  noch  manche  Unklarheiten  über  die  Wirkungen  der 
Angriffsstoffe,  auch  je  nach  der  Art  der  Infektionserreger  erhebliche  Ver- 
schiedenheiten.    Natürlich  kann  man  für  die  Aggressine  ebenso  wie  für 
Gifte  und  Enzyme  die  Frage  stellen,  ob  sie  als  Sekrete  der  lebenden  Mi- 
krobien  oder  als  Leibesbestandteile,  die  erst  bei  dem  Zerfall  frei  werden, 
anzusehen  seien.     Wir  legen  in  dem  einen  wie  in  dem  anderen  Falle  kein 
maßgebendes  Gewicht  auf  die  Beantwortung  dieser  Frage,  um  so  weniger, 
da  sie  f€«t  unüberwindlichen  Schwierigkeiten  begegnet.    Unter  Verweisung 
auf  das  früher  bei  Enzymen  und  Giften  Gesagte  (§  240,   §  272)  möchten 
wir  hier  nur  betonen,  daß  die  zeitweise  oder  vollständige  Auflösung  bzw. 
Vemichtimg  von  Einzelindividuen  sich  mit  der  Nützlichkeit  der  Angriffs- 
stoffe für  d€W  Leben  der  Art  ganz  gut  verträgt;  die  zugrunde  gehenden 
Individuen  dienen  eben  gewissermaßen  als  „Kanonenfutter"  im  Kampfe 
der  Kleinwesen  ums  Dasein,  sie  verringern  durch  ihren  Tod  die  Wider- 
stände im  Tierkörper  und  ermöglichen  den  nicht  zerfallenden  Indi\iduen 
das  Überleben  und  Wachstum. 

§  320.  Darstellung  und  Eigenschaften  der  Aggressine^). 
Es  müßte  jetzt  unsere  Aufgabe  sein,  die  Darstellung  der  Angriffastoffe 
und  ihrer  Eigenschaften  in  derselben  ausführlichen  Weise  zu  besprechen, 
wie  wir  es  seinerzeit  für  die  Mikrobiengifte  getan  haben.  Leider  sind 
unsere  Kenntnisse  in  dieser  Beziehung  aber  noch  nicht  vollständig 
genug.  Am  besten  bekannt  sind  durch  die  Arbeiten  meines  Labora- 
toriums die  Dysenterieaggressine.  Nach  P  a  n  e  imd  Lotti,  Bür- 
gers und  Hösch  widerstehen  die  in  der  S.  1026  angegebenen  Weise 
aus  den  jungen  Bazillenleibern  dargestellten  ,,Koch8alzaggTessine" 
dem  Kochen,  wenn  sie  auch  etwa  die  Hälfte  ihrer  Wirksamkeit  ver- 
lieren. Vermutlich  verhalten  sich  die  meisten  Kulturaggressine  ebenso, 
allerdings  soll  schon  Erhitzen  der  sporenhaltigen  Tetanus-  und  Ödem- 
kulturen auf  65 — 80°  deren  Infektiosität  vernichten  (s.  o.  V  a  i  1 1  a  r  d 
und  Vincent,  Besson).  Die  tierischen  Aggressine  würden  da- 
gegen nach  Bail  schon  durch  niedrigere  Temperaturen   unwirksam 

1)  Über  nicht  bakterieUer  Aggressine  b.   S.   1031  u.   1052. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1029 

werden.  Ob  diese  scheinbare  Empfindlichkeit  nicht  bloß  auf  der  ver- 
hältnismäßig schwachen  Leistungsfähigkeit  dieser  Stoffe,  d.  h.  auf  ihrer 
Verdünnung  oder  auf  der  Fällungen  ausgesetzten  eiweißreichen  Lösung, 
in  der  sie  sich  befinden,  beruht,  muß  dahingestellt  bleiben;  nach  Bür- 
gers und  H  ö  s  c  h  schienen  bei  65^  nicht  bloß  die  Exsudataggres- 
sine^),  sondern  ebenso  die  durch  einstündiges  Ausziehen  der  Eultur- 
bazillen  mit  frischem  oder  auf  55 — 65®  erhitztem  Blutserum  bei  37® 
und  Ausschleudern  erhaltenen  „Serumaggressine"'  und  die  durch 
Ausschleudern  einer  eintägigen  Bouillonkultur  gewonnenen  Bouillon- 
aggressine  ihre  Aggressivität  einzubüßen.  Sie  ist  aber  von  vorn- 
herein 100  mal  schwächer  als  die  der  „Kochsalzaggressine*^ 

Auch  gegen  andere  schädigende  Einflüsse,  wie  z.  B.  Tr3rpsin- 
verdauung,  sind  die  Kochsalzaggressine  widerstandsfähig  (Bürgers), 
ebenso  halten  sie  längeren  Aufenthalt  bei  37®  (mit  Chloroform)  ganz 
gut  aus.  Eochsalzaggressin  bleibt  im  trockenen  Zustande  monatelang 
wirksam.  —  Etwas  schwächer  aggressiv  als  die  bei  höheren  Temperaturen 
hergestellten  Bakterienauszüge  wirken  die  durch  24 — ^28  stündiges 
Ausschütteln  bei  20®  gewonnenen  ,,Schüttelaggre8sine";  dagegen 
ist  die  Aggressivität  von  „BouiUonaggressinen"  (Filtraten  oder  Zentri- 
fugaten)  aus  alten  Kulturen  stärker  als  die  aus  frischen,  da  die  in  den 
Leibern  enthaltenen  Aggressine  daraus  allmähUch  in  Freiheit  gesetzt 
werden. 

Die  Lösung  der  Kulturaggressine  aus  den  Bazillen  braucht  übrigens 
nicht  im  Reagensglas,  sondern  kann  auch  erst  im  Tierkörper  erfolgen, 
denn  durch  Chloroform  oder  Erhitzen  abgetötete  Leiber  von  Dy- 
senterie-, Cholerabazillen  u§w.  besitzen  ebenfalls  Angriffsvermögen, 
büßen  dasselbe  aber  größtenteils  durch  Ausziehen  mit  Kochsalzlösung 
bei  hoher  Temperatur  ein  (P  a  n  e  und  L  o  1 1  i  ^)). 

Über  die  chemische  Natur  der  Aggressine  läßt  sich  bisher  ebenso- 
wenig Sicheres  aussagen,  wie  über  die  der  Leibesgifte,  mit  denen  sie  ihrer 
Darstellung  und  ihren  Eigenschaften  nach  viel  Ähnlichkeit  haben  (§280). 
Wenn  sie  Eiweißstoffe^)  wären,  müßten  sie  doch  solche  besonderer  Art 


1)  Auch  diese  werden  am  besten  nach  Verdünnung  mit  gleichen 
Teilen  Kochsalzlösung  durch  gründliches  Ausschleudern  und  Sterilisieren 
durch  Chloroform  dargestellt. 

2)  Von  Bürgers  später  nicht  bestätigt. 

3)  Nach  de  B  1  a  s  i  (Annali  d'igiene  1907.  253)  soll  das  tierische 
Coliaggressin  hauptsächlich  enthalten  sein  in  den  Album infraktionen, 
^cht  oder  in  geringem  Maße  in  den  Ulobulinfraktionen.  De  W  a  e  1  e 
(Zentr.  Bakt.  44.  360,  1907)  unterscheidet  zwei  Arten  von  tierischem 
Tyj)hu8aggroBsin :  d&a  eine  soll  nicht  dialysierbar  sein  und  bei  ö8°  zerstört 
werden,  das  andere  die  entgegengesetzte  Eigenschaft  besitzen.  Bestätigun- 
gen bleiben  abzuwarten. 


1030  Kap.  XVn,   §  320  u.  321. 

sein,  denn  das  Bakterieneiweiß  an  sich,  das  sich  ja  auf  ähnliche  Weise 
wie  das  Eochsalzaggressin  aus  den  Bakterienleibeni  gewinnen  läßt, 
ist  durchaus  nicht  immer,  jedenfalls  lange  nicht  in  dem  Grade  aggressiv, 
wie  das  oben  beschriebene  der  virulenten  Dysenterie-,  Pseudodysen- 
terie-,  Typhus-,  Cholerabazillen.  Das  zeigt  in  schönster  Weise  schon 
der  Vergleich  mit  weniger  infektiösen  Bakterien  derselben  Art;  so 
besaßen,  wie  wir  oben  (S.  1026)  sahen,  der  Eochsalzextrakt 
stark  abgeschwächter  Ruhr-,  Pseudoruhr-  und 
Cholerabazillen  trotz  gleichen  Eiweißgehaltes 
viel  geringeres  Angriffsvermögen  als  der  virulenter 
Eeime  (Bürgers  imd  Hösch,  Jeßner). 

Näher  studiert  zu  werden  verdient  das  Verhalten  der  g  r  a  m  p  o  s  i  - 
tiven  Bakterien.  In  unseren  bisher  freilich  nur  spärlichen  Ver- 
suchen mit  Staphylokokken,  Diphtherie-  und  Milzbrandbazillen  erwiesen 
sie  sich  wenig  oder  gar  nicht  wirksam.  Hangt  das  etwa  damit  zusammen, 
daß  sich  aus  diesen  Bakterien  bei  der  angegebenen  Behandlung  nur  wenig 
Stoffe  lösen  (vgl.  Endotoxine  S.  915)  luid  kann  man  sie  durch  eingreifendere 
oder  anders  geartete  Verfahren  gewinnen  7  Sind  die  Aggressine  in  diesen 
Bakterien  etwa  nur  in  den  Leibern  enthalten ?  An  sich  wäre  es 
ja  möglich,  daß  die  Aggressine  vielfach  ausschließlich  „seßhaft"  wären  ( §  328). 
Oder  werden  schließlich  die  Aggressine,  wie  anscheinend  manche  Gifte 
und  Impfstoffe  wirklich,  wie  B  a  i  1  annahm,  mir  im  Tierkörper  gebildet 
und  unmittelbar  nach  ihrer  Bildung  neutralisiert,  so  daß  sie  für  uns  schwer 
nachweisbar  werden  ?    Alles  das  sind  Fragen,  die  noch  zu  beantworten  sind. 

Natürlich  gilt  das  oben  über  die  Widerstandsfähigkeit  der  Aggressine 
Gesagte  nur  von  den  bisher  bekannten  Aggressinen.  Es  wäre  sehr  möglich, 
daß  andere,  z.  B.  die  noch  luibekannten  der  Protozoen,  viel  empfindlicher 
wären  gegen  unsere  Eingriffe.  Die  Schwierigkeit,  aus  diesen  Organismen 
Impfstoffe  zu  gewinnen  (§  333),  scheint  dafür  zu  sprechen. 

§  321.  Aggressivität  und  Giftigkeit.  Wir  kommen  jetzt  zu 
der  Erklärung  der  Aggressinwirkimgen.  Schon  Wyssokowitsch 
und  ein  Teil  der  älteren  französischen  Forscher  (Vaillard  und 
Vincent)  wollen  sie  mit  den  Giftwirkungen  identifizieren,  die  letzt«- 
ren  freilich  mehr  in  dem  Sinne,  daß  sie,  wie  es  später  Deutsch 
ausdrücklich  tat,  eine  besondere  Giftigkeit  für  die  Phagozjrten  an- 
nahmen; Dörr  (a.  a.  0.),  A.  W  o  1  f  f  ^) ,  S  a  u  e  r  b  e  c  k  (a.  a.  0.) 
und  bis  zu  einem  gewissen  Grade  auch  Eisenberg*)  erklären  die 
Aggressine  ausdrücklich  für  identisch  mit  den  allgemeinen  Giften  der 
Bakterien,  A.  W  o  1  f  f  im  besonderen  mit  den  Endotoxinen  oder  Leibes- 
giften. Sie  berufen  sich  dabei  auf  die  Giftigkeit  der  Aggressinlösungen, 
die  allerdings  unzweifelhaft  bis  zu  einem  gewissen  Grade  besteht,  und 


1)  Münch.  med.  Woch.  1906.  5;  Zentr.  Bakt.  Refer.  38.  641  und  737, 
1906. 

2)  Zentr.  Bakt.  45.  649  ff.,  1907. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1031 

auf  die  aggressive  Wirkung  nicht  spezifischer  Oifte,  die  eine  alte  Er- 
{ahnmg  sei  (vgl.  Infektionslehre).    Für  manche  in  der  Literatur  nieder- 
gelegten Fälle  mögen  diese  Beziehungen  der  sog.  Aggressinwirkimgen 
zu  den  Giften  wirklich  zutreffen.    Es  fehlte  eben  in  den  betreffenden 
Versuchen,  wie  wir  mit  Sauer beck  hervorheben  müssen  (S.  1025), 
das  Hauptmerkmal  der  Aggressivität,  die  Steigerung  des  Bakterien- 
wachstums,  und  man  hat  sich  durch  den  Tod  der  Versuchstiere  ver- 
leiten lassen,  eine  Beförderung  der  Infektion  anzunehmen.     Es  soll 
femer  nicht  geleugnet  werden,  daß  manche  allgemeine  und  örtliche 
Gifte  wie  Chloral,  Chloroform,  Äther,  Alkohol,  Opium,  Kurare,  Karbol 
säure,  Milchsäure,  Krotonöl  usw.  diese  oder  jene  Infektion  begünstigen 
können.    In  jedem  einzelnen  Falle  muß  aber  der  Beweis  geliefert  wer- 
den, daß  das  wirklich  geschieht.    Denn  für  alle  Infektionen  gilt  diese 
Aggressivität  der  Gifte  keineswegs  (s.  u.).     Andererseits  haben  schon 
Bouchard,  Courmont,  Bail  usw.  erkannt,  daß  die  Giftig- 
keit der  Kulturen  und  tierischen  Aggressine  im  allgemeinen  viel  zu 
gering  ist,  um  ihre  starke  Aggressivität  zu  erklären,  und  ich  selbst 
habe  seit  meinen  ersten  Arbeiten  immer  wieder  betont,  daß  für  das 
Verständnis  der  Infektionserscheinungen  nichts  wichtiger  ist,  als  die 
begriffliche  Scheidimg  der  Giftigkeit  und  Infektiosität  der  Krankheits- 
erreger.    Ich  verweise  auf  die  Ausführungen  an  anderen  Stellen  (§51, 
257  u.  268)  dieses  Buches,  die  dafür  zeugen,  daß  die  Giftigkeitder 
Bakterien  derRegelnachgeradezuim  umgekehr- 
ten Verhältnis  zu  ihrem  Wachstumsvermögen  im 
Tier  kör  per  st  eht ,   und   der   W  i  derst  an  d  der  Ti  e  r  e 
gegen  die  Infektionsgifte  nichts  zu  tun  hat  mit 
denWachstumswiderständen  undAbwehrkräften 
gegenüber  den    lebenden  Keimen.     Der  Charakter   der 
Infektiosität  besteht  darin,  diese  letzteren  Widerstände  zu  überwinden, 
das  vermögen  jene  Gifte  vielleicht  dadurch,  daß  sie  Organe,  die  zu  der 
Neubildung  der  Ab  Wehrkräfte  in  Beziehung  stehen,   schädigen   (vgl. 
Immunitätslehre).     Wenn  wir  andererseits  nachweisen  können,  daß  die 
Aggressine  die  Abwehrkräfte  des  Körpers  selbst,  die  Alexine,  Opsonine, 
Freßzellen  usw.  schädigen  oder  lähmen,  haben  wir  ihre  Wirkung  erklärt, 
ganz  gleichgültig,  ob  sie  daneben  noch  giftig  sind  oder  nicht.     Das 
ist  in  der  Tat  der  Fall,  wie  wir  gleich  sehen  werden.    Aber  es  ist  auch 
leicht,  ganz  unmittelbar  zu  beweisen,  daß  die  Giftigkeit  nur 
eine  zufällige  Eigenschaft  der  Aggressine  ist,  daß 
die  Gifte  den  letzteren  also  vermöge  ihrer  Darstellungsweise  nur  bei- 
gemischt sind.     Bakterielle  und  andere   Stoffe   besitzen  nämlich  in 
vielen  Fällen  eine  hervorragende  Giftigkeit,   d.  h.   sie  töten  schnell, 
ohne  eine   Spur  von  Aggressivität  zu   zeigen.     Zahlreiche   Beispiele 


1032  Kap.  XVII,  §  321  u.   322. 

dafür,  daß  die  Bakterienextrakte  in  Gaben,  die  durch  „Endotoxin- 
wirkung"  schnell  tödlich  sind,  andere  als  die  zugehörigen  Bakterien 
nicht  zum  Wachstum  bringen,  finden  sich  in  den  Arbeiten  von  P  a  n  e 
und  Lotti,  Bürgers  und  Hösch,  Jeßner.  Diese  Forscher 
sahen  femer  nicht  die  Spur  einer  aggressiven  Wirkung  auf  Ruhrba- 
zillen, wenn  sie  tödliche  Gaben  zentrifugierter  Diphtheriebouillon  oder 
Alkohol,  Opiumtinktur,  Krotonöl,  Milchsäure  in  die  Bauchhöhle  ein- 
spritzten, während  schon  der  zwanzigste  bis  vierzigste  Teil  der  töd- 
lichen Gabe  des  Ruhrbazillenextraktes,  bei  dem  von  einer  Giftwirkung 
nicht  das  geringtse  mehr  zu  merken  war,  dennoch  deutlich  die  Infektion 
begünstigte.  Der  sicherste  Beweis  der  Verschiedenheit  von  Giftig- 
keit und  Aggressivität  wird  aber  durch  die  ebenfalls  von  uns  bewiesene 
Tatsache  geliefert,  daß  die  Aggressivität  des  Ruhrba- 
z  i  1  le  ne  xt  r  akt  e  s  durch  Ruhrserum  völlig  aufge- 
hoben werden  kann,  während  die  Giftigkeit  be- 
stehen bleibt.  Das  Immimserum  bindet  eben  die  Angriffs- 
stoffe, nicht  die  leicht  löslichen  Endotoxine  (s.  u.  und  S.  949). 

Ebensowenig    wie  allgemeine   Giftwirkimgen  für  das  Wachstum 
der  Infektionserreger  im  Tierkörper  verantwortUch  zu  machen  sind, 
kann  man  etwa  sagen,  daß  die  Aggressine  dadurch  wirken,  daß  sie 
örtlichen  Gewebstod,    Nekrose    erzeugen.     Erstens  feh- 
len derartige  Wirkungen   bei   den  allermeisten  Infektionen  wie  bei 
den  Aggressinversuchen,  zweitens  erscheint  die  Nekrose  da,  wo  sie  auf- 
tritt, durchaus  nicht  einfach  am  Orte  lebhaftesten  Bakterienwachstums, 
ja  das   Gegenteil  ist,  soweit  wenigstens  die  Infektionserreger  selbst 
in  Betracht  kommen,  der  Fall,  so  daß  man  z.  B.  die  Verkäsung  der 
Tuberkel  geradezu  als  eine  Veränderung  betrachten  könnte,  die  den 
Tuberkelbazillen  schädlich  ist  (§  332).  Nur  an  der  Oberfläche  des  Körpers, 
wo  Fäulnisbakterien   herantreten   können,   kann  ein  Wachstami  der- 
selben in  abgestorbenen  Gewebsteilen  stattfinden,  ohne  daß  aber  auch 
hier  wieder  den  ursprünglichen  Infektionserregern  ein  Vorteil  daraus 
erwüchse.     Soweit  die  Fäulniserreger  selbst  Krankheitserreger  sind, 
machen  sie  vielleicht  eine  Ausnahme  von  der  Regel,  so  z.  B.  Spieß- 
bazillen und  Spirochäten  bei  der  Vincent-Plaut sehen  Angina, 
der  N  o  m  a    und    Hospitalgangrän    und  die  Bazillen  beim 
brandigen  Emphysem.     Wir  kommen  in  der  Infektionslehre  darauf 
zurück. 

In  manchen  Fällen,  namentlich  bei  Streptokokken  und  Staphylo- 
kokken, hat  man  schließlich  Beziehungen  zwischen  der  blutkörper- 
zerstörenden,  hämolytischen  Wirkung  und  ihrer  Virulenz  feststellen 
können  (§312).  Indessen  haben  sie,  abgesehen  von  ihrer  mangel- 
haften Beständigkeit,  mehr  ein  praktisch  diagnostisches  als  ein  wissen- 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1033 

schaftliches  Interesse,  weil  man  nicht  einsieht,  wie  die  Lösung  roter 
Blutkörper  die  Wachstnmswiderstände  im  Tier  beseitigen  soU^). 

§  322.  Wirkung  der  Angriffsstoff e  auf  Leukozyten,  Pha- 
gozyten und  Opsonine.  Wenn  die  Aggressine  nicht  mit  den  Wir- 
iomgen  der  allgemeinen  oder  nekrotisierenden  oder  hämolytischen 
Gifte  zusammenfallen,  so  könnten  sie  doch  auf  bestimmte  Zellen, 
z.  B.  auf  die  für  die  Abwehrleistungen  des  Körpers  so  wichtigen  Leuko- 
zyten und  Phagozyten  giftig  wirken.  In  der  Tat  haben  na- 
mentlich Deutsch  und  Feistmantel  ^)  diese  „leukoziden" 
Wirkungen  der  infektiösen  Bakterien  betont,  ja  sie  geradezu  als  Ursache 
der  Infektiosität  hingestellt^).  Daß  leukozide  Eigenschaften  man- 
chen Bakterien  zukommen,  haben  wir  §  317  gesehen,  dort  aber 
auch  schon  darauf  hingewiesen,  daß  es  von  vornherein  zweifelhaft  sein 
kann,  ob  die  Leukozidine  für  ihre  Erzeuger  Nutzen  oder  Schaden 
bringen.  Nun  haben  zwar  N  e  i  ß  e  r  und  Wechsb.erg,  Rü- 
diger, Eisenberg  geglaubt,  einen  gewissen  Zusammenhang 
zwischen  Leukozidinerzeugung  und  Virulenz  bei  Staphylo-  und  Strepto- 
kokken, Rauschbrand-  und  Odembazillen  feststellen  zu  können.  Der- 
selbe besteht  aber  nicht  regelmäßig  genug  imd  nicht  gegenüber  allen 
Tierarten.  Schon  der  Entdecker  des  besonders  wirksamen  Staphylo- 
kokkenleukozidins,  van  de  Velde*),  hat  die  maßgebende  Be- 
deutung desselben  für  die  Virulenz  durch  die  Beobachtimg  in  Frage 
gestellt,  daß  virulente  und  abgeschwächte  Kokken  es  in  gleicher  Menge 
erzeugen.  B  a  i  1  ^)  hat  weiter  nachgewiesen,  daß  die  Zerstörung  der 
Exsudatleukozyten  durch  das  Leukozidin  geradezu  bakterizide  Schutz- 
stoffe aus  diesen  in  Freiheit  setzt.  Auf  der  anderen  Seite  haben  wir 
gezeigt,  daß  die  kräftigen  Ruhr-  imd  Typhusaggressine  keine  deutlich 
leukoziden  Eigenschaften  besitzen.  Man  kann  auch  nicht  sagen,  daß 
die  Befunde  im  infizierten  Tier  selbst  im  allgemeinen  für  eine 
zerstörende  Wirkimg  der  virulenten  Bakterien  auf  die  Leukozyten 
sprächen.  So  sieht  man  die  Leukozyten  z.  B.  bei  zum  Tode  führenden 
Milzbrand-,  Hühnercholera- und  Streptokokkeninfektionen  in  der  Bauch- 
höhle oft  im  engsten  Nebeneinander  mit  den  Erregem  wohl  erhalten. 

1)  Nuttall,  Buchner,  Schattenfroli,  Wauters 
haben  schon  früher,  wir  selbst  in  den  letzten  Jahren  eher  eine  schädliche 
Wirkung  der  Erythrozytenauflösung  auf  die  Abwelirstoffe  der  Körpersäfto 
beobachtet.  Allein  Heim  (Münch.  med.  Woch.  1901,  18)  will  eine  ge- 
wisse bakterizide  Wirkung  der  roten  Blutkörperchen  gesehen  haben,  wenn 
or  sie  längere  Zeit  in  Bouillon  wirken  ließ. 

2)  Impfstoffe  und  Sera,   1903  S.   17. 

3)  Vgl.   auch   Eisenberg,   Zentr.   Bakt.    45.    65  ff.    Lit. 

4)  Cellule  10.  2,   1894. 

5)  Berlin,  klin.  Woch.   1898.  921  u.  Arch.  Hyg.  32. 


1034  Kap.  XVII,   §  322. 

Danach  kann  die  Fälligkeit,  Leukozyten  zu  töten,  wohl  im  Kampfe 
der  Erreger  gegen  die  Abwehrkräfte  des  Tieres  bestenfalls  nur  eine 
nebensächliche  Rolle  spielen.  Man  könnte  sich  aber  die  Wirkung 
der  Aggressine  auf  die  Phagozyten  mit  den  älteren  französischen  For- 
schem auf  andere  Weise  erklären,  nämlich  mit  Bouchard,  Vail- 
1  a r d  und  Vincent,  Besson  durch  ihre  „negativ  chemotak- 
tischen" Eigenschaften  gegenüber  den  Leukozyten  (Phagozyten),  wo- 
zu dann  noch  eine  derartige  Beeinflussung  der  Grefäße  käme,  daß  die 
Auswanderung  der  Leukozyten  verhindert  würde^),  oder  mit  Mas- 
sart imd  B  o  r  d  e  t  2)  durch  die  Vorstellung,  daß  die  Aggressine 
eine  Durchtränkung  des  Körpers  mit  „positiv  chemotaktischen'^  Stoffea 
bewirkten,  die  eine  Wirkung  der  an  der  Infektionsstelle  neugebildeten 
chemotaktischen  Stoffe  dadurch  verhinderten.  Diese  letzte  Deutung 
läßt  sich  nun  freilich  nicht  festhalten  angesichts  der  Tatsache,  daß 
die  Aggressine  nicht  bloß  wirken,  wenn  sie  in  die  Blut  bahn  imd  das 
Bakterium  an  irgendeiner  Stelle  des  Körpers  eingeführt  werden,  sondern 
gerade  dann  besonders  kräftig  sind,  wenn  sie  an  gleicher 
Stelle  wirken.  Dennoch  hat  diese  Theorie  später  in  etwas  anderer 
Form  namentlich  in  W  e  r  i  g  o  ^)  und  jüngst  noch  in  Neufeld*) 
und  Centanni^)  Anhänger  gefunden.  Sie  glauben  nämlich  das  Aus- 
bleiben der  Phagozyten  einfach  dadurch  erklären  zu  können,  daß  sie 
in  solchen  Fällen  das  Fehlen  positiv  chemotaktischer  Einflüsse  anneh- 
men. Wir  kommen  auf  diese  Theorie,  die  sich  in  dieser  allgemeinen 
Form  mit  dem  Vorkommen  von  Aggressinen  nicht  verträgt,  später  zu- 
rück und  sprechen  hier  zuerst  von  der  Bouchard  sehen  Theorie, 
die  im  wesentlichen  nur  noch  von  Metschnikoff,  dem  Ent- 
decker und  ausdauernden  Apostel  der  Phagozytentheorie,  B  a  i  I  u.  a. 
vertreten  zu  sein  scheint,  obwohl  man  bei  diesen  Forschem  vergebens 
nach  einer  so  scharfen  Formulierung  sucht,  wie  sie  von  Bouchard 
gegeben  worden  ist.  Wir  halten  uns  im  folgenden  hauptsächUch  an 
unsere  eigenen  Beobachtungen.  Leicht  festzustellen  ist  —  allerdings 
vorwiegend  durch  Versuche  mit  den  kräftigen  Kulturaggressinen  — . 
daß  sie  eine  ausschließUch  seröse  Entzündung,  keine  Zuwanderung 
von  Leukozyten  bewirken,  daß  sie  femer  in  einem  leukozytenreichen 


1)  S.  bei  Bouchard  a.  a.  O.,  Charrin  und  Gley,  Arch. 
physiol.  Ch.  1890  und  1891,  Charrin  und  Gamaleia,  Soc.  biol. 
5.  VII.   1890. 

2)  Annal.  Pasteur  1891. 

3)  Ebenda  1894.  Arch.  inM.  exp^rim.  1898  und  1901;  vgl.  Infektions- 
lehre. 

4)  Arbeit.   Gesundheitsamt  27.  414,   1907. 

5)  Zeitschr.  physiol.  Chem.  55,   1908. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1035 

Exsudat  der  Bauchhöhle  die  Exsudatzellen  auf  den  Wänden  nieder- 
schlagen. Der  Mechanismus  dieser  Leistungen  ist  aber  keineswegs 
aufgeklärt  (§  280).  Die  (Jefäße  haben  sehr  wahrscheinlich  einen  wich- 
tigen Anteil  daran,  aber  kaum  in  dem  Sinne,  wie  Bouchard  ihn 
angenommen  hat  (vgl.  M  a  s  s  a  r  t  und  B  o  r  d  e  t).  Ebensowenig  ist 
mit  Sicherheit  die  oft  gemachte  Beobachtimg,  daß  die  Leukozyten- 
zuwanderung  zu  einem  Infektionsherd,  namentlich  in  einem  gefäßlosen 
Gewebe,  wie  in  der  Hornhaut,  in  einem  gewissen  Abstand  zum  Still- 
stand gebracht  wird,  zu  verwerten.  Wenn  wir  hier  von  negativ  chemo- 
taktischen (besser  leukotaktischen)  Einflüssen  sprechen  könnten,  so 
würde  doch  der  Umstand,  daß  andere  Stoffe,  wie  die  oben 
schon  genannten  Gifte  (Alkohol,  Krotonöl,  Milchsäure)  ähnliche  s  e  - 
rose  Entzündungen  erzeugen,  ohne  im  allgemei- 
nen aggressiv  zu  sein  (Bürgers  und  H  ö  s  c  h  ^)),  gegen 
ihre  Bedeutung  für  die  Erklärung  der  Aggressivität  sprechen.  Es 
macht  den  Eindruck,  als  ob  die  negative  Leukotaxis  eher  eine  Eigen- 
schaft von  besonderen  den  Aggressinen  beigemengten  Stoffen  sei,  da 
sie  durch  Immunserum  nicht  aufgehoben  wird,  wohl  aber  die  Aggres- 
sivität. Immerhin  soll  diesen  Stoffen,  die  nicht  bloß  mit  den  Endo- 
toxinen,  sondern  auch  mit  den  komplement  bindenden  (§  325)  in 
Beziehung  gebracht  werden  könnten,  nicht  immer  jede  Bedeutimg 
für  die  Aggressinwirkung,  namentlich  die  nicht  spezifische,  abge- 
sprochen werden. 

Auf  den  richtigen  Weg  geführt  werden  wir  aber  erst,  wenn  wir 
als  das  Wesentliche  der  Aggressinwirkung  gegenüber  den  Phagozyten 
nicht  annehmen  das  Ausbleiben  der  Leukozyten-  bzw.  Phagozyten- 
zuwanderung,  die  negative  Chemo-  oder  Leukotaxis,  sondern  das 
Ausbleiben  der  Phagozytose  selbst  in  Gegenwart 
der  Phagozyten,  also,  wie  wir  sagen  möchten,  die  „negative  Phago- 
taxis".  Eine  solche  läßt  sich  nach  den  von  mir  oder  unter  meinen 
Augen  ausgeführten  Untersuchungen  (P  a  n  e  und  Lotti^),Hösch 
und  Bürgers,  Jeßner)  nicht  nur  in  der  mit  Leukozyten  an- 
gereicherten Bauchhöhle  von  Tieren,  sondern  auch  in  Eeagensglas- 
versuchen  bei  den  verschiedensten  Infektionen  beobachten  und  ent- 
spricht auch'den  sonst  in  der  Literatur  bei  allen  möglichen  Infektionen 
gemachten  Befunden  (vgl.  Immunitätslehre).  Sie  ist  bei  den  infek- 
tiösen Bakterien  (abgesehen  von  den  Tuberkelbazillen)  so  sehr  die  Regel, 
daß  man  darauf  geradezu  ein  Prüfungsverfahren  zur  Feststellung  der 


1)  Merkwürdig   genug    ist    diese  Tatsache,    zumal    die   betreffenden 
Exsudate  nach  unserer  Erfahrung  jeder  bakterziden  Wirkung  entbehren. 

2)  a.    a.   O.   und  Nuovi  studi  sulla  infezione  peritoneale  in  Annali 
d'igiene  1907. 


1036  Kap.  XVII,   §  322. 

Virulenz  im  Reagensglas  begründen  kann^).  Für  die  Erklärung  der 
negativen  Fhagotaxis  steht  tuis  freilich  nur  eine  begrenzte  Zahl  von 
Arbeiten  zur  Verfügung.  Nach  unseren  eigenen  Versuchen,  die  die 
Aggressine  namentlich  in  Ruhr-,  Typhus-  und  Cholerabazillen  be- 
treffen, besteht  kaum  ein  Zweifel  daran,  daß  diese  ihre  negative 
Fhagotaxis  durch  die  Neutralisierung  der  Opsonine  des  Körpers,  d.  h. 
ihre  an  ti  o  psonische  Wirkung  erlangen.  Da  wir  gefunden 
haben,  daß  die  Aggressine  abgeschwächter  Ruhr-  und  Cholerabazillen 
viel  weniger  wirken,  als  die  virulenter,  und  daß  der  Wirkung  Spe- 
zifität innewohnt,  glauben  wir  in  dem  Grade  der  antiopso- 
nischen Leistungen  einen  wesentlichen  Faktor 
der  Virulenz  erblicken  zu  dürfen.  Dabei  soll  es  un- 
entschieden bleiben,  ob  die  Neutralisierung  der  Opsonine  vorwiegend 
durch  die  nach  außen  abgegebenen  oder  die  im  Bakterienleibe  vor- 
handenen „seßhaften"  Aggressine  bewerkstelligt  wird.  Der  Mechanis- 
mus bestände  in  jedem  Falle  in  der  AblenkungderOpsonine 
von  den  Stellen  der  Bakterienleiber,  von  denen 
aussiedieletzterenzurPhagozytosevorbereiten 
oder,  wie  man  vielleicht  sagen  darf,  die  positiv  phagotaktischen  Stoffe 
erzeugen  (s.  u.),  und  zwar  in  einer  Ablenkung  durch  Bindung  der  Op- 
sonine. Eine  Verstärkung  der  Bindekraft  für  Opso- 
nine wäre  also  hier  die  Voraussetzung  der  hohen 
Virulenz.  Es  fragt  sich,  ob  dieses  Verhältnis  auch  im  allgemeinen 
nachgewiesen  ist.  Nur  ziemlich  wenige  Fälle  sind  bisher  untersucht 
worden,  aber  nicht  immer  mit  demselben  Ergebnis. 

In  erster  Linie  ist  zu  gedenken  der  von  einem  anderen  Gesichtspunkt 
aus,  nämlich  zum  Studium  der  Opsonine  selbst  ausgeführten  .»Absättigungs- 
vorsuche"  opsonischen  Serums  mit  Bakterien.  Daß  sie  nicht  mit  lebenden 
Bakterien  ausgeführt  worden  sind,  ist  wohl  kein  Grund,  sie  nicht  für  unsere 
Zwecke  zu  verwerten,  da  sich  in  vielen  Fällen  seit  den  ersten  Mitteilungen 
von  D  e  n  y  s  und  Marchand  herausgestellt  hat,  daß,  was  die  Freß- 
barkeit  anlangt^),  kein  wesentlicher  Unterschied  indem 
Verhalten  abgetöteter  und  lebender  Keime  gegen  die 
T*hagozyten  besteht.  Was  nun  die  Ergebnisse  der  Absättigung  normalen 
Senuns  mit  verschiedenen  Bakterienarten  angeht,  so  glaubt  die  W  r  i  g  h  t  - 
sehe  Schule,  der  wir  die  ersten  Mitteilungen  darüber  verdanken,  und  na- 
mentlich B  u  1 1  o  c  h  imd  Western')  an  die  Spezifizität  der  Binde- 
kraft für  Opsonine,  indem  die  Behandlimg  eines  Normalsemms  mit  Sta- 
phylokokken, PyocyaneiLS  oder  Tuberkelbazillen  dem  Senun  nur  die  ()ps<>- 


1 )  Vgl.    Bürgers,    Über  Virulenzbestimmiuig   der  Streptokokken 
Zentr.   Gynäk.    1910,   18. 

2)  Anders  steht  es  mit  der  Auflös-  imd  Färbbarkeit  der  lebenden 
imd  toten  Bakterien  nach  dem  Fressen  (vgl.   S.   33). 

3)  Proceed.   Roy.  soc.   78. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1037 

nine  für  die  betreffenden  Arten  raubt.  Auch  R  o  s  e  n  o  w  ^)  sah  ähnliches 
eintreten,  wenn  er  namentlich  Blutserum  mit  Pneumo-,  Strepto-  oder 
Staphylokokken  absättigte  und  dann  das  opsonische  Vermögen  gegen 
die^e  Bakterien  und  Tubelkelbazillen  prüfte.  Sehr  häufig  verursachte 
zwar  die  Absättigung  einen  gewissen  Verlxist  der  opsonischen  Kraft,  aber 
einen  vollständigen  nur  in  dem  Falle,  wenn  die  gleichartigen  Bakterien 
zur  Absättigung  benutzt  wurden.  Ebenso  schließt  Bürgers  *)  aus 
steinen  Versuchen  an  mütterlichem  tind  fötalem  Serum  auf  Spezifität  der 
Op.sonine  gegen  Ruhrbazillen  und  Streptokokken.  An  diesen  Ergebnissen 
wird  dadurch  nichts  geändert,  daß  andere  Forscher  solche  Unterschiede 
nicht  beobachteten  (Simon,  Lamar  imd  Bispham,  York  und 
Smith,  Murri  und  Martin  usw. ).  Bei  den  mindestens  nahe  ver- 
wandten Alexinen  ( §  323)  beobachtet  man  ebenfalls  die  Erscheinung,  daß 
t*:«  bei  solchen  Versuchen  auf  die  genaue  Berücksichtigung  der  quantitativen 
Verhältnisse  ankommt,  indem  offenbar  größte  Bakterienmengen  das 
Vermögen  besitzen,  sämtliche  normale  Schutzstoffe  dem  Blutserum 
zu  entziehen.  Bei  den  Immunopsoninen  (Tropinen)  ist  dagegen  die  Spezi- 
fität der  Bindung  ebenso  anerkannt,  wie  bei  den  Immunlysinen  (§324). 
Wir  gehen  darauf  nicht  weiter  ein,  ebensowenig  auf  die  nähere  Erklärung 
der  Bindung  der  normalen  Opsonine  bzw.  auf  ihre  von  manchen  Seiten  ver- 
mutete Zusammensetzung  aus  Normaltropin  (auch  Präparin,  Hilfskörper, 
Aktivator  genannt)  und  eigentlichem  Opsonin  oder  Komplement,  da  diese 
Dinge  in  die  Immunitätslehre  gehören'). 

Aus  diesen  Erfahrungen  folgt  zunächst  nur  das  Vorhandensein 
spezifischer  und  nichtspezifischer  opsoninbindender  Stoffe  in  zahl- 
reichen Bakterien,  aber  noch  nicht,  ob  die  Beziehungen  derselben  zur 
Virulenz  dieselben  sind,  wie  in  den  von  uns  selbst  studierten  Fällen. 
Daß  das  Verhältnis  auch  ein  anderes  sein  könnte,  geht  anscheinend 
aus  einigen  Untersuchungen  hervor,  die  freilich  nur  im  Reagensglas 
vorgenommen  worden  und  nicht  eindeutig  sind. 

Auch  aus  virulenten  Pneumokokken  stellten  nämlich  H  o  s  e  n  o  w 
(a.  a.  O.)  ,  Tschistowitsch  und  Jourewitsch  *)  eine  die  Phago- 
zytose hindernde  aggressive  Substanz  dar,  die  sie  aber  ,,Virulin"  bzw. 
..Antiphagin**  nennen,  und  deren  Wirkung  sie  in  anderer  Weise  erklären. 
Nach  R  o  s  e  n  o  w  sollten  die  virulenten  Kokken  nicht  phagozytabel  sein 
und  das  Opsonin  gar  nicht  binden,  die  abgeschwächten  stark  binden  und 
gefressen  werden.  Nach  Ausziehen  des  Virulins  gewännen  aber  die  viru- 
lenten die  Bindekraft  der  avirulenten  und  würden  jetzt  gefressen,  während 
<lie  abgeschwächten  Kokken  nach  Behandlung  mit  Virulin  die  Bindekraft 
und  Phagozytierbarkeit  verlören.  Ebenso  konnten  Tschistowitsch 
und  Jourewitsch  die  virulenten  Pneimiokokken  durch  Ausziehen 
des  Antiphagins  phagozytabel  machen.  Damit  wäre  die  Bildtmg  ne- 
gativ   phagotaktischer    Stoffe,    die    gewissermaßen    durch 

1)  Joum.  of  inf.  disee^s.   1907. 

2)  Zeitschr.  Immunitätsf.  5.  651,  1910. 

3)  Vgl.  dazu  Grub  er,  Zentr.  Bakt.  Refer.  44  Beil.  S.  2  ff.,  1909 
und  Bürgers  a.  a.  O.  (Anm.   2). 

4)  Annal.  Pasteur  1908. 


1038  Kap.  XVn,   §  322. 

,, Verstopfung"  der  opsoninbindenden  Gruppe  der  Bakterienleiber  wirkten, 
alsoeinzweiterMechanisniusderAggressinwirkun;: 
bewiesen,  der  natürlich  nur  den  Normalopsoninen,  nicht  den  Inununopso- 
ninen  gegenüber  Gültigkeit  besäße.    Leider  hat  Z  a  d  e  ^)  in  meinem  Labo- 
ratorium diese  Ergebnisse  nicht  bestätigen  können.    Es  gelang  ihm  weder, 
virulente    Pneumokokken    phagozytabel    zu   machen,    noch   die    Freßbar- 
keit  avirulenter  durch  Behandlung   mit   einem   nach   K  o  s  e  n  o  w   herg«^ 
stellten  Extrakt  oder  Zugabe  desselben  zum  Serum  zu  verringern*).    Eben- 
sowenig glückte  es  uns,  ^, kapseltragende"  Milzbrandbazillen  durch  griüid- 
liches  Ausziehen  bei   höheren  und  niederen  Temperaturen  ihrer   Wider- 
standsfähigkeit   gegenüber    den    Phagozyten,    also    ihrer    negativ    phago- 
taktischen   Stoffe  zu  berauben  (Bürgers  und  Hö.^ch).      Bürgert« 
bestätigte  auch  nicht  die  Angaben  von  Weil  und  T  s  u  d  a  '),    nach  der 
d€us  Ausbleiben  der  Phagozytose  von  Huhrbazillen  unter  dem  Einfluß  tie- 
rischer    Aggressine    auf    einer     Beeinflussung    der    Bazilleii 
selbst,   nicht  a\if  einer  antiopsonischen  Wirkung  beruhen  soUte.     Ir. 
vielen   Fällen  gelingt   es  dagegen,   die  Kapseln,   die ,   wie  wir  imten 
sehen   werden,   für   das   Ausbleiben  der   Phagozytose  bei   den   virulenten 
Bakterien   verantwortlich   zu   machen  sind,    durch   Züchtung   auf   küiL^t- 
Uchen  Nährböden  mehr  oder  weniger  schnell  zu  entfernen  und  dadurch 
die  Bakterien  abzuschw^ächen.     Beim  Milzbrand  war  es  schon  bekannt, 
ebenso  bei   vielen    Stämmen  von   Pneumokokken,   daß  sie  schon  in  den 
ersten  Kultiu'generationen  auf  den  gewöhnlichen  Nährböden  ihre  Kapseln 
verlieren,  dabei  erheblich  an  Virulenz  einbüßen  \md  phagozytabel  werden. 
H  o  r  i  u  c  h  i  hat  in  Grubers*)  Laboratorium  ähnliches  bei  Tetragenus- 
kokken beobachtet,  wenn  er  sie  einige  Tage  auf  „vorgetrocknetem"  Agar 
züchtete.    Ferner  soll  nach  G  r  u  b  e  r  imd  O  k  u  b  o  die  Pyocyanase  inner- 
halb und  außerhalb  des  Tierkörpers  die  Milzbrandbazillen  ihrer  Kajwehi 
berauben.     Es  scheint  freilich,  als  ob  sie  dadurch  nicht  ilu'e  Widerstands- 
fähigkeit gegen  die  Phagozyten  verlieren,  denn  wenigst<;ns  im  Tier  sollen 
sie  sämtlich   extrazellulär  zugrunde  gehen. 

Ist  somit  über  den  Mechanismus  der  negativen  Fhagotaxis  keine 
vollständige  Klarheit  erzielt,  so  ist  doch  das  Vorkommen  negativ 
phagotaktischer  Stoffe,  also  nach  \mserer  Benennimg  von  Aggressinen 
mit  solchem  Vermögen  wahrscheinlich.  Wir  könnten  also  die  auf  der 
Ablehnung  besonderer  negativ  phagotaktischer  Stoffe  fußende  Theorie 
von  M  a  s  s  a  r  t  und  Bordet,  Werigo,  Neufeld  und  C  e  n  • 
t  a  n  n  i  (s.  o.  S.  1034)  auf  sich  beruhen  lassen,  wenn  sie  nicht  eine  Mög- 
lichkeit beträfe,  die  an  sich  denkbar  wäre,  und  wenn  C  e  n  t  a  n  n  i  nicht 


1)  Zeitschr.  f.  Immunitätöforschung  2,  1909.  Die  von  Preisz 
behauptete  aggressive  Wirkvmg  der  Kapselsubstanz  wurde  nicht  geprüft, 
ebensowenig  das  Bindungsvermögen  für  Opsonin  (s.  aber  unten  §  323). 

2)  Vgl.  unten  Centannis  Arbeit.  Nach  Nunokawa  (Zeitsehr. 
f.  Immunitätsforschg.  3,  1909)  henmat  tierisches  Pneiunokokkenaggressin 
das  Herantreten  des  Bakteriotropins  an  die  Kokken.  Das  Aggressin  wirkt 
also   wohl  unmittelbar  antiopsonisch  bzw.   antitropisch. 

3)  Berl.  klin.  Woch.   1907.   33. 

4)  S.  vor.   S.  Anm.  3. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1039 

den  Versuch  gemacht  hätte,  einen  unmittelbaren  Beweis  für  diese 
Auffassimg  zu  liefern.  Nach  ihm,  wie  übrigens  auch  nach  N  e  u  - 
f  e  1  d  8  rein  theoretischer  Voraussetzung,  sollen  die  normalen  und 
Immunopsonine  zunächst  aus  den  Bakterien  positiv  chemotaktische 
Stoffe  frei  machen.  Mit  diesem  Gedanken  könnte  man  sich  allenfalls 
befreunden,  obwohl  unseres  Erachtens  die  Annahme  näher  liegt,  daß 
die  Opsonine  die  negativ  phagotaktischen  Stoffe  der  Mikrobien  neu- 
tralisieren tmd  dadurch  die  daneben  vorhandenen  positiv  phagotak- 
tischen zur  Geltung  gelangen  lassen.  C  e  n  t  a  n  n  i  geht  nim  aber 
noch  weiter  und  betrachtet  die  Verbindung  der  Opsonine  (o)  mit  den 
..opsoniphilen"  Gruppen^)  (e)  der  Bakterienkörper  als  die  eigentlichen 
positiv  phagotaktischen  Stoffe  oder  „Chemotropine"  (o  e^)). 

Er   glaubt    das   erstens   dadurch  beweisen   zu   können,   daß    Pneumo- 
kokken,  die  mit  Opsonin  beladen  und  dann  mit  Wasser  kräftig  ausge- 
waschen worden  sind,  sich  schwer  opsonisierbar  und  ebenso  schlecht  freß- 
bar  zeigen,  ohne  doch  abgestorben  zu  sein.     Wir  wollen  beides  nicht  be- 
streiten,  da  wir  den  Versuch  nicht  nachgemacht  haben,   aber  Z  a  d  e  s 
Erfahrung  (s.  o.),  daß  die  Pneumokokken  durch  das  wiederholte  Ausziehen 
sehr  an  Färbbarkeit  verlieren,  läßt  uns  vorläufig  an  dem  Ergebnis  C  e  n  - 
t  a  n  n  i  8  zweifeln,  um  so  mehr,  da  von  ihm  die  naheliegende  Virulenz- 
prüfung unterlassen  worden  ist ;  man  sollte  doch  annehmen,  daß  die  Kokken 
durch  den  Verlust  ihrer  Phagozytierbarkeit  virulenter  würden.     Die  Wirk- 
samkeit seiner  durch  Auswaschen  erhaltenen  Chemo tropinverbinduiig  sucht 
Centanni    dann    durch    den    bekannten    chemotaktischen    Röhrchen- 
versuch zu  stützen.    Wir  haben  früher  gesehen,  wie  wenig  zuverlässig  der- 
artige Versuche  sind  (S.  911).     Von  seinem  Standpunkt  aus  erklärt  Cen- 
tanni das  Ausbleiben  der  Phagozytose  unter  natürlichen  Bedingungen 
(d.  h.  doch  wohl  bei  höchster  Virulenz  der  Kokken)  durch  verschiedene 
Hilf  sannahmen.     Entweder  soll  sich  das  unter  dem  Einfluß  der  Opsonin- 
wirkung  abgestoßene  Chemotropin  in  so  reichHchen  Mengen  in  der  Flüssig- 
keit cmsammeln,  daß  es  die  Leukozyten  von  den  Bakterien    ablenkt, 
oder  die   Leukozyten  werden  durch  die  Aufnahme  von  Chemotropin    mit 
diesem    übersättigt     und   dadurch    vorübergehend    ihres    Freß Ver- 
mögens    beraubt,    oder      es     werden     drittens    die     Opsonine     durch 
freiwillige    Ausscheidung     der     opsoniphilen     Sub- 
i^tanz,  wie  sie  in  den  Kulturfiltraten  erfolgen  soll, 
außerhalb  der   Zellen  abgelenkt.      Eine  letzte  Möglichkeit, 
die  Verstopfung  {,,Stomosierung")  der  opsoniphilen  Gruppen  durch  „Opso- 
noide"  wäre   nach  Centanni  noch  nicht  nachgewiesen.    Uns  scheint, 


1)  Diese  Gruppen  e  sollen  Bestandteile  der  äußeren  Leiberschicht 
der  Bakterien  sein,  daher  die  Opsonine  auch  als  ,,Esolysine**  den  Bakterio- 
lysinen  oder  Endolysinon  gegenübergestellt  werden.  Auch  nach  unserer 
Auffassung  sind  die  negativ  phagotaktischen  Stoffe,  soweit  sie  nicht  nach 
außen  abgesondert  werden,  gerade  in  der  äußeren  Bakterienschicht,  der 
., Kapsel'*,  angesammelt. 

2)  Centanni  identifiziert  sie,  wie  schon  der  Name  besagt,  mit 
den  leukozytenanlockenden  sog.  chemotaktischen  Stoffen. 


1040  Kap.  XVII,  §  322  u.  323. 

daß  dieser  Nachweis  auch  für  die  übrigen  Möglichkeiten  noch  nicht  ge- 
lungen ist.  Die  Vielgestaltigkeit  des  von  Centanni  entworfenen  Bilde%s 
dctö  übrigens  im  auffälligen  Gegensatz  zu  den  Befunden  von  R  o  s  e  n  o  w , 
Tschistowitsch  und  Jourewitsch  und  Z  a  d  e  bei  derselben 
Bakterienart  steht,  wird  noch  dadurch  vermehrt,  daß  es  auch  neben  den 
durch  Opsonine  erst  zu  Chemotropinen  ergänzten  Stoffen  noch  „unab- 
hängige" Chemotropine  (k)  geben  soll,  die  freiwillige  Phagozytose  bewirken. 
Sicher  ist  allerdings  auch  nach  Z  a  d  e  s  Beobachtungen,  daß  manche, 
übrigens  ganz  avirulente  Rassen  von  Pneumokokken  durch  Leuko- 
zyten allein  —  bei  Ausschluß  von  Serum  —  reichlich  gefressen  werden. 

Bis  auf  weiteres  möchten  wir  die  Erklärung  für  diese  und  ähnliche 
Fälle  von  freiwilliger  („s  p  o  n  t  a  n  e  r")  Phagozytosebei 
schwach  odergarnicht  virulenten  Bakterien  darin 
sehen,  daß  bei  ihnen  die  positiv  phagotaktischen  Stoffe  die  negativ 
phagotaktisclien  weit  überwiegen,  so  daß  die  letzteren  gar  nicht  erst 
durch  Opsonine  ausgeschaltet  zu  werden  brauchen.    Bekanntlich  findet 
sich  freiwillige  Phagozytose  aber  auch  selbst  bei  hochinfektiösen  Bak- 
terien und  Pilzen,  wie  z.  B.  Milzbrand-  und  Pestbazillen^).    Hier  änden 
sich  aber  das  Verhalten  sofort,  sobald  diese  Bakterien  kurze  Zeit  mit 
Körperflüssigkeiten,  namentlich  Blutserum«),  in  Beriihrung  kommen:  sie 
werden  für  die  Phagozyten  unangreifbar.     Da  sie  gleichzeitig  eine 
leicht  sichtbare  schleimige  Hülle,  eine  sog.  Kapsel  ausbilden,  ist  es 
kein  Wunder,  daß  man  diese  mit  der  negativen  Phagotaxis  in  Ver- 
bindung gebracht  hat  und  nur  folgerichtig,  daß  ¥rir  die  Kapseln 
für  den  Sitz  der  unter  dem  Einfluß  des  Tierkörpers 
ausgebildeten  Aggressine  ansehen  (s.  o.  S.  1036).  Da- 
mit stimmt  überein,  daß  abgeschwächte  Milzbrandbazillen  nach  Gru- 
be r  und  Futaki,  Preisz*)  und  unseren  eigenen  Erfahrungen 
die  Fähigkeit  der  Kapselbildung  in  weit  geringerem  Grade  besitzen. 
Daß  die  Kapseln  freilich  nicht  immer  mit  der  höheren  Virulenz 
zusammenhängen,  folgt  aus  ihrer  Entwicklung  bei  vielen  saprophr- 
tischen  Bakterien    (s.    u.    Schleimgärung    §   128)    und   bei   den  von 
D  a  n  y  s  z  an  Rattenserum  angepaßten  Milzbrandbazillen  (s.  u.  S.1(M4). 
vor  allem  aber  daraus,  daß  dieKapselauchdievirulenten 
Bakterien    nicht    schützt    gegen    die    Freßzellen 
der   natürlich   immunen    Tiere.     Wahrscheinlich  ist  die 
Kapsel  nur  die  Grundlage  für  die  von  uns  angenommenen  spezifischen 
Angriffsstoffe  und  wirkt  darum  nur  gegenüber  denjenigen  Abwehr- 


1)  Vgl.     Lit.     bei    Eisenberg,     Zentr.     Bakt.     45.     148,    W, 
Fischöder  ebenda  51.  342,   1909. 

2)  Die  näheren  Bedingungen  hat  namentlich   B  a  i  1    (Zentr.   Bakt. 
46.   148,   1907)  studiert  (vgl.  oben   §  4). 

3)  Zentr.  Bakt.  47.  685;  49.   341,   1909. 


Angriffs-,  Reiz-  uud  Impfstoffe.  1041 

kraften,  auf  die  jene  eingestellt  sind^).  In  anderen  Fällen  fehlen 
eigentliche  Kapseln,  die  an  den  tierischen  Körper  besser  angepaßten, 
von  B  a  i  1  sog.  „tierischen"  Bakterien  zeichnen  sich  aber  durch  eine 
erheblichere  Größe  aus,  was  vielleicht  auf  eine  kräftigere  Ausbildung 
des  ,,Ektoplasmas'^  beruht*).  Allzuviel  Wert  möchten  wir  auf  diese 
und  andere  morphologische  Eigenheiten  (s.  auch  die 
Kömerbildung  §329)  der  virulenten  Kleinwesen  nicht  legen, 
da  sie  doch  zu  unbeständig  imd  vieldeutig  sind.  Die  Hauptsache 
ist  für  uns,  daß  der  Zunahme  der  Virulenz  bei  einem 
und  demselben  Mi  kr  ob  i  en  s  t  am  me  im  allgemei- 
nen einer  Abnahme  der  Phagozytierbarkeit  ent- 
spricht und  umgekehrt,  und  daß  die  Veränderung  dieser 
Eigenschaften  durch  verschiedene  Einflüsse,  die  wir  in  der  Infektions- 
lehre ausführlicher  besprechen  werden,  bewirkt  werden  kann.  Wir 
halten  es  für  einen  Vorzug  unserer  Aggressintheorie,  daß  sie  diese 
Veränderlichkeit  ebenso  erklärt,  wie  die  Enzymtheorie  die  Variabilität 
der  Stoffwechselvorgänge  (vgl.  §  328—330). 

§  323.  Antibakterizide  Wirkung  der  Angriffsstoffe.  Außer 
den  Freßzellen  verfügt  der  lebende  Körper  noch  über  andere  Schutz- 
mittel gegenüber  den  infektiösen  Mikrobien^).  Die  sog.  Alexine  des 
Blutserums  und  der  Exsudate  sind  unter  ihnen  am  besten  bekannt. 
Daß  die  Angriffsstoffe  der  Bakterien,  wie  es  unsere  Theorie  verlangt, 
imstande  sind,  die  bakterizide  Wirkung  der  Alexine,  imd  zwar  in 
spezifischer  Weise,  zu  neutralisieren,  ist  durch  zahlreiche  Erfahrungen 
bewiesen.  Die  ersten  erfolgreichen  Versuche  im  Reagensglas  sind  von 
mir  und  Bonaduce*)  angestellt  worden  (S.  1023). 

1)  S.  Abschnitt  über  Schutzmittel  gegen  Gifte  (§  57).  Bail  und 
Fischöder  wollen  dagegen  in  den  Kapseln  eine  I^ankheitserscheinung 
sehen.  Auf  den  Namen  kommt  es  nicht  an,  sondern  nur  auf  die  Wirkung 
der  Kapseln.  Was  die  Widerstandsfäliigkeit  der  bekapselten  Milzbrand- 
bazillen gegen  Serumalexine  (§  323)  angeht,  so  scheint  nach  den  gründHclien 
Untersuchungen  Fischöders  klar  zu  sein,  daß  die  Kapsel  an  sich  sie  noch 
nicht  bedingt,  die  negative  Phagotaxis  der  Kapselbazillen  ist  dagegen  eine 
Tatsache,  die  auch  durch  Fischöder  nicht  umgestoßen  werden  kann. 

2)  S.  bei  Eisenberg  a.  a.  O.  und  §  4. 

3)  Von  den  sog.  Leukinen  luid  Plakinen,  den  Absondenmgen  bzw. 
Leibesbestandteilen  der  Leukozyten  und  Bluti)lättchen  (vgl.  Infekt ions- 
und  Immunitätslehre)  wird  im  folgenden  nicht  gesprochen,  weil  wir  über 
sie  noch  zu  wenig  Sicheres  wissen.  Sollten  sie  sich  als  wichtige  Ab- 
wehrstoffe herausstellen,  so  zweifeln  wir  nicht,  daß  die  Aggressine  auch 
als  „Antileukine"  bzw.  ,,Antiplakine"  wirken.  Auch  die  noch  gar  nicht 
faßbaren  schädlichen  Einflüsse,  die  von  den  Epithelien  aiLsgehen 
und  für  die  Immunität  der  Schleimhäute  von  Bedeutung  zu  sein  scheinen, 
müssen  wir  hier  beiseite  lassen. 

4)  Ziegl.   Beitr.    12.   367,   1892. 

Kruse,  Mikrobiologie.  06 


1042  Kap.  XVII,   §  323, 

Geringe  Mengen  Milzbrandbazillen,  die  allein  in  Kaninchen- 
serum  eingesät,  abgetötet  wurden,  wuchsen  üppig  darin,  sobald  gleich- 
zeitig tote  Bazillen  zugesetzt  wurden.  Daß  es  sich  hierbei  um  eine  spezi- 
fische Wirkung  handele,  schloß  ich^)  damals  aus  einem  älteren,  nicht  weiter 
verfolgten  Versuch  N  i  s  s  e  n  s  ■).  Hier  hatte  nach  Einspritzung  größerer 
Mengen  des  Coccus  aquatilis  in  den  Blutstrom  das  defibrinierte 
Blut  seine  keimvernichtende  Eigenschaft  gegenüber  den  letzteren  Bak- 
terien verloren,  nicht  gegenüber  den  Cholerabazillen,  nach  Ein- 
spritzung der  Cholerabazillen  wieder  nin*  sein  Vemichtungsvermögen  gegen 
diese.  Auch  die  Beobachtung  Flügges*),  daß  in  den  letzten  Stadien 
einer  Infektion  mit  Milzbrand  die  keimtötende  Wirkung  des  Blutes  gegen- 
über den  Milzbrandbazillen  verschwände,  deutete  ich  in  demselben  Sinne. 
B  a  8  t  i  n  *)  wiederholte  den  Versuch  N  i  s  s  e  n  s  mit  Staphylokok- 
ken und  B.  aerogenes,  fand  auch,  daß  die  Alexine  nach  der  Ein- 
spritzung verschwanden,  aber  gleichzeitig,  daß  diese  beiden  Bakterien- 
arten sich  ohne  Änderung  der  Ergebnisse  gegenseitig  vertreten  könnten. 
Ebenso  meint  Vandevelde^),  allerdings  nur  auf  Grund  eines  einzigen 
Versuchs  mit  eintägigen  Bouillonfiltraten,  daß  virulente  und  abgeschwächte 
Staphylokokken  im  Reagensglas  die  gleiche  Menge  alexinneutrali- 
sierender  Angriffsstoffe  (Lysine,  Aggressine)  entwickelten  und  wollte 
daraus  wie  aus  B  a  s  t  i  n  s  Versuchen  schließen,  daß  die  Angriffsstoffe 
keine  spezifischen  Erzeugnisse  der  Bakterien  seien.  Genaue  quanti- 
tative Vergleiche  hätten  hier  vielleicht  doch  ein 
anderes  Ergebnis  gezeitigt.  Für  die  Spezifizität  spricht  doch 
selir  die  etwa  gleichzeitig  mit  imseren  eigenen  Versuchen  mit  Milzbrand- 
bazillen gemachten  aber  luibeachtet  gebliebene  Beobachtung  H  a  n  - 
k  i  n  s  *) ,  daß  der  Zusatz  einer  Spur  (0,0001  und  weniger)  einer  älteren 
sterilisierten  und  filtrierten  Kultur  des  Vibrio  Metschnikoff 
Kaninchenserum  zum  größten  Teil  seiner  bakteriziden  Kraft  gegenüber 
diesen  Bakterien  beraubte.  Hierher  gehört  auch  eine  aus  dem  Labora- 
torium Denys*  stammende  Angabe  H  a  v  e  t  s ') ,  nach  der  schon  die 
Zugabe  von  V4V00  eines  klaren  Coliautolysats  die  Bakterizidie  des  Hunde- 
bluts für  Colibazillen  stark  beeinträchtigte,  von  %%  sie  fast  auf- 
hob. Vor  allem  folgt  die  Spezifität  aber  aus  späteren  Versuchen,  wenn  auch 
die  Urheber  derselben  öfter  dieselben  nicht  erkannten.  Wir  lassen  die  mit 
Hilfe  des  lebenden  Tierkörpers  gemachten  beiseite,  da  sie  verschiedener 
Deutung  fähig  sind  und  zvun  großen  Teil  wie  die  oben  erwähnten  mit  defi- 
briniertem,  also  leukozytenhaltigem  Blut,  nicht  mit  Blutserum  angestellt 
worden  sind.  In  erster  Linie  zu  nennen  ist  außer  einer  Mitteilung  Schnei- 
ders*), welche  die  Neutralisierbarkeit  der  Alexine  durch  Filtrate  von 
Cholerakulturen  beobachtete,  die  ausführliche  Arbeit  B a i  1  s •)• 


1)  Ebenda  340. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  6.  498. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4.  229. 

4)  La  Cellule  8,   1892. 

5)  Ebenda  10.  2,   1894. 

6)  Zentr.  Bakt.   12.  821,  1892. 

7)  La  Cellule  10.  243. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  28,   1897. 

9)  Ebenda  35,   1899. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1043 

B  a  i  1  prüfte  Filtrate  14  Tage  alter  vorher  gekochter  Staphylokok- 
ken mit  demselben  Erfolge,  während  er  Filtrate  von  Typhusbouil- 
lon in  den  gleichen  Gaben  (25%)  gegenüber  den  Kokkenalexinen  fast 
unwirksam  fand.  Leider  fehlt  hier  die  Gegenprobe,  die  B  a  i  1  nicht  hätte 
unterlassen  sollen,  weil  er  die  Neutralisierung  der  Alexine  durch  Bakterien- 
prodakte  für  nicht  spezifisch  erklärt  und  sich  dabei  ausdrücklich  auf  die 
von  Swing  ^)  zuerst  nachgewiesene  Möglichkeit  bezieht,  auch  durch 
andere  „Gifte'*  (Schlangengift)  die  Serumbakterizidie  aufzuheben.  Sieht 
man  sich  aber  B  a  i  1  s  Zahlen  genauer  an,  so  findet  man  doch  sichere  An- 
zeichen spezifischer  Wirkung.  So  folgt  aus  Tabelle  XXVI,  daß  ein  etwa 
gleich  starkes  Wachstum  von  Staphylokokken  im  Kanin chensertmi  nach 
Eintragen  von  V^o  Öse  abgekochter  Staphylokokkenleiber  oder  Vs  Öse 
I'yo  cyaneusbazillen  erfolgt,  umgekehrt  aber  das  reichhche 
Wachstum  von  Pyocyaneusbazillen  schon  durch  V20  Öse  toter  Pyocyaneus- 
baziUen,  aber  noch  nicht  durch  Ys  Öse  Staphylokokken  ermöglicht  wird. 
Ebenso  wuchsen  nach  Tab.  XXIX  und  XXX  zwar  Typhusbazillen 
nach  Absättigung  mit  Vg — V,  Kultur  abgetöteter  Typhusbazillen  und 
Cholerabazillen  nach  Absättigung  mit  Vio — y^  Kultur  toter 
Cholerabazillen,  aber  nicht  die  Cholera-  bzw.  Typhusbazillen  in  ebenso 
behandeltem  Serum.  Bei  großen  Gaben  toter  Bakterien 
verwischen  sich  freilich  deren  spezifische  Unter- 
schiede, und  man  kann  durch  jedes  Bakterium  schließ- 
lich sämtliche  Serumwirkungen  aufheben*).  So  ergab 
sich  z.  B.,  daß  Vg  Agarkultur  Staphylokokken  die  Bakterizidie  von  1  ccm 
Kaninchenserum  für  Cholera  und  Typhus,  V^ — 1  Agarkultur  von  Typhus- 
bazillen die  Bakterizidie  für  Cholerabazillen  vernichten.  Auch  Wilde*) 
hielt  die  Absättigung  der  Alexine  durch  tote  Bakterien  für  nicht  spezi- 
fisch, weil  sie  mit  dem  avirulenten  Bac.  megatherium  ebensogut  wie  mit 
dem  virulenten  Milzbrand  gelänge  und  gleichzeitig  die  bakterizide  wie 
die  hämolytische  Kraft  der  Alexine  beträfe.  DieArtder  Abtötung 
der  B  a  k  t  er  i  en  1  ei  b  er  schien  für  die  Wirkung  ziem- 
lich gleichgültig  zu  sein,  und  auch  lebende  Bakterien  vermochten 
die  Alexine  oft,  wenn  auch  nicht  so  regelmäßig  abzusättigen.  Dagegen 
waren  sie  unwirksam,  wenn  sie  durch  vorhergehende  Behandlung  mit 
Serum  schon  mit  Alexin  beladen  waren. 

Wilde  war  es  übrigens  auch,  der  den  von  v.  Dungern*)  gelieferten 
Nachweis,  daß  das  hämolytische  Vermögen  des  Serums,  und  zwar  dessen 
,, Komplement",  auch  durch  beliebige  andere  Zellen  abgesättigt  werden 
könne,  auf  das  bakterizide  übertrug.  Ähnlich  wie  Bakterien  verhielten  sich 
Hefe,  tierische  Zellen  (außer  roten  Blutkörperchen)  aus  fremden 
und  denselben  Tieren,  aus  denen  das  Serum  stammte,  aber  auch  A 1  e  u  r  o  - 
n  a  t  und  verschiedene  K  a  s  e  i  n  e  ,  während  andere  ,, absorbierende" 
Stoffe  wie  Ultramarin  (B  a  i  1) ,  Tierkohle,  Bolus,  Karmin,  geronnenes 
Serumeiweiß  nicht  oder  unvergleichlich  schwächer  wirkten.    Wir  kommen 


1)  Lancet  1894.  1237,  vgl.  F  1  e  x  n  e  r  und  N  o  g  u  c  h  i ,  University 
of  Pennsylvania  Bull.  Febr.   1902. 

2)  Vgl.  die  ähnUchen  Verhältnisse  bei  der  antiopsonischen  Wirkung 
S.   1035  ff. 

3)  Arch.  Hyg.  44,   1902. 

4)  Münch.  med.  Woch.   1900.  20. 

66* 


1044  Kap.  XVn,   §  323  u.  324. 

später    auf     diese    nicht    spezifische    Alexinabsorption 
zurück  (S  325). 

Eine  bemerkenswerte  Vervollständigung  erfuhren  die  Angaben  über 
die  alexinneutralisier enden  Eigenschaften  der  Milzbrandbazillen 
durch  eine  Arbeit  D  a  n  y  s  z'  ^)  über  die  Anpassung  abgeschwächter  Milz- 
brandbazillen  an  das  Alexin  der  Ratte  und  an  Arsenik.    Nach  ihm  geling 
sie   allmählich   unter   gleichzeitiger   Ausbildung   einer   schleimigen    Hülle. 
einer  „Kapsel",  die  die  Bazillen  übrigens  auch  auf  den  gewöhnlichen  festen 
Nährböden  festhalten  sollen.    Daß  diese  Kapsel  mit  der  größeren  Wider- 
standsfähigkeit etwas  zu  tun  hat,  ist  von  vornherein  wahrscheinlich,  sie 
wirkt  nach  den  Versuchen  Danysz'  dadurch,  daß  sie  Alexin  bindet: 
in  der  Tat  entzogen  die  angepaßten  Bazillendem  Serum 
mehr   Alexin  als   die  nicht   angepaßten.     In   Bouillon  ist 
der  Mechanismus  anscheinend   ein  anderer :   die  angepaßten  Ba- 
zillen scheiden  hier  eine  filtrierbare  Substanz  aun. 
die  Alexin  —  bzw.  Arsenik  —  unwirksam  macht.    Wir  haben  hier  unsereb 
Erachtens    ein   schönes    Beispiel    für   die   Identität    der 
(in    den    Kapseln    vorhandenen)    seßhaften    und  der    gelösten 
Aggressine.    Der  Nachprüfung  bedürftig  ist  wohl  die  kurze  Angabe 
von  D  a  n  y  s  z  ,  daß  die  an  das  Rattenalexin  angepaßten  Bazillen  dadureh 
keine  Steigerung  ihrer  Virulenz  (für  die  Ratte  ?)  erfahren  hätten.    Später 
hat  P  r  e  i  s  z  *)  bestätigt,  daß  die  Kapselsubst-anz  virulenter  Milzbrand- 
bazillen das  Serumalexin  zu  neutralisieren  vermag.  Er  stellt  sie  sich  aus  alten 
Pferdeserumkulturen  durch  Lösung  in  Alkalien,  Filtration  und  Essigsäure- 
f  ällimg    dar.    In  meinem  Laboratorium  haben  Bürgers  imd  H  ö  s  c  li 
zwar  durch  längeres  Ausziehen  kapselbildender  virulenter  Bazillen  diese 
nicht  ihrer  Kapseln  und  ihres  Widerstands  gegen  die  Phagozyten  (s.  o. 
S.  1038)  berauben  können,  aber  festgestellt,  daß  siedasAlexinstär- 
ker    binden,    als    nicht    mit    Kapseln    versehene   viru- 
lente. 

Im  Anschluß  an  seine  Arbeit  über  Anpassung  der  Typhusbazillen 
an  Blutserum  hat  auch  E.  C  o  h  n  ')  versucht,  ob  die  gesteigerte  Wider- 
standsfähigkeit durch  antibakterizide  Absonderungen  zu  erklären  sei. 
Es  gelang  ihnn  zwar,  wie  kurz  vorher  W  r  i  g  h  t  und  Douglas'),  zu 
zeigen,  daß  ein  Filtrat  junger  Typhuskulturen  (in  erhitztem  Ham- 
melserum) in  gewissem  Grade  das  Wachstum  in  al  ex  inhaltigem  Seruin 
verbesserte,  aber  die  angepaßten  Bazillen  zeigten  dabei  keinen  V^orteil  \ot 
den  gewöhnlichen.  Leider  fehlen  Absättigungsversuche  mit  den  beiden 
Arten  von  Bazillen. 

In  der  Folge  kam  B  a  i  1 ,  als  ihm  zuerst  die  aggressiven  Eigen- 
schaften der  Exsudate  auffielen,  auch  auf  die  alexinneutralisierendt  n 
Eigenschaften  der  Bakterien  zurück  und  konnte  in  der  Tat  solche, 
wie  übrigens  schon  früher  V  a  n  d  e  v  e  1  d  e  (s.  o.),  in  Staphylokokken- 
exsudaten,  in  Milzbrandexsudaten  nachweisen^),  später  wollten  aber 

1)  Annal.  Pasteur  1900. 

2)  Zentr.  Bakt.  44.  209. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  45.  88,   1903. 

4)  Joiurn.  of  hyg.   1902. 

5)  Zentr.  Bakt.   36.  405,   1904. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1045 

B  a  i  1  und  Weil  davon  nichts  mehr  wissen,  obwohl  sie  in  einigen 
Reagensglasversuchen  mit  wässerigen  Extrakten  von  Tjrphus-  und 
Cholerabazillen^)  deutliche  antibakterizide  Wirkungen  sahen.  Bür- 
gers und  H  ö  8  c  h  (a.  a.  0.)  zeigten  aber,  daß  alle  Aggressine 
vonDysenteriebazillenyObsieindieseroderjener 
Weise  hergestellt  waren,  aus  Tieren  oder  aus 
Kulturen  stammten,  die  Alexine  unwirksam 
machten,  die  Eochsalzaggressine  freilich,  entsprechend  ihrer  kräf- 
tigeren Leistung  im  Tierkörper,  weitaus  am  besten.  Gelang  es  doch  in 
einem  Versuch  mit  V250  Tropfen  dieser  Aggressine,  die  bakterizide 
Wirkung  von  1  ccm  Meerschweinchenserum  auf  Buhrbazillen  völlig  zu 
beseitigen.  Diese  Wirkimg  ist  auch  eine  spezifische,  denn  nach  späteren, 
nicht  veröffentlichten  Versuchen  von  Bürgers  sättigte  Ruhr- 
aggressin  am  stärksten  die  Alexine  für  Ruhrbazillen,  aber  auch 
noch  sehr  kräftig  die  für  Typhusbazillen  ab,  während  das  Typhus- 
aggressin  zwar  auch  noch  in  kleinsten  Mengen  die  eigenen  Alexine 
neutralisierte,  aber  nur  in  größeren  Mengen  die  für  Ruhrbazillen.  Ähn- 
liches fand  J  e  ß  n  e  r  (S.  1026)  beim  Vergleich  der  Cholera-  mit  den 
Ruhr-  und  Typhusaggressinen.  Wir  beobachteten  also  im 
Reagensglasversuch  mitAlexin  diegleiche,  frei- 
lich in  gewissem  Sinne  begrenzte  Spezifizität 
derAggressinwirkungwieimTierversuch  (s.o.  S.  1027). 
Entsprechend  ihrer  weit  größeren  Wirkimg  im  Tierkörper  besaßen 
auch  die  Aggressine  aus  virulenten  Ruhr-  und  Cholerabazillen  in 
unseren  Versuchen  ein  besseres  Neutralisierungsvermögen  für  Alexine 
im  Reagensglas,  als  die  Extrakte  der  gleichen,  wenig  virulenten  Bak- 
terien.   Doch  scheint  das  Verhältnis  nicht  immer  zu  bestehen. 

So  fanden  Bürgers  und  H  ö  s  c  h  beim  Vergleich  von  Typhus- 
bazillen aus  Kulturen  und  solchen,  die  aus  dem  Tierkörper  entnommen 
\ind  daher  virulenter  waren,  die  Leiber  der  tierischen  Bazillen  vuid  ihre 
Kochi^zaggr essine  etwas  weniger  wirksam  im  bakteriziden  Versuch,  als 
die  der  „Kulturbazillen".  Das  gleiche  Verhältnis  ergab  sich  aber  auch  bei 
der  Prüfung  der  Aggressivität  der  Extrakte  im  Tier.  Also  auch  hier 
besteht  ein  vollständiger  Parallelismus  zwischen 
den  Aggressinwirkungen  im  Tier  und  im  bakteri- 
ziden Keagensglasversuch  (S.  1026).  Wir  werden  später  ver- 
suchen, uns  den  zunächst  noch  vorhandenen  Widerspruch  mit  unserer 
Aggressintheorie  zurechtzulegen  (§  328). 

§  324.  Antilytische  Wirkung  der  Angriffsstoffe.  Es  fragt 
sich  jetzt,  wie  wir  uns  die  eben  behandelte  Wirkung  der  Aggressine 
auf  die  Älexine,  deren  zusammengesetzten  Bau  wir  seit  den  Forschun« 

1)  Zentr.  Bakt.  40.  376;  42.  246  und  355. 


1046  Kap.  XVII.   §  324. 

gen  Bordets,  Ehrlichs  imd  Morgenroths  u.  a.  kennen 
(vgl.  Immunitätslehre),  vorzustellen  haben.  Binden  sie  sich  an  das 
Komplement  oder  an  die  Ambozeptoren  oder  an  beide?  Wahrschein- 
lich findet  im  Normalserum  beides  statt  (vgl.  §  325),  die  spezifische 
\md  schon  in  kleineren  Mengen  ausgesprochene  Wirkung  der  Angriffs- 
stoffe im  Normalserum  spricht  aber  dafür,  daß  in  erster  Linie  auch  hier 
die  Ambozeptoren  gebunden  werden.  Dies  stimmt  mit  der  sicher 
festgestellten  Tatsache  zusammen,  daß  die  Aggressine  starke 
Verwandtschaft  zu  den  lytischen  Ambozeptoren 
der  Immunseren  besitzen,  denn  durch  letztere 
kann  ihre  Leistung  im  Tierkörper  und  Reagens- 
glas aufgehoben  werden. 

P  a  n  e  und  L  o  1 1  i ,  sowie  Bürgers  und  H  ö  s  c  h  haben  z.  B. 
gefunden,  daß  Ruhrserum,  dessen  Schutzwirkung  etwa  bei  1  mg  beginnt, 
nach  einstündiger  Berührung  mit  sehr  großen  Mengen  Aggressins  (Extrakt 
einer  ganzen  Agarkultur)  in  einer  Gabe  von  100  mg  noch  Meerschweinchen 
vor  der  Infektion  schützt,  nicht  dagegen  in  einer  Gabe  von  10  mg.    3iaii 
könnte  zunächst  zweifehl,  welche  der  verschiedenen  Beetandteile  des  Immim- 
serums  sich  mit  den  Aggreesinen  verbände,  wenn  nicht  Bürgers  und 
H  ö  s  c  h    durch    Keagensglasversuohe   nachgewiesen    hätten,    daß    genau 
entsprechend  dem  Tierversuch  aus  diesem   Gemisch  von  Aggressin  und 
100  mg  Immunserum  sich  noch  bakterizide  Ambozeptoren  durch  lebende 
Bazillen  herausnehmen  lassen,  nicht  mehr  aus  dem  Gemisch  von  Aggressin 
und  10  mg  Immunserum.    Nebenbei  bemerkt  sei  schon  hier,  daß  auch  die 
Agglutinine  und  Reagine  des  Immunserums  —  auf  Präzipitin  und  Tropin 
wurde  hier  nicht  geprüft  —  in  genau  dem  gleichen  Verhältnis  von  den 
Aggressinen  gebunden  werden,  weil  es  ein  Zeugnis  dafür  ist,  daß  im  Rul^r- 
aggressin  nicht  bloß  lysin-,  sondern  auch  agglutinin-  und  reaginbindende 
Stoffe  (s.  u.    §  337  u.   343),  und  zwar  in  gleichem  Verhältnis  vorhanden 
sind.    Im  übrigen  konunen  wohl  zur  Erklärung  der  Tierversuche  nur  die 
ersteren  —  neben  den  wahrscheinlich  noch  vorhandenen  tropin(opsonin)bin- 
denden  (s.  o.  S.   1036)  in  Betracht.    Von  gewissem  Interesse  ist  ee,  daß  auch 
Citren,  Dörr  (S.  1024)  und  Bruschettini  *)  durch  den  hämoly- 
tischen Versuch  nach  Bordet-  Gengou  die  Anwesenheit  von  reagin- 
bindenden  Stoffen,  ferner  Dörr,  Bail  und  Weil  die  von  präzipitin- 
bindenden    Stoffen   in   tierischen   und   kultm^ellen   Aggressinen   dargelegt 
haben.    Schon  vor  ims  hatte  Bail  versucht,  die  Wirkung  tierischer  (Cho- 
lera- und  Typhus-)   Aggressine  im  Tierkörper  durch  Immunsenim  bzw. 
umgekehrt  die  des  Inununserums  durch  Aggressin  atifzuheben,  aber  keine 
klaren  Ergebnisse  erhalten,   offenbar  wegen  der  schwachen  Wirkäamkeit 
ihrer    tierischen  Aggressine  (vgl.   Bürgers  und  Hösch);  Bail  und 
Weil  *)    gelang  der  Versuch  dann  zwar  nüt  künstlichen  Choleraaggres- 
sinen,   aber  Bail    und  Kikuchi'),  Weil  und  A  x  a  m  i  t  *) ,  sowie 


1)  Zentr.  Bakt.  44.  441,   1907. 

2)  Zentr.  Bakt.  40.  376,   1906. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  53. 

4)  Berl.  khn.  Woch.   1906.  53. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1047 

Toyosumi*)  glaubten  durch  Reagensglas-  und  Tierversuche  fest- 
stellen zu  können,  daß  der  ly tische  Immunkörper  dabei  nicht  von  den 
Aggressinen  gebimden  u'ürde,  sondern  die  anti bakterizide  Wirkung  des 
Aggressins  auf  irgendeine  andere  Weise,  vor  allem  durch  Komplement- 
bindung mittelst  der  Immunpräzipitine  (oder  Reagine)  erklärt  werden 
müßte.  ICbenso  wollte  Weil  ■)  die  hemmende  Wirkung  der  künstlichen 
Chol eraaggr essine  auf  die  Agglutination  nicht  auf  Bindimg,  sondern  auf 
Zerstörung  (Inaktivierung)  der  Agglutinine  zurückführen.  Nach  den  oben 
berichteten  Versuchen  von  Bürgers  und  H  ö  s  c  h  liegt  aber  dazu  kein 
(Jrund  vor,  die  Befunde  B  a  i  1  s  und  seiner  Mitarbeiter  könnten  durch  die 
mangelhafte  Berücksichtigung  der  quantitativen  und  zeitlichen  Bindungs- 
verhältnisse bedingt  sein  oder  sich  dadurch  erklären,  daß  die  benutzten 
Choleraextrakte   geringe   aggressive  Wirkung   hatten. 

Mit  diesen  Erfahrungen  über  die  Bindungsfähigkeit  gelöster  Ag- 
gressine  für  bakteriolytische  Ambozeptoren  stimmen  die  mit  Bak- 
terienleibem  schon  früher  gemachten  vollständig  überein,  ja  Pfeif- 
fer und  Friedberger^)  haben  durch  ihre  Studien  über  die  un- 
gleiche Bindung  durch  virulente  und  abgeschwächte  Bakterien  wich- 
tige Stützen  für  unsere  Aggressinlehre  erbracht.  Es  zeigte  sich  näm- 
lich, daß  die  virulenten  Cholerabazillen  viel  mehr 
Ambozeptoren  banden  als  abgeschwächte. 

So  entzog  z.  B.  ein  sehr  virulenter  Stamm,  der  in  Gaben  von  Yiq  Öse 
noch  sicher  tötete,  einer  Seriunverdünnung  mit  dem  Gehalt  von  110  Im- 
munitätseinheiten,  fast  die  Gesamtmenge  derselben,  ein  anderer,  fast 
avirulenter  Stamm  nur  etwa  die  Hälfte.  Pfeiffer  und  Friedberger 
sehließen  daraus,  daß  die  virulenten  Bakterien  sich  von  den  abgeschwächten 
entweder  durch  den  größeren  Reichtum  an  Rezeptoren  (Hypertrophie 
der  Bakterienrezeptoren)  oder  durch  größere  Verwandtschaft  derselben  zu 
den  Inununkörpem  unterscheiden.  Nebenbei  bemerkt  wohnte  den  viru- 
lenten Bakterien  auch  eine  größere  Immunisierungsfähigkeit  und  ein 
kräftigeres  Bindevermögen  für  Agglutinin,  aber  eine  geringere  Agglutinier- 
barkeit  inne.  In  einer  späteren  Arbeit  hat  Pfeiffer*)  sich  über  die 
Bedeutung  dieser  Ergebnisse  näher  ausgeletssen  und  setzte  sie  u.  a.  in 
Gegensatz  zu  meiner  Aggressintheorie.  Ein  Grund  dafür  ist  nicht  einzu- 
sehen. Sehr  wahrscheinlich  hätten  Pfeiffer  und  Friedberger, 
wenn  sie  versucht  hätten,  ihre  ,, Rezeptoren"  (seßhaften  Aggressine)  in 
Lösung  zu  bringen,  ähnliche  Ergebnisse  gehabt,  wie  wir  mit  unseren  Ex- 
traktaggr  essinen . 

Eine  ganze  Reihe  ähnlicher  Beobachtungen  liegen  vor  über  das 
Bindungsvermögen  der  Bakterien  ungleicher  Virulenz  im  Immun- 
serum. Während  aber  Pfeiffer  und  Friedberger  die  Ver- 
mutung  ausgesprochen  hatten,   Typhus-  und  Pestbazillen  verhielten 


1)  Zentr.  Bakt.  48.  325,   1908. 

2)  Arch.  Hyg.  53. 

3)  Ber).  klin.  Woch.   1902.  25. 

4)  Festschr.  f.  Koch,   1903  S.  38. 


1048  Kap.  XVII,   §  324  u.   325. 

sich    ähnlich    wie    Cholerabazillen,    konnten    Wassermann    und 
Strengt)  sowie  Petterson*)  nur  die  Ergebnisse  für  letirtere 
bestätigen,  nicht  für  Typhus.    Hier  war  vielmehr  die  Bindekraft  (und 
Immimisienmgsfähigkeit)    unabhängig    von    der    Virulenz.     Dasselbe 
stellten  später  Meinecke,  Jaffe  und  Flemming^)  aber  auch 
an  einer  größeren  Reihe  von  Gholerakulturen  und  Friedberger 
selbst  in  Verbindung  mit  M  o  r  e  s  c  h  i  *)  bei  ihren  Studien  mit  dem 
„serumfesten"  Typhusstamm  „Sprung"  fest,  und  zwar  sowohl  für  Ambo- 
zeptoren  als  Agglutinine.   Für  die  letzteren  scheint  sogar  nach  den  Er- 
fahrungen  von   P.    Th.    Müller^),   Eisenberg •),    Hirsch- 
berg'),  Bail  und  Rubritius®)  an  Pyocyaneus-  und  Typhus- 
bazillen die  Regel  zu  gelten,  daß  sie  von  virulenten  Bakterien  fast 
gar  nicht  gebunden  werden.    Die  schon  lange  bekannte  mangelhafte 
Beeinflussung   „tierischer"   Bazillen   durch  bakterizides  und  aggluti- 
nierendes Serum  wäre  also  nicht  auf  eine  Hypersekretion  und  Hyper- 
trophie, sondern  eher  auf  eine  Atrophie  bindender  Substanz  zurück- 
zuführen.   Indessen  studierte  Händel*)  neuerdings  eine  avirulente 
Cholerakultur  „Ostpreußen",  die  zwar  Agglutinine  ebenso  stark  band 
und  ebenso  stark  von  ihnen  beeinflußt  wurde,  wie  eine  virulente,  aber 
sich  gegenüber  den  Lysinen  wieder  ähnlich  verhielt  wie  die  von  Pfeif- 
fer und  Friedberger  untersuchte  Kultur,  d.  h.  ein  viel  schwächeres 
Bindungsvermögen  für  sie  hatte.   Man  bekommt  sonach  den  Eindruck, 
daß  eine  regelmäßige  Beziehung  zwischen  Viru- 
lenz und  Bindungsvermögen  für  Immunkörperim 
Reagensglas  nicht  bestehe.    Leider  fehlt  in  allen  diesen 
Fällen  die  Prüfung  der  Extrakte  auf  Bindimgsfähigkeit  imd  vor  allem 
der  Tierversuch  mit  den  gelösten  und  seßhaften  Aggressinen.   Es  ist 
also  durchaus  nicht  ausgeschlossen,  daß  auch  hier  die  Bindefähigkeit 
für    schutzkräftige    Immunkörper    im    Reagensglas    den    aggressiven 
Leistungen  im  Tier  entsprach.    Gerade  das  ist  aber  der  Punkt,  der  uns 
zunächst  interessiert  (vgl.  im  übrigen  §  328). 

1)  Ebenda  1903  S.  534  und  537. 

2)  Zentr.  Bakt.   38. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  62.  452. 

4)  Berl.  klin.  Woch.   1905.  45. 

5)  Zentr.  Bakt.  38.   1. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  52.  452. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  56. 

8)  Zentr.  Bakt.  43.  643,  1907. 

9)  Arb.  K.  Gesundheitsamt  30.  363,  1909.  Tropine  konnten  nicht 
geprüft  werden,  weil  die  Kultur  schon  der  freiwilligen  Phagozytose  verfiel, 
das  Bindungsvermögen  dafür  war  aber  gleich  dem  der  virulenten  Kultur. 
Immunisierungsvennögen  fehlte  fast  völlig.  Das  Bindungsvermögen  für 
Reagine  war  wieder  viel  schwächer. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1049 

§  325.  Antikomplementäre  Wirkungen  der  Angriffsstoffe. 

Natürlich  fragt  es  sich,  ob  wir  in  dem  Bindungsvermögen  der  Aggres- 
sine    für  Ambozeptoren  eine  genügende  Erklärung  für  die  neutrali- 
sierenden Eigenschaften  im  bakteriziden  Versuch  mit  normalem  Alexin 
gefunden  haben.   Nach  den  Vorstellungen  der  Ehrlich  sehen  Schule 
über   die  Zusammensetzung  und  Wirkung  der  Alexine  besteht  auf 
den  ersten  Blick  die  Möglichkeit,  die  spezifischen  und  die  nichtspezi- 
fischen Wirkimgen  der  Aggressine  gegenüber  den  Alexinen  (s.  o.  S.  1041) 
zu  deuten,  indem  wir  annehmen,  daß  die  Aggressine  wie  die  Bakterien, 
von  denen  sie  stammen,  sich  nur  mit  den  mehr  oder  weniger  spezi- 
fischen   normalen   Ambozeptoren  verbinden,    und   diese    dann 
ihrerseits    dem    Serum    komplementäre    Bestandteile    entziehen,    die 
unter  Umständen   —  namentlich  bei   Benutzimg  großer  Aggressin- 
mengen  —  auch  auf  andere  nicht  absorbierte  Ambozeptoren  passen 
und  dadiurch  die  Bakterizidie  des  Serums  für  fremde  Bakterien  teilweise 
oder  ganz  unmöglich  machen.    Aber  auch,  wenn  man  mit  B  o  r  d  e  t 
u.  a.  den  Ambozeptor  nur  als  einen  Stoff  betrachtet,  der  die  unmittel- 
bare Bindung  des  Komplements  an  das   Bakterium 
vorbereitet    bzw.     die    Aufnahmefähigkeit     des    letzteren     für    das 
Komplement    ermöglicht    oder    verbessert,    gewinnt    man    ein    Ver- 
ständnis für  die  Tatsachen:  große  Mengen  der  Bakterien  oder  der 
die    bindenden  Bakterienkräfte    enthaltenden  Aggressine    entnehmen 
dem    Serum    viel    oder   alles    Komplement,    so    daß   es   seine   Bak- 
terizidie    vollständig     verliert,     kleine     Mengen     nur     die      (unter 
dem     Einfluß     der     Ambozeptoren)     mit     größerer    Verwandtschaft 
für   die   Bakterien  ausgestatteten    „spezifischen"    Anteile    des  Kom- 
plements. 

Der  Gegensatz  der  beiden  Theorien,  über  die  eine  endgültige  Ent- 
scheidung vorläufig  kaum  möglich  ist,  wird  übrigens  dadurch  gemildert, 
daß  auch  die  Ehrlich  sehe  Schule^)  eine  unmittelbare  Bindung  des 
Komplements  nicht  nur  an  Zellen  verschiedener  Art  und  kolloidale  Stoffe 
wie  Aleuronat,  Kasein  (v.  Dungern,  Wilde  (S.  1043),  Glykogen,  Inulin, 
Pepton  (W  endelstadt*)),  Kohle,  Seidenfäden  (v.  Lingelshei  m*)) 
Pappe,  Erde,  Stroh,  Brot,  Urin,  Serum  (U  h  1  e  n  h  u  t  h  *))  ,  chemische 
Niederschläge  wie  Mastix  u.  a.  (S  e  1  i  g  m  a  n  n  *)) ,  Lipoide  (L  a  n  d  - 
Steiner*)),    sondern    auch    an    den    Bakterienkörper    bzw.    bakterielle 


1)  Ehrlich  und  Sachs,  Berl.  klin.  Woch.   1902,   14/15. 

2)  Zentr.  Bakt.  34,   1903. 

3)  Zeitechr.  f.  Hyg.  42,  309,   1903. 

4)  Deutsch,  med.  Woch.   1906.  31  und  51. 

5)  Berl.  klin.  Woch.   1907.  32. 

6)  Zentr.  Bakt.  Refier.    38.    Beilage    S.    25,    vgl.    Landsteiner 
und   Stankovic,   Zentr.   Bakt.   42. 


1050  Kap.  XVTT.  §  325  u.  326. 

Körperbestandteile ^)  zuläßt.  Freilich  soll  nach  Ehrlich  diese  nicht 
spezifische  Bindung  keine  chemische,  wie  die  mit  Hilfe  der  Ambozeptoren, 
sondern  nur  eine  physikalische,  eine  „Absorption",  sein.  Besser  ist  es  wohl, 
wir  gestehen  luisere  Unkenntnis  der  Bindungsweise  ein.  Jedenfalls  zeigen 
die  Untersuchungen  v.  Lingels  heims,  daß  ähnliche  Kolloide,  wie 
Baumwolle,  Hanf  und  namentlich  Flachs  und  Pflanzenschleim  (Carragheeii- 
moos),  nicht  bloß  Komplemente,  sondern  auch  Ambozeptoren.  normaler 
Sera  ,, binden",  luid  zwar  so  fest,  daß  sie  auch  nach  Lösung  daraus  niclit 
wieder  gewonnen  werden  können.  Wo  bleibt  hier  die  Grenze  zwischen 
Absorption  und  chemischer  Bindung,  wo  der  Unterschied  im  Verhalten 
zwischen   Komplement  und   Ambozeptor   ziun   Bakterium  ? 

Die  Untersuchungen  der  letzten  Jalure,   die  sich  an  die  Einführung 
des    Bordet-  Gengou  sehen    Komplementablenkungsverfahrens     an- 
schlössen, haben  die  Dinge  nur  noch  verwickelter  gemacht.    Es  hat  sich 
zunäclist  gezeigt,   daß   Bakterienleiber  wie  -extrakte,   d.   h.   aucli   unwert- 
aggressiven  Flüssigkeiten,    für  sich    allein   Komplement    zwar    zu    binden 
vermögen,  daß  sie  aber  in  Gaben,  die  mehr  oder  weniger  erheblich  kleiner 
sind,  diese  Bindiuig  vollziehen,  wenn  sie  zusammengebracht  werden  mit 
ambozep torartigen  Bestandteilen  (aus  Immunsenun,  aber  auch  aus  manchem 
NormaJserum).     Zunächst  glaubte  man   es  im   Serum   mit  bakterio- 
lyti  sehen  Ambozeptoren  zu  ttui  zu  haben,  dann,  als  man  älm- 
liche  Eigenschaften  bei  anderen  Zellextrakten  und  beliebigen  eiweißhaltigen 
Körperflüssigkeiten  entdeckte,  schrieb  man  den    Niederschlägen, 
die  durch  die  Präzipitine  des  Serums  in  den  Bakterien-  und  anderen  Eiweiß- 
stoffen erzeugt  wurden,  die  bindende  Fähigkeit  zu,  und  schließlich  naluu 
man    besondere    Eiweißambozeptoren    (Bordet-Gengou- 
sche  Ambozeptoren,   Reagine)  in  den  komplementbindenden  oder  besser 
die  Komplementbindung  verstärkenden  Seren  an.    Wir  kommen  auf  die 
dabei  wirksamen  Bestandteile  der  Mikrobien  bei  den  Reaginogenen  zurück 
( §  343),  betonen  aber  schon  hier  wieder  die  komplementbindende  Fähigkeil 
der     nicht    mit    diesen     Seren    beladenen    Bakterien    und 
Bakterienextrakte. 

Allerdings  sind  diese  letzteren  luid  die  oben  erwähnten  Komplement- 
bindiuigsversuche  feist  sämtlich  mit  hämolytischen  Komple- 
menten,die  in  vielen  Fällen  sicher  von  den  b  ak  t  er  io- 
lytischen  verschieden  sind,  angestellt  worden. 
Immerhin  muß  an  alle  diese  Möghchkeiten  der  Komplementbindung  ge- 


1)  Über  Komplementablenkung  durch  lebende  und  tote  Bakterien- 
leiber imd  wäsderige  oder  seröse  Bakterienextrakte  s.  namentlich  bei  A  x  a  - 
mit,  Zentr.  Bakt.  42.  Über  die  ungleiche  Wirksamkeit  je  nach  der  Her- 
stellung vgl.  auch  Leuchs  und  Schöne  §  343;  ebenda  Crendi- 
r  o  p  o  u  1  o  über  die  Möglichkeit,  den  Cholerabazillen  die  komplement- 
bindenden Stoffe  durch  Immimserum  zu  entziehen.  Diese  letzteren  Ver- 
suche erinnern  an  die  älteren  von  Pfeiffer  und  Friedberger, 
die  „antagonistische"  Normalsera  betreffen.  Nach  der  Auffassung  von  Ax  « - 
mit,  Bürgers  luid  H  ö  s  c  h  sind  die  wirksamen  Bestandteile  auch  hier 
Bakterienstoffe,  nicht  vorgebildete  Serumstoffe.  Über  Äther-  und  Alkohol- 
extrakte vgl.  Landsteiner  und  Stankovic,  Zentr.  Bakt.  42. 
Landsteiner  und  Raubitschek,  ebenda  45  und  46;  L e v a - 
d  i  t  i  und  Mutermilch,  Soc.  biol.  24.  X.  1908. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1051 

dacht  werden,  wenn  man  die  Wirkung  der  Aggr essine  auf  die  Alexine  zu 
erklären  hat. 

Sehen  wir  uns  die  quantitativen  Verhältnisse  genauer  an,  so  erkennen 
wir  aus  eigenen  Versuchen,  daß  die  Bindung  des  hämolytischen  Komple- 
ments   in    dem    Bordet-Gengou sehen    Versuch    erst    durch    recht 
große  Gaben  tmseres  Dysenterie-KochscJzaggressins  allein  und  nur  durch 
wenig  kleinere  der   Serumaggressine  eintritt,   die  Wirkung  auf  das  Kom- 
plement also  verhältnismäßig  viel  geringer  ist  als  die  auf  das  spezifische 
Alexin  und  mehr  derjenigen  auf  das  nicht  spezifische  älmelt.    Auch  A  x  a  - 
mit  (s.   o.)  hatte  mit  Cholera  Vibrionen,  Staphylokokken-  und  Blastomy- 
zetenextrakten  keine  besseren  Ergebnisse.     Um   Sicherheit  zu  gewinnen, 
müßten  aber  ähnUche  Bindungsversuche  mit  isoliertem  bakteriolytischem 
Komplement^)  gemacht  werden.    Allerdings  darf  man  dabei  das  Aggressin 
nicht  in  gelöster  Form  verwenden,  weil  es  aus  der  Mischung  nicht  entfernt 
werden  kann  und  nachträglich  auch  auf  den  Ambozeptor  des   bakterio- 
Ij'tischen   Systems  wirken  könnte.    Auf  meine  Veranlassung  hat  Bür- 
gers *)  neuerdings  Ruhrbazillen,  die  zur  Darstellung  der  Kochsalzaggres- 
ßine  benutzt  worden  waren,  im  gewaschenen  Zustand  und  als  bakterioly- 
tisches  System  die  Vereinigung  von  lebenden    Ruhrbazillen,  Ruhrimmun- 
serum  und   Meerschweinchenkomplement   benutzt.     Es  zeigte  sich   dabei 
daß  die  Bazillenleiber  zwar  das  bakteriolytische  Komplement  auch,  aber 
erst  in  weit  stärkerer  Konzentration  neutrahsierten  bzw.  banden,  als  das 
Alexin,  d.  h.  das  mit  Ambozeptor  vereinigte  Komplement  im  bsikteriziden 
Versuch.   Er  bedarf  noch  weiterer  Versuche,  um  die  Frage,  namentlich  auch 
für  die  nicht  spezifische  Wirkung  der  Aggressine,  endgültig  zu  entscheiden. 
Vorläufig    würde    man    aber    folgern    dürfen,    daß     das    Aggressin 
weniger    durch    Komplement-    als    durch     Ambozep- 
torenbindung    das    auf    das    betreffende    Bakterium 
eingestellte    Alexin    unschädlich    macht,    während 
die    Wirkung    des    Aggressins    auf     das    nichtspezi- 
fische—  auf   fremde   Bakterien    passende    —  Alexin 
wohl     mindestens      zum     Teil     auf     alleiniger     Kom- 
plementbindung beruht. 

§  326.  Schluß.  Dies  Ergebnis  scheint  allerdings  zunäclist  in 
Widerspruch  zu  stehen  mit  unserer  früheren  Feststellung,  nach  der 
die  antiopsonischen  Eigenschaften  der  Aggressine  die  negative  Phago- 
taxis,  das  Ausbleiben  der  Phagozytose,  verursachen  sollte.  Fällt  doch 
nach  einer  weitverbreiteten  Annahme  das  Opsonin  mit  dem  Kom- 
plement zusammen^).  Der  Widerspruch  ist  aber  wohl  nur  scheinbar: 
die  Hemmung  der  Phagozytose  erfordert  nämlich,  soviel  wir  haben 
feststellen  können,  weit  erheblichere  Mengen  von  Aggressin,  als  die 
Neutralisienmg  der  Alexine,  große  Mengen  binden  aber  auch  Kom- 

1)  d.  h.  durch  Verdünnung  von  der  Ambozeptor\^nrkung  möglichst 
befreitem  Normalserum. 

2)  Nicht  veröffentlicht. 

3)  Nach  neueren  Untersuchungen  von  Bürgers  (Zeitschr.  f.  Im- 
munitätsforsch.  5,  1910)  ist  dcts  übrigens  wenig  wahrscheinlich  geworden. 
Vgl.  auch  Grub  er   (S.   1037  Anm.  3). 


1052  Kap.  XVII,  §  326  u.  327. 

plement.  So  erklärt  sich  vielleicht  die  auf  den  ersten  Blick  wanderbare 
Tatsache,  daß  stark  abgeschwächte  Ruhr-  und  Cholerabazillen  in 
unseren  Tierversuchen  mit  normalen  Meerschweinchen  nur  durch 
große  Mengen  von  Aggressin,  xmd  wenn  sie  selbst  in  nicht  zu  kleiner 
Zahl  vorhanden  waren,  zum  Wachstum  gebracht  wurden,  und  virulente 
Bazillen  in  der  (durch  Aleuronat)  entzündeten  und  daher  mit  Leuko- 
zyten imd  Opsoninen  angereicherten  Bauchhöhle  dieser  Tiere  sich  ähn- 
lich verhielten.  Die  Absättigung  der  Ambozeptoren  der  Bauchhöhlen- 
flüssigkeit gelingt  leicht,  daher  überwuchern  die  gegen  die  Phago- 
zyten widerstandsfähigeren  virulenten  Bazillen,  wenn  letztere  auch  in 
gTßer  Zahl  vorhanden  sind,  während  die  staA  abgeschwächten,  die 
sogar  den  Phagozyten  ohne  Serum  zum  Opfer  fallen,  trotz  der  Aus- 
schaltung der  Bakteiizidie  den  Phagozyten  leichter  erliegen,  l^m- 
gekehrt  werden,  wie  gesagt,  die  nicht  spezifischen  Leistungen  der 
Aggressine  hauptsächlich  auf  ihrer  komplement-  bzw.  opsoninbindenden 
Fähigkeit  beruhen.  Wir  kommen  darauf  später,  wenn  wir  von  den 
Beizstoffen  sprechen,  zurück  (§  331),  bemerken  aber  hier  gleich,  daß 
dementspiechend  Wilde,  Pane  und  L  o  1 1  i  auch  mittelst 
Aleuronat  gewisse  aggressive  Wirkungen  auf  Cholera-  und 
Ruhrbazillen  erzielten.  Wie  die  übrigen  nicht  bakteriellen  Angriffs- 
stoffe (S.  1031)  wirken,  ist  vorläufig  dunkel. 

Wir  wollen  übrigens  nicht  verschweigen,  daß  diese  Erklärungen  zu- 
nächst nur  für  die  von  uns  genauer  studierten  Dysenterie-  und  Cholera - 
aggressine  gelten.     Bei  Infektionen,   deren  Mechanismus   ein  anderer  ist, 
wo  z.  B.  wie  bei  den  meisten  Septizämien,  die  Phagozytose  eine  ausschlag- 
gebende Rolle  spielt,  mag  die  Sache  anders  liegen.    Hier  erschweren  aber 
drei  Dinge  die  Erkenntnis  des  ursächlichen  Verhaltens;  erstens  die  verhäh- 
nismäßig  weit  schwächere  Wirkung  der  Aggressine,  zweitens  die  geringen 
Ausschläge,  die  wir  entsprechend  der  großen  Empfänglichkeit  der  Tiere 
gegen  die  Infektion  im  Reagensglas  versuch  erhalten,  und  drittens  der  Um- 
stand, daß  gerade  bei  diesen  Infektionen  das  Verhalten  des  Immimseninis 
IUI  Reagensglasversuch  bisher  keine  ausreichende  Erklärung 
ihrer  unzweifelhaft  vorhandenen  antibakteriellen 
Wirk.^amkeit    geliefert  hat  (vgl.  Infektions-  und  Inlmunität^- 
lehre).    So  können  wir  denn  auch  den  Versuchen  W  o  i  1  s  *)  mit  den  Aggres- 
sinen  der  Hühnercholera  keine  maßgebende  Bedeutung  zuschreiben.    Er 
arbeitete  an  Meerschweinchen,   die  von  der  Bauchhöhle  aus  für  Spuren 
von  Bazillen,  von  der  Subkutis  aus  noch  für  Bruchteile  eines  Milligramms 
Bouillonkultur  empfänglich  waren.    Hier  mußten  also  die  Wachstumswider- 
stände, die  dem  Erreger  im  Tier  begegnen,  außerordentlich  gering  sein. 
In  der  Tat  ergaben  Reagensglasversuche  mit  Serum,  Leukozytenextrakten, 
Unterhautlymphe   mit   oder    ohne   Leukozyten   usw.    nicht   die  geringste 
Bakterizidie.    Es  ist  daher  nicht  wunderbar,  daß  das  natürliche  Aggressin, 


1)  Arch.  f.  Hyg.  65,  1908;  vgl.  61.  309,  Zentr.  Bakt.  44.  167.    S.  auch 
Zeh,  Wirkungsweise  d.  Milzbrandserums  usw.  Berner  Diasert.,  Bonn  1909. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1053 

das  die  tödliche  Gabe  von  der  Subkuiis  aus  auf  etwa  den  10.  Teil  herab- 
setzte, keine  nachweisbaren  antibakteriziden  Wirkungen  im  Reagensglas, 
bzw.  keine  komplement bindenden  Eigenschaften  im  (hämolytischen)  Versuch 
entfaltete.  Erst  wenn  es  gelänge,  die  offenbar  dennoch  im  Tier  vorhan- 
denen Ab  Wehrkräfte  im  Reagensglasversuch  zum  Vorschein  zu  bringen, 
könnte  man  mit  Erfolg  an  ein  Studium  der  Angriffskräfte  gehen.  So  muß 
man  entweder  auf  eine  Erklärung  verzichten  oder  mit  weniger  empfänglichen 
Tieren  oder  weniger  virulenten  Bakterien  arbeiten. 

§  327.  Angriffsstofte,  Bakterien-Rezeptoren  nnd  Impf- 
stoffe. Nachdem  wir  die  Wirkungsweise  der  Aggressine  besprochen, 
wollen  wir  die  mehrfach  aufgeworfene  Frage  beantworten,  ob  die 
Aggressine  mit  den  Ehrlichschen  „Rezeptoren"  der  Klein wesen,  d.  h. 
den  bindenden  Seitenketten  ihres  Protoplasmas,  die  einerseits  die 
bakteriziden  und  bakteriotropen  Schutzstoffe  des  normalen  und 
immunisierten  Tierkörpers,  die  Antikörper,  auf  den  Bakterienleibem 
verankern  und  dadurch  dieselben  zur  Bakteriolyse  und  Phagoz3d)ose 
vorbereiten,  andererseits  im  Tierkörper  diese  Schutzstoffe  neutrali- 
sieren und  schließlich  die  Bildung  derselben  veranlassen,  d.  h.  immuni- 
sieren sollen,  zu  tun  haben. 

Pfeiffer  und  F  r  i  e  d  b  e  r  g  e  r  (s.  o.   S.   1047)  haben  zuerst  aus- 
drücklich den  Zusammenhang  der  Rezeptoren  mit  der  Virulenz  behauptet, 
nach  unserer  Auffassiuig  für  viele  Fälle  mit  Recht.    Sie  haben  nur  darin 
peirrt,  daß  sie  die  Verwandtschaft  dieser  Auffassung  mit  meiner  älteren 
Ajjgressintheorie  (s.  o.   S.   1023)  verkannt  haben.    In  der  Tat,  sobald  man 
sich  auf  den  Ehrlichschen  Standpunkt  (§  279)  stellt,  daß  dieselben 
„haptophoron   Gruppen"   es  seien,  die  Antitoxin  neutralisieren,  das   Gift 
in  den   empfänglichen   Zellen  verankern  und  als   Reaktion  in  denselben 
die  Neubildung  von  Antitoxinen  bewirken,  ist  die  von  Pfeiffer  und 
Fri  edberger     gegebene    stoffliche   Deutung    der    Virulenz    imd   die 
Definition    der    Aggressine    als  frei  gewordener  oder  seßhafter  Rezeptoren 
gegeben,  denn  die  Alexine,  Opsonine  und  antibakteriellen  Immunkörper 
stellen  für  die  Bakterien  Gifte  dar,  indem  sie  sich  an  ihren  giftempfindlichen 
—    , »giftzuleitenden"    —    Bindegruppen    verankern,    die    weniger 
virulenten   von   ihnen  verfallen  der  Alexinwirkung   unter  Auflösung  oder 
wenigstens   Abtötung  ihrer    Substanz,   die  virulenten   werden   durch   den 
großen    Reichtum    an    entsprechend    gcjstalteten,    aber  nicht  giftempfind- 
lichen —  „giftablenkenden"  —  Bindegruppon,  die  „Hypertrophie 
der  Rezeptoren**  Pfeiffers   vor  der  Vernichtung  bewahrt.     So   wären 
die  virulenten  Bakterien  gewissermaßen  diejenigen,  die  gegen  die  Schutz- 
stoffe natürlich  immun   oder  immunisiert   sind  und  die  Aggressine,   ihre 
Schutz-  und  Immunkörper.    Und  umgekehrt  kömiten  die  Bakterien  durch 
ihre  freien  aggressiven  Rezeptoren,   ebenso  wie  durch  ihre  Immimtoxine 
im  Tier  die  Neubildung  von  Schutzstoffen  anregen. 

Wir  stehen  nicht  an,  diese  Auffassung  uns  im  wesentlichen,  min- 
destens  für  gewisse  Fälle  (vgl.  §  328)  zu  eigen  zumachen.  Allerdings  be- 
darf es  zur  Klarstellung  der  Sachlage  gewisser  erläuternder  Ausführun- 
gen, um  80  mehr,  da  wir  in  einzelnen  Punkten  von  den  Auffassungen 


1054  Kap.  XVII,   {  327. 

der  Ehrlich  sehen  Schule  abweichen.     Zunächst  betreffen  diese  die 

Beziehungen   der   Bakterienrezeptoren   und   Aggressine   zum    Ambo- 

zeptor  und  Komplement. 

Wie  wir  schon  früher  ausgeführt  (S.   1040),  müssen  wir  es  noch  un- 
entschieden lassen,  ob  die  Bindung  des  Komplements  wirklich  erst  durch 
die  Ambozeptoren  vermittelt  wird,  wie  Ehrlich  es  anninunt,  und  nicht 
vielmehr,    wie  B  o  r  d  e  t  meint,  unmittelbar  erfolgt  und  nur  durch  die 
Verankerung    der    Ambozeptoren    („sensibilisierenden  Substanz*')  an    die 
Bindegruppen  der  Bakterien  begünstigt  bzw.  ermöglicht  wird.   Die  von  uns 
zur  Erklärung  der  nicht  spezifischen  Wirkung  von  Aggressinen  angenom- 
menen,  mehr   oder  weniger   erheblichen  antikomplementäiren  Leistungen 
pc»sen  zu  letzterer  Ansicht  besser,  ebenso  das  Vorkommen  der  antiopeonischen 
Leistungen,  unter  der  freilich  zweifelhaften  Voraussetzung,  daß  Opsonine 
und  Komplemente  zusanunenfallen.    Was  die  Art  der  Bindung  zwischen 
Bakterienrezeptoren   und   Aggressinen    einerseits   und   tierischen    Schutz- 
körpem  andererseits  anlangt,  so  sind  wir  geneigt,  abweichend  von  B  o  r  d  e  t , 
der   Ehrlich  sehen  Ansicht,   daß   es  sich  da  um   echte   chemiche 
Bindungen   handelt,    zuzustinunen.     Von   unserem    Standpunkt   axni 
fehlt  dann  noch  ein  Bedürfnis,  mit  Ehrlich  die  nicht  spezifische  Kom- 
plementbindung  durch  physikalische  Absorption  zu  erklären,  damit  also 
zweierlei  Arten  von  Bindungen  nebeneinander  anzunehmen.    In  allen  Fällen 
könnten  vielmehr  „komplemento-"  bzw.  „opsoniphile*"  Bindegnippen  ins 
Spiel  kommen,  deren  Verwandtschaft  nvar  durch  die  Bindung  der  spezi- 
fischen Schutzstoffe,  d.  h.  der  lytischen  Ambozeptoren  und  Tropine,  an  die 
lysino-   und   tropinophilen   Seitenketten   der   Bakterien  gesteigert  würde. 
Wie  das  möglich  ist,  wissen  wir  nicht,  aber  auch  die  Ehrlich  sehe  Vor- 
stellung ist  nur  scheinbar  einfacher,  da  wir  über  den  Mechanismus  der 
Komplementwirkung  ebensowenig  aussagen  können,  wenn  wir  uns  das  Kom- 
plement luunittelbar  an  den  Ambozeptor  gebimden  denken.    Im  übrigen 
werden  die  Annahmen  der  Ehrlich  sehen  Schule  über  die  Vielheit  der 
Komplemente  bzw.  ihrer  Bindegruppen  dadurch  nicht  berührt,  daß  man 
sie  an  besondere  komplementophile  Gruppen  des  Bakterienprotoplasmas 
bzw.  der  Aggressine  und  nicht  sui  die  Ambozeptoren  selbst  herantreten 
läßt.     Der   Unterschied   gegenüber   der   Ehr  lieh  sehen   Auffassung  ist 
auch  insofern  nur  unbedeutend,  als  jedenfalls  die  komplementophilen  Gru}>- 
pen  im  allgemeinen  in  engen  räumlichen  Beziehungen  zu  den  lysinophilen 
stehen,  also  etwa  an  einem  und  demselben  Kerne  haften  werden.    Nur 
scheint  das  eben,   wie  die  nichtspezifische  Komplementbindung  beweist, 
keine  luiunigängliche  Kegel  zu  sein. 

Die  Bindimg  der  lytischen  (und  tropischen)  Immunkörper  erfolgt 
anscheinend  in  anderer  Weise  als  die  der  antitoxischen  (§  275  ff.). 
Während  die  Gifte  durch  eine  ihrer  Menge  proportionale 
Gabe  Gegengift  gebunden  werden,  können  die  Bakterien  eine 
viel  größere  Menge  von  bakteriolytischen  Ambo- 
zeptoren verankern,  als  zu  ihrer  Auflösung  (durch 
Komplement  im  Reagensglas  oder  im  Tierkörper) 
ausreicht.      Pfeiffer    und    Friedberger*)    bestimmten 

1)  Berl.  klin.  Woch.   1902.  25. 


Angriffs-,  Reiz-  iind  Impfstoffe.  1055 

dieses  Verhältnis  bei  virulenten  Gholerabazillen  auf  20 — 545:1,  je 
nach  der  Konzentration  der  Ambozeptorlösung,  die  ihnen  geboten 
wurde.  So  entzog  eine  Öse  Cholerabazillen  einer  Serumverdünnung, 
die  22  Immunitätseinheiten  enthielt^),  nach  lV28tündiger  Berührung 
20—21  derselben,  einer  anderen,  die  550  Einheiten  enthielt,  542 — ^545. 
Ähnliche  Verhältnisse  werden  wir  bei  der  Bindimg  der  Agglutinine 
und  anderer  Immimkörper  durch  die  entsprechenden  Seitenketten 
der  Bakterien  antreffen  (§  337  ff.).  Wir  können  dahingestellt  sein  lassen, 
ob  wir  das  dadurch  erklären  sollen,  daß  ein  Rezeptor  mit 
einer  Menge  bindender  Gruppen  ausgestattet  ist,  oder  ob  eine 
Vielheit  von  Rezeptoren  im  Bakterienkörper  anzunehmen  ist, 
von  denen  jeder  nur  eine  Bindegruppe  besitzt.  Nötig  sind  dagegen 
mindestens  für  den  von  Pfeiffer  und  Friedberger  studierten 
Fall  zwei  Annahmen,  erstens  müssen  diese  Bindegruppen  eine  ungleiche 
Verwandtschaft  zum  Immunkörper  haben  und  zweitens  ungleiche 
physiologische  Wirkungen  vermitteln,  imd  zwar  besitzen  offenbar 
die  wenig  zahlreichen  Seitenketten,  die  sich  schon  in  stark  verdünntem 
Immunserum  mit  Ambozeptoren  verketten,  die  größere  Verwandtschaft 
zu  ihnen  und  bedingen  nach  Zutreten  des  Komplements  Bakteriolyse, 
während  die  weit  reichlicher  vertretenen  Seitenketten,  die  sich  im 
konzentrierten  Immunserum  mit  Ambozeptoren  sättigen,  geringere 
Verwandtschaft  zu  ihnen  und  nur  unerheblichen  Einfluß  auf  die  Bak- 
teriolyse haben,  obwohl  sie  ebenfalls  Komplement  zu  binden  scheinen. 
Wir  können  uns  daher  vielleicht  vorstellen,  daß  die  ersteren,  für  die 
Komplementwirkung  empfindlicheren  „giftzuleitenden"  (s.  o.)  Rezep- 
toren*) an  anderen  gefährdeteren  Stellen  des  Protoplasmas  der  Bak- 
terien sitzen,  als  die  zwar  auch  komplementbindenden,  aber  für  die 
Komplement  Wirkung  unempfindlichen  („giftablenkenden"  s.  o.) 
•^eitenketten  oder  Aggressine. 

Möglicherweise  sind  die  letzteren  auch  allein  oder  wenigstens  leichter 
trennbar  von  den  Bakterienleibern')  und  erscheinen  uns  deshalb  eher  als  ge- 
löste Aggressine.  —  Augenscheinlich  ist  für  die  Erklärung  der  Virulenz  nicht 
nur    der    Verwandtschaftsgrad,    sondern    auch    das    Zahlenverhältnis    der 


1)  d.  h.  22  mal  mehr,  als  zur  Auflösung  in  der  Bauchhöhle  von  Meer- 
schweinchen nötig  war. 

2)  Statt  empfindlicher  und  unempfindlicher  Rezeptoren  könnte  man 
auch  im  Sinne  der  Bakterien  selbst  sagen  schädliche  und  nützliche.  Wir 
würden  von  Haupt-  und  Nebenrezeptoren  sprechen,  wenn  diese  Ausdrücke 
nicht  schon  vergeben  wären  für  andere  Begriffe  (s.  u.).  Vgl.  übrigens  das 
bei  den  Re€^ginogenen  (komplementbindenden  Antigenen)  Gesagte  ( §   343). 

3)  Haften  vielleicht  am  Ektoplasma  und  nicht  wie  die  empfind- 
lichen am  Endoplasma.  Vgl.  S.  1039  die  Darstellung  Centannis  und 
die  Erörterung  über  die  Kapseln  S.   1040. 


1056  Kap.  XVII,   §  327. 

beiden  Arten  von  Rezeptoren  von  Bedeutung.     Leider  sagen  uns  die  biji- 
herigen    Versuche   von    Pfeiffer   und    Friedberger,    ebenso   wie 
die  unsrigen  nur,   daß   die  virulenten  Bakterien  mehr    Rezeptoren  im 
ganzen  genommen  besitzen  als  die  weniger  virulenten  —  nichts  aber  über 
die  genannten  Beziehungen  zwischen  beiden  Gruppen  von  Rezeptoren.    Es 
wird  vielleicht   gelingen,   durch   weitere  Versuche,   namentlich   mit  Hilfe 
von  Bakterienextrakten,   eine  bessere  Einsicht  zu  gewinnen.     Wenn  aiü« 
den  Versuchen  von   Pfeiffer  und  Friedberger  auf   eine  höhere 
Verwandtschaft   der   empfindlichen   Rezeptoren   geschlossen   werden  darf, 
so  braucht  sie  doch  nicht  so  groß  zu  sein,  daß  sie  unter  allen  Umständen 
zur  Wirkung  gelangt,  z.  B.  könnte  bei  kürzerer  Berührung  mit  dem  Imnuiii- 
serum  eine  andere  Verteilung  der  Ambozeptoren  eintreten,  indem  dann 
die  vielen  schwächeren  Affinitäten  der  unempfindlichen  Seitenketten  durch 
Massenwirkung  den  kräftigen  einen  Teil  der  Rezeptoren    vorwegnehmen 
Dann  hätte  man  eine  ablenkende,  also  aggressive  Wirkung,  während  bei 
den  weniger  virulenten  dieselbe  wegen  der  geringeren  Menge  der  unempfind- 
lichen Seitenketten  nicht  zustande  käme.     Erst  recht  würde  dieser  Unter- 
schied sich  geltend  machen,  wenn  beide  Gruppen  von  Rezeptoren  die  gleiche 
Verwandtschaft  zu  den  Ambozeptoren  besäßen,  wie  es  vielleicht  gegen- 
über den  Ambozeptoren  des  Normalserums  die  Regel  bildet.     Schließh'cfi 
könnte  sich  aber  auch  bei  den  idrulenten  Bakterien  der  Ver^*^lndtschaft^- 
grad  umkehren,   dann  brauchten  wir  zur   Erklärung  der  Virulenz  keine 
Hypertrophie  der  Rezeptoren  mehr  (s.  u.   §  328). 

Was  die  Festigkeit  der  Bindung  zwischen  Rezeptoren  und 
antibakteriellen  Schutzstoffen  anbetrifft,  so  bestehen  größere  Unklar- 
heiten als  im  Falle  der  Toxin- Antitoxin  Verbindung  (§  278).  Allerdings 
lassen  sich  die  einmal  gebundenen  Ambozeptoren  (und  Tropine)  durch 
Auswaschen  und  andere  Trennungsmittel  ebenso  schwer  von  den 
Bakterien  trennen  wie  die  Agglutinine  (§  337),  das  scheint  aber  nicht 
mehr  oder  nicht  immer  der  Fall  zu  sein,  wenn  das  Komplement  und 
damit  die  Bakteriolyse  hinzugetreten  ist.  Wenigstens  haben  Pfeif- 
fer und  Friedberger^)  beobachtet,  daß  selbst  kleinste  Gaben 
Immunserum  nach  Bindung  an  Cholerabazillen  in  der  Bauchhöhle 
des  Meerschweinchens  gegenüber  frisch  zugesetzten  Cholerabazillen 
ihre  Schutzwirkimg  fast  vollständig  behalten.  Das  stimmt  freilich 
nicht  recht  mit  einer  anderen  Mitteilung  derselben  Forscher^),  die  besagt, 
daß  kleine  Mengen  von  Cholerabazillen  —  wie  die  der  Agglutinogene 
imd  Toxine  —  nur  dann  ihre  Immunisierungsfähigkeit  bei  Kaninchen 
verlieren,  wenn  sie  mit  großen  Mengen  Immunserums  beladen  worden 
sind.  Auch  werden  nach  T  o  y  o  s  u  m  i  ^)  die  Ambozeptoren,  die  zur 
Bakteriolyse  der  Cholerabazillen  geführt  haben,  im  Reagensglas  nicht 
wieder   frei,    denn  neu  zugesetzte  Cholerabazillen  werden  trotz  Vor- 


1)  Zentr.  Bakt.   34.  77,   1903. 

2)  Deutflcli.  med.  Woch.   1902.  25. 

3)  Zontr.  Bakt.   48.   326,   1908. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1057 

handensein  von  Komplement  nicht  mehr  gelöst.  Bei  den  Ruhrbazillen 
ist  es  nach  den  Beobachtungen  von  Bürgers  und  H  ö  s  c  h  (S.  1046) 
nicht  anders:  selbst  gelöste  Aggressine  binden  den  Immunkörper  so 
fest,  daß  die  Bindung  nicht  von  frischen  Bazillen  gesprengt  wird.  Wir 
müssen  abwarten,  wie  sich  (^ese  Unstimmigkeiten  aufklären  werden. 
Die  lysinogenen  und  tropinogenen  Seitenketten  der  Bakterien 
sind,  auch  von  den  besprochenen  Unterschieden  abgesehen,  nicht 
einheitlich  gebaut.  Das  Studium  der  Beziehungen  zwischen  Bakterien 
desselben  Stammes  und  Immunseren,  die  an  verschiedenen  Tier- 
individuen  und  -arten  gewonnen  sind,  hat  gezeigt,  daß  ein  Bakterium 
unter  Umständen  mit  einer  ganzen  Reihe  von  bindenden  bzw.  immimi- 
sierenden  Gruppen,  d.  h.  also  von  Rezeptoren  für  lytische  Ambozep- 
toren  und  Tropine  versehen  sein  muß.  Damit  stimmen  auch  zusammen 
die  Beobachtungen  über  die  Beeinflussung  von  Bakterien  durch  Immun- 
seren, die  mit  anderen  Stämmen  oder  Arten  hergestellt  worden  sind. 
Wir  gehen  hierauf  nicht  näher  ein,  weil  das  so  wie  so  geschehen  muß, 
wenn  wir  von  der  praktischen  Anwendung  der  Serumtherapie  zu 
sprechen  haben  (vgl.  Immunitätslehre),  und  verweisen  im  übrigen  auf 
die  ganz  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  Agglutinogenen  (§  336). 

über  den  Mechanismus  der  Bakteriolyse  \md  Bakterizid ie,  die  die 
Folge  der  Ambozeptor-  und  Komplementverkettung  am  Bakterienleibe 
ist,  können  wir  vorläufig  wenig  aussagen,  die  morphologischen  Vorgänge 
imd  die  Schlüsse,  die  sich  etwa  daraus  ergeben  könnten,  haben  wir  schon 
früher  (§11)  behandelt^).  Wenn  wir  gez^^'ungen  sind,  einen  Unterschied 
anzunehmen  zwischen  den  empfindlichen  Rezeptoren  und  den  unempfind- 
lichen oder  Aggressinen,  so  betrifft  er  doch  im  wesentlichen  wohl  nur  den 
!^  i  t  z  im  Protoplasma  der  Bakterien  \uid  die  biologische  Leistiuig,  über- 
flüssig wäre  es  aber  wohl,  auch  eine  wesentliche  Verschiedenheit  der  diese 
vermittelnden  bindenden  CJruppen,  soweit  Ambozeptoren  (oder  Tropine) 
in  Betracht  kommen,  vorauszusetzen. 

Wir  kommen  jetzt  zum  Verhältnis  der  Schutzstoffe  bindenden, 
aggressiven  und  der  immunisierenden  Substanzen  (lysino-  und  tropino- 
genen Impfstoffe,  Antigene).  Daß  beide  im  allgemeinen  in  engsten 
Beziehungen  zueinander  stehen,  wird  durch  die  Tatsache  sehr  wahr- 
scheinlich, daß  den  aggressiven  Wirkungen,  soweit 
sie  überhaupt  im  Tierkörper  überwunden  wer- 
den, defensive,  und  zwar  im  wahren  Sinne  des 
Wortes  immunisierende  auf  dem  Fuße  zu  folgen 
pflegen  (§  333). 

1)  Vgl.  Neuf  elds  Fest^stellung,  daß  die  durch  Bakteriolyse  im 
Heagensglas  entstandenen  («ranula  der  Cholerabazillen  noch  lysinogen 
sind  (§  333).  Über  den  Mechanismus  der  Opsonin-  imd  Tropinwirkung 
8.  o.   §  322. 

Kruse,  Mikrobiologie.  67 


1058  Kap.  XVII,    §  327  u.  328. 

B  a  i  1  sah  geradezu  in  der  immunisierenden  Fähigkeit  der  tierisdien 
Aggressine  eine  Haupieigenschaft  derselben,  und  Wassermann  und 
C  i  t  r  o  n  be.3tätigten  das  für  die  Kulturaggressine  auch  in  den  besonderen 
von  B  a  i  1  hervorgehobenen  Fällen  der  septizämischen  Infektionen  (s.  o. 
S.  1027).  Im  übrigen  war  die  immunisierende  Wirkung  von  Bakterien- 
filtraten  —  Aufschwemmungen  und  Auszügen  —  ja  seit  lange  bekannt, 
und  Roger  wies  ausdrücklich  darauf  hin,  daß  das  infektionsbegünstigende 
Filtrat  der  Rauschbrandbazillen  später  Inmiunität  verursache  (S.  102-2). 
Auch  in  unserer  ersten  Darstellung  der  Aggre88in-(Ly8in-)Theorie  spielten 
die  Anti aggressine  (-lysine)  schon  eine  wichtige  Rolle  (S.  1023/4).  Nur  über 
die  Art,  wie  die  Immiinkörperbildung  durch  die  aggressiven  Stoffe  er- 
folgte, war  ich  selbst  mir  nicht  klar,  imd  ebenso  ging  es  anderen.  Auf  der 
einen  Seite  betrachtete  man  die  immunisierenden  Stoffe  als  „Reize",  die 
eine  „Sekretion"  von  Immunkörpern  veranlaßten,  auf  der  anderen  Seite 
glaubte  man,  daß  die  ersteren  sich  in  die  letzteren  verwandelten.  Die 
Lösung  der  Aufgabe  erfolgte  bekanntlich  zuerst  für  die  Toxine  und  Anti- 
toxine, bei  denen  die  Verhältnisse  dewiurch  noch  verwickelter  zu  liegen 
schienen,  als  hier  die  Möglichkeit,  mit  ungiftigen  Stoffen  zu  immunisieren, 
zunächst  für  die  Verschiedenheit  der  immunisierenden  Stoffe  und  Gifte 
sprach.  Ehrlich  klärte  durch  die  Aufstellung  seiner  Toxoide  diesen 
letzteren  Widerspruch  auf  und  gab  in  seiner  Seitenkettentheorie  die  bisher 
am  besten  befriedigende  Lösung  des  Rätsels  (§  279). 

Die   völlige   Übereinstimmung    der   aggressiven  und   lysinc^enen 
bzw.    tropinogenen    Impfstoffe,    welche   die   Ehrlich  sehe   Theorie 
zunächst  zu  verlangen  scheint,  ist  freihch  ebensowenig  nötig,  als  eine 
solche  der  Aggressine  und  Rezeptoren.     (Jerade  die  Verhältnisse,  die 
bezüglich  der  Impfgifte  festgestellt  worden  sind  (§  279),  machen  Vor- 
sicht auch  in  unserem  Falle  empfehlenswert.     Ein  genauer  Vergleich 
der   immunisierenden   und   aggressiven    Fähigkeiten    fehlt    allerdings 
noch,  aber  es  liegen  ziemlich  zahlreiche  Erfahrungen  vor    über  die 
Beziehungen   zwischen   Virulenz,   immunisierendem  und 
Bindungsvermögen.     Pfeiffers   und   Friedbergers 
Angaben,    daß   alle   drei   Eigenschaften   miteinander   parallel   gingen 
(S.  1047),  wurden  von  Wassermann  nur  für  die  letzteren  beiden, 
von  Pettersson  und  Händel  für  Virulenz  und  Immunisierungs- 
kraf t,  aber  in  keiner  Weise  von  Meinecke,  Jaffe  und  F  1  e m - 
m  i  n  g  (s.  o.  S.  1048),  Bang  und  Forßmann^),  Friedberger 
und  Moreschi^)  bestätigt.     Meist  war  die  immunisierende  Fähig- 
keit in  diesen  Fällen  erhalten,  die  Bindekraft  und  Virulenz  aber  fehlten 
oder  waren  gering;  in  Händeis  Fall  war  umgekehrt  die  immuni- 
sierende  Fähigkeit   (imd   Virulenz)  verloren,  das  Bindungsvermögen 
aber  mehr  oder  weniger  erhalten.    Uns  interessieren  hier  zunächst  nur 


1)  Hofmeisters  Beitr.   8,    1906;  Biochem.   Zeitschr.   9,    1908  (Hämo- 
lysinbildung  durch  Blutkörper). 

2)  Berl.  klin.  Woch.  1905.  45  (Bakteriolysin  und  Agglutinin  für  Typhus). 


Angriffs-.  Reiz-  und  Impfstoffe.  1059 

die  Beziehungen  der  immunisierenden  Eigenschaft  zu  der  bindenden. 
Man  hat  sich  in  verschiedener  Weise  mit  den  Tatsachen  abgefunden. 
Während  die  letzteren  vier  Forscher  durch  ihre  Beobachtimgen  die 
Ehrlich  sehe  Theorie  von  der  Identität  der  haptophoren  und  im«* 
munisierenden  Gruppen  für  widerlegt  halten,  glauben  Meinecke  und 
seine  Mitarbeiter  sowie  S  a  c  h  a  ^) ,  die  Erscheinimgen  durch  eine  un- 
gleiche ,,Avidität''  der  an  sich  gleichartigen  Bindegruppen  im  Reagens- 
glas und  Tierkörper  erklären  zu  können.  Wassermann,  Pet- 
tersson,  Händel,  v.  Liebermann  ^)  und  Coca  ^)  kommen 
auf  einen  ähnlichen  Gedanken  heraus,  suchen  ihn  aber  noch  dadurch 
zu  verdeutlichen,  daß  sie  annehmen,  die  Bindung  der  hapto- 
phoren Gruppen  an  die  Körperzellen  hänge  ab 
von  dem  gleichzeitigen  Vorhandensein  eines 
„Reize  s'S  der  z.  B.  bei  den  Toxinen  durch  eine  gewisse  Aktivität 
der  „toxophoren*'  Gruppe  des  gleichen  Moleküls  (W  assermann), 
bei  den  immunisierenden  Stoffen  der  T3rphusbazillen  durch  eine  von 
den  Bakterien  gleichzeitig  gelieferte  hitzeempfindliche  Substanz  (P  e  t  - 
tersson)  abgegeben  werde.  Umgekehrt  würde  das  Fehlen  des  Bin 
dungsvermögens  imd  der  Virulenz  (Aggressivität?*))  bei  erhaltener 
Immunisienmgsfähigkeit  dafür  sprechen,  daß  auch  für  die  ersten 
beiden  Eigenschaften  ein  besonderes  Element,  das  wir  uns  wieder  von 
stoffhcher  Art  denken  könnten,  nötig  wäre.  Wo  dasselbe  fehlte,  würden 
wir  von  „Aggressinoiden"  sprechen  dürfen. 

§  328.  Theorie  der  Virulenz.  Wir  kommen  jetzt  zu  den  Be- 
ziehungen der  Virulenz  zu  den  Aggressinen  einerseits  und  dem  Bindungs- 
vermögen für  Immunkörper  bzw.  Schutzstoffe  andererseits".  Ein 
völliger  Parallelismus  besteht  eigentlich  nur  bei  den  in  unserem  Labo- 
ratorium untersuchten  Ruhrbazillen  imd  bei  den  Cholerabazillen  nach 
Pfeiffer  und  Friedberger,  wenn  auch  die  letzteren  nur  die 
Virulenz  (der  lebenden  Bakterien)  und  das  Bindungsvermögen,  nicht 
die  Angriffsstoffe  der  Cholerabazillen  im  Tierversuch  geprüft  haben. 
Aus  den  zuletzt  im  §  327  aufgeführten  Arbeiten,  die  freilich  ebenfalls 
die  Feststellung  der  Aggressivität  vermissen  lassen,   folgt  aber,  daß 


1)  Hämolysine  in  Lubarsch-Ostertags  Ergebnissen  der 
Pathol.   11.  Jahrg.   1,   1907. 

2)  Biochem.  Zeitschr.   11,   1908. 

3)  Ebenda  14,  1908. 

4)  In  den  obigen  Versuchen  fehlen  eigentliche  Bestimmungen  der 
Aggressivität  in  Aggressinversuchen,  sie  wären  also  künftig  nachzuliolen. 
Vielleicht  handelt  es  sich  auch  hier  nur  imm  ein  Fehlen  des  Bindungsver- 
mögens  im  Reagensglas,  nicht  im  Tierkörper,  wobei  natürlich  die  Aggressi- 
vität erhalten  bliebe. 

67* 


1060  Kap.  XVII,   5  328. 

die  Verhältnisse  bei  den  Cholerabazillen  selbst  und  bei  anderen  Bak- 
terien nicht  immer  so  liegen,  wie  in  dem  Falle  von  Pfeiffer  und 
Friedberge  r.  Höschs  und  Bürgers'  früher  erwähnt«  Be- 
obachtungen an  Typhusbazillen  (S.  1045)  füllten  schließUch  auch  die 
eben  genannte  Lücke  aus,  indem  sie  zeigten,  daß  „tierische"' 
Bazillen  unter  Umständen  zwar  höhere  Virulenz,  aber  kein  grö- 
ßeres Bindungsvcrmogen  und  ebensowenig  stärker  wirkende  Aggres- 
sine  besitzen. 

Es  fragt  sich,  ob  wir  unsere  Aggressintheorie  nicht  doch  allen  diesen 
anscheinend  so  widersprechenden  Tataschen  anpassen  können.  Wir 
glauben  wirklich,  daß  das  möglich  ist,  wenn  wir  d  e  n  S.  1053  auf- 
gestellten Unterschied  zwischen  „empfind- 
lichen" und  „unempfindliche  n",  die  Schutzkörper 
„zuleitenden"  und  „ablenkenden"  Seitenkettenim 
Bakterium  im  Auge  behalten  und  uns  vorstellen, 
daß  nicht  bloß  die  Anzahl  der  beiden  Arten  von 
Rezeptoren,  sondern  auch  ihr  Verwandtschafts- 
grad zu  den  S  chu  t  z  k  ör  pe  r  n  absolut  und  relativ 
verschieden  sein  kann.  So  könnte  die  höhere  Virulenz 
hervorgehen : 

1.  aus  einer  absoluten  Vermehrung  der  ablenkenden  Seiten- 
ketten bei  gleichbleibender  Zahl  von  zuleitenden  Seitenketten  und  ziem- 
lich gleicher  Verwandtschaft  der  beiden  Gruppen  zu  den  Schutzkörpem. 
Die  freien  oder  seßhaften  Aggressine,  die  mit  den  ableitenden  Seiten- 
ketten zusammenfallen,  würden  dann  bei  den  virulenten  Bakterien, 
weil  sie  reichlicher  vorhanden  sind,  kräftiger  wirken  als  bei  den  ab- 
geschwächten, und  die  virulenten  Bakterien  vrürden  mehr  Inunun- 
körper  binden  als  die  avirulenten.  Es  ist  das  der  von  uns  bei 
den  Dysenteriebazillen  und  anscheinend  von  Pfeiffer  und 
Friedberger  bei  den  Choleravibrionen  gefundene  Fall,  den 
Pfeiffer  als  Hypertrophie  der  Rezeptoren  bezeichnet  hat 
imd  der  vielleicht  besser  als  „Hyperplasie"  (V  i  r  c  h  o  w)  zu  be- 
nennen wäre. 

2.  Eine  zweite  Möglichkeit  wäre  die,  daß  zwar  die  absolute  Zahl 
und  das  Zahlenverhältnis  der  beiden  Arten  von  Seitenketten  die  gleichen 
blieben,  aber  die  Verwandtschaft  der  ablenkenden  zu 
den  Immunkörpern  erheblich  größer  wäre  als  die  der  zuleitenden. 

.  Im  Aggressin versuch  würde  sich  das,  wie  im  ersten  Falle,  durch  kräftigere 
Wirkung  der  Aggressine  bemerkbar  machen,  aber  im  Bindeversuch 
nur  bei  sorgfältiger  Berücksichtigung  der  zeitlichen  Verhältnisse. 
Bisher  ist  auf  den  letzteren  Punkt  nicht  genügend  geachtet  worden. 
Wir  besitzen  vielleicht  nur  deshalb  kein  Beispiel  für  diesen  zweiten 


Angriffs-,  Keiz-  und  Impfstoffe.  1061 

Fall,  der  eine  „HjT^^^^P^®"  ^®^  Seitenketten  (im  V i r eh  o  w sehen 
Sinne)  darstellen  würde. 

3.  Die  höhere  Virulenz  würde  aber  auch  erzielt  werden,  wenn  nicht 
die  Zahl  und  das  Zahlenverhältnis  der  Bezeptoren  sich  änderte,  son- 
dern nur  die  Zahl  oder  Verwandtschaft  der  zuleitenden  absolut 
genommen  erheblich  geringer  wäre  als  die  der  ablenkenden.  Im 
Aggressinversuch  und  Bindtmgsversuch  wäre  dann  kein  deutUcher 
Unterschied  zwischen  virulenten  und  abgeschwächten  Bakterien  fest- 
zustellen. Die  Auflösung  der  mit  gleichen  Mengen  Immunkörper  be- 
ladenen  Bakterien  durch  Komplement  bzw.  ihre  Aufnahme  durch  die 
Phagozyten  würde  aber  bei  den  virulenten  Keimen  weniger  leicht  er- 
folgen, als  bei  den  abgeschwächten.  Einen  derartigen  Fall  scheinen 
z.  B.  H  ö  8  c  h  und  Bürgers  beim  Vergleich  der  tierischen  mit 
den  Kulturbazillen  des  Typhus  vor  sich  gehabt  zu  haben. 

4.  Die  Aggressine  könnten  aber  sogar  bei  den  virulenten  Bakterien 
weniger  reichlich  vertreten,  die  Bindekraft  derselben  für  die  Schutz- 
körper bedeutend  geringer  sein  als  bei  den  abgeschwächten  Bakterien, 
wenn  nur  die  Zahl  oder  Verwandtschaft  der  zuleitenden  Rezeptoren 
für  die  Schutzkörper  noch  stärker  sänke  als  die  der  ablenkenden.  Ehr- 
lich (§  279)  hat  ähnliche  Vorgänge  bei  der  antitoxischen  Immunität  als 
„Atrophie"  oder  „Schwund"  der  Rezeptoren  bezeichnet.  Mindestens  der 
letztere  Ausdruck  paßt  aber  nicht,  weil  von  einem  völligen  Schwund  zu- 
leitender Seitenketten  niemals  die  Rode  ist.  Werden  doch  anscheinend 
auch  die  virulentesten  Erreger  von  Immunserum  beeinflußt,  und  sind  sie 
doch  stets  nur  für  eine  begrenzte  Zahl  von  Tieren  virulent.  Wahr- 
scheinlich fallen  einige  der  in  der  Literatur  beschriebenen,  am  Ende 
des  letzten  Paragraphen  erwähnten  Beobachtungen  in  diese  Gruppe. 

Im  übrigen  ist  durch  die  bisher  bekannten  Tatsachen  nur  die  Möglich- 
keit, unsei'er  Lehre  bewiesen,  denn  die  für  die  einzelnen  Erreger  gültigen 
Verhältnisse  sind  noch  größtenteils  unbekannt.  Natürlich  dürfen  wir  uns 
nicht  der  Täuschung  hingeben,  daß  unsere  Theorie  jemals  im  strengen 
Sinne  des  Wortes  bewiesen  werden  könnte;  wir  müssen  zufrieden  sein, 
wenn  sie  sich  mit  den  Tatsachen  verträgt.  Die  Zukunft  wird  darüber 
das  letzte  Wort  sprechen.  Sehr  wohl  denkbar  wäre  allerdings,  daß  diu-ch 
hesondere  Einrichtungen  die  von  uns  angenommenen  Zu- 
stände verwickelt  würden,  indem  z.  B.,  wenn  die  Darstellung  von  R  o  a  e  - 
110  w  richtig  wäre  (S.  1073),  in  den  Aggr€^sinen  der  Pneumokokken  Stoffe 
vorhanden  wären,  welche  nicht  die  Opsonine  selbst,  sondern  die  opso- 
niphilen  —  opsoninzuleitenden  —  Rezeptoren  dieser  Bakterien  verstopften, 
oder  wenn  durch  die  leukozide  (S.  1033)  und  negativ  leuko- 
takti8che(S.  1034)  Wirkung  der  Bakterienabsonderungen  sich  ein  melir 
oder  weniger  wesentlicher  Teil  der  aggressiven  Leistiuigen  erklärte,  oder 
wenn  schließlich,  worauf  wir  gleich  (§  329)  zurüekkommen  werden,  noch  ge- 
^nsse  virulenzsteigernde  Reizstoffe  namentlich  in  einzelnen  tierischen 
Organen  zur  Wirkung  gelangten. 


1062  Kap.  XVII,  §  328  u.  329. 

Nebensächlicher  für  unsere  Lehre  ist  es,  ob  man  mit  Eisenberg  ') 
die  für   die  Virulenz  maßgebenden  Kräfte  erst  im  empfänglichen  TIm"- 
körper  durch  „Anpassung",  d.  h.   als  eine  Art   „Reaktion"   auf  die  Ein- 
wirkung der  tierischen  Ab  Wehrkräfte  entstehen  lassen  und  ihren  Sitz  mit 
demselben  Forscher  wesentlich  in  das  „Ektoplasma"  verlegen  will.     DaÖ 
die  Pfiurasit^n  wie  alle  lebenden  Keime  reaktionsfähig  sind,  ist  eine  sehr 
wahrscheinliche  Voraussetzung;  daß  derartige  Anpassungen  in  vielen  Fällen 
wirklich  vorkommen,  werden  wir  ja  gleich  in  §  330  bestätigt  finden,  und 
daß  sie  manchmal  nur  kurze  Zeit  erfordern,  lehren  die  Beobachtungen 
über  die  schnelle  Bildung  der  Kapseln  und  das  veränderte  Verhalten  der 
kapsei  tragenden  Bakterien  gegenüber  den  Abwehrkräften,  namentlich  den 
Freßzellen.     Durch  diese  letztere  Tatsache  (vgl.  §  322)  wird  auch  die  Be- 
deutung der  „Ektoplasmahypertrophie"  in  gewissem  Grade  wahrscheinlich 
gemacht.     Die  Hauptsache  bleibt  aber  für  uns  die  nähere  Bestimmung  der 
die  Virulenz  bedingenden  Kräfte  als  Stoffe  vom  Charakter  der  Ehrlich- 
schen  Seitenketten  und  die  Unterscheidungder  zuleitenden 
und  ablenkenden  Seitenketten.     Eisenberg  spricht  sich 
in  dieser  Beziehung  nicht  klar  aus,  ja  hält  die  Möglichkeit  offen,  daß  die 
Kapsel  nur  einen  mechanischen  Schutz  gewahre.     Grerade  diese 
Auffassung  ist  aber  für  uns  unannehmbar  ( §  329).  —  Wir  müssen  vielnielir 
die  Ektoplasmahypertrophie,  soweit  wir  sie  überhaupt  als  Begleiterschei- 
nimg der  Virulenz  anerkennen  können,  in  anderer  Weise  zu  erklären  suchen. 
In  unserem  Falle  1  und  2  läge  es  zwar  auf  den  ersten  Blick  nahe,  die  reich- 
lichere bzw.  die  kräftigere  Ausbildung  der  ablenkenden  Seitenketten  (Ag- 
gressine)  mit  der  des  Ektoplasmas  in  Verbindung  zu  bringen.     Ganz  al)- 
gesehen  davon,  daß  für  imseren  3.   und  4.   Fall  eine  solche  Darstellung 
nicht  passen  würde,  können  wir  uns  auch  deswegen  nicht  recht  zu  ihr  be- 
kennen, weil  die  neu-  oder  umgebildeten  Rezeptoren  im  besten  Falle  ver- 
mutlich  nur  eine  so  kleine  Stoffmenge  darstellen,  daß  sie  allein 
für  sich  nicht  eine  sichtbare  Vergrößerung  der  Zellen  bewirken  werden. 
Auch   das   etwaige   Hinzutreten   von   Leukozidinen,   Hämolysinen,   Endo- 
toxinen  würde  daran  nichts  ändern,  da  alle  diese  Stoffe  absolut  genommen 
wohl  ebensowenig  gegenüber  der  Grundsubstanz  des  Ektoplasmas,  in  die 
sie  vielleicht  eingebettet  sind,  ins  Gewicht  fallen.     Wir  müssen  daher  die 
Ektoplasmahypertrophie    zwar    betrachten    als    eine    Gegenwirkung    der 
Parasiten  auf  den  Reiz,  der  von  gewissen  mit  den  Schutzstoffen  wahrschein- 
lich  nahe  verwandten   Schutzstoffen  der  tierischen   Säfte  ausgeübt  wird 
( §  4),  werden  auch  wohl  annehmen  dürfen,  daß  diese  Stoff neubildung  in 
irgendeiner  Weise  zusammenhängt  mit  den  Veränderungen  der  Seitenketten, 
die  für  die  Virulenzsteigerung  charakteristisch  ist,  können  aber  vorläufig 
nichts  angeben  über  den  Mechanismus,  durch  den  das  geschieht.    Eben- 
sowenig   sind  wir  streng  genommen  imstande,   diese  Veränderungen  der 
Rezeptoren  mechanisch  zu  erklären.     Wie  man  leicht  sieht,  entsprechen 
sie  einigermaßen  den  Veränderungen,  die  Ehrlich  im  ,,Rezeptorenappft- 
rat"   der   Tiere  annimmt,    um    die   Immunitätserscheinungen   zu  deuten 
Ehrlich  spricht  dabei  auch  von  Hypertrophie  luid  Atrophie  der  tierischen 
Seitenketten  und  führt  die  erstere  ziu*ück  auf  den  E^rsatz  bzw.  Überersatz 
von  Seitenketten,  die  durch  die  Bindung  an  Antigene  verloren  gegangen 
oder  ausgeschaltet  sind,  die  letztere  auf  irgendwie,  z.  B.  diu-ch  Erschöpf unß 


1)  Zentr.  Bakt.  45.  638,   1907.    Lit..    Vgl.  u.   S.   1067. 


Angriffs-,  Reis-  und  Impfstoffe.  1063 

erworbene  Regenerationsfähigkeit  der  Seitenketten.  Es  sind  das  abe^* 
nur  Vorstellungen,  die  geeignet  sind,  Vorgänge  aus  diesen  wie  aus 
anderen  Gebieten  der  Physiologie  kurz  zusammenzufassen.  Eine  genügende 
mechanische  Erklärung  erhalten  wir  dadurch  nicht  (vgl.    §  68). 

§  329.  Fortsetzung.  Andere  Erklärungen  der  Virulenz. 
Solche  sind  zwar  mehrfach  versucht  worden,  erscheinen  uns  aber  bisher 
lange  niclit  so  befriedigend  als  die  Aggressintheorie  in  der  eben  von 
nns  dargelegten  Form.  Die  Gifttheorie  haben  wir  schon  im  §  321  be- 
sprochen^) und  im  wesentlichen  zurückweisen  müssen.  Dasselbe  gilt 
für  die  „Assimilationstheorie"  in  der  Form,  wie  sie  namentlich  B  a  u  m  - 
garten  in  seiner  pathologischen  Mykologie  und  später  gelegentlich 
seiner  Kämpfe  gegen  die  Phagozyten,  Alexine  und  andere  Schutz- 
stoffe*) vertreten  hat,  denn  es  fehlt  erstens  jede  Angabe  über  die 
Mittel,  wodurch  die  virulenten  Keime  in  den  Stand  gesetzt  werden, 
den  lebenden  Nährboden  zu  assimilieren,  die  abgeschwächten  nicht; 
es  werden  zweitens  die  hell  am  Tage  liegenden  Wachstums- 
widerstände im  lebenden  Tierkörper,  eben  die  Freßzellen  und 
Schutzstoffe,  mit  ganz  unzureichenden  Gründen  weggeleugnet  und 
schließlich  auch  die  ebenso  klare  Tatsache,  daß  fast  an  allen  Orten 
im  Tierkörper,  mindestens  in  den  flüssigen  Interzellularsubstanzen 
und  Sekreten,  Nährstoffe  genug  für  die  große  Mehrzahl  der  Klein- 
wesen vorhanden  sind,  übersehen.  Weit  klarer  und  bis  zu  einem 
gewissen  Grade  auch  berechtigter  sind  die  Vorstellungen,  die 
P.  Ehrlich®)  neuerdings  entwickelt  hat,  um  die  Virulenz- 
unterschiede der  Geschwulstzellen,  Trypanosomen,  Spirochäten, 
ferner  der  Erreger  von  Geflügel-,  Menschen-  und  Kuhpocken,  der 
Maul-  und  Klauenseuche,  der  Hunds wut,  des  Trachoms  usw., 
aber  auch  von  manchen  echten  Bakterien  unserem  Verständnis 
näherzurücken. 

Jedes  Wachstum,  das  der  Psu^asiten  sowohl  wie  d€tö  der  Wirtszellen, 
sei  abhängig  von  der  Verwandtschaft  (,,Avidität")  der  Zellen  zu  den  Nähr- 
stoffen. Diese  letzteren  seien  im  Wirtskörper  zum  Teil  in  großen  Mengen 
vorhanden  und  frei  verfügbar,  zum  anderen  Teil  in  nicht  unmittelbar 
assimilierbarer  Form,  sondern  in  irgendeiner  Weise,  z.  B.  wie  das  Lezithin, 
an  Zellbestand teile  gebunden  und  deu*um  nur  für  diejenigen  Parasiten 
verwertbar,  die  es  vermögen,  durch  stärkere  Verwandtschaft  oder  nach 
Schädigung  der  Zellen  den  letzteren  diese  Stoffe  zu  entreißen.  Eine  letzte 
Gruppe  von  Nährstoffen  sei  endlich  nur  in  beschränkten  Mengen  im  Tier- 

1)  Ebenda  (S.  123)  s.  über  Hämolysine. 

2)  Vgl.  Lit.   S.  5  Anm.   1. 

3)  Vgl.  besonders  Karben  lectures  vom  7.  II.  1907  (Lancet  1907 
tind  Beiträge  zur  experim.  Ther.  u.  Chemotherapie  1910,  S.  67  ff.);  Nobei- 
vortrag  vom  11.  XIT.  1908  (ebenda  S.  134);  Münch.  med.  Woch.  1909.  5 
(ebenda  S.  222). 


1064  Kap.  XVII,   §  329. 

körper  vorhanden  und  auch  nur  in  kleinen  Mengen  (neben  den  anderen 
Stoffen)  zur  Ernährung  der  Parasiten  nötig,  es  seien  das  die  .,AuxiHar- 
Stoffe"  oder  ,^auxiliaren  Wuchsstoffe",  für  deren  Verwendbarkeit  auch 
wieder  besondere  Verwandtschaften  erforderlich  seien.  Alle  diese  Ver- 
wandtschaften 2U  den  Nährstoffen  und  damit  die  Möglichkeit  der  Assimi- 
lation bei  den  Parasiten,  mit  anderen  Worten  die  Virulenz,  erklärt  Ehr- 
lich durch  das  Vorhandensein  von  „Nutrirezeptoren"  imd  ebenso  die 
mangelnde  Virulenz  durch  das  ererbte  oder  erworbene  Fehlen,  die  „Atrep«ie" 
der  einen  oder  anderen  Art  von  Nutrirezeptorien,  in  anderen  Fällen  durch 
das  Fehlen  der  Auxiliarstoffe  im  Wirtskörper  selbst,  die  „atreptische 
Immunität".  Daneben  läßt  Ehrlich  zwar  nicht  gegenüber  den  oben 
genannten  Parasiten,  aber  gegenüber  der  großen  Masse  der  Bakterien  die 
bekannten  Wachstiunswiderstände,  d.  h.  Schutzstoffe  und  Freßzellen  ins 
Spiel  treten,  ohne  sich  übrigens  näher  darüber  zu  äußern,  durch  welche 
Mittel  dieselben  von  den  virulenten  Bakterien  überwunden  werden. 

Wir  sehen  aber  nicht  ein,  warum  die  von  uns  entwickelte,  durch- 
aus    den    sonstigen    Ehrlich  sehen    Anschauungen    entsprechende 
Aggressintheorie,  wenn  überhaupt,  nicht  für  alle  Parasiten  ohne  Aus- 
nahme Geltung  verdienen  soll.   Daß  erstens  keimwidrige  Kräfte,  nicht 
bloß   eine  Hemmung  der  Assimilation,  sich  auch  gegenüber  den  von 
Ehrlich   aufgeführten  Kleinwesen,  wie  z.  B.  Spirochäten  und  Try- 
panosomen, mindestens  im  lebenden  Körper  selbst  bemerkbar  machen, 
ist  gar  nicht  zu  bestreiten.  Wenn  gerade  sie  sich  verhältnismäßig  leicht 
dem  Tierkörper   anzupassen  vermögen  und  auch  oft  schleichende  In- 
fektionen erzeugen,  bei  denen  man  von  einer  kräftigen  Vernichtung 
der  Parasiten  nichts  beobachtet,  so  ändert  das  an  unserer  Auffassung 
ebensowenig  wie   die  Tatsache,  daß  die  Wachstumswiderstände  nicht 
überall  im  Beagensglas  nachzuweisen  sind  (S.  1052).    Anpassimgen  des 
Rezeptorenapparats  (s.u.  §330)  und  eine  Art  Gleichgewicht  zwi- 
schen  keimwidrigen  und  aggressiven  Kräften  er- 
klären uns   die   beiden  ersten  Tatsachen,   tmd  die    mangelnde  Über- 
einstimmung zwischen  Beobachtungen  im  Reagensglas  und  lebendem 
Körper  selbst   ist  ja  leider  ebenfalls  eine  bekannte  Erscheinung,  für 
die  wir   nur  die  Unvollkommenheit  unserer  Untersuchungsmethoden 
bzw.  die   Empfindlichkeit  der  Schutzstoffe  und  Schutzzellen  verant- 
wortlich machen  können.    Selbstverständlich  werden  auch  die  Wachs- 
tumsenergie  und  die  Nährstoffansprüche  bei  dem  Leben  der  Parasiten 
im   Tierkörper    eine   gewisse   Rolle   spielen,    so    werden    Keime,   die 
wie    die   Nitrifikationsbakterien  schon  durch  die   Anwesenheit  orga- 
nischer  Stoffe    in  ihrer  Entwicklung  gestört  werden,  femer  manche 
andere,    bestimmten    saprophjrfcischen   Ernährungsbedingungen    ange- 
paßte Pilze  und  Bakterien,  wie  die  der  Alkohol-  und  Essigsäuregäning, 
schon    wegen     der    groben    chemischen    Zusammen- 
setzung    der    tierischen     Gewebe,    wegen    des    relativen 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1065 

Sauerstoffmangels,  der  zu  hohen  Temperaturen 
u.  a.  m.  im  Tierkörper,  ganz  abgesehen  von  dessen  besonderen  Wider- 
standskräften, nicht  gedeihen  können,  manche  Grewebe,  Säfte  imd  Se- 
krete außerdem  wegen  ihrer  zu  festen  Beschaffenheit,  ihres  zu  geringen 
Gehalts  an  Nährstoffen,  ihrer  Reaktion  als  Nährböden  für  Mikxo- 
bien  wenig  oder  gar  nicht  geeignet  sein.  Denjenigen  Kleinwesen  aber, 
von  denen  wir  virulente  und  nicht  virulente  Abarten  kennen,  und 
der  großen  Masse  der  übrigen  sogenannten  Saprophyten,  von  denen 
wir  wissen,  daß  sie  durch  Verimpfung  sehr  großer  Gaben  zum  Wachs- 
tum im  Tierkörper  gebracht  werden,  dürfen  wir  wohl  zutrauen,  daß 
sie  sämtlich  imstande  sind,  von  den  im  lebenden  Körper  gebildeten 
Nährstoffen  ihr  Dasein  in  ähnUcher  Weise  zu  fristen,  wie  sie  das  in 
toten  (Geweben,  Gewebsauszügen  und  Säften  tun.  Daß  sie  dazu  besonderer 
,,N\itrirezeptoren"  bedürfen,  ist,  wie  wir  schon  in  §  68  betont  haben, 
eine  vorläufig  unbewiesene  und  auch  überflüssige  Annahme,  da  die 
gewöhnlichen  enzymatischen  Kräfte,  von  denen  ¥dr  in  den  früheren 
Abschnitten  dieses  Buches  des  langen  und  breiten  gesprochen  haben, 
dazu  ausreichen.  Allerdings  besitzen  sie  je  nach  ihrem  Yirulenzgrad 
mehr  oder  weniger  Rezeptoren,  benutzen  sie  aber  nicht  zur  Ernährung, 
selbst,  sondern  um  sich  der  keimwidrigen  Einflüsse  im  Körper  zu  er- 
wehren. Das  Gesagte  trifft  wohl  auch  zu  für  den  Zellparasitis- 
mus, wie  er  bei  den  von  Ehrlich  aufgeführten  sogenannten  Chlamy- 
dozoen,  den  Erregem  der  Blattern,  Hundswut  usw.  besteht.  Aller- 
dings wird  dieser  Parasitismus  nur  dadurch  möglich,  daß  die  betreffen- 
den Erreger  ein  größeres  Assimilationsvermögen  besitzen  als  die  Zellen, 
die  sie  heimsuchen,  und  von  denen  sie  sich  ernähren,  ohne  sie  vorher 
zu  töten  oder  wesentUch  zu  schädigen.  Auch  hier  beruht  aber  wohl 
die  größere  Energie  in  den  enzymatischen  Kräften.  Der  Umstand, 
daß  sie  sich  bald  dieser,  bald  jener  Tierart  anpassen,  spricht  unseres 
Erachtens  nicht  für  die  Ehrlich  sehe  Deutung,  sondern  für  die  Aus- 
bildung spezifischer  Abwehrstoffe  in  den  Wirtszellen  der  einzelnen 
Tierarten  und  ebenso  spezifischer  Rezeptoren  oder  Aggressine  in  den 
Parasiten.  Daß  die  Anpassungsmöglichkeit  des  „Rezeptorenapparats*' 
auch  für  die  extrazellularen  Parasiten  nachweisbar  ist,  werden  wir 
gleich  sehen  (§  330). 

Mehr  als  mit  den  übrigen  Vorstellungen  E  h  r  1  i  c  h  s  könnten  wir 
uns  mit  der  Annahme  befreunden,  es  seien  in  gewissen  Fällen  be- 
sondere „auxiliare  Nährstoffe"  nötig,  um  das  Wachstum  der  Parasiten 
zu  erklären.  Wir  haben  an  anderer  Stelle  (§  53)  einen  ähnlichen  Ge- 
danken ausgedrückt,  sprachen  aber  dort  von  „Reizstoffen",  die  die 
höchst  auffallende  Vorliebe  mancher  Parasiten  für  die  einzelnen  Organe, 
die  man  auch  ,, Organvirulenz"  nennen  könnte,  verursacht.   Bestimmte 


1066  Kap.  XVII,  §  329. 

Beweise  dafür  liegen  allerdings  noch  nicht  vor^)  und  dahingestellt  sein 
lassen  würden  wir  es  auch,  ob  diese  Stoffe  durch  Vermittelung  be- 
sonderer bindender  Seitenketten  wirkten. 

Der  Begriff    einer    „atreptischen'^  ImmunitÄt    erinnert    an   die   von 
Pasteur*)  und  K  1  e  b  s  •)  aufgestellte  sog.   Erschöpf  ungstheorie,    eine 
Erklärung  der  erworbenen  Immunität»  nach  der  eine  Infektion  sich  im  sel- 
ben Tier  nicht  in  derselben  Weise  wiederholen  könne,  weil  sie  eine  für  ihr  Ge- 
deihen nötige  unersetzbare  Substanz  aufgezehrt  habe.     Beweise  für   ihr 
Vorkommen  sind  niemals   erbracht  worden.      Auch   die  von   Ehrlich 
dafür  angeführte  Beobachtung,   daß  Mäusekrebse  eine  Zeitlang  in  Ratten 
zur  Entwicklung  konunen,  dann  aber  von  selbst  verschwinden,  entspricht 
vollkommen  der  überall  in  der  Infektionslehre  gemachten  Erfahrung,  d&Q 
Infektionen  im  relativ  immiuien   oder  schwach  inununisierten  Tier   sich 
zwar  entwickeln,  aber  bald  zum  Stillstand  kommen  und  heilen.     Hier  wie 
dort  suchen  wir  die  Ursache  darin,  daß  die  Waehstumswiderstände  nicht 
stets  und  überall  im  immunen  Tier  zur  Stelle  sind,  sondern  vielfach  erst 
durch  sog.  „Reaktionen",    die    Zeit    gebrauchen,    herangeschafft    werden. 
Unmittelbare   Gegenbeweise  gegen  die  Brauchbarkeit  der  Erschöpfungs- 
theorie liegen  darin,  daß  erstens  spezifische  Immunität  auch  ohne  das  Ein- 
greifen lebender  Keime  erzielt  werden  kann,   daß   zweitens  die  Gewebe 
,, geimpfter"  Tiere,  wie  schon  Bitter*)  zeigte,  einen  gleich  günstigen  Nähr- 
boden für  die  betreffenden  Erreger  abgeben  können,  wie  die  ungeimpften 
Tiere,  und  daß  endlich  durch  genügend  große  Gaben  der  Erreger  meist 
auch  beim  immunisierten  Tier  die  Infektion  bewirkt  werden  kann. 

Die  gelegentlichen  Beobachtiuigen  Gamaleias  *)  und  Beh- 
rings*), nach  denen  virulenten  Milzbrandbazillen  ein  stärkeres  Säure- 
bildungsvermögen  im  Blutserum  imd  ein  schwächeres  Reduktionsvermögen 
zukommen  soll,  als  abgeschwächten,  konnten  von  vornherein  kaum  als 
CJrundlage  für  eine  Erklärung  der  Virulenz  betrachtet  werden.  Zum  t*her- 
fluß  hat  Sobernheim*)  das  genannte  Verhältnis  selbst  für  andere 
Milzbrandstänmie  nicht  bestätigt.  Femer  fehlten  nach  Kruse  und 
Pansini  •)    und    Pasquale*)    regelmäßige    Beziehungen    zwischen 

1 )  Höchstens  als  Analogie  käme  in  Betracht  das  von  Ehrlich 
angezogene  Beispiel  des  Influenzabazillus,  der  durchaus  auf  einen  hämo- 
gl obinh altigen  Nährboden  angewiesen  ist.  Wie  hier  das  Hämoglobin  wirkt, 
ist  aber  außerdem  durchaus  nicht  sicher,  wohl  daß  es  durch  andere  Stoffe 
wie  z.  B.  lebende  Xerosebazillen  (M.  Neißer,  D.  med.  W.  1903.  26) 
ersetzt  werden  kann  (vgl.  andere  Lit.  darüber  bei  G  h  o  n  und  P  r  e  y  ß  , 
Zentr.  Bakt;  32,  1902).  Vielleicht  ist  das  Hämoglobin  keine  not- 
wendige Nahrung,  sondern  wirkt  entweder  als  Keiz  oder  dadurch,  daß  fö 
schädliche  Beimengungen  imserer  gewöhnlichen  Nährböden  neutralisiert 
(vgl.    §  57). 

2)  Compt.  rend.  ac.  sc.   1891. 

3)  Ar  eh.  experim.  Path.   13. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.   4. 

5)  Annal.  Pasteur  1888. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.   6.   132. 

7)  Ebenda  25.  319. 

8)  Ebenda  11.   317  und  323. 

9)  Zieglers  Beitr.   12. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1067 

Säurebildung,  Kednktionsvennögen  und  Virulenz  bei  Pneumo-  und  Strepto- 
kokken. 

Ebensowenig  brauchbar  sind  die  Erklärungen,  die  mit  einer  größe- 
ren allgemeinen  Widerstandsfähigkeit  der  infek- 
tiösenKeime  gegen  schädigendeEinflüsse  und  größe- 
.en  Waohstumskraft  in  künstlichen  Nährböden  rech- 
nen wollten.  Eher  könnte  man  vom  Gegenteil  sprechen.  Ausnahmen 
erklären  sich  wohl  daraus,  daß  in  manchen  Fällen  die  Virulenzabschwä- 
chiing  durch  eine  allgemeine  Entartung  der  Keime  erkauft  worden  ist*). 
Die  höhere  Widerstandsfähigkeit  ist  bei  den  infektiösen  Keimen  zwar  vor- 
handen, aber  nur  gegenüber  den  spezifischen  Abwehr- 
k  r  ä  f  t  e  n  bzw.  Stoffen  und  hier,  wie  bemerkt,  bedingt  durch  ebenso 
spezifische  Einrichtungen  zum  Angriff.  Die  bekannten  Erfahrungen  über 
die  Ausbildung  von  Kapseln  im  Tierkörper  (s.  o.  S.  1062)  könnten  den 
V^ersuch  nahe  legen,  die  Widerstandsfähigkeit  statt  auf  komplizierte  An- 
griffsstoffe auf  den  reinmechanischen  Schutz  der  Hülle  zurück- 
zuführen. Auch  Eisenberg  (a.  a.  O.)  hält  sich  für  seine  „Ekto- 
plasmatheorie'*  der  Virulenz  diese  Erklärung  offen.  Abgesehen  davon, 
daß  die  Schleimhülle  an  sich,  wie  w^ir  sahen,  keinen  genügenden  Schutz 
gegen  die  tierischen  Abwehrkräfte  verleiht,  müßte  man  den  Keimen,  die 
eich  damit  umgeben,  doch  A^neder  eine  spezifische  Reizbarkeit,  die  Kapseln 
gerade  am  Orte  der  Gefahr  auszubilden,  zuschreiben.  Das  setzte  dann 
auch  wieder  bestimmte  stoffliche  Verschiedenheiten  der  virulenten  und 
abgeschwächten  Bakterien  voraus.     Wir  kommen  um  solche  nicht  herum. 

An  Steile  der  Kapseln  hat  man  mehrfach  andere  morpho- 
logische Eigenschaften  der  Bakterien  zu  der  Virulenz  in  Be- 
ziehung gebracht.  Daß  das  für  die  Sporenbildung  beim  Milzbrand 
nicht  zutrifft,  haben  Behring  und  Sobernheim  dargetan  (s .  o). 
Das  schließt  aber  nicht  aus,  daß  abgeschwächte  Stämme  dieser  Bakterien 
außer  anderen  Zeichen  der  Entartung  auch  das  Unvermögen,  Sporen  zu 
bilden,  aufweisen.  Nachdem  von  M.  N  e  i  ß  e  r  das  Vorkommen  m  e  t  a  - 
chromatischerKörperchen  oder  Polkörner  (Babes,  Ernst, 
A.  Neißer,  vgl.  §  21  u.  22)  als  ein  sicheres  Merkmal  zur  Erkennung 
der  Diphtherieerreger  hingestellt  worden  war,  haben  W  o  i  t  h  e  und 
Marx  •)  den  Versuch  gemacht,  auch  bei  anderen  Bakterien  diese  Bil- 
dungen als  Prüfsteine  der  Virulenz  in  Anspruch  zu  nehmen.  Weder 
für  die  Diphtheriebazillen  noch  für  Eiterkokken,  Pyocyaneusbazillen  u.  a.  m. 
läßt  sich  aber  ein  solcher  Zusammenhang  anerkennen  (A  s  c  o  1  i  ') , 
Krompecher*),  Gauß*),  Schumburg*),  Ficker'),  eigene 
Erfahrungen  des  Verfiwsers).  Eine  Erklärung  der  Virulenz  hätten  wir 
übrigens  auch  nicht,  wenn  der  Zusammenhang  wirklich  bestände. 


1)  Flügge  und  S  m  i  r  n  o  w ,   Zeitschr.   f.  Hyg.   4.   214  und  245; 
vgl.  Kap.  XVIII. 

2)  Zentr.  Bakt.  25,  28,  29  und  31.    Arch.  f.  Chir.  62.    Deutsch,  med. 
Woch.  1900.  28. 

3)  Deutsch,  med.  Woch.   1901.  20. 

4)  Zentr.  Bakt.  30.   10/11. 

5)  Ebenda  31.  3. 

6)  Ebenda  31.   14. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  46,   1903. 


1 068  Kap.  XVII,  §  330  u.  331. 

§  330.  Veränderlichkeit  der  Virulenz  und  Angriffsstoffe. 

Durch  zahlreiche  Erfahrungen  wird  bewiesen,  daß  die  Virulenz  ein 
Vermögen  ist,  das  sehr  großen  Schwankungen  unterworfen  ist.    Seit- 
dem  6  a  ß  n  e  r  im   Jahre   1807  zuerst  durch  die   Übertragung  der 
Variola  auf  Kühe  die  Identität  der  Menschen-  und  Euhpocken  be- 
wiesen und   damit  die  J  e  n  n  e  r  sehe  Vaccination  als  Impfung  mit 
abgeschwächtem  Virus  erkannt  hat,  und  namentlich  seitdem  P  a  s  t  e  u  r 
Anfang   der    achtziger    Jahre    des   vorigen    Jahrhunderts   seine    Ab- 
schwächungs-    und    Verstärkungsversuche    mit    Milzbrand,    Rotlauf. 
Hühnercholera,  Hundswut  im  Tierkörper  und  Reagensglas  vorgenom- 
men hat,  ist  diese  Möglichkeit  so  oft  bestätigt  worden,  daß  kein  Zweifel 
daran   bestehen  kann.     Im  allgemeinen  bekommt  man  hier  wie  bei 
der  Varietätenbildung  überhaupt  (Kap.  XVIII)   den  Eindruck,   daß 
dabei  entweder  eine  allmähliche  oder  plötzliche   Anpassung  an 
den  toten  oder  lebendigen  Nährboden,  oder  neben  der  Virulenz%^er- 
änderung   eine    mehr    oder    weniger    allgemeine    Entartung   der 
Mikrobien  durch  die  schädigenden  Einflüsse  physikalischer  oder  che- 
mischer Natur  stattfindet.    Die  letztere  bedingt  verständlicherweise 
regelmäßig  nur  den  Verlust  von  Eigenschaften,  in  unserem  Falle 
also  der  Infektiosität.  Ausnahmebeobachtungen  wie  die  von  C  a  r  o  u  - 
g  e  a  u  ^) ,    nach    der   Pestkulturen    bei   Temperaturen   von  42 — 44® 
virulenter  wurden,  und  0  s  s  i  ^) ,  nach  der  die  Besonnung  auf  Typhus- 
und  Cholerabazillen  einen  ähnlichen  Einfluß  ausübte,  erklären  sich  wohl 
dadurch,  daß  hier  die  virulenten  Bakterien  zufällig  — .  gewöhnlich  ist 
das  nicht  der  Fall  (s.  o.  S.  1067)  —>  die  größere  Widerstandskraft  gegen- 
über den  betreffenden  Schädlichkeiten  besaßen.    Im  Tierkörper 
kann  dagegen  sowohl  eine  Abschwächung  wie  eine  Verstärkung  der 
Virulenz  erzielt  werden,  und  zwar  geschieht  das  in  der  Weise,  daß 
die  Parasiten  für  das  Tier,  in  dem  sie  gezüchtet  werden,  virulenter, 
für  manche  oder  alle  anderen  Tierarten  weniger  virulent  werden,  ein 
Zeichen,  in  wie  hohem  Grade  die  Virulenz  eine  art- 
eigentümliche Eigenschaft  ist  und  gleichzeitig  ein  An- 
haltspunkt dafür,  daß  wir  mit  unserer  Vorstellung  über  den  Mechanis- 
mus der  Virulenz  als  einer  durch  den  Besitz  spezifischer  Angriffskräfte 
bedingten  Eigenschaft  auf  dem  richtigen  Wege  sind^).  Auch  im  Reagens- 


1)  Annal.  Pasteur  1902.  844. 

2)  Zentr.  Bakt.  43.  846,   1907. 

3)  Über  die  zahlreichen  eigenen  und  fremden  Erfahrungen,  die  seit 
Behring  und  Nissen  bewiesen  haben,  daß  auch  im  Reagensglas 
die  im  Tierkörper  virulent  gewordenen  Bakterien  den  Immunkörpern 
bzw.  den  Phagozyten  besser  zu  widerstehen  pflegen  als  ahgesch wachte, 
vgl.  außer   §  322  u.   323  die  Immunitätslehre. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1069 

glas  beobachtet  man  aber  öfters  eine  Verstärkung  der  Virulenz,  wenn 
man  den  Nährboden  z.  B.  durch  Beigabe  von  Blutserum  oder  anderen 
Körperbestandteilen^)  eine  ähnliche  Zusammensetzung  gibt,  wie  sie 
der  lebende  Tierkörper  besitzt.  Hier  entspricht  die  Anpassung  an  die 
Alexine*),  antibakteriellen  Immunkörper^)  usw.  der  Anpassung  an  die 
Abwehrkräfte  des  lebenden  Tieres.  Statt  von  einer  „Anpassung"' 
hat  man,  wie  wir  oben  bemerkt  haben  (S.  1053),  auch  von  einer  „Immuni- 
sierung"' der  Infektionserreger  gegen  die  Schutzstoffe  des  Körpers  ge- 
sprochen. In  der  Tat  gestattet  unsere  Aggressintheorie,  den  Vorgang 
ebenso  aufzufassen,  wie  die  Immunisierung  der  Tiere  gegen  die  An- 
grif&stoffe  bzw.  Antigene  der  Mikroben,  wenn  auch  darin  ein  Unter- 
schied besteht,  daß  die  Virulenzsteigerung  oft  sehr  viel  schneller  erfolgt 
als  die  spezifische  Immunisierung  der  Tiere.  Neben  der  letzteren 
finden  wir  freilich  auch  eine  schnelle  Steigerung  der  Widerstandsfähigkeit 
durch  die  sogenannten  nichtspezifischen  Immunitätsreaktionen  (Ent- 
zündung, Fieber  vgl.  §  331).  Auf  der  anderen  Seite  besteht  eine  un- 
bestreitbare Analogie  mit  dem  Anpassungsvermögen  der  Mikroorganis- 
men an  gewisse  enzymatische  Tätigkeiten  (§  353).  Hier  wie  dort 
antwortet  die  Zelle  auf  bestimmte  Reize  durch  die  einseitige 
Aus-  oder  Neubildung  solcher  Stoffe,  die  mit  der  Verarbeitung  der 
Reize  zu  tun  haben. 

§  331.  Reiz-  and  Impfstoffe.  Entzflndungs-  und  Fieber- 
stoffe. In  den  Abschnitten,  in  denen  wir  von  dem  Zusammenleben 
der  Mikroben  miteinander  und  mit  höheren  Tieren  und  Pflanzen 
sprachen  (§  47 — 53),  haben  wir  festgestellt,  daß  es  Einflüsse  gibt, 

1)  Systematische  Versuche  mit  Züchtung  in  leukozytenhal- 
t  i  g  e  n  Nährböden  felilen  noch. 

2)  Walker.  Brit.  med.  Joum.  18.  X.  1902  (Typhusbaz.),  Shaw 
ebenda  9.  V.  ■  1903  (Typhiw-,  Cholera-  xind  Milzbrandbazillen),  C  a  r  a  - 
pelle,  Zentr.  Bakt.  46  (Staphylokokken,  Coli-,  Typhus-,  Prodigiosus- 
bazillen).  Die  Virulenzprüfung  unterließen  Trommsdorf  (Arch. 
f.  Hyg.  39)  und  E.  Cohn  (Zeitschr.  f.  Hyg.  45);  Sacharoff  (Annal. 
Pasteur  1897.  872)  imd  Danyaz  (ebenda  1900.  643)  wollten  keine  Viru- 
lenzerhöhung von  an  Alexin  gewöhnten  Milzbrandbazillen  gefunden  haben. 
Day  (Journ.  of  inf .  dis.  1905)  hat  zwar  Prodigiosus-,  Proteus-,  Fluorescens- 
bazillen  durch  Züchtung  in  Serum  virulent  machen,  nicht  aber  ihre  Wider- 
standsfähigkeit gegen  Alexine  erhöhen  können.  Vielleicht  hätte  die  Prüfung 
des  opsonischen  Vermögens   ein   anderes   Ergebnis   geliefert. 

3)  M  o  8  n  j»" ,  Arch.  mt^dic.  exj^erim.  1892  (Pneumokokken),  Wal- 
ker, Shaw  a.  a.  O.  (Typhus,  Cholera);  Morello  (Annali  d'igiene 
1904:  Pyocyaneuß).  Eine  Unterscheidung  zwischen  der  bakteriotropen 
und  bakterioly tischen  Kraft  des  Serums  wiu'de  nicht  gemaclit.  In  anderen 
Fällen  wurde  nur  im  Reagensglas  auf  Widerstand  gegen  Bakterioly se 
(Rans  omund  Kitashimal).  med.  Woch.  1897.  19;  Hamburger, 
Wien.  klin.  Woch.   1903.   4)  oder  Agglutinierbarkeit  (s.  u.    §  341)  geprüft. 


1070  Kap.  XVII,   §  331. 

durch  welche  die  Mikroben  sich  selbst  und  andere  Wesen  schadigen 
oder  begünstigen.    Die  ersteren  haben  wir  als  „Gifte^\  die  letzteren 
als  „R^izstoffe'^  im  weitesten  Sinne  bezeichnet.    Die  Gifte  haben  wir 
in  einem   besonderen  Abschnitt  ausführlich  behandelt   (Kap.   XVI). 
ebenso  diejenige  Gruppe  von  Reizstoffen,  die  das  eigene  Wachstum 
der   Mikrobien   im   Tierkörper    begünstigt    oder    überhaupt    ermög- 
licht, die  Angriffestoffe  (§  319—330).    Wir  wenden  uns  jetzt  zu  den- 
jenigen Reizstoffen,  die  zwar  von  den  Mikroben  erzeugt  werden,  aber 
nicht    ihnen    selbst,   sondern   dem   angegriffenen   Tierkörper  zu- 
gute  kommen,  indem  sie  das  Wachstum  darin   unmöglich  machen 
oder  wenigstens  hemmen.    Die  Grundlage  für  die  Erkenntnis  derselben 
bildet  die  so  merkwürdige,  aber  durch  zahllose  Erfahrungen  sicher- 
gestellte Tatsache,  daß  nicht  bloß  lebende  Infektions- 
erreger,   sondern   auch   ihre    Produkte   imstande 
sind,  den  lebenden  Körper,  in  den  sie  eingeführt 
werden,  widerstandsfähig  — 'immun  —  zumachen 
ge  gen  neu  e  An  gr  i  f  f  e  der  se  Ib  en  und   bis  zu   einem 
gewissen    Grade    auch    anderer  Art.     Wenn  diese  Ver- 
änderung schnell  eintritt,  bald  vorübergeht  und  nicht  nur  die  eigene 
Art   betrifft,  nennen  wir    sie    nichtspezifische    Immuni- 
tät^) oder  auch  wohl  „Resistenz^';  sobald  sie  einige  Zeit  zu  ihrer 
Entwicklung  gebraucht,  länger  dauert  und  arteigentümlich  ist,  spezi- 
fische Immunität^)  oder  auch  Immunität  an  sich  (vgl.  diese  §  333). 
Da   die   Inmiunitätserscheinungen   im   wesentUchen   Geg^wirkungen 
des  Körpers  auf  die  Einverleibung  von  Infektionserregern  und  -Stoffen 
darstellen,  können  wir  sie  ausführlich  erst  in  der  Infektionslehre  er- 
örtern.   Wegen  des  Zusammenhangs,  in  dem  sie  mit  den  Impfstoffen 
stehen,  interessieren  sie  uns  aber  schon  hier. 

Was  zunächst  die  nichtspezifische  Inamunität  anlangt,  so  setzt 
sie  eich  aus  örtlichen  und  allgemeinen  Reaktionen  zusammen;  die  ört- 
lichen, die  man  unter  dem  Namen  der  Entzündung  zusammen- 
zufassen pflegt,  bestehen  hauptsächlich  in  Ausscheidung  seröser  Flüssig- 
keit und  Ansammlung  von  Zellen,  die  ausgewanderte  Leukozyten 
(„Mikrophagen"  Metschnikof  f s)  und  größere  einkernige,  mindestens 
zum  Teil  vom  Gewebe  selbst  gelieferte  Elemente  („Makrophagen'*) 
sind.    Das  flüssige  Exsudat  wirkt  durch  seinen  Reichtum  an  Alexinen 


1)  Genau  genommen  ist  noch  hinzuzufügen  das  Beiwort  „erworbene** 
und  „antiinfektiöse^*,  um  damit  auszudrücken  den  Unterschied  ge^en 
die  „angeborene*'  bzw.  „antitoxische"  Immunität.  Die  angeborene  Im- 
munität interessiert  uns  hier  nicht,  weil  sie  nicht  durch  die  Kleinweeen 
hervorgerufen  ist,  die  antitoxische  haben  wir  schon  bei  den  Immungiften 
(§262  ff.  §  275  ff.)  besprochen. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1071 

and  Opsoninen,  das  zellige  diLrch  seine  Freßtätigkeit  (Phagozytose) 
und  vielleicht  auch  durch  seine  Fähigkeit,  keimwidrige  Stoffe  (Leukine) 
abzusondern,  und  verstärkt  dadurch  die  im  „gesunden"  Gewebe  zwar 
nicht  völlig  fehlenden,  aber  doch  wesentlich  geringeren  Widerstands- 
kräfte erheblich.  Die  allgemeinen,  nichtspezifischen  Gegenwirkungen 
werden  am  besten  unter  dem  Namen  des  Fiebers  zusammengefaßt 
und  bestehen  in  Temperaturerhöhung,  Vermehrung  der  Leukozyten 
(Hyperleukozytose),  vielleicht  gelegentlich  auch  im  Wachstum  des 
Alexin-  und  Opsoningehalts  im  Blute,  Veränderungen,  die  wahrschein- 
lich in  lebhafterer  Tätigkeit  der  mit  der  Neubildung  dieser  Bestand- 
teile betrauten  Organe  (Knochenmark)  und  Zellen  (Endothehen?) 
ihren  Ursprung  haben.  Über  die  heilkräftige  Bedeutung  dieser  Reak- 
tionen, die  schon  vielen  alten  Ärzten  bekannt  war,  besteht  kaum  ein 
Zweifel  mehr^),  ebensowenig  darüber,  daß  sie  in  doppelter  Beziehung 
eine  nichtspezifische,  ist,  insofern  Entzündimg  und  Fieber  außer  durch 
die  von  uns  schon  früher  behandelten  p  y  o  -  und  pyrogenen 
Stoffe  der  Mikroben  (§  280)  auch  durch  viele  andere  Sub- 
stanzen, z.  B.  Fflanzeneiweiß,  Aleuronat,  Nukleinsäure,  Blutserum, 
Albumosen  hervorgerufen  werden  und  zweitens  die  dadurch  erzeugten 
Wachstumswiderstände  im  Gewebe  gegenüber  allen  mögüchen  Infek- 
tionserregern mehr  oder  weniger  zur  Geltung  gelangen.  Auf  die  Dar- 
stellung und  die  Eigenschaften  der  Entzündungs-  und  Fieberstoffe 
der  Mikroorganismen  brauchen  wir  hier  nicht  mehr  zurückzukommen, 
müssen  aber  jetzt  die  Frage  zu  entscheiden  suchen,  in  welcher  Be- 
ziehung sie  zu  den  giftigen  und  aggressiven  Wirkungen  stehen.  Tat- 
sache ist  nämlich,  daß  große  Mengen  der  gleichen  Lösungen 
oder  Aufschwemmungen,  die  in  kleinen  Gaben  Entzündung 
und  Fieber  erzeugen,  akuten  oder  chronischen  Tod  durch  E  n  d  o  - 
toxinvergiftung  verursachen  (s.  o.  S.  917).  Tatsache  ist  aber 
auch,  daß  die  ersten,  die  „defensiven"  Leistungen  dieser 
St  of  f  mischu  n  ge  n  ,  eine  gewisse  Zeit  erfordern, 
um  sich  zu  entwickeln  und  daß  in  dieser  Zwischen- 
zeit aggressive  Wirkungen  bestehen.  Beweise  dafür 
könnte  man  vielleicht  erblicken  in  dem  Bestehen  einer  sog.  „negativen 
Phase",  d.h.  einer  Periode  verminderter  Widerstandsfähigkeit,  die  in  der 
Greschichte  der  Immunisierungen  eine  große  Rolle  spielt.  Verständlich 
wird  sie  uns  aber  ohne  weiteres  aus  unseren  eigenen  Aggressinversuchen. 
Zunächst    werden    schon    unsere    künstlichen    oder    Kulturaggressine 

1)  Sie  richtet  sich  wesentlich  gegen  das  Wachstum  der  Erreger,  also 
ihre  Infektiosität,  zum  Teil  aber  auch  gegen  deren  Giftigkeit.  Vgl.  nament- 
lich die  Versuche,  lebende  und  tote  Bakterien  in  der  Bauchhöhle  diu*ch 
Entzündung  unschädlich  zu  machen,  in  der  Infektionslehre. 


1072  Kap.  XVII,   §  331. 

(§  320)  in  ganz  ähnlicher  Weise  gewonnen,  wie  die  Fieber-  und  Ent- 
zündungsstoffe.   Die  genaue  Untersuchung  der  zeitlichen  und  örtlichen 
Verhältnisse    in  meinem  Laboratorium  durch  P  a  n  e   und    L  o  1 1  i , 
Bürgers  und  H ö s c  h  (S.  1076)  ergab  dann  weiter  folgendes:  Bei 
intraperitonealer   Einverleibung  der  Eochsalzaggressine  der 
Ruhrbazillen  war   die  aggressive  Wirkimg  in  der  Bauchhöhle  selbst 
spätestens  nach  24  Stunden  durch  die  defensive  ersetzt,  wenn  über- 
haupt das  Tier  die  Aggressingabe  überlebte.    Wurden  Aggreasine  ins 
Blut  eingespritzt,  so  war  die  aggressive  Wirkung  in  der  Bauchhöhle 
erheblich  geringer  und  ging  auch  schneller  in  die  defensive  über.    Bei 
subkutaner    Einfühnmg    der    Aggressine    und    intraperitonealer    der 
lebenden  Bazillen  scheint  wenigstens  im  Meerschweinchen  die  aggressive 
Wirkung  (wieder  in  der  Bauchhöhle)  auszubleiben,  oder  doch  sehr  gering 
zu  sein,  aber  eine  defensive  spätestens  nach  24  Stunden  sich  zu  ent- 
wickeln^).   Wahrscheinlich   hängt  das  mit  der  langsamen  Aufnahme 
der  Bakterienstoffe  in  die  Säfte  zusammen.    Denn  das  ist  unzweifel- 
haft: je  kleiner  die  Aggressingabe  oder  je  geringer 
ihre  Leistung,  um  so  schneller  geht  der  aggressive 
in  den  defensiven  Einfluß  über.    Die  gleichzeitige  Unter- 
suchung der  örtlichen  Erscheinungen  lehrt  uns  dabei,  daß  dieser  Tber- 
gang  regelmäßig  der  Umwandlung  der  serösen  in  die  eitrige  Entzün- 
dung, der  allgemeinen  Hypo-  in  die  Hyperleukozytose,  oder,  wie  man 
auch   gesagt  hat,  des   Stadiums  der  negativen  in  das  der  positiven 
Chemo-  oder  Leukotaxis  entspricht,  und  daß  jede  aggressive  Wirkung 
dann  ausbleibt,  wenn  bis  zuletzt  die  Leukozyten  im  Exsudat  fehlen, 
was  wieder  mit  den  übrigen  Erscheinungen  der  Endotoxinvergiftung, 
dem    Temperaturabfall    und    der    allgemeinen    Hypoleukozytose   zu- 
sanmienzufallen  pflegt.    Sollen  wir  nun  Aggressine  und  Entzündungs- 
stoffe miteinander  und  mit  den  selamdären  Giften  bzw.  Endotoxinen 
identifizieren  ? 


1)  Auch  Pfeiffer  und  Friedberger  (Zentr.  Bakt.  50,  190^) 
hatten  ähnliche  Ergebnisse.  Ihre  Schlußfolgerung,  die  sogenannte  „negative 
Phase"  der  Autoren,  die  in  der  ersten  Zeit  nach  Schutzimpfungen  eintreten 
und  sich  durch  ÜberempfängUchkeit  gegen  die  betreffende  (und  andere) 
Infektionen  auszeichnen  soll,  sei  nicht  nachzuweisen,  scheint  mir  aber 
doch  zu  weit  gegangen.  Derartige  Beobachtungen  sind  in  der  Praxis  der 
Schutzimiifungen  zu  häufig  gemacht  worden,  um  sich  so  leicht  erledigen 
zu  lassen.  Ob  die  negative  Pheise  sich,  wie  Wright  es  will,  in  Herab- 
setzung des  Opsoningehalts  ausdrückt,  mag  dahingestellt  bleiben.  Ebenol 
wissen  wir  noch  nicht  recht,  ob  die  negative  Phase  auf  eine  vorübergehende 
Einbuße  an  spezifischen  oder  nichtspezifischen  Schutzstoffen  beruht.  Da 
wo  sie  mu*  eine  kurze  Dauer  hat,  sollte  man  das  letztere  annehmen,  wo 
sie  länger  dauert,  das  erstere. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1073 

Schon  bei  den  Aggressinen  (§  321  u.  322)  haben  wir  uns  dafür  ent- 
schieden, daß,  obwohl  unsere  chemischen  Trennungsmethoden  versagen, 
der  wesentliche  Teil  der  aggressiven  Leistungen  von  der  Vergiftung  und 
der  negativen  Leukotaxis  unabhängig  sein  muß,  weil  trotz  Fortbestehens 
der  beiden  letzteren  Erscheinungen  die  Aggressivität  der  Jßakterienextrakte 
durch  Immunserum  aufgehoben  werden  kann.  Durch  die  Bindungsfähig- 
keit der  Aggressine  an  die  Immunkörper  wird  das  genügend  erklärt.  Trotz- 
dem könnte  unter  Umständen  sehr  wohl  die  negative  Leukotaxis  am  Orte 
der  Infektion  und  im  Blut  oder  allgemein  gesagt  die  seröseEntzün- 
dung  die  Infektion  begünstigen,  d.  h.  zur  Aggressivität 
etwas  beitragen.  Dafür  spricht  nicht  nur  die  theoretische  Erwägung, 
daß  das  Fehlen  der  Leukozyten  und  das  komplement-  und  opsoninbindende 
Vermögen  der  Aggressine  die  Phagozytose  und  Bakterizidie  hemmen  muß, 
sondern  auch  die  Tatsache,  daß  die  Aggressine  auch  eine  gewisse  infektions- 
begünstigende  Wirkung  auf  fremde  Keime  entfalten.  Daß  auch  dieser 
nicht  spezifische  Teil  der  Aggressinwirkung  bei  Versuchen  mit  großen 
Gaben  Immunserum  nicht  zur  Geltung  kommt,  liegt  vielleicht  daran, 
daß  die  von  den  Aggressinen  nicht  neutralisierten  Anteile  der  Bakterio- 
tropine  des  Immunserums  den  Ausfall  der  normalen  Opsonine  ersetzen, 
und  die  in  der  Bauchhöhle  trotz  der  negativen  Leukotaxis  regelmäßig 
vorhandenen  Freßzellen  zu  energischer  Wirkimg  gelangen  können.  Eine 
freilich  beschränkte  Bedeutung  der  negativen  Leukotaxis  für  die  Aggres- 
si\ntät  wird  ferner  dadurch  wahrscheinlich  gemacht,  daß  auch  nicht  bak- 
terielle Stoffe,  wie  das  Aleuronat,  in  der  ersten  Zeit  ihrer  Wirkung,  d.  h. 
solange  die  Entzündung,  die  sie  hervorrufen,  eine  seröse  ist,  also  in  den  ersten 
Stunden  nach  großen  Gaben  deutlich  aggressiv  sind,  indem  sie  nach  P  a  n  e 
und  Lotti  (S.  1052)  schon  dem  dritten  Teil  der  sonst  infektiösen  Ruhr- 
bazillengabe zum  Wachstum  verhelfen.  Auch  lüer  gehen  Komplement- 
bindung und  negative  Leukotaxis  miteinander  Hand  in  Hand.  Andere 
j^eröse  Entzündimg  verursachende  Stoffe  (Alkohol,  Opiumtinktur,  Krotonöl, 
.Milchsäiu*e,  deren  infekt ionsbegünstigende  Eigenschaften  aus  Erfahrungen 
mit  anderen  Bakterien  bekannt  sind'),  konnten  in  Versuchen  von  Bürgers 
und  H  ö  s  c  h  gegenüber  Ruhrbazillen  nichts  ausrichten,  obwohl  das 
Exsudat  sich  frei  von  Leukozyten  und  wenigstens  das  Milchsäureexsudat 
auch  frei  von  bakterizider  Wirkung  (von  Komplement  ?)  zeigte.  Unsere 
Vermutung,  daß  die  seröse  Entzündiuig  an  sich  aggressiv  wirke,  ließ  sich 
also  nicht  völlig  erweisen^).  Wie  zu  erwarten,  entfalteten 
dagegen  alle  genannten  Stoffe  eine  defensive  Wir- 
kung, sobalddieEntzündung,  diesieverursachten, 
aus  der  serösen  in  die  eitrige  überging.  Obwohl  die  Ver- 
suche mit  nicht  bakteriellen  Stoffen  nicht  ganz  eindeutig  ausgefallen  sind, 
80  sind  sie  doch  in  der  Beziehung  bemerkenswert,  als  sie  bezeugen,  daß 
auch  einfache  chemische  Körj)er  zunächst  seröse,  dann  eitrige  Entzündung 
erregen. 


1)  Vgl.  Infektionslehre. 

2)  Das  seröse  Exsudat,  das  durch  V2000  Krotonöl  hervorgerufen 
worden,  schien  sogar  trotz  fehlender  antiseptischer  Wirkung  die  Infek- 
tion mit  Ruhrbazillen  zu  hemme  n.  Olivenöl,  dessen  entzündungser- 
regende Wirkung  sehr  gering  ist,  tat  das  nicht  trotz  (,J  1  i  m  m  s  Behauptimg 
iDeutsch.  Zeitschr.  f.  Chir.   83,   1906). 

Kruse,  Mikrobiologie.  G8 


1074  Kap.  XVII,  §  331  u.  332. 

Man  wird  daraus  schließen  dürfen,  daß  auch  die  bakteriellen  Ent- 
zündungsstoffe nicht  notwendigerweise  zwei  verschiedene  Bestandteile, 
von  denen  der  eine  negativ,  der  andere  positiv  leukotaktisch  wirkt, 
enthalten,  sondei^i  daß  die  anscheinend  entgegengesetzten  Wirkungen 
einerseits  von  der  Konzentration,  andererseits  von  der  Zeit 
abhängen.   Wie  man  sich  den  Mechanismus  dieser  Erscheinungen  vor- 
zustellen habe,  ist  noch  nicht  klar.    Aber  man  wird  wohl  ein 
Recht   haben,  die  örtliche  Leukozytenzuwande- 
rung bzw.  Neubildung  als  die  Gegenwirkung  auf 
ihre    Verdrängung^)     aufzufassen.     Ebenso    liegt 
es  nahe,  die  Veränderung  des  flüssigen  Exsudats, 
die  gleichzeitig  während  der  Entzündung  statt- 
findet, die  Steigerung  seines  Ale  xin-  und  Opsonin- 
gehalts,  durch   eine  Gegenwirkung   auf   den   Ver- 
lust dieser  Stoffe  im  ersten  Stadium  der  Entzün- 
dung  zu  erklären.    In  der  Tat  haben  wir  genug  Beweise  dafür, 
daß  die  Entzündungsstoffe  der  Bakterien  und  ebenso  das  Aleuronat 
Komplement  binden  (§325u.  326).  Wenn  wir  die  wirksamen  Bestandteile 
im  Aleuronat  als  einheitliche  Körper  ansehen,  hätten  wir  somit  auch 
eine  gewisse  Berechtigung,  die  komplementbindenden  und 
entzündungserregenden  Bakterienstoffe  für  iden- 
tisch zuhalten.   Ebenso  könnten  wir  auch  die  Hyperleukozytose 
im  Blut  und  die  Temperatursteigerung  als  Reaktion 
auf    die    Hypoleukozytose*)    und    eine    lähmende 
Wirkung,    welche   die  Fieberstoffe  zunächst  auf 
das   Temperaturzentrum   äußern,   betrachten  und 
die  Fieberstoffe  mit  den  Entzündungsstoffen  identifizieren.  Ein  weiterer 
Schritt  auf  derselben  Bahn  wäre  es  nur,  wenn  wir  annähmen,  daß  es 
die   gleichen  Stoffe  seien,   die   in   größten  Gaben  auch  die  tödlichen 
Lähmungserscheinungen    verursachen,     die    die    Endotoxinvergiftung 
kennzeichnen. 

Unmittelbare  Beweise  dafür  vermißsen  wir  freilich,  wenn  wir  ab- 
sehen von  dem  Neben-  und  Nacheinandervorkommen  aller  dieser  Wir- 
kungen nach  Einverleibung  der  Bakterienprodukte,  und  von  der  Wider- 
standsfähigkeit derselben  gegenüber  den  bei  der  Darstellung  benutzten 
Verfahren,  insbesondere  der  Anwendimg  der  Siedehita^.  Die  Widerstands- 
fähigkeit gegen  Erhitzen  und  die  Art  der  Darstellung  unterscheidet  die 
Entzündungsstoffe  und  Endotoxine  auch  nicht  von  den  eigentlichen 
Impfstoffen  (s.  u.  §  333  ff.),  die  wir  trotzdem  von  jenen  und  von- 
einander trennen.  Und  die  in  dem  Hefepreßsaft  enthaltenden  enzymstischen 

1)  Von  Zerstörung  kann  wohl  nicht  gut  gesprochen  werden  (vgl. 
S.   1033). 

2)  Daß  diese  fast  regelmäßig  der  Hyperleukozytose  nach  Einführung 
von    Bakterienstoffen   vorhergeht,    ist   bekannt   (vgl.    Infektionslehre). 


Angriffs-,  Beiz-  und  Impfstoffe.  1075 

Wirkungen  führen  wir  auch  nicht  auf  ein  einziges  Enzym  zurück,  weil 
sie  nebeneinander  vorkonunen  und  der  Hitze  nicht  standhalten.  Immer- 
hin liegen  die  Dinge  doch  in  unserem  Falle  etwas  anders.  Wenn  wir  auch 
den  Mechanismus  der  Endotoxinvergiftung  nur  unvollkommen  kennen, 
iio  liegt  es  doch  sehr  nahe,  sie  aufzufassen  als  hervorgebracht  durch  eine 
Steigerung  desselben  Reizes,  der  den  fieberhaften  Zustand  bedingt:  die 
bei  kleinen  Gaben  der  Fieberstoffe  nur  vorübergehende  Lähmiuig  bleibt 
l)ei  großen  Gaben  bestehen.  Gleichgültig  ist  es  dabei,  ob  wir  die  von  den 
Bakterien  unmittelbar  gelieferten  Stoffe  als  die  Reiz-  bzw.  Giftstoffe  an- 
sehen,  welche  die  Zellen  treffen  oder  die  eigentlichen  wirksamen  Stoffe 
erst  herleiten  aus  einer  Umwandlung,  welche  jene  ebenso  wie  überhaupt 
viele  fremde  Stoffe  unter  dem  Einfluß  des  Organismus  —  z.  B.  seiner 
Komplemente  erfahren  (vgl.  Anaphylotoxin   §  344). 

m 

Unser  Schluß,  daß  die  Entzündungs-  und  Fieberstoffe  im  Grunde 
nicht    verschieden    sind   von    den    komplementablenkenden,    negativ 
leukotaktischen    (und    temperaturherabsetzenden)    Stoffen,   die   einen 
TeU    der  Aggressine  ausmachen,   Beizstoffe    und    Aggres- 
sine,    also    zum    Teil    dasselbe    sind,    macht   uns   die 
Tatsache,     daß    Entzündung    \md    Fieber     Gegenwirkungen    gegen 
die    Infektion    sind,    verständlich:    dadurch    reihen    sich    die    nicht- 
spezifischen  Immunitätsreaktionen  den  spezifischen  an,  die,  wie  wir 
gesehen   haben   und  noch   weiter   verfolgen   werden   (§  327,   §  333), 
ja  dem  anderen  Teil  der  Aggressine  ihren  Ursprung  verdanken.  Beide 
Gruppen    von    Erscheinungen    folgen    demselben 
Gesetz,  das  man  als  das  biologische  Gesetz  des  horror 
vacui  bezeichnen  könnte,  d.  h.  sie  schaffen  dort,  wo  diirch  äußere 
Eingriffe  Lücken  in  den  normalen  Bau  der  Organismen  gerissen  sind, 
Ersatz,  imd   zwar  nicht  nur  ausreichenden,  sondern  überreichlichen 
Ersatz.    Der  Unterschied  zwischen  den  spezifischen   und  nichtspezi- 
fischen Gegenwirkungen  besteht,  abgesehen  von  der  Spezifizität  selbst, 
in  dem  schnellen  Eintritt  und  Verlauf  der  letzteren  Beaktion.    Wo- 
durch sich  diese  Abweichung  erklärt,  wissen  wir  nicht,  sicher  ist  aber, 
daß  Entzündung  und  Fieber  die  eigentliche  Immuni- 
sierung sehr  zweckmäßig  ergänzen,  indem  sie  in 
der  kritischen  Zeit,  bis  sich  die  echte  I  m-m  u  n  i  t  ä  t 
entwickelt,    einen    Schutz    gegen    neue    Angriffe 
verleihen^). 

§  332.  Spezifische  Entzfindungsstoffe.  Schon  S.  916  haben 
wir  gesehen,  daß  wir  in  manchen  Fällen  neben  nichtspezifischen  Ent- 
zündungs-  und   Fieberstoffen   spezifische   annehmen   müssen.     Diese 


1)  Vgl.  Infektions-  nnd  Immunitätslehre  und  besonders  die  Arbeiten 
von  Issaeff ,  Zeitschr.  Hyg.  16;  R.  Pfeiffer  und  Issaeff  eb.  17. 
Siehe  übrigens  dew  über  die  „negative  Phase"  Gesagte  S.   1072  Anm.    1. 

68* 


1076  Kap.  XVII,  §  332  u.  333. 

zeiclinen  sich  zum  großen  Teil  dadurch  aus,  daß  sie  eigentümliche 
Giftwirkungen  anderer  Art  und  außerdem  auch  spezifische  (antitoxische) 
Immunität  und  Immunkörper  gegen  das  Gift  erzeugen,  während  das 
bei  den  ersteren  nicht  bekannt  ist,  vielmehr  höchstens  von  einer  Ge- 
wöhnung an  sie  gesprochen  werden  kann.  So  verhütet  das  Diphtherie- 
und  Rauschbrandserum  nicht  nur  den  Tod  durch  die  betreffenden 
Gifte,  sondern  auch  die  örtlichen  Veränderungen^).  Anscheinend 
unterscheiden  sich  diese  serös-hämorrhagischen,  häufig  in  Nekrose 
auslaufenden  Entzündungen  dadurch,  daß  sie  das  Merkmal  einer 
Abwehreinrichtung  nicht  so  deutlich  an  sich  tragen,  wie  die  gewöhn- 
liche (eitrige)  Entzündung.  Im  Gegenteil  scheinen  sie  mindestens  in 
ihrer  letzten  (nekrotischen)  Phase  das  Eindringen  von  Keimen  in  das 
Gewebe,  die  Sekundärinfektionen,  die  meist  sog.  Selbstinfektionen  sind, 
zu  begünstigen. 

Als  spezifisch  werden  gewöhnlich  auch  die  tuberkulösen,  rotzigen, 
leprösen,  aktinomykotischen  Entzündungen  bezeichnet,  bei  denen  die 
Exsudation  in  den  Hintergrund  tritt  vor  den  ihr  nachfolgenden  Neu- 
bildungsvorgängen im  Gewebe  selbst,  die  sich  länger  hin- 
zuziehen und  mit  oder  ohne  Gewebszerfall  in  Vemarbung  zu  endigen 
pflegen.     Nach    einer    namentlich    durch    Metschnikoff    ange- 
bahnten Auffassung  handelt  es  sich  auch  hier  wie  bei  der  gewöhnlichen 
(eitrigen)  Entzündimg  um  Gegenwirkungen  zweckmäßiger  Art,  deren 
abweichende  Charaktere  sich  vielleicht  aus  langsamerem  Wachstum  und 
größerer  Widerstandsfähigkeit  der  Infektionserreger  erklären  (S.  985). 
Die  „Makrophagen"  spielen  bei  ihnen  die  Hauptrolle,  entsprechend 
der  längeren  Lebensdauer  dieser  Zellen  und  ihrem  den  Leukozyten 
fehlenden  Wachstums-   und  Vermehrungsvermögen.    EigentümHcher- 
weise  kommen  auch  bei  anderen,  gewöhnlich  akute  Entzündimgen  ver- 
ursachenden Infektionserregern,  z.  B.  Milzbrandbazillen  und  Stephylo- 
kokken,  gelegentlich  derartige  „produktive"  Entzündungen,  ja  tuberkel- 
ähnliche Bildungen  vor  (vgl.  Infektionslehre). 

§  333.  Lysinogene  und  tropinogene  Impfstoffe.  Die  zweite 
Gruppe  der  Reizwirkungen  (vgl.  §  331),  die  eigentlichen  spezifischen 
Immunitätsreaktionen,  wurden  zwar  zunächst  beobachtet  nach  V^)er- 
stehen  einer  freiwilligen  Infektion  oder  nach  „Impfung"  mit  lebenden 
Infektionserregern,  sei  es,  daß  sie  von  selbst  ( J  e  n  n  e  r)  oder  künst- 
lich (P  a  s  t  e  u  r)  in  irgendeiner  Weise  abgeschwächt  worden  waren, 

1)  Ähnlicher  Art  sind  die  örtlichen  Veränderungen  durch  die  S.  9'24 
beschriebenen  Gifte  der  ödem-  und  Emphysembazillen.  Ob  auch  sie  Anti- 
toxine erzeugen,  ist  noch  nicht  festgestellt.  Auch  das  Kanin chengift  der 
Ruhrbazillen  erzeugt  —  allerdings  nur  vom  Blut  aus  und  im  Darni  — 
eine  serös-hämorrhagische  Entzündung,  ist  aber  wieder  ein  Immuntoxin. 


Angriffs-,  Reiz-  iind  Impfstoffe.  1077 

und  es  ist  auch  diese  Art  der  Immunisierung  bei  einer  ganzen  Reihe 
»*on  Infektionen  —  namentlich  den  durch  Spirochäten,  Protozoen  und 
Chlamydozoen  verursachten  — ,  die  einzige  oder  wenigstens  die  beste 
geblieben.  Trotzdem  war  das  Zustandekommen  der  Immunität,  wenn 
man  es  sich  recht  überlegte,  kaum  anders  zu  deuten,  als  durch  Ver- 
mittlung von  gelösten  „Impfstoffen",  und  es  ist  auch  mehrfach,  freilich 
meist  in  der  Form  der  sogenannten  Ketentionshypothese  (C  h  a  u  - 
veau,  Wernich),  so  gedeutet  worden,  besonders  nachdem  man 
sich  überzeugt  hatte,  daß  gewöhnlich  schon  eine  rein 
örtliche  Infektion  hinreicht,  um  allgemeinen 
Impfschutz  zu  erzielen.  Die  ersten  unmittelbaren  Beweise 
für  die  Existenz  von  Impfstoffen  brachten  1887  S  a  1  m  o  n  und 
Smith  für  die  Hogcholerabazillen,  Boux  und  Chamberland  für 
das  maligne  ödem  und  den  Rauschbrand,  B  e  u  m  e  r  und  P  e  i  p  e  r 
für  den  Typhus  u.  a.  m.  In  der  Folge  gelang  es  auch  bei  den  aller- 
meisten anderen  Infektionen. 

Eine  Ausnahme  machen  wie  gesagt  namentlich  die  Protozoenerkran- 
kungen, doch  hat  in  neuester  Zeit  N  o  v  y  *)  auch  mit  Stoffen  von  Try- 
I)anosomen  gewisse  Erfolge  erzielt.  Die  Impfstoffe  lassen  sich  in  der  ver- 
schiedensten Weise  darstellen.  Es  verlohnt  sich  aber  nicht  darauf  genauer 
einzugehen,  weil  die  Methoden  gewöhnlich  keine  anderen  sind,  als  die  bei 
der  Gewinnung  der  Gifte  (§  272)  imd  Angriffsstoffe  (§  320)  besjjrochenen. 
So  enthalten  die  Impfstoffe  denn  auch  regelmäßig 
giftige  —  mindestens  endotoxische  —  Bestand- 
teile neben  Angriffs-,  Entzündungs-  und  Fieber- 
Stoffen  (§  331).  Schon  früher  (S.  1022)  wurde  bemerkt,  daf3  auch  die 
von  B  a  i  1  in  den  Vordergrund  gerückte  Immunisierung  durch  tierische 
Aggreasine,  d.  h.  durch  Exsudate  und  Körpergifte  infizierter  Tiere  schon 
von  Roger,  geübt  worden  ist  (vgl.  K  o  u  x  und  Chamberland, 
Kruse  und  Pansini).  Daß  sie  auch  bei  septizämischen  Infektionen 
zu  ersetzen  sind  durch  Kulturaggr essine,  wurde,  wie  wir  sahen,  durch 
^V  asser  mann,  Citron  und  Pütz  gezeigt  (S.  1027). 

Die  Benutzung  tierischer  Aggressine  erscheint  einzig  möglich  für  die 
^^»ewinnung  von  immunisierenden  Stoffen  bei  Infektionen,  deren  EiTeger 
nicht  züchtbar  sind  (Chlamydozoen).  Indessen  hat  sie  in  der  von  M  a  c  - 
fadyen*),  Heller  und  Bertarelli*)  angewandten  Form  gegen- 
über der  Hunds  wut  nicht  die  gewünschten  Früchte  getragen. 

Die  zur  Gewinnung  von  gelösten  Impfstoffen  aus  den  Bak- 
terien erprobten  Methoden  sind  meist  schon  erwähnt,  so  das  Preßsaft- 
verfahren von  B  u  c  h  n  e  r  imd  Hahn,  das  Gefrierverfahren  von  M  a  c  - 
f  a  d  y  e  n  und  R  o  w  1  a  n  d  ,  die  mechanische  Zertrümmerung  diu-ch 
'Scliütteln  (W  a  s  s  e  r  m  a  n  n  s.  o.,     B  r  i  e  g  e  r  und  Mayer*),  B  a  s  - 

1)  Abdruck  aus  Proceed.  Soc.  Experim.  Biol,  and  Medic.  4.  42,  1907. 
Dialyse  in  KoUbdiumsäckchen  gegen  destilliertes  Wasser. 

2)  Zeitschr.   allgem.    Physiol.    3.    302,    1904,    Gefrierverfahren. 

3)  Zentr.  Bakt.  36.  216. 

4)  Deutsch,  med.  Woch.    1904.   66  imd  309. 


1078  Kap.  XVII,   §  333. 

senge  und  Mayer  ^),  Bassenge  und  Krause*)),  das  Ausziehen 
von  ,,Nukleoproteiden*'  durch  verdünnte  Lauge  nach  Lustig  und  G  a  - 
leotti,  Tavel  und  Schmitz,  das  Extrahieren  mit  Glyzerin  nach 
Folk,    G.  und  F.  Kl  em  per  er,  das  Ausziehen  der  Bakterien  bei  hoher 
Temperatur  (N  e  i  ß  e  r  und  S  h  i  g  a  ')) ,  die  neuerdings  empfohlene  Auf- 
lösung   derselben    durch    Antiformin   (S.   1087),    endlich    die    früher  all- 
gemein benutzte  Filtration  alter  Kulturen.     Man  kann  aber  auch  auf  die 
künstliche  Lösung  verzichten  und  sie  dem  Tierkörper  selbst  überlassen*), 
indem  man  einfach  die  durch  Chloroform,  feuchte  Hitze  (B  e  u  m  e  r  und 
Peiper,    R.    Pfeiffer,    Kolle,    Wright,    Kruse),    trockene 
Hitze  von  120^  (L  ö  f  f  1  e  r  *))  oder  durch  konzentrierte  Zucker-,  Harnstoff-, 
Glyzerinlösungen   (E.   Levy*),   Blumenthal  und  M  a  r  x  n  e  r)  ab- 
getöteten   Bakterienleiber    zur    Inm^iunisierung    benutzt.      Außer    diesen 
Methoden,  die  für  alle  Bakterien  brauchbar  scheinen,  sind  noch  die  Auf- 
lösung von  Pneinnokokken  durch  Galle  nach  Neufeld'),  der  Tuberkel- 
und  Milzbrandbazillen  durch  Lezithin  nach  M  u  c  h  ') ,  der  Typhusbazülen 
durch  völlig  wasserfreie  Salzsäure  (F.  Meyer  und  Bergeil*),  femer 
die  Verdauung   in  ihren  verschiedenen  Formen  zu  nennen.     Die  Selhst- 
verdauung  (Autolyse)  bei  37°  wurde  namentlich  von  Emmerich  und 
Low'®),   M.   Hahn'')  bei   einzelnen  BcJcterien  mit  Erfolg  angewandt, 
gibt   aber  bei  Trypanosomen  keine  Resultate'*).     Eine  kurze  Verdauung 
mit  Pepsin  oder  Trypsin  schädigt  nach  Friedberger")  die  immuni- 
sierende Kraft    von    Cholerabazillenleibern,  die  Pepsinverdauung   die  von 
Typhusbazillen  nach  M  a  1 1  h  e  s  imd   Gottstein'*)  nicht  erhebUcli, 
was  die  in  gewissem   Grade  bewiesene  Möglichkeit,   durch  Verfüttening 
von  Paratyphus-,  Mäusetyphus-,  Coh-,  Pest-,  Tuberkelbazillen  zu  immuni- 
sieren (Kutscher  und  Meinecke'*),  Löffler'*),  Schwartz'"). 
Fornario  '•),     Calmette   und    G  u  6  r  i  n  '•)    erklärt.      Ob   die  ge- 
lösten Impfstoffe  auch  der  längeren  Verdauung  widerstehen,  ist  unsicher. 

1)  Ebenda  1905.  797. 

2)  Ebenda  1907.  1207. 

3)  Ebenda  1903.  4. 

4)  Hierher  gehört  vielleicht  die  von  Ehrlich  und  ühlenhuth  er- 
probte Immunisierung  durch  lebende  Trypanosomen  und  Spirochaeten, 
deren  Entwicklimg  man  durch  Trypanrot,  Atoxyl  oder  das  neue  Ehrlich- 
Hatasche  Mittel  unterbricht. 

5)  Deutsch,  med.  Woch.   1904.  913. 

6)  Zentr.  Bakt.   33  und  42;  Mediz.   KUn.    1906.    16. 

7)  Zeitschr.  Hyg.  34,   1900,  vgl.   §  8. 

8)  Medizin.  Klinik  1908.  40. 

9)  Ebenda  1906.   16. 

10)  Zeitschr.  f.  Hyg.   31  und  36;  Zentr.  Bakt.   32. 

11)  Münch.  med.  Woch.   1906.  23. 

12)  M.  Meyer,  Zeitschr.  experim.  Pathol.   1,  1906. 

13)  Zentr.  Bakt.  40. 

14)  Kongr.  inn.  Mediz.   1907. 

15)  Zeitschr.  f.  Hyg.  62,  1906. 

16)  Festschr.  f.  v.  Leuthold  1,   1906. 

17)  Zentr.  Bakt.  Refer.  32.  641,  1903. 

18)  Annal.  Pasteur  1908. 

19)  Ebenda  1906  und  1907. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1()79 

Aus  dem  Regimen  der  übrigen  Gewinnungsmethoden  der  Impfstoffe 
fällt  heraus  die  von  Neufeld  ^)  angegebene,  auf  der  Bakteriolj^e  durch 
spezifische  Seren  begründete:  Cholerabazillen,  die  durch  Choleraserum  imd 
Komplement  im  Reagensglas  völlig  in  Granula  aufgelöst  sind,  wirken 
noch  lysinogen,  und  zwar  die  ausgewaschenen  Granula  etwas  besser  als 
die  gelöste  Substanz.  Es  wäre  von  theoretischem  Interesse,  zu  wissen, 
ob  das  Inmiunisierungsvermögen  beider  Bestandteile  erhalten  bliebe, 
wenn  sie  nachträglich  mit  Immunserum  übersättigt  würden. 
Sobald  die  Übersättigung  vor  der  Bakteriolyse  erfolgt,  geht  es  ja  nach 
Pfeiffer  und  Friedberger  *)  verloren,  woraus  man  bekanntlich 
auf  Identität  der  lysinogenen  und  lysinbindenden  Gruppen  geschlossen 
hat  (§  327).  Gleichzeitig  stellte  übrigens  Neuf  eld  fest,  daß  die  „Bak- 
terienhülsen'', die  nach  Behandlung  der  Cholerabazillen  mit  Iprozentiger 
Kalilauge  zurückblieben  (§  13),  nicht  lysinogen  sind.  Die  Lö- 
sung der  die  Impfstoffe  enthaltenden  Teile  geht  also  in  diesem  Falle  viel 
weiter,  als  bei  der  Serumbakteriolyse   (im  Reagensglas). 

Mehrfach  wurde  auch  versucht,  die  Impfstoffe  aus  ihren  Lösungen 
rein  darzustellen.  Gelungen  ist  das  aber  ebensowenig  wie  bei  den  Giften, 
Allgriffsstoffen  und  Fermenten.  Auch  die  oben  genannten  „Nukleopro- 
teide"  sind  offenbar  nur  Mischungen  kleinerer  Mengen  der  wirksamen,  aber 
ehemisch  unbekannten  Substanz  mit  großen  Mengen  unwirksamer  Nukleo- 
proteide.  Wohl  kann  man  dagegen  einiges  aussagen  über  die  Wider- 
st'andsfähigkeit  der  Impfstoffe.  Im  großen  und  ganzen  gilt  da 
wohl  der  Satz,  daß  sie  weniger  leicht  zerstörbar  sind  als  die  kräftig  wirken- 
den Gifte,  die  Inununtoxine,  während  sie  lungekehrt  dewiiu-ch  den  meisten 
Endotoxinen  näher  stehen.  So  vertragen  sie  meist  —  wie  die  letzteren  und 
^ie  Angriffsstoffe  — ,  wenn  auch  nicht  ohne  gewisse  Schädigung  die  Siede- 
iiitze  und  werden  durch  längere  Anwendung  derselben,  namentlich 
unter  hohem  Druck,  zum  größten  Teil  zerstört  (Friedberger 
und  Moreschi*))  (s.  u.).  Wahrscheinlich  gilt  diese  Widerstands- 
fähigkeit aber  nicht  für  alle  Impfstoffe.  Zum  Teil  möchten  wir  dadurch 
die  Tatsache  erklären,  daß  man  bisher  so  wenig  Glück  gehabt  hat  mit 
der  Gewinnung  der  Impfstoffe  aus  Protozoen,  imd  daß  man  auch  bei  an- 
deren Infektionen,  wie  den  durch  Strepto-,  Pneumokokken  und  den  Septi- 
zäoüebakterien  verursachten,  mittelst  der  chemischen  Immunisierung  nur 
niedrige  Grade  von  Inununität  erzeugen,  zum  Hochtreiben  der  Immunität 
aber  die  lebenden  Keime  nicht  entbehren  kann.  Zum  anderen  Teil  mag 
das  wohl  detrauf  beruhen,  daß  die  Impfstoffe  in  den  Leibern  der  Mikroben 
nicht  fertig  aufgestapelt  liegen,  sondern  — ^  violleicht  wieder  wie  manche 
Oifte  und  Aggressine  —  erst  im  Tierkörper  gebildet  w^erden. 

Die  Wirksamkeit  der  Impfstoffe  kann  auf  verschiedene  Weise 
geprüft  werden.  Am  sichersten,  aber  auch  am  umständlichsten  ist  es 
natürlich,  die  geimpften  Tiere  durch  abgestufte  Gaben  der 
vollvirulenten  Erreger  auf  die  Probe  zu  stellen.  Das  ist 
oft  geschehen,  noch  öfter  hat  man  aber  die  Eigenschaften  des 
Serums    der    immunisierten    Tiere    als    Maßstab 

1)  Zeitschr.  experim.   Pathol.   6,   1909. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.   1902.  25. 

3)  Zentr.  Bakt.  39,   1905;  vgl.  Agglutinogene. 


1080  Kap.  XVII,   §  333. 

der  Immunität  benutzt.    Das  ist  möglich  geworden  durch  eine 
ganze  Reihe  wichtiger  wissenschaftlicher  Fortschritte. 

Erstens  hatten  Behring  und  K  i  t  a  s  a  t  o  1890  die  Antitoxine  im 
Bluteerum  diphtherie-  und  tetanusimmuner  Tiere  entdeckt,  damit  die  auf 
Giftschutz  beruhende  Immrmität  erklärt  und  die  ersten  sicheren  Beispiele 
für  die  Übertragbarkeit  der  erworbenen  Imnnmität,  das  Bestehen   einer 
,, passiven'*  (Ehrlich)  oder  ,, Serumimmunität**  neben  der  bis  dahin  fast 
ausschließlich  bekannten  durch  Impfstoffe  hervorgerufenen  „aktiven*'  Im- 
munität und  die  Heilbarkeit  einer  Infektion  bzw.  infektiösen  Vergiftimg 
durch    Iramunserum    gegeben.      Diese   Entdeckung   wurde   in    der    Folge 
erst  durch  die  genaue  Methode  Ehrlichs  (§  262)  in  vollem  Maße  nutzbar 
gemacht  für  die  Prüfung  der  Höhe  der  antitoxischen  Schutzkräfte.     Schon 
seit  1888  war  aber  auch  —  zunächst  durch  Reagensglasversuche,  seit  1890  auch 
durch  Tierversuche  —  die  Kenntnis  antiinfektiöser  Stoffe  im  Blutserum  vun 
gegen  Milzbrandbazillen   ( ? ),   Metschniko£f\'ibrionen,    Pyocyaneusbazillen. 
Pneumokokken,  Hogcholera-,  Typhusbazillen,  Choleravibrionen  immunisier- 
ten Tieren  und  Menschen  durch  Nuttall,  Behring  und  Nissen, 
C  h  a  r  r  i  n  und  Roger,   die  Gebrüder  Klemperer,   Kruse  und 
Pansini,    Metschnikoff,    R.     Stern,     Zaslein,    Klem- 
perer   und    Sobernheim  angebahnt  worden   imd  dann   (1894)   dit^ 
Zurückführung  derselben  auf  Bakteriolysine  diu"ch  R.    Pfeiffer 
und  (1897)  auf  Bakteriotropine  (Immunopsonine)  —  die  Namen 
selbst  stammen  von   N  e  u  f  e  1  d   und    W  r  i  g  h  t  —  durch    D  e  n  y  s    ge- 
lungen.     Der  Mechanismus   der   bakteriolytischen  und   opsonischen  Wir- 
kimg wurde  aber  erst  vollständig  geklärt,  und  die  Prüfungsmethoden  wur- 
den vervollständigt  diurch  Borde  t,   Ehrlich  und  Morgenroth, 
N  e  i  ß  e  r    und    Wechsberg,    Wright,     Neufold    u.    a.      Eine 
Fehlerquelle,  die  in  den  früheren  bakteriziden  Versuchen  mit  Iinmunseruni 
teilweise     eine     Rolle     gespielt     hat,     deckten     ferner     G  r  u  b  e  r     luid 
Pfeiffer    (1896)    in    den    Agglutininen   des    Inununserums  auf. 
Wir  gehen  auf  alle  diese  Dinge  hier  nicht  näher  ein,  weil  sie  in  der  Inf  ektions- 
imd  Immimitätslehre  ausführlich  zu  besprechen  sind,  und  erwähnen  nur, 
daß    eine   strenge    Scheidung   der    antitoxischen  und 
antiinfektiösen,    der   bakteriolytischen,  (besser  mikro- 
biziden)  und   bakteriotropen  (basser  mikrobi-  oder  germitropen) 
Immunität     sich     nur     ausnahmsweise     vornehmen, 
und    auch    die    aktive,   durch   Impfstoffe    erworbene 
Immunität   sich   durchaus   nicht   immer  ausschließ- 
lich    auf     die     antitoxischen     und     antiinfektiösen 
Eigenschaften   des   Blutserums   der   immunen   Tiere 
zurückführen     läßt,    sondern    häufig     während    der 
Immunisierung    erworbene   Eigenschaften    der   Zel- 
len    daneben     mehr     oder     weniger     bedeutungsvoll 
zu    sein    scheinen.       Das    schließt    nicht    aus,    daß    die    passive 
Immunität,    wie  die  gelungenen    Schutz-   und  Heil  versuche  mit  Iminim- 
seiaun    lehren,   allein  auf    den  Eigenschaften    der    letzteren    beruht,   daß 
ferner    in    einzelnen    Fällen     (Botulismus    und    Tetanus  ?)    im    Immun- 
seruni  nur  anti toxische  Kräfte  wirken,  in  anderen  die  anti toxischen  (Diph- 
therie), bakteriolytischen  (Cholera)  oder  bakteriotropen  (Pneumokokken. 
Streptokokken)  Eigenschaf  ton  des  Immunserums  im  Vordergrunde  stehen, 


Angriffs-,  Reiz-  ,und  Impfstoffe.  1081 

wälirend  wieder  in  anderen,  vielleicht  den  meisten  Immunseren,  wie  na- 
mentlich von  lins  für   das   Ruhrserum  bewiesen  worden   ist,    alle 
niö  glichenantitoxischen  und  antiinfektiösen  Kräfte 
ver  einigt  sind.     Endlich  ist  der  von  B  a  i  1  und  seinen  Mitarbeitern 
Weil  usw.   gemachte  Versuch,   noch  besondere  „antiaggressive"   Stoffe 
im  IiTununserum  für  deren  Wirkung  verantwortlich  zu  machen,  gescheitert. 
Ich  selbst  habe  zwar  schon  vor  18  Jahren  von  Antiaggressinen  (ursprüng- 
lich ,,Antily8inen")  gesprochen  (S.  1024),  darunter  aber  nur  die  gewöhnlichen 
liegen    die    Erreger    gerichteten    bakteriziden    Immunkörper    verstanden. 
-\iich   jetzt  könnte  ich  ihn  noch  aufrecht   erhalten  von  der  Voraus- 
setzung ausgehend,  daß  die  Aggressine  es  sind,  auf  die 
die   Immunkörper  wirken,   und  daß  sie  auch,  weil  sie  mit  den 
Impfstoffen    zusammenfallen,    die    Inmiunkörj^erbildung    anregen    (s.    u.). 
Im  übrigen  würde  ich  aber  jetzt,  entsprechend  unseren  heutigen  Kennt- 
iiis-sen  von  den  anti infektiösen  I\jäften  des  Immunserums,  unter  den  Anti- 
ajzjH'essinen  die  mikrobiziden  und  mikrobitropen  Stoffe  dos   Serums  zu- 
sammenfassen.    Daß  ich   damit  recht  habe,  wird  dadurch  bewiesen,  daß 
B  a  i  1  s  Antiaggr essine  der  Cholera,  des  Typhus,  der  Ruhr  wahrscheinlich 
nichts  anderes  sind  als  Bakteriotropino,  die  in  dem  betreffenden  Serum 
neben  den  Bakteriolysinen  vorhanden  sind  und  bei  der  von  Bail  benutzten 
Versuchsanordnung    in    der    mit    Leukozyten    angereicherten    Bauchhöhle 
vorwiegend  zur  Geltung  kommen*).     Eine  anscheinende  Berechtigung  hat 
xunächst    allerdings    die    Annahme    von    iVntiaggrassinen    als    besonderer 
Stoffe   neben   den    gewölinlichen  Immunkörpern    l)ei    den   sei>tizämischen 
Infektionen  (Milzbrand.,  Hühnercholera,  Schweinesouche),  weil  man  hier  im 
K  eagensglas  keine  deutlichen  bakteriziden  oder  bakteriotropen  Wir- 
kungen des  Immunserums  hat  feststellen  können(S.  1052),  indessen  bekommt 
man  doch  ein  anderes  Bild,  wenn  man  die  Vorgänge,  die  i  m  T  i  e  r  k  ö  r  p  e  r 
unter  dem  Einfluß  des  Immunserums  sich  entwickeln,  genauer  untersuclit. 
Schon  die  Angaben  in  der  Literatur  lassen  darauf  schließen,  daß  die  ge- 
steigerte  Freßtätigkeit   der    Phagozyten   und   viel- 
I  eicht  auch  die  abtötenden  Leistungen  der  Säfte  für 
die  Erfolge  des  Serums  verantwortlich  gemacht  werden  müssen.     Das  hat 
auch  eine  von  Zeh*)  in  meinem  Laboratorium  angestellte  Untersuchung 
bestätigt.     Beim  Milzbrandserum  wird  freilich  die  Entscheidung  dadurch 
erschwert,  daß  das  Immunserum  bei  den  kleinen  Versuchstieren  überhaupt 
nur  wenig  leistet.     Wir  haben  also  hier  wieder  einmal  einen  Fall,  in  dem 
der  Reagensglasversuch  —  wegen  mangelhafter  Bindung  der  Immunköq)er 
an  die  Bakterien  außerhalb  des  Kör|:)ers  ?  —  versagt,  das  kann  uns  aber 
in  der  Deutung  der  Erscheinungen  im  lebenden  Körper,  die  im  wesent- 
lichen mit  den  bei  anderen  Infektionen  beobachteten  übereinstimmen,  nicht 
irre  machen.     Nebenbei  bemerkt  haben  sich  Sauerbeck  und  euidere 
Forscher  dazu  verleiten  lassen,  bei  diesen  Infektionen  nicht  antiinfektiöse, 
sondern  antitoxisch  eWirkungen  im  Immunserum  anzunehmen. 


1)  Vgl.  die  S.  1024  ff.  angeführte  Literatur  über  tierische  Aggressine, 
die  Kritik  von  Sauerbeck,  ferner  die  in  meinem  Laboratoriiun  ge- 
machte Arbeit  von  P  a  n  e  und  L  o  1 1  i  (Annali  d'igieno  sperim.  1907) 
über   die  peritoneale  Infektion. 

2)  Über  Wirkungsweise  des  Milzbrandserums  usw.  Berner  mediz. 
Dissert.  Bonn  1909. 


1082  Kap.  XVII,   §  333. 

Abgesehen  davon,  daß  auch  hierfür  Reagensglasversuche  nicht  den  min- 
desten Anhaltspunkt  geben,  sprechen  die  Beobachtungen  im  infizierten 
Gewebe  selbst,  d.  h.  das  Ausbleiben  oder  die  Beschran- 
k  u  n  g  des  Wachstums  im  immunisierten  Tier,  klar  da- 
gegen. Wenn  wir  sonach  von  Antiaggressinen  im  Sinne  B  a  i  1  s  nicht<< 
wissen  wollen,  so  ist  damit  natürlich  nicht  gesagt,  daß  nicht  vielleicht  die 
Zukiuift  uns  noch  die  Kenntnis  von  antiinfektiösen  Immunkörpern,  die 
durch  einen  anderen  Mechanismus  wirken,  als  die  Lysine  und  Troj)ine 
(z.  B.  Antileukine  oder  dgl.)  bescheren  könnte. 

So  nötig  es  nach  alledem  ist,  lytische  und  tropische  neben  anti- 
toxischen Wirkungen  als  Ursache  der  Schutzkraft  der  Immunsera  zu 
unterscheiden,  so  wenig  ist  damit  zunächst  noch  die  Frage  entschieden, 
ob  die  Lysine,  Tropine  und  Antitoxine,  die  in  einem  und  demselben 
Serum  vorkommen,  und  ebenso  die  ihre  Bildung  anregenden  „lysino- 
genen",   „tropinogenen",    „antitoxinogenen*^   Impfstoffe,   die   in   dem 
Leibe  eines  und  desselben  Bakteriums  bzw.   Bakterienextrakts  vor- 
handen sind,  wirklich  immer  verschiedene  Stoffe  sind.   Soviel  ist  gewiB, 
daß  wir  bisher  keine  sicheren  Mittel  haben,  sie  voneinander  getrennt 
darzustellen.     Wir   können   höchstens    die    antitoxinogene    (toxische) 
Wirkung  mancher  Impfstoffe  z.  B.  durch  Erhitzung  vernichten,  und 
vielleicht  gelingt  es  auch  durch  diese  oder  jene  Behandlungsmethode 
der   Impfstoffe,    deren   tropinogene   oder   lysinogene   Eigenjschaft   zu 
unterdrücken,  wie  das  hin  und  wieder  bei  den  agglutinogenen  oder  lysino- 
genen  Funktionen  der  Impfstoffe  (§  335)  geglückt  sein  soll.   Das  würde 
sich  aber  noch  vereinigen  lassen  mit  der  Vorstellung,  daß  die  genannten 
Impfstoffe  ein  einziges  Molekül  bildeten,  das  zwar  aus  Seitenketten 
von  verschiedener  Widerstandsfähigkeit  und  imgleicher  Funktion  zu- 
sammengesetzt  wäre,    aber   durch   Vermittlung   derselben   bindenden 
Gruppe  sich  mit  den  einzelnen  Antikörpern  vereinigte  und  durch  die 
gleichen  Bindegruppen  die  Antikörper  liefernden  Zellen  zur  Sekretion 
reizte.    Damit  würde  auch  nicht  die  Tatsache  in  Widerspruch  stehen, 
die  die  meisten  Forscher  zu  einer  Trennung  der  Antitoxine,  Lysine 
und  Tropine^),  Agglutinine^)  und  anderer  Antikörper  (§  334)  bewogen 
hat,  daß  nämlich  die  Immunkörper,  die  mit  einem  imd  demselben 
Bakterium  hergestellt  werden,  im  Verlauf  der  Immunisierung  nicht 
bloß  eine  quantitativ,  sondern  auch  quaUtativ  verschiedene  Wirksam- 

1)  Über  die  Verschiedenheit  von  Lysinen  und  Tropinen  vgl. 
Bäcker  (Zeitechr.  f.  Hyg.  56),  N  e  u  f  e  1  d  und  Hüne  (Arb.  K.  Gesund- 
lieitsamt  24) ;  N  e  u  f  e  1  d  und  B  i  c  k  e  1  (ebenda  27) ;  N  e  u  f  e  1  d  (in 
Kolle-Wassermanns  Handb.    Erg. -Bd.    2.    329,    1908). 

2)  Über  die  Verschiedenheit  von  Lysinen  und  Agglutininen  vgl. 
z.  B.  Castellani  (Zeitschr.  f.  Hyg.  38) ;  Wassermann  (ebenda 
42) ;  Friedberger  in  Kolle-Wassermann  4.  564).  S.  auch 
§  335. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1083 

keit,  bald  mit  lytisclier,  bald  mit  tropischer,  antitoxischer  oder  aggluti- 
nierender Kraft  entfalten  und  ebenso  bei  den  einzelnen  Tieren  und 
in  den  einzelnen  Organen  derselben  verschieden  sein  können.  Denn 
auch  was  die  Natur  der  Antikörper  angeht,  könnte  man  ähnliche  Vor- 
stellungen wie  die  eben  ausgesprochenen  verteidigen,  indem  man  an- 
nähme, daß  die  Antikörper  liefernden  2jellen  je  nach  Zeit,  Tier  und 
Organ  in  etwas  ungleicher  Weise  auf  denselben  ßeiz  antworten.  Von 
diesem  Standpunkt  aus  müßten  wir  somit  dem  Impfstoff-  wie 
dem  Immunkörpermolekül  eine  veränderliche  Zusammensetzung 
zuschrfeiben^).  Der  einfacheren  Darstellung  wegen 
bleiben  wir  hier  aber  bei  der  gewöhnlichen  An- 
nahme, nach  der  die  lysinogenen,  tropinogenen 
und  die  an  t  it  oxi  n  oge  n  en  Impfstoffe  ebenso  wie 
die  entsprechenden  Immunkörper  besondere  Stoffe 
mit  besonderenbindenden  Gruppensind,  stehen. 

Wir  können  bisher  nur  eine  Tatsache,  die  dieser  Ansicht  geradezu 
zu  widerstreiten  scheint.  Nach  unseren  Beobachtungen*)  wird  nämlich 
das  Antitoxin,  das  das  sogenannte  Kaninchengift  der  Ruhrbazillen  zu 
neutralisieren  vermag,  durch  Berührung  mit  Ruhrbazillen  diesen,  zugleich 
mit  allen  übrigen  Antikörpern,  entzogen,  ohne  daß  die  damit  beladenen 
Bazillen  dadurch  ungiftig  würden,  ja  die  Erscheinung  bleibt  dieselbe,  wenn 
die  Bazillen  durch  Kochen  für  Kaninchen  ungiftig  geworden  sind.  Hieraus 
folgt  entweder,  daß  das  Ruhrantitoxin  in.  den  Bazillenleibern  Bindegruppen 
vorfindet,  die  nichts  mit  dem  Toxin  selbst  zu  tun  haben,  oder  aber,  daß 
es  mit  anderen  Antikörpern  des  Ruhrserums  in  fester  Verbindung  steht. 

Wir  haben  hier  schon  mehrfach  von  der  bindenden  Gruppe  der 
Impfstoffe  gesprochen,  durch  deren  Vermittlung  sie  die  Bildung  der 
Immunkörper  in  der  tierischen  Zelle  anregen  sollte.  Das  entspricht 
der  Ehrlich  sehen  Seitenkettentheorie,  über  deren  Berechtigung 
wir  uns  öfter,  zuletzt  bei  Gelegenheit  der  Aggressine  (§  327),  ausgelassen 
haben.  Dort  haben  wir  auch  die  Ansicht  verfochten,  daß  die  Impf- 
stoffe im  wesentlichen  mit  den  freien  oder  seßhaften  Angriffsstoffen 
und  Bakterienrezeptoren  zusammenfallen,  ebenso  wie  die  Antitoxin 
bindenden  Impfstoffe  mit  den  Toxinen  (§  279).  Eine  einfache  Schluß- 
folgerung daraus  ist,  daß  die  Lysinogene  und  Tropinogene  sich  mit  den 
Lysinen  und  Tropinen  verketten  und  dadurch  nicht  nur  ihre  Aggressivi- 
tät (S.  1046),  sondern  auch  ihr  Immunisierungs vermögen  verlieren  müssen 
(oder  können).  In  der  Tat  ist  letzteres  wenigstens  für  die  Lysinogene  der 
Cholera  von  Pfeiffer  und  Friedberger^)  bewiesen  worden.  Häufig 
ist  auch  der  Eeichtum  an  immunkörperbindenden  Gruppen  entschei- 

1)  Vgl.  das  S.   1111   Gesagte. 

2)  Vgl.    Seit  er,    Zeitschr.   f.   Immunitätsforschung   5.    479,   1910. 

3)  Berl.  klin.  Woch.   1902.  25;  vgl.  auch  Agglutinogene. 


1084  Kap.  XVII,  §  333  u.  334. 

dend  für  das  Imraunisierungsvermögen,  so  daß  virulente  Bakterien, 
die  damit  besser  ausgestattet  sind,  sich  mehr  zur  Immunisierung  eignen 
als  abgeschwächte.    Daß  in  dieser  Beziehung  aber  Ausnahmen  vor- 
kommen und  wie  diese  sich  vielleicht  erklären,  haben  wir  schon  im 
§  327  besprochen.    Wenn  es  dadurch  wahrscheinlich  wird,  daß  sich 
die  Impfstoffe   eines  und  desselben  Keimes  durch  die  Menge,  in  der 
sie  gebildet  werden,  sowie  durch  die  Verwandtschaft,  die  sie  zu  den 
Immunkörper  bildenden  Zellen  und  den  Immunkörpern  selbst  zeigen, 
unterscheiden  können,  so  haben  andere  Erfahrungen  (S.  1057),  auf  die 
wir  bei  den  Agglutinogenen  zurückkommen  werden,  gelehrt,  daß  sie 
nicht  eine  einzige  Bindengruppe,  sondern  eine  Anzahl  von  solchen  be- 
sitzen, die  bald  nebeneinander  in  demselben  Tiere,  bald  in  verschiedenen 
Tieren  zur  Geltung  kommen,  daß  wir  also  nicht  bloß  mit  einzelnen,  für 
jede  Art  spezifischen  lysinogenen  und  tropinogenen  Seitenketten,  son- 
dern mit  einem  verwickelten  „Rezeptorenapparat"  bei  den  Kleinwesen 
selbst  wie  bei  den  Immunkörper  bildenden  Zellen  der  höheren  Organis- 
men zu  rechnen  haben,  mit  einer  Vielheit  von  Rezeptoren,  die  nicht 
immer  völlig  spezifisch,  sondern  zum  Teil  mehreren  Mikrobenarten 
gemeinsam  sind. 

§  334.    Andere  Impfstoffe  (Antigene).    Die  Verwicklung  wird 
dadurch   noch  viel  größer,  daß  uns  das  Studium  der  Eigenschaften 
des  Serums  immunisierter  Tiere  im  Laufe  der  Zeit  bekanntlich  noch 
mit  einer  Reihe  anderer  spezifischer  Immun-  oder  Antikörper  bekannt 
gemacht  hat,  denen  wahrscheinlich  wieder  besondere  Impfstoffe  oder 
„Antigene",  oder,  wenn  wir  im  Sinne  der  Ehrlich  sehen  Theorie 
sprechen,     neue    Bakterien-    und    Zellrezeptoren    entsprechen.     Es 
sind    das   außer   den   schon   genannten   „Verklebungskörpern"  oder 
Agglutininen  (G  r  u  b  e  r  und  Durham,R.  Pfeiffer)  und  Agglu- 
tinogenen, die  „Niederschlagskörper"  oder  Präzipitine  (R.  Kraus), 
und  Präzipitinogene,  die  komplementbindenden  Körper  oder  Reagine 
(Bordet-  Gengou  sehe  Ambozeptoren,  Eiweißambozeptoren)  und 
Reaginogene,  die  Uberempfindlichkeit  erzeugenden  Immunkörper  oder 
Anaphylaxine    (anaphylaktische   Reaktionskörper,    SensibiUsine)  und 
Anaphylaxogene.  Äußerlich  betrachtet  unterscheiden  sich  diese  Immun- 
körper von  den  bisher  betrachteten  „Schutzkörpern",  abgesehen  von 
ihren  Wirkungen  im  einzelnen,  dadurch,  daß  sie  keine  augenscheinlich 
für  den  Tierkörper  nützlichen  Leistungen  entfalten,  sondern  entweder 
für  den  Verlauf  der  Infektion  bedeutungslos  zu  sein  scheinen,  oder  aber, 
wie  die  Anaphylaxine,  den  Tieren  sogar  schädlich  werden.  Dieser  Um- 
stand, wie  die  Tatsache,  daß  alle  diese  Arten  von  spezi- 
fischen   „Immunkörpern"    auch   durch   die    Behand- 
lung  der   Tiere   mit   zahllosen    anderen    im  Tier- 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1085 

körper  nicht  vermehrungsfähigen  Zellen  (Blut- 
körpern, Samenfäden  usw.)  bzw.  Zellstoffen  (Se- 
rum, Milch,  Eiweiß  usw.)  erzeugt  werden  kön- 
nen, hat  manche  Forscher  dazu  geführt,  die  ursprünglich  allgemein 
angenommene  telelogische  Betrachtungsweise  der  Immunität  fallen 
zu  lassen.  Uns  scheint  kein  genügender  Grund  dafür  vorzuliegen. 
Handelt  es  sich  doch  in  allen  Fällen  um  Gegenwirkungen, 
Jiegeeignet8ind,indentierischen  Körper  hinein- 
gelangte organische  Fremdkörper  oder  Fremd- 
stoffe von  eigentümlicher  organischer  Natur 
durch  Lösung  oder  Niederschlagen^)  aus  den 
Säften  auszuschalten,  für  den  normalen  Stoff- 
wechsel unschädlich  zu  machen.  Daß  gelegentlich, 
namentlich  durch  Übertreibung  der  Reaktionen,  der 
Zweck  nicht  erreicht,  ja  durch  die  Gegenwirkung  selbst  Schaden  ge- 
stiftet wird,  sehen  wir  sich  bei  allen  sonst  durchaus  zweckmäßigen 
Eimichtungen  des  Organismus  z.  B.  auch  bei  der  Entzündung  und 
beim  Fieber  wiederholen.  Nähej  können  wir  hier  auf  die  Verhältnisse 
nicht  eingehen,  weil  sie  sich  auf  Erscheinungen  im  Tierkörper  selbst 
beziehen,  also  in  der  Infektions-  und  Immunitätslehre  zu  behandeln  sind. 

So  wenig  diese  letztgenannten  „Immunitätsreaktionen"^)  für  das 
Leben  der  Mikroben  im  Tierkörper  von  Bedeutung  zu  sein  scheinen, 
so  außerordentlich  groß  ist  die  Bedeutung,  die  sie  für  die  spezifische 
Kennzeichnung  derselben,  für  die  Diagnose  der  Mikroben  und  mikro- 
bischen Infektionen,  gewonnen  haben. 

Indem  wir  dazu  übergehen,  die  Eigenschaften  der  hier  in  Betracht 
kommenden  neuen  Antigene  im  einzelnen  zu  betrachten,  erwähnen 
wir  nur  noch,  daß  auch  hier  die  Auffassungen  der  Ehrlich  sehen 
Seitenkettentheorie  über  den  Bau  derselben  sich  zwar  im  großen  und 
ganzen  bewährt  haben,  eine  genaue  Kenntnis  ihrer  chemischen  Natur 
aber  trotzdem  noch  nicht  gewonnen  worden  ist  (vgl.  §  68).  Wir  wissen 
darüber  ebensowenig  auszusagen,  wie  über  die  Natur  der  übrigen 
Antigene,  unter  denen  sie  den  Aggressinen  bzw.  Lysino-  und  Tropino- 
genen  sowie  Endotoxinen  durch  ihre  Widerstandsfähigkeit  gegen 
Hitze  usw.  näher  stehen  als  den  (meisten)  Immuntoxinen  oder  En- 


1)  Vgl.  auch  die  ältere  Theorie  von  Gamaloia(§6)  und  die  neuere 
von  Vaughan,  Nicolle,  Fried  bergor  u.  a.  (§  344).  Die  Be- 
zeichnung der  organischen  Fronidstoffe  als  fremde  ,,  Eiweiß  körper"  erscheint 
uns  nicht  berechtigt,  da  die  Antigene  höchstens  Seitenketten  von  solchen 
«ind  (s.  im  Text). 

2)  So  genannt  im  weitesten  Sinne  des  Wortes,  im  Gegensatz  zu 
^lon  eigentlichen  Schutzreaktionen  der   §  331  u.   333. 


1086  Kap.  XVn,  §  334  u.  335. 

zymen.  Da  auch  diese  Antigene  und  die  entsprechenden  Immunkörper 
bisher  noch  niemals  rein  dargestellt  oder  voneinander  getrennt  worden 
sind,  können  wir  auch  nicht  die  Frage,  wie  sie  sich  zueinander  ver- 
halten, mit  Sicherheit  entscheiden,  müssen  vielmehr  auf  das  früher 
(S,  1082)  bezüglich  der  übrigen  Impfstoffe  und  Schutzkörper  Gfesagte 
verweisen.  Es  hat  zwar,  wie  wir  gleich  sehen  werden,  nicht  an  Ver- 
suchen gefehlt,  die  einzelnen  Arten  der  Antigene,  z.  B.  die  Agglutinine 
mit  den  Präzipitinen,  diese  mit  den  Reaginen  und  Anaphylaxinen, 
die  Reagine  mit  den  Ambozeptoren  (Lysinen)  zusammenzuwerfen, 
und  wir  selbst  sind  einer  noch  weitergehenden  Zusammenfassung  der 
Antigene  und  Antikörper  nicht  abgeneigt  (a.  a.  0.),  aber  so  verlockend 
diese  Vereinfachungen  auch  sind,  so  sehr  empfiehlt  es  sich  vorläufig, 
die  Trennung  noch  aufrecht  zu  erhalten.  Jedenfalls  gewinnt  auch 
die  Darstellung  dadurch  an  Klarheit. 

§  335.    Agglutinogene.   Immunisierende  Fähigkeit.    Die 

meisten  Erfahrungen  liegen  vor  über  die  Antigene  der  Agglutinine, 
die  man  wie  die  Angriffsstoffe  (S.  1030)  als  seßhafte  oder  freie  Agglu- 
tinogene bezeichnen  kann,  je  nachdem  sie  in  den  Mikroben  festsitzen 
oder  aus  ihnen  in  Lösung  gegangen  sind.  Die  Möglichkeit,  mit  ge- 
lösten Bakterienstoffen  Agglutinine  zu  erzeugen,  ist  seit  W  i  d  a  1  und 
Sicard,  Levy  und  Bruns,  Nicolle^),  Neißer  und 
Shiga^),  Kraus  und  Joachim^)  u.  a.  durch  zahllose  Versuche 
mit  Filtraten  und  Extrakten  erwiesen  worden.  Wenn  man  hierfür 
wie  für  die  Gewinnung  von  Lysinen  und  Tropinen  meist  ganze  Kul- 
turen oder  Aufschwenmiungen  von  Leibern  benutzt,  so  geschieht  das, 
abgesehen  von  der  größeren  Einfachheit  des  Verfahrens,  deshalb, 
weil  die  Immunkörper   dann  reichlicher  gebildet  zu  werden  pflegen. 

Wahrscheinlich  liegt  das  aber  nur  daran,  daß  die  Auflösung  der 
Bakterien  im  Tierkörper  die  Antigene  am  vollständigsten  in  Freiheit  netzt*). 
Aus  derselben  Ursache  erklärt  sich  auch,  daß  Filtrate  junger  Bouillon- 


1)  Annal.  Pasteur  1898;  vgl.  sonstige  Literatur  in  der  sehr  voll- 
ständigen Bearbeitung  der  Agglutination  von  Paltauf  (Kolle- 
Wassermanns  Handb.  4.  646 — 783,  1904  und  bei  VolkinKraus- 
Lovaditis  Handb.   2.   623—689,   1909. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.   1903. 

3)  Zentr.  Bakt.  36.  668,   1904. 

4)  Wenn  nach  Seh  eil  er  (Zentr.  Bakt.  36.  712)  u.  a.  auf  60«  er- 
hitzte Bakterien  etwas  höhere  Agglutinations werte  ergeben,  als  lebende 
oder  chloroformierte,  so  geschieht  das  -vielleicht  aus  einem  ähnlichen 
Orimde;  Deutsch  (Annal.  Past.  1899)  und  Gaethgens  (Zentr. 
Bakt.  48.  240,  1908)  haben  übrigens  durch  Immunisierungsv ersuche  mit 
Blutserun\  bewiesen,  daß  die  Agglutinogene  noch  bis  zu  4  Tagen  nach 
der  Inipfimg  von  Tieren  mit  Typhusbazillen  im  Blutserum  kreisen. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1087 

kulturen.  \del  schwächer  wirken  als  die  alter,  und  daß  diejenigen  künstlichen 
Methoden,  die  die  Bakterienleiber  am  vollständigsten  aufschließen,  die 
größte  Menge  von  Agglutinogenen  ergeben^).  Da  dasselbe  aber  auch 
für  die  übrigen  Antigene,  Aggressine  und  Endotoxine  gilt,  werden  aller- 
meist durch  die  gleiche  Behandlung  auch  die  sämtlichen  übrigen  Anti- 
körper erzeugt.  Ob  esüberhauptmöglichist,  wiemanche 
Forscher  meinen,  die  Agglutinogene  frei  von  anderen 
Antigenen  zu  gewinnen,  ist,  wenn  man  von  der  Be- 
seitigung der  empfindlichen  Immuntoxine  durch 
Erhitzen  oder  chemische  Mittel,  wie  z.  B.  das  neuer- 
dings zur  Bakterienauflösung  und  Antigen  gewin- 
nung empfohlene  Antiformin*)  absieht,  einiger- 
maßen fraglich.  Die  Mitteilungen  darüber  widersprechen  sich  sehr. 
Einerseits  wird  behauptet,  daß  die  Agglutinogene  widerstandsfähiger 
seien  als  die  Lysinogene  (B  rieger,  Schütze  und  Mayer'),  De- 
falle*),  andererseits  das  Gegenteil  (Friedberger  und  M  o  r  e  - 
schi*),  Friedberger  •)).  Friedberger  und  Moreschi 
selbst  berichten  über  Erfahnmgen,  die  sich  schwer  nüteinander  vereinigen 
lassen.  So  soll  Chloroformbehandlung  die  Agglutinogene  der  Cholera-, 
nicht  die  der  Typhusbazillen  vernichten,  die  mehrtägige  Autolyse  der 
chloroformierten  Bazillen  aber  auch  den  ersteren  die  agglutinogene  KieSt 
zurückgeben.  Im  allgemeinen  darf  man  wohl  sagen,  daß  das  Verhalten 
der  Agglutinogene  gegen  äußere  Eingriffe  wie  Hitze»  Lösungs-  und  Fällungs- 
mittel ein  ähnliches  ist,  wie  das  der  Aggressine  bzw.  Lysinogene  einerseits 
und  das  der  spät  ei*  zu  besprechenden  Antigene  andererseits.  Temperaturen 
bis  100®  scheinen  z.  B.  auch  die  agglutininbildende  Kraft  der  Tj'phus-, 
Cholera-,  Ruhrbazillen  usw.  nur  unbedeutend,  solche  über  100®  —  in 
feuchtem  Zustande,  bei  150®  in  trockenem  Zustande  —  erheblich  zu  schä- 
digen'). Daraus  folgt  freihch  noch  nicht  die  Identität  aller  dieser  Antigene 
rnid  Antikörper  (S.  1082  u.   1086). 


1)  S.  die  Darstellungsmethoden  §  333. 

2)  2%  Lösung  bis  zu  einer  Stunde  einwirkend  soll  sämtliche  Gifte 
(auch  die  der  Ruhrbazillen)  zerstören,  nicht  die  Agglutinogene.  U  h  1  e  n  - 
h  u  t  h  und  X  y  1  a  n  d  e  r  (Berl.  klin.  Woch.  1908.  28),  A  1  t  m  a  n  n  und 
Schultz  (Zeitschr.  f.  Immunität  3,  1909),  T  s  u  z  u  k  i  (ebenda  4).  Selbst 
für  die  Tuberkelbazillen  scheint  ähnliches  zu  gelten  (M  o  u  s  s  u  und  G  o  u  - 
pil  (Compt.  rend.  ac.  6.  VII.   1908). 

3)  Deutsch,  med.  Woch.  1902.  477;  1903.  309  (Aussalzungs verfahren) 
vgl.  Kraus  und  Joachim  (Zentr.  Bakt.  37.  87)  über  das  gleichzeitige 
Vorhandensein  von  Agglutinogenen  imd  Präzipitinogenen  in  dem  B  r  i  e  - 
ger-M  ay  er  sehen   Ptäparat   (s.   u.    §   342). 

4)  Annal.  Pasteur  1902. 

5)  Zentr.  Bakt.   39. 

6)  Ebenda  40. 

7)  Ausnahmen  von  der  Kegel  s.  u.  bei  de  Rossi.  Über  die  qualita- 
tiven Veränderungen  der  durch  erhitzte  Bakterien  erzeugten  Agglutinine 
8.  u.  bei  Joes.  Über  den  Verlust  der  Agglutinierbarkeit  der  Bakterien 
durch  Hitze  und  Säuren  §  341.  Die  agglutini erzeugende  Fähigkeit  der 
Bakterien  wird  auch  durch  Säurebehandlung  nicht  vernichtet  (W  a  s  s  e  r  - 
mann,  Zeitschr.  f.  Hyg.  42.   271,  Kirstein  ebenda  46,  236). 


1088  Kap.  XVII,   §  335. 

Leider  fehlen  genaue  Vergleiche  über  das  entsprechende  Verhalten 
der  in  Filtraten  und  Auszügen  gelösten  Agglutinogene  gegen  Erhitzung, 
Säuren  u.  dgl.  Nach  N  i  c  o  1 1  e  (a.  a.  O.)  würden  Filtrate  durch  Erhitzen 
auf  115°  zum  größten  Teil,  aber  doch  nicht  ganz  ihrer  Immunisierungs- 
fähigkeit, beraubt.  Nach  C  a  r  e  g  a  ^)  behielte  das  durch  Ausziehen  mit 
verdünnter  Kalilauge  aus  jungen  Bouillonkulturen  hergestellte  „Nukleo- 
albiunin"  dieselbe  auch  nach  dem  Kochen,  während  es  seine  Giftigkeit 
verlöre.  Das  bei  der  Behandlung  ungelöst  zurückbleibende  „Nuklein'' 
soll  überhaupt  kein  Agglutinin  erzeugen  (vgl.  S.  945).  Ob  sie  in  tierischen 
Flüssigkeiten  gelöst,  wie  die  tierischen  Aggressine  (S.  1028)  schon  durch 
Temperaturen  von  60®  angegriffen  werden,  wäre  noch  festzustellen.  Durch 
Alkohol  läßt  sich  nach  Winterberg*)  die  immunisierende  Subst€uiz 
der  Filtrate,  ohne  zerstört  zu  werden,  niederschlagen,  längere  Berührung 
mit  Alkohol  vernichtet  sie  aber.  Über  das  ungleiche  Verhalten  der  agglu- 
tinin bindenden  und  prä«ipitablen  Stoffe  werden  wir  weiter  unten 
zu  berichten  haben. 

Von  vomherein  läßt  sich  annehmen,  daß  auch  der  natürliche  Zu- 
stand, in  dem  sich  die  Bakterien  befinden,  das  Vorkommen  der  Agglu- 
tinogene beeinflußt.  Weniger  kommt  wohl  da  in  Betracht  der  Nähr- 
boden, auf  dem  sie  gewachsen  sind^),  als  die  ererbte  oder  duich 
Abänderimg  erworbene   Stammeseigenart. 

Man  hat  schon  früh  die  Beobachtung  gemacht,  daß  die  Fähic- 
keit,  Agglutinin  zu  bilden,  nicht  nur  bei  verschie- 
denen Arten,  sondern  bei  verschiedenen  Stämmen 
derselben  Art,  bzw.  denselben  Stämmen  unter  ver- 
schiedenen Bedingungen  recht  ungleich  ist.  Bekannt 
ist  die  Schwierigkeit,  mit  manchen  Colibakterien,  Kapselbakterien  (Bac. 
pneumoniae  usw.*)),  Diphtherie  und  Pseudodiphtherie,  Milzbrand,  Hefe*), 
Agglutinine  zu  erhalten.  Indessen  hängt  ein  großer  Teil  nur  davon  ab, 
daß  nicht  alle  Tiere  vind  nicht  alle  Verfahren  gleich  gut  zur  Immunisierung 
geeignet  sind.  So  gelang  es  späteren  Forschem,  z.  B.  bei  Pferden  durcli 
Benutzung  erst  von  abgetöteten,  später  von  lebenden  Bazillen  gegen 
Diphtherie  und  Pseudodiphtherie  spezifische  agglutinierende 
Seren  zu  gewinnen*),  während  das  gewöhnliche  antitoxische  Diphtherie 
serum  in  dieser  Beziehung  unwirksam  ist. 

Man  hatte  zunächst  das  mangelhafte  Bildungsvermögen  für  Agglu- 
tinine mit  dem  Fehlen  der  Beweglichkeit  in  Verbindung  ge- 
bracht. Das  ist  natürlich  schon  unmöglich  geworden,  seitdem  man 
für  viel  unbewegliche  Bakterien  (Kokken  und  Bazillen)  die  stärksten 
Agglutinine   erzeugt  hat,   immerhin  scheint  bei  einer  und  derselben 


1)  Zentr.  Bakt.   34. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   32,   1899. 

3)  Vgl.    G  1  ä  ß  n  e  r  ,   Zeitschr.   f.    experim.   Pathol.    1.    640,   1905. 

4)  v.   Eis  1er  und  Porges,   Zentr.   Bakt.   42,    1906  Lit. 

5)  vorl.   Schütze,   Zeitschr.   f.   Hyg.   44,    1903. 

6)  Schwoner,  Wien.  klin.  Woch.   1902.  48. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1089 

Axt  das  Vorhandensein  von  Geißeln  oder  vielleicht  besser  gesagt 
die  Beschaffenheit  der  äußeren  Leibesschicht,  des  Ektoplasmas, 
in  einem  gewissen  Zusammenhang  mit  dem  Agglutininbildungsver- 
mögen  und  der  Agglutinierbarkeit  (§341)  zu  stehen. 

Unter  anderen  Beispielen  dafür  gibt  D  e  f  a  1 1  e  ^)  das  folgende:  Der 
Bac.  mycoides  entwickelt  auf  Agar  täglich  neu  übertragen  schöne 
Geißeln  und  im  Tier  ein  kräftiges  Agglutinin,  das  am  stärksten  auf  ihn 
selbst  wirkt.  Wenn  man  ihn  aber  auf  Agar  zur  Sporulation  gelangen  läßt, 
ehe  er  übergeimpft  wird,  so  bildet  er  künunerliche  Geißeln  und  Agglu- 
tinine,  die  außerdem  fast  nur  auf  die  bewegliche  Abart  einwirken').  N  i  - 
c  o  1 1  e  und  T  r  6  n  e  1  •)  beobachteten  auch  bei  Typhusbazillen 
und  typhusähnlichen  Bakterien,  die»  bei  42  bzw.  38°  ge- 
züchtet, unbeweglich  geworden  waren,  Abnahme  ihres  immunisierenden 
Vermögens  und  ihrer  Agglutinierbarkeit,  während  de  R  o  s  s  i  ^)  bei  einer 
C  o  1  i  a  r  t  das  Immunisierungsvermögen  der  unbeweglichen  (bei  35®  ge- 
züchteten) Kultur  ziemlich  unverändert,  aber  die  Agglutinierbcurkeit  stcurk 
vermindert  fand.  Letzterer  Forscher  untersuchte  ferner  bei  einem  H  e  u  - 
bazillus  die  Bedeutung  der  Geißeln  für  die  Agglutininbildung,  indem 
er  die  Bewegungsorgane  durch  Schütteln  in  Kochsalzlösung  und  Zentri- 
fugierung  von  den  Leibern  trennte  und  nun  mit  beiden  Bestandteilen 
sowie  mit  ganzen  Bazillen  Tiere  immunisierte.  Die  Geißeln  und  Leiber 
erwiesen  sich  gleich  wirksam  und  erzeugten  zusammen  ebensoviel  Agglutinin, 
wie  die  unversehrten  Bazillen  allein.  Da  die  Geißeln  durch  Kieselgur- 
filter hindurchgehen')  und  bei  unbeweglichen  Bakterien  die  durch  Aus- 
schüttelung  gewonnene  Flüssigkeit  kaum  agglutinogen  ist,  erklärt  d  e 
Rossi  die  Geißeln  für  den  Sitz  der  immunisierenden 
Substanz  in  der  Flüssigkeit.  Nebenbei  besaß  die  geißelhaltige  Flüssig- 
keit sogar  ein  etwas  stärkeres  Bindungsvermögen  für  Agglutinine, 
als  die  BaziUenleiber.  Gegenüber  der  Erhitzimg*)  verhält  sich  die  agglu- 
tininbildende  und  -bindende  Kraft  der  Geißeln  und  Leiber  ganz  ähnlich, 
d.  h.  sie  wird  durch  Erwärmimg  auf  62°  stark  herabgesetzt.  Auch  die 
Agglutinierbarkeit  steht  in  einem  gewissen  Zusammenhange  mit  dem 
Zustand  der  Geißeln,  denn  beide  bleiben  bei  Temperaturen  bis  65°  un- 
verändert, und  über  65°  hinaus,  wo  die  Geißeln  zugrunde  gehen,  wird  die 
Agglutinierbarkeit  stark  geschädigt.  Abtrennung  der  Geißeln  von  den 
Körpern  der  Bazillen  (durch  Schütteln)  bewirkt  nur  eine  Verlangsamung, 
sonst  keine  Beeinträchtigung  der  Agglutininwirktmg.  Inwieweit  es  sich 
in  allen  diesen  Punkten  um  Ausnahmeverhältnisse  handelt,  wäre  noch 
festzustellen. 


1)  Annal.  Pasteur  1892. 

2)  K  i  r  8 1  e  i  n  a.  a.  O.  239  sah  keine  Unterschiede  in  dem  Immuni- 
sierungsvermögen von  Prodigiosusbazillen,  die  durch  Züchtung 
bei  37°  ihre  Farbe  verloren  hatten,  sondern  nur  einen  Verlust  der  Agglu- 
tinierbarkeit. 

3)  Annal.  Pasteiu-  1902. 

4)  Zentr.  Bakt.  37.   113. 
6)  Ebenda  433. 

6)  Ebenda  40.  565. 
Ken 80,  Mikrobiologie.  G9 


1090  Kap.  XVII,  §  335—337, 

Ähnliche  Bassenunterschiede  sind  nun  auch,  von  der  Beweglich- 
keit abgesehen,  vielfach  beobachtet  worden  bei  Cholera-  und  Typhus- 
bazillen.  Pfeiffer  und  Friedberger  glaubten  zunächst,  es 
bestände  ein  Parallelismus  zwischen  Virulenzgrad  und  Bildungs-  bzw. 
Bindungsvermögen  für  Lysine  und  Agglutinine.  Wir  haben  aber  schon 
S.  1048  gesehen,  daß  sich  diese  Behauptung  für  die  Lysine  nicht  aufrecht 
erhalten  läßt.  Ebensowenig  ist  das  nach  den  dort  namhaft  gemachten 
Forschern  für  die  Agglutinine  der  Fall.  Bald  erhält  man  mit  weniger 
virulenten  Bakterien  stärkere  Agglutinine  als  mit  virulenten,  bald 
spärliche  oder  selbst  gar  keine. 

§  336.  Zusammengesetzte  Natur  der  Agglutinogene.  Daß 

die  agglutininerzeugende  Substanz  eines  bestimmten  Bakteriums  kein 
einfacher,  nur  quantitativ  unveränderlicher  Stoff  ist,  haben,  abgesehen 
von  den  Bindungsversuchen,  auf  die  wir  gleich  kommen  werden,  schon 
die  Immunisierungsversuche  selbst  gelehrt.  Es  zeigte  sich  nämhch 
erstens,  daß  die  Agglutinine,  die  mit  dem  gleichen  Präparat 
von  verschiedenen  Tierindividuen  oder  -arten  gewonnen  waren,  das 
zugehörige  Bakterium  und  andere  Stämme  derselben  Art  zwar  stet? 
am  stärksten,  d.  h.  in  den  größten  Verdünnungen,  und  alle  übrigen 
Bakterien  gar  nicht  oder  schwächer  — '  also  wie  man  zu  sagen  pflegt, 
spezifisch  beeinflußten,  aber  die  letzteren  keineswegs 
immer  in  dem  gleichen  Verhältnis,  sondern  bald  dieses, 
bald  jenes  Bakterium  mehr  agglutinierten.  Mußte  man  hieraus  auf 
einen  zusammengesetzten  Bau  der  Agglutinine  mit  sogen.  „ Haupt "- 
imd  „N  ebenagglutinine  n*',  d.  h.  wenn  man  sich  auf  den 
Standpunkt  der  Ehrlich  sehen  Seitenkettentheorie  stellt,  auf  eine 
große  Mannigfaltigkeit  der  tierischen  Rezeptoren  und  zugleich 
auf  eine  entsprechend  verwickelte  Zusammen- 
setzung der  Agglutinogene  aus  zahlreichen  ver- 
schiedenen immunisierenden  bzw.  bindenden 
Gruppen  schließen^),  so  folgt  aus  den  ebenfalls  in  gewissen  Gren- 
zen schwankenden  Agglutinationswerten,  die  man  mit  verschie- 
denen Stämmen  einer  und  derselben  Bakterienart  erhält,  daß 
auch  die  Zusammensetzung  dieser  Agglutinogene  veränderlich 
ist,  also  bald  diese,  bald  jene  immunisierende  Gruppe  mehr  oder  weniger 
entwickelt  ist^). 

1 )  D  u  r  h  a  ni ,  Joiu'n.  of  experim.  med.  1901 ;  Wassermann. 
Zeitschr.  f.  Hyg.   42  und  286,   1903.    Vgl.  Anm.  2. 

2)  Beispiele  finden  sich  in  allen  größeren  Arbeiten  über  die  Aiijgl"- 
tination,  z.  B.  bei  Kelle  und  Gotschlich,  Zeitsclir.  f.  Hyg.  4-* 
(Vibrionen),  Kruse,  Rittershaus,  Kemp  und  Metz  ebenda 
57   (Dysenterie-   und   Pseudodysenteriebazillen). 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1091 

J  o  o  8  ^)  hat  sogar  den  Nachweis  geführt,  daß  man  durch  einen 
einfachen  künstlichen  Eingriff  dergleichen  Ändenuigen  jeden  Augenblick 
bewirken  kann.  Immunisiert  man  nämlich  Tiere  nebeneinander  mit  leben- 
den oder  auf  60®  erhitzten*)  lyphuabazillen  („a-  und  /9-Agglutinogenen), 
so  erhält  man  Agglutinine  (a-  und  /J-Agglutinine),  die  beide  Zustands- 
formen  der  Bazillen  ungleich  agglutinieren  und  ungleiche  Widerstands- 
kraft gegenüber  der  Erhitzung  bieten.  Was  den  modifizierenden  Einfluß 
der  Temperatur  anlangt,  so  sind  die  Beobachtungen  J  o  o  s '  diu-ch  Schel- 
ler sowie  Kraus  und  Joachim  (a.  a.  O.)  im  wesentlichen  bestätigt 
worden,  die  Verhältnisse  sind  aber  anscheinend  viel  verwickelter,  als  J  o  o  s 
es  angenommen  hatte.  So  ergaben  sich  Scheller  neue  Verschieden- 
heiten im  Immunisierungsvermögon  bei  Erhitzung  der  Bazillen  auf  100° 
und  Kraus  imd  Joachim  auch  solche  zwischen  unerhitzten  Bouillon- 
filtrat^n  imd   Kochsalzextrakten   (s.   u.    Präzipitogene  §  442). 

§  337.  Bindende  Fähigkeit  der  Agglutinogene.  Die  zweite 
Eigenschaft  der  Agglutinogene  neben  ihrer  immunisierenden  besteht 
nach  der  Seitenkettentheorie  (§  327)  darin,  daß  sie  die  Agglutinine 
des  Serums  binden.  In  der  Tat  ist  dieses  von  B  o  r  d  e  t  ^)  zuerst 
nachgewiesene  Bindungsvermögen  allseitig  zuerkannt  worden  den 
Bakterienleibem  selbst,  also  den  seßhaften  Agglutinogenen,  und 
Castellani*)  hat  daraufhin  in  meinem  Laboratorium  die  später 
nach  ihm  benannte  Absättigungsmethode  zur  Prüfung 
der  Agglutinine  ausarbeiten  können.  Durch  sie  wird  gleich- 
zeitig bewiesen,  daß  das  Bindungsvermögen  ein  spezifisches  ist,  in- 
sofern die  sämtlichen  Haupt-  und  Nebenaggluti- 
nine  (S.  1090)  nur  durch  Bakterien  derselben  Art, 
mitdenen  das  S  erumhergestelltist,  abgesättigt 
werden,  die  Neb  en  aggl  u  ti  nin  e  aber  auch  ent- 
fernt werden  können  durch  heterologe  Absättigung  d.  h. 
mit  den  fremden  Bakterien,  auf  die  sie  wirken.  Ausnahmen  (s.  u.)  be- 
stätigen nur  die  Regel.  Länger  hat  es  gedauert,  bis  auch  das  Bin- 
dungsvermögen der  freien  (gelösten)  Agglutinogene  anerkannt 
worden  ist.  Zum  Teil  hat  das  allerdings  wohl  nur  daran  gelegen,  daß 
man  von  der  falschen  Voraussetzung  ausging,  die  Agglutinine  müßten 
die  Agglutinogene  gleichzeitig  binden  und  fällen  (§  341),  zum  anderen 
Teil  hat  man  die  quantitativen  Verhältnisse,  die  bei  der  Absättigung 
der  Agglutinine  auch  durch  Bakterienleiber  eine  große  Rolle  spielen 


1)  Zentr.  Bakt.   33. 

2)  Nach  Eisenberg  (Zentr.  Bakt.  41.  823)  verhalten  sich 
ebenso  Bazillen,  deren  Agglutinierbarkeit  durch  Züchtung  bei  42°  ver- 
mindert ist. 

3)  Annal.  Pasteur  1899.  247. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  40,  1902;  vgl.  auch  unsere  in  Anm.  2  S.  1090 
erwähnte  Dysenteriearbeit. 

69* 


1092  Kap.  XVIT,  §  337  u.  338. 

(s.  u.),  nicht  berücksichtigt,  z.  B.  zu  große  Mengen  von  Ä^lutininen 
verwandt  hat. 

So  setzten  Kraus  und  v.  Pirquet  *),  Neißer  und  S  h  i  g  a  -) , 
Wassermann^),  Asakawa^),  Eisenberg*),  de  Rosai*), 
Bürgers  und  H  ö  s  c  h  ')  den  vergeblichen  Versuchen  R  a  d  z  i  e  w  s  - 
kys*),  Beljaeffs*),  Bails^'*),  Picks**)  solche  entgegen,  in  denen 
der  Zusatz  spezifischer  Bouillonfiltrate  oder  -extrakte  die  Agglutinations- 
kraft von  Typhus-,  Ruhr-,  Pyocyaneus-Inunimseruni  abschwächte  oder 
ganz  aufhob.  Wassermann  fügte  dazu  den  Nachweis,  daß  das  mit 
Immunserum  versetzte  Pyocyaneusfiltrat  ein  weit  geringeres  Agglutinin- 
bildungs  vermögen  besaß  als  das  unvermischte,  und  Bürgers  und 
H  ö  s  c  h  zeigten,  daß  entgegen  der  Ansicht  von  B  a  i  1  und  K  i  k  u  c  h  i  *') 
die  Bazillenextrakte  nicht  nur  die  Agglutination  henunten,  sondern 
auch  die  Agglutinine  fest  banden,  denn  der  nachträglich  in  der 
Mischung  angestellte  Bindungsversuch  mit  Bazillenleibem  ließ  Agglu- 
tinine nur  zurückgewinnen,  wenn  sie  im  Überschuß  zugesetzt  worden 
waren  (vgl.   S.   1046). 

Denkbar  wäre  es  ja  freilich,  daß  in  anderen  Fällen  —  es  fehlt 
noch  an  einer  genügenden  Bearbeitung  der  Verhältnisse  —  die  freien 
Agglutinogene  eine  schwächere  Verwandtschaft 
zu  den  Agglutininen  hätten,  als  die  in  den  Lei- 
bern steckenden.  Selbst  die  letzteren  geben  ja  einen  Teü  der 
gebundenen  Agglutinine  bei  entsprechender  Behandlung  wieder  ab. 

Hahn  imd  Trommsdorf**)  machten  zwar  nicht  durch  Auf- 
schwemmen mit  Kochsalzlösung  bei  37°  aus  agglutinierten  Bakterien 
Agglutinine  frei,  aber  wohl  geringere  Mengen  durch  Auischwenmien  mit 
Vioo  Normallauge  oder  -säure.  B  a  1 1  n  e  r  imd  Sagasser**),  Land- 
steiner und  J  a  g  i  c^^)  fanden  aber  die  Dissoziationsfähigkeit  der  an 
rote  Blutkörper  und  Bakterien  gebundenen  Agglutinine  sogar  schon  gegen- 
über Kochsalzlöflimg  in  gewissem,  freilich  manchmal  recht  geringem  Grade 
ausgesprochen.    Wenn  man  die  Temperatur  auf  60®  steigert,  läßt  sie  sich 


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Zentr.  Bakt.   32. 

Deutsch,  med.  Woch.   1903.  4. 

a.  a.  O. 

Zeitschr.  f.  Hyg.  45.   1905. 

Zentr.  Bakt.  41.  752,   1906. 

Ebenda  37.   111;  s.  o. 

Zeitschr.  f.  Immunitätsforschimg  2,  1909. 

Zeitschr.  f.  Hyg.  34,  1900. 

Zentr.  Bakt.  33. 

Prag.  med.  Woch.   1901.   17. 

Hofmeisters  Beitr.   1,  1901. 

Arch.  f.  Hyg.  53,  1905. 

Münch.  med.  Woch.  1900. 

Arch.  f.  Hyg.  51. 

Münch.  med.  Woch.  1902—1904. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1093 

nach  P.  Th.  Müller*)  leichter  nachweisen,  und  zwar  besonders  leicht 
bei  den  Agglutininen  „geringerer  Avidität**,  die  einem  schon  ein 
mal  mit  Bakterien  behandelten  agglutinierenden  Serum  durch  eine 
zweite  Absorption  entzogen  werden.  Femer  sah  J  o  o  s  *)  normale 
Typhusbazillen,  die  mit  stcyrk  agglutinierten  zusammen  aufgeschwemmt 
waren,  der  Agglutininwirkung  unterliegen,  die  Agglutinine  also  von  den 
schon  beladenen  auf  die  nichtbeladenen  Bakterien  „überspringen'*').  Die 
Möglichkeit  einer  Trennung  (die  „Reversibilität*')  der  Agglutinogen-Agglu- 
tininbindung  wird  auch  durch  die  Erfahrungen,  die  Eisenberg^) 
beim  Studiimi  der  Agglutinationshemmung  durch  sogenannte  Proagglu- 
tinoide  gesammelt  hat.  Der  Enderfolg  hängt  in  erheblichem  Maße  von  den 
Massenverhältnissen  der  Agglutinine  und  Proagglutinoide  imd 
der  Zeitdauer  der  Verbindung  ab.  Je  länger  die  letztere 
ist,  de»to  schwieriger  ist  ihre  Sprengung.  Endlich  wäre  nicht  unmöglich, 
(laß  eine  solche  im  Tierkörper  stattfinden  könnte.  N  e  i  ß  e  r  und 
Lubowski  •)  gelang  es  in  der  Tat,  wie  schon  anderen  Forschem  vor 
ihnen,  mit  stark  agglutinierten  Bakterien  noch  Agglutinine  zu  erzeugen, 
wenn  auch  nicht  regelmäßig  und  in  geringeren  Mengen  als  bei  Verwendung 
normaler  Bazillen.  Man  kann  aber  selbst  hier  noch  einwenden,  daß  viel- 
leicht nicht  genügend  auf  die  vollständige  Absättigung  der  Agglutinogene 
mit  Agglutinin  geachtet  worden  ist.  Vgl.  die  entsprechenden  Beziehungen 
zwischen  Toxinen  und  Antitoxinen   §  278. 

§  338.  Bindnngsgesetz  der  Agglutinogene.  Damit  kommen 
wir  auf  die  Bindungsgesetze  der  Agglutinogene.  Sie  sind  zuerst  dureh 
die  Arbeit  von  Eisenberg  und  Volk®)  festgestellt  und  später 
allenthalben  bestätigt  worden. 

Die  Verfasser  gingen  aus  von  einer  „Agglutinineinheit",  d.  h.  der- 
jenigen Serununenge,  die  gerade  hinreichte,  um  1  ccm  einer  Aufschwem- 
mung von  einer  Agarkultur  Typhusbazillen  in  30  ccm  Kochsalzlösiuig 
(Einheit  der  agglutinablen  Substanz)  zu  unvollkommener  Agglutination 
zu  bringen,  d.  h.  darin  einen  deutlich  imd  scharf  begrenzten  Niederschlag  mit 
leicht  getrübter  Flüssigkeit  darüber  zu  erzeugen.  Um  die  Menge  der 
Agglutinine  zu  prüfen,  die  von  der  genannten  Bakterieneinheit  aus  einem 
verschieden  konzentrierten  Serum  entzogen  werden,  wurden  je  30  ccm 
der  Bakterienaufschwemmung  in  den  wechselnden  Serumverdünnungen 
hergestellt,  die  Röhrchen  2  Stunden  bei  37°  und  bis  zu  24  Stunden  bei 
Zimmertemperatur  (bis  zur  Klärung)  stehen  gelassen  und  in  der  geklärten 
Flüssigkeit  die  noch  vorhandene  Agglutininmenge  ermittelt.  Das  Ver- 
hältnis der*  gebundenen  zur  dargebotenen  Agglutininmenge  wurde  als 
Abeorptionskoeffizient  bezeichnet.  Beispielsweise  ergab  sich  für  die  Ein- 
heit der   agglutininbildenden    Substanz: 


1)  Ar  eh.  f.  Hyg.  51. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  40. 

3)  Vgl.  Eisenberg   und  Volk  ebenda  40.    160  und  654,   1906. 

4)  Zentr.  Bakt.  41.  464  u.  654,   1906. 

5)  Ebenda  30,   1901. 

6)  Zeitschr.  f.  Hyg.  40. 


1094 


Kap.  X\^T,  §  338  u.  339. 


s 

vord 

erum- 
ünnung^) 

:  10  000 

Dargebotene 

Agglutininmengo 

in  Einheiten 

Gebundene 

Agglutinin  menge 

in  Einheiten 

Absorptions- 
koeffizient 

2 

2 

20  :  20 

:  1000 

20 

20 

20  :  20 

:  500 

40 

40 

20  :  20 

.  300 

67 

67 

20  ;  20 

.  100 

200 

180 

IS  :  20 

50 

400 

340 

17  :  20 

10 

2  000 

1500 

15  :  20 

2 

10  000 

6  500 

13  :  20 

1 

20  000 

11000 

11  ;  20 

Aus  dieser  und  vielen  anderen  in  ähnlicher  Richtung  verlaufen- 
den, wenn  auch  in  jedem  Serum  etwas  verschiedenen  Reihen  ließ 
sich  die  Regel  ableiten,  daß  bei  gleichbleibender  Bakte 
rienmengemithöhererKonzentrationderAgglu- 
tinine  die  gebundene  Menge  immer  größer,  das 
Verhältnis  der  gebundenen  zur  gebotenen  Menge 
immer  kleiner  wird.  Regelmäßig  waren  die  Bak- 
terien imstande  ,  viel  mehr  Agglutinin  zu  binden, 
als  zu  ihrer  Agglutination  genügte.  Nur  in  einigen  Bin- 
dungsversuchen mit  normalem  Serum  wurde  trotz  steigender  Serum- 
konzentration nur  je  eine  Agglutinationseinheit  gebunden.  Das  ist 
theoretisch  wichtig,  weil  es  dafür  spricht,  daß  auch  die  Bindung  des 
Agglutinogens  mit  dem  Agglutinin  unter  Umständen  in  gleichbleiben- 
dem Verhältnis  erfolgt,  wie  die  Bindung  der  Toxine  an  die  Antitoxine. 
Im  allgemeinen  ist  das  aber  nicht  der  Fall,  sondern  es  hängt  die 
gebundene  A  ggl  u  t  i  n  i  n  me  n  ge  von  dem  Zahlen- 
verhältnis ab,  in  dem  die  bindende  Substanzzu 
dem  gebotenen  Agglutinin  steht. 

Daraus  ist  schon  zu  folßjem,  daß  eine  Verdoppelung  oder  Verzehn- 
fachung der  Bakterienmonge  im  Bindmigsversuch  nicht  immer  in  dem- 
selben Verhältnis  die  Menge  der  gebundenen  Agglutinine  vermehrt.  In 
sehr  verdünntem  Senim  wird  das  allerdings  oft  eintreten,  nicht  aber  in 
stärkerer  Konzentration.  Bringt  man  z.  B.  im  obigen  Beispiel  zehn  Ein- 
heiton Bakterien  statt  einer  in  reines  Serum,  so  "wiirde  das  Verhältni»« 
der  Agglutinogene  zu  den  Agglutininon  1  :  2000,  nicht  mehr  1  ;  20f)<M' 
entsprechen,  es  wird  also  ^y^o  statt  ^Vj^  der  vorhandenen  Agglutinine 
gebunden  werden,  also  eine  völlige  Absättigung  des  reinen  Serums  niclit 
zu  erzielen  sein.  J)er  Vorsuch  bestätigt  das.  Größeren  Erfolg  versprielit 
das  wiederholte  Eintragen  von  Bakterien  in  konzentriertes  Serum,  wenn 
man  durch  Ausschleudern  für  Entfernung  der  zuerst  zugesetzten  Bakterien 


1)   1  :  1  bedeutet  Vollserum. 


Angriffs-,  Reiz-  luid  Impfstoffe.  1095 

sorgt.  Dann  ist  in  obigem  Beispiel  schon  nach  der  ersten  Absättigung 
(las  Verhältnis  heruntergegangen  auf  1  :  9000,  nach  der  zweiten  a\if  etwa 
1  :  6000,  nach  der  dritten  auf  weniger  als  2000  (Koeffizient  15  :  20),  d.  h. 
durch  wiederholte  kleine  Absättig ungen  haben  wir 
hier  mindestens  das  gleiche  Ergebnis,  wie  bei  ein- 
maliger Eintragung  einer  zehnfachen  Menge.  Auch 
hier  bestiitigt  die  Erfahrung  die  Erwartung.  Entsprechend  ist  das  Er- 
crebnis  bei  Absorption  durch  geringere  Bakterienmengen.  Leider  stallten 
Eisenberg  imd  Volk  nicht  fest,  ob  eine  vollständige  Ab- 
sättigung der  Agglutinogene  durch  Agglutinine 
überhaupt  möglich,  ob  also  ein  bestimmtes  Antigen  nur  ein 
bestimmtes  Höchstmaß  von  Agglutinineinheiten  aufnehmen  kann.  Das 
hätte  man  entscheiden  können  durch  Heruntergehen  mit  der  Bakterien- 
menge oder  durch  wiederliolte  Absättigung  derselben  Bakterien  mit  Serum. 
Versuche  in  letzterer  Richtung  macliten  allerdings  Eisenberg  und 
Volk  lind  kamen  dabei  zu  dem  Ergebnis,  daß  Bakterien,  die  schon  mit 
Agglutininen  stark  beladen  sind,  in  frischem  Serum  etwas  weniger  Agglu- 
tinin  aufnehmen,  als  unberührte  Bakterien.  Bis  zur  Grenze  sind  sie  auch 
hier  nicht  gegangen.  Ein  Nobenbefund  war,  daß  stark  beladene 
Bakterien  aus  schwachen  Lösungen  nichts  mehr 
aufnahmen,  sondern  einenkleinen  Teil  ihrer  Agglu- 
tinine sogar    abgaben  (s.  o.   S.   109.3). 

Eine  praktische  Schlußfolgerung  aus  diesen  Bindungsangaben  ist 
die,  daß  man  zur  Absättigung  von  Agglutininen  (s.  o.  C  a  s  t  e  1 1  a  n  i  s 
Versuch)  entweder  das  Serum  stark,  z.  B.  auf  1  :  100,  verdünnt  oder 
wiederholt   absättigt   und   dabei    möglichst   große   Mengen   nimmt  ^). 

Die  Zeit,  die  zur  Absättigung  nötig  ist,  ist  meistenteils  kurz,  nach 
Eisenberg  und  Volk  genügen  z.  B.  wenige  Minuten,  um  die 
Bindung  zu  bewerkstelligen.  Nach  eigenen  und  fremden  Erfahrungen 
verlängert  man  aber  die  Absättigung  besser  auf  P,4--l  Stunde,  unter 
Umständen  auf  24  Stunden,  auch  ist  die  Temperatur  nicht  so  un- 
wichtig, wie  es  nach  den  Angaben  von  Eisenberg  und  Volk 
scheint.    Bruttemperatur  ist  vorzuziehen. 

§  339.  Natur  der  Agglutinogenbindung.  Es  fragt  sich, 
wie  man  sich  theoretisch  das  aus  obigen  Untersuchungen  sich  ergebende 
Bindungsgesetz,  das  deswegen  eine  besondere  Wichtigkeit  hat,  weil 
es  in  ähnlicher  Form  auch  für  andere  Antigene 
"->  mit  Ausnahme  der  Toxine  — .  zu  gelten  scheint,  zurechtlegen  soll. 
Nachdem  B  o  r  d  e  t  ^)  zuerst  die  Bindung  hämolytischer  Antikörper, 
weil  sie  in  veränderlichen  Verhältnissen  erfolgt,  mit  der  Absorption 
des  Jods  durch  Stärke  oder  von  Farbe  durch  färbbare  Körper,  also 
mit  einem  meist  als  physikalisch  aufgefaßten  Vorgang  ver- 
glichen hatte,  wogte  der  Streit  darüber  hin  und  her,  ob  die  Bindung 

1)  Vgl.  unsere  Dysenteriearbeit  (s.  o.  Anm.  2,   S.   1090). 

2)  Annal.    Pasteur   1900.    225;    1903.    165. 


1096  Kap.  XVII,  §  339  u.  340. 

chemischer  oder  physikalischer  Natur  sei.   Wir  entscheiden  uns  wegen 
der  Spezifizität  der  Bindung  für  die  erstere. 

Wie  Bordet  selbst  hervorhebt,  ist  der  Streit  insofern  müßig,  als  wir 
über  das  Zustandekommen  der  sogenannten  physikalischen  AbBorption  nichts 
Sicheres  wissen.  Allgemeines  Einverständnis  herrscht  auch  darüber,  daß 
sich  die  Antikörper  bzw.  Agglutinine  zum  großen  Teil  so  fest  an  die  Bak- 
terien binden,  daß  man  an  eine  chemische  Bindung  denken  muß.     Selbst 
Arrhenius^),    der   wie   Eisenberg*)    die    Aufnahme    der  Agglu- 
tinine  in   die   BeJcterien   als   einen   „Verteilungsvorgang"   zwischen   zwei 
Lösungsmitteln     auffaßt,     welcher     vom     Guldberg-Waage  sehen 
Gesetz  des  chemischen  Gleichgewichts  beherrscht  sei  und  sich  in  eine  ein- 
fache mathematische  Formel*)  fassen  lasse,  läßt  eine  nachträgliche 
chemische  Bindung  zu.     Von  vornherein  ist   auch  natürlich   keine  Ein- 
wendung dagegen  zu  erheben,  daß  man  die  Erfahrungen  der  , »Kolloid- 
chemie" auf  die  Beziehungen  der  Antigene  zu  den  Immunkörpern,  die 
beide  zu  den   Kolloiden  gehören,   anwendet*)   und   die  Niederschlagsbil- 
dungen der  Kolloide  mit  den  Agglutininen  imd  Präzipitinen  der  Bak- 
terien und  Bakterienstoffe  vergleicht  (s.  u.  §  341).    Aber  gerade  die  B  i  n- 
dung  der  letzteren  an  die  Agglutinine  und  übrigen  Immunkörper  hat  trotz 
einiger    Ähnlichkeiten    in    den    quantitativen    Verhältnissen    etwas    B(^ 
sonderes    an   sich,    nämlich  die  Arteigentümlichkeit,  die  „Spezifizi- 
tät". Wir  erklären  sie  uns  am  einfachsten  mit  bestimmten  chemischen 
Verwandtschaften    oder   wie   Ehrlich    es   macht,    durch   das 
Vorhandensein  von  haptophoren  (bindenden)  Gruppen.    Man  wird  dabei 
nach  den  früheren  Feststellungen  über  die  Trennbeurkeit  der  Agglutinin- 
verbindungen  (S.  1092)  mit  Joes*)  vermuten  dürfen,  daß  die  Verwandt- 
schaft der  zahlreichen  Bindegruppen  der  Bakterien  (S.  1094)  zu  den  Agglu- 
tininen teils  stärker,  teils  schwächer  ist,  gleichgültig  ob  man  sich  den  Be- 
hauptungen dieses  Forschers  über  die  Mitbeteiligung  anderer  Bestandteile 
(Salze)  an  der  Verbindung  anschließt  oder  nicht  (§  340).'  Der  Zukunft 
überlassen  bleiben  muß  es,   ob  es  gelingen  wird,  für  die  Agglutinogene 
ähnliche   „Spektren"   zu   entwerfen,   wie   es   Ehrlich   für   die  giftigen 
Antigene  getan  hat  ( §  264).   Dazu  wäre  vor  allem  ein  genaueres  Stu- 
dium   der    Bindekraft    der    gelösten    Agglutinogene 
(s.  o.  S.  1091 ),  und  iim  sie  studieren  zu  können,  ihre   vollständige 
Gewinnung   aus    den    Bakterienleibern   nötig.    In  den 
Bouillonfiltraten,  selbst  aus  sehr  alten  Kulturen,  ebenso  wie  in  den  Leiber- 
extrakten gewinnt  man  immer  nur  einen  Teil  der  Agglutinogene  in  freiem 
Zustande*).     Die  alleinige  Prüfung  auf  Agglutinierbarkeit  kann  allerdings 
Täuschimgen  verursachen,  weil  diese,  z.  B.  dinrch  Erhitzung,  verloren  gehen, 
die  Bindekraft  erhalten  bleiben  kann  (§  341).     Man  wird  daher,  um  die 


1)  Zeitschr.  physikal.  Cliem.  46,  1904. 

2)  Zentr.  Bakt.   34. 

3)  Einwendungen  gegen  diese  Formel  s.  bei  N  e  i  ß  er  ,  Zentr.  Bakt. 
36,  1904. 

4)  Vgl.   S.  892  imd  die  Lit.  daselbst. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.   36  und  40. 

6)  Vgl.  Eisenberg  imd  Volk  im  Gegensatz  zu  M  a  1  v  o  z  und 
N  i  c  o  1 1  e.     S.  die  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  Angriffsstoffen  S.   1029. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1097 

Agglutinogene  in  Freiheit  zu  setzen,  mv  die  Methoden  anwenden  dürfen, 
bei  denen  die  Bakterienleiber  vollständig  und  ohne  Benutzung  von  Chemi- 
kalien oder  höherer  Temperatur  aufgelöst  werden.  Nebenbei  bemerkt 
x^-ürde  an  derartigen  Lösungen  vielleicht  auch  die  Frage  entschieden  werden 
können,  ob  die  homologen  und  heterologen  Nebenagglutinine  (S.  1090/1) 
Seitenketten  an  demselben  Kern  sind  wie  die  Hauptagglutinine  oder 
besondere  Stoffe. 

§  340.  Veränderungen  des  Bindungsvermögens  der  Agglu- 
tinogene.  Das  Bindungsvermögen  der  Agglutinogene  scheint  im 
allgemeinen  gegen  künstliche  Eingriffe  eher  noch  widerstandsfähiger 
zu  sein  als  das  immunisierende  (vgl.  aber  S.  1058). 

So  gelang  es  Scheller  (S.  1086),  die  nach  Joos  Vorgang  her- 
gestellten a-  und  ^-Agglutinine  sowohl  durch  unerhitzte  als  durch  erhitzte 
Typhusbazillen  zu  absorbieren.  Gekochte  BaziUen  erwiesen  sich  sogar  mit 
stärkerem  Bindungsvermögen  begabt  als  die  anderen.  Letzteres  kann 
freilich  nicht  regelmäßig  sein,  denn  nach  Eisenberg  und  Volk 
schädigt  die  Erhitzung,  wenn  sie  über  58®  hinausgeht,  das  Bindungs ver- 
mögen der  Typhusbazillen  (im  feuchten  Zustand)  in  ziemlich  gleicher  Weise, 
ob  sie  nun  65,100  oder  144®  erreicht*).  Aus  konzentriertem  Serum  wird  dann 
von  ihnen  kaum  die  Hälfte  der  Agglutininmenge  entzogen,  als  wenn  sie 
unerhitzt  sind.  Bei  hohen  Serumverdünnungen  treten  die  Unterschiede 
zurück.  Behandlung  mit  verdünnter  Salzsäure  vernichtet  ebensowenig 
das  Agglutininbildungs-  wie  das  Bindungsvermögen.  Ähnliche  Versuche 
mit  gelösten  Agglutinogenen  fehlen,  abgesehen  von  den  schon  früher  er- 
wähnten de  R  o  s  s  i  s  '),  als  Ersatz  können  auch  nicht  die  mit  Fräzipi- 
tinogenen  gemachten  Erfahrungen  dienen,  da  sie  im  wesentlichen  nur  die 
Fällbarkeit  oder  Löslichkeit  in  Alkohol  u.  dgl.  betreffen. 

Weit  größere  Unterschiede  im  Bindungsvermögen  ergeben  sich 
beim  Vergleich  verschiedener  Stämme  einer  und  deselben  Bakterien- 
art, mögen  sie  natürliche  oder  künstliche  Abarten  sein.  Das  hat  sich 
z.  B.  bei  Typhus-,  Paratyphus-,  Cholera-,  Dysenterie-  und  Pseudo- 
dysenteriebazillen  gezeigt.  Die  Versuche,  feste  Beziehungen  zwischen 
der  immunisierenden  und  bindenden  Fähigkeit  oder  auch  der  Virulenz 
der  einzelnen  Stämme  aufzustellen,  sind,  wie  wir  schon  früher  sahen 
(S.  1058, 1090),  zum  großen  Teil  gescheitert.  Wenn  man  überhaupt  von 
einer  Regel  sprechen  darf,   so  hat  sie  jedenfalls  viele   Ausnahmen. 

So  wird  man  sich  auch  nicht  wundem  können,  wenn  gelegentlich') 
das  früher  von  uns  aufgestellte  Gesetz  (S.  1091),  nach  dem  im  Castel- 


1)  Bei  den  von  de  Rossi  (s.  o.  S.  1089)  studierten  Heubazillen 
wird  das  Agglutininbindungs-  und  Bildungsvermögen  schon  bei  62°  zrun 
größten  Teil  zerstört  (Zentr.  Bakt.  40.  702,   1906). 

2)  Vgl.  Anm.   1. 

3)  P  o  s  8  e  1 1  imd  Sagasser,  Wien.  klin.  Woch.  1903 ;  Z  u  p  - 
n  i  k  und  P  o  s  n  e  r  ,  Prag.  med.  Woch.  1903 ;  Ketsch  und  L  e  n  t  z  , 
Festschrift  für  Koch,  1904. 


1098  Kap.  X\^I,  §  340  u.  341. 

1  a  n  i  schon  Versuch  die  sämtlichen  Agglutinine  durch  den  Stamm,  der 
sie  erzeugt  hat,  abgesättigt  werden,  durchbrochen  wird  und  z.  B.  die 
(heterologen)  Nebenagglutinine  dabei  nicht  verschwinden.  Man  winl 
unter  diesen  Umständen  hier  wie  im  Falle  der  Toxine  (§  279)  und 
Aggressine  (§  327)  den  immunkörperbindenden  und  immunisierenden 
Bestandteil  des  Agglutinogens  nicht  einfach  identifizieren  dürfen, 
sondern  in  der  früher  angegebenen  Weise  zu  Hilfsvorstellungen  greifen 
müssen. 

§  341.  Agglutinierbarkeit.  Mit  dem  Agglutminbildungs-  und 
-bindungsvermögen  sind  aber  noch  nicht  alle  Eigenschaften  der  Agglu- 
tinogene  erschöpft,  denn  aus  ihnen  folgt  noch  nicht  ohne  weiteres  die 
Fähigkeit  der  Bakterien,  durch  die  Agglutinine  zu  „verkleben",  zu 
„verklumpen",  „auszuf locken",  ihre  Agglutinierbarkeit.  Die 
letztere  Eigenschaft  ist  vielmehr  in  weitem  Maße  unabhängig  von  den 
ersteren. 

Nachgewiesen  wurde  das  zuerst  durch  Eisenberg  imd  Volk, 
die  beobachteten,  daß  (feuchte)  Typhusbazillen  nach  halbstündigem  Er- 
hitzen auf  58°  normale  Bindungs-  und  Agglutinationsverhältni&4e,  aber  nach 
Anwendung  höherer  Temperaturen,  insbesondere  von  100^  nur  noch  Spuren, 
nach  solchen  von  144°  überhaupt  keine  Agglutinierbarkeit  mehr  zeigen, 
während  ihr  Bindungsvermögen  durch  Temperaturen  über  58°  gleichmäßig! 
und  lange  nicht  in  demselben  Grade  geschädigt  wird.  Bei  Cholera- 
bazillen wurde  freilich  selbst  durch  Erhitzung  auf  170°  weder  Bindungowert 
noch  Agglutinierbarkeit  erheblich  herabgesetzt^),  dagegen  büßten  sie  die 
letztere  zum  größten  Teil  —  die  Typhusbazillon  vollständig  —  ein,  wenn 
sie  in  0,4 — 10  prozentiger  Salzsäure  eine  Stunde  bei  37°  gehalten  und 
durch  nachlier  vorgenommene  Neutralisierung  von  einer  weit-ergehenden 
Säure  Wirkung  geschützt  wurden'^). 

Eisenberg  und  Friedberger  unterscheiden  daher  am 
Agglutinogen  eine  „bindende"  und  „fällbare"  Gruppe  („agglutinier- 
bare  vSubstanz"),  und  schreiben  der  letzteren  eine  geringere,  aber  je 


1)  Porges  (Zeitsclir.  f.  exper.  Path.  1,  1905)  fand  dagegen,  dafl 
Typhus-  imd  Cholerabazillen  zwischen  65°  und  90°  ihre  Agglutinierbarkeit 
verlieren,  sie  aber  bei  100 — 144°  wiedergewinnen.  Ein  hemmender  Stoff 
(Nuklein?),  dessen  Einwirkung  diu'ch  konzentrierte  Kochsalzlösung  be- 
hoben werden  kann,  soll  daran  schuld  sein;  vgl.  übrigens  die  ähnlichen 
Verhältnisse  bei  der  Verdaulichkeit   §   10. 

2)  Wassermann  (Zeitschr.  f.  Hyg.  42)  bestätigt  diesen  Befund. 
Nach  Weil  liegt  das  Optimum  der  Agglutinierbarkeit  für  Typhusbazillen 
bei  52 — 55°,  bei  65°  wird  sie  aufgehoben.  Außer  Cholerabazillen  vertragen 
auch  Staphylokokken  selbst  das  Erhitzen  auf  100°  (Zentr.  Bakt.  36  u. 
37).  Vgl.  auch  de  R  o  s  s  i  s  Heubazillen  S.  1089.  Bei  diesen  besteht  ein 
gewisser  Zusammenhang  zwischen  Agglutinierbarkeit  und  dem  Zustand 
der  Geißeln.  Daß  die  Geißeln  selbst  bei  der  Agglutination  unverändert 
bleiben,  zeigten  d  e  R  o  s  s  i  (Zentr.  Bakt.  36.  689)  und  Hinterberger 
(ebenda  45). 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1099 

nach  der  Bakterienart  wechselnde  Widerstandsfähigkeit  gegen  schäd- 
liche Einflüsse  zu^). 

Angeregt  wurden  die  beiden  Forscher  zu  diesen  Untersuchungen  diu*ch 
Angaben  von  W  i  d  a  1  und  Sicard,  van  de  Velde,  Malvoz 
und  N  i  c  o  1 1  e  über  das  Ausbleiben  der  Agglutination  bei  Bakterien,  die 
durch  Hitze  oder  Aufenthalt  in  älteren  Kulturen  verändert  waren.  Letzteres 
konnten  Eisenberg  und  Volk  zwar  nicht  bestätigen,  es  kann  aber 
doch  wohl  in  anderen  Fällen  zu  recht  bestehen. 

Kälte,  Formalin,  Sublimat,  Chloroform,  Thymol  u.  a.  m.  sind  nach 
den  oben  genannten  Forschem  ohne  Einfluß  auf  die  agglutinierbare  Sub- 
stanz. Jedoch  hat  S  e  1 1  e  r  in  meinem  Laboratorium  gefunden,  daß 
Formalinzusatz  zu  Typhusbazillenkulturen  —  in  Form  des  F  i  c  k  e  r  sehen 
„Typhusdiagnostikums"  —  doch  deren  Agglutinierbarkeit  in  gewissem 
Grade  beeinträchtigt.  In  konzentrierton  Gaben  und  bei  längerer  Ein- 
wirkung werden  wohl  alle  Antiseptika  die  agglutinierbare  Substanz  nicht 
unberührt  lassen.  Daß  der  Alkohol  sogar  die  immunisierende  Fähigkeit  der 
Apghitinogene  unter  diesen  Umständen  zerstört,  haben  wir  schon  früher 
mitgeteilt  (S.  1088).  Nach  Nie  olle  soll  allerdings  Alkohol  und  Äther 
die  „substance  agglutin6e"  nicht  schädigen,  aber  er  arbeitete  in  der  Weise, 
daß  er  trockene  Bakterien  mit  diesem  Stoffe  2  Tage  lang  auszog  imd 
den  eingedunsteten  Extrakt  in  Bouillon  aufgelöst  mit  agglutinierendem 
Serum  versetzte  imd  auf  Niederschlagsbildung  prüfte.  Die  letztere  kann 
übrigens  nur  dann  auf  das  Vorhandensein  agglutinierbarer  Substanz  bezogen 
werden,  wenn  man  diese  der  ,,präzitierbaren"  Substanz  gleichsetzt.  Vieles 
spricht  allerdings  dafür  (s.  u.  §.  342).  Auch  nach  Pick,  Kraus  und 
V.  Pirquet  enthält  die  präzipitierbare  Substanz  alkohollösliche  Be- 
standteile. 

Vieldeutig  erscheint  zunächst  die  von  B  o  r  d  e  t  ^)  zuerst  fest- 
gestellte und  dann  von  Nolf,  Joes,  Friedberger^),  Eisen- 
berg und  Volk,  Porges*)  studierte  Einwirkung  der  Salze  und 
anderer  kristallisierbarer  Körper  (wie  Zucker,  Leuzin) 
auf  die  Agglutination.  Völliger  Mangel  derartiger  Stoffe  in  der 
Aufschwemmung  verhindert  sie,  Zusatz  selbst  kleiner  Mengen  ruft  sie 
wieder  hervor,  höhere  Konzentrationen  hemmen  oder  verhindern  sie  eben- 
falls, ohne  daß  aber  eine  nachträgliche  Verdünnung  die  Hemmung  be- 
seitigte. Man  hat  sich  diese  Wirkungen  verschieden  erklärt.  Nach  Joes 
und  Po  r  g  e  s  ist  eine  gewisse  Menge  Salz  insofern  nötig  zur  Agglutination, 


1)  Agglutinogene  ohne  agglutinierbare  Gruppe  würde  man  am  besten 
Agglutinogenoid  nennen,  wenn  das  Wort  nicht  zu  fürchterlich  klänge. 
Agghitinoid,  das  Kraus  vorschlägt,  ist  schon  vergeben  an  die  Abart 
des  Agglutinins,  die  eine  bindende,  aber  keine  agglutinierende  Gruppe 
besitzt.  Inline  weitere  Verwicklung  besteht  darin,  daß  die  bindenden  Be- 
standteile der  Agglutinogene,  wie  wir  oben  gesehen,  nicht  völlig  zusammen- 
fallen mit  den  agglutinininerzeugenden.  Wir  haben  hier  wieder  in  ge- 
wissem Sinne  ähnliche  Verhältnisse  wie  bei  den  Agressinen  bzw.  Lysino- 
genen  (§  327). 

2)  Annal.  Pasteur  1899. 

3)  Zentr.  Bakt.  30,   1901. 

4)  Ebenda  40,   1903. 


11 00  Kap.  XVII,   §  341. 

als  es  in  die  Verbindung  des  Agglutinogens  mit  dem  Agglutinin,  die  an  sich 
löslich  ist,  eintritt.  Friedberger  bestreitet  das.  Jedenfalls  ist  nach 
J  o  o  8  und  P  o  r  g  e  s  um  so  mehr  Salz  zum  Eintritt  der  Agglutination 
nötig,  je  mehr  agglutinierbare  Substanz  und  je  weniger  Agglutinin  zur  Ver- 
fügung steht.  Nach  A  s  a  k  a  w  a  soll  die  Unlöslichkeit  des  an  Globulin 
gebundenen  Agglutinins  in  salzfreiem  Wcbsser  dessen  Wirksamkeit  bedingen. 
Das  stimmt  aber  schon  nicht  mit  den  sonst  gemacht-en  Erfahrungen  über 
die  Fällbarkeit  von  Agglutininen. 

Die  Wirkungen  der  hohen  Salzkonzentration  sind  auch  deshalb  schwer 
zu  erklären,  weil  sie  je  nach  Art  der  Salze  ungleich  sind. 
Zum  Teil  wird  man  nach  Eisenberg  und  Volk  eine  Beeinflussung 
der  fällenden  Gruppe  des  Agglutinins  (Agglutinoidbildung),  zimfi  Teil  eine 
solche  des  Agglutinogens  (Agglutinogenoidbildung)  annehmen  müssen. 

Die  Verhältnisse  werden  dadurch  noch  verwickelter,  daß  auch  die 
fertig  agglutinierten  Bakterien  (am  besten  Agglutinate. 
nicht  Fräzipitate  zu  nennen)  nachträglich  nicht  nur  durch  Erhitzen  auf 
70 — 100^,  verdünnte  Säuren,  Alkalien,  Formalin,  sondern  auch  durch 
konzentrierte  Salze  voneinander  gelöst,  „desagglutiniert"  werden  können. 

Die  Ähnlichkeit  des  Verhaltens  des  Agglutinats  mit  anderen  kolloidalen 
Niederschlägen  liegt  auf  der  Hand  und  ist  eine  wichtige  Stütze  für  die 
Identität  der  Agglutination  mit  der  Präzipitation 
(§  342).  Die  Spezifizität  der  miteinander  reagierenden  Stoffe  unterscheidet 
aber  die  Agglutination  und  Präzipitation  von  den  gewöhnlichen  kolloidalen 
Niederschlagsbildungen.  Daß  auch  Bakterien  durch    nichtspe- 
zifische  Mittel   agglutiniert   werden   können,    ändert 
daran  natürlich  nichts.     Genannt  werden  als  solche  Chrysoidin  (B  1  a  c  h  - 
stein,    Engels^)),  Saffranin  und  Vesuvin,  Formalin  (50%),  Alkohol 
(50%),    Sublimat    ( 1  %o )»     Salizylsäure     (M  a  1  v  o  z  »),      B  o  s  s  a  e  r  t  »), 
Kraus      und      Seng*),      Hinterbergeir  •)),     Chinin,     Antipyrin. 
Atropin,   Morphin,   Chloralhydrat,    Borsäure,   Phenol,    Gelatine,    Glyzerin, 
Organsäfte    (Sabrazes    \md   Brengnes  •)),     Gununilösung     (10%), 
Stärkekleister  (2%),  (Trump  p ')),  GaUeund  Taurocholsäure  (Köhler  •)), 
verdünnte  Säuren,  Salze  von  Schwermetallen  (M.  N  e  i  ß  e  r  und  Friede- 
m  a  n  n  •)).     Diese    Agglutination    wurde    melu^ach,    weil    sie  nicht   alle 
Bakterienarten  gleichmäßig  betraf,   für  spezifisch  gehalten,  die  genauere 
Nachprüfung  zeigte  aber  in  allen  Fällen,  daß  davon  nicht  die  Rede  sein 
kann.    Wahrscheinlich  ist  oft  an  der  Ausflockung  der  Bakterien  nur  der  in 
der   Lösung  durch   die  Chemikalien   erzeugte   Niederschlag  schuld 
(Kraus   und    Seng),  wie  ja  schon    Nicolle   in  Lösungen,  die  präzi- 
pitable    Bakteriensubstanz    enthielten,    durch    präzipitierende    Immunsera 
nicht  nur  die  zugehörigen  Bakterien,  sondern  auch  beliebige  andere  und 


1)  Zentr.  Bakt.  21,   1897. 

2)  Annal.  Pasteur  1897. 

3)  Ebenda  1898. 

4)  Wien.  klin.  Woch.   1899,   1. 

5)  Zentr.  Bakt.  35,   1901. 

6)  Sog.  biol.  25.  XI.   1899. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  33,   1898. 

8)  Münch.  med.  Woch.   1903.   32. 

9)  Ebenda  1904.   19. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1101 

nicht  belebte  feinste  Körperchen  (Tusche)  zur  Agglutination  brachte.  Die 
agglutinierende  Wirk\ing  der  Gelatine  soll  nach  Weil^)  allerdings  nach 
einem  ähnlichen  Mechanismus  (unter  Bindung  usw.)  erfolgen  wie  die  eigent- 
liche Agglutination. 

Interessant  ist  die  von  N  e  i  ß  e  r  und  Friedemann  festgestellte 
Tatsache,  daß  mit  Agglutinin  beladene,  gut  ausgewaschene  und  daher  in 
destilliertem  Wasser  gleichmäßig  aufschwemmbare  Bakterien 
durch  den  Zusatz  von  Schwermetallsalzen  viel  leichter  agglutiniert  werden 
als  normale  Bakterien.  Da  die  Agglutininbakterien  auch  durch  geringe 
Mengen  von  Salzen  der  Leichtmetalle  ausgeflockt  werden  (s.  o.  S.  1099), 
während  das  bei  normalen  Bakterien  höchstens  in  starker  Konzentration 
der  Fall  ist,  scheint  es  sich  \un  ein  allgemeines  Gesetz  zu  handeln:  die 
Agglutinine  erhöhen  die  normale  Ausflockungs- 
fähigkeit durch  Salze.  Der  Vergleich  mit  anderen  durch  Salze 
agglutinierb€uren  Suspensionen  zeigt  weiter,  daß  die  normalen  Bakterien 
sich  im  großen  und  ganzen  wie  Eiweiß-,  die  Agglutininbakterien  wie  Mastix- 
Arsentrisulfid  und  andere  hjunnlose  „inerte"  Körper chen  verhalten  luid  daß 
die  letzteren  diirch  Mischung  mit  eiweißartigen  Stoffen  (Gelatine,  Blutegel- 
extrakt, Senun,  Bakterienextrakt)  die  Eigenschaften  der  ersteren  an- 
nehmen. Es  macht  also  den  Eindruck,  als  ob  bei  den 
-'^ggl^tiiiiiit>akterien  derartige  „H  emmungskörper' 
die  in  den  normalen  Bakterien  wirken,  ausge- 
schaltet seien.  Auch  durch  Säuren  und  Alkohol  sollen  normale 
Bakterien  so  verändert  werden,  daß  sie  durch  die  Salze  der  Leichtmetalle 
ausgeflockt  werden.  Doch  ist  diese  Eigenschaft  nicht  beständig.  P  o  r  g  e  s*) 
bestätigte  diese  Befunde  im  wesentlichen*)  und  erhielt  solche  „spontan" 
agglutinierenden  Bakterien  z.  B.  beim  Bac.  pneumoniae  durch  Auskochen 
in  saurer  Lösung,  beim  Cholerabazillus  oft  schon  dvwch  längeres  Kochen 
in  neutraler  Lösung.  Er  glaubt  geradezu,  daß  die  Agglutinier- 
barkeitder  Bakterien  von  der  Menge  der  in  ihnen 
erzeugtenProteine    abhängig    sei. 

Man  findet  sogenannte  freiwillige  Agglutination 
(Pseudoagglutination)  von  Bakterien,  d.  h.  eine  solche, 
die  in  Kochsalzlösungen  oder  normalen  Serumverdünnimgen,  also  bei 
Gegenwart  von  Salz,  nicht  aber  in  destilliertem  Wasser  beobachtet  wird, 
nicht  selten  als  zufälligen  Befund  bei  einzelnen  Stämmen  aller 
möglichen  Bakterien,  kann  sie  aber  auch  manchmal  auf  weniger  eingreifende 
Weise  künstlich  hervorrufen,  z.  B.  durch  Züchtung  auf  eiweißfreien  Näh- 
böden (K  i  r  8  t  e  i  n  *))  oder  in  Immunserum  (Hamburger,  Lauben- 
heimer,  Porges*)).  Die  freiwillig  agglutinierenden  Bakterien  können 
—  aber  brauchen  es  nicht  zu  tun  —  dem  Einfluß  des  Agglutinins  nebenbei 
unterliegen,  wie  Bindungsversuche  von  P  o  r  g  e  s  und  Prantschoff*) 


1)  Zentr.  Bakt.  36  und  37. 

2)  Zentr.  Bakt.  40.   134. 

3)  Ein  näheres  Eingehen  auf  die  Beziehungen  der  Agglutination 
zu  kolloidalen  Reaktionen  liegt  nicht  in  unserer  Absicht.  Man  vgl.  dazu 
Porges  a.  a.  O.  und  die  S.  892  angegebene  Literatur. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  46,  1904. 
6)  a.  a.  O. 

6)  Zentr.  Bakt.  41. 


1102  Kap.  XVII,  §  341  u.  342. 

und  eigene  Erfahrungen  beweisen.  Die  Agglutinationsprüfung  ist  natürlich 
bei  ihnen  erheblich  erschwert.  Nach  Porges  und  Prantschoff 
gelingt  es,  die  Pseudoagglutinierbarkeit  solcher  Kulturen  dadurch  vorüber- 
gehend auszuschalten,  daß  man  sie  kurze  Zeit  auf  80°  erhitzt.  Uns  selbst 
ist  das  leider  nicht  geglückt.  Einen  anderen  Nachteil  hat  die  Methode  auch 
deshalb,  weil  sie  in  manchen  Fällen  die  Agglutinierbarkeit  durch  Agglutinint* 
gleichzeitig  aufhebt.  Die  großen  Schwankiuigen,  die  bezüglich  des  Vor- 
kommens der  freiwilligen  Agglutinierbarkeit  beobachtet  werden,  machen 
es  übrigens  vm wahrscheinlich,  daß  es  sich  hier  um  eine  Verarmxuig  an  Eiweiß 
handelt.  Wir  selbst  haben  sie  in  einer  Analyse  an  Ruhrbazillen  nicht  ge- 
funden. Eher  mag  ein  unbekannter  in  geringer  Menge  gebildeter  Stoff  an 
dieser  Erscheinung  beteiligt  sein. 

Die  Agglutinierbarkeit  durch  Immunserum  wird,  wie  man  sieht, 
nicht  bloß  durch  äußere  Eingriffe  beeinflußt,  sondern  ist  auch  eine 
Eigenschaft,  die  je  nach  der  Herkunft  der  Bakterien  und  ihrer 
Stammes-  bzw.  Arteigentümlichkeit  wechselt.  Neben  dem  eben  be- 
sprochenen freiwillig agglutinierbaren kommen  nicht  oder  schwer 
agglutinierbare  Stämme,  z.  B.  bei  Typhusbazillen 
vor.  Manche  frisch  von  Typhusfällen  oder  aus  Wasser  gezüchtete 
Kulturen  zeigen  diese  Eigenschaft  (Widal  und  Sicard,  Sac- 
quepeei),  Remy^),  Nicolle  und  Trenel»),  P.  Th.  Müller*)) 
Häufig  gewinnen  die  Bazillen  ihre  normale  Agglutinierbarkeit  früher 
oder  später  wieder. 

Nach  B  a  i  1  *)  sind  z.  B.  xmmittelbar  aus  der  Bauchhöhle  von  Meer- 
schweinchen entnommene  „Exsudatbakterien"  kaum  agglutinierbar,  die 
erste  Kulturgeneration  aber  schon  wieder  in  gewöhnlicher  Weise.  Züchtung 
bei  42^  vermindert  nach  Ni  c  o  1 1  e  imd  Tr6nel')  u.  a.  gleichzeitig  die 
Beweglichkeit  und  die  Agglutinierbarkeit  der  Typhusbazillen,  ebenso 
Züchtung  des  Prodigiosus  bei  37°  nach  Kirstein  gleichzeitig  Farb- 
bildungsvermögen und  Agglutinierbarkeit.  Nach  Streit')  sind  die  üp- 
pigen schleimbildenden  Kulturen  der  Aerogenesgruppe  durclischnittlich 
weniger  agglutinabel  als  die  dünner  wachsenden.  Allerdings  zeigen  aucli 
die  letzteren  immer  noch  einen  gewissen  Widerstand  gegen  die  Agglutination 
(8.  1088). 

Als  eine  Angewöhnung  der  Bakterien  an  Agglu- 
tinine    oder    vielleicht    besser    als    Immunisierung 


1)  Annal.  Pasteur  1901. 

2)  Ebenda  1901. 

3)  Ebenda  1902. 

4)  Münch.  med.  Woch.   1903.  2. 

5)  Prag.  med.  Wocli.   1901.  7  und  12. 

6)  a.  a.  O.  bestätigt  von  Eisenberg  und  für  Colibazillen  von 
du  K  o  s  8  i ,  Zentr.  Bakt.  37.  113;  vgl.  auch  D  e  f  a  1 1  e  (bewegliche  und 
woniger  bewegliche  Abart  des  Bac.  mycoides  S.  1089).  Erfolglose  Versuche 
in  derselben  Richtung  machte  Kirstein. 

7)  Zentr.  Bakt.  40. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1103 

{ §  330)  gegen  dieselben  ist  die  Verringerung  der  Agglutinier  barkeit 
zu  betrachten,  die  R  a  n  s  o  m  und  Katashima^),  Bail'), 
Walker*),  P.  Th.  Müller,  Laubenheimer*),  Kirstein, 
Morello*),  Marshall  und  K  n  o  x  •)  bei  Züchtung  von  Cholera- 
und  Typhus-,  Pyocyaneus-,  Pseudodysenteriebazillen  in  mit  Zusatz  von 
agglutinierendem  Serum  versehenen  Nährböden  beobachteten.  Daß  dieser 
Erfolg  dabei  nicht  immer,  sondern  ausnahmsweise  selbst  Steigerung  der 
Agglutinierbarkeit  (Tarchetti'),  gelegentlich  auch  freiwillige  Agglu- 
tinierbarkeit  auftrat,  sei  nebenbei  bemerkt. 

Nicht  immer  sind  leider  die  übrigen  Eigenschaften  der  Bakterien, 
das  Immunisierungs-  und  Bindimgsvermögen  bei  diesen  bezüglich  der 
Agglutinierbarkeit  in  der  einen  oder  anderen  Richtung  von  der  Norm 
abweichenden  Bakterien  geprüft  worden.  Schon  die  vorliegenden 
—  meist  früher  erwähnten  — .  Angaben  zeigen  aber,  daß  feste  Be- 
ziehungen zwischen  den  drei  Eigenschaften  nicht 
vorhanden  sind. 

So  fanden  z.  B.  Pfeiffer  und  Friedberger  (S.  1047)  bei 
virulenten  Cliolerabazillen  geringere  Agglutinierbarkeit,  stärkeres  Agglu- 
tininbindungs-  und  Bildungsvermögen  als  bei  abgeschwächten,  Händel 
(S.  1048)  bei  stark  abgeschwächten  Cholerakuren  Erhaltiuig  der  Agglu- 
tinierbarkeit und  der  Bindekraft,  aber  Verlust  der  Immunisierungsfähigkeit, 
Eisenberg  und  Volk  bzw.  Wassermann  bei  manchen  Typhus- 
bazillen völligen  Verlust  der  Agglutinierbarkeit  und  Erhaltung  des  Binde- 
bzw. Bildungsvermögens,  C  o  1  e  *)  umgekehrt  bei  Typhusbazillen  gleich- 
zeitig Steigerung  der  Agglutinierbarkeit  und  des  Bindungsvermögens. 
Letzteres  scheint  häufiger  vorzukommen  als  erst  eres  (vgl.  B  a  i  1 , 
Müller). 

§  342.  Präzipitogene.  Bald  nach  der  Entdeckung  der  Agglu- 
tination oder  Ausflockung  der  Bakterien  erfolgte  die  der  Präzipitation 
oder  Fällung  ihrer  gelösten  Produkte  durch  ß.  Kraus®). 

Zunächst  zeigte  sich,  daß  ältere  Bouillonfiltrate  von 
Typhus-,  Cholera-,  Pestbazillen  diu'ch  Zusatz  der  zugehörigen  s])ezifischen 
Immunseren,  und  zwar  nur  durch  solchen  etwa  im  Verhältnis  von  5 : 1  — 0, 1  cm, 
nach  kürzerer  oder  längerer  Zeit,  manchmal  erst  in  24 — 48  Stunden  getrübt 
^^'^l^den  und  Niederschläge  absetzten.    Nicht  alle  Bakterien  und  Immunseren 


1)  Deutsch,  med.  Woch.   1898.  293. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  42,   1902. 

3)  Ref.  Zentr.  Bakt.  32. 

4)  Dissert.  Gießen  1903. 

5)  Annali  d'igiene  1904. 

6)  Joum.  of  medic.  research.   15,   1906. 

7)  Bei  Pal  tauf  a.  a.  O.   S.  756. 

8)  Zeitschr.  f.  Hyg.  46. 

9)  Wien.  klin.  Woch.  1897.  32;  ebenda  1901,  29;  Zeitschr.  f.  Heilk. 
23,  1902;  „Über  spezifische  Niederschläge"  in  K  o  1 1  e  -  W  a  s  s  e  r  - 
mann  8  Handb.  4.  592—644, 


1096  Kap.  XVII,  §  339  u.  340. 

chemischer  oder  physikaUscher  Natur  sei.   Wir  entscheiden  uns  wegen 
der  Spezifizität  der  Bindung  für  die  erstere. 

Wie  Bordet  selbst  hervorhebt,  ist  der  Streit  insofern  müßig,  als  wir 
über  das  Zustandekommen  der  sogenannten  physikalischen  Absorption  nichts 
Sicheres  wissen.  Allgemeines  Einverständnis  herrscht  auch  darüber,  daß 
sich  die  Antikörper  bzw.  Agglutinine  anim  großen  Teil  so  fest  an  die  Bak- 
terien binden,  daß  man  cui  eine  chemische  Bindung  denken  muß.  Selbst 
Arrhenius^),  der  wie  Eisenberg')  die  Aufnahme  der  Agglu- 
tinine in  die  Bakterien  als  einen  „Verteilungsvorgang"  zwischen  zwei 
Löbungsmitteln  auffaßt,  welcher  vom  Guldberg-Waage  sehen 
Gesetz  des  chenüschen  Gleichgewichts  beherrscht  sei  und  sich  in  eine  ein- 
fache mathematische  Formel*)  fassen  lasse,  läßt  eine  nachträgliche 
chemische  Bindung  zu.  Von  vornherein  ist  auch  natürlich  keine  Ein- 
wendung dagegen  zu  erheben,  daß  man  die  Erfahrungen  der  „Kolloid- 
chemie ^*  auf  die  Beziehungen  der  Antigene  zu  den  Immunkörpern«  die 
beide  zu  den  Kolloiden  gehören,  anwendet^)  und  die  Niederschlagsbil- 
dungen der  Kolloide  mit  den  Agglutininen  imd  Präzipitinen  der  Bak- 
terien und  Bakterienstoffe  vergleicht  (s.  u.  §  341).  Aber  gerade  die  Bin- 
dung der  letzteren  an  die  Agglutinine  und  übrigen  Immunkörper  hat  trotz 
einiger  Ähnlichkeiten  in  den  quantitativen  Verhältnissen  etwas  Be- 
sonderes an  sich,  nämlich  die  Arteigentümlichkeit,  die  „Spezifizi- 
tät**. Wir  erklären  sie  uns  am  einfachsten  mit  bestimmten  chemischen 
Verwandtschaften  oder  wie  Ehrlich  es  macht,  durch  das 
Vorhandensein  von  haptophoren  (bindenden)  Gruppen.  Man  wird  dabei 
nach  den  früheren  Feststellungen  über  die  Trennbarkeit  der  Agghitinin- 
verbindungen  (S.  1092)  mit  Joos*)  vermuten  dürfen,  daß  die  Verwandt- 
schaft der  zahlreichen  Bindegruppen  der  Bakterien  (S.  1094)  zu  den  Agglu- 
tininen teils  stärker,  teils  schwächer  ist,  gleichgültig  ob  man  sich  den  B^ 
hauptungen  dieses  Forschers  über  die  Mitbeteiligung  anderer  Bestandteile 
(Salze)  an  der  Verbindung  anschließt  oder  nicht  (§  340).'  Der  Zukunft 
überlassen  bleiben  muß  es,  ob  es  gelingen  wird,  für  die  Agglutinogene 
ähnliche  ,, Spektren"  zu  entwerfen,  wie  es  Ehrlich  für  die  giftigen 
Antigene  getan  hat  ( §  264).  Dazu  wäre  vor  allem  ein  genaueres  Stu- 
dium der  Bindekraft  der  gelösten  Agglutinogene 
(s.  o.  S.  1091),  und  um  sie  studieren  zu  können,  ihre  vollständige 
Gewinnung  aus  den  Bakterienleibern  nötig.  In  den 
Bouillonfiltraten,  selbst  aus  sehr  alten  Kulturen,  ebenso  wie  in  den  Leiber- 
extrakten gewinnt  man  immer  nur  einen  Teil  der  Agglutinogene  in  freiem 
Zustande*).  Die  alleinige  Prüfung  auf  Agglutinierbarkeit  kann  allerdings 
Täuschungen  verursachen,  weil  diese,  z.  B.  durch  Erhitzung,  verloren  gehen, 
die  Bindekraft  erhalten  bleiben  kann  (§  341).     Man  wird  daher,  um  die 


1)  Zeitschr.  physikal.  Chem.  46,   1904. 

2)  Zentr.  Bakt.  34. 

3)  Einwendungen  gegen  diese  Formel  s.  bei  N  e  i  ß  e  r  ,  Zentr.  Bakt. 
36,   1904. 

4)  Vgl.   S.  892  und  die  Lit.  daselbst. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.   36  und  40. 

6)  Vgl.  Eisenberg  und  Volk  im  Gegensatz  zu  M  a  1  v  o  z  und 
N  i  c  o  1 1  e.     S.  die  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  Angriffsstoffen  S.  1029. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1097 

Agglutinogene  in  Freiheit  zu  setzen,  mir  die  Methoden  anwenden  dürfen, 
bei  denen  die  Bakterienleiber  vollständig  und  ohne  Benutzung  von  Chemi- 
kalien oder  höherer  Temperatur  aufgelöst  werden.  Nebenbei  bemerkt 
\«ürde  an  derartigen  Lösungen  vielleicht  auch  die  Frage  entschieden  werden 
können,  ob  die  homologen  und  heterologen  Nebenagglutinine  (S.  1090/1) 
Seitenketten  an  demselben  Kern  sind  wie  die  Hauptagglutinine  oder 
besondere  Stoffe. 

§  340.  Veränderungen  des  Bindungsvermögens  der  Agglu- 
tinogene. Das  Bindungsvermögen  der  Agglutinogene  scheint  im 
allgemeinen  gegen  künstliclie  Eingriffe  eher  noch  widerstandsfähiger 
zu  sein  als  das  immunisierende  (vgl.  aber  S.  1058). 

So  gelang  es  Scheller  (S.  1086),  die  nach  Joos  Vorgang  her- 
gestellten a-  und  J5-Agglutinine  sowohl  durch  unerhitzte  als  durch  erhitzte 
Ty-phusbazillen  zu  absorbieren.  Gekochte  Bazillen  erwiesen  sich  sogar  mit 
stärkerem  Bindungsvermögen  begabt  als  die  anderen.  Letzteres  kann 
freilich  nicht  regelmäßig  sein,  denn  nach  Eisenberg  und  Volk 
schädigt  die  Erhitzung,  wenn  sie  über  58®  hinausgeht,  das  Bindungs ver- 
mögen der  Typhusbazillen  (im  feuchten  Zustand)  in  ziemlich  gleicher  Weise, 
ob  sie  nun  65,100  oder  144®  erreicht^).  Aus  konzentriertem  Serum  wird  dann 
von  ihnen  kaum  die  Hälfte  der  Agglutininmenge  entzogen,  als  wenn  sie 
anerhitzt  sind.  Bei  hohen  Serumverdünnungen  treten  die  Unterschiede 
zurück.  Behandlung  mit  verdünnter  Salzsäure  vernichtet  ebensowenig 
das  Agglutininbildungs-  wie  das  Bindungsvermögen.  Ähnliche  Versuche 
mit  gelösten  Agglutinogenen  fehlen,  abgesehen  von  den  schon  früher  er- 
wähnten de  R  o  s  8  i  s  *),  als  Ersatz  können  auch  nicht  die  mit  Präzipi- 
tinogenen  gemachten  Erfahrungen  dienen,  da  sie  im  wesentlichen  nur  die 
Fällbarkeit  oder  Löslichkeit  in  Alkohol  u.  dgl.  betreffen. 

Weit  größere  Unterschiede  im  Bindimgsvermögen  ergeben  sich 
beim  Vergleich  verschiedener  Stämme  einer  imd  deselben  Bakterien- 
art, mögen  sie  natürliche  oder  künstliche  Abarten  sein.  Das  hat  sich 
z.  B.  bei  Typhus-,  Paratyphus-,  Cholera-,  Dysenterie-  und  Pseudo- 
dysenteriebazillen  gezeigt.  Die  Versuche,  feste  Beziehungen  zwischen 
der  inmnmisierenden  und  bindenden  Fähigkeit  oder  auch  der  Virulenz 
der  einzelnen  Stämme  aufzustellen,  sind,  wie  wir  schon  früher  sahen 
(S.  1058, 1090),  zum  großen  Teil  gescheitert.  Wenn  man  überhaupt  von 
einer  Regel  sprechen  darf,   so  hat  sie  jedenfalls  viele   Ausnahmen. 

So  wird  man  sich  auch  nicht  wundem  können,  wenn  gelegentlich') 
das  früher  von  uns  aufgestellte  Gesetz  (S.  1091),  nach  dem  im  Castel- 


1)  Bei  den  von  de  Rossi  (s.  o.  S.  1089)  studierten  Heubazillen 
wird  das  Agglutininbindungs-  luid  Bildungsvermögen  schon  bei  62°  zum 
größten  Teil  zerstört  (Zentr.  Bakt.  40.  702,   1906). 

2)  Vgl.  Anm.   1. 

3)  Posselt  imd  Sagasser,  Wien.  klin.  Woch.  1903;  Zup- 
nik  imd  Posner,  Prag.  med.  Woch.  1903;  Ketsch  und  Lentz, 
Festschrift  für  Koch,   1904. 


1098  Kap.  XVII,  §  340  u.  341. 

1  a  n  i  sehen  Versuch  die  sämtliclien  Agglutinino  durch  den  StAmtn,  dor 
sie  erzeugt  hat,  abgesättigt  werden,  durchbrochen  wird  und  z.  B.  dio 
(heterologen)  Xebenagglutinine  dabei  nicht  verschwinden.  Man  winl 
unter  diesen  Umständen  hier  wie  im  Falle  der  Toxine  (§  279)  und 
Aggressine  (§  327)  den  immunkörperbindenden  und  immunisierenden 
Bestandteil  des  Agglutinogens  nicht  einfach  identifizieren  dürfen, 
sondern  in  der  früher  angegebenen  Weise  zu  Hilfsvorstellungen  greifen 
müssen. 

§  341.  Agglutinierbarkeit.  Mit  dem  Agglutininbildungs-  und 
-bindungsvermögen  sind  aber  noch  nicht  alle  Eigenschaften  der  Agglu- 
tinogene  erschöpft,  denn  aus  ihnen  folgt  noch  nicht  ohne  weiteres  die 
Fähigkeit  der  Bakterien,  durch  die  Agglutinine  zu  „verkleben",  zu 
„verklumpen",  „auszuf locken",  ihre  Agglutinierbarkeit.  Die 
letztere  Eigenschaft  ist  vielmehr  in  weitem  Maße  imabhängig  von  den 
ersteren. 

Xachgewierfen  wurde  das  zuerst  durch  Eisenberg  und  Volk, 
die  beobachteten,  daß  (feuchte)  Typhusbazillen  nach  halbstündigem  Er- 
hitzen auf  58°  normale  Bindungs-  und  Agglutinationsverhältni&se,  aber  nach 
Anwendung  höherer  Temperaturen,  insbesondere  von  100°,  nur  noch  Spuren, 
nach  solchen  von  144°  überhaupt  keine  Agglutinierbarkeit  melir  zeigen, 
während  ihr  Bindungsvermögen  durch  Temperatiu'en  über  58°  gleichmäßig 
und  lange  nicht  in  demjelben  Grade  geschädigt  wird.  Bei  Cliolera- 
bazillen  wurde  freilich  selbst  durch  Erhitzung  auf  170°  weder  Bindxmg^wert 
noch  Agglutinierbarkeit  erheblich  herabgesetzt^),  dagegen  büßten  sie  die 
letztere  zum  größten  Teil  —  die  lYphusbazillen  vollständig  —  ein,  wenn 
sie  in  0,4 — 10  prozentiger  Salzsäure  eine  Stiuide  bei  37°  gehalten  und 
durch  nachher  vorgenommene  Neutralisierung  von  einer  weitergehenden 
Säurewirkung  geschützt  wurden*). 

Eisenberg  und  Friedberger  unterscheiden  daher  am 
Agglutinogen  eine  „bindende"  imd  „fällbare"  Gruppe  („agglutinier- 
bare  Substanz"),  und  schreiben  der  letzteren  eine  geringere,  aber  je 


1)  Porges  (Zeitschr.  f.  exper.  Path.  1,  1905)  fand  dagegen,  daß 
Typhus-  und  Cliolerabazillen  zwischen  65°  imd  90°  ihre  Agglutinierbarkeit 
verlieren,  sie  aber  bei  100 — 144°  wiedergewinnen.  Ein  hemmender  Stoff 
(Jsuklein?),  dessen  Einwirkung  durch  konzentrierte  Kochsalzlösung  be- 
hoben werden  kann,  soll  daran  schuld  sein;  vgl.  übrigens  die  ähnlichen 
Verhältnisse  bei  der  Verdaulichkeit   §   10. 

2)  Wassermann  (Zeitschr.  f.  Hyg.  42)  bestätigt  diesen  Befund. 
Xacli  Weil  liegt  das  Optimum  der  Agglutinierbarkeit  für  Typhusbazillen 
>>ei  52 — 55°,  bei  65°  wird  sie  aufgehoben.  Außer  Cholerabazillen  vertragen 
auch  Staphylokokken  selbst  das  Erhitzen  auf  100°  (Zentr.  Bakt.  36  n. 
37).  Vgl.  auch  de  Rossis  Heubazillen  S.  1089.  Bei  diesen  besteht  ein 
gewisser  Zusammeiiliang  zwischen  Agglutinierbarkeit  und  dem  Zust^ind 
der  Geißeln.  Daß  die  Ueißeln  selbst  bei  der  Agglutination  imverändert 
bleiben,  zeigten  d  e  R  o  s  s  i  (Zentr.  Bakt.  36.  689)  und  Hinterberger 
(ebenda  45). 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1099 

nach  der  Bakterienart  wechselnde  Widerstandsfähigkeit  gegen  schäd- 
liche Einflüsse  zu^). 

Angeregt  wurden  die  beiden  Forscher  zu  diesen  Untersuchungen  diurch 
Angaben  von  W  i  d  a  1  und  Sicard,  van  de  Velde,  Malvoz 
und  N  i  c  o  1 1  e  über  das  Ausbleiben  der  Agglutination  bei  Bakterien,  die 
durch  Hitze  oder  Aufenthalt  in  älteren  Kulturen  verändert  waren.  Letzteres 
konnten  Eisenberg  und  Volk  zwar  nicht  bestätigen,  es  kann  aber 
doch  wohl  in  anderen  Fällen  zu  recht  bestehen. 

Kälte,  Formalin,  SubHmat,  Chloroform,  Thymol  u.  a.  m.  sind  nach 
den  oben  genannten  Forschem  ohne  Einfluß  auf  die  agglutinierbare  Sub- 
stanz. Jedoch  hat  S  e  1 1  e  r  in  meinem  Laboratorium  gefunden,  daß 
Formalinzusatz  zu  Typhusbazillenkulturen  —  in  Form  des  F  i  c  k  e  r  sehen 
„Typhusdiagnostikums"  —  doch  deren  Agglutinierbarkeit  in  gewissem 
Grade  beeinträchtigt.  In  konzentrierten  Gaben  und  bei  längerer  Ein- 
wirkung werden  wohl  alle  Antiseptika  die  agglutinierbare  Substanz  nicht 
unberührt  lassen.  Daß  der  Alkohol  sogar  die  immunisierende  Fälligkeit  der 
Agglutinogene  unter  diesen  Umständen  zerstört,  haben  wir  schon  früher 
mitgeteilt  (S.  1088).  Nach  N  i  c  o  1 1  e  soll  allerdings  Alkohol  und  Äther 
die  ,,sub8tance  agglutinöe"  nicht  schädigen,  aber  er  arbeitete  in  der  Weise, 
daß  er  trockene  Bakterien  mit  diesem  Stoffe  2  Tage  lang  auszog  und 
den  eingedunsteten  Extrakt  in  Bouillon  aufgelöst  mit  agglutinierendem 
Serum  versetzte  und  auf  Niederschlagsbildung  prüfte.  Die  letztere  kann 
übrigens  nur  dann  auf  das  Vorhandensein  agglutinierbarer  Substanz  bezogen 
werden,  wenn  man  diese  der  ,,präzi tierbaren'*  Substanz  gleichsetzt.  Vieles 
spricht  allerdings  dafür  (s.  u.  §.  342).  Auch  nach  Pick,  Kraus  und 
V.  Pirquet  enthält  die  präzipitierbare  Substanz  alkohollösliche  Be- 
standteile. 

Vieldeutig  erscheint  zunächst  die  von  B  o  r  d  e  t  *)  zuerst  fest- 
gestellte tmd  dann  von  Nolf,  Joos,  Friedberger'),  Eisen- 
berg ouid  Volk,  Porges*)  studierte  Einwirkung  der  Salze  und 
anderer  kristallisierbarer  Körper  (wie  Zucker,  Leuzin) 
auf  die  Agglutination.  Völliger  Mangel  derartiger  Stoffe  in  der 
Aufschwemmung  verhindert  sie,  Zusatz  selbst  kleiner  Mengen  ruft  sie 
wieder  hervor,  höhere  Konzentrationen  hemmen  oder  verhindern  sie  eben- 
falls, ohne  daß  aber  eine  nachträgliche  Verdünnung  die  Hemmung  be- 
seitigte. Man  hat  sich  diese  Wirkungen  verschieden  erklärt.  Nach  Joos 
und  Po  r  g  e  s  ist  eine  gewisse  Menge  Salz  insofern  nötig  zur  Agglutination, 


1)  Agglutinogene  ohne  agglutinierbare  Gruppe  würde  man  am  besten 
Agglutinogenoid  nennen,  wenn  das  Wort  nicht  zu  fürchterlich  klänge. 
Agglutinoid,  das  Kraus  vorschlägt,  ist  schon  vergeben  an  die  Abart 
des  Agglutinins,  die  eine  bindende,  aber  keine  agglutinierende  Grup]^e 
V)esitzt.  Sine  weitere  Verwicklung  besteht  darin,  daß  die  bindenden  Be- 
standteile der  Agglutinogene,  wie  wir  oben  gesehen,  nicht  völlig  zusammen- 
fallen mit  den  agglutinininerzeugenden.  Wir  haben  hier  wieder  in  ge- 
wissem Sinne  ähnliche  Verhältnisse  wie  bei  den  Agressinen  bzw.  Lysino- 
genen  {§  327). 

2)  Annal.  Pasteur  1899. 

3)  Zentr.  Bakt.  30,   1901, 

4)  Ebenda  40,   1903. 


1108  Kap.  XVII,   §  343. 

folgende  aber  erst  von  B  o  r  d  e  t  und  6  e  n  g  o  u  *)  durch  Anwendung 
einer  bestimmten  Methodik  entdeckt  worden. 

Diese  ist  seitdem  fast  ausschließlich  zum  Nachweis  der  Reagine  iind 
Keaginogene  genutzt  worden  und  besteht  darin,  daß  die  Mischung  der  be- 
treffenden Immunseren  und  Antigene  mit  komplementhaltigem,  d.  h. 
frischem  Normalserum,  z.  B.  von  Meerschweinchen,  in  Berührung  gebracht 
und  dann  mit  gewaschenen  roten  Blutkörpern  (z.  B.  vom  Hammel)  und 
einem  dagegen  gerichteten  hämolytischen  Ambozeptor  (Serum  von  Ka- 
ninchen, (lie  mit  Hammel blutkörpem  behandelt  worden  sind)  versetzt  wird. 
Die  Reaginogen-Keaginverbindung  entfernt  das  Komplement  aus  dem 
hämolytischen  System  (Komplement  -f  Ambozeptor  -f  Blutkörper)  und 
verhindert  oder  hemmt  dfikdiu-ch  die  Hämolyse.  Statt  der  von  B  o  r  d  e  t 
und  G  e  n  g  o  u  ursprünglich  benutzten  Bakterienleiber  emp- 
fehlen Wassermann  und  Brück')  Schüttelextrakte 
lebender  Bakterien ;  L  e  u  c  h  s  und  Schöne*)  erhielten  aber  noch 
bessere  Ergebnisse,  wenn  sie  die  Bakterien  erst  6 — 24  Stunden  auf  60" 
erhitzten  und  dann  bei  Zimmertemperatur  24 — 48  Stunden  schüttelten. 
Altmann*)   mit    Antiforminauflösungen  (§  12). 

Crendiropoulo  ^)  zeigte,  daß  das  Immunserum,  wenn  es  mit 
t<»ten  oder  lebendigen  Cholerabazillen  in  Berührung  gebracht  worden  ist. 
nicht  nur  in  dem  Teil,  der  sich  an  die  Bazillenleiber  gebunden  hat  und  durch 
Zentrifugieren  zu  gewinnen  ist,  die  Komplementablenkung  vollzieht,  son- 
dern auch  in  dem  darüber  stehenden  gelösten  Anteil.  Offenbar  entzieht 
es  den  Bakterien  einen  Teil  der  mit  ihm  zusammen  wirkenden  Reasri- 
nogene.  Die  Bindung  des  Komplements  erfordert  eine 
gewisse    Zeit. 

Statt  des  gewöhnlich  benutzten  hämolytischen  Systems  kann  man 
auch  ein  anderes,  statt  eines  hämolytischen  auch  ein  bakteriolytisches 
wählen  (B  o  r  d  e  t  und  Gengou,  Neufeld  luid  Händel  s.  u.). 
statt  des  Meerschweine) lenserums  das  Normalserum  eines  anderen  Tieres 
benutzen  luid  die  Bindung  des  Komplementes,  statt  wie  gewöhnlich  bei  37 •, 
in  der  Kälte  vornehmen  (Neuf  eld  und  Händel),  um  festzustellen, 
welcher  Art  die  Komplemente  sind,  die  von  der 
Antigen-Immunkörperverbindung  verankert  wer- 
den. Bisher  sind  aber  solche  Versuche  nur  in  kleinem  Umfange  vorge- 
nommen worden. 

Läßt  man  bei  dieser  oder  jener  Anordnung  das  Immunserum  fort,  so 
erhält  man  keine  Hemmung  der  Hämolyse,  vorausgesetzt,  daß  man  nicht 
zu  große  Mengen  des  Antigens  nimmt,  denn  wie  gesagt,  binden  größere 
Mengen  von  Bakterien  bzw.  Bakterienstoffen  ebenfalls  Komplement*). 

1)  Annal.  Pasteur  1901. 

2)  Med.  Klinik  1905.  55. 

3)  Zoitschr.  f.  Hyg.   60,   1908  mit   Litesratiu*;  vgl.  auch  Axarait, 
Zentr.   Bakt.   42:  Weil  vmd  Axamit,  Berl.   klin.  Woch.    1906.  53. 

4)  Zentr.  Bakt.   54,   1910. 

5)  Annal.  Pasteur  1909. 

6)  Auch  von  Immunserum  gilt  das  häufig.  Es  sind  daher  immer 
Kontrollen  mit  abgestuften  Giengen  von  Antigenen  bzw.  Imraunsenun 
anzusetzen.  Diese  dienen  auch  dazu,  etwa  bestehende  hämolytische  Wir- 
kungen dos  Antigens  selbst  (s.   Bakterienhämolysine   §  312)  festzustellen. 


Angriff rt-y  Reiz-  und  Impfstoffe.  1109 

Je  nach  der  Bakterienart,  deren  Immunserum  und  wahrschein- 
lich auch  der  Darstellungsart  der  Bakterienpraparate  wechselt  das 
Mengenverhältnis,  in  dem  diese  ohne  und  mit  Serum  (hämolytisches) 
Komplement  ablenken.  Einen  ziemlich  geringen  Unterschied  (1  :  2—3) 
haben  wir  selbst  bei  Versuchen  mit  dem  Dysenteriebazillus,  A  x  a  m  i  t 
und  Crendiropuoulo  bei  solchen  mit  dem  Cholerabazillus  ge- 
funden, sehr  viel  bedeutendere,  a.  B.  L  e  u  c  h  s  und  Schöne,  beim 
Typhnsbazilius.  Ob  die  Komplementbindung  durch  große  Mengen  von 
Bakterienstoffen,  die  man  auch  eine  nichtspezifische  nennen  könnte, 
wesensgleich  ist  der  spezifischen,  die  durch  kleine  Mengen  dieser  Stoffe 
mit  Immiuiserum  zusammen  ausgeübt  wird,  bleibt  noch  strittig  (§  325). 
Die  Ehrl  ich  sehe  Schule  spricht,  wie  wir  sahen,  im  ersteren  Fall  von 
Absorption,  im  letzteren  von  chemischer  Bindung,  läßt  auch  das  Kom- 
plement nicht  unmittelbar  an  die  Bakterienstoffe,  sondern  an  die 
Immunkörper  herantreten,  die  mit  je  einer  bindenden  Gruppe  für  das 
Antigen  und  das  Komplement  ausgestattet  sein  sollen  („Ambozep- 
toren").  B  o  r  d  e  t  erklärt  umgekehrt  den  Einfluß  der  Immunkörper 
nur  als  eine  Begünstigung  der  Komplementaufnahme  durch  die  Anti- 
gene. Wir  möchten  dem  beistimmen,  während  wir  mit  Ehrlich 
der  Ansicht  zuneigen,  daß  Immunkörper  und  Antigen  sich  hier  rie 
überall  durch  bindende  Gruppen  vereinigen.  Dadurch  wird  ja  die 
Spezifizität  der  Bakterien  genügend  gewährleistet. 

Was  die  Beschaffenheit  der  spezifischen  Reaginogene  anlangt,  so 
scheinen  sie  ebenso  widerstandsfähig,  z.  B.  gegen  Erhitzen,  Antiformin 
zu  sein  vne  die  nichtspezifischen  komplementbindenden  Bakterien- 
stoffe, lassen  sich  auch  in  der  gleichen  Weise  wie  die  meisten  anderen 
Antigene  aus  den  Bakterien  darstellen*).  Das  erschwert  natürlich  die 
Entscheidimg  der  Frage,  ob  die  Reaginogene  eigenartige  Stoffe  sind 
oder  mit  anderen  Antigenen  zusammenfallen.  Am  nächsten  liegt  es, 
die  B  o  r  d  e  t  sehen  Ambozeptoren  den  bakterioljrtischen  und  ihre 
Antigene  den  Ijrsinogenen  —  mit  anderen  Worten  im  wesentlichen 
unseren  Aggressinen  —  gleichzustellen.  Das  hat  man  darum  oft  getan 
und  dementsprechend  mittelst  des  Bordet-Gengou sehen  Kom- 
plementablenkungsverfahrens auch  die  Schutzkraft  von  Immunseren 
zu  bestimmen  gesucht.  Bei  näherer  Prüfung  haben  sich  aber  aller- 
hand Widersprüche  ergeben:  es  besteht  durchaus  kein  Parallelismus 
zwischen  Komplementbindungsvermögen  imd  lytischer  Kraft  der  Seren 


1)  Ob  die  Lösliehkeit  in  85%  Alkohol,  die  nach  Levaditi  und 
Mutermilch  (Soc.  biol.  1908)  für  die  Reaginogene  der  Cholera  be- 
steht, ein  sie  besonders  auszeichnendes  Merkmal  ist,  wäre  noch  auszu- 
machen.    Über  Alkohollöftlichkeit  von  Antigenen  s.  o.   S.    1106. 


1096  Kap.  XVII,  §  339  u.  340. 

chemischer  oder  physikalischer  Natur  sei.   Wir  entscheiden  uns  wegen 
der  Spezifizität  der  Bindung  für  die  erstere. 

Wie  B  o  r  d  e  t  selbst  hervorhebt,  ist  der  Streit  insofern  müßig,  als  wir 
über  das  Zustandekommen  der  sogenannten  physikalischen  Absorption  nichts 
Sicheres  wissen.  Allgemeines  Einverständnis  herrscht  auch  darüber,  daß 
sich  die  Antikörper  bzw.  Agglutinine  zum  großen  Teil  so  fest  an  die  Bak- 
terien binden,  daß  man  an  eine  chemische  Bindung  denken  muß.  Selbst 
Arrhenius  '),  der  wie  Eisenberg  •)  die  Aufnahme  der  Agglu- 
tinine in  die  Bakterien  als  einen  „Verteilungsvorgang"  zwischen  zwei 
Löbungsmitteln  auffaßt,  welcher  vom  Guldberg-Waage  sehen 
Gesetz  des  chemischen  Gleichgewichts  beherrscht  sei  und  sich  in  eine  ein- 
fache mathematische  Formel')  fassea  lasse,  läßt  eine  nachträgliche 
chemische  Bindimg  zu.  Von  vornherein  ist  auch  natürlich  keine  Ein- 
wendung dagegen  zu  erheben,  daß  man  die  Erfahrungen  der  „Kolloid- 
chemie" auf  die  Beziehungen  der  Antigene  zu  den  Immunkörpern,  die 
beide  zu  den  Kolloiden  gehören,  anwendet*)  und  die  Niederschlagsbil- 
dungen der  Kolloide  mit  den  Agglutininen  und  Präzipitinen  der  Bak- 
terien und  Bakterienstoffe  vergleicht  (s.  u.  §  341).  Aber  gerade  die  Bin- 
dung der  letzteren  an  die  Agglutinine  und  übrigen  Immunkörper  hat  trotz 
einiger  Ähnlichkeiten  in  den  quantitativen  Verhältnissen  etwas  Be- 
sonderes an  sich,  nämlich  die  Arteigentümlichkeit,  die  „Spezifizi- 
tät'*. Wir  erklären  sie  uns  am  einfachsten  mit  bestimmten  chemischen 
Verwandtschaften  oder  wie  Ehrlich  es  macht,  durch  das 
Vorhandensein  von  haptophoren  (bindenden)  Gruppen.  Man  wird  dabei 
nach  den  früheren  Feststellungen  über  die  Trennbarkeit  der  Agglutinin- 
verbindungen  (S.  1092)  mit  Joes*)  vermuten  dürfen,  daß  die  Verwandt- 
schaft der  zahlreichen  Bindegruppen  der  Bakterien  (S.  1094)  zu  den  Agglu- 
tininen teils  stärker,  teils  schwächer  ist,  gleichgültig  ob  man  sich  den  Be- 
hauptungen dieses  Forschers  über  die  Mitbeteiligung  anderer  Bestandteile 
(Salze)  an  der  Verbindung  anschließt  oder  nicht  (§  340).*  Der  Zukunft 
überlassen  bleiben  muß  es,  ob  es  gelingen  wird,  für  die  Agglutinogene 
ähnliche  „Spektren"  zu  entwerfen,  wie  es  Ehrlich  für  die  giftigen 
Antigene  getan  hat  ( §  264).  Dazu  wäre  vor  allem  ein  genaueres  Stu- 
dium der  Bindekraft  der  gelösten  Agglutinogene 
(s.  o.  S.  1091 ),  und  um  sie  studieren  zu  können,  ihre  vollständige 
Gewinnung  aus  den  Bakterienleibern  nötig.  In  den 
Bouillonfil traten,  selbst  aus  sehr  alten  Kulturen,  ebenso  wie  in  den  Leiber- 
extrakten gewinnt  man  immer  nur  einen  Teil  der  Agglutinogene  in  freiem 
Zustande*).  Die  alleinige  Prüfung  auf  Agglutinierbarkeit  kann  allerdings 
Täuschungen  verursachen,  weil  diese,  z.  B.  durch  Erhitzung,  verloren  gehen, 
die  Bindekraft  erhalten  bleiben  kann  (§  341).     Man  wird  daher,  um  die 


1)  Zeitschr.  physikal.  Cliem.  46,   1904. 

2)  Zentr.  Bakt.   34. 

3)  Einwendungen  gegen  diese  Formel  s.  bei  N  e  i  ß  e  r  ,  Zentr.  Bakt. 
36,   1904. 

4)  Vgl.   S.  892  imd  die  Lit.  daselbst. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.   36  und  40. 

6)  Vgl.  Eisenberg  imd  Volk  im  Gegensatz  zu  M  a  1  v  o  z  und 
N  i  c  o  1 1  e.     S.  die  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  Angriffsstoffen  S.  1029. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1097 

Agglutinogene  in  Freiheit  zu  setzen,  mu*  die  Methoden  anwenden  dürfen, 
*>ei  denen  die  Bakterienleiber  vollständig  und  ohne  Benutzung  von  Chemi- 
kalien oder  höherer  Temperatur  aufgelöst  werden.  Nebenbei  bemerkt 
würde  an  derartigen  Lösungen  vielleicht  auch  die  Frage  entschieden  werden 
können,  ob  die  homologen  und  heterologen  Nebenagglutinine  (S.  1090/1) 
Seitenketten  an  demselben  Kern  sind  wie  die  Hauptagglutinine  oder 
bcssondere  Stoffe. 

§  340.  Veränderungen  des  Bindungsvermögens  der  Agglu- 
tinogene.  Das  Bindungsvermögen  der  Agglutinogene  scheint  im 
allgemeinen  gegen  künstliche  Eingriffe  eher  noch  widerstandsfähiger 
zu  sein  als  das  immunisierende  (vgl.  aber  S.  1058). 

So  gelang  es  Scheller  (S.  1086),  die  nach  Joes  Vorgang  her- 
gestellten a-  und  ^-Agglutinine  sowohl  durch  unerhitzte  als  durch  erhitzte 
Typhusbazillen  zu  absorbieren.  Gekochte  Bazillen  erwiesen  sich  sogar  mit 
stärkerem  Bindungsvermögen  begabt  als  die  anderen.  Letzteres  kann 
freilich  nicht  regelmäßig  sein,  denn  nach  Eisenberg  und  Volk 
schädigt  die  Erhitzung,  wenn  sie  über  58^  hinausgeht,  das  Bindungs ver- 
mögen der  Typhusbazillen  (im  feuchten  Zustand)  in  ziemlich  gleicher  Weise, 
ob  sie  nun  65,100  oder  144°  erreicht^).  Aus  konzentriertem  Serum  wird  dann 
von  ihnen  kaum  die  Hälfte  der  Agglutininmenge  entzogen,  als  wenn  sie 
anerhitzt  sind.  Bei  hohen  Senimverdünnungen  treten  die  Unterschiede 
zimick.  Behandlung  mit  verdünnter  Salzsäure  vernichtet  ebensowenig 
das  Agglutininbildungs-  wie  das  Bindungsvermögen.  Ähnliche  Versuche 
mit  gelösten  Agglutinogenen  fehlen,  abgesehen  von  den  schon  früher  er- 
wähnten de  K  o  s  s  i  s  *),  als  Ersatz  können  auch  nicht  die  mit  Präzipi- 
tinogenen  gemachten  Erfahrungen  dienen,  da  sie  im  wesentlichen  nur  die 
Fällbarkeit  oder  Löslichkeit  in  Alkohol  u.  dgl.  betreffen. 

Weit  größere  Unterschiede  im  Bindungsvermögen  ergeben  sich 
beim  Vergleich  verschiedener  Stämme  einer  und  deselben  Bakterien- 
art, mögen  sie  natürliche  oder  künstliche  Abarten  sein.  Das  hat  sich 
z.  B.  bei  Typhus-,  Paratyphus-,  Cholera-,  Dysenterie-  imd  Pseudo- 
dysenteriebazillen  gezeigt.  Die  Versuche,  feste  Beziehungen  zwischen 
der  immunisierenden  und  bindenden  Fähigkeit  oder  auch  der  Virulenz 
der  einzelnen  Stämme  aufzustellen,  sind,  wie  wir  schon  früher  sahen 
(S.  1058, 1090),  zum  großen  Teil  gescheitert.  Wenn  man  überhaupt  von 
einer  Regel  sprechen  darf,   so  hat  sie  jedenfalls  viele   Ausnahmen. 

So  wird  man  sich  auch  nicht  wundem  können,  wenn  gelegentlich') 
das  früher  von  uns  aufgestellte  Gesetz  (S.  1091),  nach  dem  im  Castel- 


1)  Bei  den  von  de  Rossi  (s.  o.  S.  1089)  studierten  Heubazillen 
wird  das  Agglutininbindungs-  und  Bildimgs vermögen  schon  bei  62®  zum 
größten  Teil  zerstört  (Zentr.  Bakt.  40.  702,   1906). 

2)  Vgl.  Anm.   1. 

3)  P  o  s  s  e  1 1  tmd  Sagasser,  Wien.  klin.  Woch.  1903;  Z  u  p  - 
n  i  k  und  P  o  s  n  e  r  ,  Prag.  med.  Woch.  1903 ;  Ketsch  und  L  e  n  t  z  , 
Festschrift  für  Koch,  1904. 


1098  Kap.  X\m,  §  340  u.  341. 

1  a  n  i  sehen  Versuch  die  sämth'chen  Agghitinine  durch  den  Stamm,  der 
sie  erzeugt  hat,  abgesättigt  werden,  durchbrochen  x^-ird  und  z.  B.  die 
(heterologen)  Nebonagghitinine  dabei  nicht  verschwinden.  Man  winl 
unter  diesen  Umständen  hier  wie  im  Falle  der  Toxine  (§  279)  und 
Aggressine  (§  327)  den  imraunkörperbindenden  und  immunisierenden 
Bestandteil  des  Agglutinogens  nicht  einfach  identifizieren  dürfen, 
sondern  in  der  früher  angegebenen  Weise  zu  Hilfsvorst^llungen  greifen 
müssen. 

§  341.  Agglutinier barkeit.  Mit  dem  Agglutininbildungs-  und 
-bindungsvermögen  sind  aber  noch  nicht  alle  Eigenschaften  der  A^lu- 
tinogene  erschöpft,  denn  aus  ihnen  folgt  noch  nicht  ohne  weiteres  die 
Fähigkeit  der  Bakterien,  durch  die  Agglutinine  zu  „verkleben",  zu 
„verklumpen",  „auszuflocken",  ihre  Agglutinierbarkeit.  Die 
letztere  Eigenschaft  ist  vielmehr  in  weitem  Maße  unabhängig  von  den 
ersteren. 

Nachge\Weden  wurde  das  zuerst  durch  E  i  s  e  n  b  e  r  g  imd  Volk, 
die  beobachteten,  daß  (feuchte)  Typhusbazillen  nach  halbstündigem  Er- 
hitzen auf  58°  normale  Bindungs-  und  Agglutinationsverhältnisje,  aber  nach 
Anwendung  höherer  Temperaturen,  insbesondere  von  100®,  nur  noch  Spuren, 
nach  solchen  von  144°  überhaupt  keine  Agglutinierbarkeit  mehr  zeigen, 
während  ihr  Bindungsvermögen  diurch  Temperatiu'en  über  58°  gleichmäßig 
und  lange  nicht  in  demielben  Grade  gescliädigt  wird.  Bei  Cholera- 
bazillen  wurde  freilich  selbst  durch  Erliitzung  auf  170°  weder  Bindungowert 
noch  Agglutinierbarkeit  erheblich  herabgesetzt^),  dagegen  büßten  sie  die 
letztere  zum  größten  Teil  —  die  Ty]:)husbazillen  vollständig  —  ein,  wenn 
sie  in  0,4 — 10  prozentiger  Salzsäure  eine  Stunde  bei  37°  gehalten  und 
durch  nachher  vorgenommene  Neutralisierung  von  einer  weitergehenden 
Säurewirkung  geschützt  wurden*). 

Eisenberg  und  Friedberger  unterscheiden  daher  am 
Agglutinogen  eine  „bindende"  und  „fällbare"  Gruppe  („agglutinier. 
bare  Substanz"),  und  schreiben  der  letzteren  eine  geringere,  aber  je 


1)  Porges  (Zeitschr.  f.  exper.  Path.  1,  1905)  fand  dagegen,  daß 
Typhus-  und  Cholerabazillen  zwischen  65 ^^  \md  90®  ihre  Agglutinierbarkeit 
verlieren,  sie  aber  bei  100 — 144°  wiedergewinnen.  Ein  hemmender  Stoff 
(N'uklein?),  dessen  Einwirkung  durch  konzentrierte  Kochsalzlösung  be- 
hoben werden  kann,  soll  daran  schuld  sein;  vgl.  übrigens  die  ähnlichen 
Verhältnisse  bei  der  Verdaulichkeit   §  10. 

2)  Wassermann  (Zeitschr.  f.  Hyg.  42)  bestätigt  diesen  Befund. 
Nach  Weil  liegt  das  Optimum  der  Agglutinierbarkeit  für  Typhusbazillen 
bei  52 — 55**,  bei  65°  wird  sie  aufgehoben.  Außer  Cholerabazillen  vertragen 
nuoh  Staplwlokokken  selbst  das  Erhitzen  auf  100°  (Zentr.  Bakt.  36  u. 
37).  Vgl.  auch  de  Rossis  Heubazillen  S.  1089.  Bei  diesen  besteht  ein 
gewisser  Zusammenhang  zwischen  Agglutinierbarkeit  und  dem  Zustand 
der  Geißeln.  Daß  die  (reißein  selbst  bei  der  Agglutination  imverändert 
bleiljen,  zeigten  d  o  R  o  s  s  i  (Zentr.  Bakt.  36.  689)  und  Hinterberger 
(ebenda  45). 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1099 

nach  der  Bakterienart  wechselnde  Widerstandsfähigkeit  gegen  schäd- 
liche Einflüsse  zu^). 

Angeregt  wurden  die  beiden  Forscher  zu  diesen  Untersuchungen  durch 
Angaben  von  W  i  d  a  1  und  Sicard,  van  de  Velde,  Malvoz 
und  !Nr  i  c  o  1 1  e  über  das  Ausbleiben  der  Agglutination  bei  Bakterien,  die 
durch  Hitze  oder  Aufenthalt  in  älteren  Kulturen  verändert  waren.  Letzteres 
konnten  Eisenberg  und  Volk  zwar  nicht  bestätigen,  es  kann  aber 
docH  wohl  in  anderen  Fällen  zu  recht  bestehen. 

Kälte,  Formalin,  Sublimat,  Chloroform,  Thymol  u.  a.  m.  sind  nach 
den  oben  genannten  Forschem  ohne  Einfluß  auf  die  agglutinierbare  Sub- 
stanz.      Jedoch  hat     S  e  1 1  e  r    in  meinem  Laboratorium  gefunden,   daß 
Formalinzusatz  zu  Typhusbazillenkulturen  —  in  Form  des  Ficker  sehen 
„Typhusdiagnostikums"    —   doch    deren   Agglutinierbarkeit    in   gewissem 
Grade  beeinträchtigt.      In  konzentrierten   Gaben  und  bei  längerer  Ein- 
wirkung werden  wohl  alle  Antiseptika  die  agglutinierbare  Substanz  nicht 
unberührt  lassen.    Daß  der  Alkohol  sogar  die  immunisierende  Fähigkeit  der 
Agglutinogene  unter  diesen  Umständen  zerstört,  haben  wir  schon  früher 
mitgeteilt  (S.   1088).     Nach  Nicolle  soll  allerdings  Alkohol  und  Äther 
die  ,,substance  agglutin^e"  nicht  schädigen,  aber  er  arbeitete  in  der  Weise, 
daß  er   trockene   Bakterien  mit  diesem  Stoffe  2  Tage  lang  auszog  und 
den    eingedunsteten  Extrakt  in  Bouillon  aufgelöst  mit  agglutinierendem 
Serum  versetzte  imd  auf  Xiederschlagsbildung  prüfte.     Die  letztere  kann 
übrigens  nur  dann  auf  das  Vorhandensein  agglutinierbarer  Substanz  bezogen 
werden,  wenn  man  diese  der  ,,präzitierbaren"  Substanz  gleichsetzt.    Vieles 
spricht  allerdings  dafür  (s.  u.  §.    342).    Auch  nach    Pick,    Kraus   und 
v.    Pirquet     enthält   die  präzipitierbare    Substanz   alkohollösliche  Be- 
standteile. 

Vieldeutig  erscheint  zunächst  die  von  B  o  r  d  e  t  *)  zuerst  fest- 
gestellte und  dann  von  Nolf,  Joes,  Friedberger^),  Eisen- 
berg und  Volk,  Porges*)  studierte  Einwirkung  der  Salze  und 
anderer  kristallisier  barer  Körper  (wie  Zucker,  Leuzin) 
auf  die  Agglutination.  Völliger  Mangel  derartiger  Stoffe  in  der 
Aufschwemmung  verhindert  sie,  Zusatz  selbst  kleiner  Mengen  ruft  sie 
wieder  hervor,  höhere  Konzentrationen  hemmen  oder  verhindern  sie  eben- 
falls, ohne  daß  aber  eine  nachträgliche  Verdünnung  die  Hemmung  be- 
seitigte. Man  hat  sich  diese  Wirkungen  verschieden  erklärt.  Nach  J  o  o  s 
und  Po  r  g  e  s  ist  eine  gewisse  Menge  Salz  insofern  nötig  ziu»  Agglutination, 


1)  Agglutinogeno  ohne  agglutinierbare  Gruppe  würde  man  an\  besten 
Agglutinogenoid  nennen,  w^enn  das  Wort  nicht  zu  fürchterlich  klänge. 
Agglutinoid,  das  Kraus  vorschlägt,  ist  schon  vergeben  an  die  Abart 
des  Agglutinins,  die  eine  bindende,  aber  keine  agglutinierende  Grup]^e 
besitzt.  Eine  weitere  Verwicklung  besteht  darin,  daß  die  bindenden  Be- 
standteile der  Agglutinogene,  wie  wir  oben  gesellen,  nicht  völlig  zusammen- 
fallen mit  den  agglutinininer zeugenden.  Wir  haben  hier  wieder  in  ge- 
wissem Sinne  ähnliche  Verhältnisse  wie  bei  den  Agressinen  bzw.  Lysino- 
genen  (§  327). 

2)  Annal.  Pasteur  1899. 

3)  Zentr.  Bakt.   30,   1901. 

4)  Ebenda  40,   1903. 


1114  Kap.  XVII,    §  344. 

§  344.  Anaphylaxogene.  Spezifische  Uberempfindlichkeit  für 
bakterielle  Stoffe  wurde  zuerst  1890  von  R.  Koch  bei  Tieren  und 
namentlich  Menschen,  die  auch  nur  Spuren  tuberkulöser  Verände- 
rungen im  Körper  trugen,  nach  Einspritzung  von  Tuberkulin  beobachtet 
(§  304):  Gaben,  die  sonst  ganz  ohne  Wirkung  blieben,  riefen  hier 
starke  örtliche  und  allgemeine  Reaktionen,  ja, 
wenn  sie  groß  genug  waren,  den  Tod  hervor.  Später  hat  man  gefunden, 
daß  man  statt  der  subkutanen  Prüfung  mit  Tuberkulin  auch  die  intra- 
kutane Impfung,  die  Einreibung  in  die  Haut,  die  Einträufelung  in  den 
Bindehautsack  benutzen  kann  (kutane,  perkutane,  Ophthahnoreak- 
tion  usw.)  imd  daß  die  Überempfindlichkeit  auch  die  Folge  ist  nicht 
bloß  von  Infektionen  mit  lebenden  Tuberkelbazillen,  sondern  schon 
von  Behandlung  mit  Tuberkidin  selbst  unter  der  Voraussetzung,  daß 
man  die  Behandlung  in  bestimmter  Weise,  nämlich  mit  kleinen  Gaben 
vornimmt^).  Auch  mit  zahlreichen  anderen  Bakteriengiften  hat  man 
Überempfindlichkeit  hervorgerufen. 

Hierher  gehört  zunächst  die  Überempfindlichkeit  rotziger  Tiere 
gegen  Mallein  (Malleinprobe  S.  987).  vielleicht  auch  die  der  Leprakranken 
gegen  Nastin  (Deycke  1905),  der  Vaccinierten  gegen  stark  verdünnte 
oder  sterilisierte  Lymphe  (Knöpfelmacher  1907),  sowie  die  etwas 
zweifelhafteren  Erscheinungen,  die  bei  Diphtheriekranken  und  -Rekon- 
valeszenten durch  Diphtheriegift  hervorgerufen  werden  (Schick,  Entz 
1908)  u.  a.  m.  Überempfindlichkeit  gegen  letzteres  Gift  hatte  B  ehri  ng 
schon  lange  vorher*)  bei  Immunisierungsversuchen  an  Tieren  beobachtet. 
Sie  ist  bei  Meerschweinchen  so  groß,  daß  sie  bei  wiedlBrholter  Darreichung 
kleinster  Gaben  schon  zugrunde  gehen,  wenn  die  Geseuntmenge  400  mal 
kleiner  ist  als  diejenige,  die  bei  einmaliger  Einspritzung  genügt,  um  den 
Tod  hervorzurufen.  Ähnliche  Verhältnisse  bestehen  beim  Tetanusgift 
nach  Brieger,  Behring  und  W  1  a  d  i  m  i  r  o  f  f  •)  u.  a.  Auch  hier 
zeigen  sich  große  Unterschiede  bei  den  einzelnen  Tieren,  die  der  Behand- 
hmg  unterworfen  werden,  insofern  z.  B.  nach  Knorr  *)  die  für  das  Gift 
am  meisten  empfänglichen  Meerschweinchen  schon  durch  kleinste  Gaben 
überempfindlich  werden,  die  viel  weniger  empfänglichen  Kaninchen  aber 
nicht,  und  die  zur  Gewinnung  von  Keilserum  mit  Gift  behandelten  Pferde 
der  Regel  nach  lange  Zeit  die  Einspritzungen  vertragen,  aber  ausnahmsweise 
und  scheinbar  plötzlich  überempfindlich  werden  können.  Dabei  tritt  oft, 
und  zwar  weniger  bei  den  kleinen  als  bei  den  großen  Tieren,  die  wichtige 
Tatsache  ans  Licht,  daß  ein  reichlicher  Gehalt  des  Blutes 
anAntitoxindurchausverträglichistmitderÜber- 
empfindlichkeit  gegen  das  Gift.    Auch  bei  Impfung  großer 


1 )  I-i  ö  w  e  n  s  t  e  i  n    und    Rappaport,    Zeitschr.    f.    Tuberk.  5, 
1904. 

2)  Deutsch,  med.  Woch.  1893.  48  und  1898.  42  B  und  K  i  t  a  s  h  i  m  »  , 
Berl.  klin.  Woch.   1901.  6;  vgl.  auch  Kretz'  paradoxe  R-eaktion  S.  898. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.    15.   414,   1893. 

4)  Habilitationsschrift  Marburg  1895. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1115 

und  Ideiner  Tiere  mit  den  Stoffen  solcher  Bakterien,  die  man  gewöhn- 
lich als  Endotoxinbildner  bezeichnet,  hat  man  gelegentlich  Überempfind- 
lichkeit beobachtet.  So  sah  A.  W  o  1  f  f  ^)  Kaninchen  wiederholte  Ein- 
spritzungen in  die  Venen  oder  in  die  Bauchhöhle,  ohne  daß  eine  Steigerung 
der  Bakteriengaben  stattgefunden  hatte,  immer  schlechter  vertragen  und 
schließlich  fast  ohne  Inkubationszeit  in  wenigen  Minuten  oder  Stunden 
unter  gewaltiger  Atembeklemmxing  und  Krämpfen  eingehen.  Wir  selbst 
beobachteten  bei  Pferden  \md  Eseln,  die  intravenös  gegen  Typhus  oder 
Ruhr  immunisiert  wurden,  hier  und  da  die  gleichen  gefährlichen  Erschei- 
nungen, ebenso  Kraus  und  Stenitzer  *)  bei  Typhus-  und  Para- 
typhusziegen,  femer  R  o  s  e  n  a  u  und  Anderson  ')  bei  Meerschwein- 
chen, die  sie  mit  Extrakten  von  Coli-,  Typhus-,  Heu-,  Milzbrand-,  Tuberkel- 
bazillen*) oder  Hefepilzen,  Kraus  imd  Dörr  *)  bei  solchen,  die  sie  mit 
Auszügen  von  Ruhr-  imd  Typhusbazillen  und  Vibrionen  behandelt  hatten. 
Weil  und  Braun*)  haben  zwar  die  letzten  Versuche  nicht  bestätigen 
können,  das  liegt  aber  ncKjh  Holobut')an  ihrer  Methodik.  Am  sichersten 
jreht  man,  wenn  man  sehr  kleine  Mengen  auf  70**  erhitzter  Bakterienauf- 
schwemmung Meerschweinchen  10  Tage  hintereinander  unter  die  Haut 
einspritzt  und  dann  etwa  nach  3  Wochen  eine  größere  Gabe  in  das  Blut 
einführt.  Wir  konnten  das  für  eine  ganze  Reihe  von  Bakteriengiften  be- 
stätigen*). Bei  anderen  Tieren,  z.  B.  Hunden,  ist  es  nach  Kraus  und 
B  i  e  d  1  •)  schwieriger,  diese  Überempfindlichkeit  gegen  Endotoxine  zu  er- 
zeugen, und  ihre  Spezifizität  ist  noch  nicht  über  allen  Zweifel  gestellt.  Viel- 
leicht besteht  sie  aber  auch  hier,  wenn  man  den  quantitativen  Verhält- 
nissen Rechnung  trägt.  Das  dürfte  überhaupt  in  allen  solchen  Versuchen 
—  auch  beim  Meerschweinchen *°)  —  nicht  außer  acht  gelassen  werden. 
Längst  bekannt  ist  das  ja  geworden  dm*ch  die  bei  der  Tuberkulinreak- 
tion  gemachten   Erfahrungen   (§   304). 

Wie  haben  wir  nun  die  Uberempfindlichkeit  gegen  Bakteriengifte 
zu  deuten?  Daß  sie  nichts  unmittelbar  zu  tun  hat  mit  den  aggressiven 
Wirkungen,  d.  h.  der  Überempfindlichkeit  gegen  die  Infektion 
hervorrufenden  Leistungen  der  Bakt^ricnstoffe  (§  319  ff.),  wie  es  manch- 
mal behauptet  worden  ist,  kann  kaum  einem  Zweifel  unterUegen,  denn 
der  aggressive  Zustand  kennzeichnet  sich  durch  seine  schnelle  Ent- 
stehung und  sein  allermeist  ebenso  schnelles  Vorübergehen.  Alle  Be- 
obachter stimmen  ja  darin  überein,  daß  sich  die  überempfind- 


1)  Zentr.  Bakt.  37.  576. 

2)  Wien.  klin.  Woch.   1908.    18.  , 

3)  Ref.  Bull.  Annal.  Pasteur  1907.  855. 

4)  Vgl.  die  Versuche  B  a  i  1  s  mit  lebenden  Tuberkelbazillen  und 
Tuberkulin  (Wien.  klin.  Woch.  1904.  30)  und  die  von  R  i  s  t  mit  Diphtherie- 
bazillenloibem  (Soc.  biol.   1903.  25). 

5)  Wien.  klin.  Woch.   1908.  28. 

6)  3.  Tagg.  Verein  f.  Mikrobiol.  Zentr.   Bakt.   lief  er.   44,  Beil.  1909. 

7)  Zeitschr.  f.  Immimitätsforschg.  3.  639,   1909.     Vgl.  ebenda  4.  607. 

8)  Bookmann,  Gießener  mediz.  Dissert.,   1910. 

9)  3.  Tagg.  f.  Mikrobiol.  s.  o.  Anm.  6  und  u.   S.   1121. 

10)  Vgl.  Ho  1  o  b  u  t  gegen   D  e  1  a  n  o  e  (These  de  Montpellier   1909). 


1096  Kap.  XVII,  §  339  u.  340. 

chemischer  oder  physikaüscher  Natur  sei.   Wir  entscheiden  uns  wegen 
der  Spezifizität  der  Bindung  für  die  erstere. 

Wie  Bordet  selbst  hervorhebt,  ist  der  Streit  insofern  müßig,  als  wir 
über  das  Zustandekommen  der  sogenannten  physikalischen  Absorption  nichU 
Sicheres  wissen.  Allgemeines  Einverständnis  herrscht  auch  darüber,  daß 
sich  die  Antikörper  bzw.  Agglutinine  zum  großen  Teil  so  fest  an  die  Bak- 
terien binden,  daß  man  an  eine  chemische  Bindung  denken  muß.     Selbst 
Arrhenius*),    der    wie   Eisenberg')    die    Aufnahme    der  Agglu- 
tinine in   die   Bakterien   als   einen   „Verteilungsvorgang"   zwischen   zwei 
Löbungsmitteln     auffaßt,     welcher     vom     Guldberg-Waage  sehen 
Gesetz  des  chemischen  Gleichgewichts  beherrscht  sei  imd  sich  in  eine  ein- 
fache mathematische  Formel')  fassen  lasse,  läßt  eine  nachträgliche 
chemische  Bindung  zu.     Von  vornherein  ist  auch  natürlich  keine  Ein- 
wendung dagegen  zu  erheben,  daß  man  die  Erfahrungen  der  „Kolloid- 
chemie" auf  die  Beziehungen  der  Antigene  zu  den  Immunkörpern,  die 
beide  zu  den   Kolloiden  gehören,   anwendet^)   und  die  Niederschlagsbil- 
dungen der  Kolloide  mit   den  Agglutininen  und   Präzipitinen  der   Bak- 
terien und  Bakterienstoffe  vergleicht  (s.  u.  §  341).    Aber  gerade  die  B  i  n- 
dung  der  letzteren  an  die  Agglutinine  und  übrigen  Inunimkörper  hat  trotz 
einiger    Ähnlichkeiten    in    den    quantitativen    Verhältnissen    etwas    Be- 
sonderes   an   sich,    nämlich  die  Arteigentümlichkeit,  die  „Spezifizi- 
tät". Wir  erklären  sie  uns  am  einfachsten  mit  bestinunten  chemischen 
Verwandtschaften    oder   wie   Ehrlich    es   macht,    durch   das 
Vorhandensein  von  haptophoren  (bindenden)  Gruppen.    Man  wird  dabei 
nach  den  früheren  Feststellungen  über  die  Trennbarkeit  der  Agglutinin- 
verbindungen  (S.  1092)  mit  Joes*)  vermuten  dürfen,  daß  die  Verwandt- 
schaft der  zahlreichen  Bindegruppen  der  Bakterien  (S.  1094)  zu  den  Agglu- 
tininen teils  stärker,  teils  schwächer  ist,  gleichgültig  ob  man  sich  den  Be- 
hauptungen dieses  Forschers  über  die  Mitbeteiligung  anderer  Bestandteile 
(Salze)  an  der  Verbindung  anschließt  oder  nicht  (§  340).*  Der  Zukunft 
überlassen  bleiben  muß   es,   ob  es  gelingen  wird,  für  die  Agglutinogene 
ähnliche   „Spektren"    zu   entwerfen,   wie   es   Ehrlich   für   die  giftigen 
Antigene  getan  hat  ( §  264).   Dazu  wäre  vor  allem  ein  genaueresStu- 
dium    der    Bindekraft    der    gelösten    Agglutinogene 
(s.  o.  S.  1091),  und  um  sie  studieren  zu  können,  ihre   vollständige 
Gewinnung    aus    den    Bakterienleibern   nötig.    In  den 
Bouillonfiltraten,  selbst  aus  sehr  alten  Kulturen,  ebenso  wie  in  den  Leiber- 
extrakten gewinnt  man  immer  nur  einen  Teil  der  Agglutinogene  in  freiem 
Zustande*).     Die  alleinige  Prüfung  auf  Agglutinierbarkeit  kann  allerdingB 
Täuschungen  verm^achen,  weil  diese,  z.  B.  diu'ch  Erhitzung,  verloren  gehen, 
die  Bindekraft  erhalten  bleiben  kann  (§  341).     Man  wird  daher,  um  die 


1)  Zeitschr.  physikal.  Chem.  46,   1904. 

2)  Zentr.  Bakt.   34. 

3)  Einwendungen  gegen  diese  Formel  s.  bei  N  e  i  ß  e  r  ,  Zentr.  Bakt. 
36,   1904. 

4)  Vgl.   S.  892  imd  die  Lit.  daselbst. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.  36  und  40. 

6)  Vgl.  Eisenberg  imd  Volk  im  Gegensatz  zu  M  a  1  v  o  z  und 
N  i  c  o  1 1  e.     S.  die  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  Angriffsstoffen  S.  1029. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1097 

Agglutinogene  in  Freiheit  zu  setzen,  nur  die  Methoden  anwenden  dürfen, 
l)ei  denen  die  Bakterienleiber  vollständig  und  ohne  Benutzung  von  Chemi- 
kalien oder  höherer  Temperatur  aufgelöst  werden.  Nebenbei  bemerkt 
würde  an  derartigen  Lösungen  vielleicht  auch  die  Frage  entschieden  werden 
können,  ob  die  homologen  und  heterologen  Nebenagglutinine  (S.  1090/1) 
Seitenketten  an  demselben  Kern  sind  wie  die  Hauptagglutinine  oder 
bpsondere  Stoffe. 

§  340.  Yeränderuiigen  des  Bindungsyermögens  der  Agglu- 
tinogene. Das  Bindungsvermögen  der  Agglutinogene  scheint  im 
allgemeinen  gegen  künstliche  Eingriffe  eher  noch  widerstandsfähiger 
ztt  sein  als  das  immunisierende  (vgl.  aber  S.  1058). 

So  gelang  es  Scheller  (S.  1086),  die  nach  Joos  Vorgang  her- 
gestellten a-  und  ^-Agglutinine  sowohl  durch  unerhitzte  als  durch  erhitzte 
Typhusbazillen  zu  absorbieren.  Gekochte  Bazillen  erwiesen  sich  sogar  mit 
£!tärkerem  Bindungsvermögen  begabt  als  die  anderen.  Letzteres  kann 
freilich  nicht  regelmäßig  sein,  denn  nach  Eisenberg  und  Volk 
schädigt  die  Erhitzung,  wenn  sie  über  58®  hinausgeht,  das  Bindungs ver- 
mögen der  Typhusbazillen  (im  feuchten  Zustand)  in  ziemlich  gleicher  Weise, 
ob  sie  nun  65,100  oder  144®  erreicht*).  Aus  konzentriertem  Serum  wird  dann 
von  ihnen  kaum  die  Hälfte  der  Agglutininmenge  entzogen,  als  wenn  sie 
imerhitzt  sind.  Bei  hohen  Serumverdünnungen  treten  die  Unterschiede 
zurück.  Behandltmg  mit  verdünnter  Salzsäure  vernichtet  ebensowenig 
das  Agglutininbildungs-  wie  das  Bindungsvermögen.  Ähnliche  Versuche 
mit  gelösten  Agglutinogenen  fehlen,  abgesehen  von  den  schon  früher  er- 
wähnten de  R  o  s s  i  s  *),  als  Ersatz  können  auch  nicht  die  mit  Präzipi- 
tinogenen  gemachten  Erfahrungen  dienen,  da  sie  im  wesentlichen  nur  die 
Fällbarkeit   oder  Löslichkeit  in  Alkohol  u.  dgl.  betreffen. 

Weit  größere  Unterschiede  im  Bindungsvermögen  ergeben  sich 
beim  Vergleich  verschiedener  Stämme  einer  und  deselben  Bakterien- 
art, mögen  sie  natürliche  oder  künstliche  Abarten  sein.  Das  hat  sich 
z.  B.  bei  Typhus-,  Paratyphus-,  Cholera-,  Dysenterie-  und  Pseudo- 
dysenteriebazillen  gezeigt.  Die  Versuche,  feste  Beziehungen  zwischen 
der  immunisierenden  und  bindenden  Fähigkeit  oder  auch  der  Virulenz 
der  einzelnen  Stämme  aufzustellen,  sind,  wie  wir  schon  früher  sahen 
(S.  1058,  1090),  zum  großen  Teil  gescheitert.  Wenn  man  überhaupt  von 
emer  Kegel   sprechen  darf,   so   hat   sie   jedenfalls   viele   Ausnahmen. 

So  wird  man  sich  auch  nicht  wundem  können,  wenn  gelegentlich*) 
das  früher  von  uns  aufgestellte  Gesetz  (S.  1091),  nach  dem  im  Castel- 


1)  Bei  den  von  de  Rossi  (s.  o.  S.  1089)  studierten  Heubazillen 
wird  das  Agglutininbindungs-  und  Bildungs vermögen  schon  bei  62°  zum 
größten  Teil  zerstört  (Zentr.  Hakt.  40.  702,   1906). 

2)  Vgl.  Anm.   1. 

3)  Posselt  und  Sagasser,  Wien.  klin.  Woch.  1903;  Zup- 
n  i  k  und  P  o  s  n  e  r  ,  Prag.  med.  Woch.  1903;  H  e  t  s  c  h  und  L  e  n  t  z  , 
Festschrift  für  Koch,   1904. 


1098  Kap.  X\^I,  §  340  u.  341. 

1  a  n  i  sehen  Versuch  die  säinth'chen  Agglutinine  durch  den  Stamm,  der 
sie  erzeugt  hat,  abgesättigt  werden,  durchbrochen  wird  und  z.  B.  die 
(heterologen)  Nebenagglutinine  dabei  nicht  verschwinden.  Man  wird 
unter  diesen  Umständen  hier  wie  im  Falle  der  Toxine  (§  279)  imd 
Aggressine  (§  327)  den  immimkörperbindenden  und  immunisierenden 
Bestandteil  des  Agglutinogens  nicht  einfach  identifizieren  dürfen, 
sondern  in  der  früher  angegebenen  Weise  zu  Hilfsvorstellungen  greifen 
müssen. 

§  341.  Agglutinierbarkeit.  Mit  dem  AgglutininbildiingB-  und 
-bindungsvermögen  sind  aber  noch  nicht  alle  Eigenschaften  der  Agglu- 
tinogene  erschöpft,  denn  aus  ihnen  folgt  noch  nicht  ohne  weiteres  die 
Fähigkeit  der  Bakterien,  durch  die  Agglutinine  zu  „verkleben",  zu 
„verklumpen",  „auszuflocken",  ihre  Agglutinierbarkeit.  Die 
letztere  Eigenschaft  ist  vielmehr  in  weitem  Maße  unabhängig  von  den 
ersteren. 

Nachgewieden  wm-do  das  zuerst  durch  E  i  s  e  n  b  o  r  g  und  Volk, 
die  beobachteten,  daß  (feuchte)  Typhusbazillen  nacli  halbstündigem  Er- 
hitzen auf  58°  normale  Bindungs-  luid  Agglutinationsverhältnis^e,  aber  nach 
Anwendung  höherer  Temperatiu-en,  insbesondere  von  100^  niu*  noch  Spuren, 
nach  solchen  von  144°  überhaupt  keine  Agglutinierbarkeit  mehr  zeigen, 
während  ihr  Bindungsvermögen  durch  Temperatm-en  über  58°  gleichmäßig 
und  lange  nicht  in  demielben  Grade  geschädigt  wird.  Bei  Cliolera- 
bazillen  wurde  freilich  selbst  durch  Erhitzung  auf  170°  weder  Bindungswert 
noch  Agghitinierbarkeit  erheblich  herabgesetzt^),  dagegen  büßten  sie  die 
letztere  zum  größten  Teil  —  die  Typhusbazillon  vollständig  —  ein,  wenn 
sie  in  0,4 — 10  prozentiger  Salzsäure  eine  Stiuide  bei  37°  gehalten  und 
durch  nachher  vorgenommene  Neutralisienmg  von  einer  weitergehenden 
Säurewirkimg  geschützt  wurden*). 

Eisenberg  und  Friedberger  unterscheiden  daher  am 
Agglutinogen  eine  „bindende"  und  „fällbare"  Gruppe  („agglutinier- 
bare  Substanz"),  und  schreiben  der  letzteren  eine  geringere,  aber  je 


1)  Porges  (Zeitschr.  f.  exper.  Path.  1,  1905)  fand  dagegen,  daß 
Typhus-  \md  Cliolerabazillen  zwischen  65*^  und  90°  ihre  Agglutinierbarkeit 
verlieren,  sie  aber  bei  100 — 144°  wiedergewinnen.  Ein  hemmender  Stoff 
(Nuklein?),  dessen  Einwirkung  durch  konzentrierte  Kochsalzlösung  be- 
hoben werden  kann,  soll  daran  schuld  sein;  vgl.  übrigens  die  ähnlichen 
Verhältnisse  bei  der  Verdaulichkeit   §   10. 

2)  Wassermann  (Zeitschr.  f.  Hyg.  42)  bestätigt  diesen  Befund. 
Nach  Weil  liegt,  das  Optimum  der  Agglutinierbarkeit  für  Typhusbazillen 
bei  52 — 55°,  bei  65°  wird  sie  aufgehoben.  Außer  Cholerabazillen  vertragen 
auch  Staphylokokken  selbst  das  Erhitzen  auf  100°  (Zentr.  Bakt.  36  n. 
37).  Vgl.  auch  de  R  o  s  s  i  s  Heubazillen  S.  1089.  Bei  diesen  besteht  ein 
gewisser  Zusammenhang  zwischen  Agglutinierbarkeit  und  dem  Zustand 
der  Geißeln.  Daß  die  Geißeln  selbst  laei  der  Agglutination  imverändert 
bleiben,  zeigten  d  e  R  o  s  s  i  (Zentr.  Bakt.  36.  689)  und  Hinterberger 
(ebenda  45). 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1099 

nach  der  Bakterienart  wechselnde  Widerstandsfähigkeit  gegen  schäd- 
liche Einflüsse  zu^). 

Angeregt  wurden  die  beiden  Forscher  zu  diesen  Untersuchungen  durch 
Angaben  von  W  i  d  a  1  und  Sicard,  van  de  Velde,  Malvoz 
und  N  i  c  o  1 1  e  über  das  Ausbleiben  der  Agglutination  bei  Bakterien,  die 
durch  Hitze  oder  Aufenthalt  in  älteren  Kulturen  verändert  waren.  Letzteres 
konnten  Eisenberg  imd  Volk  zwar  nicht  bestätigen,  es  kann  aber 
doch  wohl  in  anderen  Fällen  zu  recht  bestehen. 

Kälte,  Formalin,  Sublimat,  Chloroform,  Thyinol  u.  a.  m.  sind  nach 
den  oben  genannten  Forschem  ohne  Einfluß  auf  die  agglutinierbare  Sub- 
stanz. Jedoch  hat  S  e  1 1  e  r  in  meinem  Laboratorium  gefunden,  daß 
Formalinzusatz  zu  Typhusbazillenkulturen  —  in  Form  des  Ficker  sehen 
..Typhusdiagnostikums"  —  doch  deren  Agglutinierbarkeit  in  gewissem 
Grade  beeinträchtigt.  In  konzentrierten  Gaben  und  bei  längerer  Ein- 
wirkung werden  wohl  alle  Antiseptika  die  agglutinierbare  Substanz  nicht 
imberührt  lassen.  Daß  der  Alkohol  sogar  die  immunisierende  Fälligkeit  der 
Agghitinogene  unter  diesen  Umständen  zerstört,  haben  wir  schon  früher 
mitgeteilt  (S.  1088).  Nach  N  i  c  o  1 1  e  soll  allerdings  Alkohol  und  Äther 
die  „substance  agglutin^e"  nicht  schädigen,  aber  er  arbeitete  in  der  Weise, 
daß  er  trockene  Bakterien  mit  diesem  Stoffe  2  Tage  lang  auszog  und 
den  eingedunsteten  Extrakt  in  Bouillon  aufgelöst  mit  agglutinierendem 
Senun  versetzte  und  auf  Niederschlagsbildimg  prüfte.  Die  letztere  kann 
übrigens  nur  dann  auf  das  Vorhandensein  agglutinierbarer  Substanz  bezogen 
werden,  wenn  man  diese  der  ,,präzi tierbaren**  Substanz  gleichsetzt.  Vieles 
spricht  allerdings  dafür  (s.  u.  §.  342).  Auch  nach  Pick,  Kraus  und 
V.  Pirquet  enthält  die  präzipitierbare  Substanz  alkohol lösliche  Be- 
standteile. 

Vieldeutig  erscheint  zunächst  die  von  B  o  r  d  e  t  ^)  zuerst  fest- 
gestellte und  dann  von  Nolf,  Joes,  Friedberger''),  Eisen- 
berg und  Volk,  Porges*)  studierte  Einwirkung  der  Salze  und 
anderer  kristallisierbarer  Körper  (wie  Zucker,  Leuzin) 
auf  die  Agglutination.  Völliger  Mangel  derartiger  Stoffe  in  der 
Aufschwemmung  verhindert  sie,  Zusatz  selbst  kleiner  Mengen  ruft  sie 
wieder  hervor,  höhere  Konzentrationen  hemmen  oder  verhindern  sie  eben- 
falls, ohne  daß  aber  eine  nachträgliche  Verdünnung  die  Hemmung  be- 
seitigte. Man  hat  sich  diese  Wirkungen  verschieden  erklärt.  Nach  J  o  o  s 
und  Po  r  g  e  s  ist  eine  gewisse  Menge  Salz  insofern  nötig  zur  Agglutination, 


1)  Agghitinogene  ohne  agglutinierbare  Gruppe  würde  man  am  besten 
Agglutinogenoid  nennen,  wenn  das  Wort  nicht  zu  fürchterlich  klänge. 
Agglutinoid,  das  Kraus  vorschlägt,  ist  schon  vergeben  an  die  Abart 
des  Agglutinins,  die  eine  bindende,  aber  keine  agglutinierende  Grup]^e 
besitzt.  $ine  weitere  Verwicklung  besteht  darin,  daß  die  bindenden  Be- 
standteile der  Agghitinogene,  wie  wir  oben  gesehen,  nicht  völlig  zusammen- 
fallen mit  den  agglutinin inerzeugenden.  Wir  haben  hier  wieder  in  ge- 
wissem Sinne  ähnliche  Verhältnisse  wie  bei  den  Agressinen  bzw.  Lysino- 
genen  (§  327). 

2)  Annal.  Pasteur  1899. 

3)  Zentr.  Bakt.  30,   1901. 

4)  Ebenda  40,   1903. 


1120  Kap.  XVII.   §  344. 

blutige,  in  ein  bis  mehreren  Tagen  zum  Tode  führende  Darmentzündung  durch 
die  übrigen  anaphylaktischen  Gifte  — so  z.  B.  auch  diirch  größere  Gaben  Pep- 
tons —  von  uns  und  anscheinend  auch  von  anderen  nicht  erhalten  worden  ist 
(vgl. aber  Schittenhelm  und  Weichardt  Münch. med.  Woch.  1910.34). 

Vergleicht  man  alle  diese  Angaben  über  anaphylaktische  Gifte 
miteinander,  so  bekommt  man  allerdings  den  Eindruck,  daß  es  auf 
verschiedene  Weise  gelingt,  aus  allen  möglichen,  auch  nicht  bakteriellen 
„Eiweißstoffen"  bzw.  verwickelt  gebauten  „Antigenen*'  durch  Verdauung, 
Fäulnis,  Seriim-(Komplement?)Einwirkimg  imd  chemische  Behand- 
lung Körper  zu  gewinnen,  die  eine  der  anaphylaktischen  wenigstens 
sehr  ähnUche  Vergiftimg  verursachen.  Rein  dargestellt  ist  bisher 
davon  nur  das  S  e  p  s  i  n  durch  Bergmann  und  Schmiede- 
b  e  r  g  (S.  810),  sowie  F  a  u  s  t  (S.  816).  Daß  es  in  jedem  Fall  und  allein 
in  Frage  käme,  wollen  wir  damit  aber  nicht  etwa  sagen.  Wir  können 
uns  ganz  gut  denken,  daß  verschiedene  Eiweißabkömmlinge 
die  gleichen    physiologischen    Eigenschaften    besitzen. 

Sehr  zweifelhaft  erscheint  es  uns  femer,  ob  sich  die  samtlichen, 
bisher  meist  auf  Endotoxine  zujrückgeführten  Vergiftungserscheinungen 
bei  Infektionskrankheiten,  wie  es  Vaughan,  Nicolle,  Frledberger 
u.a.  wollen,  durch  die  Wirkungen  des  „  Apotoxins"  oder  „  Anaphylatoxins 
erklären  lassen^).     Hin  und  wieder  wird  es  ja  in  Betracht  kommen. 

Daß  bei  seiner  Entstehung  Senimbestandteile,  vielleicht  anch 
das  sog.  Komplement  selbst,  eine  Rolle  spielen,  ist  wohl  sicher,  aber 
bisher  ist  es  kaum  zu  entscheiden,  durch  welche  Antikörper  diese  „Kom- 
plementbindung" vermittelt  wird,  namentlich  auch  nicht,  ob  die  ..Ana- 
phylaxine"mit  den  Präzipitinen,  Reaginen  oder  Lj^inen  völlig  zu  identifi- 
zieren sind  (vgl.  S.  1111).  Das  gleiche  gilt  von  der  Natur  der  Anaphylaxo- 
gene.  Ihre  wesentliche  Übereinstimmimg  mit  den  übrigen  Antigenen  in 
allen  äußeren  Eigenschaften,  z.  B.  was  Verhalten  gegen  Erhitzungund  Ver- 
dauung anlangt^),  ist  darum  doch  nicht  zu  leugnen,  beweist  ja  aber,  wie 
wir  bei  jenen  immer  wieder  gesehen,  nichts  für  die  wirkliche  Identität. 

Wir  begnügen  uns  mit  diesen  Bemerkungen  über  die  Anaphylaxogene 
bzw.  Anaphylaxie  und  verweisen  im  übrigen  auf  die  Literatur  (S.  1116 
Anm.  2),  die  zeigt,  daß  noch  viele  ungelöste  Widersprüche  vorliegen. 
Hier  nur  noch  einige  Bemerkimgen,  die  für  die  experimentelle  Behand- 
lung der  Frage  von  Bedeutung  sind.  Vor  allem  wichtig  ist  das  sehr  un- 
gleiche  Verhalten   der   einzelnen    Versuchstiere.     Am   besten   eignet   sicli 

1)  Fieber,  das  nach  Friedberger  durch  kleine  Gaben  Anaphyla- 
toxins erzeugt  werden  soll,  haben  wir  z.  B.  nicht  beobachtet. 

2)  Vgl.  dazu  namentlich  bei  D  ö  r  r  a.  a.  O.  (1910).  Nur  die  Impfjrifte 
(der  Diphtherie,  dee  Tetanus)  machen  eine  Ausnahme.  Nach  Dörr  wäre 
sie  nur  scheinbar,  insofern  die  wirklichen  Anaphylaxogene  den  Toxinen  mir 
beigemengt  wären.  Das  stimmt  aber  nicht  mit  Behrings  Angahe. 
daß  Antitoxinbeigabe   den  Eintritt   der  Überempfindliehkeit   verhindere. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1121 

zu  Anaphylaxieversuchen  anscheinend  das  Meerschweinchen.  Es  ist  schon 
durch  eiiunalige  ganz  winzige  Gaben  von  Eiweiß  u.  dgl.,  die  subkutan  ver- 
abreicht werden,  überempfindlich  zu  machen,  während  zur  Hervomifung 
des  anaphylaktischenVergiftungsbildeä,  d.  h.  zur  „Reinjektion*\  eine  sehr 
\*iel  (z.  B.  1000  mal)  größere  Gabe  —  am  besten  intravenös  zu  verabreichen  — 
nötig  ist.  Die  Bakterienanaphylaxie  verlangt  allerdings  gewöhnlich  eine 
wiederholte,  z.  B.  3 — 9  Tage  lange  Vorbehandliing  mit  abgetöteten  Leibern 
von  Extrakten,  bei  lebenden  Bakterien  reicht  aber  (nur,  wenn  sie  sich  im  Kör- 
per vorübergehend  vermehren  können?),  eine  einmalige  Infektion  aus 
(Bockmann).  Passive  Übertragung  des  anaphylaktischen  Zustandss  gelingt 
leicht  von  Meerschweinchen  auf  Meerschweinchen,  aber  auch  oft  von 
anderen  Tieren  auf  diese.  Das  Vergiftungsbild  besteht  in  starker  Auf- 
regimg,  Juckreiz,  Atemnot  mit  vertiefter  unterbrochener  Atmung,  Krämp- 
fen und  Tod  in  wenigen  Minuten  bis  Stunden.  Bei  leichteren  Vergiftungen 
haben  wir  den  von  H.  Pfeiffer  behaupteten  Temperatiirabfall  als  wich- 
tiges Merkmal  bestätigt.  Allerdings  muß  er  spätestens  in  einer  halben 
Stunde  eintreten  und  —  bei  schnellster  Ausführung  der  Operation  — 
mehr  als  2°  betragen.  Beim  Tode  findet  man  die  Lunge  mehr  oder  wenic^er 
in  Exsprrationsstelhmg  (Lungenblutung  durch  I^ampf  der  Bronchiolen, 
der  durch  Atropin  verhütet  werden  kann ;  A  u  e  r  und  Lewis,  Biedl 
und  Kraus).  Regelmäßig  besteht  eine  mehr  oder  weniger  ausgesprochene 
Kompl  ementverarmung  des  Blutes  (F  r  i  e  d  b  e  r  g  e  r).  Bei 
überempfindlichen  Tieren  beobachtet  man  die  Antanaphylaxio,  d.  h. 
das  Ausbleiben  der  Vergiftiuig  in  der  ersten  Zeit  —  unter  Umständen 
wochenlang  —  bei  einer  wiederholten  Prüfvmg  mit  Antigen. 

Kaninchen  sind  viel  weniger  brauchbar,  weil  sie  weniger  be- 
ständig und  nur  auf  größere  Gaben  und  schließlich  sogar  auch  nicht  spezi- 
fisch reagieren,  sich  schwerer  passiv  anaphylaktisch  machen  lassen,  sowie 
seltener  Antianaphylaxie  zeigen.  Die  Vergiftung  ist  sonst  eine  ähnliche. 
Hunde  bieten  dagegen  ein  ganz  anderes  Vergiftungsbild  dar :  sie  werden 
nach  einem  Stadiiun  der  Aufregung  mit  (oft  blutigem)  Brechen,  Abgang 
von  Kot  und  Urin,  schlaff,  fast  soporös,  sterben  aber  niemcds  in  diesem 
Zustand.  Dyspnoe  fehlt;  das  Blut  verliert  seine  Gerinnbarkeit  und  Leuko- 
zyten, wahrend  Bluttplättchen  und  Lymphozyten  reichlicher  auftreten. 
Als  hauptsächlichste  Ursache  der  Erscheinungen  ermittelten  Biedl  luid 
Kraus  eine  Blutdrucksenkung,  die  durch  Lähmung  der  periphe- 
rischen Gefäßzentren  (namentlich  der  Baucheingeweide)  erklärt  wird.  Chlor- 
barium soll  sie  verhüten.  A  r  t  h  u  s  schildert  die  anaphylaktische  Vergiftiuig 
ähnlich,  hält  sie  aber  für  nicht  spezifisch.  Die  sehr  ungleiche  Empfindlichkeit 
der  Hunde  erschwert  nach  imserer  Erfahrung  das  Arbeiten  mit  ihnen  sehr. 
Zu  praktischen  diagnostischen  Zwecken  läßt  sich  die  Bakterien- 
anaphylaxie, wenn  man  von  den  Tuberkulin-  und  Malleinreaktionen 
in  ihren  verschiedenen  Formen  (S.  1114)  absieht,  bisher  kaum  ver- 
wenden. Jedenfalls  steht  sie  hinter  der  Agglutination  (imd  Kom- 
plementbindung) vorläufig  noch  zurück  (vgl.  Ascoli^),  Bockmann 
a.  a.  0.).     Bei  der  Eiweiß anaphylaxie  liegen  die  Dinge  günstiger^). 

1)  Compt.  rend.  soc.  biol.  65.  611.   1908. 

2)  Uhlenhuth   und   Händel,    Zeitschr.    f.    Immunitätsforsch.  4. 


Kruse,  Mikrobiologie.  71 


1096  Kap.  XVII,  §  339  u.  340. 

chemischer  oder  physikalischer  Natur  sei.   Wir  entscheiden  uns  wegen 
der  Spezifizität  der  Bindung  für  die  erstere. 

Wie  Borde t  selbst  hervorhebt,  ist  der  Streit  insofern  müßig,  als  wir 
über  das  Zustandekommen  der  sogenannten  physikalischen  Absorption  nicht« 
Sicheres  wissen.  Allgemeines  Einverständnis  herrscht  auch  darüber,  daß 
sich  die  Antikörper  bzw.  Agglutinine  zum  großen  Teil  so  fest  an  die  Bak- 
terien binden,  daß  man  an  eine  chemische  Bindung  denken  muß.     Selbst 
Arrhenius*),    der    wie   Eisenberg*)    die    Aufnahme    der  Agglu- 
tinine  in   die   Bakterien   als   einen   „Verteilungsvorgang"   zwischen   zwei 
Lösungsmitteln     auffaßt,     welcher     vom     Guldberg-Waage  sehen 
Gesetz  des  chemischen  Gleichgewichts  beherrscht  sei  und  sich  in  eine  ein- 
fache mathematische  Formel')  fassen  lasse,  läßt  eine  nachträgliche 
chemische  Bindiuig   zu.     Von  vornherein  ist  auch  natürlich  keine  Ein- 
wendimg dagegen  zu  erheben,  daß  man  die  Erfahrungen  der  „Kolloid- 
chemie** auf  die  Beziehungen  der  Antigene  zu  den  Inununkörpem,  die 
beide  zu  den   Kolloiden  gehören,   anwendet^)   und  die  Niederschlagsbil- 
dungen der   Kolloide  mit  den  Agglutininen  und   Präzipitinen   der  Bak- 
terien und  Bakterienstoffe  vergleicht  (s.  u.  §  341).    Aber  gerade  die  B  i  n  - 
düng  der  letzteren  an  die  Agglutinine  und  übrigen  Immunkörper  hat  trotz 
einiger    Ähnlichkeiten    in    den    quantitativen    Verhältnissen    etwas    Be- 
sonderes   an    sich,    nämlich  die  Arteigentümlichkeit,  die  „Spezifizi- 
t  ä  t**.  Wir  erklären  sie  \ms  am  einfachsten  mit  bestinunten  chemischen 
Verwandtschaften    oder   wie   Ehrlich    es   macht,    durch   das 
Vorhandensein  von  haptophoren  (bindenden)  Gruppen.    Man  wird  dabei 
nach  den  früheren  Feststellungen  über  die  Trennbarkeit  der  Agglutinin- 
verbindimgen  (S.  1092)  mit  Joos*)  vermuten  dürfen,  daß  die  Verwandt- 
schaft der  zahlreichen  Bindegruppen  der  Bakterien  (S.  1094)  zu  den  Agglu- 
tininen teils  stärker,  teils  schwächer  ist,  gleichgültig  ob  man  sich  den  Be- 
hauptungen dieses  Forschers  über  die  Mitbeteiligung  anderer  Bestandteile 
(Salze)  an  der  Verbindung  anschließt  oder  nicht  (§  340).'  Der  Zukunft 
überlassen  bleiben  muß   es,   ob  es  gelingen  wird,  für  die  Agglutinogene 
ähnliche   „Spektren**   zu   entwerfen,   wie   es   Ehrlich   für   die  giftigen 
Antigene  getan  hat  ( §  264).   Dazu  wäre  vor  allem  ein  genaueres  Stu- 
dium   der    Bindekraft    der    gelösten    Agglutinogene 
(s.  o.  S.  1091),  und  um  sie  studieren  zu  können,  ihre   vollständige 
Gewinnung   aus    den   Bakterienleibern   nötig.    In  den 
Bouillonfiltraten,  selbst  aus  sehr  alten  Kulturen,  ebenso  wie  in  den  Leiber- 
extrakten gewinnt  man  immer  nur  einen  Teil  der  Agglutinogene  in  freiem 
Zustande*).     Die  alleinige  Prüfimg  auf  Agglutinierbarkeit  kann  allerdings 
Täuschungen  verursachen,  weil  diese,  z.  B.  durch  Erhitzung,  verloren  gehen, 
die  Bindekraft  erhalten  bleiben  kann  (§  341).     Man  wird  daher,  um  die 


1)  Zeitschr.  physikal.  Chem.  46,  1904. 

2)  Zentr.  Bakt.  34. 

3)  Einwendimgen  gegen  diese  Formel  s.  bei  N  e  i  ß  e  r  ,  Zentr.  Bakt. 
36,   1904. 

4)  Vgl.   S.  892  und  die  Lit.  daselbst. 

5)  Zeitschr.  f.  Hyg.   36  und  40. 

6)  Vgl.  Eisenberg  und  Volk  im  Gegensatz  zu  M  a  1  v  o  z  und 
N  i  c  o  1 1  e.     S.  die  ähnlichen  Verhältnisse  bei  den  An griffsst offen  S.  1029. 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1097 

Agglutinogene  in  Freiheit  zu  setzen,  nur  die  Methoden  anwenden  dürfen, 
\m  denen  die  Bakterienleiber  vollständig  und  ohne  Benutzung  von  Chemi- 
kalien oder  höherer  Temperatur  aufgelöst  werden.  Nebenbei  bemerkt 
würde  an  derartigen  I^ösungen  vielleicht  auch  die  Frage  entschieden  werden 
können,  ob  die  homologen  und  heterologen  Nebenagglutinine  (S.  1090/1) 
Seitenketten  an  demselben  Kern  sind  wie  die  Hauptagglutinine  oder 
besondere  Stoffe. 

§  340.  Veränderungen  des  BindungsvermSgens  der  Agglu- 
tinogene.  Das  Bindungsvermögen  der  Agglutinogene  scheint  im 
allgemeinen  gegen  künstliche  Eingriffe  eher  noch  widerstandsfähiger 
zu  sein  als  das  immunisierende  (vgl.  aber  S.  1058). 

So  gelang  es  Scheller  (S.  1086),  die  nach  Joos  Vorgang  her- 
gestellten a-  und  J-Agglutinine  sowohl  durch  unerhitzte  als  durch  erhitzte 
T3r^husbazillen  zu  absorbieren.  Gekochte  Bazillen  erwiesen  sich  sogar  mit 
stärkerem  Bindungsvermögen  begabt  als  die  anderen.  Letzteres  kann 
freilich  nicht  regelmäßig  sein,  denn  nach  Eisenberg  und  Volk 
schädigt  die  Erhitzung,  wenn  sie  über  58^  hinausgeht,  das  Bindungsver- 
mögen der  Typhusbazillen  (im  feuchten  Zustand)  in  ziemlich  gleicher  Weise, 
ob  sie  nun  65,100  oder  144°  erreicht^).  Aus  konzentriertem  Serum  wird  dann 
von  ihnen  kaum  die  Hälfte  der  Agglutininmenge  entzogen,  cds  wenn  sie 
anerhitzt  sind.  Bei  hohen  Serumverdünnungen  treten  die  Unterschiede 
zurück.  Behandlung  mit  verdünnter  Salzsäure  vernichtet  ebensowenig 
das  Agglutininbildungs-  wie  das  Bindungsvermögen.  Ähnliche  Versuche 
mit  gelösten  Agglutinogenen  fehlen,  abgesehen  von  den  schon  früher  er- 
wähnten de  R  o  8  s  i  s  *),  als  Ersatz  können  auch  nicht  die  mit  Präzipi- 
tinogenen  gemachten  Erfahrungen  dienen,  da  sie  im  wesentlichen  nur  die 
Fällbarkeit  oder  Löslichkeit  in  Alkohol  u.  dgl.  betreffen. 

Weit  größere  Unterschiede  im  Bindungsvermögen  ergeben  sich 
beim  Vergleich  verschiedener  Stämme  einer  und  deselben  Bakterien- 
art, mögen  sie  natürliche  oder  künstliche  Abarten  sein.  Das  hat  sich 
z.  B.  bei  Typhus-,  Paratyphus-,  Cholera-,  Dysenterie-  und  Pseudo- 
dysenteriebazillen  gezeigt.  Die  Versuche,  feste  Beziehungen  zwischen 
der  immunisierenden  und  bindenden  Fähigkeit  oder  auch  der  Virulenz 
der  einzelnen  Stämme  aufzustellen,  sind,  wie  wir  schon  früher  sahen 
(S.  1058,  1090),  zum  großen  Teil  gescheitert.  Wenn  man  überhaupt  von 
einer  Regel   sprechen  darf,   so   hat   sie   jedenfalls   viele   Ausnahmen. 

So  wird  man  sich  auch  nicht  wundem  können,  wenn  gelegentlich') 
das  früher  von  ims  aufgestellte  Gesetz  (S.  1091),  nach  dem  im  Castel- 


1)  Bei  den  von  de  Rossi  (s.  o.  S.  1089)  studierten  Heubazillen 
wird  das  Agglutininbindungs-  tmd  Bildungsvermögen  schon  bei  62°  zum 
größten  Teil  zerstört  (Zentr.  Bakt.  40.  702,   1906). 

2)  Vgl.  Anm.   1. 

3)  Posselt  luid  Sagasser,  Wien.  klin.  Woch.  1903 ;  Z  u  p  - 
n  i  k  und  P  o  s  n  e  r  ,  Prag.  med.  Woch.  1903;  H  e  t  s  c  h  und  L  e  n  t  z  , 
Festschrift  für  Koch,  1904. 


1098  Kap.  XWI,  §  340  u.  341. 

1  a  n  i  sehen  Versuch  die  sämth'chen  Aggkitinine  durch  den  Stemm,  dor 
sie  erzeugt  hat,  abgesättigt  werden,  durchbrochen  wird  und  z.  B.  du* 
(heterologen)  Nebenagghitinine  dabei  nicht  verschwinden.  Man  winl 
unter  diesen  Umständen  hier  wie  im  Falle  der  Toxine  (§  279)  und 
Aggressine  (§  327)  den  immunkörperbindenden  und  immunisierenden 
Bestandteil  des  Agglutinogens  nicht  einfach  identifizieren  dürfen, 
sondern  in  der  früher  angegebenen  Weise  zu  Hilfsvorstellungen  greifen 
müssen. 

§  341.  Agglutinierbarkeit.  Mit  dem  Aggiutininbildung?-  und 
-bindungsvermögen  sind  aber  noch  nicht  alle  Eigenschaften  der  Agglu- 
tinogene  erschöpft,  denn  aus  ihnen  folgt  noch  nicht  ohne  weiteres  die 
Fähigkeit  der  Bakterien,  durch  die  Agglutinine  zu  „verkleben",  zu 
„verklumpen",  „axiszuflocken",  ihre  Agglutinierbarkeit.  Die 
letztere  Eigenschaft  ist  vielmehr  in  weitem  Maße  unabhängig  von  den 
ersteren. 

Nachgewierfen  wiu'do  das  zuerst  diurch  E  i  s  e  n  b  e  r  g  und  Volk» 
die  beobachteten,  daß  (feuchte)  Typhusbazillen  nach  halbstündigem  Er- 
hitzen auf  58°  normale  Bindungs-  und  Agglutinationsverhältnis^e,  aber  nach 
Anwendimg  höherer  Temperaturen,  insbesondere  von  100**,  nur  noch  Spuren, 
nach  solchen  von  144°  überhaupt  keine  Agglutinierbarkeit  mehr  zeigen, 
während  ihr  Bindungs  vermögen  durch  Temperaturen  über  58°  gleichmäßig 
und  lange  nicht  in  dem  selben  Grade  geschädigt  wird.  Bei  Gliolera- 
bazillen  wurde  freilich  selbst  diu'ch  Erhitzung  auf  170°  weder  Bindungowert 
noch  Agglutinierbarkeit  erheblich  herabgesetzt^),  dagegen  büßten  sie  die 
letztere  zum  größten  Teil  —  die  Typhusbazillen  vollständig  —  ein,  wenn 
sie  in  0,4 — 10  prozentiger  Salzsäure  eine  Stinide  bei  37°  gehalten  luid 
durch  nachher  vorgenommene  Neutralisierung  von  einer  weitergehenden 
Säurewirkung  geschützt  wurden*). 

Eisenberg  und  Friedberger  unterscheiden  daher  am 
Agglutinogen  eine  ,, bindende"  und  „fällbare"  Gruppe  („agglutinier- 
bare  Substanz"),  und  schreiben  der  letzteren  eine  geringere,  aber  je 


1)  Porges  (Zeitöclir.  f.  exper.  Path.  1,  1905)  fand  dagegen,  daß 
Typhus-  \md  Cliolcrabazillen  zwischen  65°  imd  90°  ihre  Agglutinierbarkeit 
verlieren,  sie  aber  bei  100 — 144°  wiedergewinnen.  Ein  hemmender  Stoff 
(Nuklein?),  dessen  Einwirkung  durch  konzentrierte  Kochsalzlösung  be- 
hoben werden  kann,  soll  daran  scliuld  sein;  vgl.  übrigens  die  ähnlichen 
Verhältnisse  bei  der  Verdaulichkeit   §   10. 

2)  Wassermann  (Zeitschr.  f.  Hyg.  42)  bestätigt  diesen  Befund. 
Xach  Weil  liegt  das  Optimum  der  Agglutinierbarkeit  für  Typhusbazillen 
bei  52 — 55°,  bei  65°  wird  sie  aufgehoben.  Außer  Cholerabazillen  vertragen 
auch  Stapliylokokken  selbst  das  Erhitzen  auf  100°  (Zentr.  Bakt.  36  n. 
37).  Vgl.  auch  de  Rossis  Heubazillen  S.  1089.  Bei  diesen  besteht  ein 
gewisser  Zusammenhang  zwischen  Agglutinierbarkeit  und  dem  Zustand 
der  Geißeln.  Daß  die  («eißeln  selbst  bei  der  Agglutination  imverändert 
bleiben,  zeigten  d  e  R  o  a  s  i  (Zentr.  Bakt.  36.  689)  und  Hinterberger 
(ebenda  45). 


Angriffs-,  Reiz-  und  Impfstoffe.  1099 

nach  der  Bakterienart  wechselnde  Widerstandsfähigkeit  gegen  schäd- 
liche Einflüsse  zu^). 

Angeregt  wurden  die  beiden  Forscher  zu  diesen  Untersuchungen  durch 
Angaben  von  W  i  d  a  1  und  Sicard,  van  de  Velde,  Malvoz 
und  N  i  c  o  1 1  e  über  das  Ausbleiben  der  Agglutination  bei  Bakterien,  die 
durch  Hitze  oder  Aufenthalt  in  älteren  Kulturen  verändert  waren.  Letzteres 
konnten  Eisenberg  und  Volk  zwar  nicht  bestätigen,  es  kann  aber 
doch  wohl  in  anderen  Fällen  zu  recht  bestehen. 

Kälte,  Formalin,  Sublimat,  Cliloroform,  Thymol  u.  a.  m.  sind  nach 
den  oben  genannten  Forschem  ohne  Einfluß  auf  die  agglutinierbare  Sub- 
stanz. Jedoch  hat  S  e  1 1  e  r  in  meinem  Laboratoriiun  gefunden,  daß 
Formalinzusatz  zu  Typhusbazillenkulturen  —  in  Form  des  Ficker  sehen 
„Typhusdiagnostikums*^  —  doch  deren  Agglutinierbarkeit  in  gewissem 
Gr€ide  beeinträchtigt.  In  konzentrierton  Gaben  und  bei  längerer  Ein- 
wirkung werden  wohl  alle  Antiseptika  die  agglutinierbare  Substanz  nicht 
unberührt  lassen.  Daß  der  Alkohol  sogar  die  immunisierende  Fähigkeit  der 
Ap^hitinogene  unter  diesen  Umständen  zerstört,  haben  wir  schon  früher 
mitgeteilt  (S.  1088).  Nach  Nie  olle  soll  allerdings  Alkohol  und  Äther 
die  „substance  agglutinöe"  nicht  schädigen,  aber  er  arbeitete  in  der  Weise, 
daß  er  trockene  Bakterien  mit  diesem  Stoffe  2  Tage  lang  auszog  und 
den  eingedunsteten  Extrakt  in  Bouillon  aufgelöst  mit  agglutinierendem 
Serum  versetzte  \md  auf  Niederschlagsbildung  prüfte.  Die  letztere  kann 
übrigens  nur  dann  auf  das  Vorhandensein  agglutinierbarer  Substanz  bezogen 
werden,  wenn  man  diese  der  ,,präzitierbaren"  Substanz  gleichsetzt.  Vieles 
spricht  allerdings  dafür  (s.  u.  §.  342).  Auch  nach  Pick,  Kraus  und 
V.  Pirquet  enthält  die  präzipitierbare  Substanz  alkohollösliche  Be- 
standteile. 

Vieldeutig  erscheint  zunächst  die  von  B  o  r  d  e  t  ^)  zuerst  fest- 
gestellte imd  dann  von  Nolf,  Joes,  Friedberger''),  Eisen- 
berg imd  Volk,  Porges*)  studierte  Einwirkung  der  Salze  und 
anderer  kristallisierbarer  Körper  (wie  Zucker,  Leuzin) 
auf  die  Agglutination.  Völliger  Mangel  derartiger  Stoffe  in  der 
Aufschwemmung  verhindert  sie,  Zusatz  selbst  kleiner  Mengen  ruft  sie 
wieder  hervor,  höhere  Konzentrationen  hemmen  oder  verhindern  sie  eben- 
falls, ohne  daß  aber  eine  nachträgliche  Verdünnung  die  Hemmung  be- 
seitigte. Man  hat  sich  diese  Wirkungen  verschieden  erklärt.  Nach  Joes 
und  Po  r  g  e  s  ist  eine  gewisse  Menge  Salz  insofern  nötig  zur  Agglutination, 


1)  Agglutinogene  ohne  agglutinierbare  Gruppe  würde  man  am  besten 
Agglutinogenoid  nennen,  wenn  dew  Wort  nicht  zu  fürchterlich  klänge. 
Agglutinoid,  das  Kraus  vorschlägt,  ist  schon  vergeben  an  die  Abart 
des  Agglutinins,  die  eine  bindende,  aber  keine  agglutinierende  Grvij)]'>e 
besitzt.  Bine  weitere  Verwicklung  besteht  darin,  daß  die  bindenden  Be- 
standteile der  Agglutinogene,  wie  wir  oben  gesellen,  nicht  völlig  zusammon- 
fallen  mit  den  agglutinininerzeugenden.  Wir  haben  hier  wieder  in  ge- 
wissem Sinne  ähnliche  Verhältnisse  wie  bei  den  Agressinen  bzw.  Lysino- 
genen  (§  327). 

2)  Annal.  Pastem-  1899. 

3)  Zentr.   Bakt.   30,   1901. 

4)  Ebenda  40,   1903. 


1 1 26  Kap.  XVIII,   §  345. 

im  Tierblut  ganz  anders  aus  wie  in  Bouillon;  hier  wachsen  lange  Fäden 
ohne   Scheide,   dort  kurze   Stäbchenketten  mit  Kapseln;   der  Essig- 
bazillus bildet  üppige  Decken  auf  saurem  Bier  mit  zahlreichen  wunder- 
samen Involutionsformen,  in  unseren  künstlichen  Nährböden  gedeiht 
er  dagegen  spärlich  imd  meist  als  kurzes  Stäbchen;  der  Prodigiosus 
entwickelt  bei  37**  keinen   oder  sehr  wenig  Farbstoff,    bei   mittleren 
Temperaturen  seine  prächtigen  scharlachroten  Käsen.    Es  sind  dies 
die     Standorts-    oder     Ernährungsmodifikationen 
NägeliSjdie  zwar  auch  bei  den  Mikroben  regelmäßig  dem  ursprüng- 
lichen Typus  weichen,  wenn  die  Übertragung  in  die  passenden  Lebens- 
bedingungen rechtzeitig  erfolgt,  die  aber  bei  fortgesetzter  Züchtung 
unter  den  veränderten  Bedingungen  dauerhaft  werden  können.    So 
verliert  der  Milzbrandbazillus  häufig  genug  durch  künstliche  Kultur 
die  Fähigkeit,  in  charakteristischer  Weise  oder  überhaupt  im  Tier- 
körper zu 'wachsen,  d.  h.  er  wird  weniger  virulent,  so  büßt  der  Prodi- 
giosus  bei   37°  schließlich   sein   Pigmentierungsvermögen   völlig  ein. 
Man  kann  hier  zwei  Arten  von  Einwirkungen  imterscheiden.    Sind  die 
neuen  Lebensbedingungen  der  Entwicklung  der  Keime  an  sich  nicht 
ungünstig,  so  vollzieht  sich  allmählich  eine  Anpassung  an  die- 
selben,  die   unter  Umständen,  aber  nicht  immer  eine  Rückkehr  zur 
alten  Lebensweise  erschwert  oder  unmöglich  macht.    So  gewinnt  der 
virulente  Pneimiokokkus  durch  Züchtung  in  künstlichen  Nährböden 
in    seiner    Wachstumskraft     auch     dann,     wenn     er    seine 
Infektiosität   verliert.     So   verstärkt   der   menschenpathogene 
Streptokokkus  durch  fortgesetzte  Übertragung  auf  Mäuse  zwar  seine 
Virulenz  für  diese  und  oft  auch  für  andere  Tierarten,  verliert 
aber  seine  Lifektiosität  für  den  Menschen.    Wirken  umgekehrt 
die  neuen  Lebensbedingungen  wachstumshemmend  oder  offensichtlich 
schädigend,  so  spielt  bei  der  Abänderung  die  Entartung  des 
Protoplasmas  wieder  eine  Rolle.  Daß  dem  wirklich  so  ist,  dafür 
sprechen  außer  dem  ammittelbaren  Augenschein  auch  die  Erfahrungen, 
die  z.  B.  beim  Milzbrandbazillus  bei  Züchtung  in  höheren  Tempera- 
turen gemacht  worden  sind  (s.  u.  Dieudonne   §  352).    Je  nach- 
dem man  die  höheren  Temperaturen  allmählich  oder  plötzlich  ein- 
wirken läßt,  erhält  man  Entartung  mit  Virulenzabschwächimg  oder  An- 
passung ohne  Abschwächung. 

Wir  kommen  damit  auf  die  absichtliche  Hervorrufung  von  Ab- 
änderungen durch  Einwirkung  schädlicher  Einflüsse, 
wie  hohe  Temperaturen,  der  trockene  Zustand,  desinfizierende  Mittel 
sie  ausüben.  Seitdem  namentlich  P  a  s  t  e  u  r  dieses  Verfahren  an- 
gewandt hat,  um  Virulenzabschwächung  zu  bewirken,  hat  man  es 
vielfach  benutzt,  um  den  Verlust  dieser  oder  jener  Eigenschaft  bei 


Veränderlichkeit  der  Klein wesen.  1127 

Kieinwesen  künstlich  herbeizuführen.  Bald  handelt  es  sich  um  kurz- 
daaernde  Einwirkung  stärkerer  oder  länger  dauernde  schwächerer 
Mittel.  Der  Erfolg  —  auch  was  die  Beständigkeit  der  Umwandlung 
anlangt  —  ist  je  nach  der  Art  der  Klein wesen  imd  der  betreffenden 
Eigenschaften  sehr  imgleich.  Am  leichtesten  ist  auf  diese  Weise  an- 
scheinend die  Virulenz  zu  beeinflussen.  Selbst  Sporen  verfallen  der 
Abänderung,  wenn  sie  auch  naturgemäß  widerstandsfähiger  sind  als 
vegetative  Formen. 

Man  muß  es  sich  deswegen  zur  Regel  machen,  da,  wo  man  mit  schwachen 
Mitt-eln  auszukommen  sucht,  die  Kulturen  so  häufig  überzuimpfen,  daß 
überhaupt  keine  Sporen  gebildet  werden.  Bei  Pasteurs  Abschwächiuigs- 
methode  für  Milzbrand  (bei  42 — 43")  wird  deshalb  täglich  auf  neue  Bouillon 
übertragen.  Umgekehrt  ist  die  Überimpfung  auf  S0°  erhitzten,  d.  h.  nur 
fiporenhaltigen  Materials  ein  gutes  Verfahren,  um  die  Beständigkeit  der 
Merkmale  in  künstlichen  Kulturen  von  Anaerobiern  zu  gewährleisten, 
weil  die  Sporen  zu  Abänderungen  durch  den  Einfluß  der  eigenen  Stoff - 
Wechselprodukte  weniger  neigen  (Bredemann  s.  u.). 

Manchmal  wird  ein  Erfolg  der  Behandlung  mit  schädigenden  Mitteln, 
ebenso  wie  bei  der  Verwendung  alter  Kulturen  nur  dadurch  vorgetäuscht, 
daß  die  Schädlichkeit  die  Zahl  der  lebenden  Keime  und  dadurch  deren 
Leistung  herabsetzt  oder  aber  nur  die  individuellen  Fähigkeiten  beeinträch- 
tigt. Die  Prüfung  des  auf  passenden  Nährboden  übertragenen  Materials 
zeigt  dann,  daß  die  Abänderung  überhaupt  nicht  vererbt  wird.  Ob  das 
eine  oder  andere  geschieht,  ob  die  Vererbung  nur  für  wenige  oder  viele 
(ienerationen  gilt,  immer  hat  man  ein  Recht,  die  Abänderung  als  eine  mehr 
oder  weniger  tiefgreifende  Entartung  aufzufassen.  Ausnahmsweise  wird 
freilich  nach  Einwirkung  einer  Schädlichkeit  die  Eigenschaft,  die  man  zu 
beeinflussen  sucht,  nicht  abgeschwächt,  sondern  verstärkt.  Einige  der- 
artige Fälle,  die  die  Virulenz  betreffen,  haben  wir  schon  S.  1086  erwähnt, 
und  die  Erklärung  darin  gefunden,  daß  gelegentlich  Wider- 
standskraft gegen  äußere  Schädlichkeiten  und  das 
Angriffsvermögen  im  Tierkörper  miteinander  pa- 
rallel gehen.  Durch  die  Erhitzvmg,  Trocknung  u.  dgl.  werden  also  nur 
die  weniger  tüchtigen  Individuen  ausgeschaltet,  die  tüchtigen  aber  nicht 
geschädigt.  Die  Entartung  bleibt  ebenfalls  aus,  wenn,  wie  in  den  obigen 
Beispielen  beim  Milzbrand  die  schädigenden  Einflüsse  so  allmählich 
zur  Wirksamkeit  gelangen,  daß  die  Mikroben  sich  ihnen  anzupassen  lernen. 

Den  Entartungsformen  stehen  jedenfalls  sehr  nahe  diejenigen 
morphologischen  Veränderungen,  die  man  seit  lange  als  „Involutions- 
formen'* zu  bezeichnen  pflegt,  mit  M  a  a  ß  e  n  aber  auch  als  „terato- 
logische  Wuchsformen"  bezeichnen  könnte.  Auf  die  Bedingungen 
ihrer  Entstehung  und  ihrer  Vererbungsfähigkeit  kommen  wir  gleich 
zurück. 

Welche  der  hier  besprochenen  durch  den  Versuch  im  Ijabora- 
torium  nachgewiesenen  Möglichkeiten  die  Abänderung  unter  natür- 
lichen    Bedingimgen,     die     Bildung    natürlicher    Varie- 


1128  Kap.  XVIII,  §  545  u-  346. 

täten  (§357)  herbeiführen,  muß  dahingestellt  bleiben.  Selbstverständlich 
kommen  hier  auch  die  freiwilligen  Abänderungen  (s.  o.)  in  Betracht. 
Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  daß  für  die  Entstehimg  der  Abarten  und 
Arten  bei  den  Mikroben  der  Einfluß  der  Isolierung  eine  ähnliche 
Bedeutung  hat  wie  bei  den  höheren  Organismen  (s.  u.). 

Im  folgenden  sollen  die  Abänderungen  besprochen  werden,  welche 
die  einzelnen  Eigenschaften  der  Mikroben  erfahren^).  Wir  können 
dabei  freilich  nicht  a  1 1  e  in  der  Literatur  niedergelegten  Beobachtungen 
berücksichtigen,  weil  sie  oft  nicht  genügend  gesichert  sind.  Das  betrifft 
namentlich  die  Angaben  über  Umzüchtungen  von  bestimmten  patho- 
genen  Bakterien  (Typhus,  Milzbrand)  in  bestimmte  nichtpathogene 
(Coli,  Heubazillen)  und  umgekehrt.  Wenn  sie  früher  am  einfachsten 
durch  mangelhafte  Technik  zu  erklären  waren,  so  hat  sich 
im  Lauf  der  Zeit  herausgestellt,  daß  selbst  das  lange  für  un- 
fehlbar gehaltene  Plattenverfahren  nicht  dieses 
unbedingte  Vertrauen  verdient,  weil  es  nicht  immer  die 
Trennung  der  Keime,  die  Reinkultur  gewährleistet.  Wohl  in  jedem 
Laboratorium  sind  derartige  Beobachtungen  gemacht  worden,  die 
dafür  sprechen,  daß  namentlich  die  Kolonien  der  ersten  Platten- 
generation noch  zum  Teil  Mischkolonien  sein  können.  Die  Be- 
nutzung sogenannterelektiver  Nährböden  scheint 
die  Entstehung  solcher  zu  begünstigen. 

So  ist   es  ganz  gewöhnlich,   daß   Diphtheriebazillen,  die 
von  Ixifflersenimplatten  isoliert  werden,  sich  naeht<räglich  —  aber  durch- 
aus nicht  stets  schon  bei  der  zweiten  oder  dritten  Übertragung  —  mit 
Strepto-   oder   Pneumokokken  vermengt   zeigen.     Überall  da,    wo  das  zu 
untersuchende   Material    eine   schlecht   wachsende   Bakterienart  in  über- 
wiegender Menge  neben  einer  gutwachsenden  Art  enthält,  sind  die  Rein- 
kulturen der  letzteren  verdächtig,  mit  den  ersteren  verunreinigt  zu  sein. 
Unseres  Erachtens  hat  das  Übersehen  dieser  Tatsachen  so  lange  die  scharfe 
Trennung   der    H  ü  p  p  e  sehen     Milchsäurebakterien,   die  der 
Aerogenesgruppe  angehören,  von  den  echten  Milchsäurekeimen,  die  Strepto- 
kokken sind  (S.  285  ff.),  gehindert.    Auf  ebensolche  Beimischungen  zurück- 
zuführen ist  aller  Wahrscheinlichkeit  nach  die  „Umzüchtung"  des  B  a  e. 
alcaligenesin  Typhusbazillen,  die  Altschüler  *)  und  D  ö  b  o  r  t ') 
bewerkjtelligt  haben  wollen  (Berghaus*),   Conradi*),  Boit*), 


1)  Vgl.  Kruse  ,, Variabilität"  in  F  1  ü  g  g  e  s  Mikroorganism.  3.  Aufl. 
1.  475,  1896.  Auch  E.  Gotschlich  in  Kolle-Wassermanns 
Handb.   1.   123,  1903  imd  Erg.-Bd.  2.  22,  1907. 

2)  Münch.  med.  Woch.   1904.  20. 

3)  Arch.  f.  Hyg.   52,   1905. 

4)  Hyg.  Rundschau  1905.   15  imd  23. 

5)  Münch.  med.  Woch.   1905.   38. 

6)  Einf.  11.   sich.   Identifik.   der  Typhusbaz.     Jena   1905. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1129 

Trommsdorf*),  Terburgh*),  G  a  e  t  h  g  en  3  •)).  Ebenso  ist 
die  Überführung  des  Dysenteriebazillus  in  den  Pseudodysenteriebazillus 
durch  S  h  i  g  a  *)  zu  beurteilen  (L  e  n  t  z  *) ,  Kruse).  Für  mich  besteht 
kein  Zweifel»  daß  auch  die  merkwürdigen  Angaben  Dunbars*)  über 
Züchtung  von  allen  möglichen  Bakterien  und  Pil- 
zen aus  grünen  Algen  auf  ähnlichen  Fehlerquellen  beruhen,  ob- 
wohl der  Verfasser  sich  viele  Mühe  gegeben  hat,  solche  auszuschalten. 
So  sehr  ich  überzeugt  bin,  daß  wir  in  der  Mikrobiologie  noch  manche  Über- 
raschimgen  erleben  werden,  so  sehr  muß  doch  verlangt  werden,  daß  so 
umstürzende  Neuenuigen  besser  gegen  die  Kritik  geschützt  werden,  ehe 
sie  den  Anspruch  erheben  dürfen,  als  Entdeckungen  anerkannt  zu  werden. 
Was  die  Variabilität  der  Buttersäure-  bzw.  Hauschbrandbazillen 
angeht,  so  ist  das  letzte  Wort  über  den  Grad  derselben  noch  nicht  ge- 
sprochen. Während  Graßberger  und  Schattenfroh  (und  auch 
Bredemann)  an  diesen  Bakterien  die  bedeutendsten  morphologischen 
und  physiologischen  Abänderungen  vor  sich  gehen  lassen,  ist  v.  H  i  b  1  e  r 
nicht  geneigt,  so  weit  zu  gehen,  sondern  erklärt  sie  mindestens  zum  Teil 
durch  Versuchsfehler,  d.  h.  durch  Verunreinigungen  des  Ausgangsmaterials 
mit  fremden  Anaeroben  (§  113). 

§  346.  Form  und  Größe.  Allgemein  anerkannt  ist  heutzutage, 
daß  Größe  und  Form  der  Mikrobien  nicht  unerheblichen  Abweichungen 
unterliegen,  die  teils  als  „individuelle"  unter  den  gewöhnlichen  Be- 
dingungen erscheinen,  teils  als  „Emährungsmodifikationen"  oder 
„Entartungsformen"  bei  Veränderungen  der  äußeren  Lebensbedingun- 
gen auftreten  (s.  o.  §  345).  Ebenso  ist  bewiesen,  daß  in  nicht  wenigen 
Fällen  diese  Abänderungen  erblich  werden  können. 

So  haben  Kruse  und  Pansini')  Pneumoniekokken, 
die  vom  Tier  gewonnen  in  Form  lanzettförmiger  Kokken  wuchsen,  durch 
mehr  als  100  Übertragungen  auf  künstliche  Nährboden 
in  Streptokokken  umgewandelt,  die  sich  von  Eiterstreptokokken  morpho- 
logisch nicht  unterscheiden  ließen  und  diesen  Charakter  bewahrten.  Andere 
Male  gelangten  sie  schon  viel  früher  zu  demselben  Ergebnis,  in  einigen 
Fällen  blieben  die  Versuche  vergeblich,  oder  die  erhaltenen  Abänderungen 
waren  nicht  beständig.  Bei  dieser  Gelegenheit  trat  die  Wahrheit  des  Satzes, 
daß  die  Neigung  zu  variieren  selbst  bei  Bakterien 
derselben  Art  außerordentlichen  Schwankungen 
unterliegt,  recht  deutlich  zutage.  Von  anderen  Abweichungen, 
z.  B.  dem  Auftreten  bazillärer  Formen,  sprechen  wir  hier  erst,  wenn  wir 
die  natürlichen  Abarten  der  Pneumoniekokken  und  anderer 
Mikroben  behandeln  (s.  u.  §  357).   Bei  pyogenen  Streptokokken 

1)  Münch.  med.  Woch.   1905.  35. 

2)  Zentr.  Bakt.  40,   1905. 

3)  Arch.  f.  Hyg.   62. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.   41. 

5)  Ebenda  43,   1903. 

6)  Zur  Frage  der  Stelhmg  der  Bakterien,  Hefen  und  Schimmelpilze 
im  System   1907. 

7)  Zeitschr.  f.  Hyg.   11,   1891. 


1130  Kap.  XVin,   §  346. 

kommen  auch  manchmal  Abänderungen  vor  (Pasquale  *)).  Neuer- 
dings behauptet  sogar  Schereschewsky  •),  der  Streptococcus 
pyogenes  verwandele  sich  in  Blutnährböden  in  Pneiunokokken  (  ?).  Was 
sporenbildende  Bakterien  anlangt,  so  ist  bekannt,  daß  freiwillig  und  nament- 
lich nach  Pasteurs  Methode  abgeschwächte  Milzbrandbazil- 
len auch  in  ihrem  äuJßeren  Ansehen  von  virulenten  Bazillen  abzuweichen 
pflegen.  Selbst  Sporen  unterliegen,  wenn  auch  lemgsamer,  schädigenden 
Einflüssen.  So  sah  Scagliosi  ')  Milzbrandsporen  nach  10  Jahre  langer 
Aufbewahrung  in  trockenem  Zudtcmde  nur  künmaerlich  und  nicht  mehr 
in  Fäden  wachsen. 

Viel  größer  als  die  Veränderlichkeit  der  aeroben  scheint  die  der  streng 
anaeroben  Sporenbildner,  insbesondere  aus  der  Gruppe  der  Butter- 
säurebakterien  zu  sein.  Graßberger  und  Schatten- 
froh  stellten,  wie  wir  schon  sahen  ( §  113),  zwei  Typen,  die  des  beweglichen 
mit  schlanken  und  des  unbeweglichen  Buttersäurebazillus  mit  pliunpen 
Formen  auf,  die  sich  mehr  oder  weniger  schwer  ineinander  überführen 
lassen.  Dasselbe  wie  für  die  nichtpathogenon  gilt  für  die  pathogenen 
Anaerobier,  die  Rauschbrand-,  Gasbrand-  und  vielleicht 
auch  für  die  Tetanusbazillen  (s.  u.  Sporen  §  347).  Sehr  merk- 
würdig ist  die  Angabe  mehrerer  Forscher,  vor  allem  Bredemanns, 
daß  der  Bac.  amylobacter  unter  Bedingungen,  die  noch  nicht  vollständig 
festgestellt  sind,  kokkoide  Elemente,  „Mikrooidien",  bilde,  die 
sich  auch  in  vielen  anderen  Beziehungen  —  Sporenbildung,  Sauerstoff- 
bedürfnis, Gärvermögen  —  von  den  typischen  Buttersäurebazillen  unter- 
scheiden, luid  übrigens  viele  Generationen  hindurch  als  solche  fortpflanzen 
lassen  sollen  (S.  355). 

Unter  den  nicht  sporenbildenden  Bazillen  sind  es  die  „Pigmentbak- 
terien", der  Pyocyaneus  und  Prodigiosus,  deren  Veränderlicli- 
keit  am  frühesten  festgestellt  wurde  (§3).  Guignard  und  C h a r r i n  , 
Wasserzug,  Kubier  und  Verfasser  fanden  ziemlich  übereinstim- 
mend, daß  man  durch  wachstumshemmende  Zusätze  (Bor- 
säure, Kaliumbichromat,  Weinsäure  usw.)  die  Form  dieser  Bakterien  in  der 
Weise  verändern  kann,  daß  sie  statt  kurzer  lange,  oft  verdickte  imd  ge- 
wundene und  dadurch  spirillenähnliche  Stäbchen  und  Faden 
bilden.  Offenbar  ist  das  Ausbleiben  der  Teilungen  trotz  Fortschreiten? 
des  Wachstums  daran  schuld.  Diu*ch  systematische  Züchtimg  gelingt  es 
manchmal,  diese  Abänderungen  dauerhaft  zu  machen,  so  daß  sie  bei  l  ber- 
tragiingen  auf  die  üblichen  Nährböden  nicht  mehr  verschwinden.  Wahr- 
scheinlich sind  auch  manche  andere  Bakterien  in  ähnlicher  Weise  zu  be- 
einflussen. Mindestens  ist  das  Vorkommen  von  ähnlich  gebildeten  oder 
mehr  rundlich  oder  spindelartig  oder  auch  ganz  un- 
regelmäßig gestalteten,  z.  B.  gewoihartig  ver- 
zweigten ,,R  iesenformen"  bei  sehr  zahlreichen  Bazillen  und 
Spirillen,  gelegentlich  auch  bei  Kokken  (Streptokokken  s.  o.)  beobachtet 
worden,  zunächst  in  alten  Kulturen,  dann  bei  gewissen  Arten 
wie  den  Essigbakterien  bei  bestimmten  Temperaturen 
(Hansen)  oder,  wie  bei  Pest-,  Rotz-,  Diphtherie-,  Leucht-,  Meere*^- 
bakterien    auf    einzelnen  Nährböden.     Unter  dem  Namen  der 


1)  Zieglers  Beitr.   12.   499,   1892. 

2)  Zentr.  Bakt.   49.   72,   1909. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen..  1131 

unregelmäßigen       Bildungen,       I  n  v  o  1  u  t  i  o  n  b  f  o  r  m  en 
(X  ä  g  e  1  i)   oder   teralogischen  Wuchsformen   (Maaßen), 
der  Heteromorp  hosen,  haben  wir  sie  schon  früher  erwähnt  ( §  3) 
und  an  der  Hand  der  Arbeiten  von  Gamaleia,  Maaßen,  Haxn< 
m  er  1  ^)  u.  a.  den  maßgebenden  Einfluß  erörtert,  den  neben  der  Stammes- 
anli^e   der     Salzgehalt   der   Nährböden   auf   die   Entstehung 
derselben   ausübt.     Nur  M  a  a  ß  e  n  scheint   allerdings   auf  die  uns  hier 
wesentlich  interessierende  Frage  eingegangen  zu  sein,  ob  sich  diese 
Formen  vererben.    Er  verneint  das,  ja  kommt  imigekehrt  zu  dem 
Schluß,  daß  sich  eher  eine  Anpassung  an  den  salzhaltigen 
Nährboden    bemerkbar    mache,    indem    bei    fortge- 
setzter   Übertragung    die    Zahl    der    Riesenformen 
zurückgehe.     Auch   H  a  m  m  e  r  1   neigt  dazu,   weil   er   beobachtete, 
daß  aus  den  Kulturen  der  Cholerabazillon  die  kugeligen  Invohi- 
tionsformen,  die  sich  unter  dem  Einfluß  der  Salze  zuerst  massenhaft  gebildet 
hatten,  fast  vollständig  verschwanden  imd  normalen  Kommaformen  und 
Spirillen  Platz  machten.    Die  Verhandlungen  über  diese  Frage  sind  offen- 
bar noch  nicht  geschlossen.     Sicher  ist  eine  vererbbare  Veränderlichkeit 
nachgewiesen  für  die  Bakterien  der  Aerogenesgruppe,  nament- 
lich  durch   die  unter  meinen   Augen   ausgeführten  Untersuchungen   von 
Wilde  *).    Entsprechend  der  Wandlung,  welche  Kolonien-  und  Schleim- 
bildung bei  diesen  Bakterien  durchmachen   (s.   u.    §  351),  vollziehen  sich 
morphologische  Veränderungen  in  der  Weise,  daß  di  e  ursprünglich 
fast  kugligen,   plumpen  und   dicken  Stäbchen  kleiner 
und    schlanker   werden.     Schließlich   wird   die   Abänderung   be- 
ständig.   So  erklärt  es  sich  wohl,  daß  die  offenbar  lange  fortgezüchteten 
Stämme  dieser   Gruppe,   die  ich  in  meinem   Königaberger   Laboratorium 
vorfand,  bei  der  mikroskopischen  Prüfung  gar  keine  Ähnlichkeit  mit  dem 
ursprünglichen  Typus   zeigten,   sondern  durchaus   „Colibazillen"   glichen. 
Auch  bei  den  Ruhrbazillen,  die  ich   jahrelang  fortgezüchtet  habe, 
konnte  ich  hin  und  wieder  ähnliche  Veränderungen  beobachten.    Bei  der 
Coli-Typhusgruppe,    die   die   bewegliche  Formen  umfaßt,  liegen 
die  Verhältnisse  anscheinend  auch  nicht  viel  anders.    Wie  die  einzelnen 
Individuen  einer  und  derselben  Kultur  bald  plump,  bald  schlank  sind, 
so  gibt  es  Arten  und  Abarten,  die  vorwiegend  diese  oder  jene  Form  zeigen. 
B  a  r  b  er »)  hat,  wie  wir  schon  früher  erwähnt  (S.  1125),  für  TH^phus-  und 
Colibazillen  nachgewiesen,   daß  man  unmittelbar  durch  Aus- 
wahl   schlanker    Individuen    unter    dem    Mikroskop 
Rassen  mit  denselben  Eigenschaften  erhalten  kann. 
Über  Abänderungen  der  Pest-,   Diphtherie-  \md  Tuberkel- 
bazillen ^)  wird  bei  den  natürlichen  Varietäten  zu  reden  sein  (§  357). 
Die  letzteren  beiden  zeichnen  sich  zum  Teil  schon  in  den  gewöhnlichen 
Nährböden  durch   Verzweigungen   (s.    o.)   aus.     Daß   die   Neigung 
zu  Verzweigungen  in  gewissem  Grade  erblich  ist,  beobachtete  auch  L  e  - 


1)  Zentr.  Bakt.  41  imd  42,   1906. 

2)  Bonner  mediz.  Dissertation  1896. 

3)  Kansas  University  Science  Bull.  1907.  4,  ref.  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
23.  222. 

4)  Über  die  Verwandhmg  der  säurefesten  bazillären  Form  der  Tuber- 
kelbazillen in  die  gramfeste  kömige  s.  Much  S.   13. 


1 132  Kap.  XVIII,  §  346  u.  347. 

peschkin*)  bei  einem  „B&c.  Bereetnevi",  der  (^fenbar  einen  Über- 
gang zu  den  Strahlenpilzen  bildet.  Denn  die  Nachkommen  ver- 
zweigter Individuen  wiesen  viel  hävifiger  diese  Merkmale  auf,  als  die  von 
unverzweigten . 

Während  man  unmittelbar  nach  der  Entdeckung  des  Cholera- 
vibrio großen  Wert  auf  die  bestimmte  Form  und  Größe  desselben  legte 
und  glaubte,  ihn  schon  dadurch  von  ähnlichen  Vibrionen  trennen  zu  kön- 
nen, wies  zunächst  F  i  r  t  s  c  h  *)  am  Spirillum  Finkler-Prior 
(„Vibrio  Proteus")  nach,  daß  er  sich  in  morphologische  Ab- 
arten von  mehr  oder  minder  großer  Beständigkeit 
spalten  läßt.  Dasselbe  gelang  mir*)  beim  Choleravibrio.  Nacli 
längerem  Aufenthalt  in  Brunnenwasser  wurden  aus  ihm  zwei  dauerhafte 
Varietäten  herausgezüchtet,  von  denen  die  eine  regelmäßig  plumpe,  die 
andere  lange,  schlanke  Komm««  bildete.  Später  isolierte  ich  ähnliche 
Spielarten  aus  sehr  alten  Cholerakultiwen,  deren  Zurückfühnmg  auf  den 
alten  Typus  erst  mittelst  zahlreicher  Übertragungen  auf  Meerschweinchen 
glückte  (vgl.  Metschnikoff  *)).  Gewöhnlich  sind  die  atypischen 
Formen  weniger  beständig  (Friedrich*)). 

Aus  einer  Hefekultur  konnte  B  a  r  b  e  r  ebenso  wie  beim 
Typhus  (s.  o.)  durch  mikroskopische  Isolierung  eine  Abart  mit  pe- 
streckten Zellen  züchten.  Eine  ähnliche,  aber  nicht  dauerhafte 
Abänderung  hatte   Hansen  schon  früher  in  Gelatineplatten  beobachtet. 

Der  Polymorphismus  und  Generationswechsel 
vieler  Protozoen,  z.  B.  der  menschlichen  und  tierischen  Malaria- 
parasiten, gehört  nicht  zu  den  Veränderungen,  die  wir  hier  b^prechen 
wollen,  weil  er  nur  der  regelmäßigen  Entwicklung  dieser 
Parasiten  entspricht  (S.  1122).  Wohl  würde  aber  eine  Veränderlichkeit  in 
unserem  Sinne  vorliegen,  wenn  die  einzelnen  Arten  oder  Abarten  der  Ma- 
lariaerreger wirklich  imstande  wären,  ineinander  überzugehen. 
Das  ist  in  der  ersten  Zeit  nach  ihrer  Entdeckung  \ielfach  behauptet,  aber 
ebensooft  und  mit  guten  Gründen  bestritten  worden.  In  der  Tat  liegt  es 
näher,  die  betreffende  Tatsache  durch  Mischinfektion  z.  B.  mit  den  Tert-ian- 
und  Quartan-,  bzw.  Tropikaparasiten  zu  erklären.  Immerhin  gibt  es  Fälle, 
in  denen  diese  Deutung  recht  gezwimgen  erscheint*) 

§  347.  Sporen.  Zur  Sporenbildung  ist  außer  gewissen  äußeren 
Voraussetzungen,  wie  Temperatur,  Sauerstoffzutritt,  Erschöpfung  der 
Nährböden  usw.  (§  38),  noch  eine  innere  Anlage  des  Bakterienleibes 
bzw.  Pilzleibes  vonnöten,  die  nur  einer  beschränkten  Zahl  von  Arten 
zukommt.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  daß  alle  diejenigen 
Mittel,  die  geeignet  sind,  die  Entwicklung  von 
Sporen  zu  stören,  auch  zum  erblichen  Verlust 
des   Sporenbildungsvermögen-s  führen.    Rückschläge 


1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.  641,   1904. 

2)  Arch.  f.  Hyg.   8. 

3)  Kruse,  Zeitschr.  f.  Hyg.   17.   36. 

4)  Annal.   Pastetu*  1894.  5  und  8. 

5)  Arb.  K.   Gesundheitsamts  8. 

6)  Vgl.  z.  B.  A.  Plehn,  Deutsch,  med.  Woch.   1907.  30. 


Veränderlichkeit  der  Klein wesen.  1133 

sind  sehr  oft  möglich  und  lassen  sich  durch  die  umgekehrte  Behand- 
lung befördern. 

Den  Verlust  der  Sporen  bedingt  z.  B.  die  Züchtung  bei  zu 
hohen  (42®)  und  bei  zu  niederen  Temperaturen,  oft 
genügt  schon  andauernde  Kultur  in  Gelatinestich  oder  mit 
Zusätzen  von  wachstumshemmenden  Stoffen  (  Ka- 
liumbichromat,  Karbol,  Sublimat),  ja  schon  von  Glyzerin  und  Trau- 
benzucker in  der  üblichen  Menge  (Seit  er).  Die  Versuche  sind 
meist  am  Milzbrandbazillus  angestellt  worden  (Chamber- 
l  a  n  d  und  R  o  u  x  *),  R  o  u  x  *),  K.  B.  L  e  h  m  a  n  n  '),  Behring*), 
P  h  i  s  a  1  i  X  ")) ;  aber  auch  andere  Aerobier,  z.  B.  Heubazillen,  ver- 
fallen den  gleichen  Einflüssen  (Selter*),  Garbowski')),  während 
die  Verhältnisse  bei  Antwrobiem,  mindestens  was  die  Einwirkimg  der  letzt- 
genannten Nährstoffe  anlangt,  verwickelter  zu  liegen  scheinen').  Syste- 
matische Versuche,  den  Anaerobiem  das  Sporenbildiuigs vermögen  zu 
nehmen,  liegen  bisher  kaum  vor.  Man  kann  vorläufig  aber  doch  nach 
eigenen  und  fremden  Erfahrungen  sagen,  daß  auch  Anaerobier- 
stämme derselben  Art  oft  eine  recht  ungleiche  Nei- 
gung zur  Sporenbildung  zeigen,  d.  h.  das  Sporenbildungs- 
vermögen zum  Teil  oder  ganz  einbüßen  und  ebenso  wiedergewinnen 
können;  auch  über  die  Bedingungen,  unter  denen  das  eine  oder  andere  ge- 
schieht, haben  wir  einige,  freilich  nur  grob  empirische  Kenntnisse.  Nach 
Graßberger  und  Schattenfroh  (S.  353  u.  357)  gibt  es  „dena- 
turierbare"  Buttersäurebakterien,  d.  h.  solche,  die  namentlich  bei  Übertragung 
auf  feste  zuckerhaltige  Nährböden  neben  einer  Änderung  ihrer  Form 
(s.  o.  §  346),  neben  dem  Verlust  ihrer  Beweglichkeit  (§  348)  auch  einen 
Verlust  ihrer  Fähigkeit  zur  Sporenbildiing  erleiden,  und  andererseits  solche, 
die  nicht  denaturierbar  sind  („bewegliche  Buttorsäurebazillen").  Auf 
alkalischem  Stärkekleisteragar  gelang  es  ihnen'), 
den  „unbeweglichen  Buttersäurebazillus",  ebenso 
wie  Albrecht*®)  den  unbeweglichen  und  sporenlosen 
Oasphlegmonebazillus  wieder  zu  kräftiger  Ver- 
sporung  anzuregen.  Auch  reine  Eiweißnährböden  erwiesen  sich 
übrigens  dazu  als  brauchbar").  B  redemann**)  ist  der  Ansicht  (vgl. 
S.  355),  daß  die  Unterscheidung  zwischen  denaturierbaren  und  nicht  dena- 
turierbaren Buttersäurebazillen  nicht  aufrecht  zu  erhalten  ist,  weil  er  selbst 

1)  Compt.  rend.  ac.  sc.   96.    1090. 

2)  Annal.  Pasteur  1890. 

3)  Münchn.  med.  Woch.   1887.  25. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  6.   125  und  7.   181. 

5)  Bull,  m6d.   1892.  25. 

6)  Zentr.  Bakt.  37,  1904. 

7)  Ebenda  2.  Abt.  19  und  20. 

8)  Vgl.  über  die  Bedingungen  der  Sporenbildung  namentlich  v.  H  i  b  - 
1er,  Untersuchungen  über  pathogene  Anaeroben    1908.    S.    185  ff. 

9)  Arch.  f.  Hyg.  37. 

10)  Arch.  f.  klin.  Chir.  67,  1902. 

11)  Passini,  Wien.  klin.  Woch.   1906.  627;  Graßberger  und 
Schattenfroh,  Arch.  f.  Hyg.   60,   1907  imd  v.  H i b  1  e r  a.  a.   O. 

12)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  406. 


1134  Kap.  XVIII,  §  347  u.  348. 

Kulturen  des  „beweglichen  Buttersäurebazillus"  in  der  Hand  gehabt  hat, 
die  unbeweglich  wcuren  und  keine  Sporen  bildeten.  In  diesen  FäUen  glückte 
es  ihm,  auf  mit  Kreide  eingeriebenen  Kartoffeln  die 
Sporenbildung  wieder  hervorzurufen.  Auf  gewöhn- 
lichem Traubenzuckeragar  lassen  sich  dann  diese  wie  andere  Stamme 
leicht  weiterzüchten,  jedoch  nur  dann  mit  Erhaltung  des  Sporenbildungs- 
vermögen3,  wenn  man  die  Sporen  allein  überimpft, 
d.  h.  das  Impfmaterial  regelmäßig  vorher  5  Minuten  auf  80"  erhitzt  (S  1127). 
Mit  Hilfe  mikroskopischer  Auslese  ist  es  Barbar  (S.  1131) 
gelungen,  bei  Bac.  megatherium  eine  sporenlose  Abetrt  zu  züchten. 
Er  schließt  daraus  wohl  nicht  ganz  mit  Recht  auf  die  maßgebende  Be- 
deutung der  Mutation.  Auch  P  r  e  i  s  z  ')  isoliert«  aus  einer  und  der- 
selben Milzbrandkultur  neben  Bazillen,  die  leicht  Sporen  bildeten, 
solche,  die  es  nicht  taten. 

Wenn  die  Neigung  zur  Bildung  von  Sporen  variabel  ist,  so  ist 
die  Größe,  Stellung  und  Form  der  Sporen^),  die  Art  ihrer  Auskeimung^), 
ihre  Widerstandsfähigkeit  gegenüber  Schädlichkeiten*)  wahrscheinlich 
ebenso  veränderlich.  Dafür  sprechen  die  Schwankungen,  die  in  allen 
diesen  Beziehungen  bei  den  einzelnen  Individuen  derselben  Kultur 
beobachtet  werden,  sowie  die  Erfahrungen,  die  man  an  verschiedenen 
Stämmen  derselben  Art  gemacht  hat  (s.  u.  natürliche  Varietäten  §  357). 
Das  schließt  nicht  aus,  daß  die  Abweichungen  geringer  werden,  wenn 
man  die  Stämme  längere  Zeit  unter  gleichen  Bedingungen  züchtet 
und  dann  vergleicht,  wie  es  Bredemann  getan  hat. 

Daß  Sporen  bildende  Hefezellen  (Saccharomyces)  die  Fähig- 
keit, Sporen  zu  bilden,  dauernd  verlieren  können,  ist  eine  alte  Er- 
fahrung. So  erwähnt  Hansen^)  eine  Abart  des  S.  Pastorianus  I, 
die  schon  12  Jahre  lang  diese  Eigenschaft  beibehalten  habe.  Ja,  nach 
demselben  Forscher  läßt  sich  gerade  diese  Abänderung  sicherer  be- 
herrschen als  die  anderer  Eigenschaften. 

Die  genannte  Varietät  wurde  erhalten  durch  Züchtung  in  Bierwürze 
bei  einer  Temperatur,  die  höher  war  als  das  Tomperatunmaximum  für  die 
Sporenbildung.  Andere  ähnliche  Spielarten  entstanden  aber  anscheinend 
freiwillig  (S.  Ludwigii,  Marxianus*),  Schizosaccharomyces  octosporus^)), 
waren  allerdings  nicht  ebenso  beständig,  ließen  sich  z.  B.  in  sporen- 
bildende  zurückverwandeln  diu'ch  Übergang  von  Bierwürze  zu  Trauben- 
zuckernährböden oder  durch  trockene  Hitze,  die  die  vegetativen  Formen 
vernichtete  und  die  noch  vereinzelt  gebildete  Sporen  übrig  ließ. 

1)  Zentr.  Bakt.   35.  6. 

2)  Vgl.  hier  v.  Hibler,  Bredemann  a.  a.  O. 

3)  Ebenda  und  Caspari,  Arch.  f.  Hyg.  42,  1902. 

4)  Compt.  rend.  trav.  labor.  Carlsburg  511,   1900;   ref.  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.  7.  199. 

5)  Vgl.  Anm.  4. 

6)  S.  bei  Kl  ö  c  k  e  r  ,  Gärungsorganismen  1900,  S.   194. 

7)  B  e  i  j  e  r  i  n  c  k  ,   Zentr.   Bakt.    2.  Abt.    4.    637,    1898. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1135 

§  348.  Beweglichkeit.  Mehr  oder  minder  vollständiger  Ver- 
lust der  Beweglichkeit^)  wiid  nach  unseren  eigenen  Erfahrungen  gar 
nicht  selten  an  Laboratoriumskulturen,  z.  B.  von  Typhus,  Cholera 
beobachtet.  Besonders  berichten  über  unbewegliche  Stämme  des 
Micrococcus  agilis  und  der  Sarcina  mobilis  Lehmann  und  N  e  u  - 
mann,  des  Typhusbazillus  Stephens^),  des  Colibazillus  V i  1  - 
linger^)  imd  Bar  b  er  (S.  1131),  des  Choleravibrio  Bonhoff*). 
Teils  handelt  es  sich  um  Abänderungen,  die  offenbar  im  Laufe  der 
künstlichen  Züchtung  aus  den  älteren  Nährböden  aufgetreten  sind, 
teils  um  Entartungsformen,  die  durch  Kultur  in  karbolhaltiger  Bouil- 
lon bei  42°  (V  i  1 1  i  n  g  e  r)  erhalten,  teils  um  Rassen,  die  durch  mikro- 
skopische Auslese  (B  a  r  b  e  r)  gewonnen  wurden. 

Aber  auch  der  umgekehrte  Fall,  das  Auftreten  von  Beweglichkeit 
bei  sonst  unbeweglichen  Bakterien,  ist  beschrieben  worden.  Wir  können 
allerdings  vorläufig  noch  nicht  glauben,  daß  die  auffallende  Behaup- 
tung von  A.  M  e  y  e  r  ^)  und  Ellis®),  alle  Kokken  und  Ba- 
zillen seien  mit  Geißeln  ausgestattet  und  beweg- 
lich, den  Tatsachen  entspreche,  aber  kaum  einen  Zweifel  läßt  zu  die 
Beobachtung  von  Zierler '^),  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  , 
nach  der  der  Bac.  implexus,  der  sich  jahrelang  unbeweglich  gezeigt 
habe,  später  lebhaft  beweglich  geworden  sei.  Es  liegt  freilich  hier 
der  Gedanke  an  einen  Rückschlag  nahe  genug.  Ausgeschlossen 
scheint  ein  solcher  dagegen  nach  unseren  bisherigen  Kenntnissen  beim 
Ruhrbazillus,  von  dem  ein  Stamm  nach  M  ü  h  1  m  a  n  n  ®)  in  stark 
alkahscher  Bouillon  fortgezüchtet,  zu  wiederholten  Malen,  aber  immer 
nur  vorübergehend,  eine  „typhöse  Beweglichkeit"  in  Traubenzucker- 
bouillon oder  Agar  gezeigt  haben  soll.  Die  sogenannte  Beweglichkeit 
der  „homogenen"  Tuberkelbazillen  Arloings  und  Courmonts 
ist  wohl  nichts  anderes  als  Molekularbewegung^),  die  ja  auch  sonst 
oft  mit  Eigenbewegung  verwechselt  worden  ist. 

Ob  die  Zahl  und  namentlich  dieAnordnungderGeißeln 
ebenfalls  erheblichen  Abänderungen  unterliegt  in  dem  Sinne,  daß  ein 


1)  Über    die    Beeinflussung    der  Beweglichkeit    durch    j)hysikalischo 
und  chemische  Einflüsse  vgl.  §  46  u.  56. 

2)  Ref.   Bull.   Pasteur   1905.   241. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  21. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  22.  28. 

5)  Zentr.  Bakt.  31. 

6)  Ebenda  33  und  ebenda  2.  Abt.  9  und  11. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  34. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  69,   1908. 

9)  Vgl.  C.  Frank  el,  Hyg.  Rundschau  1900.   630;  R  o  m  b  e  r  g  , 
Deutsch,  med.  Woch.   1901.   18/19. 


1136  Kap.  XVni,    §  348—350. 

Übergang  vom  monotrichen  zum  lophotrichen  oder  peritrichen  Typus 
und  umgekehrt  möglich  wäre,  ist  noch  nicht  ausgemacht.  Im  allge- 
meinen scheint  es  sich  hier  um  recht  bestandige  Charaktere  zu 
handeln  (§  359). 

§  349.  Znsammensetzung  des  Mikrobenleibes.  Mikro- 
eheniische  Reaktionen.  Über  die  Schwankimgen  in  der  chemischen 
Zusammensetzung  der  Körper  der  Bakterien  und  Pilze  imd  ihre  Ab- 
hängigkeit von  dem  Entwicklungszustande  und  der  Ernährung  wurde 
schon  früher  gehandelt  (S.  59).  Wenn  wir  den  ungleichen  Gehalt  von 
verschiedenen  Rassen  derselben  Art  an  Schleim  (§  351),  ihre  ungleiche 
Ausstattung  mit  fermentativen  Kräften  (§  353),  ihre  ungleiche  Wider- 
standsfähigkeit (§  350)  und  Reaktionsfähigkeit  gegenüber  Schädlich- 
keiten (s.  o.)  bedenken,  wird  es  wahrscheinlich,  daß  sie  auch  in  ihrem 
chemischen  Aufbau  mehr  oder  weniger  erheblich  voneinander  ab- 
weichen können.  Mit  Hilfe  der  groben  chemischen  Analyse  wird  das 
aber  nur  ausnahmsweise,  z.  B.  im  ersteren  Fall,  nachweisbar  sein.  Es 
fehlt  übrigens  an  Untersuchungen  darüber. 

Hin  und  wieder  hat  man  bei  verschiedenen  Rassen  derselben  Art 
Unterschiede    in    ihrem    mikrochemischen    Verhalten    (vgl. 
Kap.  I),  namentlich  in  ihrer  Säurefestigkeit  (vgl.   §  19)  ge- 
funden.   So  sollen  Bakterien  bzw.   Strahlenpilze  durch  Züchtung  in 
fetthaltigen  Nährböden  säurefest  werden  (Bienstock^),  Gott- 
stein ^),  Potet,  Pellegrino^))  und  umgekehrt  Leprabazillen 
in  künstlichen  Kulturen  meist  ihre  Säurefestigkeit  verlieren  (D  e  y  c  k  e 
und  Reschad-Bey  *)).    (Srewöhnlich  handelt  es  sich  aber  wohl 
hier  um  eine  nicht  beständige  Emährungsmodifikation  (Fettnahrung?) 
und  im  Falle  der  Lepra  wohl  um  Verunreinigungen,  die  mit  den  eigent- 
lichen Erregem  der  Lepra  nichts  zu  tun  haben.    Gerade  Strahlenpilze 
kommen  als  Verunreinigungen  häufiger  in  Betracht,  als  man  gewöhn- 
lich annimmt,  da  sie  in  der  Luft  weit  verbreitet  sind  imd  zum  Teil 
hohe  Temperaturen  vertragen.    Die  Möglichkeit  der  Entstehung  säure- 
fester und  nicht  säurefester  Spielarten  einer  und  derselben  Art  ist 
freilich   von  vornherein  um  so  weniger   abzuleugnen,    als   säurefeste 
Mikroben,  z.  B.  die  Tuberkelbazillen,  anscheinend  gewisse  Stadien  der 
Entwicklimg   durchlaufen,   in    denen   sie   nicht   säurefest   sind  (vgl. 
M  u  c  h  u.  a.  S.  45,  Anm.  1).   Ob  das  bei  anderen  Bakterien  auch  für 


1)  Fortschr.  d.  Mediz.   1886.  6. 

2)  Ebenda  1886.  8. 

3)  Annali  d'igiene  1906. 

4)  Deutsch,  med.  Woch.  1905.  13/14.  Vgl.  aber  die  neuesten  offenbar 
besser  gelungenen  Züchtungsversuche  mit  Leprabazillen  von  Kedrowsky 
und  Küster  (1910). 


Veränderlichkeit  der  Klein weaen.  1137 

die  Gramfestigkeit  (§  18)  gilt,  wäre  zu  erwägen.  Dadurch 
würden  sich  dann  vielleicht  manche  widerstreitende  Angaben  in  der 
Literatur  über  die  Fähigkeit  gewisser  Bakterien,  sich  nach  Gram 
zu  färben,  erklären  lassen.  Vorläufig  dünkt  es  uns  freilich  wahrschein- 
licher, daß  diese  Abweichungen  durch  die  etwas  unregelmäßigen  Er- 
gebnisse des  Färbeverfahrens  selbst  bedingt  werden.  Daß  die  Gram- 
festigkeit eine  Eigenschaft  ist,  die  bei  manchen  Bakterienarten  stärker 
ausgesprochen  ist  als  bei  anderen,  ist  sicher,  ebenso,  daß  absterbende 
Formen  leichter  entfärbbar  sind  als  Bakterien  auf  der  Höhe  ihrer 
Entwicklung. 

§  350.  Widerstandsfähigkeit.  Daß  die  einzelnen 
Individuen  derselben  Kultur,  und  zwar  sowohl 
im  ve  g  e  t  a  t  i  V  en  als  im  S  p  o  r  e  n  z  u  s  t  a  n  d,  ungleiche 
Widerstandsfähigkeit  gegen  schädliche  Ein- 
flüsse, z.B.  ihre  eigenen  S  t  o  f  f  w  e  ch  s  e  1  p  r  o  duk  t  e^), 
ferner  künstliche  an  t  i  s  e  p  t  i  s  c  h  e  Zusätze,  Er- 
hitzung und  Trocknung  besitzen,  ist  eine  all- 
tägliche Erfahrung,  ebenso  daß  es  namentlich  unter  den 
Sporenbildnem  natürliche  Rassen  ungleicher  Widerstandsfähigkeit^) 
gibt.  Die  Desinfektionspraxis  muß  damit  rechnen.  Aber  auch  die 
künstliche  Heranziehimg  widerstandsfähiger  und  andererseits  wider- 
standsloser   Spielarten   ist  mehrfach  gelungen. 

Nach  der  leuige  dauernden  Einwirkung  höherer  Temperaturen  oder 
antiseptischer  Mittel  zum  Zwecke  der  Abschwächung  von  Bakterien  beob- 
achtete Smirnow')  regelmäßig  eine  größere  Empfindlichkeit  gegen 
Desinfektionsmittel-  Nach  Behring*)  trifft  das  freilich  nicht  immer  zu 
(S.  1067).  Garbowski*)  beobachtete  eine  Herabsetzung  der  Wider- 
standsfähigkeit auch  bei  Sporen  von  Saprophyten  nach  Behandlimg  mit 
physikalischen  und  chemischen  Mitteln.  Findet  die  Einwirkimg  der  ent- 
wicklungshemmenden Einflüsse  allmählich  statt,  so  macht  sich  sogar  eine 
Anpassung  geltend.  Das  haben  Galeotti«),  Dieudonnö')  für 
Milzbrand-  und  Prodigiosusbazillen  gegenüber  Temperaturen  von  40—42°, 


1)  Vgl.  das  allmähliche  Absterben  der  Keime  in  den  Kulturen 
§  36  u.  37. 

2)  Esmarch,  Zeitschr.  f.  Hyg.  1,  Geppert,  Berl.  klin.  Woch. 
1889.  36  und  1890.  12,  Weil,  Zentr.  Bakt.  30,  Kokubo,  ebenda  34 
berichten  über  Milzbrandsporen,  Dannappel,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
8.  841,  1900  über  zahlreichen  Sporenarten. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4. 

4)  Ebenda  6. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  19  und  20. 

6)  Sperimentale  1892. 

7)  Arb.  Gesundheitsamt  9. 

Kruse,  Mikrobiologie.  72 


1 1 32  Kap.  XVIII,  §  346  u.  347. 

peschkin  *)  bei  einem  „Bac.  Bereetnevi",  der  offenbar  einen  Über- 
gang zu  den  Strahlenpilzen  bildet.  Denn  die  Nachkommen  ver- 
zweigter Individuen  wiesen  viel  häufiger  diese  Merkmale  auf,  als  die  von 
unverzweigten . 

Während  man  unmittelbar  nach  der  Entdeckung  des  Cholera- 
vibrio großen  Wert  auf  die  bestimmte  Form  und  Größe  desselben  legte 
und  glaubte,  ihn  schon  dadurch  von  ähnlichen  Vibrionen  trennen  zu  kön- 
nen, wies  zunächst  Firtsch  *)  am  Spirillum  Finkler-Prior 
(,, Vibrio  Proteus")  nach,  daß  er  sich  in  morphologische  Ab- 
arten von  mehr  oder  minder  großer  Beständigkeit 
spalten  läßt.  Dasselbe  gelang  mir')  beim  Choleravibrio.  Nach 
längerem  Aufenthalt  in  Brunnenwasser  wurden  aus  ihm  zwei  dauerhafte 
Varietäten  herausgezüchtet,  von  denen  die  eine  regelmäßig  plumpe,  die 
andere  lange,  schlanke  Kommas  bildete.  Später  isoliert-e  ich  ähnliche 
Spielarten  aus  sehr  alten  Cholerakultiwen,  deren  Zurückführung  auf  den 
alten  Typus  erst  mittelst  zahlreicher  Übertragungen  auf  Meerschweinchen 
glückte  (vgl.  Metschnikoff  *)).  Gewöhnlich  sind  die  atypischen 
Formen  weniger  beständig  (Friedrich*)). 

Aus  einer  Hefekultur  konnte  B  a  r  b  e  r  ebenso  wie  beim 
Typhus  (s.  o.)  durch  mikroskopische  Isolierung  eine  Abart  mit  ge- 
streckten Zellen  züchten.  Eine  ähnliche,  aber  nicht  dauerhafte 
Abänderung  hatte  Hansen  schon  früher  in  Gelatineplatten  beobachtest. 

Der  Polymorphismus  und  Generationswechsel 
vieler  Protozoen,  z.  B.  der  menschlichen  und  tierischen  Malaria- 
parasiton,  gehört  nicht  zu  den  Veränderungen,  die  wir  hier  besprechen 
wollen,  v^eil  er  nur  der  regelmäßigen  Entwicklung  dieser 
Parasiten  entspricht  (S.  1122).  Wohl  würde  aber  eine  Veränderlichkeit  in 
unserem  Sinne  vorliegen,  wenn  die  einzelnen  Arten  oder  Abarten  der  M  a  - 
lariaerreger  wirklich  imstande  wären,  ineinander  überzugehen. 
Das  ist  in  der  ersten  Zeit  nach  ihrer  Entdeckung  ^nelfach  behauptet,  aber 
ebensooft  und  mit  guten  Gründen  bestritten  worden.  In  der  Tat  liegt  es 
näher,  die  betreffende  Tatsache  durch  Mischinfektion  z.  B.  mit  den  Tertian- 
imd  Quartan-,  bzw.  Tropikaparasiten  zu  erklären.  Immerhin  gibt  es  Fälle, 
in  denen  diese  Deutung  recht  gezwungen  erscheint •) 

§  347.  Sporen.  Zur  Sporenbildung  ist  außer  gewissen  äußeren 
Voraussetzungen,  wie  Temperatur,  Sauerstoffzutritt,  Erschöpfung  der 
Nährböden  usw.  (§  38),  noch  eine  innere  Anlage  des  Bakterienleibes 
bzw.  Pilzleibes  vonnöten,  die  nur  einer  beschränkten  Zahl  von  Arten 
zukommt.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  daß  alle  diejenigen 
Mittel,  die  geeignet  sind,  die  Entwicklung  von 
Sporen  zu  stören,  auch  zum  erblichen  Verlust 
des   Sporenbildungsvermögens  führen.    Rückschläge 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.   641,   1904. 

2)  Arch.  f.  Hyg.   8. 

3)  Kruse,  Zeitschr.  f.  Hyg.   17.   36. 

4)  Annal.  Pasteur  1894.  5  und  8. 

5)  Arb.  K.   Gesundheitsamts  8. 

6)  Vgl.  z.  B.  A.  P  1  e  h  n  ,  Deutsch,  med.  Woch.   1907.  30. 


Veränderlichkeit  der  Klein wesen.  1133 

sind  sehr  oft  möglich  und  lassen  sich  durch  die  umgekehrte  Behand- 
lung befördern. 

Den  Verltist  der  Sporen  bedingt  z.  B.  die  Züchtung  bei  zu 
hohen  (42'*)  und  bei  zu  niederen  Temperaturen,  oft 
genügt  schon  andauernde  Kultur  in  Gelatinestich  oder  mit 
Zusätzen  von  wachstumshemmenden  Stoffen  ( Ka- 
liumbichromat,  Karbol,  Sublimat),  ja  schon  von  Glyzerin  und  Trau- 
benzucker in  der  üblichen  Menge  (S  e  1 1  e  r).  Die  Versuche  sind 
meist  am  Milzbrandbazillus  angestellt  worden  (Chamber- 
1  a  n  d  und  R  o  u  x  *),  R  o  u  x  *),  K.  B.  L  e  h  m  a  n  n  '),  Behring*), 
P  h  i  s  a  1  i  X  •));  aber  auch  andere  Aerobier,  z.  B.  Heubazillen,  ver- 
fallen den  gleichen  Einflüssen  (Seiter*),  Garbowski')),  während 
die  Verhältnisse  bei  Anaerobiem,  mindestens  was  die  Einwirkung  der  letzt- 
genannten Nährstoffe  anlangt,  verwickelter  zu  liegen  scheinen* ).  Syste- 
matische Versuche,  den  Anaerobiem  das  Sporenbildungs vermögen  zu 
nehmen,  liegen  bisher  kaum  vor.  Man  kann  vorläufig  aber  doch  nach 
eigenen  und  fremden  Erfahrimgen  sagen,  daß  auch  Anaerobier- 
stämme derselben  Art  oft  eine  recht  ungleiche  Nei- 
gung zur  Sporenbildung  zeigen,  d.  h.  das  Sporenbildungs- 
vermögen zum  Teil  oder  ganz  einbüßen  und  ebenso  wiedergewinnen 
können;  auch  über  die  Bedingiuigen,  imter  denen  das  eine  oder  andere  ge- 
schieht, haben  wir  einige,  freilich  nor  grob  empirische  Konntnis3e.  Nach 
Graßberger  und  Schattenfroh  (S.  353  u.  357)  gibt  es  „dena- 
turierbare"  Buttersäurebakterien,  d.  h.  solche,  dienamentlich  bei  Übertragung 
auf  feste  zuckerhaltige  Nährböden  neben  einer  Änderung  ihrer  Form 
(s.  o.  §  346),  neben  dem  Verlust  ihrer  Beweglichkeit  (§  348)  auch  einen 
Verlust  ihrer  Fähigkeit  zur  Sporenbildung  erleiden,  und  andererseits  solche, 
die  nicht  denaturierbar  sind  („bewegliche  Buttersäurebazillen").  Auf 
alkalischem  Stärkekleisteragar  gelang  es  ihnen'), 
den  „unbeweglichen  Buttersäurebazillus",  ebenso 
wie  Albrecht ^°)  den  unbeweglichen  und  sporenlosen 
Gasphlegmonebazillus  wieder  zu  kräftiger  Ver- 
sporung  anzuregen.  Auch  reine  Eiweißnährböden  erwiesen  sich 
übrigens  dazu  als  brauchbar**).  Bredemann**)  ist  der  Ansicht  (vgl. 
S.  355),  daß  die  Unterscheidung  zwischen  denaturierbaren  und  nicht  dena- 
turierbaren Buttersäurebazillen  nicht  aufrecht  zu  erhalten  ist,  weil  er  selbst 

1)  Compt.  rend.  ac.  sc.   96.    1090. 

2)  Annal.  Pasteur  1890. 

3)  Münchn.  med.  Woch.   1887.  25. 

4)  Zeitschr.  f.  Hyg.  6.   125  und  7.   181. 

5)  Bull.  med.   1892.  25. 

6)  Zentr.  Bakt.  37,  1904. 

7)  Ebenda  2.  Abt.   19  und  20. 

8)  Vgl.  über  die  Bedingungen  der  Sporenbildung  namentlich  v.  H  i  b  - 
1er,  Untersuchungen  über  pathogene  Anaeroben   1908.    S.    185  ff. 

9)  Arch.  f.  Hyg.  37. 

10)  Arch.  f.  klin.  Chir.  67,  1902. 

11)  Passini,  Wien.  klin.  Woch.  1906.  627;  Graßberger  imd 
Schattenfroh,  Arch.  f.  Hyg.   60,   1907  imd  v.  H  i  b  1  e  r  a.  a.  O. 

12)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  23.  405. 


1134  Kap.  XVIII,  §  347  u.  348. 

Kulturen  des  „beweglichen  Buttersäurebazillxis"  in  der  Hand  gehabt  hat, 
die  unbeweglich  waren  und  keine  Sporen  bildeten.  In  diesen  Fällen  glückte 
es  ihm,  auf  mit  Kreide  eingeriebenen  Kartoffeln  die 
Sporenbildung  wieder  hervorzurufen.  Auf  gewöhn- 
lichem Traubenzuckeragar  lassen  sich  dann  diese  wie  andere  Stämme 
leicht  weiterzüchten,  jedoch  nur  dann  mit  Erhaltung  des  Sporenbildimgs- 
vermögens,  wenn  man  die  Sporen  allein  überimpft, 
d.  h.  das  Impfmaterial  regelmäßig  vorher  5  Minuten  auf  80®  erhitzt  (S  1127). 
Mit  Hilfe  mikroskopischer  Auslese  ist^  Barber(S.  1131) 
gelungen,  bei  Bac.  megatherium  eine  sporenlose  Abcu't  zu  züchten. 
Er  schließt  daraus  wohl  nicht  ganz  mit  Recht  auf  die  maßgebende  Be- 
deutung der  Mutation.  Auch  P  r  e  i  s  z  ')  isoliert«  aus  einer  und  der- 
selben Milzbrandkul  tur  neben  Bazillen,  die  leicht  Sporen  bildeten, 
solche,  die  es  nicht  taten. 

Wenn  die  Neigung  zur  Bildung  von  Sporen  variabel  ist,  so  ist 
die  Größe,  Stellung  und  Form  der  Sporen^),  die  Art  ihrer  Auskeimung^), 
ihre  Widerstandsfähigkeit  gegenüber  Schädlichkeiten^)  wahrscheinlich 
ebenso  veränderlich.  Dafür  sprechen  die  Schwankungen,  die  in  allen 
diesen  Beziehungen  bei  den  einzelnen  Individuen  derselben  Kultur 
beobachtet  werden,  sowie  die  Erfahrungen,  die  man  an  verschiedenen 
Stämmen  derselben  Art  gemacht  hat  (s.  u.  natürliche  Varietäten  §  357). 
Das  schließt  nicht  aus,  daß  die  Abweichungen  geringer  werden,  wenn 
man  die  Stämme  längere  Zeit  unter  gleichen  Bedingungen  züchtet 
und  dann  vergleicht,  wie  es  Bredemann  getan  hat. 

Daß  sporenbildende  Hefezellen  (Saccharomyces)  die  Fähig- 
keit, Sporen  zu  bilden,  dauernd  verlieren  können,  ist  eine  alte  Er- 
fahrung. So  erwähnt  Hansen^)  eine  Abart  des  S.  Pastorianus  I, 
die  schon  12  Jahre  lang  diese  Eigenschaft  beibehalten  habe.  Ja,  nach 
demselben  Forscher  läßt  sich  gerade  diese  Abänderung  sicherer  be- 
herrschen als  die  anderer  Eigenschaften. 

Die  genannte  Varietät  wurde  erhalten  durch  Züchtung  in  Bierwürze 
bei  einer  Temperatur,  die  höher  war  als  das  Temperaturmaximum  für  die 
Sporenbildung.  Andere  ähnliche  Spielarten  entstanden  aber  anscheinend 
freiwillig  (S.  Ludwigii,  Marxianus*),  Schizoaaccharomyces  oetosporus")), 
waren  allerdings  nicht  ebenso  beständig,  ließen  sich  z.  B.  in  sporen- 
bildende zurückverwandeln  durch  Übergang  von  Bierwürze  zu  Trauben- 
zuckemährböden  oder  durch  trockene  Hitze,  die  die  vegetativen  Formen 
vernichtete  und  die  noch  vereinzelt  gebildete  Sporen  übrig  ließ. 

1)  Zentr.  Bakt.  35.  6. 

2)  Vgl.  hier  v.  Hibler,  Bredemann  a.  a.  O. 

3)  Ebenda  und  Caspari,  Arch.  f.  Hyg.  42,  1902. 

4)  Compt.  rend.  trav.  labor.  Carlsburg  511,   1900;    ref.  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.  7.  199. 

5)  Vgl.  Anm.  4. 

6)  S.  bei  K  1  ö  c  k  e  r  ,  Gärungsorganismen  1900,  S.   194. 

7)  Beijerinck,   Zentr.   Bakt.   2.  Abt.    4.    637,    1898. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1135 

§  348.  Beweglichkeit.  Mehr  oder  minder  vollständiger  Ver- 
lust der  Beweglichkeit^)  wird  nach  unseren  eigenen  Erfahrungen  gar 
nicht  selten  an  Laboratoriumskulturen,  z.  B.  von  Typhus,  Cholera 
beobachtet.  Besonders  berichten  über  unbewegliche  Stämme  des 
Micrococcus  agilis  imd  der  Sarcina  mobilis  Lehmann  und  N  e  u  - 
mann,  des  Tjrphusbazillus  Stephens^),  des  Colibazillus  V i  1  - 
li  n  g  e  r ^)  und  B  a  r  b  e  r  (S.  1131),  des  Choleravibrio  B  o  n  h  o  f  f  *). 
Teils  handelt  es  sich  um  Abändenmgen,  die  offenbar  im  Laufe  der 
künstlichen  Züchtung  aus  den  älteren  Nährböden  aufgetreten  sind, 
teils  um  Entartungsformen,  die  durch  Kidtur  in  karbolhaltiger  Bouil- 
lon bei  42®  (V  i  1 1  i  n  g  e  r)  erhalten,  teils  um  Rassen,  die  durch  mikro- 
skopische Auslese  (B  a  r  b  e  r)  gewonnen  wurden. 

Aber  auch  der  umgekehrte  Fall,  das  Auftreten  von  Beweglichkeit 
bei  sonst  unbeweglichen  Bakterien,  ist  beschrieben  worden.  Wir  können 
allerdings  vorläufig  noch  nicht  glauben,  daß  die  auffallende  Behaup- 
tung von  A.  M  e  y  e  r  ^)  und  Ellis®),  alle  Kokken  und  Ba- 
zillen seien  mit  Geißeln  ausgestattet  und  beweg- 
lich, den  Tatsachen  entspreche,  aber  kaum  einen  Zweifel  läßt  zu  die 
Beobachttmg  von  Zierler'),  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  , 
nach  der  der  Bac.  implexus,  der  sich  jahrelang  unbeweglich  gezeigt 
babe,  später  lebhaft  beweglich  geworden  sei.  Es  liegt  freilich  hier 
der  Gedanke  an  einen  Rückschlag  nahe  genug.  Ausgeschlossen 
scheint  ein  solcher  dagegen  nach  unseren  bisherigen  Kenntnissen  beim 
Ruhrbazillus,  von  dem  ein  Stamm  nach  M  ü  h  1  m  a  n  n  ®)  in  stark 
alkalischer  Bouillon  fortgezüchtet,  zu  wiederholten  Malen,  aber  immer 
nur  vorübergehend,  eine  „typhöse  Beweglichkeit"  in  Traubenzucker- 
bouillon oder  Agar  gezeigt  haben  soll.  Die  sogenannte  Beweglichkeit 
der  „homogenen"  Tuberkelbazillen  Arloings  und  Courmonts 
ist  wohl  nichts  anderes  als  Molekularbewegung®),  die  ja  auch  sonst 
oft  mit  Eigenbewegung  verwechselt  worden  ist. 

Ob  die  Z  a  h  1  und  namentlich  dieAnordnungderGeißeln 
ebenfalls  erheblichen  Abänderungen  unterliegt  in  dem  Sinne,  daß  ein 

1)  Über    die    Beeinflussung    der  Beweglichkeit    durch    physikalische 
und  chemische  Einflüsse  vgl.   §  46  u.  56. 

2)  Ref.   Bull.   Pastetir   1905.   241. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  21. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  22.  28. 

5)  Zentr.  Bakt.  31. 

6)  Ebenda  33  und  ebenda  2.  Abt.  9  und  11. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  34. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  69,   1908. 

9)  Vgl.  C.  Fränkel,  Hyg.   Rundschau   1900.   630;  R  o  in  b  e  r  £? , 
Deutsch,  med.  Woch.   1901.   18/19. 


1136  Kap.  XVIII,   S  348—350. 

Übergang  vom  monotrichen  zum  lophotrichen  oder  peritrichen  T3rpus 
und  umgekehrt  möglich  wäre,  ist  noch  nicht  ausgemacht.  Im  allge- 
meinen scheint  es  sich  hier  um  recht  bestandige  Charaktere  zu 
handeln  (§  359). 

§  349.  Zusammensetzong  des  Mikrobenleibes.  Mikro- 
cheniische  Reaktionen.  Über  die  Schwankungen  in  der  chemischen 
Zusammensetzung  der  Körper  der  Bakterien  und  Pilze  und  ihre  Ab- 
hängigkeit von  dem  Entwicklungszustande  und  der  Ernährung  wurde 
schon  früher  gehandelt  (S.  59).  Wenn  wir  den  ungleichen  Gehalt  von 
verschiedenen  Rassen  derselben  Art  an  Schleim  (§  351),  ihre  ungleiche 
Ausstattung  mit  fermentativen  Kräften  (§  353),  ihre  ungleiche  Wider- 
standsfähigkeit (§  350)  imd  Reaktionsfähigkeit  gegenüber  Schädlich- 
keiten (s.  o.)  bedenken,  wird  es  wahrscheinlich,  daß  sie  auch  in  ihrem 
chemischen  Aufbau  mehr  oder  weniger  erheblich  voneinander  ab- 
weichen können.  Mit  Hilfe  der  groben  chemischen  Analyse  wird  das 
aber  nur  ausnahmsweise,  z.  B.  im  ersteren  Fall,  nachweisbar  sein.  Es 
fehlt  übrigens  an  Untersuchungen  darüber. 

Hin  und  wieder  hat  man  bei  verschiedenen  Rassen  derselben  Art 
Unterschiede  in  ihrem  mikrochemischen  Verhalten  (vgl. 
Kap.  I),  namentlich  in  ihrer  Säurefestigkeit  (vgl.  §  19)  ge- 
funden. So  sollen  Bakterien  bzw.  Strahlenpilze  durch  Züchtung  in 
fetthaltigen  Nährböden  säurefest  werden  (Bienstock^),  Gott- 
stein ^),  Potet,  Pellegrino^))  und  umgekehrt  Leprabazillen 
in  künstlichen  Kulturen  meist  ihre  Säurefestigkeit  verlieren  (D  e  y  c  k  e 
und  Reschad-Bey  *)).  Gewöhnlich  handelt  es  sich  aber  wohl 
hier  um  eine  nicht  beständige  Emährungsmodifikation  (Fettnahrung?) 
und  im  Falle  der  Lepra  wohl  um  Verunreinigungen,  die  mit  den  eigent- 
lichen Erregem  der  Lepra  nichts  zu  tun  haben.  Gerade  Strahlenpilze 
kommen  als  Verunreinigungen  häufiger  in  Betracht,  als  man  gewöhn- 
lich annimmt,  da  sie  in  der  Luft  weit  verbreitet  sind  und  zimi  Teil 
hohe  Temperaturen  vertragen.  Die  Möglichkeit  der  Entstehung  säure- 
fester und  nicht  säurefester  Spielarten  einer  und  derselben  Art  ist 
freilich  von  vornherein  um  so  weniger  abzuleugnen,  als  säurefeste 
Mikroben,  z.  B.  die  Tuberkelbazillen,  anscheinend  gewisse  Stadien  der 
Entwicklimg  durchlaufen,  in  denen  sie  nicht  säurefest  sind  (vgl. 
M  u  c  h  u.  a.  S.  45,  Anm.  1).    Ob  das  bei  anderen  Bakterien  auch  für 


1)  Fortschr.  d.  Mediz.   1886.  6. 

2)  Ebenda  1886.  8. 

3)  Annali  d'igiene  1906. 

4)  Deutsch,  med.  Woeh.  1905.  13/14.  Vgl.  aber  die  neuesten  offenbar 
besser  gelungenen  Z ü chtungsversuche  mit  Leprabazillen  von  Kedrowsky 
und  Küster  (1910). 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1137 

die  Gramfestigkeit  (§  18)  gilt,  wäre  zu  erwägen.  Dadurch 
würden  sich  dann  vielleiclit  manche  widerstreitende  Angaben  in  der 
Literatur  über  die  Fälligkeit  gewisser  Bakterien,  sich  nach  Gram 
zu  färben,  erklären  lassen.  Vorläufig  dünkt  es  uns  freilich  wahrschein- 
licher, daß  diese  Abweichungen  durch  die  etwas  unregelmäßigen  Er- 
gebnisse des  Färbeverfahrens  selbst  bedingt  werden.  Daß  die  Gram- 
festigkeit eine  Eigenschaft  ist,  die  bei  manchen  Bakterienarten  stärker 
ausgesprochen  ist  als  bei  anderen,  ist  sicher,  ebenso,  daß  absterbende 
Formen  leichter  entfärbbar  sind  als  Bakterien  auf  der  Höhe  ihrer 
Entwicklang. 

§  350.  Widerstandsfähigkeit.  Daß  die  einzelnen 
Individuen  derselben  Kultur,  und  zwar  sowohl 
im  V  e  g  e  t  a  t  i  V  e  n  als  im  S  p  o  r  e  n  z  u  s  t  a  n  d,  ungleiche 
Widerstandsfähigkeit  gegen  schädliche  Ein- 
flüsse, z.B.  ihre  eigenen  S  t  o  f  f  we  ch  s  e  1  pr  odu  k  t  e^), 
ferner  künstliche  antiseptische  Zusätze,  Er- 
hitzung und  Trocknung  besitzen,  ist  eine  all- 
tägliche Erfahrung,  ebenso  daß  es  namentlich  unter  den 
Sporenbildnem  natürliche  Rassen  ungleicher  Widerstandsfähigkeit^) 
gibt.  Die  Desinfektionspraxis  muß  damit  rechnen.  Aber  auch  die 
künstliche  Heranziehimg  widerstandsfähiger  und  andererseits  wider- 
standsloser   Spielarten   ist  mehrfach  gelungen. 

Nach  der  lange  dauernden  Einwirkung  höherer  Temperaturen  oder 
antiseptischer  Mittel  zum  Zwecke  der  Abschwächung  von  Bakterien  beob- 
achtete S  m  i  r  n  o  w  ')  regelmäßig  eine  größere  Empfindlichkeit  gegen 
Desinfektionsmittel.  Nach  Behring*)  trifft  das  freilieh  nicht  immer  zu 
(S.  1067).  Garbowski*)  beobachtete  eine  Herabsetzung  der  Wider- 
standsfähigkeit auch  bei  Sporen  von  Saprophyten  nach  Behandlung  mit 
ph3^ikalisch6n  und  chemischen  Mitteln.  Findet  die  Einwirkung  der  ent- 
wicklungshemmenden Einflüsse  allmählich  statt,  so  macht  sich  sogar  eine 
Anpassung  geltend.  Das  haben  Galeotti*),  Dieudonn6')  für 
Milzbrand-  und  Prodigiosusbazillen  gegenüber  Temperaturen  von  40 — 42°, 


1)  Vgl.  das  allmähliche  Absterben  der  Keime  in  den  Kulturen 
§  36  u.  37. 

2)  Esmarch,  Zeitschr.  f.  Hyg.  1,  Geppert,  Berl.  klin.  Woch. 
1889.  36  imd  1890.  12,  Weil,  Zentr.  Bakt.  30,  Kokubo,  ebenda  34 
berichten  über  Milzbrandsporen,  Dannappel,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
8.  841,  1900  über  zahlreichen  Sporenarten. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4. 

4)  Ebenda  6. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  19  imd  20. 

6)  Sperimentale  1892. 

7)  Arb.  Gesundheitsamt  9. 

Kruse,  Mikrobiologie.  72 


1138  Kap.  XVIII,  §  350  u.  3öl. 

KoBsiakoff^),  Trambusti  und  Galeotti  für  Saprophyten 
und  Parasiten  gegenüber  Sublimat,  Borsäure,  Borax,  Danysz*)  für 
Milzbrandbazillen  gegenüber  Arsenik,  Sohierbeck')  für  Milchsäure- 
bazillen gegenüber  Karbolsäure,  Effront*),  Rothenbach")  u.  a. 
für  Hefe  gegenüber  Flußsäure  luid  ihren  Salzen,  Milch-  und  andere  Sauren, 
Formaldehyd  usw.,  P  u  1  b  t  •)  und  Meißner')  u.  a.  für  Schimmel- 
pilze gegenüber  allerhand  Giften,  M  e  s  n  i  1  imd  Brimont*)  für  Try- 
pajiosomen  gegenüber  Tartarus  stibiatus  festgestellt.  Der  Mechanis- 
mus dieser  Gewöhnung  an  Gifte  ist  anscheinend  ver- 
wickelter, als  man  es  sich  im  allgemeinen  vorstellt  (S.  188),  denn  sie  gilt 
mindestens  in  vielen  daraufhin  geprüften  Fällen  nur  für  das  betreffende 
einzelne  Gift,  während  die  Widerstandsfähigkeit  für  andere  Gifte  divch 
die  Behandlung  sogar  verringert  sein  kann*).  Von  der  merkwürdigen 
Steigerung  der  Wachstiuns-  und  Gärungsenergie  durch  die  E  f  f  r  o  n  t  sehe 
Behandlung  der  Hefe  (S.  182)  und  der  vermehrten  Schleimbildung  (Kapsel- 
bildung) bei  den  an  Arsenik  angepaßten  Milzbrandbazillen  (D  a  n  y  s  z 
S.  9)  haben  wir  schon  früher  gesprochen.  Die  Anp&ssiuig  an  mangelhafte 
Nährböden  (§  351),  an  Sauerstoff  Spannungen,  die  ursprünglich  nicht  ver- 
tragen werden  ( §  352),  an  Alexine  im  Reagensglas  ( §  330)  oder  die  Abwehr- 
kräfte  im  lebenden  Tier  ( §  356)  behandeln  wir  ebenfalls  an  anderen  Stellen. 

§  351.  Wachstnm  in  kfinstlichen  Nährböden  and  Kolonie- 
formen. Peptonisierungsvermögen  und  Schleimbildang.    Was 

man  als  Kulturmerkmale  der  Kleinwesen  zu  bezeichnen  pflegt, 
sind  keine  individuellen  Charaktere,  sondern  Massenwirkungen.  Eine 
„Kulturgeneration"  setzt  sich,  wenn  wir  ihr  Alter  nur  zu  einem  Tage 
annehmen  und  den  Zeitraum  von  einer  Teilung  bis  zur  anderen  auf 
eine  halbe  bis  eine  Stunde  berechnen,  aus  24 — 48  Einzelgenerationen 
zusammen  (vgl.  §  36).  Die  Kolonie  auf  der  Platte  kann  man  sich  im 
allgemeinen  aus  einem  einzigen  Keim  hervorgegangen  denken,  die 
Beagensglaskultur  in  Gelatine,  die  Bouillonkultur  erwächst  aber  aus 
der  Nachkommenschaft  einer  großen  Zahl  von  Keimen.  Diese  Be- 
merkungen sind  nötig,  um  die  Bedeutung  der  Kulturmerkmale  zu 
kennzeichnen.  Eigentlich  individuelle  Abweichungen 
verschwinden   in   der   gewöhnlichen   Kultur  fast 


1)  Annal.  Pasteur  1887. 

2)  Annal.  Pasteur  1900. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  38. 

4)  Vgl.  Kochs  Jahresber.   1891  ff. 

5)  Ebenda  1896. 

6)  Pringsheims  Jahresber.  37,   1902. 

7)  Dissertation  Leipzig   1903,  ref.   Zentr.   Bakt.   2.   Abt.    12.   153. 

8)  Soc.  biol.  9.  V.  1908.  Im  Keagensglasversuche  bestätigt.  Die 
Atoxylf estigkeit  usw.  der  Trj'pfimosomen  (Ehrlich  S.  1 88)  ist  nicht  im 
Reagensglas  nachzviweisen.     Vgl.  übrigens  S.  662,  Anm.   1. 

9)  Man  könnte  daran  denken,  daß  sich  daraus  die  abweichenden 
Erfahrungen  Smirnows  erklären. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1139 

vollständig,  höchstens  kann  aus  einer  Verzögerung  des  Wachs- 
tums auf  eine  Schwächung  der  Entwicklungsenergie  der  verimpften 
Keime  geschlcMssen  werden.  In  der  Regel  werden  nur  solche  Abände- 
rungen in  den  Eigenschaften  der  Kultur  zum  Ausdruck  kommen,  die 
auf  eine  größere  Beihe  von  Glenerationen  vererblich  sind.  Es  erhöht 
entschieden  den  Wert  der  Wachstumscharaktere,  daß  man  aus  den 
mit  bloßem  Auge  oder  mit  schwacher  Vergrößerung  wahrnehmbaren 
Unterschieden  schon  auf  erbliche  Abänderungen  schließen  kann.  Die 
Eigenschaften  der  Plattenkolonien  sind  für  die  Beurteilung 
der  stattgehabten  Veränderungen  aber  natürlich  viel  wichtiger,  als  die 
Reagensglaskulturen,  weil  sich  in  diesen  letzteren  die 
Variationen  leicht  gegenseitig  aufheben. 

Entsprechend  dem  oben  ausgesprochenen  Satze,  daß  in  Kulturen, 
die  beständig  im  jungen  Zustand  weiter  verimpft  werden, 
nur  individuelle  Abweichungen  auftreten,  finden  wir  im  Aussehen 
der  Kolonien  auf  den  daraus  angelegten  Platten  überhaupt  keine 
abschätzbaren  Unterschiede;  ist  das  Kulturmaterial,  das  zur  Zucht 
dient,  älter,  so  stellen  sich  solche  sehr  häufig  heraus. 

Die  ersten  derartigen  Beobachtungen  wurden  veröffentlicht  in  bezug 
auf  Bac.  proteus  von  Häuser^),  auf  Finkler-Priors 
Spirillum  von  G  r  u  b  e  r  und  Firtsch*).  Sanfelice'*)  hat 
die  verschiedenen  Formen  der  Proteuskolonion*)  und  auch  eine 
Reihe  von  anaeroben  Fäulnisbakterien  mit  ähnlichen 
Eigenschaften  der  Kolonien  genau  beschrieben.  Die  Erscheinung  ist  aber 
eine  noch  viel  mehr  verbreitete,  wenn  sie  auch  bisher  wenig  Beachtung 
gefunden  hat.  Der  Prodigiosui,  Pyocyaneus,  das  C  h  o  - 
leraspirillum,  der  Typhus-,  Ruhr-  und  der  P  n  e  u  - 
moniebazillus  mit  ihren  Verwandten,  Pestbazillen  usw. 
weisen  auch  eine  gewisse  Variabilität  der  aus  der  Nachkomm enschjift  eines 
einzigen  Keims  hervorgegangenen  Kolonien  auf,  wenn  man  zur  Aussaat 
auf  Platten  alte  Kultiu*en  benutzt. 

Den  Unterschieden  der  Kolonien  liegen  verschiedene  Eigentüm- 
lichkeiten zugrunde:  in  den  meisten  Fällen  genügt  es,  Ungleichheiten 
in  der  Wachstumsschnelligkeit  und  im  Verfltis- 
sigungs  vermögen,  d.  h.  also  in  der  Produktion  eines  peptoni- 
sierenden  Ferments  anzimehmen.  Beim  Friedländerschen  Bakterium 
wechselt  das  Schleimbildungsvermögen  (Wildea.  a.  0.). 
Daneben  kommen  aber  noch  in  Betracht  morphologische  Verhältnisse, 
die  Größe  der  lindividuen,  dieFestigkeitihrerVerbände 

1)  Fäulnisbakterien,  Leipzig  1885. 

2)  Arch.  f.  Hyg.  8. 

3)  Annali  d'igiene  1890. 

4)  Vgl.  auch  Jäger  über  die  Kolonien  des  Bac.  proteus  fluores- 
cens  (Zeitschr.  f.  Hyg.   12). 

72* 


1140  Kap.  XVIIl,   §  351. 

(Ketten,  Fäden),  welche  die  Kömelnng  und  Umrandung  der  Kolonien 
beeinflussen. 

Die  Kolonien  eines  und  desselben  Mikroorganismus  auf  ver- 
schiedenen Nährböden  weichen  sehr  voneinander  ab,  wahr- 
scheinlich schon  wegen  der  durchaus  verschiedenen  physikaliBchen 
Verhältnisse.  Praktisch  wichtig,  aber  lange  nicht  genug 
gewürdigt  sind  die  Unterschiede  besonders  auf  den  scheinbar 
gleich   oder  doch   ähnlich   zusammengesetzten  Nährböden. 

Nehmen  wir  z.  B.  die  gewöhnliche  Fleischwasserpeptonnährgelatine, 
so  bedingt  die  Art  der  Herstellung  schon  ganz  erhebliche  Unterschiede, 
selbst  wenn  die  Ursprangsstoffe  in  den  gleichen  Mischungsverhältnissen 
angewendet  werden.  Die  Zeitdauer  des  Kochens  der  Geistine 
beeinflußt  bekanntlich  die  Festigkeit  des  Nährbodens  und  die  letztere 
wiederum  die  Form  der  Kolonien.  Der  Typhusbazillus  z.  B.,  der  in  fester 
Gelatine  glattrandige  zusammenhängende  Kolonien  bildet,  wächst  auf 
einer  weicheren  wie  ein  Proteus  mit  zahlreichen  korkzieher-  und  haar- 
artigen Ausläufern  und  ähnelt  im  Strich  nicht  einem  glatten  Bande,  sondern 
einer  Bürste*). 

Andere  Unterschiede  treten  auf  bei  Ungleichheiten  des  A 1  k  a  1  e  s  - 
zenzgrades  oder  des  Gelatinegehalts  des  Nährbodens.  So 
hängt  z.  B.  das  Oberflächenwachstum  in  Stichkulturen  beim 
Typhusbazillus  und  ähnlichen  Badcterien  außerordentlich  von  diesen  Dingen 
ab,  ebenso  die  Stärke  der  Gelatineverflüssigung  bei 
allen  peptonisierenden  Bakterien.  Das  Aussehen  der  Kolonien  und  Stich- 
kulturen erleidet  dadurch  natürlich  erhebliche  Veränderungen  (Cholera, 
Milzbrand).  Auch  die  Zusammensetzung  des  Fleischsaftes 
ist  nicht  gleichgiltig:  feinere,  uns  imbekannte  Schwankungen  darin  können 
ein  verschiedenes  Aussehen  der  Kulturen,  namentlich  eine  ganz  erbeblich 
ungleiche  Üppigkeit  des  Wachstums  (Pneumokokken)  bedingen.  So  erklären 
sich  wohl  zmn  großen  Teil  die  abweichenden  Angaben  mancher  Autoren 
über  das  Wachstmn  von  Pneumokokken  und  Streptokokken  in  Bouillon 
(Kruse  und  Pansini»),  Pasquale  •)).  Ähnliche  Unterschiede 
gelten  bezüglich  der  Kulturen  auf  Agar  (Pneumokokken),  Kartoffeln 
(Typhus)  usw.  Ganz  besonders  wird  auch  das  Schleimbildungsverinögen 
durch  die  Anwesenheit  bestimmter  Nährstoffe  im  Nährboden  beeinflußt. 
So  konnte  z.  B.    Hlava*)  pathogene  Streptokokken  durch  Züchtung  in 


1)  Rosen  thal,  D.  Arch.  f.  klin.  Med.  55;  K  1  i  e  ,  Zentr.  Bakt. 
20,  1896;  Piorkowski,  Berl.  klin.  Woch.  1899.  145;  eigene  Beob- 
achtungen. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.  11.  Ob  der  von  Pane  (Zentr.  Bakt.  40.  279) 
beschriebene  schleimbildende  Bazillus,  wie  er  meint,  eine  Abänderung 
des  Pneumokokkus  ist,  bleibt  sehr  fraglich.  Er  fand  sich  in  einem  Esel, 
der  mit  Pnemnokokken  immunisiert  worden  war.  Stäbchenbildung  kommt 
freilich  bei  Pneiunokokken  besonders  auf  eigenem  Nährboden  häufig  vor, 
ebenso  Schleimbildung  (,,Str.  mucosus**). 

3)  Zieglers  Beitr.   12,   1893. 

4)  Zentr.  Bakt.  32. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1141 

Bouillon  oder  Agar  mit    14%  Rohrzucker    in    leuconostocartige    Formen 
verwandeln  (vgl.  Schleimgärung  S.  409). 

Man  kann  von  vornherein  erwarten,  daß  diese  Abänderungen 
mindestens  zum  Teil  und  zuweilen  sich  vererben,  besonders  dann, 
wenn  die  in  den  alten  Kulturen  oder  in  bestimmten  Nährböden  wirk- 
samen Einflüsse  wieder  und  wieder  zur  (Jeltung  kommen.  In  ähnlichem 
Sinne  werden  auch  schädliche  Einwirkungen  anderer  Art,  z.  B.  höhere 
Temperaturen,  Antiseptika  u.  dgl.,  die  ursprünglichen  Wachstums- 
eigenschaften beeinflussen  können.  Außerdem  kämen  dann  dazu  noch 
die  bisher  ihrer  Natur  nach  unbekannten  „freiwilligen"  Variationen 
aus  inneren  Ursachen  (Mutationen  s.  o.  S.  1123). 

In  der  Tat  hat  man  bei  fast  allen  Mikrobien  dercu'tiges  beobachtet. 
So  weiß  man  namentlich  durch  unsere  umfassende  Untersuchung  über 
Pneumokokken,  daß  diese  bei  fortgesetzter  Züchtung  in  künst- 
lichen Nährböden  nicht  nur  üppiger  wachsen,  sondern  auch  in  den  Formen 
ihrer  Kolonien  den  pyogenen  Streptokokken  immer  ähnlicher  werden.  Von 
den  Meningokokken  und  den  Gonokokken  ist  es  bekannt,  daß  sie 
ursprünglich  nur  auf  Nährböden  mit  Serumzusatz,  später  auch  ohne 
solchen  üppig  wachsen.  Auch  Diphtherie-,  Tuberkelbazillen 
u.  a.  m.  verbessern  ihr  Wachstum  mit  der  Zeit.  Anspruchsloser  in  ihren 
Bedürfnissen  werden  nach  Inghilleri  ^)  die  Pestbazillen  diirch 
den  Aufenthalt  im  Wasser,  so  daß  sie  sogar  mit  den  sog, 
Wasserbakterien,  die  darin  zu  wachsen  vermögen,  in  Wettbewerb  treten 
Icönnen  (vgl.  auch  Kruse  •)).  Während  die  Bakterien  in  diesen  Fällen 
sich  dem  künstlichen  Nährboden  anzupassen  scheinen, 
erhält  man  bei  anderen,  z.  B.  Milzbrand-,  Fluorescens-*),  Cholerabazillen, 
Staphylokokken,  manchen  Streptokokken^)  vielfach  den  Eindruck,  daß  sie 
mindestens  bei  der  gewöhnlichen  Art  der  Übertragung  —  von  älteren 
Kulturen —  an  Entwicklungskraft  einbüßen.  Zumal  wenn  hier 
gleichzeitig  das  Verflüssigungsvermögen  für  Gelatine  abnimmt,  ändert  sich 
auch  die  Form  der  Kolonien.  Solch  ein  dauernd  „atypisches  Wachstum" 
ist  oft  gesehen  worden,  besonders  bei  in  der  einen  oder  anderen  Weise  ab- 
geschwächtem Milzbrand  (Bongert*),  Scagliosi*),  eigene 
Beobachtungen),  bei  Cholera,  z.  B.  nach  Aufenthalt  im  Wasser 
(Kruse  ■)).  Nachdem  Liborius')  beobachtet  hatte,  daß  viele  Bak- 
terien bei  Wachstum  ohne  Sauerstoffzutritt  und  einzelne  in  Nährböden, 
denen  reduzierende  Stoffe  wie  Traubenzucker  zugesetzt  worden  sind,  die 
Oelatine  langsamer  oder  gar  nicht  verflüssigen, 
hat    Sanfelice')  durch   fortgesetzte    anaörobe    Züch- 


1)  Annali  d'igiene  1903. 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   17. 

3)  Vgl.  z.  B.  Matsuschita,  Zentr.  Bakt.  28.  303,  1900. 

4)  Vgl.    S  c  h  e  i  b  ,   Zeitschr.   f.    Geburtsh.   58. 

5)  Zentr.  Bakt.  34. 

6)  Ebenda  37. 

7)  Zeitschr.  f    Hyg.   1.   156 

8)  Annali  d'igiene  1892. 


1134  Kap.  X\^II,  §  347  u.  348. 

Kulturen  des  „beweglichen  Butt^rsäurebazillus"  in  der  Hand  gehabt  hat, 
die  unbeweglich  waren  und  keine  Sporen  bildeten.  In  diesen  Fallen  glückte 
es  ihm,  auf  mit  Kreide  eingeriebenen  Kartoffeln  die 
Sporenbildung  wieder  hervorzurufen.  Auf  gewohn- 
lichem Traubenzuckeragar  lassen  sich  dann  diese  wie  andere  Stamme 
leicht  weiterzüchten,  jedoch  nur  dann  mit  Erhaltimg  des  Sporenbildungs- 
vermögen3,  wenn  man  die  Sporen  allein  überimpft, 
d.  h.  das  Impfmaterial  regelmäßig  vorher  5  Minuten  auf  80°  erhitzt  (S  1127). 
Mit  Hilfe  mikroskopischer  Auslese  ist  es  Barber(S.  1131) 
gelungen,  bei  Bac.  megatherium  eine  sporenlose  Abart  zu  züchten. 
Er  schließt  daraus  wohl  nicht  ganz  mit  Recht  auf  die  maßgebende  Be- 
deutung der  Mutation.  Auch  P  r  e  i  s  z  ')  isoliert«  aus  einer  und  der- 
selben Milzbrandkultur  neben  Bazillen,  die  leicht  Sporen  bildeten, 
solche,  die  es  nicht  taten. 

Wenn  die  Neigung  zur  Bildung  von  Sporen  variabel  ist,  so  ist 
die  Größe,  Stellung  und  Form  der  Sporen^),  die  Art  ihrer  Auskeimung^), 
ihre  Widerstandsfähigkeit  gegenüber  Schädlichkeiten*)  wahrscheinlich 
ebenso  veränderlich.  Dafür  sprechen  die  Schwankungen,  die  in  allen 
diesen  Beziehungen  bei  den  einzelnen  Individuen  derselben  Kultur 
beobachtet  werden,  sowie  die  Erfahrungen,  die  man  an  verschiedenen 
Stämmen  derselben  Art  gemacht  hat  (s.  u.  natürliche  Varietäten  §  357). 
Das  schließt  nicht  aus,  daß  die  Abweichungen  geringer  werden,  wenn 
man  die  Stämme  längere  Zeit  unter  gleichen  Bedingungen  züchtet 
und  dann  vergleicht,  wie  es  Bredemann  getan  hat. 

Daß  sporenbildende  Hefezellen  (Saccharomyces)  die  Fähig- 
keit, Sporen  zu  bilden,  dauernd  verlieren  können,  ist  eine  alte  Er- 
fahrung. So  erwähnt  Hansen^)  eine  Abart  des  S.  Pastorianus  I, 
die  schon  12  Jahre  lang  diese  Eigenschaft  beibehalten  habe.  Ja,  nach 
demselben  Forscher  läßt  sich  gerade  diese  Abänderung  sicherer  be- 
herrschen als  die  anderer  Eigenschaften. 

Die  genannte  Varietät  wurde  erhalten  durch  Züchtung  in  Bierwürze 
bei  einer  Temperatur,  die  höher  war  als  das  Temperaturmaximum  für  die 
Sporenbildung.  Andere  ähnliche  Spielarten  entstanden  aber  anscheinend 
freiwillig  (S.  Ludwigii,  Marxianus*),  Schizosaccharomyces  octoeporus')), 
waren  allerdings  nicht  ebenso  beständig,  ließen  sich  z.  B.  in  sporen- 
bildende zurückverwandeln  durch  Übergang  von  Bierwürze  zu  Trauben- 
zuckernährböden oder  durch  trockene  Hitze,  die  die  vegetativen  Formen 
vernichtete  und  die  noch  vereinzelt  gebildete  Sporen  übrig  ließ. 

1)  Zontr.  Bakt.  35.  6. 

2)  Vgl.  hier  v.  Hibler,  Bredemann  a.  a.  O. 

3)  Ebenda  und  Caspari,  Arch.  f.  Hyg.  42,  1902. 

4)  Compt.  rend.  trav.  labor.  Carlsburg  511,   1900;   ref.  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.  7.  199. 

5)  Vgl.  Anm.  4. 

6)  S.  bei  K  1  ö  c  k  e  r  ,  Gärungsorganismen  1900,  S.   194. 

7)  Beijerinck,    Zentr.   Bakt.    2.  Abt.    4.    637,    1898. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1135 

§  348.  Beweglichkeit.  Mehr  oder  minder  vollständiger  Ver- 
lust der  Beweglichkeit^)  wird  nach  unseren  eigenen  Erfahrungen  gar 
nicht  selten  an  Laboratoriumskulturen,  z.  B.  von  Typhus,  Cholera 
beobachtet.  Besonders  berichten  über  unbewegliche  Stämme  des 
Micrococcus  agilis  und  der  Sarcina  mobilis  Lehmann  und  N  e  u  - 
mann,  des  Typhusbazillus  Stephens^),  des  Colibazillus  V i  1  - 
1  i  n  g  e  r  ^)  und  B  a  r  b  e  r  (S.  1131),  des  Choleravibrio  B  o  n  h  o  f  f  *). 
Teils  handelt  es  sich  um  Abänderungen,  die  offenbar  im  Laufe  der 
künstlichen  Züchtung  aus  den  älteren  Nährböden  aufgetreten  sind, 
teils  um  Entartungsformen,  die  durch  Kultur  in  karbolhaltiger  Bouil- 
lon bei  42®  (Villinge r)  erhalten,  teils  um  Rassen,  die  durch  mikro- 
skopische Auslese  (B  a  r  b  e  r)  gewonnen  wurden. 

Aber  auch  der  umgekehrte  Fall,  das  Auftreten  von  Beweglichkeit 
bei  sonst  unbeweglichen  Bakterien,  ist  beschrieben  worden.  Wir  können 
allerdings  vorläufig  noch  nicht  glauben,  daß  die  auffallende  Behaup- 
tung von  A.  M  e  y  e  r  ^)  und  Ellis^),  alle  Kokken  und  Ba- 
zillen seien  mit  Geißeln  ausgestattet  und  beweg- 
lich, den  Tatsachen  entspreche,  aber  kaum  einen  Zweifel  läßt  zu  die 
Beobachtung  von  Zierler'),  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  , 
nach  der  der  Bac.  implexus,  der  sich  jahrelang  unbeweglich  gezeigt 
habe,  später  lebhaft  beweglich  geworden  sei.  Es  liegt  freilich  hier 
der  Gedanke  an  einen  Rückschlag  nahe  genug.  Ausgeschlossen 
scheint  ein  solcher  dagegen  nach  unseren  bisherigen  Kenntnissen  beim 
Kuhrbazillus,  von  dem  ein  Stamm  nach  Mühlmann®)  in  stark 
alkalischer  Bouillon  fortgezüchtet,  zu  wiederholten  Malen,  aber  immer 
nur  vorübergehend,  eine  „typhöse  Beweglichkeit"  in  Traubenzucker- 
bouillon oder  Agar  gezeigt  haben  soll.  Die  sogenannte  Beweglichkeit 
der  „homogenen"  Tuberkelbazillen  Arloings  und  Courmonts 
ist  wohl  nichts  anderes  als  Molekularbewegung®),  die  ja  auch  sonst 
oft  mit  Eigenbewegung  verwechselt  worden  ist. 

Ob  die  Z  a  h  1  und  namentlich  dieAnordnungderGeißeln 
ebenfalls  erheblichen  Abändenmgen  unterliegt  in  dem  Sinne,  daß  ein 


1)  Über    die    Beeinflussung    der  Beweglichkeit    durch    physikalische 
und  chemische  Einflüsse  vgl.  §  46  u.  56. 

2)  Ref.   Bull.   Pasteur   1905.   241. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  21. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  22.  28. 

5)  Zentr.  Bakt.  31. 

6)  Ebenda  33  und  ebenda  2.  Abt.  9  und  11. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  34. 

8)  Arch.  f.  Hyg.   69,   1908. 

9)  Vgl.   C.  Fränkel,  Hyg.   Rundschau   1900.   630;  Romberg, 
Deutsch,  med.  Woch.   1901.   18/19. 


1136  Kap.  XVIII,    §  348—350. 

Übergang  vom  monotrichen  zum  lophotrichen  oder  peritrichen  Typus 
und  umgekehrt  möglich  wäre,  ist  noch  nicht  ausgemacht.  Im  allge- 
meinen scheint  es  sich  hier  um  recht  beständige  Charaktere  zu 
handeln  (§  359). 

§  349.  Zusammensetzung  des  Mikrobenleibes.  Mikro- 
chemische Reaktionen.  Über  die  Schwankungen  in  der  chemischen 
Zusammensetzung  der  Körper  der  Bakterien  und  Pilze  und  ihre  Ab- 
hängigkeit von  dem  Entwicklungszustande  und  der  Ernährung  wurde 
schon  früher  gehandelt  (S.  59).  Wenn  wir  den  ungleichen  Gehalt  von 
verschiedenen  Rassen  derselben  Art  an  Schleim  (§  351),  ihre  ungleiche 
Ausstattung  mit  fermentativen  Kräften  (§  353),  ihre  imgleiche  Wider- 
standsfähigkeit (§  350)  und  Reaktionsfähigkeit  gegenüber  SchädUch- 
keiten  (s.  o.)  bedenken,  wird  es  wahrscheinlich,  daß  sie  auch  in  ihrem 
chemischen  Aufbau  mehr  oder  weniger  erhebUch  voneinander  ab- 
weichen können.  Mit  Hilfe  der  groben  chemischen  Analyse  wird  das 
aber  nur  ausnahmsweise,  z.  B.  im  ersteren  Fall,  nachweisbar  sein.  Es 
fehlt  übrigens  an  Untersuchungen  darüber. 

Hin  und  wieder  hat  man  bei  verschiedenen  Rassen  derselben  Art 
Unterschiede  in  ihrem  mikrochemischen  Verhalten  (vgl. 
Kap.  I),  namentlich  in  ihrer  Säurefestigkeit  (vgl.  §  19)  ge- 
funden. So  sollen  Bakterien  bzw.  Strahlenpilze  durch  Züchtimg  in 
fetthaltigen  Nährböden  säurefest  werden  (Bienstock^),  Gott- 
stein ^),  Potet,  Pellegrino*))  imd  umgekehrt  Leprabazillen 
in  künstlichen  Kulturen  meist  ihre  Säurefestigkeit  verlieren  (D  e  y  c  k  e 
und  Reschad-Bey  *)).  Gewöhnlich  handelt  es  sich  aber  wohl 
hier  um  eine  nicht  beständige  Emährungsmodifikation  (Fettnahnmg?) 
und  im  Falle  der  Lepra  wohl  um  Verunreinigungen,  die  mit  den  eigent- 
lichen Erregem  der  Lepra  nichts  zu  tun  haben.  Gerade  Strahlenpilze 
kommen  als  Verunreinigungen  häufiger  in  Betracht,  als  man  gewöhn- 
lich annimmt,  da  sie  in  der  Luft  weit  verbreitet  sind  und  zum  Teil 
hohe  Temperaturen  vertragen.  Die  Möglichkeit  der  Entstehung  säure- 
fester und  nicht  säurefester  Spielarten  einer  imd  derselben  Art  ist 
freilich  von  vornherein  um  so  weniger  abzuleugnen,  als  säurefeste 
Mikroben,  z.  B.  die  Tuberkelbazillen,  anscheinend  gewisse  Stadien  der 
Entwicklung  durchlaufen,  in  denen  sie  nicht  säurefest  sind  (vgl. 
M  u  c  h  u.  a.  S.  45,  Anm.  1).    Ob  das  bei  anderen  Bakterien  auch  für 


1)  Fortschr.  d.  Mediz.   1886.  6. 

2)  Ebenda  1886.  8. 

3)  Annali  d'igiene  1906. 

4)  Deutsch,  med.  Woch.  1905.  13/14.  Vgl.  aber  die  neuesten  offenbar 
besser  gelungenen  Z ü chtungsversuche  mit  Leprabazillen  von  Kedrowsky 
und  Küster  (1910). 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1137 

die  Gramfestigkeit  (§  18)  gilt,  wäre  zu  erwägen.  Dadurch 
würden  sich  dann  vielleicht  manche  widerstreitende  Angaben  in  der 
Literatur  über  die  Fähigkeit  gewisser  Bakterien,  sich  nach  Gram 
zu  färben,  erklären  lassen.  Vorläufig  dünkt  es  uns  freilich  wahrschein- 
licher, daß  diese  Abweichungen  durch  die  etwas  unregelmäßigen  Er- 
gebnisse des  Färbeverfahrens  selbst  bedingt  werden.  Daß  die  Gram- 
festigkeit eine  Eigenschaft  ist,  die  bei  manchen  Bakterienarten  stärker 
ausgesprochen  ist  als  bei  anderen,  ist  sicher,  ebenso,  daß  absterbende 
Formen  leichter  entfärbbar  sind  als  Bakterien  auf  der  Höhe  ihrer 
Entwicklung. 

§  350.  Widerstandsfähigkeit.  Daß  die  einzelnen 
Individuen  derselben  Kultur,  und  zwar  sowohl 
im  vegetativen  als  im  S  p  or  e  n  z  u  s  t  a  n  d,  ungleiche 
Widerstandsfähigkeit  gegen  schädliche  Ein- 
flüsse, z.B.  ihre  eigenen  S  t  o  f  f  we  ch  s  e  1  p  r  o  d  u  k  t  e^), 
ferner  künstliche  a  n  t  i  s  e  p  t  i  s  c  h  e  Zusätze,  Er- 
hitzung und  Trocknung  besitzen,  ist  eine  all- 
tägliche Erfahrung,  ebenso  daß  es  namentlich  unter  den 
Sporenbildnem  natürliche  Rassen  ungleicher  Widerstandsfähigkeit^) 
gibt.  Die  Desinfektionspraxis  muß  damit  rechnen.  Aber  auch  die 
künstliche  Heranziehung  widerstandsfähiger  und  andererseits  wider- 
standsloser   Spielarten   ist  mehrfach  gelimgen. 

Nach  der  lange  dauernden  Einwirkung  höherer  Temperaturen  oder 
antiseptischer  Mittel  zum  Zwecke  der  Ahschwächung  von  Bakterien  beob- 
achtete Smirnow  ')  regelmäßig  eine  größere  Empfindlichkeit  gegen 
Desinfektionsmittel.  Nach  Behring*)  trifft  das  freilich  nicht  immer  zu 
(S.  1067).  Garbowski*)  beobachtete  eine  Herabsetzung  der  Wider- 
standsfähigkeit auch  bei  Sporen  von  Saprophyten  nach  Behandhuig  mit 
physikalischen  und  chemischen  Mitteln.  Findet  die  Einwirkung  der  ent- 
wicklungshemmenden Einflüsse  allmählich  statt,  so  macht  sich  sogar  eine 
Anpassung  geltend.  Das  haben  Galeotti*),  Dieudonn^^)  für 
Milzbrand-  und  Prodigiosusbazillen  gegenüber  Temperattiren  von  40 — 42®, 


1)  Vgl.  das  allmähliche  Absterben  der  Keime  in  den  Kxilturen 
§  36  u.  37. 

2)  Esmarch,  Zeitschr.  f.  Hyg.  1,  Geppert,  Berl.  klin.  Woch. 
1889.  36  und  1890.  12,  Weil,  Zentr.  Bakt.  30,  Kokubo,  ebenda  34 
berichten  über  Milzbrandsporen,  Dannappel,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
8.  841,  1900  über  zahlreichen  Sporenarten. 

3)  Zeitschr.  f.  Hyg.  4. 

4)  Ebenda  6. 

5)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  19  und  20. 

6)  Sperimentale  1892. 

7)  Arb.  Gesundheitsamt  9. 

Kruse,  Mikrobiologie.  72 


1 132  Kap.  XVIII,  §  346  u.  347. 

peschkin*)  bei  einem  ,,Bac.  Berestnevi",  der  offenbar  einen  Über- 
gang zu  den  Strahlenpilzen  bildet.  Denn  die  Nachkommen  ver- 
zweigter Individuen  wiesen  \'iel  häufiger  diese  Merkmale  auf,  als  die  von 
un  verzweigten . 

Während  man  immittelbar  nach  der  Entdeckung  des  Cholera- 
vibrio großen  Wert  auf  die  bestimmte  Form  tmd  Größe  desselben  legte 
und  glaubte,  ihn  schon  dadurch  von  ähnlichen  Vibrionen  trennen  zu  kön- 
nen, wies  zunächst  F  i  r  t  s  c  h  *)  am  Spirillum  Finkler-Prior 
(„Vibrio  Proteus")  nach,  daß  er  sich  in  morphologische  Ab- 
arten von  mehr  oder  minder  großer  Beständigkeit 
spalten  läßt.  Dasselbe  gelang  mir')  beim  Choleravibrio.  Nach 
längerem  Aufenthalt  in  Brunnenwasser  wurden  aus  ihm  zwei  dauerhafte 
Varietäten  herausgezüchtet,  von  denen  die  eine  regelmäßig  plumpe,  die 
andere  lange,  schlanke  Kommas  bildete.  Später  isoliert«  ich  ähnliche 
Spielarten  aus  sehr  alten  Cholerakulturen,  deren  Zurückführung  auf  den 
alten  Typus  erst  mittelst  zahlreicher  Übertragungen  auf  Meerschweinchen 
glückte  (vgl.  Metschnikoff  *)).  Gewöhnlich  sind  die  atypischen 
Formen  weniger  beständig  (Friedrich  *)). 

Aus  einer  Hefekultur  konnte  B  a  r  b  e  r  ebenso  wie  beim 
Typhus  (s.  o.)  durch  mikroskopische  Isolierung  eine  Abart  mit  ge- 
streckten Zellen  züchten.  Eine  ähnliche,  aber  nicht  dauerhafte 
Abänderung  hatte   Hansen   schon  früher  in  Gelatineplatten  beobachtet. 

Der  Polymorphismus  und  Generationswechsel 
vieler  Protozoen,  z.  B.  der  menschlichen  und  tierischen  Malaria- 
parasiten, gehört  nicht  zu  den  Veränderungen,  die  wir  hier  besprechen 
wollen,  weil  er  nur  der  regelmäßigen  Entwicklung  dieser 
Parasiten  entspricht  (S.  1122).  Wohl  würde  aber  eine  Veränderlichkeit  in 
unserem  Sinne  vorliegen,  wenn  die  einzelnen  Arten  oder  Abarten  der  Ma- 
lariaerreger wirklich  imstande  wären,  ineinander  überzugehen. 
Das  ist  in  der  ersten  Zeit  nach  ihrer  Entdeckimg  \'ielfach  behauptet,  aber 
ebensooft  und  mit  guten  Gründen  bestritten  worden.  In  der  Tat  liegt  es 
näher,  die  betreffende  Tatsache  durch  Mischinfektion  z.  B.  mit  den  Tertian- 
und  Quartan-,  bzw.  Tropikapareusiten  zu  erklären.  Immerhin  gibt  es  Fälle, 
in  denen  diese  Deutung  recht  gezwungen  erscheint*) 

§  347.  Sporen.  Zur  Sporenbildung  ist  außer  gewissen  äußeren 
Voraussetzungen,  wie  Temperatur,  Sauerstoffzutritt,  Erschöpfung  der 
Nährböden  usw.  (§  38),  noch  eine  innere  Anlage  des  Bakterienleibes 
bzw.  Pilzleibes  vonnöten,  die  nur  einer  beschränkten  Zahl  von  Arten 
zukommt.  Die  Erfahrung  hat  gelehrt,  daß  alle  diejenigen 
Mittel,  die  geeignet  sind,  die  Entwicklung  von 
Sporen  zu  stören,  auch  zum  erblichen  Verlust 
des   Sporenbildungsvermögei>s  führen.    Rückschläge 

1)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.   12.  641,   1904. 

2)  Arch.  f.  Hyg.   8. 

3)  Kruse,  Zeitschr.  f.  Hyg.   17.   36. 

4)  Annal.   Pa.steur   1894.   5  und  8. 

5)  Arb.  K.   Gesundheitsamts  8. 

6)  Vgl.  z.  B.  A.  Plehn,  Deutsch,  med.  Woch.  1907.  30. 


Veränderlichkeit  der  Klein wesen,  1 147 

Gelegentlich  kommen  auch  streng  anaerobe  Strepto-  und  Pneumo- 
kokken vor.  In  einem  solchen  Falle  gelang  Bolognesi  ^)  schließlich 
doch  die  Kultur  bei  Sauerstoffzutritt. 

§  353.  Zersetzungen  und  Zersetzungsstoffe.  Die  Veränder- 
lichkeit des  Verflüssigungs-  (Peptonisierungs-)  und  Schleimbildungs- 
vermögens  wurde  schon  früher  besprochen  (§  351).  In  ähnlicher  Weise 
können  auch  andere,  ja  wahrscheinlich  alle  anderen  fermentativen 
Vorgänge  Abänderungen  unterliegen.  Hand  in  Hand  mit  den  eiweiß- 
lösenden Enzymen  pflegt  auch  das  Labenzym  der  Mikroben  ver- 
loren zu  gehen.  Eine  mehr  oder  minder  vollständige  Einbuße  der 
ursprünglich  vorhandenen  Fähigkeit,  Milch  gerinnen  zu  lassen,  ist 
aber  auch  bei  nicht  labbildenden  Bakterien,  z,  B.  Streptokokken,  Coli- 
und  Aerogenesbazillen,  wenn  sie  auf  einem  gewöhnlichen,  von  Milch- 
zucker freien  Nährboden  gezüchtet  werden,  häufig  zu  beobachten. 
Hier  leidet  offenbar  das  Vermögen,  den  Milchzucker  in  milch-  oder 
essigsaure  bzw.  gemischte  Gärung  zu  versetzen  (§  97  u.  98  ff.,  112). 
In  der  Literatur  sind  zahlreiche  Versuche,  das  Gärvermögen  von  Bak- 
terien und  Pilzen  gegenüber  diesen  und  anderen  Zuckerarten  bzw. 
Glykosiden,  ebenso  wie  alle  möglichen  anderen  fermentativen  Eigen- 
schaften zu  beeinflussen,  niedergelegt.  Sie  haben  aber  recht  ungleiche 
Ergebnisse  gehabt,  unseres  Erachtens  nur  ein  Beweis  dafür,  daß  die 
Fähigkeit,  Gärungsenzyme  zu  bilden,  bald  mehr, 
bald  weniger  beständig  ist. 

Erhebliche  Abänderungen  beobachteten  Orotenfelt*),  Rodot 
und  R  o  u  X  •),  M  a  1  v  o  z  *),  S  c  h  i  e  r  b  e  c  k  *),  T  h.  G  r  u  b  e  r  •), 
Klotz'),  M.  Neißer  und  Massini'),  Burk*),  Sauer- 
be c  k  *°)  und  Verfasser  bei  Bakterien  aus  der  Gruppe  der  Aerogenos- 
und  Oolibazillen,  und  zwar  zeigten  sich  diese  —  nach  Züchtung 
in  ungünstigen,  z.  B.  karbolhaltigen  Nährböden  —  teils  in  einer  Ab- 
nahme, teils  —  nach  systematischer  Anpassung  an  Nährböden,  die 
vergärbare  Stoffe  enthielten  —  in  einer  Zunahme  der  Gärkraft  (oder 
des  hydrolytischen  Vermögens).  Manchmal  entspricht  einer  Zunahme 
des  Vermögens,  saure  Gärungen  zu  bewirken,  eine 
Abnahme  des    Schleimbildungs  Vermögens    (Th.  Gru- 


1)  Zentr.  Bakt.  43.   112. 

2)  Fortschr.  d.  Med.   1889.  4. 

3)  Bull.  m6d.   1892.  865. 

4)  Recherches  bactöriol.  s.  1.  fidvre  typhoide.    Bruxelles   1892;  vgl. 
auch  die  Literatur  bei  Kießling,  Hyg.  Rundschau  1893.   17. 

5)  Arch.  f.  Hyg.  38. 

6)  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  9.  786. 

7)  Joum.  of  infect.  diseas.   1906. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  61,  1907. 

9)  Arch.  f.  Hyg.  65. 

10)  Zentr.  Bakt.  50,  1909. 


1134  Kap.  XVIII,  §  347  u.  348. 

Kulturen  des  „beweglichen  Buttersäurebazillus"  in  der  Hand  gehabt  hat. 
die  unbeweglich  waren  und  keine  Sporen  bildeten.  In  diesen  Fällen  glückte 
es  ihm,  auf  mit  Kreide  eingeriebenen  Kartoffeln  die 
Sporenbildung  wieder  hervorzurufen.  Auf  gewöhn- 
lichem Traubenzuckeragar  lassen  sich  dann  diese  wie  andere  Stamme 
leicht  weiterzüchten,  jedoch  nur  dann  mit  Erhaltung  des  Sporenbildungs- 
vermögens,  wenn  man  die  Sporen  allein  überimpft, 
d.  h.  das  Impfmaterial  regelmäßig  vorher  5  Minuten  auf  80*  erhitzt  (S  1127). 
Mit  Hilfe  mikroskopischer  Auslese  ist  es  Barber  (S.  II31) 
gelungen,  bei  Bac.  megatherium  eine  sporenlose  Abart  zu  züchten. 
Er  schließt  daraus  wohl  nicht  ganz  mit  Recht  auf  die  maßgebende  Be- 
deutung der  Mutation.  Auch  Preisz  ^)  isoliert«  aus  einer  und  der- 
selben Milzbrandkultur  neben  Bazillen,  die  leicht  Sporen  bildeten, 
solche,  die  es  nicht  taten. 

Wenn  die  Neigung  zur  Bildung  von  Sporen  variabel  ist,  so  ist 
die  Größe,  Stellung  und  Form  der  Sporen^),  die  Art  ihrer  Anskeimung^), 
ihre  Widerstandsfähigkeit  gegenüber  Schädlichkeiten*)  wahrscheinlich 
ebenso  veränderlich.  Dafür  sprechen  die  Schwankungen,  die  in  allen 
diesen  Beziehungen  bei  den  einzelnen  Individuen  derselben  Kultur 
beobachtet  werden,  sowie  die  Erfahrungen,  die  man  an  verschiedenen 
Stämmen  derselben  Art  gemacht  hat  (s.  u.  natürliche  Varietäten  §  357). 
Das  schließt  nicht  aus,  daß  die  Abweichimgen  geringer  werden,  wenn 
man  die  Stämme  längere  Zeit  unter  gleichen  Bedingungen  züchtet 
und  dann  vergleicht,  wie  es  Bredemann  getan  hat. 

Daß  sporenbildende  Hefezellen  (Saccharomyces)  die  Fähig- 
keit, Sporen  zu  bilden,  dauernd  verUeren  können,  ist  eine  alte  Er- 
fahrung. So  erwähnt  Hansen^)  eine  Abart  des  S.  Pastorianus  I, 
die  schon  12  Jahre  lang  diese  Eigenschaft  beibehalten  habe.  Ja,  nach 
demselben  Forscher  läßt  sich  gerade  diese  Abänderung  sicherer  be- 
herrschen als  die  anderer  Eigenschaften. 

Die  genannte  Varietät  wurde  erhalten  durch  Züchtung  in  Bierwürze 
bei  einer  Temperatur,  die  höher  war  als  das  Tomperaturmaximum  für  die 
Sporenbildung.  Andere  ähnliche  Spielarten  entstanden  aber  anscheinend 
freiwillig  (S.  Ludwigii,  Marxianus*),  Schizosaccharomyces  octosporus^)). 
waren  allerdings  nicht  ebenso  beständig,  ließen  sich  z.  B.  in  sporen- 
bildende zurückverwandeln  dwch  Übergang  von  Bierwürze  zu  Trauben- 
zuckernährböden oder  durch  trockene  Hitze,  die  die  vegetativen  Formen 
vernichtete  und  die  noch  vereinzelt  gebildete  Sporen  übrig  ließ. 

1)  Zentr.  Bakt.  35.  6. 

2)  Vgl.  hier  v.  Hibler,  Bredemann  a.  a.  O. 

3)  Ebenda  und  C  a  s  p  a  r  i ,  Arch.  f.  Hyg.  42,  1902. 

4)  Compt.  rend.  trav.  labor.  Carlsbiu-g  511,  1900;   ref.  Zentr.  Bakt. 
2.  Abt.  7.  199. 

5)  Vgl.  Anm.  4. 

6)  S.  bei  K  1  ö  c  k  e  r  ,  Gärungsorganismen  1900,  S.   194. 

7)  Beijerinck,    Zentr.    Bakt.    2.  Abt.    4.    637,    1898. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1135 

§  348.  Beweglichkeit.  Mehr  oder  minder  vollständiger  Ver- 
lust der  Beweglichkeit^)  wird  nach  unseren  eigenen  Erfahrungen  gar 
nicht  selten  an  Laboratoriumskulturen,  z.  B.  von  Typhus,  Cholera 
beobachtet.  Besonders  berichten  über  imbewegliche  Stämme  des 
Micrococcus  agiUs  und  der  Sarcina  mobilis  Lehmann  und  N  e  u  - 
mann,  des  Typhusbazillus  Stephens^),  des  Colibazillus  V i  1  - 
linger^)  und  Barber  (S.  1131),  des  Choleravibrio  Bonhoff*). 
Teils  handelt  es  sich  um  Abänderungen,  die  offenbar  im  Laufe  der 
künstlichen  Züchtung  aus  den  älteren  Nährböden  aufgetreten  sind, 
teils  um  Entartungsformen,  die  durch  Kultur  in  karbolhaltiger  Bouil- 
lon bei  42°  (Villinge  r)  erhalten,  teils  um  Rassen,  die  durch  mikro- 
skopische Auslese  (Barber)  gewonnen  wurden. 

Aber  auch  der  umgekehrte  Fall,  das  Auftreten  von  Beweglichkeit 
bei  sonst  unbeweglichen  Bakterien,  ist  beschrieben  worden.  Wir  können 
allerdings  vorläufig  noch  nicht  glauben,  daß  die  auffallende  Behaup- 
tung von  A.  M  e  y  e  r  ^)  und  Ellis®),  alle  Kokken  und  Ba- 
zillen seien  mit  Geißeln  ausgestattet  und  beweg- 
lich, den  Tatsachen  entspreche,  aber  kaum  einen  Zweifel  läßt  zu  die 
Beobachtung  von  Zierler'),  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  , 
nach  der  der  Bac.  implexus,  der  sich  jahrelang  imbeweglich  gezeigt 
habe,  später  lebhaft  beweglich  geworden  sei.  Es  hegt  freilich  hier 
der  Gedanke  an  einen  Rückschlag  nahe  genug.  Ausgeschlossen 
scheint  ein  solcher  dagegen  nach  unseren  bisherigen  Kenntnissen  beim 
Ruhrbazillus,  von  dem  ein  Stamm  nach  M  ü  h  1  m  a  n  n  ®)  in  stark 
alkalischer  Bouillon  fortgezüchtet,  zu  wiederholten  Malen,  aber  immer 
nur  vorübergehend,  eine  „typhöse  Beweglichkeit"  in  Traubenzucker- 
bouillon  oder  Agar  gezeigt  haben  soll.  Die  sogenannte  Beweglichkeit 
der  „homogenen**  Tuberkelbazillen  A  r  1  o  i  n  g  s  und  Courmonts 
ist  wohl  nichts  anderes  als  Molekularbewegung^),  die  ja  auch  sonst 
oft  mit  Eigenbewegung  verwechselt  worden  ist. 

Ob  die  Z  a  h  1  und  namentlich  dieAnordnungderGeißeln 
ebenfalls  erheblichen  Abänderungen  unterliegt  in  dem  Sinne,  daß  ein 


1)  Über    die    Beeinflussung    der  Beweglichkeit    durch    pliysikaHsche 
und  chemische  Einf Hisse  vgl.   §  46  u.  56. 

2)  Ref.   Bull.   Pasteur   1905.   241. 

3)  Arch.  f.  Hyg.  21. 

4)  Arch.  f.  Hyg.  22.  28. 

5)  Zentr.  Bakt.  31. 

6)  Ebenda  33  und  ebenda  2.  Abt.  9  und  11. 

7)  Arch.  f.  Hyg.  34. 

8)  Arch.  f.  Hyg.  69,   1908. 

9)  Vgl.  C.  Frank  el,  Hyg.  Rundschau   1900.   630;   R  o  m  b  e  r  g  , 
Deutsch,  med.  Woch.   1901.   18/19. 


1136  Kap.  XVIII,   §  348—350. 

Übergang  vom  monotrichen  zum  lophotrichen  oder  peritrichen  Typus 
und  umgekehrt  möglich  wäre,  ist  noch  nicht  ausgemacht.  Im  allge- 
meinen scheint  es  sich  hier  um  recht  beständige  Charaktere  zu 
handeln  (§  359). 

§  349.  Zusammensetzung  des  Mikrobenleibes.  Mikro- 
chemische Reaktionen.  Über  die  Schwankungen  in  der  chemischen 
Zusammensetzung  der  Körper  der  Bakterien  und  Pilze  und  ihre  Ab- 
hängigkeit von  dem  Entwicklungszustande  imd  der  Ernährung  wurde 
schon  früher  gehandelt  (S.  59).  Wenn  wir  den  ungleichen  Gehalt  von 
verschiedenen  Rassen  derselben  Art  an  Schleim  (§  351),  ihre  ungleiche 
Ausstattung  mit  fermentativen  Kräften  (§  353),  ihre  ungleiche  Wider- 
standsfähigkeit (§  350)  und  Reaktionsfähigkeit  gegenüber  Schädlich- 
keiten (s.  o.)  bedenken,  wird  es  wahrscheinlich,  daß  sie  auch  in  ihrem 
chemischen  Aufbau  mehr  oder  weniger  erhebüch  voneinander  ab- 
weichen können.  Mit  Hilfe  der  groben  chemischen  Analyse  wird  das 
aber  nur  ausnahmsweise,  z.  B.  im  ersteren  Fall,  nachweisbar  sein.  Es 
fehlt  übrigens  an  Untersuchungen  darüber. 

Hin  und  wieder  hat  man  bei  verschiedenen  Rassen  derselben  Art 
Unterschiede  in  ihrem  mikrochemischen  Verhalten  (vgl. 
Kap.  I),  namentlich  in  ihrer  Säurefestigkeit  (vgl.  §  19)  ge- 
funden. So  sollen  Bakterien  bzw.  Strahlenpilze  durch  Züchtung  in 
fetthaltigen  Nährböden  säurefest  werden  (Bienstock^),  Gott- 
stein ^),  Potet,  Pellegrino^))  und  umgekehrt  Leprabazillen 
in  künstlichen  Kulturen  meist  ihre  Säurefestigkeit  verlieren  (D  e  y  c  k  e 
und  Reschad-Bey  *)).  Gewöhnlich  handelt  es  sich  aber  wohl 
hier  um  eine  nicht  beständige  Emährungsmodifikation  (Fettnahrung?) 
und  im  Falle  der  Lepra  wohl  um  Verunreinigungen,  die  mit  den  eigent- 
lichen Erregem  der  Lepra  nichts  zu  tun  haben.  Gerade  Strahlenpilze 
kommen  als  Verunreinigungen  häufiger  in  Betracht,  als  man  gewöhn- 
lich annimmt,  da  sie  in  der  Luft  weit  verbreitet  sind  und  zum  Teil 
hohe  Temperaturen  vertragen.  Die  Möglichkeit  der  Entstehung  säure- 
fester und  nicht  säurefester  Spielarten  einer  und  derselben  Art  ist 
freilich  von  vornherein  um  so  weniger  abzuleugnen,  als  säurefeste 
Mikroben,  z.  B.  die  Tuberkelbazillen,  anscheinend  gewisse  Stadien  der 
Entwicklung  durchlaufen,  in  denen  sie  nicht  säurefest  sind  (vgl. 
M  u  c  h  u.  a.  S.  45,  Anm.  1).   Ob  das  bei  anderen  Bakterien  auch  für 


1)  Fortschr.  d.  Mediz.   1886.  6. 

2)  Ebenda  1886.  8. 

3)  Annali  d'igiene  1906. 

4)  Deutsch,  med.  Woch.  1905.  13/14.  Vgl.  aber  die  neuesten  offenbar 
besser  gelungenen  Z ü chtungsversuche  mit  Leprabazillen  von  Kedrowsky 
und  Küster  (1910). 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1151 

§  355.  Giftigkeit.  Die  Veränderlichkeit  der  Giftbildung'^bei 
verschiedenen  Stammen  einer  und  derselben  Bakterienart  ist  eine  längst 
bekannte  Tatsache.  Meist  handelt  es  sich  dabei  nur  um  quantitative, 
manchmal  aber,  wenigstens  anscheinend,  auch  um  qualitative  Unter- 
schiede, d.  h.  um  das  Auftreten  bestimmter  Gifte  bei  einigen  Stämmen, 
die  bei  anderen  fehlen.  Dahin  gehören  namentlich  die  hämolytischen 
(vgl.  Cholerabazillen,  El-Tor  §  312)  und  die  akut  wirkenden  Gifte 
(Typhus  §  286,  Cholera  §  284).  Aber  auch  die  Giftigkeit  eines  und 
desselben  Stammes  wechselt,  indem  sie  entweder  —  z.  B.  bei  fort- 
gesetzter Kultur  in  den  gewöhnUchen  Nährböden  —  abnimmt  oder 
namentlich  bei  Züchtung  unter  bestimmten  für  die  Giftbildung  gün- 
stigen Bedingungen  zunimmt.  Die  Angaben  über  die  Beschaffenheit 
dieser  Bedingungen  wechseln  sehr,  vielfach  wird  behauptet,  der  Durch- 
gang durch  den  Tierkörper  verstärke  die  Giftigkeit  (§  271).  Als  Regel 
darf  das  aber  wohl  nicht  gelten,  die  Analogie  mit  der  Virulenz  besteht 
jedenfalls  nicht  zu  Recht,  eher  darf  man  das  Gegenteil  erwarten,  da 
beide  Eigenschaften  ja  sogar  —  wenigstens  bei  den  Immungiften  — 
einander  entgegengesetzt  zu  sein  pflegen  (§  268).  Nur  die  gewöhn- 
lichen Endotoxine  nehmen  manchmal  (S.  948)  und  die  Hämolysine 
öfters  (vgl.  Staphylokokken  und  Streptokokken  §  312)  gleichzeitig  mit 
der  Virulenz  zu  und  ab.  Eigentümlich  und  noch  nicht  aufgeklärt  sind 
die  gewissermaßen  individuellen  Schwankungen  in  der  Giftbildung, 
die  z.  B.  beobachtet  werden,  wenn  man  eine  Reihe  von  ganz  gleich 
zusammengesetzten  Nährflüssigkeiten  mit  derselben  Kultur  beimpft. 
Ob  hier  vererbliche  Mutationen  oder  bloß  Emährungsmodifikationen 
infolge  oligodynamischer  Einflüsse  vorliegen,  verdiente  weiter  ver- 
folgt zu  werden. 

§  356.  Infektiosität,  Angriffsstoffe  und  andere  Impfstoffe. 
Kaum  eine  Eigenschaft  der  Mikroben  ist  so  leicht  zu  beeinflussen 
bzw.  so  veränderlich,  wie  die  Fähigkeit,  im  lebenden  Tierkörper  zu 
wachsen,  die  sogenannte  Virulenz  (Infektiosität  §  51)  und  die  damit 
zusammenhängende  Bildung  der  Angriffsstoffe  (§  319  ff.),  sowie  die 
der  übrigen  Impfstoffe  (§  334  ff.),  die  anscheinend  nichts  unmittel- 
bar mit  der  Virulenz  zu  tun  haben.  Die  ausführliche  Besprechung 
der  bisher  beobachteten  Abänderungen  wird  zweckmäßiger  verbunden 
mit  der  Darstellung  der  allgemeinen  Erscheinungen  der  Infektion  und 
der  sogenannten  Immunisierungsverfahren  (vgl.  Infektions-  und  Im- 
munitätslehre). Bemerkt  wurde  aber  schon  (§  330),  daß  die  haupt- 
sächlichsten Methoden  zur  Erzielimg  von  Abänderungen  auch  hier  in 
Frage  kommen :  erstens  die  Benutzung  schädigender, 
physikalischer  und  chemischer  Einflüsse,  wie 
Hitze,    Trockenheit,    Druck,    Belichtung,    Elektrizität,    entwicklungs- 


1152  Kap.  XVIII,  §  366  u.  367. 

hemmender  Stoffe,  die  künstlich  zu  den  Mikroben  zugesetzt  werden 
oder  freiwillig  in  alten  Kulturen  entstehen,  zweitens  die  Anpas- 
sung^), sei  es  nun  an  saprophytische,  sei  es  an  parasitäre  Be- 
dingimgen.  Hierzu  gehört  z.  B.  die  von  uns  a.  a.  0.  schon  besprochene 
Angewöhnung  an  Alexine  und  Immunkörper  im  Reagensglas,  femer 
die  gerade  bei  Protozoen  (Malariaplasmodien,  Piroplasmen,  Try- 
panosomen und  Spirochäten)  sehr  häufige,  aber  auch  bei 
Typhusbazillen,  Meningokokken,  Gonokokken 
und  anderen  Bakterien  beobachtete  beschränkte  Anpas- 
sung an  den  Tierkörper,  die  sich  in  den  sogenannten  latenten 
Infektionen  des  Blutes,  der  Gallen-  und  Harn- 
blase, des  Rachens,  der  Harnröhre,  der  Erscheinung 
der  sog.  Keim-  oder  Bazillenträger  äußert.  Die  Beurteilung 
der  Veränderungen,  die  an  den  Infektionserregern  selbst  dabei  vor  sich 
gehen,  wird  dadurch  erschwert,  daß  sehr  gewöhnlich  während  der 
Infektion  auch  der  Tierkörper^)  sich  an  die  Parasiten  anpaßt  (§  52 
u.  53).  Drittens  ist  auch  die  freiwillige,  scheinbar  plötzliche  Ver- 
änderung, die  sogenaimte  Mutation,  beobachtet  und  praktisch 
benutzt  worden.  Während  der  erstere  Weg  gewöhnlich,  wenn  aueh^iicht 
immer  (S.  10C8)  zu  einer  Abschwächung  der  Virulenz  führt,  erhält  man 
durch  Anpassung  imd  Mutation  bald  Abschwächung,  bald  Verstärkung. 
Wie  es  nicht  zu  bezweifeln  ist,  daß  man  auf  dem  einen  oder  anderen 
Wege  von  infektiösen  Mikroben  Rassen  erziehen  kann,  die  ihre  Viru- 
lenz völlig  verloren  haben  und  also  die  Merkmale  von  echten  Sapro- 
phyten  besitzen,  so  haben  wir  auch  gewisse  Anhaltpunkte  dafür,  daß 
man  sogenannte  Saprophyten  soweit  verändern  kann, 
daß  sie  als  Infektionserreger  erscheinen.  Am 
leichtesten  gelingt  die  Erziehung  zu  pflanzlichen  Parasiten  (Vin- 
cent*), Laurent^),  Lepoutre*)),  vielleicht  deswegen,  weil 
die  Widerstände  des  lebenden  Grewebes  hier  weniger  groß  sind.  Damit 
stimmt  ja  auch  überein  die  Tatsache,  daß  die  Pflanzenparasiten  die 
nächste  Verwandtschaft  mit  Saprophyten  haben*).  Aus  demselben 
Grunde  würden  dann  auch  für  niedere  Tiere  und  Kaltblüter  Saprophyten, 
z.  B.  phosphoreszierende  und  andere  Wasserbazillen,  Heubakterien, 
leichter  zu   Parasiten   werden*).    Man  hat  aber  durch   Versuche  an 

1)  Vgl.  auch  Eisenberg,  Zentr.  Bakt.  46,  1907.  Über  Veränder- 
lichkeit anderer  Antigene  s.  §  330  und  bei  Altmann  imd  Rauth. 
Zeitschr.  f.  Immunitätsforsch.  7,  1910.  Über  Mutation  von  solchen  s. 
unsere  Erfahrungen,  Zeitschr.  Hyg.  57,  480. 

2)  Annal.  Paateur  1898,   12. 

3)  Ebenda  1899. 

4)  Ebenda  1902. 

5)  S.  z.  B.  L  a  m  b  o  1 1  e  ebenda  1902.     Vgl.  §  74  u.  309, 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1153 

höheren  warmblütigen  Tieren  gezeigt,  daß  manche  gewöhnliche  Sapro- 
phyten,  wie  Heabazillen  und  Prodigiosus,  für  diese  in  gewissem  Grade 
infektiös  werden  können.  Scharfe  Grenzen  zwischen 
Parasiten  imd  Saprophyten  bestehen  eben  nir- 
gends, die  Fähigkeit,  Aggressine  zu  bilden,  ist  ebenso  weit  ver- 
breitet, wie  die  andere  Antigene  zu  bilden. 

Einige  weitere  Bemerkungen  über  Verändenmgen  der  Virulenz 
unter  natürlichen  Bedingungen  geben  wir  im  nächsten  Abschnitt. 

§  357.  NatQrliche  Abarten^)  und  Arten.  Es  ist  von  vorn- 
herein zu  erwarten,  daß  die  natürliche  Züchtung  in  ähnlicher  Weise 
Abarten  erzeugen  wird,  wie  die  künstliche.  Die  Erfahrung  hat  das 
auch  immer  mehr  bestätigt.  Hier  sollen  nur  einige  Beispiele  dafür 
angeführt  werden. 

Besonders  groß  ist  die  Zahl  der  Varietäten  des  Pneumonie- 
coccus  (Strept.  lanceolatus).  Durch  Vergleich  von  84  frisch  isolierten 
Stämmen  desselben  haben  Kruse  und  Pansini  *)  festgestellt,  daß 
sie  sich  nicht  nur  in  ihrem  pathogenen,  sondern  auch  in  morphologischen 
und  physiologischen  Charakteren  voneinander  vielfach  imterscheiden. 
Scharfe  Grenzenzwischen  den  einzelnen  Spielarten 
aufzustellen  ist  nicht  möglich,  d  a  a  1 1  e  Ü  b  er  g  ä  n  g  e 
zwischen  ihnen  vorkommen.  Die  Züchtung  unter  gleichen 
Bedingungen  brachte  die  Abweichungen,  auch  die  Neigung,  bazilläre  Formen 
zu  bilden,  zum  großen  Teil  zum  Verschwinden,  wobei  der  ursprüngliche 
Typus  verschwand  und  eine  immer  deutlichere  Annäherung  an  den 
Streptococcus  pyogenes  eintrat  (vgl.  S.  286,  1129  u.  1141). 
Dieser  letztere  bietet  nach  Pasquale')  u.  a.  ähnliche  Verhältnisse 
dar,  desgleichen  nach  Kruse  (S.  286)  der  dritte  im  Bunde,  der 
Streptococcus  lacticus  (Enterococcuö).  Dabei  sind 
diese  drei  Arten  selbst  wieder  durch  zahlreiche  Übergänge  miteinander 
und  auch  mit  den  verflüssigenden  luid  streng  anaeroben  Streptokokken 
(S.  1147)  verbunden,  so  daß  man  im  einzelnen  Falle  oft  schwer  sagen 
kann,  zu  welcher  Art  man  einen  Streptococcus  rechnen  soll.  Auch 
t5bergänge  zu  den  „langen  Milchsäurebazillen**  (s.  u,)  kommen  vor.  Eine 
obenfalls  veränderliche  Art  ist  die  des  Staphylo- 
coccus  pyogenes,  dessen  gefärbte  Varietäten  ja  schon  z.  T.  in  einander 
übergeführt  wiu'den  (S.  1150),  und  der  auch  von  den  saprophy tischen 
Staphylokokken  der  Haut,  Schleimhäute  und  Außenwelt  nicht  scharf  zu 
trennen  ist  (vgl.   S.   996). 

Sehr  wahrscheinlich  ist  es,  daß  es  unter  den  infektionstüchtigen 
Meningo-  und  Gonokokken  unschuldige  Spielarten  gibt,  nicht 
zu  reden  von  denjenigen  „Pseudomeningokokken",  die  sich  schon  durch 
die  Reaktionen  in  Zuckernährböden  von  ihnen  trennen  lassen  (S.    349). 


1)  Im  folgenden  ist,  wie  in  den  vorhergehenden  Abschnitten,  nicht 
unterschieden   worden   zwischen  Abc^rten,  Varietäten,  Spielarten,  Rikssen, 

2)  Zeitschr.  f.  Hyg.   11,  1891. 

3)  Zieglers  Beitr.  12,  1893. 

Kruse,  Mikrobiologie.  73 


1154  Kap.  XVIII,   !  357. 

Unter  den  sporenbildenden  Bazillen  sind  die  Aerobier 
meist  untereinander  so  nahe  verwandt,  daß  man  die  herkömmliche  Schei- 
dung in  Bac.  snbtilis,  meeentericus,  mycoides  usw.  kaum  mit  Sicherheit 
durchführen  kann.  Selbst  das  Vorhandensein  oder  Fehlen  der  Geißeln 
i3t  ja  auch  nicht  mehr  als  ein  unveränderliches  Merkmal  zu  betrachten 
(s.  o.  S  1135).  Der  Milzbrandbazillus  scheint  durch  seine  Patho- 
genität allerdings  gut  charakterisiert;  diese  wechselt  übrigens,  wie  w 
selbst  gegenüber  entgegengesetzten  Behauptungen  feststellen  müssen, 
auch  unter  natürlichen  Bedingungen  recht  bedeutend.  Auch  das  Vorkom- 
men ganz  aWrulenten  Milzbrands  ist  mehrfach  behauptet  worden,  teils 
auf  Grund  der  sonst  übereinstimmenden  Merkmale,  teils  weil  mit  diesen 
Kulturen  gegen  Milzbrand  immunisiert  werden  konnte  (H  ü  p  p  e  und 
Wood*),  Chauveau  und  Phisalix).  Die  Sache  bleibt  zweifel- 
haft, aber  die  Möglichkeit  erheblicher  Abändenuigen,  auch  nach  der  kul- 
turellen Seite  hin,  ist  nach  den  Erfahrungen,  die  man  an  Laboratoriimi- 
kulturen  gemacht  hat,  kaum  zu  bestreiten.  Auf  die  früher  öfter  als  charak- 
teristisch hingestellte  Art  der  Sporenbildung  und  Keimung 
ist  wohl  nicht  allzuviel  ixi  geben  (S.  417,  Anm.  2  und  S.   1134). 

Den  meisten  Untersuchem  ist,  wie  wir  schon  oft  in  diesem  Kapitel 
sahen,  die  große  Veränderlichkeit  der  sporenbildenden  Anae- 
rob i  e  r  ,  insbesondere  aus  der  Gruppe  der  Buttersäure-  und 
Hauschbrandbazillen,  aufgefallen,  sie  wird  auch  von  B  r  e  d  e  - 
mann  (§  113)  zugegeben,  dem  es  freilich  gelungen  ist,  dieursprüng- 
lich  bei  seinen  zahlreichen  Stämmen  vorhandenen 
Unterschiede  durch  entsprechende  Behandlung  und 
darauf  folgende  systematische  Kultur  in  den  glei- 
chen Nährböden  auf  einen  und  denselben  Typus, 
den   des   Bac.    amylobacter,    zurückzuführen. 

Als  eine  natürliche  Gruppe,  deren  Mitglieder  aber  unter  sich  wesent- 
lich in  physiologischer  Beziehung  viele  Unterschiede  zeigen,  ist  zu  be- 
trachten die  der  „langen  Milchsäurebazillen",  die  unter  dem  Namen  des 
Bac  acidophihis,  bifidus,  vaginalis,  der  Boas-Opplerschen  Bazillen  auf  den 
menschlichen  Schleimhäuten,  als  Bac.  acidificans  longissimus,  Delbrückii, 
lactis  acidi,  bulgaricus,  Lindneri,  Saccharobac.  Pastorianus  usw.  in  gären- 
den Flüssigkeiten  vorkommen  (S.  287,  s.  auch  oben  Str.  lacticus). 

Ebenfalls  der  Hauptsache  nach  saprophytische  Arten  von  großer 
Variabilität  sind  der  Proteusbazillus  Hauser  (Bact.  vulgare 
Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n) ,  und  Bac.  oloacae  Jordan,  der 
Bac.  fluorescensliquefaciens  (einschließlich  des  Pyocyaneui^) 
und  non  liquefaciens  und  selbst  der  Prodigiosus"),  der 
Bac.  faecalis  alcaligenej  Petruschkys'),  zu  denen 
wahrscheinlich  der  Bac.  lactis  innocuus  Kruses  und  a q u a t i - 
lis  sulcatus  Weichselbaums  gehören  und  die  nur  künstlich 
zu  trennende  Gruppe  des  Bact.  coli  (commune)  und  des  Bact.  (lac- 


1)  Berl.  klin.  Woch.   1889.   16. 

2)  Vgl.  Luckhardt,  Freiburger  med.  Dissert.  1901,  H e f - 
f  eran  ,  Zentr.  Bakt.  2.  Abt.  11,  1903 und  1.  Abt.  41,  1906;  B  er  tarelU, 
Zentr.  Bakt.   1.  Abt.   34,   1903. 

3)  Vgl.  K  l  i  m  e  n  k  o  ,  Zentr.  Bakt.  43.  766,   1907. 


Veränderliohkeit  der  Kleinweeen.  1155 

tis)  a^rogenes  Escherioh.  Auch  an  Übergängen  zwischen  diesen 
Arten  mangelt  es  nicht ^). 

Mit  den  letzten  beiden  Gruppen  kommen  wir  zu  den  pathogenen 
des  Typhus-  und  der  Dysenterie-,  des  Paratyphus-  und 
der  Pseudodysenteriebazillen.  Die  beiden  ersteren  Arten 
sind  weniger  der  Veränderlichkeit  ausgesetzt  als  die  letzteren,  indessen 
kommen  auch  bei  ihnen  natürliche  Spielartenvor,  diesich 
z.  B.  durch  Beweglichkeit,  Körperform,  Giftigkeit, 
Aggressivität  und  andere  antigene  Eigenschaften 
( §  330)  voneinander  unterscheiden.  Bei  den  Paratyphus- 
imd  Pseudodysenteriebazillen  sind  derartige  Spielarten  so  beständig,  daß 
11^^  geglaubt  hat,  sie  mit  besonderen  Untemamen  (cun  besten  mit  den 
Buchstaben  A,  B  usw. )  bezeichnen  zu  müssen.  Wenigstens  bei  den  Pseudo- 
d3rsenteriebazillen  scheint  diese  Beständigkeit  aber  nicht  immer  vorhanden 
zu  sein,  so  daß  man  in  einer  und  derselben  Epidemie  verschiedene  dieser 
Rassen  nebeneinander  antrifft.  Namentlich  in  sporadischen 
Fällen  findet  man  abweichende  Typen*).  Das  er- 
innert daran,  daßauch  gerade  die  am  meisten  atypi- 
schen Typhus-,  Peat-  und  Cholerakulturen  (s.  u.) 
von  vereinzelten  Fällen  oder  aber  von  sogenannten 
Bazillenträgern    stammen. 

Durch  ihre  verhältnismäßige  Abgeschlossenheit  gegenüber  anderen 
Arten  und  zugleich  durch  die  Anpassungsformen,  die  sie  in 
den  einzelnen  Tierarten  annehmen,  zeichnen  sich  aus  die 
Bazillen  der  hämorrhagischen  SeptizämioHüppes, 
von  denen  wir  freilich  jetzt  als  wesentlich  verschieden  die  der  H  o  g  - 
Cholera-  ( Paratyphus- )Bazillen  abtrennen  müssen.  Kleinere  Unter- 
schiede bestehen  übrigens  auch  hier  bei  einer  und  derselben  Unterart,  z.  B. 
unterscheidet  Klein')  bei  den  Pestbazillen  die  „Menschenpesf 
mit  längeren,  von  der  ,, Rattenpest"  mit  eiförmigen  Stäbchen,  luid  G  o  t  - 
schlich^)  züchtete  aus  chronischen  Pestfällen  atypische  Bazillen. 
Ja  wenn  wir  in  der  Geschichte  zurückgehen,  so  finden  wir  indem 
„schwarzen  Tod**  des  14.  Jahrhunderts  eine  Pest- 
epidemie, die  so  sehr  von  den  heutzutage  gewöhn- 
lichen abweicht,  daß  wir  das  vielleicht  auf  quali- 
tative nicht  bloß  quantitative  Änderungen  der  Viru- 
lenz zurückführen  dürfen.  Eine  Analogie  ist  vielleicht  ge- 
geben in  einer  Beobachtung  Martinis  *),  nach  der  es  möglich  wäre, 
auf  dem  Wege  des  Tierversuches  eine  Spielart  des  Pestbazilliis  zu  erzeugen, 
die  vorzüglich  zum  Wachstum  in  den  Lungen  geeignet  ist. 

Die  hämoglobinophilen  Bazillen  der  Influenza- 
gruppe bilden  ebenfalls  eine  sehr  natürliche  und  geschlossene  Art,  ja 


1)  Vgl.  hierzu  Kruse  in  Flügges  Mikroorg.   3.  Aufl.   2.   Bd.    1896 
luid  Lehmann  und  Neumann,   Grundriß,   4.   Aufl.    1907. 

2)  Vgl.  Kruse,  Deutsch,  med.  Woch.    1907.   8. 

3)  Vgl.    Klein,    Report    Medic.    offic.    Local    Government    board, 
1904,  Nr.  32. 

4)  Zentr.  Bakt.   Refer.    38  Beiheft    S.    100,    1906;   vgl.   auch   Shi- 
b  a  y  a  m  a  ,  Zentr.  Bakt.  38. 

5)  Kim.  Jahrb.  9. 

78* 


1156  Kap.  XVIII,  §  367  u.  368. 

wir  können  hier  vorläufig  trotz  dem  Vorkommen  mancher  morpho]og»chen 
Abänderungen,  die  aber  nicht  beständig  zu  sein  scheinen  („Pseudoinüiienza'') 
selbst  durch  die  üblichen  Serumreaktionen  keine  Einteilung  in  Unterarten 
durchführen,  obwohl  wir  durch  die  eigentümliche  Ver- 
breitung der  Bazillen  und  die  Berü  c]^k  sichtigung 
der  epidemiologischen  Verhältnisse  gezwungen 
sind,  das  Bestehen  von  solchen  neben  den  eigent- 
lichen Influenzabazillen  anzunehmen. 

Engste  Beziehungen  bestehen  ebenso  zwischen  den  Bazillen 
des  Schweinerotlaufs,  der  Mäuseseptizämie  und 
des  Erysipeloids  (F.  J.  Rosenbach  ^)),  ohne  daß  man  doch 
imstande  wäre,  sie  vollständig  miteinander  zu  identifizieren. 

Lange  bekannt  sind  Spielarten  der  Rotz-  und  Diph- 
theriebazillen. Bei  der  letzteren  ergeben  sich  aus  den  Schwan- 
kungen der  Tiervirulenz,  der  Form  und  Färbbarkeit  (Polkömer)  sogar 
erhebliche  Schwierigkeiten  für  die  Trennung  der  Erreger  der  Diphtherie 
von  den  mehr  oder  weniger  harmlosen  Pseudodiphtherie-  und 
Xerosebazillen.  Selbst  in  einer  und  derselben  Epidemie  findet 
man,    wie  bei   der   Pseudodysenterie,   gelegentlich   verschiedene  T3rpen'). 

Von  den  Unterarten  oder  Rassen  der  Tuberkelbazillen 
haben  wir  schon  gesprochen  (S.   1143). 

Selbst  die  epidemiologisch  so  gut  charakterisierte  asiatische 
Cholera  zeigt  gewisse  Unterschiede  in  der  Beschaffenheit  ihrer  Er- 
reger, wenn  diese  avich  über  gewisse  Grenzen  nicht  hinauszugehen  schei- 
nen'). Am  auffälligsten  sind  die  Schwankungen  in  der  Giftproduktion 
namentlich  in  der  Bildung  der  ohne  Inkubation  wirksamen  Toxine  (§  284) 
und  Hämolysine  (vgl.   Vibrio  El-Tor  S.   1001). 

Bei  den  Strahlenpilzen  scheinen  ebenfalls  natürliche  Spiel- 
arten vorzukommen,  jedoch  ist  die  Feststellimg  der  Tatsache  dadurch 
bisher  erschwert  gewesen,  daß  man  sich  gewöhnt  hat,  von  einer  ein- 
zigen Aktinomykose  der  Rinder  imd  der  Menschen  zu  sprechen, 
ohne  dieMöglichkeitzu  berücksichtigen,  daßbeijederTier- 
art  mehrere  Arten  dasselbe  KrankheitsbiLd  hervor- 
rufen   können. 

Das  Vorkommen  zahlreicher  natürlicher  Varietäten  mit  abweichenden 
Formen,  Wachstumsweisen  imd  Leistungen  unter  den  Hefen  ist  seit 
Hansens  Forschiuigen  eine  Tat-sache,  mit  der  die  Brauereitechnik  zu 
rechnen  versteht  ( §  86,  94 — 96).  Eine  Abgrenzung  der  Arten  wird  dadurch 
sehr  erschwert. 

Unter  den  Schimmelpilzen  ist  ähnliches  bekannt,  z.  B. 
von  den  Favuserregern  (vgl.  Plaut  S.   1150  Anm.). 

Die  noch  zweifelhafte  Frage  nach  der  Artzusammengehörigkeit 
der  Malariaparasiten  haben  wir  schon  früher  gestreift  (S.  1132). 
Sehr    in    die    Augen    fällt    aber    die    Anpassungsfähigkeit 

1)  Zeitschr.  f.  Hyg.   63,   1909. 

2)  Z  u  p  n  i  k  ,  Prag.  med.  Woch.  1902.  30—34,  Schick  und  Er- 
s  e  1 1  i  g  Wien.  klin.  Woch.   1903.  35. 

3)  K  o  11  e  und  Gotschlich,  Zeitschr.  f.  Hyg.  44;  Bürgers, 
Hyg.  Rundschau  1910.  4. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1157 

anderer  Protozoen,  namentlich  der  Trypano- 
somen an  verschiedene  Tierarten.  Ebenso  sind  Viru- 
lenzschwankungen bei  Spirochäten  allgemein  anerkannt.  Be- 
sonders bemerkenswert  sind  die  der  Spir.  pallida.  Die  historische 
wie  die  geographische  Pathologie  der  Syphilis  spricht  dafür,  daB  be- 
trächtliche Abänderungen  dieser  Krankheit  vorgekommen  sind  und 
noch  bestehen.  Sie  allein  durch  Veränderlichkeit  der  Krankheits- 
erreger zu  erklären,  dünkt  uns  freilich  völlig  immöglich.  Das  betrifft 
namentlich  auch  die  Nachkrankheiten  der  Syphilis,  wie  Tabes  und 
Paralyse^). 

Auch  die  ganz  imbekannten  oder  als  filtrierbare  Virus 
bzw.  Chlamydozoen  bezeichneten  Erreger  vieler  Infektions- 
krankheiten verändern,  wie  epidemiologische  Beobachtungen  beweisen, 
ihre  Virulenz  sowohl  nach  der  quantitativen  als  qualitativen  Seite 
hin.  Das  wichtigste  Beispiel  dafür  bietet  die  Umwandlung  der 
Menschenpocken  in  das  Kuhpockenvirus,  die  durch 
natürliche  Übertragung  ebenso  möglich  ist  wie  durch  künstUche. 

§  358.  Entstehen  und  Verschwinden  von  Krankheits- 
erregern in  der  Geschichte.  Viel  umstrittener  als  die  Verände- 
rungen von  Krankheitserregern  nach  Ort  imd  Zeit,  für  die  wir  im  vorste- 
henden manche  Beispiele  gebracht,  sind  bei  den  Infektionserregern  fol- 
gende Fragen,  die  wir  hier  wenigstens  kurz  berühren  müssen:  erstens  fragt 
man,  ob  —  in  geschichtlicher  Zeit  —  Infektionskrankheiten  bzw. 
Epidemien  selbständig,  d.  h.  ohne  Beziehung  zu  früherem  Vorkommen 
(„autochthon"),  entstanden  sind  und  noch  entstehen,  zweitens,  ob  sie 
umgekehrt  auch  freiwillig  verschwinden,  d.  h.  für  immer  vergehen 
oder  wenigstens  zeitweise  sich  gewissermaßen  erschöpfen  können. 

Von  vornherein  besteht  natürlich  die  erstere  MögUchkeit  zu  Recht, 
das  entbindet  tms  aber  nicht,  für  jeden  einzelnen  Fall  die  Wahrschein- 
lichkeit des  Vorkommens  zu  prüfen. 

Das  Auftreten  der  asiatischen  Cholera  im  19.  Jahrh\indert  wird  man 
am  ehesten  geneigt  sein,  so  zu  erklären*).  Strenge  Beweise  dafür  haben 
wir  aber  nicht.  Weit  besser  begründet  erscheint  uns  aber  die  Annahme, 
daß  noch  heutzutage  und  allenthalben  andere  Infektionskrankheiten  ent- 
stehen, so  der  Schweinerotlauf,  die  einzelnen  Formen  der  hämor- 
rhagischen Septizämie  und  vor  allem  die  Pneumonie. 
Ein  Recht  dazu  gibt  uns  das  Vorkommen  mehr  oder  weniger,  manchmal 
auch  gar  nicht  abgeschwächter  Erreger  in  der  Außenwelt  oder  auf  der 
Schleimhaut  der  gesunden  Tiere  selbst,  und  daneben  die  epidemiologische 

1)  Näheres  in  der  Infektionslehre. 

2)  Vgl.  R.  Pfeiffer,  Neufeld  und  Bürgers  in  der  Erörte- 
rung über  Cholera  auf  d.  Naturf.  Versamml.  in  Königsberg  1910.  28.  Abteil. 


1158  Kap.  XVin,  §  358  u,  369. 

Erfahrung,  d.  h.  die  Unmöglichkeit,  manche  der  betreffenden  Krankheits- 
imd  Seuchenaiisbrüche  auf  frühere  Vorkommen  zurückzufüliren.  In  letz- 
terer Beziehiing  wird  man  freilich  nicht  vorsichtig  genug  sein  dürfen,  wie 
das  Beispiel  des  Typhus  uns  gelehrt  hat,  bei  dem  heutzutage  nach  der 
Entdeckung  der  Bazillenträger  wohl  niemand  mehr  so  kaltblütig; 
wie  früher  seine  autochthone  Entstehung  zulassen  wird.  Das  „Wildwerden" 
des  Colonbazillus  und  seine  Umwandlung  in  Typhusbazillen  ist  fiir  iind 
nach  wie  vor  eine  Vorstellung,  die  uns  ebenso  abenteuerlich  vorkommt, 
wie  die  „Verkrünunung**  desselben  Bazillus  zur  Kommaform  und  seine 
Verwandlung  in  den  Cholerabazillus.  Auch  ein  Übergang  der  Pseudo- 
diphtheriebazillen  in  die  Diphtheriebazillen  vorauszusetzen, 
geben  uns  die  Tatsachen  bisher  kein  Recht.  Aber  mindestens  bei  der 
menschlichen  Pneumonie  liegen  die  Dinge  denn  doch  so,  daß  man  sie  ganz 
allgemein  als  „Selbstinfektion"  gelten  lassen  muß  (vgl.  Infektionslehre). 
Das  schließt  natürlich  nicht  aus,  daß  unter  günstigen  Umstanden  eine  selb- 
ständige Pneumonieinfektion  der  Ausgangspimkt  für  andere,  für  eine 
Epidemie  werden  kann.  Besonders  im  kindlichen  Alter  wird  man 
eine  derartige  nachträgliche  Ausbreitung  auch  bei  anderen  Selbst- 
infektionen, z.  B.  vom  Darmkanal,  nicht  für  unwahrscheinlich 
halten  dürfen.  Das  wird  ja  auch  von  der  durch  Colibazillen  verursaditen 
Kälberruhr   C.  O.  Jensen   mit  gutem  Grund  behauptet. 

Das  freiwillige  Aussterben  einer  Infektions- 
krankheit, ist  ein  Fall,  dessen  Vorkommen 
bisher  nur  ausnahmsweise^)  f  es  tge  st  e  1  It  worden 
ist.  Er  ist  auch  deswegen  nicht  wahrscheinlich,  weil  die  Voraus- 
setzung dafür  wäre,  daß  die  doch  an  verschiedenen  Orten  in 
größeren  Mengen  verbreiteten  Erreger  annähernd  gleichzeitig  durch 
Mutation  eine  Verringerung  ihrer  Virulenz  erführen.  Auch  das  Aus- 
sterben der  Arten  innerhalb  geologischer  Epochen  pflegt  man  ja 
im  wesentlichen  durch  die  Ungunst  der  Verhältnisse,  den  „Kampf 
ums  Dasein"  zu  begründen.  Trotzdem  ist  man  mehrfach  geneigt 
gewesen,  für  das  allmähliche  oder  plötzliche  Verschwinden  von 
Epidemien  eine  wenn  auch  nur  zeitweilige  „Erschöpfung"  des  Virus 
verantwortlich  zu  machen. 

In  der  Tat  könnte  man  dafür  gewisse  experimentelle  Erfahrungen 
als  Analogien  anführen,  so  soll,  van  andere  zweifelhafte  oder  widerlegte 
Ergebnisse  zu  übergehen*),  die  fortgesetzte  Übertragung  von  Hühner- 
spiroc  hüten  auf  Hühner  (Salirabeni  und  Marchoux,Leva- 
tl  i  t  i) ,  die  der  Maul-  und  Klauenseuche  von  Ferkel  auf  Ferkel 


1)  Dahin  gehört  der  sog.  englische  Schweiß,  der  nur  von  1486— 1.'>«'>1 
opidemisch  beobachtet  worden  ist.  Sehr  nahe  steht  ihm  allerdings  der 
SchweißfricHel,  der  seit  der  Mitte  des  17.  Jahrhunderts  bekannt  ist.  Vsl. 
Hirsch  Handb.  d.  histor.  geogr.  Pathol.  1.  61,  1881. 

2)  Die  indische  Pest  komm  ission  widerlegte  z.  B.  die  Behauptunjr. 
(laß  die  Pest  durch  Übertragung  von  Ratte  auf  Ratte  an  Virulenz  einbüße 
(Journ.  of  hyg.    1906.  496). 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1159 

(L ö f f  1  e r)  und  selbst  die  der  Kuhpooken  von  Kalb  auf  Kalb^) 
schließlich  deren  Infektiosität  (auch  für  dieselben  Tiere)  herabsetzen.  Um 
sie  zu  erhalten,  ist  es  nötig,  mit  dem  Tier  zu  wechseln,  z.  B.  die  Spiro- 
chäten auf  ihre  niederen  Wirte*),  die  Maul-  und  Kllauenseuche  auf  Rinder'), 
die  Kuhpocken  auf  Menschen  zu  überpflanzen.  Die  Übertragung  der  In- 
fektion des  Küstenfiebers  gelingt  sogar  sicher  nicht,  wenn  man 
die  Piroplasmen  vom  ersten  infizierten  Rind  auf  ein  zweites  Rind  ver- 
impft, der  Keim  muß  viebnehr  hier  erst  wieder  auf  Zecken  übergehen, 
um  seine  Virulenz  wiederzuerlangen  (R.  Koch).  Trotz  diesen  Beispielen 
wird  man  sich  hüten  müssen,  daraus  weitgehende  Schlüsse  auf  die  Ver- 
haltnisse bei  anderen  Infektionserregern  zu  ziehen  imd  etwa  für  Typhus, 
Cliolera,  Ruhr  und  Pest,  wie  man  es  früher  häufig  getan  hat,  die  Notwendig- 
keit eines  „saprophy tischen  Stadiums"  zur  Forterhaltung  oder  Wieder- 
belebimg der  Virulenz  anzunehmen. 

§  359.   Einteilung  und  Abstammung  der  Mikroben.    Die 

Richtung,  in  der  sich  die  natürlichen  und  künstlichen  Abänderungen 
der  Mikroben  bewegen,  sind  geeignet,  uns  über  die  verwandtschaft- 
lichen Beziehungen  der  einzelnen  Arten  aufzuklären  und  uns  so  die 
xlafstellung  eines  natürlichen  Systems  der  Mikroorganismen  zu  er- 
leichtem. Immerhin  sind  wir  nodh  weit  von  diesem  Ziel  entfernt. 
Keinem  Zweifel  unterliegt  es  allerdings,  daß  die  Unterteilung 
der  Mikroben  in  die  drei  Klassen  der  Bakterien  (Schizomyzeten),  Pilze 
und  Protozoen,  femer  die  der  Bakterien  in  Kokken,  Bazillen  und 
Spirillen  berechtigt  ist.  Auch  die  Zugehörigkeit  der  Sproßpilze  zu  den 
fadenbildenden  Pilzen  ist  längst  anerkannt,  und  deren  System  sowie 
das  der  Protozoen  in  den  Qrundzügen  festgestellt.  Durch  neuere 
Forschimgen  erscheint  freilich  die  selbständige  Stellung  der  Sporo- 
zoen imd  namentlich  ihre  Unterordnung,  der  Hämosporidien, 
immer  mehr  bedroht.  Wir  gehen  auf  die  wegen  imgenügender  Beob- 
achtungen noch  im  Fluß  befindliche  Frage  hier  nicht  weiter  ein,  son- 
dern beschränken  uns  im  folgenden  auf  die  verwandtschaft- 
lichen Beziehungen  der  Bakterien  zueinander 
und  zu  den  ihnen  nahestehenden  Klassen.  Man 
darf  wohl  sagen,  daß  nach  drei  Richtungen,  nämlich 
nach  den  Algen,  den  Pilzen  und  den  Protozoen 
hin  Verwandtschaften  bestehen. 

Die    Schizophyzeen   (Phykochromazeen)  hatte  schon  F.    C  o  h  n 
mit  den  Bakterien  (Schizomyzeten  Nägelis)   zu  einer  Gruppe  der 


1)  Die  Entartung  der  huminisierten,  d.  h.  von  Mensch  auf  Mensch 
fortgepflanzten  Ljrmphe  wird  dagegen  wohl  mit  Recht  bestritten.  Min- 
destens ist  sie  nicht  nötig  (vgl.  Paul  in  Kraus  und  Levaditis 
Handb.  1.  696  ff.,  1908). 

2)  Marchoux,  Soc.  biol.   12.  X.   1907. 

3)  Löffler,  Deutsch,  med.  Woch.  1906.  31. 


1 160  Kap.  XVm,   §  359. 

Scliizopli3rten  oder  Spaltpflanzen  vereinigt  und  die  einzelnen  Gattungen 
derselben  miteinander  in  Parallele  gestellt^).  Das  Fehlen  der  Zell 
kerne,  das  trotz  den  immer  wieder  gemachten  Versuchen,  das  Gegenteil 
zu  beweisen,  bei  beiden  Klassen  als  sicher  betrachtet  werden  kann 
(Kap.  I),  die  gleichen  Formen  bei  beiden,  die  Teilung  durch  Spaltung 
läßt  allerdings  deutlich  ihre  Verwandtschaft  erkennen.  Unterschiede 
bestehen  vor  allem  in  der  Kleinheit  der  Zellen,  dem  Fehlen  von  Chloro- 
phyll amd  Phykozyan,  dem  Vorhandensein  von  Sporen  und  Geißeln 
bei  den  Bakterien,  in  der  Zusammensetzung  ihrer  Membran  und  ihrer 
Ernährungsweise.  Manche  gewöhnlich  zu  den  Bakterien  gestellte 
Wesen,  die  Beggiatoen  und  andere  farblose  Schwefelbak- 
terien (§  208),  femer  die  roten  Schwefel-  und  Purpurbak- 
terien (§  209),  die  Leptothrix,  Cladothrix,  Phragmidiothrix,  Gallio- 
nella usw.  (vgl.  Eisenbakterien  §  216),  anscheinend  auch  das 
Azotobacter  (S.  630  ff.),  stehen  den  Spaltalgen  durch  Größe,  Poly- 
morphismus und  zum  Teil  wenigstens  durch  das  Vorhandensein  einer 
Art  von  Zentralkörper  (Bütschli  S.  47,  Anm.  2),  sowie 
einer  Beweglichkeit  ohne  Geißeln  noch  näher.  Wir 
möchten  vorschlagen,  sie  ge^'adezu  Phykobakterien*)  (Algen- 
bakterien) zu  nennen,  von  ihnen  aber  als  besondere  Unterordnungen 
die  farblosen  Schwefelbakterien  und  Purpurbak- 
terien abzutrennen. 

Durch  den  Besitz  eines  chlorophyllgrünen  Farbstoffes  den  Algen, 
in  ihren  übrigen  Eigenschaften  aber  völlig  den  Bakterien  verwandt, 
erscheinen  die  noch  wenig  bekannten  Chlorophyllbakterien 
(grüne  Bakterien  S.  779). 

Es  fragt  sich  nun  freilich,  ob  man  es  hier  überall  mit  natürlichen, 
von  den  eigentlichen  Bakterien  in  ihrer  Entwicklung  unabhängigen  Ab- 
teilungen zu  tun  hat.  Wenn  wir  von  den  Phykochromazeen  annehmen, 
daß  sie  mit  den  Bakterien  eine  einfache,  etwa  kokkoide  Urform  ge- 
meinöam  haben,  sich  aber  von  dieser  aus  unabhängig  —  wenn  auch  mit 
auffälligem  Parallelismus  der  Form  —  weiter  entwickelt  haben,  so  könnten 
wir  das  auch  von  den  Purpurbakterien,  die  ja  einen  ähnlichen  Formenkreis 
durchlaufen  und  von  den  (farblosen)  Schwefelbakterien  und  Chlorophyll- 
bakterien,  bei  denen  durch  neuere  Untersuchungen  die  gleiche  Man- 
nigfaltigkeit der  Formen  immer  wahrscheinlicher  wird,  eben- 
falls zugeben.  Eine  Schwierigkeit  besteht  freilich  insofern,  als  es  schwefel- 
haltige und  nicht  schwefelhaltige  Purpiu-bakterien  gibt,  und  damit  such 
nähere  Beziehungen  der  farblosen  xmd  gefärbten  Schwefelbakterien  nicht 


1)  Vgl.  auch  O.  K  i  r  c  h  n  e  r  ,  Schizophyzeen  in  Engl  er-Prantl, 
Pflanzenfamilien  1.  Abt.   1898. 

2)  Die  M  i  g  u  1  a  sehe  Bezeichnung  Chlamydobakterien  paßt  nicht, 
weil  eine  Scheide  oft  fehlt.  Die  Strahlenpilze,  die  M  i  g  u  1  a  zu  ihnen 
stellt,  haben  gar  nichts  mit  ihnen  zu  tim  (s.  weiter  unten  im  Text). 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1161 

unwahrscheinlich  sind.  Bei  den  Phykobakterien  überwiegen  bisher  die 
langgestreckten  und  polymorphen  Arten  so  sehr,  daß  man  geneigt  sein 
könnte,  sie  von  echten  Bazillen  abzuleiten,  immerhin  ist  es  mög- 
lich, daß  auch  sie  sich  in  einer  fünften  parallelen 
Reihe  von  derselben  Stammform  aus  entwickelt 
haben.  Vielleicht  gehört  das  Azotobakter  chroococcum,  die  Nitrobak- 
terien  Winogradskys  (§  196)  und  das  Achromatium  Schewia- 
koffs*)  sowie  gewisse  große  Spirillen  zu  derselben  Entwick- 
lungcsreihe.  Uns  scheint  es  vorläufig  näher  zu  liegen,  bei  den  genannten 
Unterordnungen  einen  solchen  Parallelismus  anzunehmen,  als  voraus- 
zusetzen, daß  die  einzelnen  Bakterienformen  (Kokken,  Bazillen,  Spirillen) 
etwa  durch  eine  in  der  gleichen  Richtimg  sich  bewegende  „Mutation"  in 
Schwefel-,  Purpur-,  Chlorophyll-  luxd  Algenbakterien  sich  verwandelt, 
oder  daß   Spaltalgen  sich  zu  Algenbakterien  zurückgebildet   haben. 

Die  verwandtschaftlichen  Beziehungen  der  Bakterien  zu  den 
Pilzen  werden  vor  allem  durch  die  Familie  der  Strahlenpilze 
(Aktinomyzeten,  früher  vielfach  Streptotricheen  genannt) 
begründet.  Die  Ähnlichkeit  der  letzteren  mit  Fadenpibsen  ist  wegen 
ihres  myzelartigen  Wachstums  mit  echten  Verzweigimgen,  der  Aus- 
bildung von  Conidien,  Lufthyphen  u.  dgl.  nicht  zu  verkennen.  Anderer- 
seits sind  sie  durch  eine  ganze  Reihe  von  Zwischengliedern  mit  den 
Tuberkel-,  Diphtherie-,  Rotz-  und  Rotlaufbazillen  verbunden^),  und 
von  den  Fadenpilzen  durch  wichtige  Merkmale,  ihre  Kleinheit  und 
vor  allem  die  ganze  Struktur  ihres  Zelleibes  geschieden.  Deswegen 
ist  es  unseres  Erachtens  unrichtig,  mit  Lehmann  imd  N  e  u  m  a  n  n 
hier  von  einer  „Hyphomyzetenfamilie"  zu  sprechen.  Die  Ähnlichkeit 
mit  den  Hyphomyzeten  ist  vielmehr,  wie  ich  früher  schon  gezeigt 
habe'),  nur  eine  äußerliche,  oder,  um  die  Beziehungen  beider  auszu- 
drücken, die  Wahrscheinlichkeit,  daß  die  Stammesgeschichte  der  echten 
Pilze  durch  die  Strahlenpilze  hindurch  auf  diese  Bakterien  (Bazillen) 
zurückführt,  erscheint  mir  gering,  Man  würde,  um  diese  Beziehungen 
auszudrücken,  die  Familie  der  Strahlenpilze  samt  den  Tuberkel-  und 
Diphtheriebazillen  usw.  besser  unter  dem  Namen  der  Mykobak- 
terien^) zusammenfassen. 

Wenn  wir  auch  vorläufig  ein  Recht  haben,  die  echten  Pilze  von 
einer  bakterienähnlichen  Urform  herzuleiten,  weil  die  Bakterien  die 
einfachsten  bisher  bekannten  Lebewesen  sind,  so  haben  sie  sich  doch 
wahrscheinlich  imabhängig,  wenn  auch  in  auffällig  paralleler  Formen- 
reihe, mit  den  Strahlenpilzen  entwickelt. 

1)  S.   bei  Migula,    System  der  Bakterien   2.    Bd.    1037,    1900. 

2)  S.  bei  Kruse  in  Flügges  Mikroorganismen  2.  Bd. 

3)  a.  a.  O.  S.  50. 

4)  Bei    Lehmann     und     N  e  u  m  a  n  n     ist     Mycobacterium    ein 
Gattungsname  für  die  säiu'efesten  Bazillen. 


1162  Kap.  XVIII,   §  359. 

Eine  weitere  Ähnlichkeit  wäre  nach  Migula^)in  der  Sporenbildung 
voa  Saccharomj^eten  und  Bakterien,  sowie  in  der  Zellteilung  von  Schizo- 
sacharomyoes  und  Bakterien  gegeben.  Man  kann  das  zugestehen,  ohne 
daraus  verwandtschaftliche  Beziehungen  herzuleiten.  Die  Unterschiede 
zwischen  den  Sproßpilzen  und  Bakterien  sind  denn  doch  zu  groß  —  man 
denke  an  Sprossung,  Membran  und  Zellkerne  bei  den  ersteren  —  und 
die  Verwandtschaft  zwischen  Sproß-  und  anderen  Pilzen  zu  eng. 

Erst  recht  können  wir  uns  mit  den  in  älterer  und  neuerer  Zeit  ge- 
machten Versuchen  nicht  befreunden,  die  Bakterien  als  entartete  Pilze') 
zu  betrachten,  die  Bazillen  als  „Oidien",  die  hin  und  wieder  bei  allen  mög- 
lichen Bakterien  beobachteten  Verzweigiuigen  als  Rückschläge  auf  pilz- 
artige Zustände  zu  bezeichnen  (A.  Meyer  ')).  Gelegentlich  ist  ja  nichts 
einzuwenden  gegen  die  Zurückführung  einfacher  auf  verwickelte  Formen, 
es  liegt  aber  kein  Grund  dafür  vor,  es  bei  einer  unter  so  verschieden«! 
Bedingungen  so  weit  verbreiteten  und  in  so  frühen  Zeiten  vorkommenden 
Abteilung  von  Organismen  zu  tun.  Und  vor  allem,  wo  sollen  wir  denn 
diese  Urformen  für  die  höheren  Organismen  suchen,  wenn  nicht  bei  den 
niederen  ?  Ein  früher  dagegen  angeführter  Grund,  die  saprophytiache 
Lebensweise  der  Bakterien  habe  als  Voraussetzung  das  Vorhandensein 
organischer  Substanz,  ist  nicht  mehr  stichhaltig,  seitdem  wir  wissen,  wie- 
viel Bakterien  von  den  einfachsten  Stoffen,  zum  Teil  sogar  rein  minera- 
lischen Stoffen  (vgl.  S.  120)  sich  nähren  können.  Selbstverständlich  ist 
dvirch  die  Annahme,  daß  wir  es  in  den  Bakterien  mit  den  niedersten  Wesen 
zu  tun  haben,  von  deren  Stammform  aus  die  höheren  sich  vielleicht  sämt- 
lich entwickelt  haben,  nicht  die  Möglichkeit  ausgeschlossen,  daß  sie  sich 
bis  in  die  Jetztzeit  hinein  auch  in  ihrem  eigenen  Kreis  fortentwickelt  haben. 

Die  Ähnlichkeit  der  Bakterien  mit   Protozoen   ist  schon  lange 

aufgefallen. 

Namentlich  die  Form,  Sporen-  und  Geißelbildung  ist  es,  die  sie  an 
die  Seite  der  Flagellaten  zu  stellen  scheint.  Auch  die  endogenen  Sporen 
der  Bakterien  hat  man  in  den  Zysten  der  Monas  guttula  und  Chromulina 
nebulosa  wiederfinden  wollen.  Sieht  man  sich  die  Dinge  näher  an,  so  findet 
man  freilich  genug  Unterschiede.  Vor  allem  fehlt  die  höhere  Organisation 
der  stets  kernhaltigen  Protozoen  den  Bakterien.  Wert  hat  man  auch  ge- 
legt auf  die  Verhältnisse  der  Membran,  durch  die  sich  die  Bakterien  den 
Pflanzen  nähern  sollen,  und  die  Anheftimig  der  Geißeln.  Ob  das  aber  be- 
rechtigt ist,  möchten  wir  bezweifeln,  die  mikroskopischen  Bilder,  die  be- 
weisen sollen,  daß  die  Bakteriengeißeln  an  der  Membran  endigen,  nicht  am 
Protoplasma,  könnten  doch  auf  Täuschung  beruhen.  Auch  die  Membran 
ist  keineswegs  bei  allen  Bakterien  nachzuweisen  ( §  20). 

Neuerdings  ist  namentlich  von  zoologischer  Seit«  die  Verwandt- 
schaft der  Spirochäten  mit  den  Protozoen  behauptet  worden.  Auf- 
fallend ist  freilich,  abgesehen  von  der  äußeren  Ähnlichkeit  durch  die 
spiralige  Drehung  der  Körperachse  die  Übereinstinmiung  in  der  Lebens- 


1)  System  der  Bakterien  1.  238,   1897. 

2)  Für  andere  Klein wesen,  die  ebenfalls  herangezogen  worden  siiul, 
pilt  natürlich  das  gleiche  (vgl.   Ward,  Annal.   of  botany   1898). 

3)  Vgl.  Lit.  S  39  u.  48.  Auf  S.  8  Anm.  8  muß  es  heißen  Zentr.  Bakt  30. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1163 

weise,  nämlich  die  Form  des  Farasitismiis,  die  oft  mit  Wirtswechsel 
verbxmden  ist.  Aber  der  letztere  Umstand  kann  um  so  weniger  maß- 
gebend sein,  als  in  anderer  Beziehimg  große  Unterschiede  bestehen. 

Fehlen  doch  saprophytische  Vertreter  den  Trypanosomen  ganz,  und 
ähneln  doch  auch  die  Immunitätereaktionen  der  Spirochäten  viel  mehr 
denen  der  Bakterien.  Auch  die  spiralige  Form  ist  kein  besonderes  Merk- 
mal der  Trypanosomen  und  Spirochäten,  sondern  findet  sich  außer  bei  den 
Spirillen  noch  bei  Purpurbakterien  und  Phykochromazeen.  Wichtiger  wäre 
es,  wenn  die  Spirochäten  auch  mit  Kernen,  undulierender  Membran  und 
endständigen  Geißehi  versehen  wären,  sowie  sich  der  Länge  nach  teilten, 
wie  die  Trypanosomen.  Darüber  ist  aber  leider  kein  Einverständnis  er- 
zielt worden.  Im  Gegenteil,  Kerne  sind  überhaupt  noch  nicht  bei  Spiro- 
chäten nachgewiesen  worden.  Die  Mehrzahl  der  Forscher  leugnen  Längs- 
teilung und  undulierende  Membran  bei  ihnen,  einige  wollen  sogcur  peri- 
trische  Begeißelung  gesehen  haben.  Auch  die  von  N  e  u  f  e  1  d  besonders 
betonte  Widerstandslosigkeit  der  Spirochäten  gegen  bestimmte  Lösungs- 
mittel (Galle  usw.)  ist  vielen  Bakterien  eigen  (§  8  u.  13).  Die  Mehrzahl 
der  Bakteriologen  und  auch  eine  Anzahl  von  Zoologen  hält  danun  an  der 
Verwandtschaft  der  Spirochäten  mit  den  Spirillen,  also  den  Bakterien  feet^). 
Wir  haben  es  also  vielleicht  auch  hier  wieder,  wie  bei  Strahlenpilzen,  nur 
mit  einer  Annäherung  der  Bakterien  an  die  Form  einer  anderen  Klasse, 
einer  parallelen,  aber  unabhängigen  Entwicklung  zu  tun.  Wenn  eine  be- 
sondere Bezeichnung  der  Spirochäten  noch  nötig  wäre,  könnte  man  sie 
Zoobakterien  nennen,  in  Analogie  mit  den  Phyko-  und  Mykobak- 
terien. Die  Trennung  der  Spirochäten  von  den  Trypanosomen  hindert 
natürlich  nicht,  verwandtschaftliche  Beziehungen  zwischen  ihnen  bzw. 
zwischen  Bakterien  und  Protozoen.  Wahrscheinlich  ist  aber  die  Abzweigung 
der  Flagellaten  von  den  Bakterien  viel  früher  erfolgt,  entweder  von  der 
t^rform  oder  von  der  Pseudomonaaform  (s-  u.)  aus. 

Für  die  Einteilung  der  eigentlichen  Bakterien  lassen  sich  außer 
Unterschieden  der  Form,  die  zur  Trennung  der  Kokken,  Bazillen  und 
Spirillen  führen,  folgende  Merkmale  benutzen:  Erstens  scheidet  das 
Vorhandensein  von  einer,  zwei  oder  drei  Wachstumsrichtungen  be- 
kanntlich die  Kokken  in  Kettenkokken  (Streptokokken),  Tafelkokken 
(Tetragenus,   Merismopoedia,   Micrococcus),  Packetkokken   (Sarzinen). 

Bei  vielen  Arten  (Gono-,  Meningo-,  Staphylokokken)  bleibt  man  im 
Zweifel,  ob  sie  zu  den  Tctfel-  oder  Packetkokken  zu  rechnen  sind,  wohl  nur 
deswegen,  weil  sie  sich  zu  frühzeitig  voneinander  lösen  oder  gegeneinander 
verschieben.  Ob  es  Kokken  gibt,  die  nach  beliebigen  Richtungen  wachsen 
imd  sich  teilen  können,  die  also  keinen  irgendwie  nach  Achsen  geordneten 
Hau  besitzen,  int  ungewiß. 

Die  Bazillen  und  Spirillen  reihen  sich  den  Streptokokken  durch 
ihren  einachsigen  Bau  an. 


1)  Vgl.  N  o  v  y  und  Knapp,  Journ.  of  infect.  disoas.  1906.  303; 
Hart  mann,  Zentr.  Bakt.  Ref.  Beilage  zu  Bd.  42  S.  72  und  Erörtonmg 
dazu   S.   96ff.     S  w  o  11  e  n  g  r  e  b  e  1 ,   Zentr.   Bakt.   49.   529,    1909. 


1164  Kap.  XVni,   §  359. 

Allerdings  liegen  mehrere  Beobachtungen  vor,  die  eine  Längs- 
spaltung  nicht  nur  bei  Streptokokken,  sondern  auch  bei  Bazillen 
beweisen  sollen^),  aber  entweder  handelt  es  sich  da  um  sehr  seltene  wirk- 
lich pleomorphe  Arten  (Hashimoto,  Matzuschita),  oder  uro 
imregelmäßige  Bildungen  (echte  Verzweigung),  die  gelegentlich  —als 
Folge  abnormer  Wachatumsreize  ?  —  bei  einzelnen  Individuen  aller  mög- 
lichen Bakterienarten  auftreten  (S.  8),  oder  wohl  an  einer  nicht  ganz 
einwandfreien  Deutung  des  gesehenen  Bildes.  So  habe  ich  selbst  sicher 
festgestellt'),  daß  die  so  oft  beobachtete  pc^allele  Lage  von  Diphtherie- 
bazillen  dadurch  entsteht,  daß  ein  Bazillus,  der  sich  regelmäßig  quer  ge- 
teilt hat,  an  der  Teilungsstelle  zusanmienknickt.  Vielleicht  ist  es  bei  Tnber- 
kelbazillen')  ähnlich. 

An  der  Regel  kann  all  das  nichts  ändern  und  darum  wohl  ebenso- 
wenig an  dem  Schluß,  daß  Bazillen  und  Spirillen  stam- 
me sge  seh  i  cht  li  ch  sich  von  den  Streptokokken 
ableiten. 

Ein  zweites  Merkmal,  das  man  zur  Einteilimg  viel  benutzt  hat, 
ist  das  Fehlen  und  Vorhandensein  sowie  die  Anordnung  der  Geißeln. 
A.  Fischer  und  M  i  g  u  1  a  haben  darauf  sogar  eine  ganze  Anzahl 
von  Gattungen  gegründet.  Leider  ist  aber  die  Beweglichkeit 
ein  ziemlich  unbeständiger  Charakter  bei  den  Bakterien  (s.  o.  S.  1135), 
so  daß  dies  Einteilimgsmerkmal  sehr  an  praktischem  Wert  verliert. 
Einen  wissenschaftlichen  behält  es  aber  doch,  und  wenn  man  den 
Hauptwert  auf  die  Anordnung  der  Geißeln  —  am  Pol  und 
an  den  Seiten  —  legt,  kommt  man  auch  vielleicht  zur  Aussonderung 
einiger  natürlicher  Gruppen.  Als  eine  solche  möchte  ich  besonders 
bezeichnen  die  Pseudomonas  Migulas,  d.  h.  die  durch  Pol- 
geißeln gekennzeichneten  sporenfreien  gramnegativen  Bazillen,  die  den 
Hauptteil  der  sogenannten  Wasserbakterien,  phosphoreszierenden  und 
Pigmentbazillen  (Fluorescens  usw.),  ausmachen  und  auch  den  Bac. 
faecalis  alcaligenes  (s.  o.  S.  1154)  die  KnöUchenbakterien  und  vielleicht 
auch  einige  isolierter  stehende  Formen  umfassen. 

Weniger  Bedeutung  hat  wohl  die  Zahl  der  Geißeln,  inunerhin  ist 
sie  beständig  genug,  um  z.  B.  die  „monotrichen**  von  den  „lophotrichcn'* 
(M  e  s  s  e  a)  Spirillen  zu  trennen.  Da  die  Spirillen  sämtlich 
und  auch  die  Spirochäten  wahrscheinlich*)  sämt- 
lich Geißeln  am  Pol  zu  besitzen  scheinen,  und  sie  auch 
sonst    Beziehungen    zu    den    W  as  s  er  b  az  i  1 1  en    haben, 

1)  Vgl.  z.  B.  Babes,  Zeitschr.  f.  Hyg.  20,  1895;  Stolz,  Zentr. 
Bakt.  24;Ha8himoto,  Zoitschr.  f.  Hyg.  31,  1899;  Matzuschita, 
Zentr.  Bakt.   2.  Abt.   9. 

2)  Flügges  Mikroorganismen  2.   Bd.    S.  459.    1896. 

3)  Vgl.  C.  Fränkel,  Hyg.  Rundschau  1900.  617  ff. 

4)  Vgl.  0.  Fränkel  imd  Zettnow,  Zentr.  Bakt.  Refer.  42 
Beil.   S.  96  n.  97. 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen.  1165 

leitet  man  sie  vielleicht  am  besten  von  den  Pseudo- 
monaden  ab.  Vielleicht  stammen  auch  die  niedrig- 
sten Flagellaten  von  P  s  eu  d  o  m  o  n  ad  en  und  nicht 
von  tieferstehenden  kokkoiden  Bakterien  ab.  Form 
und  Begeißelung  sind  ja  ähnlich  genug.  Das  Vorkommen  monadenartiger 
Formen  bei  anderen  Bakterien^)  spricht  nicht  dagegen.  Diesen  polgeiß- 
liehen  Bakterien  gegenüber  stehen  die  seitengeißligen  („peritrichen")  Bazillen 
der  Subtilis-,  Anaerobier-,  Proteus-,  Cloacae-  luid  Coli-(Typhus-  und 
Paratj^hus-) Gruppe.  Das  Vorhandensein  von  unbeweglichen  Sporen- 
bildnern (z.  B.  Milzbrandbazillen),  die  dem  Heubazillus  offenbar  nahe  ver- 
wandt sind,  und  sporenfreien  Bazillen  (Aerogenes-  und  Dysenteriegruppe), 
die  den  Colibazillen  sonst  sehr  nahe  stehen,  veranlaßt  vma  aber  gerade 
hier,  die  Beweglichkeit  ab)  Einteilungsprinzip,  nicht  schematisch  anzu- 
wenden. Die  Möglichkeit  liegt  sehr  nahe,  daß  die  unbeweglichen 
Bakterien  ihre  Beweglichkeit  nur  verloren  haben, 
also  von  beweglichen  Formen  abstammen.  Nicht  überall  sonst  ist  das 
aber  anzunehmen,  denn  es  wird  z.  B.  kaum  ein  Zufall  sein,  daß  gerade 
die  große  Mehrzahl  der  Kokken  unbeweglich  ist.  Da 
die  Ausbildung  von  Bewegimgsorganen  immerhin  eine  höhere  Organisa- 
tion voraussetzt,  kann  man  umgekehrt  daraus  schließen,  daß  die  Kok- 
ken die  einfachsten  Bakterien  sind. 

Das  Sporenbildungsvermögen  ist  schon  von  d e 
B  a  r  7  und  dann  immer  wieder  für  die  Einteilung  der  Bakterien  be- 
nutzt worden.  Daß  es  ein  wichtiges  Merkmal  darstellt  und  praktisch 
weit  brauchbarer  ist,  als  die  Beweglichkeit,  ist  zweifellos,  und  wird 
auch  dadurch  nicht  widerlegt,  daß  manche  Formen  die  Fähigkeit, 
Sporen  zu  bilden,  verlieren  können  (§  347)  und  wahrscheinlich  auch 
verloren  haben. 

Wir  würden  uns  deshalb  auch  Lehmann  und  N  e  u  m  a  n  n  , 
welche  die  sporenbildenden  Stäbchen  in  der  Gattung  „Bacillus**  und  die 
nicht  sporenbildenden  in  der  zweiten  ,,Bacterium**  vereinigen,  anschließen, 
wenn  nicht  diese  beiden  Namen  schon  so  oft  und  in  ganz  verschiedenem 
Sinne  gebraucht  worden  wären.  Unmöglich  ist  es  dagegen,  die  Form, 
Lage  und  Auskeimungsart  der  Sporen  mit  Hüppe,  Fischer  u.  a. 
zur  weiteren  Einteilung  zu  benutzen,-  da  diese  Eigenschaften  zu  unbe- 
ständig sind  (S.  1154).  Das  wenn  auch  seltene  Vorkommen  von  Sporen 
bei  Kokken  und  Spirillen  läßt  darauf  schließen,  daß  die  Fähigkeit 
zur  S-porenbildung  an  manchen  Stellen  der  Entwick- 
lungsreihe unabhängig  entstanden  ist,  denn  an  eine 
stammesgeschichtliehe  Zusammengehörigkeit  aller  dieser  Sporenbildner 
und  an  eine  parallele  Entwicklung  derselben  mit  den  übrigen  nicht  sporen- 
bildenden Bakterien  ist  wohl  kaum  zu  denken.  Dazu  ist  die  Eigenschaft 
der  Sporenbildung  doch  zu  beständig  imd  gibt  ihrem  Eigentümer  einen 
zu  großen  Vorteil  im  Kampf  ums  Dasein,  als  daß  man  annehmen  dürfte, 
die  sporenbildenden  Zwischenglieder  zwischen  den  jetzt  bekannten  Sporen - 
bildnem  wären  gänzlich  umgewandelt  oder  ausgestorben. 


1)  Russell,  Zeitechr.  f.  Hyg.  11.  201. 


1166  Kap.  XVin,   §  359. 

Eine  für  die  Einteilung  der  Bakterien  unseres  Erachtens  sehr 
bedeutsame  Eigenschaft  ist  femer  ihr  Verhalten  zur  Gram- 
schen  Färbung,  die  ja  wohl  von  der  Zusammensetzung  ihrer 
Leibessubstanz  abhängt  (§  18).  Das  anzuerkennen  zwingt  uns  die  Tat- 
sache, daß  die  gramfesten  Bakterien  auch  in  anderen  Beziehemgen 
sehr  natürliche  Gruppen  bilden,  wir  erinnern  an  die  Streptokokken, 
Staphylokokken  und  Sarzinen,  langen  Milchsäurebazillen,  Heubazillen. 
Anaerobier  und  schließlich  die  große  Masse  unserer  Mykobakterien 
(S.  1161). 

Wir  denken  uns  den  Zusammenhang  so,  daß  von  den  Streptokokken 
einerseits  Staphylokokken  und  Sarzinen,  andererseits  die  langen  Milch- 
säurebazillen und  von  diesen  letzteren  erstens  die  Mykobakterien  und  zwei- 
tens die  sporenbildenden  Bazillen  (Heubazillen  und  Anaerobier)  sich  ab- 
leiten. Da  ^^dr  sahen,  daß  die  Kokken  meist*)  gramfest  sind,  haben  wir 
vielleicht  ein  Recht,  dieses  Merkmal  ebenso  wie  dieUnbe- 
weglichkeit  als  ursprünglich  vorhanden  zu  betrach- 
ten, und  für  die  gramnegativen  Bakterien  einen 
nachträglichen  Verlust  dieser  Eigenschaft  anzu- 
nehmen*). So  würden  die  Meningo-  \ind  Gonokokken  von  den  Staphylo- 
kokken, die  wenigen  gramnegativen  Streptokokken,  Heubazillen  und 
Mykobakterien  von  den  grampositiven  Mitgliedern  der  betreffenden  Gruppe 
abstammen.  Die  große  Mctöse  gramnegativer  Bazillen  könnt«  man  dann 
entweder  ebenfalls  auf  die  granmegativen  Streptokokken  oder  auf  die 
grampositiven  „langen'*  Milchsäurebazillen  und  die  sämtlich  gram- 
negativen  Spirillen  auf  die  schon  granuiegativ  gewordenen  Pseudomonaden 
zurückzuführen.  Ob  eine  Umwandlung  von  granuiegativen  —  ein  Rück- 
schlag —  in  gramfeste  Formen  stattgefunden  hat,  mag  dahingestellt  bleiben. 
Das  Vorkommen  einiger  gramfester  Kapselbazillen  könnt«  als  Beweis 
dafür  gelten,  wenn  nicht  diese  wie  die  ganze  Aerogenesgruppe  etwa  un- 
mittelbar von  den  langen  Milchsäurebazillen  abstanunen. 

Daß  die  säurefesten  Bakterien  zu  den  Mykobakterien  und 
zusammen  gehören,  wird  allgemein  anerkannt. 

Als  letztes  und  in  praktischer  Beziehung  recht  wichtiges  Ein- 
teilungsprinzip können  schließlich  die  biochemischen  Eigen- 
schaften gelten.  Dagegen  halte  ich  den  Versuch  0.  Jensens*), 
„physiologische"  Merkmale  als  wesentliche  Unterlage  für  die  Klassifi- 
zierung zu  benutzen  und  die  morphologischen  Unterschiede  dahint<*r 


1)  Nach  Winslow,  Systemati c  relationships  of  the  Coccaccae 
Xow  York  1909  sollen  allerdings  die  meisten  saprophytischen  Kokken 
(Metacoccaceae)  gramnegativ  sein,  nur  die  parasitischen  (Paracoccaceae) 
meist  grampositiv. 

2)  Dafür  spricht  z.  B.  die  Beobachtung  Omelianskys  (Zentr. 
Bakt.  2.  Abt.  19,  1907),  daß  die  entschieden  ältere  Nitrosomonas  gram- 
positiv, die  Nitromonas  gramnegativ  ist. 

3)  Hauptlinien  des  natürlichen  Bakteriensystems  Zentr.  Bakt.  2.  Abt. 
22,   1909.     Dort  auch  die  übrigen  zahlreichen  neuen  Benennungen. 


Veränderlichkeit  der  Kleinweeen.  1167 

znrückzastellen,  im  allgemeinen  nicht  für  berechtigt.  Nur  da,  wo  die 
Emährmigsweise  so  eigentümliche  Abweichungen  zeigt,  wie  bei  den 
Purpur-,  Schwefel-,  Chlorophyllbakterien  (s.  o.),  können  wir  mit  großer 
Wahrscheinlichkeit  annehmen,  daß  sich  die  Mannigfaltigkeit  der 
Formen  erst  nachträglich  entwickelt  hat,  also  die  morphologischen 
sekundäre  Unterschiedsmerkmale  gegenüber  den  biochemischen  sind. 

Wir  sind  daher  auch  geneigt,  Jensen  zuzustimmen,  wenn  er  die 
„autotrophen",  d.  h.  von  anorganischen  Kohlen-  und  Stickstoff  Verbindungen 
aich  nährenden  Bakterien  (S.  109  Anm.,  116  u.  120),  die  er,  je  nachdem 
sie  Sumpfgas,  Kohlenoxyd,  Wasserstoff,  Schwefelwasserstoff  oder  Kohlen- 
säure allein  neben  Anunoniak  oder  salpetriger  Säure  assimilieren,  als  M  e  - 
thano-,  Carboxydo-,  Hydrogeno-,  Sulfo-,  Nitro- 
und  Nitrosomonas  bezeichnet,  von  den  anderen  Bakterien  abtrennt. 
Ihr  bisher  nur  mangelhaft  entwickeltes  Studium  erlaubt  uns  aber  noch 
nicht  mit  Sicherheit,  uns  darüber  auszusprechen,  ob  sie  zusanmien  eine 
natürliche  Gruppe  bilden  oder  sich  scharf  voneinander  unterscheiden  oder 
Übergänge  zu  anderen  nicht  autotrophen  Bakterien  zeigen.  Die  Mög- 
lichkeit liegt  doch  noch  vor,  sie  von  letzteren  abzuleiten,  z.  B.  in  die  Nähe 
der  Pseudomonaden  zu  stellen^),  denn  wir  können  luis  vorstellen,  daß  sie 
wenigstens  zum  Teil  sich  erst  nachträglich  an  die  autotrophe  Ernährung 
angepaßt  haben.  Wenn  Jensen  sie  als  die  ältesten  Bakterien 
bzw.  organischen  Wesen  überhaupt  betrachtet,  so  ist  das 
vielleicht  richtig,  aber  nicht  dadurch  zu  beweisen,  daß  sie  sich  in  einer 
Zeit  entwickelt  haben  müssen,  wo  nvir  anorganische  Nährstoffe  zur  Ver- 
fügung standen.  Denn  ihr  Erscheinen  setzt  doch,  wenn 
anders  wir  an  der  Urzeugung  festhalten  wollen,  dau 
V^o  rhandensein  organischer  Stoffe  voraus.  W««  die 
Gruppierung  der  übrigen  Bakterien  anlangt,  so  stimmt  luisere  eigene  Auf- 
fassung vielfach,  aber  nicht  in  allen  Punkten  mit  der  Jensens  überein, 
so  z.  B.  auch  in  der  Trennung  der  pol-  und  seitengeißligen  Formen.  Be- 
merkenswert erweise  ist  die  Art  der  Begeißlung  aber  gerade  ein  morpho- 
logisches Merkmal.  Auch  sonst  ist  Jensen  nicht  folgerichtig,  denn  er 
läßt  sich  diurch  die  doch  rein  äußerliche  Fähigkeit,  Verzweigungen  zu 
bilden,  dazu  verleiten,  die  Knöllchenbakterien  (Rhizomonas)  als  die  Stamm- 
väter der  Strahlenpilze  und  anderer  Mykobakterien,  sowie  der  echten 
Pilze  anzusehen.  Wir  halten  wie  gesagt  im  allgemeinen  die  biochemischen 
Merkmale  nicht  für  wichtig  genug,  um  die  Grundlage  der  Gruppierung 
abzugeben.  Unseres  Erachtens  sind  die  so  mannigfaltigen  fer- 
mentativen  Fähigkeiten  ihrer  Anlage  nach  bei  den 
allermeisten  Formen  verbreitet  (S.  1149)  und  ihre  Spe- 
zialist isohe  Ausbildung  bei  den  einzelnen  Arten 
beweist  nichts  gegen  die  Verwandtschaft  dieser 
letzteren  mit  anderen  ihnen  morphologisch  nahe- 
stehenden Formen.  So  bleiben  die  Sproßpilze  im  großen  und 
ganzen  eine  sehr  natürliche  Gruppe,  obwohl  nur  einzelne  von  ihnen  Alkohol 
erzeugen.    Trotzdem  sind  die  biochemischen  Eigentümlichkeiten  hin  und 


1)  Ob  die  beweglichen   unter  ihnen   alle  am   Pole   Geißeln   tragen, 
^teht  dahin,  ebenso  ist  das  Verhalten  zur  Gramfärbung  verschieden  (s.  o.). 


1168  Kap.  XVIII,   !  359. 

wieder  als  EinteilungsmerkmeJe  zu  gebrauchen.  80  trennt  clas  Verhalten 
zum   Sauerstoff  die  meisten  sporenbildenden  Aerobier  (Heubazillen 
usw. )  von  den  Anaerobiern,  der  Besitz  peptonisierenderFer- 
ni  e  n  t  e  die  Proteus-  und  Cloacaegruppe  von  der  Coli-  und  Aerogene6gnip[M^ 
usw.    Wichtiger  aber  ist  noch,  daß  auch  die  schon  durch  morphologische 
Charckktere  (s.  o.)  gekennzeichneten  Gruppen  sich  durch  die  Gleichmäßig- 
keit ihrer  physiologischen  Merkmale  oft  als  natürlich  erweisen.    So  kenn- 
zeichnet sich  die  große  Masse  der  Streptokokken  durch  ihre  Fähig- 
keit,  Milchsäuregärung    zu    bewirken    und  stimmt  auch  in 
dieser  Beziehung  überein  mit  der  ihnen  so  verwandten  Gruppe  der  langen 
Milchsäurebazillen  (§  97  u.   99).    Umgekehrt  scheiden  sich  die 
Heubazillen  von  den  Anaerobiern,   von  anderem  abgesehen,  auch  durch 
ihr   Verhalten   zu   den   Kohlenhydraten   (vgl.   Buttersäure- 
gärung  §   113).    Auch  die  sonst  so  verschiedenen  einzelnen  Mitglieder  der 
Proteus-,     Cloacae-,     Coli-     bzw.     Aerogenesgruppe 
ähneln  sich   darin,   daß   sie  den   Traubenzucker   sämtlich  in 
(saure)    Gärung   versetzen    (§    112)   und   stehen   dadurch  den 
Pseudomonaden  geschlossen  gegenüber,  die  gewöhnlich  kein  Gär- 
vermögen besitzen.    Das  Gärvermögen  für  Kohlenhydrate 
treffen  wir  allerdings  auf  fast  jeder  Stufe  der  Ent- 
wicklung in  beschränktem  Grade  an,  besonders  gut  aus- 
gebildet aber  außer  in  den  ebengenannten  Gruppen  nur  bei  Pilzfamilien. 
Dagegen   findet   die   Fähigkeit,    Eiweißstoffe   mit  oder  ohne 
Beihilfe  peptonisierender   Fermente   zu   zerlegen,   fast  in  allen 
Gruppen   ausgezeichnete   Vertreter.     In   vielleicht  etwas 
geringerem  Grade  gilt  das  auch  von  dem  für  das  Aussehen  der  Kolonien 
immer  so  wichtigen    Schleimbildungsvermögen    (s.   Schleim- 
gärung   §    128).     Die  durch  ihre   Pseudoplasmodien  luid  großen  Fnicht- 
körper  sehr  merkwürdigen  Myxobakterien  (S.    409)  könnten  sich 
als  Sporenbildner,  ziunal  sie  sämtlich  Stäbchen  zu  sein  scheinen,  von  den 
übrigen  sporenbildendon  Bazillen  abzweigen. 

Auch  der  Parasitismus,  die  Fähigkeit,  Angriffs-  und  andere 
Impfstoffe  zu  bilden,  kann  sich  in  allen  Klassen  und  Gruppen  der  Mikro- 
bien  anscheinend  unabhängig  entwickeln  (§  356).  Immerhin  ist  e3  wohl 
kein  Zufall,  daß  die  große  Mehrzahl  der  bakteriellen 
Krankheitserreger  zu  den  gramnegativen,  höch- 
stens seitcngeißligen  oder  unbeweglichen  Bazillen 
gehört.  Obwohl  sie  sich  meist  durch  mangelhafte  Entwicklung  fermen- 
tativer  Eigenschaften  auszeichnen,  werden  wir  sie  der  Coli-  und  Aerogenes- 
gruppe anschließen,  zu  der  sie  zum  Teil  ja  (Typhus,  Dysenterie)  die  engsten 
Beziehungen  haben.  Die  große  Ordnung  der  Sporozoenist 
sogar  ganz  parasitisch.  Vielleicht  gehören  zu  ihnen  die  eben- 
falls bisher  nur  als  Parasiten  gefundenen  C  h  1  a  m  y  d  o  z  o  e  n  v.  Pro- 
wazeks, die  sog.  unsichtbaren  oder  filtrierbaren  Virus  der  Pocken,  Schal- 
pocken, Maul-  und  Klauen-,  Bnistseuche,  Rinderpest,  des  Gelbfiebers, 
der  Hühnerpest,  der  Hundswut,  des  Epithelioma  contagiosum  der  Vögel 
imd  Menschen,  des  Trachoms  usw.  (S.  2,  Anm.  2;  S.   3,  Anm.  1). 

In  folgender  Übersicht  machen  wir  den  Versuch,  die  eben  be- 
sprochenen ßtammesgeschichtlichen  Beziehiingen  der  Kleinwesen  2^" 
sammenzufassen.   Für  die  Abteilung  der  Pilze,  Protozoen  und  einig«! 


Veränderlichkeit  der  Kleinwesen. 


1169 


kleinerer  Bakteriengruppen  lassen  wir,  wie  man  aus  den  beigefügten 
Fragezeichen  sieht,  ausdrücklich  mehrere  Möglichkeiten  offen.  Wenn 
es  sich  machen  ließe,  die  Übersicht  im  Baume,  statt  auf  der  Fläche 
des  Papiers  anzuordnen,  würde  man  die  Beziehungeo  natürlich  noch 
anschaulicher  gestalten  können. 

Stommesgeschichte  der  K/einmesen. 


Kokkoidc  Urform  der  LebcLuesan 
(unbeweglich,  gram  fest.) 


Spaltafqen 
Phvffobahlencn 


y 


Schivelelbafitericn 
Purpurbokterien 


Chlorophy/i'bakterien 


Kokken 


Sarzinen  und 
Mikrokokken 


Ffagellaten  > 
(Protozoen) 


autotrophe  Bakterien  1 


Streptokokken 


grampositiue  5tn 


gramposiliue  Bazillen 
(lange  jyjiich^üurebuzii'en) 


gramnegatiue  Str. 

autotrophe   Bobler-en   ? 


gramnegatiue  Baziiien 


P 


/ 


seitengeiasi'ige 


Mykobakterien    Sforcnhin/ner 
(Strahlenpnz  e) 


Rerobier 
(Heubazillen   u    üergl) 


poigeissliqe 
(  Pseudomonas ) 


I-  :üQcilafcn  '^ 
Spirillen        (Protozoon) 


Cn-i   u.    Htro^jenes 


.Yivxobakterien 


RnaeroLfer 

fyprius.    üyscnierie 


Sp.TodiJctcn  (Z'jobük!t'rier  ) 


Septizömiebakterieo 

Jnflucrzabazi.  'cn 


Kruse,  Mikrobiologie. 


74 


Stichwörterverzeiclinis. 


Die  Zahlen  hinter  den  Stichwörtern  bedeuten  die  Seiten,  wo  nicht  S  oder  Kxp.  vorgeseUt 
ist.  Eine  auBführliche  Inhaltsanfi^abe  der  einzelnen  Kapitel  und  Paragraphen  findet  eich  im  Inhalt«- 
verseichnis  (vom).  Kl.  ist  die  Abkürzung  für  Kleinwesen,  Bac.  für  Bacillus.  Bact.  für  Bacterium, 
Bakt.  für  Bakterien. 


Abschwäch  ung   §    330,    353, 

355—358. 
Absorption    von     Farbstoffen 

41,    Fermenten    755,    Giften   878, 

—  Wirkung  der  Antitoxine  891, 
des  Komplements  1050,  der  Ly- 
sinoge  1054,  der  Agglutinogene 
1095. 

Abstammung  der   Kl.    §    359. 

Abwasser,  Reduktion  im  — 
480,  Reinigung  und  Selbstreini- 
gung des   —  570,   574. 

Abwehrstoffe  der  Tiere  172, 
1021,  1036,  1041,  1049,  1062, 
1063. 

Acidophilus,   Bac.  288,    1154. 

Aerobiose  96. 

Aerogenesbazillen,  Grup- 
pe der  — ,  als  Erreger  saurer  Gä- 
rimg §  97 — 112ff.,  ihre  Unterschei- 
dung durch  Säure-  und  Gasbil- 
dung 346.  419.    s.  Kapselbazillen. 

Aerotropismus  183. 

Äpfelsäure,   Vergärung   444. 

Agglutinogene     §    335 — 341. 

Aggressine   §   319—330. 

Aggressinoide  1059. 

Aktinomj^ces  siehe  Strahlen- 
pilze. 

Albumosen  s.  Proteinstoffe, 
giftige   —  s.    Gifte. 

Alcaligenosbazillen  393 
(Anm.  1),  Ammoniakbildung  durch 

—  542,  VeränderHchkeit    1128. 
Aldehyde,  Nebenerzeugnisse  der 

alkoholischen  Gärung  261,  der 
Milchsäuregärung  234,  der  Oxy- 
dation 394,  430,  451,  der  Eiwei'ß- 
spaltung  533. 

A  1  e  X  i  n  e  s.    Abwehrstoffe. 

Algen,     Kolonien    von    —    1144, 


Verwandtschaft  mit  Bakterien 
1159. 

Algenbakterien  1 160. 

Algenpilze  79,  84. 

Alinitbakterien  627. 

Alkalien,  Wirkung  auf  Klein- 
wesen 34,  62,  63,  66,  auf  Fermente 
766,  Gehalt  der  Kl.  an  —  86, 
Bedarf  an  —  94.  Vgl.  Darstellung 
der  Gifte  §  272. 

Alkaloide,  Ernährung  mit  — 
112,  Entstehung  462,  Wirkung 
auf  tryp tische  Fermente  493. 

Alkohol,  Ernährung  mit  —  116. 
Zersetzung  der  niederen  —  §  133 
bis  136,  der  höheren  —  §  131  u. 
132,  Bildung  von  Alkohol  durch 
Hefe  und  Pilze  (Alkoholgärung) 
§  84— 96  a,  durch  Bakterien  §  104, 
aus  Eiweiß  §  173.  Vgl.  Mannit- 
und  Glyzeringärung. 

Alkoholase  429. 

Ambozeptoren,  Bindung  durch 
Angriffsstoffe  §  324,  Bildung 
durch  Lysinogene  §  333,  Ei- 
weiß  —   §  343. 

Ameisensäure,  Ernährung  in. 
— 116, 437,Bildungvon  — 331,508. 

Amine,  als  Nahrung  111,  s.  Pto- 
maine. 

Aminazidase  498,  517,  544. 

Aminosäuren,  Gehalt  der  Kl. 
an  —  71,  Emälirung  mit  —  lH. 
115,  119,  Bildung  aus  Eiweiß 
§  165  u.  166,  Spaltung  der  - 
§    167—175. 

Ammoniak,  Salze  des  —  zur 
Ernährung  110,  Bildung  aus 
Eiweiß  484,  524,  aus  Salpeter- 
säure 612,  aus  Amidcn  589,  Harn- 
säure 593,  Harnstoff  595. 


Stichwörterverzeichnis . 


1171 


Amöben,  Verdauung 500, Gifte 991. 

Amygdalin,  Spaltung  454,  455, 
458,  459. 

A  my  1  a  8  e  219. 

Amylalkohol,  Oxydation d.  — 
428,  Bildung  535. 

Amylobacter  s.   Clostridien. 

Amylomyces  283. 

A  ni  y  1  o  z  y  m  a  ,  Bac.  351,  360. 

Anaerobier  96  s.  Buttersäure- 
garung  §  113—115,  Fäulnis  §  168 
u.   180. 

Analysen,  Ergebnisse  der  che- 
mischen —  von  Kl.  51,  Schlüsse 
daraus  56. 

Anaphylaxogene   §  344. 

A  n  ap  h  y  1  a  t  o  X  i  n  1119. 

Angriffsstoffe     §    319—330. 

Anhydridbildung  208,  698. 

Anpassung  Kap.  XVIII. 

Antagonismus  161. 

Antagonistisches  Serum  1050 
Anm. 

An  ti  agr  essine    1081. 

Antibakterizide  Wirkungen 
§  323. 

Antibiose  165. 

Antifermente  28,  772. 

Antiformin,  Auflösung  durch 
—  33,  —  Impfstoffe  1078,  1087, 
1108. 

Antigene  im  allgemeinen  209, 
giftige  —  §  262,  275,  aggressive  — 
§  327,  331,  333,  die  übrigen  — 
§  334—344. 

Antikomplementwirkun- 
gen  §  325  und  343. 

Antilytische  Wirkungen  §  324. 

Antiopsonische  Wirkungen 
§  322. 

Antitoxine  s.    Gegengifte. 

Antiseptika  §57.  Vgl.  Desin- 
fektion und  Gifte. 

Antophysa  664. 

Apotoxin   1118. 

A  r  a  b  i  n  ,  Bildung  412. 

Arabinose  s.   Pentosen. 

Arginase  494,  497. 

Aroma,   Bildung  533. 

Aromatische  Stoffe,  Ernäh- 
rung mit  —  111,  Hemmung  des 
Waclistums  durch  —  159,  Um- 
wandlung von  —  Kap.  VIII,  Bil- 
dung von  —  aus  Eiweiß  §  168  ff., 
s.   Indol,    Skatol,   Phenol. 

Arsen,    Roduktion   von    —    661. 

Aschenbestandteile  in  Kl. 
88,  Bedarf  der  Kl.   an   —  92. 


Ascococcus  408. 

Asparagin,  Ernähnmg  mit  — 
110,  115,  Spaltung  von  —  515, 
526. 

Assimilation  s.  Aufbau,  Koh- 
lensäure,  Stickstoff  usw. 

Atmungsfiguren    100,    185. 

Atmung  Kap.  XIII  §  218—223, 
§  225—227. 

Atoxyl  189,  662  Anm.,  1078 
Anm.  4,  1138  Anm.  8. 

A  t  r  ep  s  i  e  1064. 

Atrepsine  212. 

A  u  f  b  a  u  im  allgemeinen  §  66,  der 
Kohlenhydrate  §  128—130,  §  229, 
der  Fette  §  152  u.  230,  der  Gly- 
koside §  163,  des  Eiweißes  §  231. 

Aufgaben   der   Ernährung    124. 

Ausnützung  der  Nahrung  §  232 
bis  236. 

Auswahl  der  Nährstoffe  diu*ch 
Kl.   191. 

Autointoxikation  der  Kl. 
§  47,  durch  Kl.   806,   808. 

Autolyse  §9u.  166,  als  Ursache 
der   Selbstvergiftung   159. 

Autotrophe   Keime  1167. 

Auxanographische  Methode 
746. 

Azetolase  429. 

Azeton,       Nebenerzeugnis      der 

Milchsäuregärung  334,  derEiweiß- 

zersetzung  533. 
Azetonhefe     255,      -bakterien 

515. 

Azetylmethylkarbi  n  o  1 
335. 

Azotobacter  630,  Stellung  im 
System   1160. 

Bacillus,  Stellung  im  System 
der  Bakterien  §  359.  Die  einzelnen 
Arten  des  Bazillus  s.  unter  ihrem 
Artnamen,  z.  B.  Bac.  alcaligenes 
unter  Alcaligenes.  Nur  besonders 
wichtige  Keime  und  Stellen  sind 
angeführt,  im  übrigen  sind  die 
Abschnitte  nachzusehen,  die  von 
den  einzelnen  Leistungen  han- 
deln, also  z.  B.  unter  Milch- 
säuregärung, Stärkeverzuokerung. 

B  a  c  t  e  r  i  u  m  vgl.   Bacilhis. 

Bakterien,  Bau  imd  mikro- 
chemisches Vorhalten  der  —  Kap.I, 
Natur  der  -zelle  45,  -blasen 
409,  414,  -gesellschaften  186, 
-niveaus  100,  185,  -filter  s. 
biologisclie    Filter,    -proteine    63, 

74* 


1172 


Stichwörterverzeichnis. 


907,     -System    und    -abstammung 
§  359. 

Bakteriolyse  durch  Serum 
28,    1045,    1049,    1053. 

Bakteriolysine  s.  Lysino- 
gene. 

Baktoriopurpurin  780. 

Bakteriotropin  s.  Tropino- 
gene  und  Opsonine. 

ßakteroiden  9,  619. 

Baldriansäure,  Bildung  aus 
Kohlenhydraten  334,  aus  Milch- 
säure 441,  aus  Eiweiß   508. 

Bau  der  Kl.   1. 

Baustoffe  der  Kl.  125  s.  Auf- 
bau. 

Bazillen  s.  Bacillus,  -träger  1152. 
1155. 

Befruchtung,  primitive  bei 
Bakterien  2  (Anm.  1),  Bedingun- 
gen der  —  bei  Protozoen  139. 

i^eggiatoa,  643. 

Bernsteinsäure,  Bildung  aus 
Kohlehydraten  329,  aus  Eiweiß 
516,  543,  Zersetzung  der  — 
442,  516. 

Betriebsstoffe  125. 

Bewegung,  Wirkung  der  —  auf 
Ernährung  und  Loben  148»  auf 
Fäulnis  580,  Beeinflussung  der  — 
durch  physikalische  Reize  154, 
—  diu*cli  chemische  Reize  183,  — 
der  Algonbakterien  durch  Gleiten 
116'J,  Veränderlichkeit  der  —  § 
348,  Einteilung  der  Bakterien 
nach  den  -organen. 

Bienen,   Faulbrut   583. 

Bierbrauerei   §  94. 

Bif  idus,  Bac.   288,  1154. 

Biologische  Filter  571,  582. 

Bios   167. 

Bioskopische     Methode     1016. 

Bitterstoffe,  Entstehung  bei 
der  Eiweißspaltung  526,  536,  555. 

Bituminöse  Stoffe,  Entstehung 
383. 

B  1  u  t  g  i  f  t  e  994. 

Blutkörper,  rote  als  Zusatz 
zu  Nährböden  108,  190,  1066 
(Amn.  1),  Lösimg  der  —  durch 
(iifte  §  312—315,  Verklebung  der- 
selben §  316,  weiße  — ,  Zer- 
störung derselben  durch  Gifte 
§  317,  Wirkung  als  Exaudatzellen 
und  Phagozyten  §  322  u.  331. 

Boden,  Zersetzungen  im  —  446, 
569,  581,  Nitrifikation  im  — 
598,    Denitrifikation    im    —    617, 


Stickstoffbindung  im  —  618,  625. 
626,  633,  —  als  Zusatz  zur  Kultur 
605,  631,  bakteriologische  Unter- 
suchung des   —  633  (Anm.). 

Boocopricus,  Bac.   —  424. 

Bordet-  Gengou sehe  Anti- 
körper  §  343. 

Botrytis  225,  470. 

Bouquetstoffe  261,  533. 

Bradsot  924. 

Brandpilze,   Gift  998. 

Branntweinbrennerei  2s2. 

Brenzwein  säure,  Vergärung: 
442. 

Brom  Verbindungen  666. 

Brot,  Sauerteiggärung  des  —  327. 
Mehlteiggänmg    338,    schleimige> 

—  407  gefärbtes  —  789. 
Bulgariens,  Bac.  —  288,  297, 

1154,  s.    Yoghurt. 

Butterbereitung  339. 

Buttersäure,  —  Gärung  drr 
Kohlenhydrate  §  113—116,  -pä- 
rung  der  Milchsäure  439,  -garunjr 
des  Eiweißes  508,  Vergärung  cUr 

—  443,  -bakterien  s.  Clostridien, 
Veränderlichkeit    (Kap.    XVIII). 

Butylalkohol,  —  Gärung  der 
Kohlenhydrate  §  115,  —  aus  Gly- 
zerin und  Mannit  423,  aus  Eiweili 
535. 

Castellanischer   Vorsuch    ^'91. 

Caucasicus,  Bac.  —  287. 

C  er  o  1  i  n  73. 

Chemische  Zusammenset  znn/i 
der  Kl.  Kap.  TT,  Zerstörung  der 
Kl.   durch   —  Einflüsse   §  6—10. 

—  Ernähnmgsreize  178,  —  Be- 
wegungsreizo  183. 

Chemismus,  Beziehungen  zum 

Bau  1,  8.  Stoffwechsel. 
Chemorezeptoren   189,  211. 
Chemotaxis  für  Bakterien  usw. 

183,  —  für  Leukozyten  911,  1<'34, 

1072. 
Chemotropin   1039. 
Chemotropismxis  183. 
Chinin,    Keizwirkung    181,   772- 
Chitin  in  Kl.  83,  Zersetzung  des 

—  112. 
Chlamydozoen  2,  3,  St^lluni: 

im  System  1168,  Gifte  993. 
Chlor,  Veränderungen  von  -vor- 
bindimgon  666,  auflösende  AVir- 
kung  des  —  im  Chlorkalk  uiwi 
Antiformin  33,  —  zerstört  Tubor- 
kelgift  983,  s.  Salze. 


Stichwörterverzeichnis. 


1173 


Ch  loroform  bei  Fermentierun- 
gen  770. 

Chlorophyllbakterien    780,   1160. 

Cholerabazillen,  Milch- 

säurebildung 307,  Eiweißspaltung 
und  Nitrosoindolreaktion  521, 
Gifte  der  —  925,  Granulabildung 
der  —  in  Serum  30.  Angriffsstoffe 
1026,  Bindung  der  Arabozeptoren 
an  —  1047, —  u.  Leuchtbakt.  748. 

Cholera  infantum  807,  963, 
976,  1158. 

Cholera  nostras  s.  Cholera 
infantum,  Peiratyphus-,  Proteus- 
gift. 

Cholestearin,  in  Kl.  73,  Aus- 
fällung des  —  689,  Wirkung  des 
—  auf   Gifte  877,   1009. 

C  h  o  1  i  n  ,  Spaltung  588. 

Chromatin  47. 

C  h  r  o  m  a  t  o  1  y  8  e  12. 

Chromopare  Bakterien  787. 

Chroraophore  Bakterien   787. 

C  1  o  a  c  a  e  ,  Bac.  —  als  Säurelab- 
bildner 289,  sein  Gärungsvermö- 
gen 303,  315,  318,  327,  332,  Säure- 
und  Gasbildung  347. 

Clostridien  als  Ursache  der 
Buttersäuregärung  §  113 — 115,  der 
Pektinvergärung  §  75,  Zellulose- 
vergärung §  117,  der  Fäulnis 
§  268,  der  Stickstoffbindung  §  302, 
Stärkebildung  in  ihnen  §  130, 
Oxydationen  durch  —  448. 

Colibazillen  und  ihre  Gruppe 
als  Erreger  saurer  Gärung  §  97 
bis  110,  Säurung  und  Gasbildung 
durch  —  345,  Eiweißspaltung 
durch   —  537,   Gifte  der   —  944. 

Crenothrix  663,  vgl.  Algen- 
bakterien. 

Cyanogenes,  Bac.   783. 

Cyanophyzeen,  Verwandt- 
schaft mit  Bakterien  1159. 

I>  a  n  y  3  z  scher  Versuch  849,  883, 
885. 

Darm,  Gärung  im  —  374,  Fäulnis 
im  —  570. 

Dauerhefe  255. 

Dauerzustände  ( Sporen)  Be- 
dingungen ihrer  Bildung  137, 
Veränderlichkeit  der   —   §  347. 

Degenerationsformen  §3. 

Denitrifikation  606. 

Desinfektion,  durch  physi- 
kalische Mittel  §  42—45,  durch 
chemische  §  57,  vgl.  sichtbare  Zer- 


störung der  Kl.  durch  mecha- 
nische §  5  und  chemische  Einflüsse 
§  6 — 16,  Veränderlichkeit  der 
WidersUndsfähigkeit  §  350.  S. 
auch  Antiseptika,   Gifte. 

Destilliertes  Wasser,  Wir- 
kimg 37. 

Deuterotoxine  841. 

D  ex  trän  81,  409. 

Dextrin,  Verzuckerung  222,  Ver- 
gärung 247,   303,   354. 

Dextrose  s.  Hexosen. 

Diaminosäuren,  Bildung  aus 
Eiweiß  530,   Spaltung  522. 

Diastase    214. 

Dichtigkeit  der  Nährböden, 
Einfluß  der  —  auf  Wachstum 
139,  auf  Fermentienmg  758. 

Diphtheri  ebazillen,  Säure- 
bildung 341.  Gift  der  —  §  261 
bis  267,  Stelliuig  im  System 
1161. 

Disa  cell  aride,  Hydrolyse  der 
—  231,  Vergärung  der  —  247, 
301,  354. 

Druck,  Einfluß  auf  Ernährung 
150,  auf  Bewegungen   155. 

Drusen  der  Strahlenpilze  usw.  8. 

Durchgängigkeit  des  Plas- 
mas 4,  42. 

Dysenterie  s.   Ruhr. 

Bier,  Fäulnis  der  —  566.  Gift- 
bildung der  Cholerabazillen  in  — 
927. 

Eigengifte  der  Kl.  im  allge- 
meinen 791,  §  268—280,  im  be- 
sonderen   §   281  ff. 

Einteilung  der  Hefen  §  86, 
der  Kleinwesen  §  359,  der  Stoff- 
wechselvorgänge Kaj).  V. 

Eisen,  Bedarf  an  —  95,  -bak- 
terien  663. 

Eiweißstoffe,  Gehalt  der  Kl. 
an  —  §  25,  Bedarf  der  Kl.  an  — 
§  32  u.  33,  Wandlungen  der  — 
im   Stoffwechsel   Fvap.   IX. 

E  k  t  o  e  n  z  V  m  e  750. 

E  k  t  o  p  1  a  s  m  a  10,  46,  Beziehun- 
gen der  -hvportrophie  zur  Viru- 
lenz  1062,   1067. 

Ektotoxine  868. 

Elastikotroj)ismus    154. 

Elektrizität,  Einfluß  auf  Er- 
nährung 152,  auf  Bewegungen 
156,  auf  Fermente  765,  auf 
die  Toxine  und  Antitoxine  870, 
891. 


1174 


Stichwörterverzeichnis. 


E  m  u  1  s  i  n  der  Hefe  455,  der 
Schimmelpilze  457,  der  Bakterien 
459. 

Emphysembazillen,  als  Er- 
reger von  Buttersäuregärung  352, 
357,  Gifte  924. 

Enantibiose  171. 

Endoenzyme  750. 

Endotoxine  868,  907,   1118. 

Endotryptase  495. 

Energiewechsel  Kap.  XIII. 

Enteritidisbazi  llen  s.  Para- 
typhus. 

Enterococcus  285,  336,  s. 
Streptokokken. 

Enterokinase  494. 

Entzündungsstoffe  §  280, 
§  331,  spezifische  —  §  332. 

Enzyme  Kap.  XIV. 

Epitoxonoide  849,   883,   885. 

Erdöl  384. 

Erepsin  493.  496,  537. 

Ergotismus  989. 

Ermüdungsgifte   918,    1119. 

Ernährung,  Wege  der  —  3, 
Mittel  zur  —  Kap.  III,  weitere 
Bedingungen  der  —  Kap.  IV, 
Einfluß  der  —  auf  Farbstoffbil- 
dung 785,    Giftbildung  866. 

Erschöpfung  der  Nahrung  als 
Todesursache  134,  157,  —  Theorie 
der  Immunität   1066. 

Erschütterung,  Einfluß  auf 
Ernährung  148,  auf  alkoholische 
Gärimg  267. 

Erysipeloid    1156. 

Erythrit,    Vergärung   424. 

Essigsäure  als  Nahrungsstoff 
116,  -gärung  (anaerobe)  der 
Kohlenliydrate  312,  -gärung 
(aerobe)  des  Alkohols  428,  —  im 
Gewerbe  432,  -gärung  der  Milch- 
säure 441,  der  Bernsteinsäure  und 
Glyzerinsäure  443,  der  Äpfel-  und 
Weinsäure  444,  der  Zitronensäure 
445,  des  Eiweißes  508. 

Exsudat  s.  Alexine,  Leukine, 
Leukozidine,  Opsonine,  Phago- 
zytose. 

Farbreaktionen,    Schlüsse    aus 

—  auf  die  Natur  der  Bakterienzelle 
45,  Veränderlichkeit   der  —  1136. 

Farbstoffe,  als  Kernfärbungs- 
mittel   38,    zur    Fettfärbung    48, 

—  binden  (Jifte  879,  909,  968, 
Bildung  von  —  aus  Glykosiden 
454,    459,    durch   Oxvdation   469, 


Reduktion  von  —  durch  Bak- 
terien 473,  —  der  Bakterien  und 
Pilze  Kap.  XV,  Zusätze  von  — 
zu  Nährböden  345,  473. 

Faulkammer  verfahren  381, 
573. 

Fäulnis  im  allgemeinen  502, 
durch  Reinkulturen  von  Anaero- 
ben 504,  durch  Proteusbazillen 
510,  gemischte  (natürliche)  — und 
Verwesung  §  179—188. 

Fäulniswidrige  Mittel  §  57, 
§   184—187. 

Fett,  färbbares  in  Kl.  48,  —  als 
Bestandteil  des  Körpers  78,  Er- 
nährung mit  —  116,  Umwand- 
lung des  —  im  Stoffwechsel!  137, 
138,  149— 151,  Bildung  von— 701, 
giftiges  —  821.     S.  Lipoide. 

Fettsäuren,     Ernährung   mit 

115,  Verwandlung  der  —  im  Stoff- 
wechsel  §  139—152,  Bildung  von 

—  bei  der  Zersetzung  der  Kohlen- 
hydrate §  90,  97—117,  §  119, 
123—125,  der  Alkohole.  Fette  od. 
Fettsäuren  Kap.  VII,  des  Eiweiße!^ 
508  ff.,  Darstellung  der  flüchtigen 

—  312  Anm.,  —  als  Gifte  807. 
Fioberstoffe  §  280,  §  331. 
Filter,  Wirkung  auf  Zersetzungen 

571,  581,  auf  Enzyme  755,  auf 
Gifte  872,  Scheidung  der  Toxone 
und  Toxine  durch  —  840. 

Filtrierbare  Virus  8.  Chla- 
mydozoen. 

Fischgifte  975. 

Flachsröste  227. 

Flagellaten,    Verwandtschaft 

zu  Bakterien  1162. 

Fleisch,  Fäubiis  §  180,  Vergif- 
tungen durch  —  586,  941. 

Fleischoxtraktstoffe,  Spal- 
tungen §  192. 

Fluoreszierende  Bakte- 
rien  783,  Eiweißspaltung  durch 

—  526,  Stellung  der  —  im  System 
1164. 

Fluoreszierende       Farb- 
stoffe, photodynamische  Ein* 
flüsse  154,  —  von  Bakterien  783. 
Fluorsalze,   Reizwirkung  l^'-- 
Formaldehyd,  Ernährung  mit 

116,  —  als  Oxydationsprodukt 
394,  Wirkung  auf  Fermente  492. 
770,   —  in  der  Luft  122  (Anm). 

F  o  r  m  e  n  der  Kl.  Kap.  I,  unregel- 
mäßige  (Degenerations-)   —  § 
Veränderlichkeit  der  —  §  346. 


3, 


Stichwörterverzeichnis. 


1175 


Fossile  Hölzer,  Bakterien  darin 
381. 

F  T  eßzellen  s.  Phagozytose. 

Fr  oschlaich  405,  409. 

Fruktose  Bildung  425,  Reduk- 
tion zu  Mannit  399,  s.  Hexosen. 

Fusarium,  Gift  481. 

Fuselöl  260,  534. 

e  alak  tan  411. 

G  alaktase  551. 

Cialaktose  s.  Hexosen. 

G  &  1 1  e  ,  Lösung  der  Kl.  durch  —  17, 
giftwidrige  Wirkung  der  —  877. 

O  aliensäuren,  Spaltung  589. 

G  allensteine,  Bildung  589. 

G  a  1 1  i  o  n  e  1 1  a  664. 

G  ärungen  (Spaltungs-)  im  all- 
gemainen  §  61  u.  62,  §  223  u.  224, 
im  besonderen  s.  die  einzelnen 
Kapitel  VI—XI. 

Gärungsenzyme  §  224  a. 

Gärungsgewerbe  §  75,  §  94 
bis  96  a,  111,  116,  136,  150,  156 
bis  158,  178. 

G  a  8  e  ,  zur  Ernährung  96,  112,  116, 

120,  Bildung   von   —  s.  bei    den 

einzelnen   Gärungen,    Verwertung 

zur  Unterscheidung  der  Bakterien 

§  112,  Analyse  der  —  §  221. 

Gasphlegmone   s.  Emphysem. 

G  egengifte  der  Kl.  gegen  Gifte 
in  Nährböden  §  57,  spezifische  — 
(Antitoxine)  gegen  die  Gifte  der 
Kl.  im  allgemeinen  §  275—278, 
gegen  Diphtheriegift  §  262—267. 
Vgl.  auch  die  einzelnen  Gifte  §  281 
bis  318,  nicht  spezifische  —  §  274. 

Ge  genwirkungen,  wechsel- 
seitige der  Wirte  und  Parasiten 
§  53. 

Geißeln,  Brauchbarkeit  zur  Ein- 
teilung der  Bakterien  1164,  Verän- 
derlichkeit der  —  §  348.       f. 

G  e  1  a  s  e  225. 

Gelatineverflüssigung  §  165  u. 
166,  Veränderlichkeit  der  —  §  351. 

Genußmittel  s.  Gärungsge- 
werbe. 

Geologie,  Beziehungen  der  Bak- 
terien zur  —  §  118,  vgl.  aucli 
598,  656,  664,  666. 

Geotropismus    154. 

Gerberei  566. 

Gerbstoffe,    Veränderungen   464. 

Gerinnung  des  Kaseins  dui'ch 
Säure  342,  durch  Lab  547,  698,  — 
des    Blutes   imd   Eiweißes    durch 


Bakterien  551, 101 8,  des  Bakterien- 
leibes durch  Gifte  38. 

Geruchstoffe  533. 

Geschichte  der  Krankheits- 
erreger §  358,  Stammes der  Kl. 

§  359. 

Geschlechtliche  Fortpflan- 
zung s.  Befruchtung. 

Geschmackstoffe  533. 

Geschwülste,  bösartige  990. 

Gewicht,  spezifisches  der  Bak- 
terien 57. 

Giemsafärbung    47. 

Gifte  für  Kl.  §  57,  Lösungserschei- 
nungen durch  —  §  6 — 16,  Reiz- 
wirkungen durch  —  §  3  u.  4,  §  55, 

—  der  Kl.  für  höhere  Wesen 
§  51  Kap.  XVI,  —  für  sich  selbst 
§  47,  für  andere  Kl.  §  48,  Reiz- 
wirkiuigen  der  —  für  Tiere  §  53, 
279,331.  (Vgl.  Gegengifte).  Einfluß 
von  —  au^  Fermente  769,  flüch- 
tige —  971,  harzartige  —  989. 

Giftspektren    841. 
Glaziale   Bakterien  146. 
G  1  u  k  a  s  e    237. 
Glukazetase    264. 
Glykogen  in  Kl.  82, Verzuckerung 

des  —  223. 
Glykokoll,   Zersetzung  592. 
G  1  y  k  o  1 ,    Oxydation  425. 
Glykolsäure,    Vergänmg    442. 
Glykonsäuregärung   386. 
Glykose   s.  Hexosen. 
Glykoside,   Wcmdlungen    Kap. 

VJII. 
Glykuronsäure,     Bildung     386, 

Vergärung  445. 
Glyzerin,  Lösiuig  der  Kl.  durch 

—  19,  Ernährung  mit  —  115,  118, 
Bildung  des  —  328,  Vergärung 
§  131,  Säurung  340,  Verbrennung 
§  132,  Benutzung  des  —  ziu*  Dar- 
stelliuig  von  Enzymen  §  240, 
Giften  §  272  oder  Impfstoffen 
§  333. 

Glyzerinsäure,   Vergärung    443. 

Glyzerose,  Vergärung  250,  Bil- 
dung 394. 

Gonokokken,  Sävirebildxmg 
350,  Gift  964. 

Gramfestigkeit  40,  Zusam- 
menhang der  —  mit  Endotoxin- 
bildung  915,  mit  Aggressinbildung 
1030. 

Granulabildung  im  Serum 
29. 

Granulase  220. 


1176 


Stichwörterverzeichnis. 


Granulobacters.  Clostridien. 

Granulome  §  332. 

Größe  der  Kl.  §  1,  Veränderlich- 
keit der  —  §  346. 

Grubengas  s.   Sumpfgas. 

Grüne    Bakt.   s.  Chlorophyllbakt. 

G  u  a  n  a  s  e  494,  497. 

G  u  a  n  i  n  ,  Zersetzung  594. 

Gummi  in  Kl.  80,  Verflüssigung 
des  —  224,  Vergärung  des  —  374, 
Bildung  des  —  404. 

G  u  m  m  o  s  i  8  408. 

Gurken,  Gärung  der  sauren — 337. 


adromase  230,  465. 

Hämoglobin  liebende  Bakte- 
rien 108,  190,  1066  (Anm.),  — 
lösende  Bakterien   §   312. 

Hämolysine  der  Bakterien 
§  312--'315. 

Hämorrhagische  Septizämie, 
Gift   §  290,  Anpassung  1155. 

Hanfröste  227. 

Haptotropismus    154. 

Harnsäure,    Spaltung   593. 

Harnstoff,  Ernährung  mit  — 
111,  117,  Vergärung  595. 

Harzartiges  Gift  989,  —  Bit- 
terstoff 536. 

Hefen,  Zusammensetzung  §  23, 
Arten  und  Rassen  nach  ihrem 
hydrolytisehem  und  Gärvermö- 
gen geordnet  247,  Gifte  der  — 
715,    alkoholische   Gärung    durch 

—  §  84 — 96  a,  Selbstverdauung 
der  —  §  166,  Eiweißspaltung 
durch  —  §  173,  Stellung  im  Sy- 
stem S.  1159,   1162. 

Heilserum  1080,  s.  Gegengifte, 
Lysino-  und  Tropinogene. 

Hemmungsstoffe  28,  209,  268, 
769,  877,   1098,  1101. 

Heteromorphismus  7. 

Heu,   Selbsterhitzung  462. 

Heubazillen,  Gärungen  diu*ch 

—  290,  441,  oxydierende  Wirkun- 
gen 394,  440,  Bildung  von  Zellu- 
lose 416,  Eiweißspaltung  525,  Gifte 
975. 

H  e  X  o  s  e  n  ,  zur  Ernährung  115, 
Verhalten  ziu*  alkoholischen  Gä- 
rung 249,  258,  zur  Milclisäuregä- 
rung  292,  299,  zur  schleimigen 
Gärung  409,  Bildung  von  —  diu-ch 
Hydrolyse  §  70— 83  a. 

H  i  1  f  s  s  t  o  f  f  e  der  Kl.  209. 

Hippursäure,    Spaltung    589. 

Hog Cholera  s.  Schweinepest. 


Holz,  Zersetzung  seiner  Bestand- 
teile  380,  465,  vgl.  Huinusstoffe. 

Humusstoffe,  Ernährung  mit 
—  112,  118,  Entstehung  381,  557, 
661,   Veränderungen  der   —  464. 

Hühnercholera,    Gift   §  29U. 

Hundswut  994,  1168. 

Hungertod   134. 

Hydrolysen  im  allgemeinen 
§  60  u.  228,  der  Kohlenhydrate 
§  69— 83a,  der  Fette  §  137  u.  13S. 
der  Glykoside  §  153—156  u.  158, 
der  Proteinstoffe  §  165  u.  166,  des 
Lezithins  §  109,  der  Säureamide 
§  191. 

Hydrotropismus  183. 

Hypertrophie  des  Ektoplas- 
mas  10,  1041,  1062,  —  der  Rezep- 
toren 1047,  1060. 

Immunität  §  331  u.  333,  atrep- 
tische  —  1064  Auffassung  der  — 
1112. 

Immunitätslehre  =  Fort- 
setzung dieses  Werkes  vgl.  Vor- 
wort. 

Immuntoxine    s.  Iinpfgifte. 

Impfgifte  792,  838,  880. 

Impfstoffe  176  u.  Kap.  XHl 
§  327,  331,  333—349. 

Indigo,  Reduktion  durch  Bak- 
terien 477,  -gärung  459. 

Indol,  Bildung  507,  511,  521, 
625,  538,  —  als  Gift  808. 

Infektion   171. 

Infektionslehre  =  Fort- 
setzung dieses  Werkes  vgl.  Vor- 
wort. 

Infektiosität  s.  Virulenz. 

Influenzabazillen  1155,  Be- 
darf an  Hämoglobin  u.  a.  1^8. 
190,  1066  Anm.,  Gift  der  —  977. 

Ingwerwein  283,  337,  405. 

Intramolekulare  Oxydation 
§  62,  §  223  u.  224. 

Inulinase  223. 

Invertase  232. 

Involutionsformen  7. 

Jahreszeiten,  Abhängigkeit 
der  Giftbildung  von  den  —  989. 

Javellesche  Lau£;e  34. 

Jod,  Wirkung  auf  Bakterien  o.  4J. 
Gift  Zerstörung  durch  —  §  174,  \  er- 
änderungender  -Verbindungen  666. 

Kadaverin  522,  815. 
Kaffeegärung  461. 


Stichwörterverzeichnis. 


1177 


Kakaogärung  461. 

Kalksti  ckstoff,  Zersetzung 
595. 

Kälteli  ebende Bakterien  146. 

Kapselbazillen  408,  1088, 
1102,  1104,  1113,  s.  Aeroge- 
nes. 

Kapseln  der  Kl.  9,  408,  1038, 
1040,  1044. 

Karotine  781. 

Kartoffeln,  Gifte  in— 481, 819. 

Kartoffelbazillen  s.  Heu- 
bazillen. 

K  a  s  e  a  s  e  492. 

Käse,  Reifung  551,  Gifte  in  — 
818. 

Katalase  471. 

Kef  yr  §  82,  96  a,  111. 

Keratin,   Zersetzung   1 12. 

Kern  der  Bakterien  2,  38,  45,  1160. 

Keuchhusten,  Gift  978,  s. 
Hämoglobin. 

Kieselsäure,  als  Nährboden- 
grundlage 600. 

Klassifikation  der  Hefen 
§  86,  der  Kl.  §  359. 

Knöllchenbakterien    618. 

Koagulation  s.  Gerinnung. 

Kobragift,  Lösung  von  Kl. 
diu*ch  —  18,  Neutralisierung  der 
Alexine  durch  —  1043. 

Koffein,  Wirkung  8,   12. 

Kohle,  Entstehung  381,  Absorp- 
tion von  Giften  durch —  878. 

Kohlenhydrate,  Verwand- 
lungen im  Stoffwechsel  Kap.  VI, 
Aufbau  von  —  §  128—130,  §  229. 

Kohlenoxyd,  als  Nahrung  116. 

Kohlensäure,  als  Nahrung 
120,  601,  648,  649,  Bildung  von  — 
671,  Nachweis  von  —  676,  Wir- 
kung der  —  unter  Druck  151. 

Kohlenstoff,  Gehalt  der  Kl. 
an  —  54,  Bedarf  an  —  114. 

Kohlenwasserstoffe,  als 
Nahrung  116. 

Kokken,  Stellung  im  System 
§  359,  s.  Strepto-,  Pneumo-,  Sta- 
phylo-, Entere-,  Lacto-,  Gono-, 
Meningokokken,  Sarcina. 

Kolagärung  461. 

Kolben  der  Strahlenpilze  usw.  8. 

Kolloide,  bei  der  Ferment  ierung 
768,  bei  der  Entgiftung  878,  Gifte, 
Antitoxine,  Antigene  als  —  §  277. 

Kolonien  139,  Veränderlichkeit 
der  —  1138,  eekvmdäre  —  167, 
Pseudo  —  186. 


Kommensalismus  173. 

Komplement,  Bindung  des  — 
§  325,  326,  331,  343,  344. 

Kondensationen  von  Stof- 
fen, §  65  u.  228  b. 

Konfiguration  des  Moleküls. 
Bedeutung  der  —  249,  426,  456, 
772. 

Konzentration  der  Nähr- 
stoffe 139,  —  der  fermentier  baren 
Stoffe  758,  —  der  Immuntoxine 
893,  —  der  Endo toxine  862  (Anm. 
3). 

Körnerfärbung   47. 

Kraftleistungen  der  Kl. 
736. 

Kraftwechsel  in  Beziehung 
zum  Stoffwechsel  Kap.  XIII. 

Krankheitserregung  §51. 

Kroatin,  Zersetzung  593. 

Kreatinin,  Zersetzung  593. 

Kropf  994. 

Kumys  §  96  a  und  111. 

Kwass   §  96  a  und  111. 

liabenzym    547. 

Lackmus,  Reduktion  des  —  473, 

-gärung  461,   -mölke  339,   -milch 

340. 
Lactobacillus  286. 
Lactococcus  285. 
La  k  k  a  s  e  467. 
Laktase  240.  457. 
Laktazidase  264. 
Laktolase  304. 
Lambi  c  §  96  a  u.  111. 
Lanceolatus,       Streptococcus 

—  s.    Pneumokokken. 
Lange     Milchsäurebazillen      287, 

§  99  —  102,  Bedeutimg  im  (be- 
werbe §  111,  —  im  System  1154, 
1166. 

Langmilch  406. 

Latente   Infektionen   173,   1152. 

Lävulose  8.  Fruktose. 

Leben  und  Tod  130. 

Leben  (egyptisches)  §  82,  96  a, 
111. 

Leichen,  Fäulnis  der  —  569. 

Leistungen  der  Kl.  124,  Kraft 

—  §  237. 

Leptothrix    663,  s.    Algenbak- 
terien. 
Leuchtbakterien  743. 
Leuconostoc  405,   409. 
L  e  u  k  i  n  o  1041  (Anm.  3). 
Leukotaxis  s.  Chemotaxis. 
Leukozidine  §  317. 


1178 


St  ich  Wörter  Verzeichnis. 


Leukozyten  s.  Chemotaxis, 
Leukozidine,  Phagozytose. 

L  e  z  i  t  h  i  n  in  Kl.  73,  Spaltung  des 
—  588,  Lösung  durch  —  18,  s. 
Lipoide. 

Licht,  Entwicklung  von  —  743, 
Einfluß  des  —  auf  Ernährung  und 
Leben  152,  auf  Bewegung  154,  auf 
Ranzigwerden  der  Butter  450,  auf 
Fäulnis  und  Verwesung  (Selbst- 
reinigung) 579,  auf  Fermente  765, 
auf  Farbstoffe  785,  auf  Gifte  876, 
auf  Virulenz  1068. 

L  i  g  n  i  n  ,  Zersetzung  465. 

L  i  p  a  s  e  n  435. 

Lipochrome  781. 

Lipoide,  Einwirkung  auf  Kl.  16, 
auf  Gifte  877  auf  Luesserimi  1113. 

Lithiumsalze,  Wirkung  8. 

Lösungsmittel  für  Bakterien 
§  6-15. 

Luft,  Nährstoffe  in  der  —  122,  s. 
Sauerstoff,   Druck,    Gase. 

Lysine  s.  Lysinogene,  Hämolj^sine. 

Lysinogone  (Angriffs-  und 
Impfstoffe)    §  327,   333,   334. 

Iflais,  als  Ursache  der  Pellagra  989. 

Makrophagen    1070. 

Mal  tase  237,  457. 

Maltoglukase  237. 

Maltonwein  279. 

Maltose,  Hydrolyse  237,  Ver- 
gärung 247,   301,   354. 

Mangan,  Bedarf  an  —  95,  Ab- 
scheidung von  —  665,  Beteiligung 
an  Enzymwirkungen  757,  768. 

M  a  n  n  i  t ,  Gehalt  d.  Kl.  an  — 
83,  Ernährung  mit  —  115,  -gärung 
328,   397.  402,  -Vergärung   §  131. 

Mannose  s.   Hexoson. 

Massengesetz  890,  899. 

Mäusetyphus,  Gift  942,  vgl. 
Paratyphus. 

M  azun    §  82,  96  a,  111. 

Mechanische  Zerstörung  der  Kl. 
10, 869,— Wirkung  der  Kl.  859,  993. 

M  ehlteiggärung  338. 

Melanin  384,  387.  469,  782. 

Membran  der  Bakterien  4,  45, 
-Stoffe  der  Kl.  78. 

Meningokokken,  Säurebil- 
dung 349,   Gift  963. 

Merkaptan,  Bildung  641,  643. 

M  e  t  a  b  i  o  s  e  168. 

Metalle,  Bedarf  an  —  92,  Betei- 
ligung von  —  an  der  Ferment  Wir- 
kung 767. 


Metarabin  412. 
Methylalkohol,  Bildung  424. 

Oxydation  428. 
Methylenblau,  Reduktion  des 

—  474,  478,  vgl.  Farbstoffe. 
Methylglykosid  456. 
Micrococcus  s.  Staphylo-,  (io- 

no-,  Meningokokken,  Sarcina. 

Miesmuschelgift  817,  1116. 

Mikroaerophilie  100. 

Mikrochemisches  Verhalten 
der  Kl.  Kap.  I,  Veränderlichkeit 
desselben  §  349. 

Mikrooidien    355. 

Mikrophagen   1070. 

Milch,  milchsaure  Gärung  der  — 
283,  buttersaure  Gärung  352. 
Reduktionen  in  der  —  480,  Lab- 
gerinnung  547,  Fäulnis  565,  Mol- 
kereiprodukte §  111  u.  178,  Lak- 
mus  als  Nährboden  340. 

Milchsäure,  -gärimg  §  97  bis 
111,  Vergärung  der  —  439,  —  aus 
Eiweiß   509. 

Milchzucker,  Hydrolyse  §  82. 
milchsaure  Gärung  des  —  §  99 
bis   102,  buttersaure  Gärung  des 

—  §  113—116,  Benutzung  von  - 
-Nährböden  342,  345. 

Milchzuckerhefen  241. 
Milzbrandbazillen,  Granula- 
tionen im  Serum  29,  Protein  der 

—  63,  Gift  der  —  954,  s.  auch 
Veränderlichkeit  der  —  Kap. 
XVIII. 

Mineralstoffe  in  Kl.  85,  Be- 
darf an  —  92  s.  Metalle. 
Miso  283. 

Molkerei  wesen   §  111  u.  178. 
Morphologie  der  Kl.  1,  45. 
Mutation  1123. 
Mutualismus  173. 
Muzin,  Bildung  von  —  71,  414. 
Mykoprotein  62. 
Mykorrhizen   625. 
Myxobakterien  409, 4 14, 1 168. 

Nährstoffe  der  Kl.  Kap.  H^- 
Nahrungsmangel  als  Todes- 
ursache für  Kl.  134,  167,  für  ihre 
Wirte  171. 
N  a  h  r  u  n  g  s  s  p  e  n  d  e  r ,  Kl.  a^«* 

—  177. 

N  a  p  h  t  h  a  384. 

N  a  s  t  i  n  78. 

Natürliche  Abarten  und  Arten 

§   357,  —  System   der  Bakterien 

§  359. 


Stichwörterverzeichnis. 


1179 


Nekrotisierende  Wirkung 
von  Giften  §  318  u.  332. 

Neubildungen  990,  §  332. 

Neurin  588,  817. 

N  e  V  8  k  i  a  ramosa  408. 

Nitragin  624. 

Nitrate,  Ernährung  mit  —  112, 
Bildung  von  —  §  196,  Zersetzung 
von  —  §  197—200. 

Nitrifikation   §    196. 

Nitrite  s.  Nitrate,  Giftwirkung 
der  —  803. 

Nitrobakterien  599. 

N  o  b  i  1  i  8  ,  Bac.  553. 

Nuklease  494,  496. 

Nuklein  in  Kl.  65,  giftiges  —  der 
Cholerabazillen  929,  CoUbazillen 
945. 

Nukleinsäure,  Spaltung  494, 
496. 

Nukleoproteide  der  Kl.  66, 
^  giftige   —   869,  929  usw. 

Nutrirezeptoren  211,   1064. 

Nutrose  nährböden  342. 

Nützliche  Parasiten  173,  — 
Stoffe,  Erzeugung  durch  Klein- 
wesen 177/  vgl.  Gärungsgewerbe. 

Obst,  Fäulnis  459,  567. 

Ödembazillen,  erzeugen  But- 
tersäuregärung 352,  356,  Fäulnis 
506,  Gifte  924. 

O  i  d  i  e  n  ,  pathogene  248,  Gifte  990. 

Oligocarbophilus,  Bac.  122. 

Oligodynamische  Wirkun- 
gen 37,   187. 

Oligonitrophile  Bakterien 
.113,   627. 

Önoxydase  470. 

Oospora,   Gift  990. 

Opsonine  (od.  Tropine)  §  322, 
§  333. 

Organgifte  §  318. 

Organisation,  chemische  — 
der  Zelle  50,  209. 

Organische  Basen  §  259. 

Organvirulenz  175,   1065. 

Orseillegärung  461. 

Osmotischer  Druck  3,  — 
Ströme  150. 

Osmotropismus  183. 

Oxalsäure,  -gärung  der  Koh- 
lenhydrate 389,  -bildung  aus 
Fetten  447,  aus  Eiweiß  531,  Ver- 
gärung der  —  442. 

Oxydasen   §  222. 

Oxydation  im  allgemeinen  §  62, 
§    218—227,    der    Kohlenhydrate 


§  119—123,  der  Alkohole  §  132 
bis  136,  der  Fette  und  Fettsäuren 
§  149  u.  150,  der  Glykoside  usw. 
§  156—159,  der  Eiweißstoffe 
§  176  ff.,  der  Harnsäure  §  193, 
des  Ammoniaks  §  196,  des 
Schwefels  und  seiner  Verbindun- 
gen §  207—210,  des  Eisens  §  216. 
Ozaena  bazillen  s.  Kapselbazillen. 

Pantotrophus,  Bac.  117. 

Paracolibazillens.  Coli-  und 
Paratyphusbazillen. 

Paradysenterie  s.  Pseudo- 
dysenterie. 

Paraffin,  Ernährung  mit  — 
116. 

Paraputrificus,  Bac.   357. 

Paratyphusbazillen,  Zucker- 
vergärung durch  —  326,  Säure-  u. 
Gasbildung  344,     Gifte  941. 

Pararabin  412. 

Parasitismus  §51  — 53. 

Pasteuria  ramosa  409. 

Pediculatus,  Bac.  405. 

Pektinase  225. 

Pektinvergärung   227. 

Pellagra,  Gift  der  —  989. 

Pentosane,  Veränderungen  §  73, 
74  u.  117. 

P  e  n  t  o  8  e  n  in  Kl.  65,  zur  Ernäh- 
rung 115,  Verhalten  zur  Hefe  250, 
zu  Milchsäurebakterien  292,  299, 
zu  Paratyphusbazillen  344,  Strep- 
tokokken 348,  zu  Buttersäure- 
bazillen 354. 

Pepsinsalzsäure,  Verdau- 
ung der  Bakterien  durch  —  23, 
Zerstörung  der  Gifte  imd  Impf- 
stoffe durch  —  877,  1078. 

Peptische    Enzyme  487. 

Peptolytische  Bakterien  537. 

Peptone,  zur  Ernährung  109, 
114,  119,  Bildung  von  —  §  165  u. 
166,  Spaltung  von  --  §  67—75, 
giftige  —  874,  1119,  s.  Protein- 
stoffe. 

Peptonisieronde  Bakterien 
der  Milch  524,  974. 

Peptonisierungsv  ermö- 
gen §  165  u.  166,  Veränderlich- 
keit der  —  §351 . 

Peptotoxin   819. 

Peroxydasen  466. 

Pestbazillen,  bilden  Milch- 
säure 308,  Gifte  952,  inWasser  1141. 

Pflanzenkrankheiten,  Gifte 
991,  Erreger  von  —  226,   1153. 


1180 


Stichwörterverzeichnis. 


Phagotaxis  1035. 

Phagozytose  §  322. 

Phenole  Bildung  512,  525,  538. 

Philothion  654. 

P  h  1  o  g  o  s  i  n  820. 

Phosphor,  Bedarf  an  —  92, 
Wandlungen  des  —  658. 

Phosphorsäure,  Abspaltung 
aus  Kasein  540,  bei  der  Selbst- 
verdauung 495,  Synthesen  aus  — 
usw.  263.  Vgl.  Nukleasen,  Phos- 
phor. 

Photobakterien  743. 

Photodynamische  Wirkung  159. 

Photographische  Leistun- 
gen des  Bakterienlichtes  747. 

Phykochromazeen  s.  Cyano- 
phyzeen. 

Phylogenese  der  Kl.   §  359. 

Pigmente  der  Kl.  Kap.  X.V. 

Plasmodiophora,    Gift  992. 

P  1  a  s  m  o  1  y  s  e   3. 

P  1  a  s  m  o  p  t  y  8  e  6. 

Plastingebilde  48. 

Pneumokokken,  Wachstum 
und  Tod  130,  157,  Säurebildung 
349,  Gifte  958,  als  Pneumonie- 
erreger  1157. 

Pneumoniebazillen  siehe 
Kapselbazillen,  Aerogenes. 

Polkörner  6. 

Pomb  e  §  96  a,  111. 

Präzipitogene  §  342. 

Preßsaft  herstellung   254. 

Prodigiosusbazillen,  Farb- 
stoff 781,  Gifte  975. 

P  r  o  j)  i  o  n  s  ä  u  re  ,  -gärung  der 
Kohlenhydrate  324,  der  Milch- 
säure 441,  B  ernst  einsä\u*e  443, 
der  Apfelsäure  444,  der  Weinsäure 
444,  des  Eiweißes  508,  -bildung 
aus  Propylalkohol  428,  429. 

Propylalkohol,  Bildung  371, 
Oxydation  428,  429. 

Proteinochrom  540. 

Proteinstoffe,  Gehalt  der  Kl. 
an  —  61,  Bedeutung  der  —  für 
Milchsäuregärung  297,  Wandlun- 
gen der  —  Kap.  IX,  Aufbau  der 
-  §231. 

Proteolytische  Enzyme  §165 
u.   100. 

Protousbazillen,  als  Säure- 
labbildner 289,  —  als  Vergär  er  der 
Kohlonhvdrate  347,  —  bei  der 
Fäulnis  510,  563,  Gifte  der  —  971. 

Protoplasma,  -tätigkeit  im 
(Gegensatz  zur  Fermentierung  208, 


209    usw.,    s.    Organisation    und 

Zelle. 
Prototoxine    841,  883,  889. 
Protozoen,  Verwandtschaft  mit 

Bakterien  1162  Gifte  der  —  §  310, 

s.  Amöben. 
Pseudoagglutination    HCl. 
Pseudodiphtheriebazillen. 

Säurebildung  341,  Gifte  der  —  98S. 
Pseudodysenterie  s.  Ruhr. 
Pseudinfluenza  1156. 
Pseudokolonien  186. 
Pseudomonas  1164. 
Pseudotuberkulose,    Baz. 

der  —  343  (Anm.  1),  Angriffsstoffe 

der  —  1022. 
Psychrophile  Keime  146. 
P  t  o  m  a  i  n  e  809. 
Purinbasen,     Vorkommen   in 

Kl.    66,    Enstehung  der    —  46J. 

Spaltung  der  —  593. 
Purpurbakterien  647,  1160. 
Putreszin  522. 
Putride    Intoxikation  809,  914, 

1119. 
Putrificusbazillen,  Gäninu 

durch   —  356,   Fäulnis  durch  — 

507,  563,  Gifte  der  —  925. 
Pyocyanase,  Wirkung  auf  Kl. 

13,  159,  498,  —auf  Bakteriengifte 

876,  Giftigkeit  der  —  971. 
Pyocyaneusbazillen,   Ei- 
weißspaltung 526,  Farbstoffe  78*2, 

Gifte  der  —  969. 
Pyocyanin  782. 

Radiumstrahlen   152. 

Raffinose,  Hydrolyse  243,  Ver- 
gärung durch  Hefe  247,  durch 
Milchsäurebakterien  302,  345, 34S. 

Ragi  283. 

Kauschbrandbazillen  er- 
regen Buttersäuregärung  352,  35 1, 
Fäulnis  504  ff.  Gifte  der  -  9^2. 

R  a  u  1  i  n  sehe  Nährlösung  89. 

Razemische         Verbindungen, 

Spaltung  191. 

Reaktion  der  Nährböden,  Ein- 
fluß auf  Ernährung  143,  auf  Fäul- 
nis 575,  auf  Fermentierungen  766, 
vgl .    G egen Wirkungen . 

Reduktasen  698. 

Reduktion  diu-ch  Kl.  im  al^r 
meinen  §  63  u.  228a,  der  Kohlen- 
hydrate (Mannitgärung)  §  1-^  ^'^ 
126,  der  Fette  und  Fettsäuren 
§  151,  der  Farbstoffe  §  161,  -  J" 
Milch  und  Abwasser  §  162,  bei  dir 


Stichwörterverzeichnis. 


1181 


Fäuhiis  §  168,  169,  bei  Gärungen 
§  224,  beim  Stoffaufbau  §  229  bis 
231. 

Reifen  des  Weines  448,  des  Käses 
551. 

Reinzucht  der  Hefe,  Ver- 
wendung in  der  Brauerei  usw.  273. 

Reizstoffe  der  Wirte  und  Para- 
siten 175,  —  der  Parasiten  §  331, 
eigene  und  fremde  Stoffwechsel- 
nrodukte  und  Gifte  als  —  für  die 
Ernährung   §  49,   50,  53,   55. 

Reversibilität  der  Ferment- 
wirkungen 775,  der  Toxin-  und 
Antitoxinveränderungen  857,  der 
Toxin-  u.  Antitoxinverbindungon 
888, 893,  der  übrigen  Antigen- Anti- 
körperverbindungen   1056,  1092. 

Rezeptoren  210,  §  279,  327, 
bis  330,   334—344. 

Rhamnose  s.    Pentosen. 

Rheotropismus   154. 

Rhinosklerombazillen  1113  s. 
Kapsel bazillen,  Aerogenes. 

Riechstoffe   §   173. 

Riesenwuchs  7,  1130. 

Rohrzucker  s.  Disaccharide, 
Invertase. 

Romano  wskyfärV)ung  47. 

Röntgenstrahlen   1 52. 

Röste  des  Flachsos  und  Hanfes  227. 

R  o  s  t  p  i  1  z  o  ,   Gifte  988. 

Rotlaufbazillen,  Gifte  956. 
Stellung  der  —  im   System  1161. 

Ruhrbazillen,  Vergärung  der 
Zucker  und  Zuckeralkohole  durch 
—  301,  315,  318,  332,  420,  Sänre- 
bildimgdiu-ch  — 341,343,Gifte946, 
Angriffsstoffe — 1026,Abartenll55. 

Haccharase  232. 

Saccharomyces,  Arten  und 
Kassen  §  86,  —  neoformans  990, 
Gifte  des   —  990,  s.  Hofe. 

Salpeterbildung  598,   612. 

Salze,  als  Lösungsmittel  35,  als 
Nahrungsstoffo  92,  bei  der  Fer- 
mentierung 767,  bei  der  Farbstoff- 
bildung 786,  Wirkung  der  —  auf 
Gifte  879,  auf  Agglutination  1100. 

Saprophyten  174,  —  als  Krank- 
heitserreger 582,  1152  -Gifte  975. 

S  a  r  c  i  n  a  mobilis  1135,  Stellung 
der  —  im  System  1163. 

Sarkosporidien,    Gift   992. 

Sauerkraut   §  96a  und  111. 

Sauerstoff,  Bedarf  an  —  §  31, 
Wege  des  Sauerstoffs  Kap.  XIII, 


Einfluß  des  —  auf  Farbstoffbil- 
dung §  254,  —  auf  Giftbildung 
§  271,  Veränderlichkeit  des  Ver- 
haltens zum  —  §  352,  vgl.  Oxyda- 
tion, Oxydasen. 

Sauerteig   §  96a  und   111. 

Säureamid  e,    Spaltung   589. 

Säurefestigkeit  44,  74,  Zu- 
sammenhang der  —  mit  Endo- 
toxinbildung  915,  —  im  System 
1161,  1166.    s.  Wachs. 

Säurelabbildner  289,  549. 
vgl.    §  99—112. 

Säuren,  Wirkung  verdünnter  — 
auf  Kl.  37,  auf  Fermentierungen 
766,  auf  Gifte  857,  Ernährung 
mit  organischen  —  115,  Spaltung 
von  razemischen  —  §  58,  Bildung 
von  —  aus  Kohlehydraten  §  97 
bis  117,  Verwertung  der  Bildimg 
von  —  zur  Unterscheidung  von 
Bakterien  §  112,  Oxydation  (Vor- 
zehrung)  von   —   §   149. 

Schädliche  Parasiten  171,  — 
Stoffe  s.   Gifte. 

Schallwellen,    Wirkung    149. 

Schimmelpilze  Zusammen- 
setzung §  23,  —  spalten  razemische 
Verbindungen  §  58,  —  hydroly- 
sieren  Kohlehvdrate  §  69 — 83, 
Glykoside  §  155,  Fette  §  136, 
oxydieren  Kohlehydrate  §  119  bis 
123,  Fette  §  149,  oxydieren  Ei- 
weiß und  bilden  Ammoniak  ans 
Eiweiß  §  172,  176,  178,  181  ff.. 
Gifte  von  —  988,  Verwandtschaft 
mit  Bakt.  1161. 

Schlamm,    Selbstreinigung  572. 

Schlangengift    s.  Kobragift. 

Schlei  m  in  Kl.  80,  -gärung  404, 
Zusammensetzung  des  —  409, 
Veränderlichkeit  der  -bildung 
§  351,  Hydrolyse  des  —  §  73, 
Vergärung  des   —  328. 

Seh  leim  säure-  Vergärung  445. 

Schwefel,  Gehalt  an  —  86, 
Bedarf  an  —  92,  Veränderungen 
des  —  und  seiner  Verbindungen 
Kap.  XI,  Abscheidung  von —  643ff. 

Schwefelsäure-  Bildung  ( ( iä- 
rung)  643,  646,  648,  Reduktion 
der   —  655,  vgl.   Schwefel. 

Schwefelwasserstoff,  Bil- 
dung ((Järung)  aus  Sulfaten  655, 

—  aus  organischen  Verbindungen 
634,  aus  Schwefel  usw.  652, 
Oxvdation  des   —  643,   646,   648, 

—  als  Gift  805. 


1182 


Stichwörterverzeichnis. 


Schweinepestbazillen,  Gift 
943,  vgl.   Paratyphus. 

Schweinepest  vir  US,  siehe 
Chlamydozoen. 

Schweinerotlauf  s.  Hotlauf. 

Schweineseuche     (Jift     9öl, 

Schwerkraft,  Wirkungen  154. 

Seifige  Milch  407. 

Seitenketten  210,  -theorie 
§  279,   §  327  —  329,   §  334. 

Sekrete  s.  Säuren,  Ammoniak, 
Enzyme,  Farbstoffe,  (Jifte,  An- 
griffs-, Reiz-  und  Impfstoffe. 

Sekundäre   Kolonien    167. 

SemiClostridium    406,    41 1. 

Semi  permeable  Membran  4. 

S  e  1  e  n  i  g  e  Säiu'e,  Reduktion  659. 

Selbstentzündung  463. 

Selbsterhitzung  462. 

Selbstinfektion  173,  1158. 

Selbstverbrennung  691. 

Selbstverdauung  s.  Auto- 
lyse. 

Selbst  Vergärung  264. 

Selbstvergiftung  s.  Auto- 
intoxikation. 

S  e  n  f  ö  1  ,  Entstehung  461. 

S  epsin,  Vergiftung  810,  816,  914, 
1119. 

Serum,  Bakteriolyse  durch  — 
28  s.   Abwehrstoffe,  Heilserum. 

S  k  a  t  o  1  s.  Indol. 

Soja  283. 

Solanin,  Bildung  481,  819. 

Sommerdiarrhöe  s.  Cholera 
infantum. 

Soor,  (iärfähigkeit  248,  Giftig- 
keit 990. 

Sorbose  s.  Hexosen,  -gärung 
425. 

Spalt  ungsgärungen  s.  Gä- 
rungen. 

Spezifisches    Gewicht   57. 

S  p  i  e  ß  b  a  z  i  1 1  e  n  ,  als  Fäulnis- 
orrerrer   504   (Anm.  1),    1032. 

Spirillen    s.  Vibrionen. 

Spirochäten,  als  Fäulniser- 
reger  504  (Anm.  1),  (iifte  der  — 
993,  1113,  Virulenz  der  —  1157, 
Stellnnpc  der  —  im  System  1162, 
vgl.  Wassermann  s.  Reaktion. 

Sporen,  Bedingungen  ihrer  Bil- 
dung 137,  Kojmlations  Vorgänge 
bei  der  Bildung  von  —  2  (Anm.), 
Wassergehalt  der  —  57,  Veränder- 
liclikeit  der  -bildung  §  347, 
Widerstandsfäliißkeit  der  —  §  350. 

S])orogene  Körner  48. 


Sproßpilze   s.  Hefe. 

Stammesgeschichte  der  Kl. 
§  359. 

Staphylokokken,  als  Säure- 
labbildner 289,  spalten  Eiweiß  520. 
Angriff ßstoffe  der  —  1022,  (Jifte 
der  —  966,  Hämolysine  der  — 
§  312,  Veränderlichkeit  der  — 
§  354.     • 

Stärke  in  Kl.  81,  Verzuckerung 
von  —  214,  saure  Vergärung  der 

—  300,  302,  354,  365,  370,  371. 
Bildung  von   —  415. 

Steinbildung  in  der  Galle  589. 
Stickstoff,  Gehalt  der  Kl.  an 

—  54.  Bedarf  an  —  108,  Er- 
nährimg  mit  freiem  —  112,  618, 
626,  -bindung  im  Boden  633, 
-bildung  (Gärung)  aus  Nitraten 
und  Nitriten  609,  -bildung  bei 
der  Fäulnis  560,  Bildung  von 
-oxyden  615. 

Stoff  ansatz,  -ausnützung,  -Um- 
satz und  -verbrauch  708,  -aufbau 
s.  Aufbau. 

Stoffwechsel  im  allgemeinen 
Kap.  V,  im  besonderen  Kap.  VI 
bis  XIII,  Beziehungen  von  — 
und  Kraftweclisel  Kap.  XIIJ. 
-bilanzen  §  232—236,  Veränder- 
lichkeit des    §   353. 

Stoffwechselerzeugnise, 
Schädigung  durch  eigene  —  156, 
Förderung  durch  eigene  —  165. 
Schädigung  durch  fremde  —  160, 
Förderung   durch  fremde  —  168, 

—  im  allgemeinen  Kap.  V,  —  im 
besonderen  s.  Kap.  VI— XIII. 

Strahlenpilze,  als  Humus- 
bildner  381,  als  Eiweißzersetzer 
533,  Gifte  der  —  987,  Stellung  der 

—  im   System   1161. 
Streptokokken,      ihre    drei 

Unterarten,  als  Milchsäurebak- 
terien 285,  §  99  ff.,  Unterschei- 
dung der  —  voneinander  348. 
Eiweißspaltung  durch  —  541, 
-gifte  961,  —  Hämolysine  997. 
Stellung  der  —  im  System  1163, 
vgl.  Pneumokokken. 

Streptothrixs.  Strahlenf)ilze. 

Stromatolyse  12. 

S  t  y  r  o  1  ,  Bildung  452. 

S  u  1  f  a  t ,  vgl.  Schwefel  und  Schwe- 
felsäure. 

Sumpfgas,  Ernährung  mit  — 
116,  -gärung  der  ZelluW 
und  des  Gummis  374,  der  Essig- 


St  ichwörter  Verzeichnis. 


1183 


säure  438,  Milchsäure  442»  Glykol- 
säure  442,  Brenzweinsäure  443, 
Buttersäure  443,  Äpfelsäure  444, 
des  Eiweißes  506,  560,  des  Fleisch- 
extraktes 592,  Bildung  des  — 
(Grubengases)  in  Steinkohlen  384, 
Vorkommen  in  der  Luft  384. 

Superoxydase  471. 

Symbiose  168. 

Synthesen  s.  Aufbau. 

Syntoxoide    889. 

Syphilis   s.    Spirochäten. 

System  der  Bakterien  §  359,  der 
Stoff  Wechsel  Vorgänge  Kap.  V. 

T  ab  a  k  f  ermentati  o  n   §  157. 

T  a  n  n  a  s  e  464. 

Tartricus,  Bac.   443,  445. 

T  a  u  r  i  n  ,  Spaltung  589. 

Tellurige  Säure,  Reduktion  659. 

Temperatur,  Einfluß  auf  Er- 
nährung und  Leben  145,  auf  Be- 
wegungen 155,  auf  Fermente  §  244, 
Farbstoffe  §  254,  Gifte  §  274,  An- 
griffsstoffe §  320,  Impfstoffe  §  333, 
334,  Veränderlichkeit  des  Ver- 
haltens zur  —   §  352. 

Teratologische  Wuchsformen  7. 

Talsperrenwasser,  V^erderb- 
nis  und  Reinigung  des  —  580. 

Teegärung  46L 

ThermophileKl.    147,1146. 

Thermotaxis  155. 

Toxalbumine  824,  873. 

Tod  der  Kl.  130,  durch  Hunger 
134,  vgl.  Desinfektion,  Gifte,  Lö- 
sungsmittel. 

Toxine  792,  813,  vgl.   Gifte. 

Toxoide  832,  841,  881. 

Toxone  838,  881. 

Traubenzucker  s.  Hexosen, 
Säure-  luid  Gasbildung  aus  — 
Nährböden   §  112. 

Trehalase  239. 

Trisaccharide    s.    Raffinose. 

Tritotoxin  841. 

Traubensäure,  Spaltung  192. 

Tropinogene   §   322,   333. 

Trypanosomen,  Gifte  992, 
Verhältnis   zu    Spirochäten    1162. 

T  r  y  p  s  i  n  ,  Verdauung  der  Kl. 
durch   —  23. 

Tryptische  Enzyme  der  Kl.  487. 

Tryptophan,  Spaltung  512, 
Bildung  489,   540. 

Tuborkelbazillen  Stoffo68,74,Ab- 
arten  1143,  Gifte  978,  Überenipfind- 
lichkeit     1114,    s.    Säurefestigkeit. 


Typhusbazillen,  Vergärung 
der  Zucker  und  Zuckeralkohole 
durch  —  300,  308,  315,  318,  332, 
420,  Säurebildung  durch  —  342, 
Eiweißspaltxmg  d\u:eh  —  515,  538, 
Gift  der  —  936,  Angriffsstoffe  der 
—  1026. 

Tyrosinase  468. 

Tyrotoxikon  818. 

Cberempfindlichkeit  §  344. 

Ultraviolette  Strahlen,  Wir- 
kung 153. 

Umkehrbarkeit  s.  Reversi- 
bilität. 

Umsatzstoffe      s.    Fermente. 

Undurchgängigkeit  des 
Plasmas  4,  42. 

Unregelmäßige  Formen  7, 
Veränderlichkeit  der  —   §  346. 

U  r  e  a  s  e  598. 

Urobakterien   §  195. 

Uschinsk  y  sehe  Nährlösung  1 15. 

UvioTmilch  963. 

Vakuolen  6,  47,  1146. 

Vanillegärung  461. 

Variabilität  s.  Veränderlichkeit. 

Veränderlichkeit  der  Kl. 
Kap.  XVIII. 

Verbrennungswärmen  der 
Nährstoffe  694,  der  Kl.  selbst  714, 
719,    726. 

Verdauung  der  Kl.  23,  -Vor- 
gänge durch  —  697,  -enzyme  486, 
vgl.  Autolyse. 

Verdichtungen  s.  Konden- 
sationen. 

Verflüssigungen  s.  Hydro- 
lysen. 

Vergärung  s.  die  Gärungen  der 
einzelnen  Stoffe,  z.  B.  Kohle- 
hydrate. 

Vergiftung  s.   Gifte. 

Vermiforme,   Bact.   405. 

V  e  r  s  e  i  f  u  n  g  der  Fette  432,  435. 

Verwesung  544,  556,  von  Pflan- 
zenstoffen 567,  —  durch  Säure- 
verzehrung  448,  Entstehung  von 
Kohle  und  Hnmusstoffen  bei  der 
—  381,  vgl.   Fäulnis. 

Verzehrung   von    Säuren   448. 

Verzuckerung  der  Stärke  214, 
des  Dextrins  222,  s.  Hydrolysen. 

Verzweigungen  der  Bakte- 
rien 8,  Bedeutung  der  —  für  die 
Stammesgesclii  eilte    1161,  1167. 


1184 


Stichwörterverzeiclinis. 


Vibrionen,  Milchsiiurebildung 
307/8,  Eiweißspaltung  durch  — 
521.  -gifte  935,  Stellung  der  — 
im  System   1164,  s.   Cholera. 

Virufenz  §  51  u.  319,  Theorie 
der  —  §  328  u.  329,  Bestimmung 
der  —  998,  1036,  Veränderlich- 
keit der  —  §   330,  356—358. 

Viskose  411. 

Volutin  48. 

Vorratsstoffe  48,  415. 

W  a  c  h  s  in  säurefesten  Kl.  75,  Be- 
deutung  des    —   190,  985. 

Wachstum  130,  134,  vgl.  Er- 
nährung, Aufbau,  Reizstoffe, 
-widerstände  vgl.  Abwehrstoffe, 
Desinfektionsmittel. 

Wärme  s.  Temperatur,  -ent- 
wicklung  der  Kl.  736,  -werte  der 
Stoff  um  Wandlungen  694. 

Wasser,  Selbstreinigung  569, 
580,  vgl.  Abwasser. 

W^asserbakterien   140,  .748,  1141. 

Wassergehalt  der  Kl.    56. 

Wasserstoff,  Ernährung  mit 
—  116,  -gärung  der  Kohlen- 
hydrate 321,  —  der  Zellulose  374, 
bei  der  Fäulnis  559,  Bedeutung 
des   —  für  Reduktionen  s.  diese. 

Wasserstoffsuperoxyd, 
Spaltung  471,  Wirkung  auf  Fer- 
mente 771,  auf  Gifte  und  ihre  Vor- 
bindungen  mit    Serum    879,   894. 

Wassermann  scher  Versuch 
877,    903,    -sehe    Reaktion   1113. 

Weil  sehe  Krankheit  974. 

Weinbereitung  278. 

Weinsäure,  zur  Ernährung  115, 
Spaltung  der  razeraischen  —  192, 
Vergärung  der  —  444,  s.  R  a  u  - 
1  i  n  sehe  Lösung. 

Weißbier   §  94  und  111. 

Widerstandsfähi  gkeit,  in- 
dividuelle Verschiedenheit  136, 
Veränderlichkeit  der  —  §  350, 
s.    Sporen,   Desinfektion. 

Wuchsstoffe  1064,  vgl.  Reiz- 
stoffe. 

Wurzelknöllchen§  201,  202. 

Wurzelpilze  625. 

Xylinujn,  Bacterium  — ,  oxy- 
diert Zuclver  387,  höhere  Alkohole 


425,  niedere  Alkohole  430,    bildet 
Zellulose  415,  erzeugt  Sorbose  426. 
X  y  1  o  s  e  8.   Pentosen. 

Yoghurt   §  111  8.  Bulgariens. 

Zelle,  Natur  der  Bakterien.  —  45, 
Leistungen  der  —  124,  s.  Organi- 
sation,    Ernährung,      Wachstum, 
Kern. 
Z  e  1 1  u  1  a  s  e  229. 

Zellulose  in  Kl.  78,  Vergämnir 
374,  Oxydation  379,  Bildung  415. 
Zentralkörper  47,  1160. 

Zersetzungen  8.  Stoff  wechsel- 
vorgänge,  Veränderlichkeit  der  — 
§  353. 
Zerstörung     der     Kl.       durch 
mechanische  Einflüsse    10,    durcli 
chemische   Einflüsse    12,    —    vg]. 
Desinfektion,     Fermente,     Gifte, 
Angriffs-,    Reiz-    und    Impfstoffe. 

Zimtsäure,   Spaltung   452. 

Zitronensäuregärung  387. 
Vergämmg  der   —  445. 

Zooglöen  408. 

Zucker,  Gehalt  der  Kl.  an  — 
83,  Ernährung  mit  —  115,  Wand- 
lungen der  —  im  Stoffwechsel 
Kap.  VI,  Einfluß  des  —  auf 
Fäulnis  577. 

Zuckersäure,  Bildung  386. 

Zusammensetzung,  che- 
mische —  der  Kl.  51,  Schwan- 
kungen der  —  59,  Veränderlich- 
keit der  —  §  349,  vgl.  Grara-  und 
Säurefestigkeit. 

Zusammenwirken  von  Nähr- 
stoffen 191,  8.   Symbiose. 

Zusamraenziehung  des  Pro- 
toplasmas 3. 

Zweigbildung  der  Bakterien 
9,  Bedeutung  der  —  für  die  natür- 
lichen Verwandtschaft  der  Kl. 
1161,  1167. 

Z  y  m  a  s  e  der  Hefe  253,  der  Bak- 
terien 304. 

Z  y  m  i  n  255. 

Zymogene  775. 

Zymoexzitatoren  768. 

Zymoparalysatoren  769. 

Z  y  s  t  i  n  ,  Spaltimg  638. 

Z  V  t  a  s  e  229,  auch  anderer  Name 
für  Komplement  (s.  d.). 


VERLAG  VON  F,  C.  W,  VOGEL  IN  LEIPZIG^ 

Soeben  erschienen: 

Zweite,  vollständig  neubearbeitete  Auflage 

des 

Handbuches  der  Kinderheilkunde 

Ein  Buch  für  den  praktischen  Arzt 

Herausgegeben  von 

Prof.  Dr.  M.  PFAUNDLER  und  Prof.  Dr.  A.  SCHLOSSMANN 

in  München  in  Dtoddod 

unter  Mitwirkung  von 

Prof.  Dr.  B.  BENDIX-Berlin,  Prof.  Dr.  J.  von  BÖKAY-Budapest,  Dr.  W. 
CAMERER- Stuttgart,  Dr.  S.  ENGEL  -  Düsseldorf,  Prof.  Dr.  E.  FEER- 
Heidelberg,  Prof.  Dr.  H.  FINKELSTEIN-Berlin,  Prof.  Dr.  R.  FISCHL-Prag, 
Dr.  W.  FREUND-Breslau,  Dr.  J.  K.  FRIED JUNG-Wien,  Dr.  D.  GALATTI- 
WiEN,  Dr.  E.  GALEWSKY-Dresden,  Privatdoz.  Dr.  F.  HAMBURGER-Wien, 
Privatdoz.  Dr.  R.  HECKER-München,  Privatdoz.  Dr.  C.  HOCHSINGER-Wibn, 
Dr.  A.  F.  JAPHA-Berlin,  Privatdoz.  Dr.  J.  IBRAHIM-München,  Privatdoz. 
Dr.  W.  KNÖPFELMACHER-WiBN,  Prof.  Dr.  J.  LANGER-Graz,  Prof.  Dr.  L. 
LANGSTEIN-Berlin,  Dr.  C.  LEINER-Wien,  Privatdoz.  Dr.  E.  MORO-MOnchsn, 
Privatdoz.  Dr.  P.  MOSER -Wien,  Prof.  Dr.  H.  NEUMANN-Berlin,  Dr.  R. 
NEURATH  -  Wien,  Prof.  Dr.  K.  von  NOORDEN-Wien,  Prof.  Dr.  M. 
PFAUNDLER-MüNCHEN,  Prof.  Dr.  H.  PFISTER-Charlottenburg,  Prof.  Dr. 
C.  Frh.  von  PIRQUET-Breslau,  Prof.  Dr.  W.  PRAUSNITZ-Graz,  Prof.  Dr. 
R.  W.  RAUDNITZ-Prag,  Dr.  O.  ROMMEL-München,  Prof.  Dr.  B.  SALGE- 
Freiburg  I.  B.,  Dr.  B.  SCHICK-Wien,  Prof.  Dr.  A.  SCHLOSSMANN-Düssel- 
DORF,  Prof.  Dr.  C.  SEITZ-München,  Prof.  Dr.  P.  SELTER-Solingen,  Prof. 
Dr.  F.  SIEGERT-Köln,  Dr.  P.  SOMMERFELD-Berlin,  Dr.  J.  H.  SPIEGEL- 
BERG-Zell. -Ebenhausen,  Prof.  Dr.  W.  von  STARCK-Kiel,  Prof.  Dr.  W. 
STOELTZNER-Halle,  Prof.  Dr.  M.  STOOSS-Bern,  Dr.  N.  SWOBODA-Wien, 
Prof.  Dr.  M.  THIEMICH-Magdeburg,   Privatdoz.  Dr.  J.  TRUMPP-München, 

Privatdoz.  Dr.  J.  ZAPPERT-Wien. 

Das  Handbuch  erscheint  in  vier  Bänden  in  Groß-Oktav-Format  mit 
2194  Druckseiten,  516  Textfiguren  und  69  zum  größten  Teil  bunte  Tafeln. 

Preis  des  kompletten  Werkes  broschiert  SO  M.,  in  4  Bände  gebunden  60  M, 
— —  Einzelne  Bände  werden  nicht  abgegeben.  — 

Es   ist   somit   für  das   komplette  Werk   gegen   die   i.  Auflage   eine 

Preisermäßigung  von  10  M,  eingetreten. 

Inhaltsverzeichnis  nächste  Seite. 


r 


INHALTSANGABE. 


I.  Band. 


Einleitung.     Von    Prof.  Dr.  A.  Schloß  mann    in 

Düsseldorf. 
Allgemeine  Pathogenese  und  Pathologie  des  Kindes- 

altere.     Von    Privatdozent   Dr.  F.  Hamburger 

in  Wien. 
Allgemeine  Prophylaxis.   Von  Prof.  Dr.  B.  Bendiz 

in  Berlin. 
Allgemeine  Therapie.  Von  Prof.  Dr.  H.  Neumann 

in  Berlin. 
Mortalität  und  Morbidittt  im  Kindesalter.  Von  Prof. 

Dr.  W.  Prausnitz  in  Graz. 
Milch.    Von   Prof.  Dr.  R.  \V.  Raudnitz  in   Prag. 
Weibliche  Brust.   Von  Dr.  S.  Engel  in  Düsseldorf. 
Stoffwechsel  und  Emihrung  im  ersten  Lebensjahr. 

Von  Dr.  W.  Camerer  in  Stuttgart. 


Stoffwechsel    jenseits    des   erstes 

Von    Prof.  Dr.  A.  SchloOmann 

und    Dr.    P.    Sommerfeld    in 


Ern&hruag    und 

Lebensjahres. 

in    Düsseldorf 

Berlin. 
Erkrankungen  der  Neugeborenen.  Von  Privatdozent 

Dr.  W.  Knöpfelmacher  in  Wien. 
Frühgeburt  und  Lebensschwäche.  Von  Dr.  O.  Rom- 
me 1  in  München. 
Asphyxie  und  Atelektase.    Von  Dr.  O.  Rommel  in 

Mündien. 
SklerSdem  und  Sklerem.    Von  Dr. O.  Rommel  io 

München. 
Erkrankungen  in  der  Pubertätszeit.    Von  Prof .  De 

C.  Seitz  in  München. 


II.  Band. 


Erkrankungen  des  Blutes  und  der  blutbereitenden 
Organe.    Von  Dr.  A  F.  Japha  in  Berlin. 

Hämorrhagische  Erkraukungen.  Von  Privatdoeent 
Dr.  R.  Hecker  in  München. 

Barlowsche  Krankheit.  Von  Prof.  Dr.  W.  v.  Starck 
in  Kiel. 

Rachitis.  Von  Prof. Dr.  W.  Stoel  tzner  in  Halle  a.S. 

Diabetes  mellitus.  Von  Prof.  Dr.  K.  v.  Noorden 
in  Wien. 

Diabetes  insipidus.  Von  Prof.  Dr.  K.  v.  Noorden 
in  Wien. 

Lymphatische  Konstitution,  Neuro-Arthritismus  und 
exsudatire  Diathese.  Von  Prof.  L'^r.  M.  Pfaund- 
ler  in  München. 

Scharlach.    Von  Dr.  B.Schick  in  Wien. 

Masern«   Von  Privatdozent  Dr.  P.  Moser  in  Wien. 

Röteln.    Von  I^f.  Dr.  J.  v.  Bökay  in  Budapest. 

Dukes*  ,,Vierte  Krankheit'*.  Von  Prof.  Dr.  J.  v.  Bö- 
kay  in  Budapest. 

Brythema  infectiosum.  Von  Prof.  Dr.  M.  Pfaund- 
ler in  München. 


Varicellen.    Von  Dr.  N.  Swoboda  io  Wien. 
Vakzination.  Von  Prof.  Dr.  C.  v.  Pirquet  in  Bres- 
lau. 
Diphtherie.    Von  Privatdozent  Dr.  J. Trump p  in 

München. 
Epidemische   Parotitis.     Von    Privatdozent   Dr.  B. 

Moro  in  München. 
Bauchtyphus.    Von  Prof.  Dr.  R.  Fi  seh  1  in  Prag. 
Dysenterie    (Ruhr).     Von    Prof.  Dr.  J.  Langer   in 

Graz. 
Influenza.  Von  Dr.  J.  H.  S  piegel  berg  in  Munehen. 
Keuchhusten.    Von  JI>r.  R.  Neurath  in  Wien. 
Akuter  Gelenkrheumatismus.  Von  Privatdozent  Dt. 

J.  Ibrahim  in  München. 
Syphilis.   Von  Privatdozent  Dr.  C.  Hochsinger  in 

Wien. 
Tuberkulose.     Von   Prof.  Dr.  A.  Seh I o 0  m a  n n   in 

Düsseldorf. 
Skrofulöse.  Von  Prof.  Dr.  B.  Salge  in  Frriburgt.B. 
Serumkrankheit.    Von   Prof.  Dr.  C  v.  Pir  q  uet  in 

Breslau  und- Dr.  B.  Schick  in  Wen. 


III.  Band. 


Erkrankungen  der  Mundhöhle.    Von  Privatdozent 

Dr.  £.  Moro  in  München. 
Erkrankungen  der  Tonsillen,  des  Pharynx  und  des 

Ösophagus.   Von  Prof.  Dr.  med.  et  phil.  H.  Fin- 

kel stein  in  Berlin. 
Ernährungskrankheiten  des  Säuglings.    Von   Prof. 

Dr.  R.  Fischl  in  Prag. 
Lokale  Erkrankungen  des  Magens  und  Darmes  im 

frühesten  Kindesalter.    Von  Prof.  Dr.  R.  Fischl 

in  Prag. 
Magendarmerkrankungen  älterer  Kinder.  Von  Prof. 

Dr.  R.  Fischl  in  Prag. 
Pylorusstenosen  im  SäugUngsalter.    Von  Prof.  Dr. 

M.  Pfaundler  in  München. 
Erkrankungen  des  Wurmfortsatzes.    Von  Prof.  Dr. 

P.  Seit  er  in  Solingen. 
Tierische  Parasiten.  Von  Prof.  Dr.  J.  La  n  ger  in  Graz. 
Erkrankungen  des  Bauchfells.     Von   Prof.   Dr.  M. 
.  Stooß  in  Bern. 


Erkrankungen  der  Leber.   V<mi  Prof.  Dr.  M.  StooB 

in  Bern. 
Pathologie  des  Stoffwechsels.  Von  Dr.  W.  Freund 

in  Breslau. 
Darmflora.  Von  Privatdozent  E.  Moro  io  München. 
Vergiftungen.   Von  Prof.  Dr.  A.  SchloOmann  in 

Düsseldorf. 
Erkrankungen    von    Nase,    Luftröhre,    Broocfaiea, 

Lunge    und  Pleura.     Von   Prof.  Dr.  E.  Feer    in 

Heidelberg. 
Erkrankungen    des    Kehlkopfes.     Von    Dr.  D.  Ga- 

latti  in  Wien. 
Erkrankungen  des  Thymus,  Status  lymphaticus  und 

plötzliche  TodesfUle  im   KindesaUer.    Van   Dr. 

J.  K.  Friedjung  in  Wien. 
Erkrankungen  des  Kreislau&ystems.    Von    Privat* 

dozent  Dr.  C.  Hochsinger  in  Wien. 
Erkrankungen    der    SchUddrOse.      Von     ProL  Dr. 

F.  Siegert  in  Köln. 


IV.  Band. 


Erkrankungen   des    Urogenitalsystems.     Von   Prof. 

Dr.  L.  Langstein  in  Berlin. 
Eigenheiten    des   kindlichen    Zentralnervensystems. 

Von  Prof.  Dr.  H.  Pfister  in  Charlottenburg. 
Organische  Erkrankungen  des  Nervensystems.    Von 

Privatdozent  Dr.  J.  Zappert  in  Wien. 
Funktionelle  Erkrankungen  des  Nervensystems.  Von 

Prof.  Dr.  M.  Thicraich  in  Magdeburg, 


Erkrankungen     der     Meningen.      Von     Prof.  Dr. 

M.  Thicmich  in  Magdeburg. 
Hautkrankheiten  (mit  Ausnahme  der  tuberkulösen). 

Von  Dr.  E.  Galewsky  in  Dresden. 
Tuberkulöse    Erkrankungen    der    Haut.     Von    Dr. 

C.  Leiner  in  Wien. 

Register  zu  Bd.  I— IV. 


Verlag  von  F.  C.  W.  VOGEL  in  Leipzig. 

Soeben  erschienen  als  Supplementband  zum  Handbuch 
der  Kinderheilkunde: 

Chirurgie  und  Orthopädie 


im 


Kindesalter 


von 

Prof.  Dr.  Fritz  Lange  und  Dr.  H.  Spitzy 

in  München  .  Privatdozent  in  Oraz 

Mit  21  zum  Teil  farbigen  Tafeln  und  221  Textfiguren 
Preis  broschiert  M.  20.—,  gebunden  M.  23.— 

Die  deutsche  Literatur  hat  seit  Karewski  1894  kein  Werk  über  die  chirur- 
gischen und  orthopädischen  Erkrankungen  im  Kindesalter  aufzuweisen,  obwohl 
der  weitausgreifende  Ausbau  der  Kinderheilkunde,  die  genauere  Erkenntnis  der 
physiologischen  und  pathologischen  Zustände  im  Kindesalter,  ganz  besonders 
in  der  chirurgischen  Auffassung  vieler  Krankheitsbilder  eines  Wandels  bedarf. 
Das  vorliegende  Werk  soll  diese  Lücke  ausfüllen,  es  sollen  in  ihm  dem  Kinder- 
arzte in  knappester  Form  die  wichtigsten  chirurgischen  Indikationen  und  thera- 
peutischen Winke  gegeben  werden. 

Das  Hauptgewicht  wurde  auf  jene  Kapitel  verlegt,  die  von  der  Chirurgie 
der  Erwachsenen  differieren,  die  in  den  großen  Handbüchern  keine  spezielle 
Ausarbeitung  erfahren  haben. 

So  die  Operationen  an  Säuglingen,  die  Säuglingshernien,  angeborene 
Mißbildungen  und  ihre  Frühoperation,  die  Fracturen  im  frühen  Kindesalter, 
die  Wachstumsdeformitäten,  die  Bauchchirurgie  im  Kindesalter,  sowie  jene  Infekte, 
die  einer  chirurgischen  oder  orthopädischen  Behandlung  zugänglich  sind. 

Die  neuen  Werte,  die  die  Biologie  und  Antropologie  für  die  Aetiologie 
vieler  Krankheitstypen  geprägt,  wurden  besonders  berücksichtigt,  und  dement- 
sprechend die  Prophylaxe  und  körperliche  Pädagogik  in  den  Vordergrund 
gerückt,  bezüglich  der  Technik  der  großen  Operationen,  soweit  sie  nicht  im 
Kindesalter  spezifische  Abänderungen  erfahren,  wurde  auf  die  entsprechenden 
Handbücher  verwiesen. 

Die  klinischen  und  therapeutischen  Erfahrungen  basieren  hauptsächlich 
auf  dem  großen  Krankenmaterial  der  Kinderklinik  Oraz,  und  entspringen 
persönlichen  langjährigen  Erfahrungen,  deren  Niederschlag  in  dem  Buche 
wiedergegeben  sein  soll. 

Auf  diese  Weise  sei  dem  Prinzipe  des  Werkes  aus  der  Praxis  für  die 
Praxis  geschrieben  zu  sein,  Rechnung  getragen.  Die  Haltungsanomalien  der 
Wirbelsäule  stammen  aus  der  Feder  eines  der  bedeutendsten  Vertreter  der 
modernen  Orthopädie  Professor  Dr.  F.  Lange  in  München. 


Verlag  von  F.  C.  W.  VOGEL  in  Leipzig. 


In  Vorbereitung  befindet  sich  als  Supplementband  zum 
Handbuch  der  Kinderheilkunde: 


Die  Ohrenlcranlcheiten 


im 


Kindesalter 


von 


Dr.  Gustav  Alexander* 

a.  o.  Professor  an  der  k.  k.  Wiener  UniversitiU 
Vorstand  der  Ohrenabteilang  der  allgemeinen  Poliklinik  in  Wien. 


Das  Werk  wird  in  Ergänzung  des  Handbuches  der  Kinderheilkunde 
eine  eingehende  und  auf  der  Höhe  der  gegenwärtigen  Forschung  und 
Lehre  stehende  Abhandlung  der  Klinik  und  Behandlung  der  Ohrenkrank- 
heiten bieten.  Der  Kinderarzt  ist  häufig  genug  veranlaßt,  selbständig  und 
ohne  Zuziehung  eines  Ohrenarztes  den  Ohrbefund  und  den  eventuellen 
Bestand  einer  Ohrerkrankung  an  seinen  kleinen  Patienten  festzustellen. 
Das  Buch  ist  nun  in  erster  Linie  dazu  bestimmt,  dem  Kinderarzt  nach 
jeder  Richtung  verläßliche,  diagnostische  und  therapeutische  Anweisungen 
zu  geben.  Es  ist  selbstverständlich,  daß  hierbei  die  Ohrerkrankungen  des 
Säuglingsalters  und  der  akuten  Infekte  sehr  eingehend  berücksichtigt 
werden.  Die  Angliederung  an  das  Handbuch  von  Pfaundler  und 
Schlossmann  bringt  es  auch  mit  sich,  daß  die  Frage  der  Taubstummheit, 
der  Taubstummenbildung,  der  Erziehung  der  Schwerhörigen,  die  Schul- 
arztfrage und  die  konstitutionellen  Ohrenkrankheiten  ausführlich  anatomisch- 
klinisch  erörtert  werden. 

Das  Gehörorgan  läßt  im  Kindesalter  gegenüber  dem  des  Erwachsenen 
wesentliche  Verschiedenheiten  erkennen,  denen  nicht  bloß  eine  anatomisch- 
theoretische, sondern  auch  klinische  Bedeutung  zukommt,  und  die  in  Dia- 
gnostik und  Therapie  nicht  vernachlässigt  werden  dürfen.  Aus  diesem 
Grunde  mußte  die  Anatomie  und  die  Physiologie  des  Gehörorganes  des 
Kindes  grundlegend  dargestellt  werden.  Wie  für  alle  Abhandlungen  des 
Handbuches  ist  als  obere  Altersgrenze  die  erreichte  Pubertät  fixiert  worden. 
So  kommt  es,  daß  vielfach  auch  die  Ohrenkrankheiten  der  Erwachsenen, 
und  endlich  die  gesamte  Otochirurgie  und  die  Abhandlung  der  otitischen 
Erkrankungen  des  Hirns,  der  Hirnhäute  und  der  Blutleiter  in  den  Rahmen 
der  Darstellung  einbezogen  wurden. 

Das  Buch  wird  mehrere  farbige  Tafeln  und  eine  große  Anzahl  vob 
Textfiguren  enthalten. 


J 


Verlag  von  F.  C.  W.  VOGEL  in  Leipzig. 


In  Vorbereitung  befindet  sich  als  Supplementband  zum 
Handbuch  der  Kinderheilkunde: 


Ansmerkniiilniiiien  des  RlndesolteR 


von 


Prof.  Dr.  O.  Eversbusch, 

Vorstand  der  kgl.  Universitätsklinik  und  Poliklinik  für  Augenkranke,  München. 

Mit  Abbildungen. 

Wie  die  Kindererkrankungen  im  allgemeinen,  so  sind  auch  in  der 
Neuzeit  die  Krankheiten  des  Auges  im  Kindesalter  fortgesetzt  ein  viel 
und  gern  behandelter  Gegenstand  der  pädiatrischen  und  ophthalmolo- 
gischen Forschung  geblieben. 

Das  Ergebnis  dieser,  verbunden  mit  der  auf  einer  eigenen  langjährigen 
praktischen  Wirksamkeit  beruhenden  Erfahning  beabsichtigt  die  kurze 
monographische  Darstellung  des  Verfassers  auch  dem  Kreise  der  Ärzte 
zu  vermitteln,  die  weder  auf  diesem  Gebiete  spezialistisch  vorgebildet 
noch  auch  spezialistisch  tätig  sind. 

Wie  das  Hauptwerk  will  auch  diese  Zugabe  vor  allem  dem  prak- 
tischen Arzte,  insbesondere  dem  Hausarzte,  ein  Ratgeber  für  Tun  und 
Lassen,  wie  beim  gesunden,  so  auch  beim  kranken  Kinde  sein. 

Es  soll  daher  nicht  nur  was  nosologisch  bemerkenswert  ist,  sondern 
auch  —  und  in  höherem  Grade  —  das  prophylaktisch  und  propädeu- 
tisch Wichtige  berücksichtigt  werden. 

Darum  muß  der  Leser  Genaueres  vor  allem  über  die  vornehmlich 
im  kindlichen  Lebensalter  vorkommenden  Augenkrankheiten  erfahren. 
So  sind  denn  von  den  äußerlich  zutage  tretenden  Erkrankungen  der 
Augen  u.  a,  die  blennorrhoische  Bindehaut-Entzündung  der  Neugeborenen, 
die  krupöse  und  diphtheritische  Conjunctivitis,  die  vielgestaltigen  Manifesta- 
tionen der  sogenannten  skrofulösen  Ophthalmie:  (Ekzem  des  Lidrandes, 
der  Blepharospasmus,  die  exanthematischen  Erkrankungen  der  Conjunctiva 
und  Cornea),  der  Frühjahrskatarrh,  die  Follikular-Entzündung  der  Con- 
junctiva und  die  Keratomalacie,  die  Vaccine-Blepharitis  usw.;  kurz  die 
wichtigen  Krankheitsformen,  bei  denen  die  richtige  Erkennung  der  Krank- 
heit und  das  erste  ärztliche  Handeln  nicht  selten  von  ausschlaggebender 
Bedeutung  ist,  eingehender  behandelt;  aus  gleichen  Erwägungen  die  here- 
ditär-syphilitischen und  tuberkulösen  Erkrankungen  der  Cornea  und  Uvea, 
die  metastatische  Uvealentzündung,  das  infantile  Glaukom  und  die  häufig- 
sten Starformen  des  Kindesalters  und  die  beachtenswerten  Anomalien 
der  Refraktion  und  Akkommodation. 


Verlag  von  F,  C.  W.  VOGEL  in  Leipzig. 


In  Vorbereitung  befindet  sich  als  Supplementband  zum 
Handbuch  der  Kinderheilkunde: 


Die  Sprach-  und  Stimmstörungen 

im 


Kindesalter 


von 


Dr.  Max  Nadoleczny,  München 

Eine  kurze  monographische  Bearbeitung  der  Sprach-  und  Stimm- 
störungen im  Kindesalter,  welche  in  allen  anderen  Lehrbüchern  noch 
fehlt,  dürfte  einem  wirklichen  Bedürfnisse  entsprechen.  Der  einleitende 
Abschnitt  soU  einen  Überblick  über  die  Physiologie  und  insbesondere 
auch  die  Psychologie  der  Sprachentwickelung  beim  Kmde  geben,  aus 
dem  sich  dann  in  einem  weiteren  Kapitel  die  Hemmungen  derselben 
ableiten  lassen.  Die  Häufigkeit  der  Sprachstörungen  sowie  ihre  Be- 
deutung für  Schule  und  Leben  werden  mit  besonderer  Beachtung 
schulärztlicher  Interessen  dargestellt  werden.  An  diese  allgemeine  Dar- 
stellung wird  sich  die  spezielle  Pathologie  und  Therapie  der  einzelnen 
Sprachstörungen  anzureihen  haben,  z.  B.  Stammeln,  Stottern,  femer  die 
symptomatischen  Störungen  bei  verschiedenen  organischen  und  funktio- 
nellen Krankheitsformen  einschließlich  der  Pubertätsstörungen.  Beson- 
dere Berücksichtigung  werden  ferner  die  Sprachstörungen  schwach- 
sinniger Kinder  finden.  Den  Schluß  des  ersten  Teils  soll  eine  Dar- 
stellung der  dyslogischen  Sprach-  bezw.  Redestörungen  bilden. 

Die  stimmhche  EntWickelung  vom  Säugling  bis  zur  Mutations- 
periode, insbesondere  die  Sprech-  und  Singstimme  des  Schulkindes  wird 
in  einem  einleitenden  physiologischen  Kapitel  des  zweiten  Teils  be- 
sprochen werden.  Hieran  schließen  sich  Abschnitte  über  die  Patho- 
logie, Therapie  und  Prophylaxe  der  Stimmstörungen  einschUeßlich  der 
Pubertätsstörungen.  Gerade  auf  dem  Gebiete  der  Stimmpflege  fehlte 
es  bis  jetzt  an  einer  zusammenfassenden  Arbeit,  welche  alles  für  Kinder- 
ärzte Wissenswerte  enthält. 


!  r- 


Verlag  von  F.  C.  W.  VOGEL  in  Leipzig. 


Lehrbuch 


der 


Physiologie  des  Menschen 


von 


Prof.  Dr.  N.  Zuntz  und  Prof.  Dr.  A.  Loewy 

Berlin.  Berlin. 

Unter  Mitwirkung  von 

d  u  B  o  i  s-R  e  y  m  o  n  d  (Berlin),  C  o  h  n  h  e  i  m  (Heidelberg),  Ellen- 
b  e  r  g  e  r  (Dresden),  E  x  n  e  r  (Wien),  Johansson  (Stockholm), 
K  r  e  i  d  1  (Wien),  weiland  Langendorff  (Rostock),  M  e  t  z  n  e  r 
(Basel),  Müller  (Rostock),  Nagel  (Rostock),  Schenck  (Mar- 
burg),   Scheunert  (Dresden),  Spiro  (Straßburg),  Verworn 

(Göttingen)  und  Weiß    (Königsberg) 

763  Seiten  mit  306  Abbildungen  und  2  Tafeln. 
Preis  M.  24. — ,  gebunden  M.  26. — . 

Wenn  mir  jemand  die  Frage  vorgelegt  hätte,  ob  es  möglich  sei 
ein  brauchbares  Lehrbuch  der  Physiologie  im  Umfange  des  vorliegenden 
durch  CoUaboration  von  17  Autoren  entstehen  zu  lassen,  muß  ich  offen 
bekennen,  ich  hätte  große  Bedenken  nicht  verhehlt.  Denn  es  wachsen 
die  Schwierigkeiten  für  ein  Sammelwerk  sowohl  mit  der  Zahl  der  Mit- 
arbeiter wie  auch  mit  der  Beschränkung  an  Raum,  die  man  dem  ein- 
zelnen auflegen  muß.  Wenn  trotzdem  das  vorüegende  Lehrbuch  ein 
nach  jeder  Richtung  gelungenes  ist,  so  muß  einerseits  die  Redaktion 
mit  zielbewußter  Energie  ihres  Amtes  gewaltet  haben ;  auf  der  anderen 
Seite  haben  sich  aber  die  Mitarbeiter  offenbar  dem  aufgestellten  Pro- 
gramm und  dem  redaktionellen  Szepter  willig  gebeugt.  Nur  auf  diese 
Weise  konnte  der  Guß  so  gelingen  wie  hier,  und  nur  so  konnte  ein  durch- 
aus einheitliches  Werk  entstehen.  Keiner  der  beteiligten  Autoren  hat 
sein  Kapitel  als  das  allerwichtigste  betrachtet,  dem  ein  verhältnismäßig 
größerer  Raum  eingeräumt  werden  muß  als  den  andern,  und  harmonisch 
gefügt  erscheint  das  Buch  als  eine  literarische  Einheit.  Ich  kann  es  mir 
ersparen  auf  Einzelheiten  einzugehen,  denn  es  sind  lauter  anerkannte 
Meister  des  Faches,  die  hier  zusammengearbeitet  haben,  und  so  findet 


j 


^    Verlag  von  F.  C.  W.  VO  G  E  L  in  Leipzig    |p) 


man  kein  einziges  Kapitel,  das  nicht  weit  über  die  Mittelmäßigkeit  er- 
haben wäre.  Die  Kapitel  Stoffwechsel  von  Zuntz,  Verdauung  von 
Ellenberger  und  Scheunert,  AUgemeine  Physiologie  von 
Verworn,  und  manches  andere  mehr  sind  Kabtnettstücke  klarer 
DarsteUung.  Die  Leser  dieser  Zeitschrift  werden  es  allerdings  bedauern, 
daß  gerade  das  Kapitel  Milch  nicht  so  ganz  auf  der  Höhe  des  übrigen, 
z.  B.  auch  des  Kapitels  Innere  Sekretion  des  gleichen  Autors  steht.  An 
der  Behauptung,  daß  der  Phosphor  der  Frauenmilch  fast  ausschüeßlich 
in  organischer  Bindung  vorhanden  sei,  ist  Referent  zu  sehr  mitschuldig, 
um  noch  weiter  auf  das  unrichtige  derselben  einzugehen.  Aber  auch  in 
bezug  auf  die  abgesonderten  Mengen  Frauenmilch  und  ihre  Zusammen- 
setzung wissen  wir  doch  mancherlei,  was  in  der  bald  zu  erwartenden 
2.  Auflage  sicher  unter  Berücksichtigung  unserer  speziellen  Fachliteratur 
sich  ausführen  ließe.  Selbstverständlich  können  solche  Kleinigkeiten 
weder  den  Wert  des  in  Rede  stehenden  Kapitels  im  ganzen  noch  etwa 
gar  den  des  gesamten  Werkes  im  geringsten  beeinträchtigen.  Ich  halte 
dasselbe  vielmehr  für  eine  vortreffliche  Bereicherung  der  Literatur. 
Gerade  ein  Buch  dieses  Umfanges  hat  in  der  Physiologie  gefehlt,  während 
uns  ja  die  letzte  Zeit  groß  angelegte  und  ausführliche  Werke  über  die$e 
gesamte  Wissenschaft  und  Teile  derselben  gebracht  hat.  Trotzdem 
glaube  ich,  daß  das  Lehrbuch  mehr  sein  wird  als  nur  ein  Lehrbuch  für 
den  Studenten:  ich  glaube,  es  wird  ein  Handbuch  im  besten  Sinne  des 
Wortes  für  den  Arzt  darstellen,  ein  Buch,  das  man  auf  dem  Schreibtisch 
stehen  hat  und  mit  Hilfe  dessen  man  seine  Fälle  physiologisch  durch- 
denken kann.  Der  Praktiker,  der  es  ernst  nimmt  mit  seiner  Küentel, 
ist  ja  doch  nichts  anderes  als  Vertreter  der  angewandten  Physiologie. 
Tagtäglich  stößt  man  dabei  auf  Fragen,  die  man  rasch  beantwortet 
haben  muß.  Und  dabei  wird  der  Zuntz-Loewy  ein  getreuer 
Helfer  sein.    Auf  meinem  Schreibtisch  ist  schon  Platz  für  ihn  geschafft. 

Prof.  Dr.  A.  Schloßmann  (Düsseldorf) 
im  Archiv  für  Kinderheilkunde,  32.  Band,   19 10. 


VERLAG  VON  F.  C.  W.  VOGEL  IN  LEIPZIG. 


Soeben  erschienen: 


Die  Störungen  der  Sprache 

Von 

weil  Dr.  Adolf  Kussmaul, 

Professor  in  Straßbuxg 


4.  Auflage 


herausgegeben  und  mit  Kommentar  nebst  Ergänzungen  versehen 

von 

Prof.  Dr.  Hermann  Gutzmann, 

Leiter  des  Univenitilts-Anibulatoriuni  für  Sprachstörungen  zu  Berlin 

broschiert  M.  lo. — ,  gebunden  M.  ii.25. 

Das  Werk  des  großen  Klinikers  Kussmaul  erscheint  hiermit  in 
neuer  Auflage.  Wer  Kussmaul's  Werk  zur  Hand  nimmt,  wünscht  sein 
Wort  zu  hören.  Der  Herausgeber  hat  deshalb  in  der  neuen  Auflage 
Text  und  Anordnung  unverändert  bestehen  lassen.  Damit  sich  aber 
der  Leser  über  den  heutigen  Standpunkt  der  Wissenschaft  leicht  unter- 
richten und  kritisch  vergleichen  könne,  damit  er  die  zu  genauerem 
Studium  schwebender  und  schwieriger  Fragen  nötigen  literarischen 
Hinweise  bequem  zur  Hand  habe,  hat  der  Herausgeber,  Herr  Professor 
Gutzmann,  einen  kleinen  Kommentar  zu  den  einzelnen  Kapiteln  und 
Abschnitten  verfaßt,  in  dem  er  veränderte  Auffassungen  und  ergänzende 
Erfahrungen  in  kurzen  Zügen  objektiv  darzustellen  sich  bemüht  hat. 
Aus  diesem  Kommentar,  dessen  Vorhandensein  den  Genuß  der  Lektüre 
nicht  stören  kann,  wird  der  Leser  immerhin  erfahren,  wie  modern  der 
weitsichtige  klinische  Meister  auch  jetzt  noch  ist. 


Das 
Sexualleben  des  Kindes 

Von 

Dr.  Albert  Moll 

SanltAtsrat  in  Beriin 

broschiert  M.  5.—;  gebunden  M.  6.50 


Verlag  von  F.  C  W.  VOGEL  in  Leipzig. 


Herbst  igog  erschien: 


Fünfte  neubearbeitete  Auflage 


Die  pathologisch -histologischen 
Untersuchungsmethoden 


von 


Prof.  Dr.  G.  Schmort 

Geh.  Medizinalrat  und  Prosektor  am  Stadtkrankenhause  zu  Dresden. 


Preis  M.  8.75,  gebunden  M.  10.—. 


Prager  medizinische  Wochenschrift:  Kaum  2  Jahre  sind 
seit  dem  Erscheinen  der  vorigen  Auflage  dieses  mit  Recht  so 
außerordentlich  geschätzten  Leitfadens  vergangen  und  schon  hat 
die  ununterbrochen  fortschreitende  histologische  Technik  das  Er- 
scheinen einer  neuen  bedingt. 

Zentralblatt  für  Chirurgie:  Die  neue  Auflage  hat  ver- 
schiedene Erweiterungen  und  Ergänzungen  erfahren,  und  darf  wohl 
für  sich  einen  dominierenden  Platz  unter  den  mit  der  gleichen 
Materie  sich  befassenden  Werken  in  Anspruch  nehmen. 

St    Petersburger    medizinische   Wochenschrift:     Der 

vierten  Auflage  dieses  in  Laboratorien  unentbehrlichen  Buches  ist 
jetzt  nach  2  Jahren  die  fünfte  gefolgt  und  bringt  außer  den  alt- 
eingebürgerten Methoden  manches  Neue,  was  sich  in  der  Praxis 
seitdem  bewährt  hat. 

Medizinische  Klinik:  Nach  kaum  2  Jahren  ist  die  neu- 
bearbeitete Auflage  des  bekannten  und  unentbehrlichen  Buches 
erschienen,  das  einer  empfehlenden  Besprechung  nicht  bedarf. 


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1^    Verlag  von  F.  C.  W.  VO  G  E  L  in  Leipzig.    ie> 


Die  Krankenpflege  In  der  Chlrursie 

von 

Dr.  H.  A.  Laan  in  Utrecht 

Einzig  autorisierte  Übersetzung  aus  dem  Holländischen  von 

Dr.  med.  Albert  Caan 

Mit  einem  Vorwort  von  Professor  Dr.  A«  Scfaloßmann,  Direktor  der  Akadem. 

Klinik  für  Kinderheilkunde  in  Düsseldorf 

Mit  327  Abbildungen.    Preis  brosch.  M.  10. — ,  gebunden  M.  11.25 

Man  schenkt  zurzeit  allerorts  der  Krankenpflege  ernste  Beach- 
tung und  sucht  dieselbe  durch  gute  Schulung  (Vorträge,  Kurse)  des 
Pflegepersonals  in  jeder  Hinsicht  zu  fördern.  Einen  gleichen  Zweck 
verfolgt  das  vorliegende,  treffliche  Werk  von  Laan.  Es  will  ein  Führer 
und  Ratgeber  sein  für  die  Krankenschwester  und  hat  sich  die 
Aufgabe  gestellt,  speziell  die  „chirurgische"  Schwester  aus- 
zubilden; und  zwar  will  es  erreichen,  daß  die  Schwester  nicht 
allein  mechanisch  und  schablonenhaft,  sondern  mit  Ver- 
ständnis und  im  vollen  Bewußtsein  der  Tragweite  ihres 
Handelns  ihr  Amt  erfüllen  kann.  Mit  der  Verantwortlichkeit 
wächst  die  Gewissenhaftigkeit.  Von  diesem  Gedanken  sind  die  Aus- 
führungen aller  Abschnitte  des  Buches  beseelt.  Immer  wird  das  Zweck- 
mäßige einer  jeden  Funktion  erörtert.  Und  mit  Recht.  Weiß  eine 
Schwester,  warum  sie  eine  gewisse  Handlung  ausführen  muß,  dann 
wird  sie  sie  auch  richtig  tun.  Das  gilt  vor  allen  Dingen  von  der 
Desinfektion.  Weiß  die  Schwester,  warum  sie  sich  streng  waschen 
und  desinfizieren  muß,  so  wird  sie  auch  in  diesem  Punkte,  der  er- 
fahrungsgemäß aus  Mangel  an  den  nötigen  Kenntnissen  so  leicht  für 
unnötig  gehalten  und  vernachlässigt  wird,  die  größte  Gewissenhaftig- 
keit walten  lassen.  So  wird  die  Schwester,  bevor  sie  in  die  praktische 
Krankenpflege  eingeführt  wird,  zunächst  mit  den  Haupttatsachen  aus 
der  Lehre  von  der  Wunde  und  dem  Wesen  der  Infektion  und  deren 
schädlichen  Folgen  vertraut  gemacht.  Bei  der  Bearbeitung  gerade 
dieser  schwierigen  Aufgabe  hat  Verfasser  es  verstanden,  nur  so  viel 
zu  bringen  und  nur  das  zu  besprechen,  was  die  Schwester  unbedingt 
wissen  und  können  muß,  damit  ihr  chirurgische  Kranke  mit  vollem 
Vertrauen  überlassen  werden  können,  und  vermeidet  so  die  Gefahr, 
die  Schwester  durch  allerlei  unvollständige  und  halbverstandene  An- 
gaben aus  der  Pathologie  und  Therapie  der  Wunde  zum  Selbstbe- 
handeln zu  verleiten  oder  gar  dem  Kurpfuschertum  Vorschub  zu  leisten. 


(^    Verlag  von  F.  C.  W.  VO  G  E  L  in  Leipzig.    1^ 


Erst  nach  diesen  mehr  allgemeinen  Belehrungen  wird  die  Schwester 
eingehend  in  die  praktische  Krankenpflege  eingeführt.  Es  ist 
unmöglich  alle  Einzelheiten,  die  reiche  Fülle  der  Lehren,  gutcR  Rat- 
schläge, die  in  dem  Buch  enthalten  sind,  im  Referate  wiederzugeben. 
Im  einzelnen  werden  in  sechs  Abschnitten  folgende  Themata  be- 
handelt: 

Die  Lehre  von  der  Wunde  (I)  und  Infektion  (II),  sehr  eingehend 
die  Desinfektion  und  ihre  Technik,  die  Sterilisation  der  Instrumente 
und  des  Verbandmateriales,  die  Prinzipien  der  Wundbehandlung  nüt 
Einschluß  der  ersten  Hufe  (Notverband,  primitive  Blutstillung)  bei 
plötzlichen  Dnglücksf allen  (III). 

Ein  besonderer  Abschnitt  (IV)  ist  der  Operationsschwester 
gewidmet.  Hier  finden  sich  wichtige  Belehrungen  über  Vorbereitung 
zur  Operation,  Instrumentieren,  Narkose  und  über  die  subku- 
tanen Injektionen.  Der  Schlußteü  dieses  Abschnittes  handelt  von 
den  Instrumenten  und  ihrer  Bedeutung.  Verfasser  verlangt,  daß  (üe 
Operationsschwester  unbedingt  die  gebräuchlichsten  Instnunente  und 
deren  Verwendung  kennen  muß,  femer  daß  sie  imstande  sein  muß, 
den  einzelnen  Phasen  einer  Operation  so  weit  zu  folgen,  um  die 
nötigen  Instrumente  gleich  bereit  zu  halten  und  so  nicht  unwesentlich 
zur  Vermeidung  einer  zu  langen  Dauer  von  Operation  und  Narkose 
beizutragen.  Es  ist  dies  eine  hohe  Anforderung,  die  Verfasser  an  die 
Operationsschwester  stellt,  aber  sie  ist  gerechtfertigt.  Zur  Operations- 
schwester eignet  sich  nicht  jede  Schwester! 

Die  ganze  Darstellimg  ist  durchflochten  von  einer  Reihe  von 
kleinen  Ratschlägen  und  Kunstgriffen,  von  deren  Kenntnis  die  Schwester 
großen  Nutzen  haben  wird. 

Das  Gleiche  gilt  von  den  folgenden,  nicht  minder  wichtigen  Ab^ 
schnitten,  die  die  Aufgabe  der  Stationsschwester,  der  Privat-  und 
Gemeindepflegerin  behandeln.  Hier  finden  sich  goldene  Regeln 
der  Krankenpflege  überhaupt  niedergelegt:  Belehrungen  über 
Nachbehandlung  Operierter,  über  die  Lagerung  der  Kranken,  über 
Ernährung,  über  Verbände,  über  allgemeine  Hygiene.  Spezielle  Rat- 
schläge zur  Pflege  und  Nachbehandlung  der  Diphtherie  (mit  Berück- 
sichtigung der  Intubation,  der  Tracheotomie  und  deren  Instrumen- 
tarium), der  Krankheiten  des  Bauches  (Magenfisteln,  Ernährung)  und 
endlich  der  Kopfkrankheiten  (Hals-  und  Mundoperationen)  beschheßen 
den  lehrreichen  Abschnitt. 

Im  ganzen  ist  das  Buch  ein  herrliches  Werk,  leicht  faß- 
lich und  anregend  geschrieben,  mit  vielen  guten  Bildern  aus- 
gestattet, das  wohl  wert  ist,  die  weiteste  Verbreitung  zu  finden. 


r 


Verlag  von  F.  C.  W.  VOGEL  in  Leipzig. 


Einführung  in  die  Lelire 


vom 


Bau  und  den  Verrichtungen 
des  Nervensystems 


von 


Prof.  Dr.  Ludwig  Edinger 

Ärztlicher  Direktor  des  learologiBcheii  Inetitates  in  Fr»iikfurt  a.  Main. 

Mit  i6i  Abbildungen  und  i  Tafel. 
Preis  M.  6. — ,  geb.  M.  7.25. 

Kritiken  aus  Zeitschriften: 

Zentralblatt  ffir  Nervenhellkunde:  Edingers  anregende  Art  der 
DaisteUung  ist  bekannt,  wir  finden  sie  auch  in  dem  vorliegenden  kleinen 
Buche,  das  jedem  zu  empfehlen  ist,  der  sich  auf  dem  behandelten  Gebiete 
orientieren  will  und  nicht  die  Zeit  hat,  sich  in  das  große  Buch  des 
gleichen  Autors  (Vorlesungen  über  den  Bau  der  nervösen  Zentralorgane, 
2  Bände)  zu  vertiefen. 

Anatomlseher  Anzeiger:  Die  vorliegende  „Einführung''  dürfte  für 
Studierende,  aber  auch  für  Lehrende  in  der  Anatomie,  Physiologie  und 
Pathologie  des  Nervensystems  gleich  brauchbar  sein  und  zu  ferneren 
Studien  und  Forschungen  anregen. 

Zentralblatt  ffir  normale  Anatomie:  In  15  Vorlesungen  gibt  der 
bekannte  Frankfurter  Neurologe  einen  ganz  vorzüglichen  Überblick 
über  die  Haupttatsachen  von  dem  Baue  des  Nervensystems.  Klar  und 
anregend  geschrieben  dürfte  das  Werkchen  für  den  Anfänger  eine 
treffliche  Introduktion  in  diese  schwierige  Materie  bilden.  Es  ist  außer- 
ordentlich reichlich  nüt  gut  gewählten  Abbildungen  ausgestattet,  die 
den  Text  auf  das  beste  unterstützen. 

Deutsehe  medizinische  Wochenschrift:  Mit  dem  vorliegenden  Buch 
hat  Edinger  in  mustergültiger  Weise  eine  kurze  Orientierung  über  die 
Tatsachen  der  Anatomie  des  Nervens3^tems  für  den  praktischen  Arzt 
als  Basis  seiner  klinischen  Arbeit  wiedergegeben.  Er  hat  es  in  aus- 
gezeichneter Weise  verstanden,  aus  der  Fülle  des  bekannten  das  aus- 


c3t    Verlag  von  F.  C  W>  VOGEL  in  Leipzig.    ^ 

zuwählen,  was  entweder  prinzipielle  Bedeutung  hat,  oder  für  die 
Kliniker  von  Wichtigkeit  ist.  Auf  dem  engen  Raum  von  190  Seiten 
das  zu  erreichen,  dazu  gehören  die  eminenten,  die  taktischen  Fähig- 
keiten Edingers. 

Berliner  klinische  Woebensehrift:  Das  190  Seiten  starke  Büchlein 
zeichnet  sich  durch  die  außerordentliche  Klarheit  der  Darstellung  aus 
und  ist  mit  zahlreichen  Abbildungen  versehen,  die  gerade  dem  An- 
fänger auf  diesem  schwierigen  Gebiet  zum  Teil  das  Verständnis  über- 
haupt erst  ermöglichen. 

Münchner  medizinische  Wochenschrift:  Edingers  „Einfüh- 
rung", auf  der  Siunme  unserer  heutigen  histologischen,  anatomischen 
und  vergleichend  anatomischen  Kenntnisse  über  das  Zentndnerven- 
system  basierend  und  durch  zahlreiche  historische,  embryologische, 
physiologische,  psychologische  (speziell  tierpsychologische)  und  patho- 
logische Hinweise  und  Erörterungen  gewürzt,  füllt  eine  lebhaft  emp- 
fundene Lücke  in  der  Literatur  auf  das  erfreulichste  aus,  insofern  es 
den,  welcher  nicht  in  die  Tiefen  der  Detailarbeiten  sich  zu  versenken 
beabsichtigt,  ausgezeichnet  orientiert,  dem  beginnenden  Spezialisten 
aber  als  geeignetste  Vorbereitung  zum  Studium  ausführHcherer  Werke, 
etwa  der  ,, Vorlesungen,  über  den  Bau  der  nervösen  Zentralorgane"  des 
gleichen  Verfassers,  zu  dienen  vermag. 


Vorlesungen  aber  den 

Bau  der  nervösen  Zentralorgane 
des  Menschen  und  der  Tiere 

für  Ärzte  und  Studierende 

von 

Prof.  Dr.  Ludwig  Edinger 

Ärztlicher  Direktor  des  nearologiscben  Institnts  in  Frankfurt  a.  Main. 

Erster  Band: 
Das  Zentralnervensystem  des  Menschen  u.  der  Säugetiere 

Siebente,  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage 
Mit  268  Abbildungen.  Preis  M.  12.—,  geb.  M.  13.50 

Zweiter  Band: 
Vergleichende  Anatomie  des  Gehirns 

Siebente,  umgearbeitete  und  vermehrte  Auflage. 
Mit  283  Abbildungen.  Preis  M.  15.  -,  geb.  M.  16.50. 


Verlag  von  F.  C.  W.  VOG  EL  in  Leipzig. 


igoQ  erschien: 


Die  ROntsenunteßnthuns  der  Brnstorsone 

nnd  die  Ersebnlse  nr  die 
^ntiiolosie  und  Psucholosie 


von 


Professor  Dr.  Hans  Arnspergcr,  Heidelberg 

Mit  einem  Vorwort  von  Geh.  Rat  Prof.  Dr.  von  Krehl 

Mit  34  Abbildungen  im  Text  und  27  Tafeln 

Preis  M.   12. — ,  gebunden  M.   13.50 

Schmidts  Jahrbacher.  In  dem  Vorworte  schildert  Krehl  kurz  und  sehr 
treffend  die  Gefahren  und  Übelstände,  die  aus  einer  Spezialisierung  der  Röntgen- 
untersuchung entstehen  können.  Der  behandelnde  Arzt  ist  nicht  in  der  Lage, 
sie  anzuwenden,  der  Röntgenspezialist  kennt  den  Fall  nicht  und  es  gibt  „Röntgen- 
diagnosen",  die  ohne  Zusammenhang  mit  dem  Gesamtgebiet  entstehen,  und  die, 
weil  sie  Beziehungen  weder  zur  pathologischen  Anatomie,  noch  zur  pathologischen 
Physiologie  haben,  gewissermaßen  in  der  Luft  stehen.  Wenn  solche  Diagnosen, 
weiter  Auslegung  fähig,  unter  geheimnisvollen  Andeutungen  den  Kranken,  wie 
es  modernen  Gebräuchen  entspricht,  direkt  gesagt  werden,  so  ist  das  Unglück 
leicht  fertig.  „Die  große  Schlagader  ist  etwas  erweitert,  sonst  nichts.  In  der 
Gegend  der  Lungenwurzel  ist  ein  Schatten,  man  muß  an  ein  Aneurysma  der 
Aorta,  oder  an  Drüsen,  oder  an  eine  Geschwulst  denken  I  Jetzt  hat  der  Kranke 
seinen  Schrecken  und  der  Arzt  weiß  genau  soviel  wie  vorher."  Sehr  richtig  I 
ruft  man  zu  diesen  Worten  unwillkürlich  aus  eigener  trüber  Erfahrung  und 
nimmt  das  Buch,  das  solchem  Unfug  abhelfen  soll,  gern  in  die  Hand. 

St,  Peter8bur|;er  medizinische  Wochenschrift:  Es  ist  unzweifelhaft  eine 

große  Wahrheit,  auf  welche  Prof.  L.  Krehl  zu  Beginn  dieser  vortrefflichen  Arbeit 
von  Arnsperger  hinweist.  Die  Röntgenologie  ist  auf  dem  Gebiete  der  inneren 
Medizin  als  Hilfswissenschaft  nicht  mehr  zu  entbehren.  Aber  sie  hat  sich  nicht 
als  SpezialWissenschaft  von  dieser  ganz  und  gar  loszulösen.  Eine  Röntgendiagnose, 
die  sich  nicht  in  den  gesamten  Bau  unserer  klinischen  Diagnostik  eingliedert, 
schwebt  in  der  Luft.  Wenn  dieses  schon  in  gewissem  Sinne  von  der  chirurgischen 
Röntgendiagnostik  gesagt  werden  kann,  so  trifft  es  in  ganz  besonderem  Maße 
das  Gebiet  der  internen  Röntgenologie.  Diesen  Vorbedingungen  genügt  das 
Werk  Arnsperger,  welches  dem  großen  Forscher  Wilhelm  Erb  gewidmet  ist, 
ganz  und  gar. 


»ai   Verlag  von  F.  C.  W.  VOOEL  in  Leipiig.    IC» 

Pathologische  Physiologie 

Ein  Lehrbuch 
für  Studierende  und  Ärzte 

Toa 

Dr.  Ludolf  Krehl 

ordentl.  Professor  und  Direktor  der  Xedizinischen  Klinik  in  Heidelberg 

Beehflte  neu  bearbeitete  Auflage. 

Preis  15  M.,  gebunden  16.50  M. 

Krittken  aus  Zeitschriften: 

Zentralblaä  für  Physiologie. 

„Krehl's  Paihologischo  Physiologie"  ist  ein  Lehibnch  in  dea  Wortes  bester 
Bedeutung,  das  die  Aufgabe  „bei  Studierenden  und  Ärzten  das  Interesse  fflr  die 
Theorie  des  pathologischen  Geschehens  zu  fördern'*  in  hohem  Grade  erfüllt 

0.  ▼.  Fürth  (Wien). 

Deutsche  Medizinische  Wochenschrift 

Der  Besprechung,  die  ich  Ober  das  ausgezeichnete  Werk  in  den  letzten  beiden 
Jahren  an  dieser  Stelle  veröffentlicht  habe,  ist  etwas  Wesentliches  nicht  anzu- 
schließen; man  kann  nur  das  Lob  wiederholen,  daß  ihm  ein  hoher  pidagogischer 
Wert  innewohnt  und  daß  es  deshalb  jedem  Arzt  und  Studierenden  zum  Stodium 
aufs  wärmste  empfohlen  werden  kann. 

Münchner  medizinische  Wochenschrift. 

Wir  haben  in  dieser  Wochenschrift  den  hohen  Wert  des  Krehl'schen  Lehr> 
buches,  das  einzig  in  seiner  Art  dasteht,  bei  der  Besprechung  der  frQheren  Auf- 
lagen wiederholt  gepriesen  und  könnten  bereits  Gesagtes  nur  wiederholen. 

Stintzing. 

Wiener  Klinische  Wochenschrift 

Ein  Standardwerk,  wie  nur  wenige  Nationen  aufweisen  können,  hat  Rrebl  mit 
seinem  Lehrbuch  der  pathologischen  Physiologie  geschaffen. 

Biochemisches  Zeniralbiatt^ 
Diese  Auflage  ist  so  überraschend  schnell  auf  die  vor  kurzem  hier  angezeigte 
vierte  gefolgt,  daß  sich  daraus  besser  wie  aus  jeder  Kritik  die  Brauchbarkeil  des 
Krehl'schen  Werkes  ergibt.  Oppenheimer. 

Zentralblatt  für  innere  Medizin. 
Nach  iVi  Jahren  hat  der  verdienstvolle  Forscher  seinem  ausgezeichneten  Werke 
die  fünfte  Auflage  folgen  lassen,  ein  Beweis,  welch  stetig  wachsender  Befiebtheit 
sich  das  Buch  erfreut,  und  daß  es  seiner  Aufgabe,  bei  Studierenden  und  Ärzten 
das  Interesse  für  die  Theorie  des  pathologischen  Geschehens  zu  fördern,  in  fellitem 
Umfange  nachgekommen  ist.  Ruppert  (Magdebui]^.